Philosophie Magazin Nr. 6 / 2017

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Nr. 06/ 2017

Oktober/November

Pragmatisch. Praktisch. Gut?

MAGAZIN

und die Freiheit

Sammelbeilage

Vorwort / Dominique Lecourt Überblick / Martin Duru

„Jakob und sein Her (Auszüge r“ )

1 / Diderot und die Freiheit

Der Klassiker zum Thema Freiheit, mit 16-seitigem Booklet

PANKAJ MISHRA: WARUM DIE WELT IM ZORN VERSINKT COMPUTERSPIELE: EINE BILDENDE ERFAHRUNG?

0 6 4 192451 806907

Diderot Nr. 36

D: 6,90 €; Ö: 7,- €; CH: 12,50 SF; Benelux: 7,40 €

Einst strebten Pragmatisten nach einer radikalen Erneuerung unserer Demokratie. Und heute?


Denker in diesem Heft

Probeabo 3 Ausgaben  regelmäßig  mit Preisvorteil

S. 66

S. 34

S. 52

Pankaj Mishra

Nicolas Berggruen

Rebecca Angelini

Mit seinen Romanen, Essays und Reportagen gehört der indische Denker zu einem der weltweit schärfsten Beobachter des politischen Zeitgeschehens. Mishra, der 2014 den Leipziger Buchpreis zur europäischen Verständigung erhielt und mit seinem aktuellen Buch „Zeitalter des Zorns“ (S. Fischer, 2017) einen Bestseller vorlegte, zeigt im großen Gespräch, wie aus Wut analytische Einsicht erwachsen kann.

Keine andere Person auf dem Planeten investiert derzeit so viel Geld in Philosophie wie er. Im Interview spricht der deutsch-amerikanische Unternehmer, der in Kalifornien jüngst das Berggruen Institute gründete, über die Notwendigkeit, Ideen außerhalb klassischer Institutionen zu fördern, die Bedeutung des konfuzianistischen Denkens und die bevorstehende Transformation des Kapitalismus.

Die Politikwissenschaftlerin ist Referentin der Schweizer Fachstelle für Frauenhandel und Frauenmigration. Zusammen mit zwei weiteren Experten unterzieht sie in unserem Dossier konkrete Beispiele pragmatisch geltender Politik einer Probe aufs Exempel. Rebecca Angelini beantwortet die Frage, ob ein Zürcher Pilotprojekt die Situation von Prostituierten tatsächlich verbessert hat.

S. 60

S. 74

S. 1–100

Michael Hampe

Raphaël Enthoven

Jana Stern

MIT

24 % Nächste 2 Ausgaben + nächste Sonderausgabe (Probeabo plus)*

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28 % VORTEIL TESTEN

Nächste 3 Ausgaben (Probeabo)*

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Er ist Professor für Philosophie an der ETH Zürich. Neben seinem Forschungsinteresse für das Denken der Frühen Neuzeit ist er einer der führenden Pragmatismusexperten im deutschsprachigen Raum. Im Dossier erklärt er, was es mit dieser Philosophie auf sich hat, warum sie hierzulande so häufig missverstanden wird und was sie uns heute über Trumps Amerika und den Brexit sagen kann.

Der Philosoph und Schriftsteller veröffentlichte bereits zahlreiche Werke auf Französisch und moderiert seit 2008 die Sendung „Philosophie“ auf Arte. Sein aktuelles Buch „Little Brother“ erschien im Frühjahr dieses Jahres bei Gallimard. In unserem Klassikerdossier erläutert er unter anderem, warum für Denis Diderot die Freiheit darin besteht zu erkennen, was uns determiniert.

Unsere Praktikantin studiert in Berlin und Amsterdam Philosophie und Kommunikationswissenschaft. Zudem arbeitet sie am Arbeitsbereich Praktische Philosophie der Freien Universität als studentische Hilfskraft. Ihre Schwerpunkte sind Feminismus und Fragen struktureller Ungerechtigkeit. Für diese Ausgabe sprach sie mit Frank Dietrich über das ethische Dilemma der Seenotrettung von Flüchtlingen.

Die nächste Ausgabe erscheint am 16. November 2017

Fotos: Malte Jäger; Daniel Biskup/laif; privat; Julian Salinas; Marie-Stéphane Barthout - Author‘s private collection, CC BY-SA 3.0, wikimedia; privat

VORTEIL TESTEN


Intro

Horizonte

Dossier

Ideen

S. 3 Editorial S. 6 Ihre Frage S. 7 Kinder fragen Tomi Ungerer S. 8 Leserbriefe

S. 24 Porträt Durch die Gnade der Liebe Von Alexandre Lacroix S. 28 Reportage Gibt es ein richtiges Spielen im falschen? Von Dominik Erhard S. 34 Perspektive Milliarden für Ideen Interview mit Nicolas Berggruen

Pragmatisch. Praktisch. Gut?

S. 66 Das Gespräch Pankaj Mishra S. 72 Werkzeugkasten Lösungswege / Gedanken von anderswo / Die Kunst, recht zu behalten S. 74 Der Klassiker Diderot und die Freiheit + Sammelbeilage: „Jakob und sein Herr“ (Auszüge)

Zeitgeist S. 10 Sinnbild S. 12 Denkanstöße S. 14 Resonanzen Neymar: Die Logik des Rekordtransfers / Kulturkampf: Der neue Streit um Denkmäler / Seenotrettung: Frank Dietrich über ein ethisches Dilemma S. 18 Hübls Aufklärung Diesmal: Trügerisches Bauchgefühl Von Philipp Hübl S. 20 Erzählende Zahlen Die Kolumne von Sven Ortoli

S. 34

S. 42 Mehr Pragmatismus wagen! Von Philipp Felsch S. 44 Es war einmal in Amerika Von Martin Duru S. 50 Was ist Ihr Mittel zum Zweck? Ein Test von Cédric Enjalbert S. 52 Praktisch gescheitert Drei Fallbeispiele von Rebecca Angelini, Sami Pihlström, Giovanni Leghissa S. 56 Die Politik des Als Ob Von Nils Markwardt S. 60 „Expertenherrschaft ist der Tod der Demokratie“ Interview mit Michael Hampe

Bücher S. 82 Buch des Monats Das Ich im Profil S. 84 Thema Die halb vergessene Revolution S. 86 Scobel.Mag S. 88 Die PhilosophieMagazin-Bestenliste S. 90 Schopenhauer und Houellebecq: Gelassen in den Abgrund schauen

Fotos: Emmanuel Polanco; Michal Pudelka; Getty Images/Bettmann; David Stewart

Finale

S. 46

S. 65

S. 92 Agenda S. 94 Comic + Spiele S. 96 Lebenszeichen Von Tieren lernen: Der Pacú / Das Ding an sich / Impressum S. 98 Sokrates fragt Charles Schumann

S. 23

Philosophie Magazin Nr. 06 / 2017 / 5


Horizonte

Porträt

Krzysztof Charamsa

Durch

die Gnade der

Liebe

Krzysztof Charamsa war einer der Leiter der Kongregation für die Glaubenslehre – der Erbin der Inquisition –, bis er in einem spektakulären Akt dem Vatikan den Rücken kehrte. Seit seinem Coming-out im Jahr 2015 stellt er in einem Feldzug gegen die Heuchelei die Sexualmoral der katholischen Kirche infrage

W

elch ein Glück, einen Mann, der die Inquisitionsbehörde geleitet hat, vor sich zu haben und ihn frei heraus fragen zu können: War es tatsächlich die Liebe auf den ersten Blick, die Ihr Leben auf den Kopf gestellt hat? „Ja, genau das war es!“, antwortet der Ex-Inquisitor. „Diese Begegnung einer Nacht werde ich niemals als die bloße Suche nach sexuellem Vergnügen, als einen Ehebruch betrachten. Es war im Gegenteil die Offenbarung der Liebe, die mir bis dahin untersagt war. Es war eine innere Umwälzung, die mein gesamtes bisheriges Leben zunichtegemacht, aber mir stattdessen völlig neue Perspektiven eröffnet hat. Die Liebe auf den ersten Blick ist die Kraft, die etwas in dir

24 / Philosophie Magazin Oktober / November 2017

bewegt, die zum Vorschein kommen lässt, was bisher verborgen lag, die deine Angst in Energie und das Unmögliche in Möglichkeiten umwandelt …“ Er ist wirklich enthusiastisch, dieser Krzysztof Charamsa, der sich in einem eleganten Italienisch ausdrückt, obwohl er diese Sprache erst im Erwachsenenalter gelernt hat. Bevor er eines Nachts im Viertel Eixample von Barcelona die Liebe fand, war sein Leben schnurgerade verlaufen. 1972 in Polen geboren, absolvierte er das Priesterseminar und das Theologiestudium in Polen und in der Schweiz, 1997 wurde er zum Priester geweiht und trat 2003 in den Dienst der Kongregation für die Glaubenslehre, der Ex-Inquisition – der von 1981 bis 2005 Kardinal Ratzinger vorstand, der spätere Papst Benedikt XVI.

Ketzerisch könnte man nun fragen: Hat der Bilderbuchpriester Krzysztof Charamsa vor diesem Schock der Liebe nicht in einem Zustand der Heuchelei gelebt? „Nein, ich glaube nicht, dass ich unaufrichtig oder scheinheilig war. Ich habe meinen Beruf geliebt. Für mich hatte die Glaubenskongregation eine schöne Mission, nämlich die Verteidigung der absoluten Wahrheit, indem man sich des kanonischen Rechts und einer rationalen Argumentation bediente. Die Anschuldigungen der Denker der Auf klärung gegen die Inquisition schienen mir übertrieben. Ich war fasziniert von Thomas von Aquin, seinem systematischen Denken, der perfekten, logischen Kathedrale seines Werkes. Doch leider wurde mir letztlich klar, dass Thomas der Wärter eines Gefängnisses war und die Kirche mir eine forma mentis

Foto: Filip Cwik

Von Alexandre Lacroix / Aus dem Französischen von Till Bardoux


der Texte? „Immens. Die gesamte Diplomatie des Vatikans gründet auf den Dokumenten der Glaubenskongregation. Wir machen Druck auf gewählte Regierungen, auf die internationalen Organisationen, mit denen wir zusammenarbeiten. Diese Art von Dokumenten, zu deren Redaktion ich beigetragen habe, zerstören das Leben von Hunderttausenden Personen.“ In seinem Buch „Der erste Stein“, einem Erlebnisbericht, der durch seine Bissigkeit und seine literarischen Qualitäten überrascht, beschreibt Charamsa eine lehrreiche Szene. Ein unfruchtbares Paar hat über seinen Bischof dem Vatikan eine Frage vorlegen lassen: Darf der Ehemann zu medizinischen Zwecken masturbieren, damit sein Sperma von seinem behandelnden Arzt analysiert und so die Ursache für die Unfruchtbarkeit festgestellt werden kann? Die Antwort der katholischen Theologen war ein schneidendes, uneingeschränktes: Nein!

Tolerante Evangelisten

auferlegte, eine ,Geisteshaltung‘, die mich davon abhielt, mich zur Wahrheit hin zu bewegen.“ Dies mag richtig sein, doch besteht die Scheinheiligkeit nicht viel eher darin, Keuschheit zu predigen und sich Fehltritte zu erlauben? „Keineswegs! Bis zu jenem Abend in Barcelona bin ich keusch geblieben. Mir war meine Homosexualität nicht bewusst, oder eher: Als etwas, das ich verabscheute, hatte ich sie in den Tiefen meines Unterbewusstseins vergraben.“

Das Auge auf dem Petersplatz Die Kongregation ist eine verhältnismäßig kleine Institution mit etwa 40 Mitarbeitern, die jedoch einen großen Einfluss ausübt. Charamsa leitete das Büro, das Fragen der Glaubenslehre behandelt und Dokumente erstellt, die dann in zwölf Sprachen übersetzt und an

alle Bischöfe gesandt werden. Diese Texte leiten die kirchlichen Botschaften an eine Glaubensgemeinschaft weiter, die 1,3 Milliarden Mitglieder zählt. „Mir wurde bewusst, dass ich zu einer Art Geheimdienst gehörte, kaum glorreicher als der KGB. Wenn die Inquisition auch nicht mehr die körperliche Folter benutzt, so üben wir doch eine furchterregende symbolische Gewalt aus. Sie müssen bedenken, dass wir 1993 und 2003 Texte verbreitet haben, die eine Verfolgung Homosexueller vorsehen. Diese Texte verlangen von Katholiken, keine Immobilien an Homosexuelle zu vermieten, sie nicht als Lehrer oder Erzieher an Schulen einzustellen, ihnen keine Posten an Sportstätten oder in Schwimmbädern anzuvertrauen, sie nicht zum Militärdienst zuzulassen.“ Doch werden diese Vorgaben in die Realität umgesetzt? Wie groß ist die Wirkung

„Doch das Erstaunlichste ist, dass wir behaupten, keine Fanatiker zu sein. Wir bringen pseudomedizinische Erklärungen vor. Im Fall der Masturbation beteuern wir, dass diese zu Geisteskrankheit führe. Bezüglich der Homosexualität erklärte Kardinal Bertone im Jahr 2010, damals die Nummer zwei des Vatikans, dass ,zahlreiche Psychologen und Psychiater bewiesen hätten, dass es einen Zusammenhang zwischen Homosexualität und Pädophilie gebe‘. Können Sie sich das vorstellen? Der Vatikan stützt sich auf pseudowissenschaftliche Behauptungen, um die Homosexualität zu kriminalisieren.“ Aus Sicht der Glaubenslehre ist die Basis für diese Verfolgungen allerdings ziemlich unklar. Christus hat unter römischer Herrschaft gelebt, in einem soziohistorischen Kontext, in dem Bisexualität gang und gäbe war. Er selbst war in Sittenfragen tolerant – in den Evangelien gibt es keine Verdammung der Homosexualität. „Sie haben recht“, bestätigt Charamsa. „In Christus zeigt sich ein gesundes Verständnis des Menschen als geschlechtli­ches Wesen. Geschlechtlich auf eine Weise, die sich gleichwohl nicht aufs Schlafzimmer und auf das Genitale beschränkt. Christus spricht ohne Vorbehalte mit den Frauen, auch mit jenen, die nicht verheiratet sind oder Mehrfachbeziehungen haben – wie die von Johannes beschriebene Samariterin. Bei Lukas begegnet Christus einem Zenturio, der ihn anfleht, einen kranken Sklaven zu retten, den er sehr liebt. Christus erhört ihn. Die offizielle Exegese des Katechismus insistiert sehr auf >>> Philosophie Magazin Nr. 06 / 2017 / 25


Horizonte

Reportage

Gibt es ein

richtiges

BioShock Ayn Rand unter Wasser (Xbox One/Playstation 4, 2016) Man steuert den Protagonisten Jack, der 1960 mit einem Flugzeug über dem Atlantik abstürzt, sich jedoch in die Unterwassermetropole Rapture retten kann. Der Name ihres Gründers Andrew Ryan weist dabei nicht zufällig eine Ähnlichkeit zu Ayn Rand auf. I n Rapture sollten sich nämlich die libertären Visionen der US-Philosophin verwirklichen. Doch Ayn Rands Credo der „rationalen Selbstsucht“ führte hier in jene postapokalyptische Katastrophenwelt, die der Spieler nun durchkämmen muss.

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Spielen

im falschen? Von vielen werden Computerspiele noch immer nicht ernst genommen. Dabei sind sie mittlerweile ein milliardenschweres Geschäft. Und während PC und Playstation zu Spielplätzen von Kunst und Philosophie avancieren, durchdringt die Gamifizierung unseren Alltag Von Dominik Erhard

s beginnt mit einer Katastrophe. Flugzeugabsturz über dem Atlantik. Vorbei an brennenden Wrackteilen rettet man sich als einziger Überlebender in einen verlassenen Leuchtturm, an dessen Eingang ein Banner mit der Aufschrift prangt: „Keine Götter oder Könige, nur Menschen!“ Das Spiel, das mit gedämpftem Summen in der Konsole rotiert, heißt „BioShock“. Wo ist man hier nur hineingeraten? Doch keine Zeit für Fragen, denn mittels einer Tauchkugel geht es direkt weiter nach Rapture, einer Unterwasserstadt im Stil des Art déco. Es ist kein Zufall, dass der Name des fiktiven Gründers von Rapture, Andrew Ryan, der die Stadt als urbane Utopie entwarf, wie jener der berühmtberüchtigten Vordenkerin des Libertarismus Ayn Rand klingt. Deren philosophischer Roman „Der ewige Quell“, so verriet einer der leitenden Entwickler, stellte eine wichtige Inspiration für „BioShock“ dar. Das zeigt sich besonders an der Unterwasserstadt Rapture. Ein radikal deregulierter Kapitalismus, so wie ihn Ayn Rand stets predigte, sollte die Metropole zu Wohlstand und Freiheit führen. Doch das Gegenteil geschah. Tritt der Spieler aus der Tauchkugel, sieht er Elend und Verfall. Gebäude sind heruntergekommen, die Bewohner von genveränderten Substanzen deformiert. Was als kleine philosophische Anspielung beginnt, mündet bald in ein moralisches Dilemma erster Güte. Man trifft auf die „Little Sisters“, zombieartige Mädchen mit leeren Augen, die die Unterwasserstadt nach ADAM, einem Rohstoff für Genveränderungen, absuchen. Hat man deren monströse Beschützer, die „Big Daddys“, im zähen Kampf besiegt, steht man vor der Frage, ob man die schutzlosen Kreaturen nun töten oder verschonen soll. Entscheidet man sich für Ersteres,

Foto: Bioshock, ©2KG

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sackt man das von ihnen gesammelte ADAM ein und optimiert die eigenen Lebenskräfte. Lässt man von ihnen ab, wird einem hingegen von der Off-Stimme versichert, das moralisch Richtige getan zu haben. Was also tun in dieser postapokalyptischen Welt? Sind die eigenen Kräfte, die womöglich noch zur Errettung vieler anderer Leben gebraucht werden, wichtiger als die prekäre Existenz eines Monsters in Mädchengestalt? Können moralische Grundimpulse die spielinterne Logik des Tötens überwinden? Liegt die Pointe letztlich vielleicht sogar darin, dass man durch das Morden de facto selbst zum Monster wird? Computerspiele zählen heute zu den beliebtesten Freizeitbeschäftigungen unserer Zeit. Knapp 47 Prozent der deutschen Jugendlichen spielen jeden oder fast jeden Tag, wobei der digitale Spieltrieb im Erwachsenenalter keineswegs nachlässt. Das Durchschnittsalter der hierzulande rund 34 Millionen Menschen, die regelmäßig auf PC, Konsole, Tablet oder Smartphone zocken, beträgt 35 Jahre. Dass die mit über 350 000 Besuchern größte Computerspielmesse der Welt, die Gamescom in Köln, jüngst von Bundeskanzlerin Angela Merkel eröffnet wurde, zeigt zudem, dass die Spieleindustrie mit ihren doch 11 000 Beschäftigten mittlerweile auch politisch ernst genommen wird. Vor diesem Hintergrund scheint es denn auch wenig verwunderlich, dass Computerspiele à la „BioShock“ intellektuell immer anspruchsvoller werden. Denn grundsätzlich ist es zwar keineswegs neu, dass diese implizit auch ethische Fragen aufwerfen. Man denke etwa an die 1997 gestartete Spielreihe „Grand Theft Auto“, in der man in die Rolle eines Auftragskriminellen schlüpft, welche einen immer wieder vor moralische Dilemmata stellt. Darüber hinaus ist in den letzten Jahren zu beobachten, dass Gamedesigner immer häufiger explizit philosophische Ansätze nutzen. In dem vom Künstler David O’Reilley entwickelten Spiel >>> Philosophie Magazin Nr. 06 / 2017 / 29


Horizonte

Perspektive

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novatives Genie und intelligentes Chancennutzen, oder nicht auch durch rein renditeorientiertes Zerschlagen ganzer Branchen, Betriebe und auch Wohnviertel nebst Ausnutzung globaler Steuerschlupf löcher? Keine genuin philosophischen Fragen, gewiss, indes durchaus bedenkenswerte. Wer andererseits allein schon die Idee einer mäzenatischen Förderung philosophischer Gedanken unter spätkapitalistischen Verfremdungs- und Manipulationsverdacht stellt, bezeugt damit eine eher bedauernswert unhistorische denn produktiv kritische Haltung. Tatsächlich stellt sich die Förderungsgeschichte des modernen Philosophierens als ein beständiger Zweischritt zwischen universitärer Institutionalisierung und höfisch-privatem Mäzenatentum dar. An die Seite der zunächst noch kirchlich

organisierten Universität treten in der Frührenaissance Geistesförderer wie die Borgias oder Medicis. Auch Leibniz und Descartes waren in ihrem Forschen viel eher Adels- denn Universitätsdenker. Und als sich im 18. Jahrhundert in Weimar und Umgebung eben jene beispiellose Explosion des Denkens vollzog, die man bis heute gerne mit dem Adjektiv „klassisch“ adelt, geschah dies vorrangig finanziert durch die Prestigegelüste eines politisch durchaus unbedeutenden Lokalherzogs. Dem Wehen des Geistes gewiss nicht zum Schaden.

Willkommene Entlastung? Die korsetthafte Freiheit des Denkens, die das akademische Philosophieren an der Universität genießt, wurde also schon immer von der weniger restringierten und damit gewiss auch manipu-

lationsanfälligeren Forschungsfreiheit durch persönliche Patronage ergänzt. Wenn man den in Sachen gedanklicher Innovation durchaus beklagenswerten Zustand der zeitgenössischen Philosophie betrachtet und ferner weiß, dass gerade die talentiertesten und einf lussreichsten Universitätsdenker einen Großteil ihrer geistigen Energie in das Verfassen von institutssichernden Drittmittelanträgen investieren müssen, scheint die Idee einer entlasteten Spielwiese zum freien und womöglich sogar großen Wurf alles andere als abwegig. Wie die Liebe selbst braucht auch die Weisheitsliebe vor allem: ausreichend Raum und Zeit. Wer immer sie im Interesse des Denkens selbst gewähren will, verdient deshalb für den Anfang wohlgesonnene Offenheit anstatt apriorischer Ablehnung.

Mäzene der Philosophie Von den Medicis bis zu Friedrich dem Großen: Mäzene haben in Philosophie und Kultur schon immer eine Rolle gespielt – und waren dabei nie unumstritten Von Jana Stern

J. P. REEMTSMA (*1952)

GEORGE SOROS (*1930)

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N

ls Sohn eines Unternehmers erbte Jan Philipp Reemtsma im Alter von 26 Jahren Anteile an der väterlichen Cigarettenfabriken GmbH im Millionenwert, welche er jedoch sofort veräußerte. Nach einem Studium der Germanistik und Philosophie gründete Reemtsma, heute einer der einflussreichsten Sozialwissenschaftler Deutschlands, 1984 das Hamburger Institut für Sozialforschung und die Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur, die unter anderem den Nachlass Adornos und Benjamins verwaltet. Reemtsmas Vermögen beläuft sich auf circa 700 Millionen Euro, womit er zu den 200 reichsten Deutschen gehört.

36 / Philosophie Magazin Oktober / November 2017

achdem Soros die Verfolgung durch die Nationalsozialisten in Ungarn überlebt hatte, emigrierte er nach Großbritannien, um an der London School of Economics bei Karl Popper Philosophie zu studieren. Mittels der Gewinne, die er in den USA als Investor und Börsenspekulant erzielte, gründete 1993 die Open Society Foundations. Mit ihnen investierte er weltweit zwölf Milliarden US-Dollar in zivilgesellschaftliche Projekte. Zudem ist Soros Haupt­ investor der Central European University in seiner Geburtsstadt Budapest, die Masterund Doktorandenprogramme in Philosophie anbietet. Mit einem Gesamtvermögen von 25 Milliarden US-Dollar gehört er zu den 30 reichsten Menschen der Welt.

K. A. KHAN IV. (*1936)

(bürgerlich Karim al Husseini)

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er 49. Imam der Glaubensgemeinschaft der schiitischen Nizariten tritt mit der Aga-Khan-Stiftung in die Fußstapfen seines Großvaters, der im 20. Jahrhundert begann, die Spenden seiner Gläubigen in Universitäten, Schulen und Begabtenförderung zu investieren. Die Stiftung ist die größte private Entwicklungsorganisation der Welt und fördert vor allem Projekte in Asien und Ostafrika mit einem jährlichen Budget von 925 Millionen US-Dollar. Darunter fallen Stipendien sowie die Einrichtung der University of Central Asia mit Zweigstellen in Tadschikistan, Kirgisistan und Kasachstan, die ein umfangreiches geisteswissenschaftliches Programm anbieten.


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Foto: Sharan Asgharnia/August Images

as Projekt wurde von Anfang an auch skeptisch beäugt: Im Jahre 2010 gründete der deutschamerikanische Investor Nicolas Berggruen in Los Angeles das Berggruen Institute. Mittlerweile hat dieses die Arbeit aufgenommen, lädt zu Konferenzen, vergibt Stipendien und seit 2016 auch jährlich einen Philosophiepreis – dotiert mit einer Million Dollar. Insbesondere durch den Erwerb (und baldigen Wiederverkauf) der Kauf­ hausgruppe Karstadt geriet Berggruen, dessen Privatvermögen derzeit auf 1,5 Milliarden Dollar geschätzt wird, in Deutschland stark in die Kritik. Im Interview erklärt er die Gründe, weshalb er fortan vor allem in eines investieren will: philosophische Ideen.

Philosophie Magazin: Herr Berggruen, kein Mensch auf der Welt investiert mehr Geld in die Entwicklung philosophischer Ideen als Sie. Warum tun Sie das? Nicolas Berggruen: Die Philosophie findet bekanntlich vor allem in akademischen Institutionen statt, sie wird an Universitäten studiert und gelehrt. Die Gesamtbevölkerung scheint jedoch immer weniger offen für die Welt der philosophischen Ideen. Dabei könnten sich wertvolle Gedanken in Zeiten sozialer Netzwerke an sich besser verbreiten als jemals zuvor. Man trifft also auf ein Paradox: Einerseits gibt es heute weniger Aufmerksamkeit für tiefer gehende Ideen, andererseits gibt es jedoch ein wesentlich größeres Reichweitenpotenzial. Daraus ergibt sich die interessante Chance, jenen Bereich zu unterstützen, der vielleicht der wichtigste für die Menschheit ist: Ideen und Visionen da-

«

Nicolas Berggruen Deutsch-amerikanischer Investor, Unternehmer und Mäzen:

Im Angesicht reaktionärer Strömungen muss die Philosophie neue Wege aufzeigen

von zu entwerfen, in was für einer Welt wir leben und leben wollen. Ich bin nun in der glücklichen Lage, bei der Finanzierung dieses Vorhabens helfen zu können.

Wie kamen Sie zur Philosophie? War es eine bestimmte Erfahrung oder durch einen Freund oder Lehrer? Nein, es gab weder einen Freund, der mich zur Philosophie brachte, noch eine besondere Erfahrung. Ich weiß nur, dass ich mich als Heranwachsender in Paris bereits früh für Philosophie interessierte. In Frankreich wird die Philosophie ja besonders wertgeschätzt. Das war in den 1960er-Jahren sogar noch ausgeprägter als heute. Ich erinnere mich deutlich daran, besonders am Existenzialismus interessiert gewesen zu sein, an Sartre und Camus. Bald kamen weitere Philosophen dazu, vor allem Nietzsche. Was sind für Sie die zentralen Fragen der Philosophie? Das lässt sich mit dem Verweis auf ein Gemälde Paul Gauguins beantworten, welches er in seiner Zeit auf Tahiti schuf. Der Titel lautet: „Woher kommen wir? Wer sind wir? Wohin gehen wir?“ Die wichtigste Frage ist hierbei wahrscheinlich: „Wer sind wir?“ Oder wie Kant es formulierte: „Was ist der Mensch?“ Warum sollte das die wichtigste Frage unserer Zeit sein? Die Fragen, die von den antiken Griechen gestellt wurden, sind auch immer noch die unseren. Sie haben nichts an Relevanz verloren. Was sich jedoch geändert hat, ist die Gesellschaft. Menschen sind immer unabhängiger von

der Natur geworden, was ihnen mehr Selbstbestimmung ermöglichte. Evolutionär sind wir mittlerweile sogar an einem Punkt angelangt, an dem wir Einf luss darauf nehmen können, wer wir als Menschen sind. Mittels Gentechnik oder künstlicher Intelligenz können wir redefinieren, wer wir sind, physisch wie psychisch. Und vor diesem Hintergrund wird die Frage „Was ist ein Mensch?“ zu einer überaus wichtigen. Sollten in diesem Zusammenhang bestimmte Entscheidungen getroffen werden, könnte das das Menschsein verändern – ohne dass wir diese Frage zuvor ausreichend ref lektiert hätten.

Die Geschwindigkeit des Fortschritts ist in der Tat sehr hoch. Gemessen an dem kulturellen und politischen Backlash, den wir gerade erleben, vielleicht sogar zu hoch. Absolut. Weltweit gibt es politische Reaktionen auf die Entwicklungen der letzten 30 Jahre, also auf Globalisierung, Multikulturalismus oder die enormen technischen Fortschritte. Wir werden derzeit Zeuge, wie in vielen Ländern nationalistische Einf lüsse und die Sehnsucht nach dem Vergangenen wachsen. Denn Identitäten, Kulturen und Menschen werden durch den Fortschritt destabilisiert. Aus meiner Sicht ist dieser Erneuerungsprozess grundsätzlich etwas Positives und lässt sich langfristig sowieso nicht aufhalten. Doch in vielen Ländern pausiert er zumindest. Man denke etwa an China: Das Land ist konservativer geworden, besinnt sich auf seine alten Traditionen, allen voran den Konfuzianismus. Ähnlich bei Modis Hindu-Nationalismus in Indien, Erdo- >>>

Philosophie Magazin Nr. 06 / 2017 / 37


Pragmatisch. Praktisch.

Gut?

40 / Philosophie Magazin Oktober / November 2017


DOSSIER

M

Illustration: Bettina Keim

enschen als Pragmatiker zu bezeichnen, ist ein zwiespältiges Lob. Das gilt im Alltag, derzeit aber besonders in der Politik. Pragmatismus gehÜrt zu den Kardinaltugenden unserer Epoche. Doch zugleich impliziert er Ideenarmut und Prinzipienlosigkeit. Besonders in Deutschland besitzt die aus den USA stammende Denktradition ein zweifelhaftes Image. Sie gilt als rein zweckorientiert, theoriefern und allzu marktkonform. Dabei ist der Pragmatismus eine philosophische Bewegung, der es vor allem um eines geht: eine radikale Erneuerung der liberalen Demokratie. Also auf zur Tat!

Philosophie Magazin Nr. 06 / 2017 / 41


DOSSIER

Pragmatisch. Praktisch. Gut?

Es war einmal in

Amerika Die Story des Pragmatismus

Wer die zentralen Fragen des Lebens pragmatisch angeht, ist kein Theoretiker, ja, überhaupt kein besonders reflektierter Mensch? Falsch gedacht! Unter dem Begriff des Pragmatismus bildet sich Ende des 19. Jahrhunderts an der amerikanischen Ostküste eine Denkschule heraus, die zu den inspirierendsten unserer Zeit zählt

A

merika, das mächtige, glänzende, beneidete, ist als Sündenbock erst seit dem Ende des Ersten Weltkrieges so recht zu verwenden“, schreibt Ludwig Marcuse in seinem 1959 erschie„ nenen Buch „Amerikanisches Philosophieren“. Und was Marcuse hinsichtlich des deutschen Antiamerikanismus festhält, gilt für die deutsche Haltung gegenüber dem Pragmatismus als ureigener Denkschule der USA. „Auch diese vier Silben“, fährt Marcuse fort, „wurden zum Schimpfwort – unter Leuten, die sich den Anschein gaben, dass sie sich nicht herablassen zu schimpfen.“ Wer sich allerdings die Mühe macht, sich ohne kulturelle Vorurteile auf diese Strömung einzulassen, wird in ihr einen ganzen Kontinent reichster Gedanken entdecken, die jede demokratische Gesellschaft und jedes bewusst geführte Leben in vielfacher Weise bereichern. Mit anderen Worten: Im Pragmatismus kommt die Idee Amerikas im besten Sinne zu sich. Hier soll seine Geschichte erzählt werden. 44 / Philosophie Magazin Oktober / November 2017

Cambridge, Anfang der 1870er-Jahre. In der amerikanischen Kleinstadt, in der die Harvard University beheimatet ist, gründet eine Handvoll junger Intellektueller den später legendär gewordenen Metaphysical Club. Unter den Mitgliedern der informellen Gruppe finden sich zwei Freunde, die an der renommierten Universität studiert haben. Der eine heißt Charles Sanders Peirce. 1839 als Sohn eines Mathematikers geboren, hat er bereits durch brillante wissenschaftliche Arbeiten, die sich mit Astronomie wie auch mit Logik befassen, Beachtung gefunden. Der andere, drei Jahre jünger, ist William James, Bruder des Schriftstellers Henry James. Auch er stammt aus der gesellschaftlichen Elite, sein Weg zum Medizindiplom ist vorgezeichnet. Die Diskussionen im Metaphysical Club kreisen um Themen wie Darwins Evolutionstheorie, Zufall oder Glaube. Um diese Debatten zu fundieren und seine eigenen Positionen zu markieren, publiziert Peirce 1878 den Artikel „How to Make our Ideas Clear“. Der Titel benennt bereits das Ziel: Um das Denken zu

Textauszug: Charles Sanders Peirce: „Über die Klarheit unserer Gedanken“, übersetzt sowie mit einer Einleitung und einem Kommentar versehen von Klaus Oehler, Klostermann, 1985; Rechtschreibung wurde angepasst; Fotos: Musée Bartholdi, Colmar, reproduction: © C. Kempf; Wikipedia Creative Commons

Von Martin Duru / Aus dem Französischen von Felix Kurz


Geschaffen im Geiste der Demokratie und des freien Denkens: Die Entstehung des philosophischen Pragmatismus in den 1870er-Jahren fällt nicht zufällig mit der Bauphase der Freiheitsstatue zusammen

Charles Sanders Peirce Über die Klarheit unserer Gedanken (1878) Um mit dem einfachsten, das möglich ist, zu beginnen, wollen wir uns fragen, was wir meinen, wenn wir ein Ding hart nennen. Offensichtlich meinen wir, dass es nicht von vielen anderen Substanzen geritzt werden wird. Der ganze Begriff dieser Eigenschaft, wie jeder anderen, liegt in ihren gedachten Wirkungen. Es gibt absolut keinen Unterschied zwischen einem harten Ding und einem weichen Ding, solange sie nicht auf die Probe gestellt werden. Man nehme an, dass sich ein Diamant mitten in einem Kissen aus weicher Baumwolle kristallisieren könnte und dort bliebe, bis das Ganze schließlich verbrennt. Wäre es falsch zu sagen, dass der Diamant weich wäre? Das scheint eine törichte Frage zu sein und wäre es in der Tat, ausgenommen im Bereich der Logik. Da sind solche Fragen oft von größtem Nutzen, indem sie helfen, logische Prinzipien schärfer herauszubringen, als das reale Erörterungen jemals könnten. Wenn man sich mit Logik beschäftigt, darf man diese Fragen nicht durch voreilige Antworten beiseiteschieben (…) In dem vorliegenden Fall können wir unsere Frage modifizieren und fragen: Was hält uns davon ab zu sagen, dass alle harten Körper weich bleiben, bis sie berührt werden, und dass dann ihre Härte mit dem Druck zunimmt, bis sie geritzt werden? Die Überlegung führt zu folgender Antwort: Solche Redeweisen wären nicht falsch. Sie würden eine Abänderung unseres gegenwärtigen Sprachgebrauchs in Bezug auf die Wörter „hart“ und „weich“ einschließen, aber nicht eine Änderung ihrer Bedeutungen.

entwirren, gilt es zu untersuchen, „welche – möglicherweise praktisch bedeutsamen Folgen – der Gegenstand unserer Konzeption hat“. Die Bedeutung eines Gedankens zeigt sich in der Erfahrung, anhand seiner beobachtbaren Resultate: Peirce stellt hier eine Regel auf, die zum theoretischen Grundpfeiler des Pragmatismus avanciert – ein Begriff, der in dem Artikel nicht auftaucht, von Peirce aber bei den Zusammenkünften des Clubs in Anschlag gebracht wird. Das Credo ist formuliert, alle Bedingungen dafür, dass die Bewegung nun in Gang kommt, scheinen gegeben. Doch bis dahin müssen noch 20 Jahre vergehen. In der Zwischenzeit schlagen die beiden Freunde gegensätzliche Pfade ein: Während James ein berühmter Professor für Philosophie und Psychologie in Harvard wird, findet Peirce keine Anstellung. Er erlebt allerhand Turbulenzen, die auch seinem unnachgiebigen, an Arroganz grenzenden Charakter geschuldet sind – während James umgänglicher und bodenständiger ist. Zudem ist die puritanische Gesellschaft von Peirces >>> Philosophie Magazin Nr. 06 / 2017 / 45


DOSSIER

Pragmatisch. Praktisch. Gut?

Foto: Myrto Papadopoulos/Redux/laif; Autorenfoto: privat

Praktisch

gescheitert Sachlagen kühl analysieren, Scheuklappen überwinden, ideologiefrei entscheiden! Der Aufruf zum Pragmatismus durchdringt heute sämtliche Bereiche der Politik. Zum Wohle aller Beteiligten soll die Güte von Maßnahmen nach ihren absehbaren Konsequenzen beurteilt werden. Klingt in der Theorie gut, aber funktioniert es in der Praxis? Drei europäische Fallbeispiele im Realitätscheck Aufgezeichnet von Philipp Felsch 52 / Philosophie Magazin Oktober / November 2017


Rebecca Angelini

Die studierte Politikwissen­ schaftlerin ist Referentin der Schweizer Fachstelle für Frauenhandel und Frauen­ migration

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Prostitutionsgesetz:

„Die Lage ist schlechter als zuvor“ Seit 2013 gilt in Zürich eine neue Prostitutionsgewerbeverordnung. Der unreglementierte Straßenstrich wurde aufgelöst und an den Stadtrand in sogenannte „Verrichtungsboxen“ verlegt, wo die Prostituierten unter staatlicher Aufsicht und hygienisch kontrollierten Bedingungen ihrem Geschäft nachgehen

n einer gerechteren Welt gäbe es weniger Menschen, die sexuelle Dienstleistungen „ verkaufen müssten. Doch das ist kontrafaktisch. In der Welt, in der wir leben, ist Sexarbeit eine soziale Realität, die durch Verbote nicht zum Verschwinden gebracht werden kann. Verbote haben lediglich einen Einfluss darauf, unter welchen Bedingungen sie stattfindet. Eine pragmatische Politik muss daher dafür sorgen, diese Bedingungen möglichst günstig zu gestalten. Der neue Strichplatz – die ‚Verrichtungsboxen‘, wie die Medien sagen –, den die Stadt Zürich 2013 im Zuge der neuen Prostitutionsgewerbeverordnung eingeführt hat, dient diesem Zweck. Nach Sicht der Stadt war die Situation, die auf dem Straßenstrich rund um den Sihlquai herrschte, chaotisch. Es gab brutale Fälle von Menschenhandel. Es gab keine sanitären Anlagen, aber jede Menge Schaulustige, da der Sihlquai direkt ans Ausgehviertel der Stadt angrenzt. Auf dem neuen Strichplatz gibt es gesundheitspräventive Angebote, eine gynäkologische Sprechstunde, auch die AIDS-Hilfe ist vor Ort. Abgesehen von ihren Beratungsangeboten sorgen die städtischen Stellen allein durch ihre Präsenz zudem für eine Atmosphäre der Sicherheit. Doch nur ein Bruchteil der Frauen, die vorher auf den Straßenstrich gingen, arbeitet jetzt in einer Verrichtungsbox. Die Funktionen des Sihlquais kann die neue Örtlichkeit unmöglich in adäquater Weise übernehmen. Wegen der Randlage kommen weniger Freier. Nachts gibt es keinen Anschluss an den öffentlichen Nahverkehr. Fälle von Menschenhandel gibt es immer noch, nur sind sie weniger sichtbar. Noch gravierender ist aber, dass die Verordnung viel zu flächendeckend greift. Nicht nur der Straßenstrich, auch viele sogenannte Kleinsalons, in de-

nen die Frauen häufig relativ selbstbestimmt arbeiten konnten, sind durch die neue Gesetzeslage faktisch illegal. In den Großclubs, die von den neuen bürokratischen Auflagen profitieren, herrschen Bedingungen, die für die Frauen oft viel schlechter sind. Diejenigen, die den Umstieg nicht geschafft haben, sind in der Sozialhilfe gelandet – oder irgendwo im Untergrund. Insgesamt ist die Lage für Sexarbeiterinnen also nicht besser, sondern schlechter als davor. Eine Stadt von der Größe Zürichs sollte sowohl die Existenz von Salons als auch einen klassischen Straßenstrich tolerieren. Viel sinnvoller wäre es daher gewesen, auf zu komplexe bürokratische Hürden für die Salonprostitution zu verzichten und die Situation am Sihlquai selbst zu verbessern: dort sanitäre Anlagen aufzustellen, dort das Beratungsangebot zu erhöhen und in die nichtrepressive Ermittlungsarbeit der Polizei gegen Ausbeutung in der Sexarbeit und Menschenhandel zu investieren. Zu diesem Zweck hätte man die Problemlage sorgfältig analysieren müssen, um Maßnahmen ergreifen zu können, die auf die Bedürfnisse aller Beteiligten zugeschnitten sind. Vor allem aber hätte man die Sexarbeiterinnen selbst in diesen Prozess miteinbeziehen müssen. Alle Stimmen zu hören, mit den Betroffenen zu sprechen – für John Dewey ist das die Vorbedingung für eine wahrhaft pragmatische Politik. Stattdessen wird pauschal mit dem Schutz der Frauen argumentiert, aber nicht gefragt, was diese selber wollen. Vermeintliche Schutzmaßnahmen entpuppen sich als Kontrollinstrumente, während im Namen der Sicherheit die Kriminalisierung vorangetrieben wird. Im Grunde kann man also nicht von einer pragmatischen Maßnahme spre>>> chen. Ich würde sogar sagen: im Gegenteil.“

Philosophie Magazin Nr. 06 / 2017 / 53


DOSSIER

Pragmatisch. Praktisch. Gut?

© Kumi Yamashita, Origami 2012, Material: Light, paper, shadow, Foto: Erik Maahs

Die Politik des Als Ob

Von der Atomwende bis zur Flüchtlingskrise: Angela Merkels Politik polarisiert. Dennoch gilt sie als Meisterin des geschmeidigen Pragmatismus. Wie schafft sie das? Die Antwort findet sich bei Hans Vaihinger, einem längst vergessenen Philosophen: durch die Kraft der „nützlichen Fiktionen“ Von Nils Markwardt / Illustration von Kumi Yamashita

56 / Philosophie Magazin Oktober / November 2017


A

uf den ersten Blick wirkt es fast wie ein Gemälde Jan Vermeers, eine gleichermaßen leise wie melancholische Szene, deren Eindringlichkeit sich noch durch den akzentuierten Lichteinfall steigert: Fünf Fischer sitzen nach getaner Arbeit in ihrer Holzhütte, Bierf laschen stehen herum, Rauchschwaden wabern durch die Luft. Und mittendrin: die 36-jährige Angela Merkel, bedächtig zuhörend, ein Schnapsglas in der Hand. Das Bild, das am 2. November 1990 im Dorf Lobbe auf Rügen entstand, zeigt die Bundeskanzlerin während ihres ersten Wahlkampfs. Genau einen Monat später wird sie das Direktmandat im Wahlkreis Vorpommern-Rügen – Vorpommern-Greifswald I gewinnen, welches sie bis heute durchgehend verteidigt hat. So aus der Zeit gefallen dieses Foto auch wirken mag, versinnbildlicht es jene Kerneigenschaft, die bis heute als Merkels größter Trumpf gilt: ihr erdnaher Pragmatismus. Denn die junge CDU-Kandidatin, so berichtete Hans-Joachim Bull, einer der damals anwesenden Fischer gegenüber dem Magazin Der Spiegel, hockte sich mit einer Begleiterin einfach unangemeldet in die Hütte, trank zwei Schnäpse mit, sprach selbst wenig, hörte dafür aber viel zu und stellte ab und an Fragen. Sie verließ die Runde schließlich mit der Zusicherung, die Sorgen um die darbende Fischereiwirtschaft ernst zu nehmen, vermied es jedoch, irgendwelche Versprechungen zu machen. Ihr Auftritt in Lobbe zeigte Wirkung. Alle fünf Fischer, so verriet Bull, hätten sie damals gewählt. 27 Jahre später hat sich an Merkels politischem Erfolgsrezept nicht viel geändert. „Vage“ und „wortkarg“, dafür aber auch „unprätentiös“, „ideologiefrei“, „sachorientiert“ – so lauten nach wie vor die Attribute, mit denen die Kanzlerin so geräuschlos wie unangefochten ihrer vierten Amtszeit entgegenschwebt. Die Konstanz dieses Machterhalts ist jedoch gerade in ihrer stillschweigend akzeptierten Natürlichkeit besonders erklärungsbedürftig. Angesichts des weitestgehend ausbleibenden Wahlkampfs, in dem die CDU etwa T-Shirts mit dem Slogan „Voll mut­tiviert“ verteilt, gerät leicht in Vergessenheit, wie umstritten Merkel vor allem bei der eigenen, konservativen Klientel bis vor kurzem war. Von der Aussetzung der Wehrpf licht und der Atomwende über die Eurokrisen- und Flüchtlingspolitik bis zur De-facto-Ermöglichung der gleichgeschlechtlichen Ehe, verantwortete sie eine ganze Reihe von Kurswechseln, die enormes Polarisierungspotenzial boten. Hier liegt das erste Paradox Angela Merkels: Obwohl sie eine Vielzahl politischer Großentscheidun-

gen traf, die besonders im eigenen Lager als kontrovers galten, besitzt sie in der bürgerlichen Mitte nach wie vor ein maximal unkontroverses Image. Einer der wesentlichen Gründe führt direkt zum zweiten Paradox Merkels: Es gelingt ihr stets, pragmatisch zu wirken, ohne im eigentlichen Sinne pragmatisch vorzugehen. Genauer gesagt: Merkel hat einen Regierungsstil kultiviert, von dem sich zwar nicht definitiv sagen lässt, dass er pragmatisch wäre, der aber dennoch immer die Möglichkeit bietet, dies zumindest zu unterstellen. Worin, wenn überhaupt, besteht der allgemein unterstellte Pragmatismus Angela Merkels? Will man diese Frage konturiert beantworten, muss man zunächst eine ideologische Kontrastfolie auflegen, deren einstige Wirkmacht heute fast vollständig vergessen ist. Geliefert wurde sie von dem Philosophen und Bestsellerautor Hans Vaihinger. Der 1933 verstorbene Denker gehörte zu den ganz wenigen seiner Zunft, die in Deutschland die Philosophie des amerikanischen Pragmatismus adaptierten. Vaihinger legte 1911 sein damals extrem populäres und einf lussreiches Hauptwerk „Die Philosophie des Als Ob“ vor. Darin greift er – unausgesprochen – auf Impulse von William James zurück, insbesondere dessen Schrift „Der Wille zum Glauben“. In diesem 1898 erschienenen Essay argumentierte James, dass die Frage nach der Existenz Gottes eine sei, die ein vernünftiges Subjekt durch freie Selbstbestimmung im Sinne eines „Glaubens an“ zu lösen habe. Konkret: Da wir nicht wissen können, ob Gott wirklich existiert, können wir nur so handeln, als ob dem so wäre.

Vaihingers nützliche Fiktionen James vergleicht diese Situation mit der Entscheidung, die einem Menschen an einer Gabelung auf einem verschneiten Gebirgspass in höchster Lebensgefahr abverlangt wird: Da wir nicht wissen, welcher Pfad der rettende sein mag, können wir uns nur vollen Mutes für einen entscheiden, vorangehen und das Beste hoffen. Letzte, faktenbasierte Gründe für diese Entscheidung gibt es zwar nicht, doch muss sie eben getroffen werden. Bleibt man nämlich stehen, erfriert man: „Jeder muss handeln, wie er es für das Beste hält; und wenn er sich irrt, umso schlimmer für ihn! (…) Wir wissen nicht sicher, ob es überhaupt einen rechten Pfad gibt. Was sollen wir tun? Stark und guten Mutes sein! Zum Besten handeln, das Beste hoffen und nehmen, was kommt!“ Die erkenntnistheoretische Pointe dieser Situa­ tion lag nun im Folgenden: Erst die zunächst grund­ lose Annahme einer Gegebenheit versetzt uns in die Lage, gewisse Ziele zu erreichen, wobei sich dieser Sprung in den Glauben an die jeweilige Gegebenheit >>>

Philosophie Magazin Nr. 06 / 2017 / 57


DOSSIER

Pragmatisch. Praktisch. Gut?

„Expertenherrschaft ist der Tod der Demokratie“ Dem amerikanischen Pragmatismus haftet bis heute der Makel des Kosten-Nutzen-Denkens an. In Wirklichkeit will er die Menschen zu neuen Erfahrungen führen. Der Philosoph Michael Hampe über Trump, Brexit und die Notwendigkeit einer pragmatischen Utopie Das Gespräch führte Philipp Felsch

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Philosophie Magazin: Herr Hampe, in aktuellen Umfragen liest man, dass gerade junge Wähler in diesem Jahr überdurchschnittlich häufig für Angela Merkel stimmen werden, die einzige Kanzlerin, die ihnen in ihrem bewussten Leben jemals begegnet ist. Handelt es sich um eine pragmatische Generation? Michael Hampe: Wahrscheinlich haben diese Wähler den Eindruck, es funktioniert doch alles, und es gibt niemanden, der es besser machen könnte. Insofern

60 / Philosophie Magazin Oktober / November 2017

Michael Hampe Michael Hampe ist Professor für Philosophie an der ETH Zürich. Neben seinem Forschungsinteresse für die Philosophie der Frühen Neuzeit und das Denken Baruch de Spinozas ist Hampe ein Experte auf dem Gebiet des Pragmatismus. Zuletzt erschien von ihm „Die ­Lehren der Philosophie. Eine Kritik“ (Suhrkamp, 2014)

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kann man sie durchaus als Pragmatisten bezeichnen. Sie sind der Meinung, dass die Ideologien des vergangenen Jahrhunderts keine oder bestenfalls bittere Früchte getragen haben. Frau Merkel ist dagegen ideologiefrei. Sie ist eine Problemlöserin, sie passt sich an die jeweilige Sachlage an und versucht, sie zu erkennen. Das ist eine gute Option für Leute, die eine Politik ohne Visionen haben wollen. Das ist Pragmatismus im umgangssprachlichen Sinn. Der philosophische Pragmatismus ist aber etwas anderes.


Foto: Geof Kern; Autorenfoto: Julian Salinas

zwänge installierten Expertokratie, in der behauptet wird, die Verhältnisse am Finanzmarkt oder im Gesundheitssystem seien so komplex, dass normale Wähler sie gar nicht mehr verstehen könnten. Diese Tendenz zur Entmündigung ist unter anderem für den Brexit verantwortlich. Viele Briten haben nämlich deshalb für den Austritt gestimmt, weil sie gegen die Experten protestieren wollten, deren Botschaft lautete, dass der Verbleib in der EU für Großbritannien alternativlos sei. Den Experten blind zu folgen – das wäre absolut antipragmatistisch. Das impliziert nämlich die Überzeugung, dass man die für das eigene Leben relevanten Verhältnisse in der Welt nicht durchschauen kann und dass man stattdessen auf andere angewiesen ist – auch wenn das heute keine platonischen Philosophenkönige mehr sind, sondern Finanzwirtschaftler, Gesundheitswissenschaftler oder Rentenexperten.

Die philosophischen Pragmatisten haben stets gegen die Idee von Sachzwängen und die Behauptung von Alternativlosigkeit ­gekämpft. Insofern scheint ihr Denken ­geradezu das Gegenteil des merkelschen ­Politikstils zu sein. John Dewey hat zwar nicht von Sachzwängen gesprochen, aber die Expertokratie gehörte für ihn zu den größten Bedrohungen für die Demokratie. Mit Expertokratie meinte Dewey eine stratifizierte Gesellschaft, in der die Herrschaft in den Händen einer höheren Klasse liegt, die sich auf Experten stützt, um diese Herrschaft auszuüben. Das extremste derartige Konzept ist eines, in dem Herrscher und Experten zusammenfallen, und das ist das platonische Konzept des Philosophenkönigs. Deweys Gesellschafts- und Bildungsphilosophie ist scharf gegen diesen Platonismus gerichtet. Worin besteht deren aktuelle politische Relevanz? Unsere westlichen Demokratien leiden unter einer durch ein scharfes Bewusstsein für komplizierte Sach-

Wenn der Pragmatismus diese Probleme schon an der Schwelle des 20. Jahrhunderts erkannt hat – welche Lösungsmöglichkeiten bietet er an? Bei Dewey ist die Idee der Bildung zentral. Er war der Meinung, dass eine demokratische Gesellschaft überhaupt nur funktionieren kann, wenn sie ihre Mitglieder so erzieht, dass diese sich nicht mehr sagen lassen, wie die Welt beschaffen ist, sondern dass sie die Vorstellung entwickeln, dass sie das selbst gemeinschaftlich herausfinden können. Deshalb trat Dewey für eine Schulreform ein. Er favorisierte einen Schultyp, der an die Montessori-Schule erinnert, wo Menschen in dem Selbstverständnis erzogen werden sollen, dass sie alles herausbekommen können, was sie für ihre Lebensführung brauchen. Diese Maxime hat Dewey auf die Gesellschaft als Ganze übertragen. Die menschliche Gesellschaft ist in seinen Augen eine Forschungsgemeinschaft. Eine ziemlich verrückte Idee, schließlich wollen sich Menschen doch viel lieber im Fußballstadion vergnügen. Für gewöhnlich betrachten wir den Fanclub doch als die paradigmatische Form der Vergemeinschaftung! Die sozialreformerischen und demokratie­ theoretischen Ideen, die Sie ansprechen, sind in prinzipiellen Einsichten über die Natur von Wahrheit und Bedeutung fundiert. Von welchem Grundgedanken geht der ­Pragmatismus aus? Der Pragmatismus ist eine philosophische Richtung, die ursprünglich etwas mit der Bedeutung von Begriffen zu tun hat. Charles Sanders Peirce und William James wollten die Bedeutung von Begriffen herausbekommen, indem sie auf die Handlungskonsequenzen schauten, die die Verwendung dieser Begriffe hat. Wenn Sie über einen bestimmten Begriff verfügen, dann können Sie sehen, wie Ihr Leben mit diesem Begriff aussieht – und wie es ohne ihn aussehen würde. Nehmen Sie Gott: Es macht in Ihrem Leben einen Unterschied, ob Sie diesen Begriff haben oder nicht. Daher hat er eine bestimmte >>> Philosophie Magazin Nr. 06 / 2017 / 61


Ideen

Das Gespräch

Pankaj Mishra

Erotik und Erniedrigung, Romantik und Terrorismus, klassische Bildung und globaler Nihilismus. Pankaj Mishras Denken führt scheinbare Gegensätze zusammen, ohne dabei eine versöhnende Vermittlung anzustreben. Gespräch mit einem Mann, dessen Zorn ihn zu neuen Einsichten führt Das Gespräch führte Wolfram Eilenberger / Fotos von Malte Jäger / Aus dem Englischen von Till Bardoux

Pankaj

Mishra

»Die deutsche Erfahrung ist für die Welt zentral«

K

ulturphilosoph? Mishra zögert. Im Grunde sehe er sich vor allem als Schriftsteller. Mit seinen Romanen, Essays und Reportagen ist der gebürtige Inder in den vergangenen zehn Jahren zu einem der weltweit führenden Zeitdiagnostiker aufgestiegen. Mishra verkörpert als Person die Themen und auch Abgründe, die ihn als Autor bewegen. Westliche Moderne und östliche Tradition, Spiritualität und Analyse, frei schwebender Individualismus und tiefe kulturelle Verankerung. Gerade für das liberale Fortschrittsdenken des westlichen Mainstreams ist Mishra ein unbequemer, fast häretischer Denker. Mit Jean-Jacques Rousseau und Søren Kierkegaard, den beiden großen Antimodernisten Europas als Gewährsleuten, hält er der globalisierten Konsumkultur den Spiegel vor und wird zum wachen Chronisten ihrer sozialen Verluste und Verheerungen. So auch in seinem neuen Werk „Das Zeitalter des Zorns“ – mittlerweile ein globaler Bestseller. In dieser Gegenwartsanalyse führt Mishra das aktuell frei werdende Zornpotenzial in Ländern der islamischen Welt wie auch des indischen Subkontinents auf Dynamiken zurück, wie sie

66 / Philosophie Magazin Oktober / November 2017

Ende des 19. Jahrhunderts in Europa zutage traten und schließlich zwei Weltkriege auslösten. Von der zornigen Energie, die sein Schreiben treibt, ist in der Begegnung zunächst wenig zu spüren. Die Stimme sanft, der Akzent distinguiert britisch. Nicht so allerdings seine extrem bedenkenswerten Thesen.

Philosophie Magazin: Herr Mishra, Ihr letztes Buch handelt von Zorn. Fühlen Sie den Zorn, den Sie beschreiben, in Ihrem eigenen Inneren? Pankaj Mishra: Ich wäre nicht imstande, so ein Buch zu schreiben, ohne diese Wut über Ausgrenzung und Erniedrigung empfunden, ohne mich selbst verachtet und marginalisiert gefühlt zu haben. Zumindest dem europäischen Verständnis nach gilt Indien als Gesellschaft ohne große soziale Mobilität. Sie selbst hingegen wären ein Beispiel für sozialen Aufstieg, nicht wahr? In vielerlei Hinsicht bin ich ein Nutznießer jenes schnellen sozioökonomischen Wandels, den wir Globalisierung nennen. >>>



74 / Philosophie Magazin Oktober / November 2017

Illustration: Damien Vignaux/Colagene, Bildvorlage: akg-images/Erich Lessing


Ideen

Der Klassiker

Diderot und die

FREIHEIT Er war eine der größten Stimmen der französischen Auf­-

klärung. Mehr noch als seine berühmten Kollegen Rousseau und Voltaire war Denis Diderot ein extrem unbequemer, aber auch tiefschürfender und aufgeschlossener Philosoph – und nicht zuletzt der führende Kopf hinter dem Großprojekt der „Enzyklopädie“. Ein Wort ist ihm auf den Leib geschrieben: Freiheit. Freiheit im Leben, Denken und im Handeln. Raphaël Enthoven eröffnet uns alle Facetten von Diderots Philosophie und zeigt, dass für Diderot die Freiheit nicht darin besteht, das zu tun, was man will, sondern zu erkennen, was uns determiniert, und es zuzulassen. Im Beiheft stellt Dominique Lecourt das großartige Werk „Jakob und sein Herr“ vor, in dem über eine ewige Frage nachgedacht und auch gelacht wird: Ist die Welt unserem Willen unterworfen oder hat sie eine unveränderliche Ordnung? Diderot, das ist die fröhliche Wissenschaft in Person.

Philosophie Magazin Nr. 06 / 2017 / 75


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