Nr. 1 / 2019

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Nr. 01/ 2019

Dezember/Januar

MAGAZIN kunft Die Zunschheit der Me

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Für einen effektiven Altruismus: PETER SINGER zur Flüchtlingskrise

EIZELLSPENDE:

Schiller und das Erhabene

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Gibt es einen Neuanfang?

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Verzeihen

D: 6,90 €; Ö: 7,- €; CH: 12,50 SF; Benelux: 7,40 €

Reportage über gespaltene Mutterschaft


Neu bei Springer VS

ISBN: 978-3-658-14736-5

S. 52

S. 36

S. 20

Gesine Schwan

Carlo Rovelli

Yuval Noah Harari

Ist Vergebung auf politischem Feld möglich? Im Interview argumentiert Gesine Schwan für diesen Schlussstrich unter bestimmten Voraussetzungen. Die Poli­tik­wissenschaftlerin, die unter anderem in Cambridge lehrte, ist Mitglied der SPD. 2004 und 2009 kandidierte sie für das Amt der Bundespräsidentin. Ihr Buch zum Thema: „Politik und Schuld. Die zerstörerische Macht des Schweigens“ (Fischer, 1997).

Der Physiker und Professor für theoretische Physik an der Universität Marseille beeinflusste mit seiner Zeittheorie die Wissenschaft nachhaltig. In seinem jüngst erschienenen Buch „Die Ordnung der Zeit“ (Rowohlt) zeigt er, dass die Zeit nichts objektiv Existierendes ist. Im Heft diskutiert er mit seinem früheren Forschungskollegen Lee Smolin, der Rovellis Auffassung widerspricht.

Wie sieht die Zukunft des Menschen angesichts rasanter technologischer Fortschritte aus? Im Interview gibt der weltberühmte Historiker und Bestsellerautor düstere Prognosen, aber auch Lösungen an die Hand. Harari lehrt an der Hebräischen Universität Jerusalem. In seinem neuesten Buch „21 Lektionen für das 21. Jahrhundert“ (C. H. Beck) denkt er über die großen Herausforderungen der Gegenwart nach.

S. 66

S. 58

S. 76

Peter Singer

Sibylle Lewitscharoff

Peter Neumann

ISBN: 978-3-658-15869-9

ISBN: 978-3-658-21944-4

Jetzt bestellen auf springer.com/shop oder in Ihrer Buchhandlung

Berühmt wurde der umstrittene Utilitarist 1975 mit seinem Buch „Animal Liberation. Die Befreiung der Tiere“ (Fischer). Im großen Werkgespräch kritisiert Peter Singer mit Blick auf die Flüchtlingskrise emotional gesteuerte Hilfsimpulse als ineffektiv und irrational und behauptet: „Altruismus allein reicht nicht.“ Sein Buch „Effektiver Altruismus. Eine Anleitung zum ethischen Leben“ erschien 2015 bei Suhrkamp.

Im Dialog mit Thomas Macho spricht die Büchner-Preis-Trägerin über den Suizid ihres Vaters. Dabei zeigt sie auf, wo für sie die Grenzen des Verzeihbaren liegen. Die Schriftstellerin wendet sich gegen die gesellschaftliche „Entschuldungstendenz“ und sieht im Kontaktabbruch eine plausible Möglichkeit. Ihr jüngster Roman: „Das Pfingstwunder“ (Suhrkamp, 2016).

Der Schriftsteller und Philosoph lehrt in Jena. Sein Forschungsschwerpunkt ist die Philosophie des deutschen Idealismus. Soeben ist sein Buch „Jena 1800. Die Republik der freien Geister“ bei Siedler erschienen. Im Klassikerdossier führt Peter Neumann aus, inwiefern Schillers Konzept des Erhabenen gerade dem modernen, entfremdeten Subjekt den Weg zu geistiger Freiheit weist.

Die nächste Ausgabe erscheint am 03. Januar 2019

A63965

Fotos: Daniel Hofer/laif; Cirone-Musi, Festival della Scienza BY-SA 2.0; Charlie Surbey; Alletta Vaandering; Gene Glover; Dirk Skiba

Denker in diesem Heft


Intro

Horizonte

Dossier

Ideen

S. 3 Editorial S. 6 Ihre Frage S. 7 Kinder fragen Tomi Ungerer S. 8 Leserbriefe

S. 28 Reportage Gespaltene Mutterschaft Wie die Eizellspende unser Konzept von Familie verändert Von Florian Werner S. 36 Dialog Existiert die Zeit? Lee Smolin und Carlo Rovelli im Gespräch

Verzeihen – Gibt es einen Neuanfang?

S. 66 Das Gespräch Peter Singer: „Altruismus reicht nicht aus“ S. 72 Werkzeugkasten Lösungswege / Das Ding an sich / Die Kunst, recht zu behalten S. 74 Der Klassiker Schiller und das Erhabene + Sammelbeilage „Über das Erhabene“ (Auszüge)

Zeitgeist S. 10 Sinnbild S. 12 Denkanstöße S. 14 Resonanzen Organspende: Der Kern der Autonomie / Kino: Phänomeno­ logie der Zeit / Orbán & Co: Feindschaft ohne Ende S. 18 Hübls Aufklärung Diesmal: Tausch und Täuschung S. 20 Perspektive „Wir müssen menschliche Identitäten wie Zelte bauen“ Yuval Noah Harari im Gespräch S. 24 Erzählende Zahlen Die Kolumne von Sven Ortoli

S. 36

S. 44 Verwandlung des Gewesenen Von Svenja Flaßpöhler S. 46 Mein Schmerz Sechs Menschen erzählen Kommentiert von Fabian Bernhardt S. 52 „Für einen Schlussstrich gibt es plausible Argumente“ Interview mit Gesine Schwan S. 54 Spring über deinen Schatten! Spiel mit Denkimpulsen S. 58 Die Grenze des Verzeihbaren Dialog mit Thomas Macho und Sibylle Lewitscharoff

Bücher S. 82 Buch des Monats Chantal Mouffe: „Für einen linken Populismus“ S. 84 Thema: Tierethik S. 86 Scobel.Mag S. 88 Kolumne: Das philosophische Kinderbuch S. 90 Weihnachtstipps

Fotos: Hanna Putz; Mohammad Metri on Unsplash; Illustration: Studio Philo; Akatre; Cielo Yu

Finale

S. 52

S. 28

S. 92 Agenda S. 94 Comic Catherine Meurisse: Menschliches, Allzumenschliches S. 96 Lebenszeichen Von Tieren lernen: Der Fasan S. 97 Spiele / Impressum S. 98 Sokrates fragt Robert Seethaler

S. 65

Philosophie Magazin Nr. 01 / 2019 / 5


Zeitgeist

Perspektive

Yuval Noah Harari

„Wir müssen

menschliche Identitäten wie Zelte bauen“ Yuval Noah Harari ist einer der einflussreichsten Denker der Gegenwart. Die Bücher des israelischen Historikers sind weltweit Bestseller. Regierungschefs wie Angela Merkel suchen seinen Rat. Nun hat er ein neues Buch vorgelegt – und prophezeit der Menschheit eine düstere Zukunft Die Fragen stellte Martin Legros / Aus dem Englischen von Michael Ebmeyer

Philosophie Magazin: In Ihrem neuen Buch „21 Lektionen für das 21. Jahrhundert“ beschreiben Sie unsere Gegenwart als höchst ambivalent. Zum einen sei dank der Gesundheits- und Bildungssysteme, aber auch wegen des Rückgangs an Kriegen und Gewalt, die Menschheit in einer besseren Lage denn je. Zugleich aber stehe sie einer Reihe großer Krisen – in den Bereichen Umwelt, Technologie, Politik und Migration – scheinbar ohnmächtig gegenüber. Yuval Noah Harari: Es war immer schon so: Menschen stehen vor Problemen, sie finden Lösungen dafür, aber diese Lösungen schaffen neue Probleme – oft schlimmer als die vorigen. Durch die Technologien, die wir in der Moderne entwickelt haben, konnten wir die Häufigkeit von Hungersnöten, Epidemien und Kriegen verringern. Doch dieselben Technologien drohen nun das Ökosystem zu zerstören, die menschliche Freiheit einzuschränken und vielleicht gar die Menschen selbst überflüssig zu machen. Ich glaube, dass die Menschheit imstande ist, auch die gegenwärtigen Herausforderungen zu meistern und die neuen Probleme zu bewältigen. Aber aller Wahr20 / Philosophie Magazin Dezember 2018 / Januar 2019

scheinlichkeit nach werden die Lösungen zu noch schlimmeren Problemen führen, die wir uns noch gar nicht vorstellen können. Sie rechnen mit dem Aufkommen eines neuen Menschen, der durch die Fusion von Bio- und Informationstechnologie sowie die Entwicklung von Big-Data-Algorithmen geprägt sein wird, die den menschlichen Geist und seine Entscheidungen „hacken“ können. Das menschliche Leben wird kein „Entscheidungsdrama“ mehr sein, an die Stelle von Demokratien treten digitale Diktaturen. Würde das nicht das Ende des Menschen bedeuten? Bisher hatte niemand genug biologisches Wissen und Computerkraft, um Menschen zu hacken. Selbst wenn der KGB dich den ganzen Tag beschattete, wusste er nicht, was du fühltest und dachtest. In Zukunft – indem wir unser wachsendes biologisches Wissen mit fortgeschrittener künstlicher Intelligenz verknüpfen – könnten externe Systeme uns besser kennen als wir uns selbst. Solche Systeme könnten dann Menschen mit nie da gewesener Effizienz kontrollieren und manipulieren; sie könnten die

Yuval Noah Harari ist ein israelischer Historiker und lehrt an der Hebräischen Universität Jerusalem, wo er zu Welt- und Militärgeschichte forscht. 2011 veröffentlichte er den internationalen Bestseller „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ (DVA), 2015 folgte „Homo Deus. Eine Geschichte von Morgen“ (C. H. Beck). In seinem neuen Buch „21 Lektionen für das 21. Jahrhundert“ (C. H. Beck) denkt Harari über die drängenden Fragen der Gegenwart nach


Foto: Charles Survey

In Zukunft könnten intelligente Systeme uns besser kennen als wir uns selbst

Menschen auch ganz ersetzen. Entscheidend ist es zu erkennen, dass es bei der KI-Revolution nicht nur um Computer geht, die schneller und schlauer werden. Ebenso treiben Erkenntnisse in den Gesellschaftswissenschaften diese Revolution voran. Je besser wir die sozialen und biochemischen Mechanismen verstehen, die menschlichen Gefühlen, Wünschen und Entscheidungen zugrunde liegen, desto besser werden Computer menschliches Verhalten analysieren, menschliche Entschlüsse vorhersagen und menschliche Fahrer, Banker und sogar Künstler ersetzen können. Nach heutigem Forschungsstand deutet vieles darauf hin, dass unsere Vorlieben in allen Bereichen, vom Essen bis zur Partnerwahl oder zur Musik, nicht auf

einer rätselhaften „Intuition“ beruhen, sondern auf Mustererkennung. Das heißt, KI könnte uns selbst in solchen Aufgaben übertreffen, die vermeintlich menschliche „Intuition“ und „Kreativität“ erfordern. Wenn Sie denken, dass KI es mit der menschlichen Seele aufzunehmen hätte, dann klingt das unmöglich. Aber wenn es eigentlich nur darum geht, neuronalen Netzwerken in der Mustererkennung nachzueifern, hört es sich schon nicht mehr so abwegig an. In einigen Bereichen, etwa beim Schachspiel, sind Computer dem Menschen bereits überlegen, und zwar nicht bloß in der Rechenleistung, sondern auch in der Kreativität. Bei Schachturnieren sind die Schiedsrichter ständig auf der Suche nach Spielern, die zu schummeln >>> Philosophie Magazin Nr. 01 / 2019 / 21



Horizonte

Reportage

Gespaltene Mutterschaft Alice und Jacek haben ihre Kinder* durch die Eizellspende einer fremden Frau bekommen. In Deutschland ist dieses Verfahren verboten, während die Samenspende erlaubt ist. Warum? Die Gründe führen tief hinein in die patriarchale Kulturgeschichte Von Florian Werner

E

s war Frühling. Alice war 25 Jahre alt, arbeitete als Journalistin für eine große Tageszeitung und hatte gerade den Mann ihres Lebens kennengelernt, da bekam sie die Diagnose: verfrühte Menopause. „Ich kann mich noch an die Worte des Arztes erinnern“, sagt sie und lacht bitter: „Wenn ich Ihre Hormonwerte meinen Studenten zeige, würden sie sagen, es handelt sich um eine 50-jährige Frau.“ Alice kommt aus Frankreich, aus einer konservativen katholischen Familie: Dass sie einmal Kinder bekommen würde, stand für sie außer Frage, die famille nombreuse ist dort noch der Normalfall. „Das war ein bisschen so, als hätte Lionel Messi mit 19 aufgehört, Fußball zu spielen“, ergänzt ihr Mann Jacek, er arbeitet als Psychiater, außerdem ist er leidenschaftlicher Sportler, hoch gewachsen, schlank, Schnurrbart und Wuschelhaare. Das Thema Kinder war für die beiden damals, frisch verliebt, zwar noch nicht drängend; aber mit einem Mal stand es im Raum, unausweichlich. „Die Diagnose hat alles infrage gestellt“, sagt Alice: „Was bedeutet es eigentlich, Frau zu sein? Wie verändert es meine Sexualität, wenn die Perspektive, schwanger zu werden, plötzlich weg ist?“ Nicht zuletzt hat sie aber auch ihren Ehrgeiz angestachelt: >>> „Der Kinderwunsch wurde dadurch multipliziert.“

Foto: Hanna Putz

*Die Namen aller Familienmitglieder wurden geändert

Philosophie Magazin Nr. 01 / 2019 / 29


Existiert die

Zeit?

Die Physiker Lee Smolin und Carlo Rovelli arbeiteten viele Jahre zusammen, bevor sie sich über das Wesen von Zeit entzweiten. Smolin zufolge existiert die Zeit wirklich. Laut Rovelli haben wir es mit mehreren Schichten von Zeit zu tun. Ein Dissens, der eine der ältesten Debatten der Metaphysik neu entfacht Das Gespräch führten Sven Ortoli und Alexandre Lacroix / Aus dem Französischen von Felix Kurz

D Lee Smolin arbeitet am Perimeter Institute für theoretische Physik in Waterloo (Kanada). Neben zahlreichen Grundlagentexten veröffentlichte er mit Carlo Rovelli die Arbeiten, die die Schleifenquantengravitation begründeten. Auf Deutsch liegen drei populärwissenschaftliche Bücher vor: „Warum gibt es die Welt? Die Evolution des Kosmos“ (C. H. Beck, 1999), „Die Zukunft der Physik“ (DVA, 2009) und „Im Universum der Zeit“ (DVA, 2014)

36 / Philosophie Magazin Dezember 2018 / Januar 2019

er Amerikaner Lee Smolin und der Italiener Carlo Rovelli gelten als Gründer der sogenannten Schleifenquantengravitation (siehe Kasten, S. 38). Kennengelernt haben sich die beiden Mitte der 1980er-Jahre, ihre gemeinsamen Aufsätze beeinf lussten die Wissenschaft nachhaltig. Ausgangspunkt ihres Denkens war dabei ein bekanntes Problem der Physik: Auf der Ebene der Elementarteilchen – beispielsweise Photonen oder Neutronen – scheint die Zeit nicht zu existieren. Auf einer größeren Ebene hingegen schon: Löst man Zucker in einem Glas Wasser auf, ist dies ein irreversibler Prozess. Wie lassen sich diese beiden Beobachtungen miteinander vereinbaren? Smolin und Rovelli zogen die neuartige These einer „Emergenz der Zeit“ in Betracht. Im Bereich des Bewusstseins wissen wir, was Emergenz bedeutet: Ein einzelnes Neuron denkt nicht. Es bedarf einer komplexen neuronalen Organisation – des Gehirns –, damit Bewusstsein entsteht. In derselben Weise kennen Elementarteilchen keine Zeit. Zeit wäre demnach wie Farbe oder Temperatur eine Eigenschaft, die erst durch eine komplexe Anordnung von Teilchen entsteht. Die These einer Emergenz der Zeit ist elegant und bietet Antworten auf einige der kniff ligsten Probleme der Physik. Doch vor wenigen Jahren veröffentlichte Lee Smolin ein ambitioniertes Werk („Im Universum der Zeit“, DVA, 2014), in dem er diese These verwirft und zu der klassischeren Auffassung zurückkehrt, nach der die Zeit selbst auf der fundamentalsten Ebene existiert. Carlo Rovelli hingegen arbeitete seine ursprüngliche Überzeugung weiter aus: Es gibt nicht nur eine Zeit, sondern Zeitlichkeiten, die mehrere Ebenen bilden. Diese These vertritt er auch in seinem neuen Buch „Die Ordnung der Zeit“ (Rowohlt, 2018). Genug Stoff also für ein kontroverses Gespräch unter Freunden.

Carlo Rovelli leitet die Forschungsgruppe Quantengravitation am Zentrum für theoretische Physik in Marseille. Der international renommierte Wissenschaftler ist zugleich Autor erfolgreicher populärer Sachbücher: „Sieben kurze Lektionen über Physik“ (Rowohlt, 2015), „Die Wirklichkeit, die nicht so ist, wie sie scheint. Eine Reise in die Welt der Quantengravitation“ (Rowohlt, 2016) sowie jüngst „Die Ordnung der Zeit“ (Rowohlt, 2018). Seine Werke wurden in mehr als 30 Sprachen übersetzt


Foto: Mohammad Metri on Unsplash; Illustration: Studio Philo; Autorenfotos: DR; Cirone-Musi, Festival della Scienza BY-SA 2.0

Horizonte

Dialog

Philosophie Magazin Nr. 01 / 2019 / 37



DOSSIER

Verzeihen– Gibt es einen

Neuanfang?

W Foto: Billy & Hells

o Menschen handeln, entsteht Schuld. Und manchmal wiegt sie so schwer, dass kein Heil mehr möglich scheint. Was, wenn eine Schuld nie beglichen werden kann? Wie sich befreien aus der Fixierung auf etwas, das sich nicht mehr ändern lässt? Wer sich diese Fragen stellt, ist bereits in jenen Möglichkeitsraum eingetreten, den die Philosophie eröffnet. Das Verzeihen ist der Weg, das Gewesene zu verwandeln und neu zu beginnen: Darin waren sich Denkerinnen und Denker wie Friedrich Nietzsche, Hannah Arendt und Paul Ricœur einig. Aber wie wäre er zu beschreiten, dieser Weg? Wo liegt die Grenze des Verzeihbaren? Und was wird aus dem berechtigten Ruf nach Gerechtigkeit? Ein Dossier mit Impulsen für die Zurückgewinnung der Zukunft.

Philosophie Magazin Nr. 01 / 2019 / 43


DOSSIER

Verzeihen

Mein

Schmerz Der Umgang mit schwerer Schuld gehört zu den größten Herausforderungen der Existenz. Sechs Menschen berichten Kommentiert von Fabian Bernhardt

46 / Philosophie Magazin Dezember 2018 / Januar 2019

Ideal in der Wirklichkeit bestellt ist. Den Menschen der griechischen Antike jedenfalls wäre eine derartige Weisung vollkommen widersinnig erschienen. So tadelt Aristoteles in der „Nikomachischen Ethik“ nicht nur eine übermäßige Neigung zum Zorn, sondern auch deren Gegenteil. Wer Kränkungen hinnehme, ohne darüber in Zorn zu geraten, dem fehle es an Empfindung und Selbstrespekt; mehr noch: Sich „Schimpf gefallen zu lassen“, verrate „knechtischen Sinn“. Anders als in der Moderne, die zwischen Rache und Recht einen maximalen Abstand gelegt hat, sahen Aristoteles und seine Zeitgenossen hier nicht zwingend einen Widerspruch. Und heute? Zum Selbstverständnis moderner Gesellschaften gehört, die Rache überwunden und durch die Herrschaft des Rechtes ersetzt zu haben. Die Verwaltung der Schuld obliegt dem Staat. Das entbindet den Einzelnen freilich nicht von der Aufgabe, mit den oftmals widersprüchlichen Gefühlen umzugehen, wenn einem etwas Schlimmes angetan wurde oder man selber Schuld auf sich geladen hat. Wie unterschiedlich dieser Umgang im Einzelnen sein kann, davon legen die folgenden Geschichten Zeugnis ab. In „Wege der Anerkennung“, dem letzten Buch, das Ricœur vor seinem Tod publiziert hat, heißt es: „Der Weg ist weit für den ‚handelnden‘ und ‚erleidenden‘ Menschen, bis er erkennt, was er in Wahrheit ist: ein Mensch, der bestimmte Dinge zu vollbringen ‚fähig‘ ist.“ Das schließt die Fähigkeit zu verzeihen nicht weniger ein als den Mut zur aufrichtigen Auseinandersetzung mit den Folgen der eigenen Fehlbarkeit.

Fabian Bernhardt Zu den Arbeitsgebieten des promovierten Philosophen gehört der Umgang mit Unrecht und Schuld. Sein Buch zum Thema: „Zur Vergebung. Eine Reflexion im Ausgang von Paul Ricœur“ (Neofelis, 2014). In seiner Doktorarbeit, die im kom­ menden Jahr erscheint, er­ örtert er, welchen Stellenwert die Rache in der Kultur der Gegenwart einnimmt

Foto: Tobias Gerber/laif; Autorenfoto: Ken Yamamoto

I

n die Fähigkeit zu handeln ist die Möglichkeit, andere Menschen zu verletzen, von Grund auf eingeschrieben. Fähig sein, etwas zu tun, das heißt immer auch: fähig sein, jemandem etwas anzutun. Kein Mensch ist davor gefeit, Unrecht zu begehen, und niemand ist davor gefeit, Unrecht zu erleiden. Der französische Philosoph Paul Ricœur (1913–2005) hat darauf hingewiesen, dass der Mensch ein Wesen ist, in dem sich Fähigsein und Fehlbarkeit zwangsläufig miteinander verschränken. Zugleich hat Ricœur bemerkt, dass die Erfahrung des Unrechts das Nachdenken darüber, was Gerechtigkeit ist oder sein kann, überhaupt erst in Gang setzt. Schließlich „ist der Sinn für Unrecht nicht nur bohrender, sondern auch scharfsichtiger als der Gerechtigkeitssinn. Denn die Gerechtigkeit ist öfter das, was fehlt, und die Ungerechtigkeit das, was herrscht“. Die Unrechtserfahrungen, die ein Mensch im Laufe seines Lebens ansammelt, bilden so gleichsam den Prüfstein, an dem sich sein Sinn für Gerechtigkeit ausprägt und an Konturen gewinnt. Wie also umgehen mit den Erfahrungen von Unrecht und Schuld? Eine der erstaunlichsten Antworten auf diese Frage wurde vor rund 2000 Jahren gegeben. So heißt es im Matthäusevangelium: „Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Auge für Auge und Zahn für Zahn. Ich aber sage euch: Leistet dem, der euch etwas Böses antut, keinen Widerstand, sondern wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halt ihm auch die andere hin.“ Das Gebot der Feindesliebe bricht mit der alten Logik der Vergeltung und stellt sie regelrecht auf den Kopf. Man darf sich allerdings fragen, wie es um dieses


Der Kommentar von Fabian Bernhardt

Unterscheidung von Tat und Täter

T

„Plötzlich sah ich kein Monster mehr“ GISELA MAYER 60 Jahre, hat ihre Tochter beim Amoklauf in Winnenden verloren

I

ch wohne in Winnenden, wo am 11. März 2009 ein 17-Jähriger Amok lief und am Ende sich selbst er„ schoss. Unter den Opfern war meine Tochter. Sie hatte als Referendarin an der Albertville-Realschule gearbeitet. In der ersten Zeit direkt nach der Tat habe ich gar nichts gespürt. Mein Gefühl war mit meiner Tochter gestorben. Ich musste mir überhaupt erst einmal klarmachen, dass sie tot ist. Der Täter kam in dieser Phase schlicht nicht vor in meinen Gedanken. Als sei das, was geschehen ist, ein Schicksalsschlag gewesen. Nach einigen Monaten rückte der Täter dann mehr und mehr in den Fokus: Ich habe erkannt, dass seine Tat ein bewusster Entschluss war. Das rief in mir unendliche Wut, einen elementaren Zorn hervor. Als Rachegefühl würde

ich das, was ich spürte, nicht beschreiben, ich dachte ja nicht: ‚Schade dass er tot ist, ich möchte ihn leiden sehen.‘ Der Zorn richtete sich vielmehr darauf, dass er sich auch anders hätte entscheiden können. An diese Zeit des Zorns schloss sich eine Phase an, in der ich versuchte, den Täter zu verstehen. Ich beschäftigte mich mit ihm, seiner Familie und sah plötzlich kein Monster mehr, sondern einen Jungen, der nie verstanden hat, was Lebendigsein bedeutet. Im Zuge dieses Verstehensprozesses wuchs langsam das Verzeihen. Das fühlt sich an, wie wenn man beim Wandern die Baumgrenze überschreitet. Plötzlich weitet sich der Blick wieder, die Fixierung löst sich. Die Schuld kann ich dem Jungen allerdings damit nicht nehmen. Was er getan hat, hat er getan.“

out comprendre c’est tout pardonner“, lautet ein auf „ Madame de Staël zurückgehendes französisches Sprichwort. „Alles verstehen heißt alles verzeihen.“ Man kann das auch als Warnung verstehen. Wer die Beweggründe eines Amokläufers nachzuvollziehen sucht, gerät schnell unter Verdacht, das Verbrechen re­ lativieren oder gar rechtfertigen zu wollen. Was aber wäre die Alternative? Den Täter zu dämonisieren oder kurzerhand für psychisch krank zu erklären, wie es in den Medien oft reflexartig geschieht, ist zwar nachvoll­ ziehbar, aber wenig hilfreich. Gerade dasjenige, was es zu verstehen gilt, wird durch diese Form der Rationali­ sie­rung zum Verschwinden gebracht. Verstehen und entschuldigen, das zeigt der Bericht von Gisela Mayer, sind nicht zwingend dasselbe. Nicht ihre Beurteilung der Tat hat sich geändert, sondern die des Täters. Das Irreparable bleibt. Aber Gisela Mayer ist dahin gekom­ men, den Jungen nicht mehr vollständig mit seiner Untat zu identifizieren. „Unter dem Zeichen der Verge­ bung“, so hat es Paul Ricœur formuliert, wird dem Schuldigen die Möglichkeit zugestanden, „zu etwas an­ derem als seinen Delikten und Verfehlungen fähig zu sein.“ Die Formel der Vergebung erkennt er dement­ sprechend in dem Satz: „Du bist besser als deine Taten.“

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Philosophie Magazin Nr. 01 / 2019 / 47


DOSSIER

Verzeihen

Start

DER ERSTE SCHRITT Genervt legen Sie Ihr Smartphone weg. Sie waren es, die den Kontakt wieder aufgenommen hat nach so vielen Jahren – und nun benimmt er sich wie eine beleidigte Leberwurst. Wird er Ihnen ewig nachtragen, dass Sie ihn damals betrogen haben? Sie waren noch so jung! Sie finden, dass er es endlich gut sein lassen soll­ te und sehen bei sich keine Schuld? Verweilen Sie kurz auf Denkstation 1 und ziehen dann zu Feld 1. Sie fragen sich, ob er vielleicht doch zu Recht noch etwas von Ihnen erwartet. Aber was? Direkt vor auf Feld 1.

I DENKSTATION: VERANTWORTUNG ÜBERNEHMEN „Zweifellos bildet die Einsicht ‚denn sie wissen nicht, was sie tun‘ den eigentlichen Grund dafür, dass Menschen einander vergeben sollten“, schreibt Hannah Arendt in „Vita activa“, „aber gerade darum gilt auch diese Pflicht des Vergebens nicht für das Böse, von dem der Mensch im Vorhinein weiß, und sie bezieht sich keineswegs auf den Verbrecher.“ Nun sind die Zeiten zum Glück vorbei, in denen Untreue ein Verbrechen war. Auch den Begriff des Bösen wollen wir hier mal schön außen vor lassen. Fakt bleibt aber, dass Sie sehr genau wussten, was Sie taten. Ihnen war im Vorhinein sehr klar, welche Konsequenz Ihr Handeln nach sich ziehen würde. Haben Sie sich mit dieser Wahrheit schon mal konfrontiert?

Spring über deinen Schatten! Sie haben noch eine uralte Rechnung offen? Oder kennen einen Menschen, der Ihnen auch nach Jahren nicht verzeihen will? Dann haben wir hier die richtige Übung für Sie. Mit Tipps von Hannah Arendt, Jacques Derrida, Sigmund Freud, Emmanuel Lévinas, Friedrich Nietzsche und Paul Ricœur Illustrationen von Andrea Wan

Start

DIE REAKTION Na, geht doch. Warum nicht gleich so? Sie nimmt die Reise auf sich, besucht Sie zwischen den Jahren, zum ersten Mal seit einer Ewigkeit sehen Sie sich wieder. Wäre ja auch noch schöner, wenn Sie in den Zug steigen müssten. Zu tief war die Verletzung, damals, vor 20 Jahren. Sie schämen sich für die Genugtuung, die Sie insgeheim spüren? Rücken Sie vor auf Feld 2. Ihre innerste Auffassung lautet: Sie soll büßen, bis ans Ende aller Tage? Dann besuchen Sie bitte erst Denk­ station 2, bevor Sie auf Feld 2 gehen.

54 / Philosophie Magazin Dezember 2018 / Januar 2019


HALB SO WILD Zehn Tage noch bis zur Abreise. Sie sitzen mit einem Glas Wein auf dem Sofa und Ihre Gedanken wandern zu jenem folgenschweren Abend, an dem Sie … Alte Gefühle kommen hoch, kindlicher Trotz macht sich in Ihnen breit. Sie hassen es, an Vergangenes zu denken und bleiben dabei: „Je ne regrette rien“? Denkstation 3 wartet. Sie fragen sich zum ersten Mal ernsthaft, warum Sie in den 20 Jahren eigentlich nie um Verzeihung gebeten haben? Vor auf Feld 3.

19 III DENKSTATION: RATSAME REUE

17

„Es ist die Verlorenheit und es ist die Verlassenheit des Schuldigen, die allein der Verzeihung einen Sinn und eine Existenzberechtigung geben wür­ den. Wenn der Schuldige fett und gut genährt ist, prosperierend und reich gemacht durch das ‚Wirtschaftswunder‘, ist die Verzeihung ein un­ heimlicher Scherz.“ Diese Zeilen stammen von dem jüdischen Philosophen Vladimir Jankélé­ vitch. In seinem Essay „Verzeihen?“ aus dem Jahr 1971 thematisierte er den damaligen Unwillen der Deutschen, sich ihrer schweren Schuld des milli­ onenfachen Mordes zu stellen. Für den Denker war klar: Ohne Reue keine Verzeihung. Könnte es sein, dass gar nicht primär Ihr damaliges Handeln, sondern vielmehr Ihr Lebensmotto der Grund für Ihre angespannte Beziehung ist?

25 DIE FRAGE DES „WARUM“ Eine Woche noch. Sie freuen sich auf ihren Besuch, überlegen, was Sie für sie kochen könnten und haben innerlich auch – wirklich! – akzeptiert, dass Ihre Beziehung platonisch bleiben wird. Doch die Frage des „Warum?“ lässt Sie nicht los. Bis zu einem gewissen Punkt können Sie ihr Handeln von damals durchaus nachvollziehen? Vor auf Feld 4. Ihnen fehlt jedes Verständnis, und genau das macht Sie so sauer? Bitte zur Denkstation 4, dann auf Feld 4.

IV 19 II DENKSTATION: MORAL UND ÖKONOMIE Sie folgen einer uralten Logik, die unser Leben fundamental bestimmt. Diese Logik lautet: Wer Schuld hat, muss zahlen. Je höher die Schuld ist, desto höher auch der Betrag. Friedrich Nietzsche hat den Zusammenhang von moralischer Schuld und ökonomischen Schulden klar gesehen. Dass wir heute noch von „Kerbholz“, „Heimzahlen“ oder „Vergeltung“ sprechen, verweist auf den urökonomischen Geist von Schuld und Sühne. Die Frage ist aber, ob sich moralische Schuld so klar berechnen lässt wie eine monetäre Schuld. Anders gesagt: Wie viel Buße muss ein Mensch tun, wie viel Gewissenspein ertragen, damit sein Fehl beglichen ist? „Bis ans Ende aller Tage“ – ist das wirklich angemessen?

DENKSTATION: ANERKENNEN DER ANDERSHEIT Unverständnis und Ablehnung gehen in der Regel Hand in Hand: Wenn wir einen anderen Menschen, sein Handeln, sein Denken, nicht verstehen kön­ nen, wird er uns fremd. Für den französischen Philosophen Emmanuel Lévinas allerdings ent­ zieht sich ein anderer Mensch grundsätzlich dem Verstehen, und zwar ganz einfach deshalb, weil er nicht Sie ist. Sie sind nicht das Maß aller Dinge, also sollten Sie den anderen auch nicht an Ihren Maßstäben messen. Gerade die Anerkennung dieser radikalen Andersheit ist es, die Sie aus Ihrer Selbstbezüglichkeit herausholt, Sie befreit vom „Gewicht des Egoismus“ und Ihrem Wunsch nach Wiedergutmachung. An dessen Stelle tritt eine Moralität der „Güte“, in der sich „der andere als absolut anderer ereignen“ kann. So Lévinas in seinem Werk „Totalität und Unendlichkeit“.

Philosophie Magazin Nr. 01 / 2019 / 55



DOSSIER

Verzeihen

Die Grenze

des

Verzeihbaren Was moralische Schuld ist, wird fragwürdiger, je genauer man hinsieht. Und doch gibt es Situationen, in denen nur noch eines hilft: der radikale Kontaktabbruch. Die Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff und der Kulturwissenschaftler Thomas Macho über Zorn, komplexe Selbstverhältnisse und letzte Auswege Das Gespräch führte Svenja Flaßpöhler / Fotos von Gene Glover

W Sibylle Lewitscharoff Für ihr Werk wurde Sibylle Lewitscharoff (geb. 1954) vielfach ausgezeichnet, unter anderem 2013 mit dem Georg-Büchner-Preis. Zuletzt erschien von ihr der Roman „Das Pfingstwunder“ (Suhrkamp, 2018). Der Vater der Schrift­stellerin nahm sich 1965 das Leben

ollte man das Verbindende zwischen Sibylle Lewitscharoff und Thomas Macho schlagwortartig benennen, es wäre neben der Tatsache, dass beide derselben Generation angehören, wohl dies: das Dunkle. Die Auseinandersetzung mit Schuld, Sühne, Tod. Sibylle Lewitscharoff hat den Suizid des eigenen Vaters in ihrem Roman „Apostoloff“ (Suhrkamp, 2009) verarbeitet. Thomas Macho hat sich mit der Bindekraft von Schuld, Metaphern des Todes und dem Suizid in der Moderne auseinandergesetzt. Doch wie es sich so oft verhält mit Menschen, die sich mit der eher düsteren Seite der Existenz befassen: die Schriftstellerin und den Kulturwissenschaftler eint auch ein höchst unterhaltsamer Hang zum Humor. Rauchend und bestens gelaunt sitzt Thomas Macho in Sibylle Lewitscharoffs Wohnzimmer. Die Büchner-Preis-Trägerin schenkt Tee ein und ist im Gespräch so offen, wie nur jemand sein kann, der keine Angst hat vor seelischen Abgründen – am wenigsten vor den eigenen.

Thomas Macho Suizid, Schuld und Verzeihen sind drei seiner Forschungsschwerpunkte. Thomas Macho leitet das Internationale Forschungszentrum Kulturwissenschaften der Kunstuniversität Linz. Zuletzt erschien von ihm: „Das Leben nehmen. Suizid in der Moderne“ (Suhrkamp, 2017) >>>

Philosophie Magazin Nr. 01 / 2019 / 59



Ideen

Peter Singer

Das Gespräch

Peter Singer ist einer der umstrittensten Philosophen der Gegenwart. Die rationale Strenge seines Denkens erschüttert unsere herkömmliche Vorstellung von Moral. Doch Singer ist überzeugt: Nur kühle Abwägung führt zu wahrhaft ethischem Handeln Das Gespräch führte Alexandre Lacroix / Fotos von Alletta Vaandering / Aus dem Französischen von Felix Kurz

Peter

Singer

»Altruismus reicht nicht aus «

P

eter Singer ist durch und durch Utilitarist. Ihn interessiert, wie man den Nutzen (lat. utilitas) oder das Glück der größtmöglichen Zahl von Individuen maximieren kann und schaut dabei einzig und allein auf die Konsequenzen einer Handlung: Führt sie zur Glücksmaximierung? Wenn nicht, ist sie schlecht. Dieses Kosten-NutzenDenken hat Singer heftige Kritik eingebracht, denn der Philosoph macht auch vor der Abwägung menschlichen Lebens nicht halt. Wer wahrhaft die Welt verbessern will, so lautet nun die Grundbotschaft in seinem jüngsten Werk „Effektiver Altruismus“ (Suhrkamp, 2016), muss sich nicht gut dabei fühlen. Vielmehr geht es darum, das Wohlergehen möglichst vieler Lebewesen, Tiere eingeschlossen, zu steigern. So kalt Singers Philosophie wirkt: Es ist alles andere als leicht, sie zu widerlegen. Könnte es sein, dass der Denker einen empfindlichen Punkt trifft – auch mit Blick auf die Flüchtlingskrise? Lassen wir uns ein auf einen Philosophen, der unsere herkömmliche Vorstellung von Moral tief erschüttert.

Philosophie Magazin: Sie befassen sich schon seit langem mit dem Altruismus. 1972 stellten Sie in einem Aufsatz das Gedankenexperiment „Kind im Teich“ an. Worum geht es dabei? Peter Singer: Stellen Sie sich vor, Sie gehen abends durch einen Park und kommen an einem Teich vorbei. Weil Sie auf dem Weg zu einem wichtigen Abendessen sind, haben Sie Ihre beste Kleidung angezogen. Im Teich sehen Sie plötzlich ein Kind, das zu ertrinken droht. Ihre erste Reaktion ist vielleicht, sich zu fragen: „Aber wo sind die Eltern?“ Schließlich tragen nicht Sie die Verantwortung für das Kind. Sie sehen sich um, doch da ist niemand. Jede Sekunde zählt, Sie haben keine Zeit, Ihre Kleidung und Ihre neuen Schuhe auszuziehen, bevor Sie in den Teich springen. Was tun? Was wäre die richtige moralische Haltung? Gehen Sie weiter, weil Sie keinerlei Verantwortung für das Kind tragen? Oder springen Sie in den Teich, um es zu retten, und opfern dabei Ihre Kleidung und Schuhe? Die meisten Menschen, denen ich diese Frage gestellt habe, waren der Auffassung, dass es ein gravierendes Philosophie Magazin Nr. 01 / 2019 / 67

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Illustration: EloĂŻse Oddos

74 / Philosophie Magazin Dezember 2018 / Januar 2019


Ideen

Der Klassiker

Schiller und das

ERHABENE Friedrich Schiller war

einer der radikalsten Vernunftund Freiheitsverfechter seiner Zeit. In der 1801 erschienenen Abhandlung „Über das Erhabene“ predigt er das Ideal der geistigen Unabhängigkeit mit besonders eindrücklicher Wucht: Demnach führt das Erhabene dem Menschen seine Autonomie als vernunftbegabtes Wesen zu Bewusstsein – und zwar genau dann, wenn er sich durch Naturgewalten, Schicksalsschläge und historische Umbruchsituationen bedroht sieht. Auf den folgenden Seiten erklärt der Philosoph Peter Neumann, inwiefern Schillers Erhabenes insbesondere dem modernen, sich selbst entfremdeten Ich den Weg zur wahren Freiheit weist. Im Vorwort zu den im Mittelheft abgedruckten Textauszügen Schillers verdeutlicht der Literaturwissenschaftler Steffen Martus, dass durch die Erfahrung des Erhabenen nicht zuletzt auch gesellschaftliches und politisches Widerstandspotenzial im Menschen mobilisiert wird.

Philosophie Magazin Nr. 01 / 2019 / 75


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Die griechischen Ödipus oder Das Ende der Verwandtschaft Antigone – Zwischen Recht und Begehren Der Narziss in uns allen Daidalos – Im Bann der Technik Argos und die Grenzen der Überwachung

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DIE KLASSISCHEN TEXTE KOMMENTIERT VON JAN ASSMANN • BARBARA VINKEN • THOMAS MACHO MICHEL SERRES • JOSEPH VOGL • WINFRIED MENNINGHAUS MIT BEITRÄGEN VON FREUD • ILLOUZ BLUMENBERG • DERRIDA • HEGEL • CIXOUS • BLANCHOT • NIETZSCHE • BUTLER • DELEUZE ...

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