Philosophie Magazin Nr. 5

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sommerausgabe Nr. 05 / 2012

Neu

Kann ich mein Leben ändern? Griechenland

Wiege der Deutschen

Byung-Chul Han

„Der Eros besiegt die Depression”

Körperutopien

Die Grenzen der Optimierung

16-seitiges Booklet Sammelbeilage von

Nr. 05

MARX

Die Mythen des Marktes „Der Fetischcharakter der Ware und sein Geheimnis“ Aus: „Das Kapital: Kritik der politischen Ökonomie“, Erster Band, Kapitel I, 4

Karl Marx

Menschen sind keine Ware!

Deutschland 6,90 € Österreich: 7 €; Schweiz: 12,50 SF; Luxemburg: 7,40 €. Italien & Spanien: Auf Nachfrage.

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Denker in diesem Heft Seite 36 >

Peter Sloterdijk Der Professor für Philosophie und Ästhetik lehrt an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe. Im Dossier spricht der Autor von „Du mußt dein Leben ändern“ (Suhrkamp, 2009) über den Zusammenhang von Selbsterkenntnis und Selbstverbesserung sowie über seine in Kürze erscheinenden Tagebücher

ZweimOnatlich Nr. 05 — Juli/August 2012

Chefredakteur : Dr. Wolfram Eilenberger (V.i.S.d.P.) Stv. Chefredakteurin : Dr. Svenja Flaßpöhler Berater: Alexandre Lacroix Art-Direktion: Ralf Schwanen Layout: Jeffrey Cochrane Bildredaktion: Max Miller Verantwortliche Redakteure: Dr. Jutta Person (Büchersektion), Marianna Lieder (Autorendossier) Schlussredaktion: Sandra Schnädelbach Lektorat: Christiane Braun Internet: Cyril Druesne Autoren in diesem Heft: Adrien Barton, Dr. Claire-Lise Buis, Prof. Dr. Fritz Breithaupt, Michel Eltchaninoff, David Edmons, Jana Glaese, Florian Henckel von Donnersmarck, Dr. Anja Hirsch, Prof. Dr. Axel Honneth, Jul, Frederike Kaltheuner, Prof. Dr. Regine Kather, Prof. Dr. Albrecht Koschorke, Prof. Dr. Markus Krajewski, Prof. Dr. Andreas Kreiter, Marianna Lieder, Stefan Mekiffer, Victorine de Oliveira, Dr. Jutta Person, Gert Scobel, Nicolas Tenaillon, Katharina Teutsch, Christian Thein, Jürgen Wiebicke, Heinz Wismann

Seite 18 >

Tierversuche an Affen sind aus ethischen Gründen abzulehnen, meint die Professorin für Philosophie an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg. Letzte Veröffentlichung: „Die Wiederentdeckung der Natur“ (Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2012)

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Seite 86 >

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Booklet >

Axel Honneth Der Professor für Philosophie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main lehrt zurzeit an der Columbia University in New York und zählt zu den wichtigsten lebenden Vertretern der Frankfurter Schule. Für das Philosophie Magazin hat er die Einleitung zum Marx-Booklet verfasst

Seite 66 >

Abo-Service: Philosophie Magazin Leserservice PressUp GmbH Postfach 70 13 11, 22013 Hamburg Tel: +49 (0)40 / 41 448 463 Fax: +49 (0)40 / 41 448 499 E-Mail: philomag@pressup.de

Siri Hustvedt Ihr jüngster Roman „Sommer ohne Männer“ ist gerade als Taschenbuch erschienen (Rowohlt). Auf der letzten Seite dieser Ausgabe verrät die US-amerikanische Schriftstellerin, was sie Eros gerne unter vier Augen sagen würde

Anzeigen Buchverlage: Thomas Laschinski – PremiumContentMedia Tel: +49 (0)30 / 60 98 59 30 E-Mail: advertisebooks@laschinski.com Presse- und Öffentlichkeitsarbeit: Sabine Schaub Tel: +49 (0)30 / 31 99 83 40 E-Mail: s.schaub@schwindkommunikation.de www.schwindkommunikation.de

Gerhard Roth Der Professor für Verhaltenspsychologie lehrt seit 1976 an der Universität Bremen und ist Direktor des dortigen Instituts für Hirnforschung. Im Dossier diskutiert er mit dem Philosophen Volker Gerhardt über die Möglichkeit, sein Leben zu ändern

Litho: tiff.any GmbH Herstellung: Annick Torres (Rivages) Druck: Maury Imprimeur, Z.I. 45300 Manchecourt, Frankreich

Nielsen IV: Markus Piendl – MAV GmbH Tel: +49 (0)89 / 745083-13 E-Mail: piendl@mav-muenchen.com

Albrecht Koschorke Für seine Schriften wurde er mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Leibniz-Preis. Im Ereignis spürt der Professor für Deutsche Literatur und Literaturwissenschaft an der Universität Konstanz der Faszination des Horizonts nach

Geschäftsführer und Herausgeber: Fabrice Gerschel Stv. Herausgeberin: Anne-Sophie Moreau

Anzeigen: Jörn Schmieding-Dieck – MedienQuartier Hamburg Tel: +49 (0)40 / 85 41 09 13 E-Mail: schmieding-dieck@mqhh.de

Marianna Lieder In ihrem Beitrag „Müssen wir küssen?“ nimmt die Journalistin das deutsche Grußverhalten unter die Lupe. Die studierte Philosophin schreibt unter anderem für den Tagesspiegel und Literaturen. Für das Philosophie Magazin betreut sie das Autorendossier

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Vertrieb: Axel Springer Vertriebsservice GmbH Süderstraße 77, 20097 Hamburg, Deutschland www.as-vertriebsservice.de

Eric Hobsbawm Im Autorendossier erklärt der berühmte Sozial- und Wirtschaftshistoriker, warum Karl Marx heute aktueller ist als jemals zuvor. Der 93-jährige Brite ist Professor für Politik und Geschichte an der New School for Social Research in New York

Titel : © Kipling Phillips Verlag: Philomagazin Verlag GmbH Brunnenstraße 143 10115 Berlin, Deutschland Tel.: +49 (0)30 / 60 98 58 219 E-Mail: info@philomag.de

Regine Kather

Jana Glaese Am University College Maastricht, in Guadalajara und Frankfurt (Oder) hat sie Soziologie und Philosophie studiert. Im Heft erklärt sie, warum die deutschjüdische Philosophin Hannah Arendt vor zu viel Mitgefühl in der Politik warnt und Jorge Luis Borges in der Bibliothek auf die besten Ideen kam

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Fritz Breithaupt Der Professor für deutsche und vergleichende Literaturwissenschaft lehrt am Institut für westeuropäische Studien an der Indiana University, Bloomington, und schreibt für die Zeit. Wie Lebenswenden im Zeitalter von Facebook erzählt werden, erläutert er im Dossier

Die nächste Ausgabe erscheint am 13. September 2012

Online-Bestellungen: www.philomag.de/abo

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© Gaby Gerster, Inka Reiter, laif(2), Thomas Schweigert, Volker Schrank, privat (4)

Redaktion : Brunnenstraße 143, 10115 Berlin, Deutschland Tel: +49 (0)30 / 60 98 58 215 E-Mail: redaktion@philomag.de


inhalt 06 08 10 12

Zeitgeist > > > >

Unsere Frage Sinnbild Radar Perspektive: Auf einer anderen Seinsebene Der ehemalige Ölmagnat Michail Chodorkowski über sein Leben im Gefängnis und die Zukunft Russlands

16 > Presseschau 18 > Pro & Contra Tierversuche an Affen? 20 > Analyse Wer hat Angst vor Griechenland? Heinz Wismann über die wahren

Gründe der deutschen Härte gegenüber den einstigen Brüdern im Geiste

22 > Phänomen Wenn Körper zu Maschinen werden Technische Innovationen verändern die Idee des Sports. Wo ist die Grenze?, fragt David Edmonds

28 > Sittenlehre Müssen wir küssen? 30 > Brauchen wir Speedminton? Markus Krajewski testet ein neues Produkt

Dossier 32 >

Kann ich mein Leben ändern? Die Arbeit, die Familie, der Alltag. Was tun, wenn man sich in der eigenen Existenz nicht mehr zu Hause fühlt? Wenn die innere Stimme einen Neuanfang fordert. Philosophische Wege in ein besseres Leben Mit Impulsen von Fritz Breithaupt, Volker Gerhardt, Peter Sloterdijk, Gerhard Roth

die philosophen 60 > Das Gespräch Byung-Chul Han: „Der Eros besiegt die Depression“

Der Karlsruher Philosoph über Selbstausbeutung, den Fluch der Digitalisierung und die geheimnisvolle Erotik des Anderen

66 > Denkort Die Bibliothek des Jorge Luis Borges 67 > Was soll das? Hannah Arendts Skepsis gegenüber dem Guten Die Kunst, immer recht zu behalten

© Getty Images (2), Frauke Thielking, Alexandra Kinga Fekete, Hélène Builly / Costume 3 Pièces, PR

68 > Karl Marx: Die Mythen des Marktes Entfremdung, Warenfetisch, Verschuldung: In der heutigen Zeit der Krise ist kein Philosoph aktueller als Karl Marx. Ein Dossier über den großen Utopisten und Weltveränderer. Mit Beiträgen von Eric Hobsbawm, Axel Honneth und Christian Thein Dieses Heft enthält eine 16-seitige Sammelbeilage: „Der Fetischcharakter der Ware und sein Geheimnis“ von Karl Marx

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Bücher > > > >

Zähler auf null! David Graebers Plädoyer für einen Schuldenerlass Der weiße Mythologe Der Verleger Peter Engelmann im Porträt Scobel.mag Die Kolumne mit Durchblick Im Verhör Hörbücher besprochen von Jürgen Wiebicke

Ereignis

86 > Philosophie des Horizonts Albrecht Koschorke spürt der Faszination des

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Weltrands nach

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Projektionen Die Filmkolumne von Florian Henckel von Donnersmarck Agenda Philosophische Termine Comic + Spiele Sokrates fragt Siri Hustvedt antwortet

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Dem südafrikanischen Sprinter Oscar Pistorius wurden aufgrund einer Behinderung beide Unterschenkel amputiert: Wird er bei den Olympischen Spielen 2012 mit Carbon-Prothesen starten dürfen?

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Zeitgeist Phänomen

Wenn Körper zu Maschinen werden Olympische Spiele sind Leistungsschauen des menschlichen Leibes. Technische Innovationen spielen dabei eine immer wichtigere Rolle. Sie sorgen nicht nur für neue Rekorde, sondern verändern auch die Idee des Sports selbst. Wo ist die Grenze? Von David Edmonds

© Aubrey Johnsson / images24.co.za / Camera Press / Picture Press

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as Ron Clarke beim 10 000-Meter-Rennen bei den Olympischen Spielen 1968 in Mexico City passierte, ist inzwischen so gut wie vergessen. Besagtes Rennen aber hat bis heute Einfluss auf viele Spitzensportler, ob es ihnen bewusst ist oder nicht. Ron Clarke sagt, er habe Glück, dass er noch am Leben sei. Der Australier trat beim ersten Leichtathletikwettkampf der Spiele an. Für die Buchmacher war er der unangefochtene Favorit auf die 10 000 Meter, er galt als der beste Langstreckenläufer der Weltgeschichte. Dann sahen 55 000 Zuschauer, wie ein Rennen zum Desaster werden kann. In der dritten Runde ging ein Läufer ohnmächtig zu Boden, und als noch sechs Runden bevorstanden, mussten zwei weitere von der Bahn getragen werden. Zu Beginn der vorletzten Runde lief Clarke in der Spitzengruppe. Doch plötzlich hatte auch er zu kämpfen. An die letzte Runde, für die er 90 Sekunden brauchte, hat Clarke keinerlei Erinnerung. „Normalerweise wäre ich sie in 64 Sekunden gelaufen“, sagt er. Als Sechster taumelte er über die Ziellinie und brach sofort zusammen. „Er sah aus wie ein Zombie“, hieß es in einem der Berichte. Es war fraglich, ob er die Nacht überleben würde. Ron Clarke ist heute 74 Jahre alt und sichtlich fit. Dennoch glaubt er, dass das Rennen von 1968 seine Gesundheit nachhaltig geschädigt hat. Jeden Tag hat er seither Medikamente genommen. Mexico City liegt gut 2200 Meter über dem Meeresspiegel. Dass die Höhe die Wettkämpfe beeinflussen könnte, war angekündigt worden. Clarke selbst hatte deswegen

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Bedenken geäußert, doch die australischen Sportbehörden pfiffen ihn zurück: Solche Nörgelei sei unsportlich. Seit 1968 aber haben die Wissenschaftler ihre Forschungen über den Zusammenhang zwischen athletischer Leistung und geografischer Höhe intensiviert. Damit einher gehen Fragen: Was zählt als Sport? Was ist sein Zweck? Wo endet der Sport, und wo beginnen Wissenschaft und Technologie? Bauen auf den Fortschritt Die Olympischen Spiele von 1968 in Mexico City markieren einen Wendepunkt: Mit ihnen beginnt die verblüffende Dominanz der Ostafrikaner im Langstreckenlauf. Die sieben schnellsten 5000-Meter-Läufer der Menschheitsgeschichte kommen alle entweder aus Kenia oder aus Äthiopien. Eine komplexe Mischung aus ökonomischen, politischen, sozialen und kulturellen Gründen kann diese Vorherrschaft erklären. Doch ein entscheidender Faktor dürfte sein, dass viele ostafrikanische Athleten den Großteil ihres Lebens in dünner Luft verbracht haben. In früheren Zeiten waren die Voraussetzungen, um zur athletischen Elite aufzusteigen, nur reines Talent und unbeirrbare Hingabe. Heute muss ein Spitzensportler seine Karriere zusätzlich auf physiologische Erkenntnisse und auf den Fortschritt der Wissenschaft bauen. Zum Beispiel, was die Entfernung vom Meeresspiegel angeht. In großer Höhe durchläuft der menschliche Organismus eine ganze Reihe physiologischer Veränderungen; vor allem erzeugt er mehr rote Blutkörperchen und Hämoglobin. Damit ist das Blut in der Lage, mehr Sauerstoff auf-

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dossier

Kann ich mein Leben ändern? Die Sehnsucht nach einer anderen Existenz, der Wunsch, noch einmal von vorne anzufangen, die Einsicht, dass es so nicht mehr weitergeht. Was tun, wenn man sich im eigenen Leben nicht mehr zu Hause fühlt? Philosophische Wege in ein besseres Dasein, von der Selbsterkenntnis zur Selbstverbesserung. Oder hilft nur der radikale Schnitt?

© Kipling Phillips

Mit Impulsen von Peter Sloterdijk /// Gerhard Roth /// Fritz Breithaupt /// Volker Gerhardt /// Svenja Flaßpöhler

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dossier kann ich mein leben ändern?

„Das Leben ist ein Zehnkampf“ In seinem Buch „Du mußt dein Leben ändern“ fordert Peter Sloterdijk ein neues Leistungsdenken. Als Menschen sind wir übende Wesen, auf beständige Transformation und Selbstüberschreitung angelegt. Ein Gespräch über Tagebücher als philosophische Hometrainer, das glänzende Beispiel des Buddha und den Albtraum anerzogener Hilflosigkeit Das Gespräch führte Wolfram Eilenberger Fotos von Volker Schrank

Herr Sloterdijk, Sie schreiben seit vier Jahrzehnten Tagebuch. Nun haben Sie sich zur Veröffentlichung entschlossen, war das von Beginn an geplant? Ich hatte nie den Gedanken, meine Aufzeichnungen der Nachwelt als Dokument eins zu eins auszuhändigen. Dazu muss man ja wie Rousseau der Überzeugung sein, das eigene Leben sei ein beispielloses Juwel. Mein Umgang mit der autobiografischen Problematik bestand vor allem darin, dass ich bei der Selektion der zu veröffentlichenden Teile des Notizbuchs vor allem die Trivia weggelassen habe, die mich als Person betreffen. Dennoch, es geht in Ihren Tagebüchern, die demnächst unter dem Titel „Zeilen und Tage – Notizen 2008-2011“ erscheinen, auch um grippale Infekte, Unwohlsein und Kopfschmerzen. Ich habe einiges davon durchklingen lassen, weil es sonst zu abstrakt und zu unmenschlich wäre. Klar habe ich auch verstimmte Tage, Nervenattacken und Momente, wo man lieber kotzen als jubeln würde. Das habe ich also dringelassen, damit man die Person auch ein bisschen besser sieht. Nr. 05 — juli/august 2012

Aber ich will das alles nicht als Tagebuch verstanden wissen, es sind vielmehr datierte Notizen. Sie bezeichnen diese Notizen selbst auch als „Vehikel der Belanglosigkeit“. Ist dies gezielt geschehen, um sich gegen einen möglichen Narzissmus-Vorwurf zu schützen? Sicher auch, ja. Obwohl ich Narzissmus überhaupt nicht als Vorwurf empfinden würde. Aufmerksamkeit auf sich selbst – das ist ja einfach die Art und Weise, wie moderne Subjektivität funktioniert. Wir sind zur Selbstbezüglichkeit verurteilt beziehungsweise zu ihr erzogen worden. Das hat vor allem mit den Egotechniken zu tun, die unser Leben seit 200 Jahren prägen. Was wären Beispiele für solche Egotechniken? Wir leben zum Beispiel seit etwas mehr als hundert Jahren mit Spiegeln ringsum, wir schreiben Tagebücher, wir schrei­ben Autobiografien, wir schreiben Briefe. Das sind alles egotechnische Medien, die für das moderne Leben außerordentlich bedeutungsvoll geworden sind.

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Dossier Kann ich Mein Leben ändern?

Spiel des Lebens

Wir können aus unserem Leben ein Spiel machen, versichert Nietzsche. Doch nicht jeder Spieler hat die gleiche Taktik. Es gibt viele Wege, die ans Ziel führen. Welchen wollen Sie nehmen? Von Michel Eltchaninoff

Schnauze voll

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Jeden Tag dieselben Routinen, intrigante Kollegen im Büro, ständig Streit zu Hause. Lange halten Sie das nicht mehr aus. Allerdings zögern Sie noch: Ist es wirklich der passende Moment, um alles über den Haufen zu werfen? Was, wenn dies zu noch mehr Verdruss führt? Muss nicht alles erst sorgsam geplant und abgewogen werden? Wenn Sie zu den grüblerischen Naturen gehören, die Entschlüsse gerne hinauszögern, dann gehen Sie auf Feld 10. Wenn Sie zu Aktivismus neigen, dann ist Feld 9 Ihre nächste Station.

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Alles ist möglich

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Sie haben die fast schon metaphysische Gewissheit, dass Ihnen unzählige Möglichkeiten offenstehen. Der Umstand, dass diese nicht unbedingt mit der gesellschaftlichen Erwartungshaltung in Einklang zu bringen sind, befeuert Sie eher, als dass er hemmt. Ihr Sinn steht nach Abenteuer und Abwechslung. Einzige Schwierigkeit dabei: Wie fangen Sie das Ganze an? Vielleicht ein neuer Beruf? Ein Ortswechsel? Wenn Sie den Zufall entscheiden lassen wollen, dann werfen Sie eine Münze. Bei Zahl gehen Sie auf Feld 9, bei Kopf auf Feld 12. Sollten Sie allerdings die Sache noch einmal durchdenken wollen, führt Sie der nächste Schritt auf Feld 10.

Krise als Chance

Das durchdachte Projekt

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Seit längerem überlegen Sie sich, wie Ihr neues Leben konkret aussehen könnte. Sie wissen genau, was sich in moralischer, beruflicher oder politischer Hinsicht ändern muss. Sie sehen sich schon als Bienenzüchter, als Umweltaktivisten, als Romancier. Ihre Pläne müssen nur noch in die Tat umgesetzt werden. Wenn Sie noch nicht alle notwendigen Vorkehrungen getroffen haben, dann gehen Sie auf Feld 7. Wenn Sie hingegen meinen, für den Neustart ausreichend vorbereitet zu sein – ab auf Feld 15.

6 Die Offenbarung Tief in Ihnen ist etwas passiert. Ganz ähnlich wie bei Blaise Pascal, der eine „Feuernacht“ durchwachte, in der er sich zum Christentum bekehrte, oder wie beim Titelhelden in Dostojewskis Roman „Der Jüngling“, der eine moralische Wandlung durchlebte. Sie sind mit dem Sinn des Daseins auf Tuchfühlung. Wenn dieses einschneidende Erlebnis religiöser oder spiritueller Natur war, gehen Sie auf Feld 11. Hatte diese Schlüsselerfahrung eher ethische Dimensionen (Sie beschließen, nie wieder zu lügen oder jeden Tag so zu leben, als wenn es der letzte wäre), dann springen Sie auf Feld 14.

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© Istockphoto (9)

Die schwere Krankheit, die Sie besiegt haben, hat Sie empfänglicher und nachdenklicher gemacht. Nach dem Tod einer geliebten Person müssen die Weichen in Ihrem Leben neu gestellt werden. Vielleicht ist es auch eine unglückliche Liebe, durch die alles aus den Fugen geriet. Jedenfalls sind Sie nicht bloß überzeugt davon, dass sich etwas ändern muss, sondern Sie fühlen sich überreif für den Wechsel. Wenn Sie diesen formbaren Zustand nutzen wollen, um endlich Ihre Pläne umzusetzen, Ihre alten, lange unterdrückten Träume zu leben, dann gehen Sie auf Feld 13. Wenn es Ihnen gerade an Konzentration für die Planung Ihres Neubeginns fehlt, gehen Sie auf Feld 9.


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Trauen Sie sich

Die Qual der Wahl

Ihr Entschluss steht fest. Sie wollen Ihr Leben ändern, noch mal ganz von vorne beginnen. Doch wie genau soll dieser Neuanfang aussehen? Sind Ihnen gerade Flügel gewachsen? Schweben Sie in einer Alles-istmöglich-Stimmung umher? Dann wagen Sie sich auf Feld 2. Fühlen Sie sich eher resigniert, plagt Sie gar das Gefühl, es nicht länger auszuhalten? Ziehen Sie zu Feld 3. Sie leben gerade im Ausnahmezustand, ein dramatisches Ereignis (Tod, Krankheit, Trennung) hat alles aus den Fugen geraten lassen? Dann ist Feld 4 die richtige Wahl. Wenn Sie hingegen einen lange gehegten, wohl durchdachten Plan in die Tat umsetzen wollen, gehen Sie zu Feld 5. Diejenigen, denen es vor allem um die „innere“ Umkehr und Erneuerung geht, begeben sich bitte auf Feld 6.

Sie lieben das Meer ebenso sehr wie die Alpen. Oder vielleicht haben Sie gleich zwei Bewerber für eine neue Beziehung und finden den einen so attraktiv wie den anderen. Sollen Sie Ihre wissenschaftliche Karriere weiterverfolgen oder lieber das Berufsangebot des Wirtschaftskonzerns annehmen? Die Vielzahl an Möglichkeiten lähmt Sie. Sie gleichen einem berühmten, unglücklichen Tier: dem Buridan‘schen Esel, der hungrig zwischen zwei Heuhaufen steht, sich partout nicht entscheiden kann und schließlich verhungert. Hilfreich ist hier der Schritt auf Feld 12. Manchmal kann das Leben auch neuen Sinn erhalten, wenn man sich für etwas engagiert (Feld 15).

Die Gier nach Neuem

9 7 Das Labyrinth der Umstände Im Wesentlichen können Sie selbst bestimmen, wie Ihr neues Leben aussieht. Allerdings wird es immer Faktoren geben, die Sie nicht beeinflussen oder vorhersehen können. Dass man niemals vollständig Herr des Geschehens ist, dass ein Zufall alles, was wir uns mühevoll erarbeitet haben, zunichtemachen kann, wusste bereits der Stoiker Epiktet. In seinem Manual spricht er daher die Empfehlung aus: „Verlange nicht, dass das, was geschieht, so geschieht, wie du es wünschst, sondern wünsche, dass es so geschieht, wie es geschieht, und dein Leben wird heiter dahinströmen.“ Nicht nach Macht über äußere Umstände sollten wir streben, sondern an unserer Einstellung arbeiten. Genaueres dazu erfahren Sie auf Feld 13. Dass dieser Wandel sich nicht durch eine Hauruckaktion bewerkstelligen lässt, steht auf Feld 18.

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„Tief in des Abgrunds Nacht, ob Höll, ob Himmel, sinken, / Ins unbekannte Sein, um Neues zu erschaun!“ Diese Empfehlung Baudelaires wird heute nur allzu gerne in der Werbung und Managerliteratur reformuliert, wenn es darum geht, „den Reiz des Neuen“ anzupreisen. Manche müssen jedes halbe Jahr den Job wechseln, andere sind beständig auf der Suche nach dem neuen, dem idealen Partner. Es ist verlockend, immer das neueste Handy zu besitzen, regelmäßig einen neuen Kleidungsstil oder eine spezielle Ernährungsweise auszuprobieren. Wenn allerdings die Lust auf Veränderung zur Gier wird, wenn der Wind nicht einfach wechselt, sondern sich zum Tornado auswächst, dann bleiben wir chronisch unbefriedigt, auf den Geschwindigkeits- und Konsumrausch folgt ein schaler Nachgeschmack. Die Fähigkeit, uns zu reformieren, kann uns ganz abhandenkommen. Statt jedem flüchtigen Wunsch nachzugeben, sollten wir also in uns gehen. Auf Feld 8 erfahren Sie, weshalb es wichtig ist, sich ernsthaft auf Dinge einzulassen. Auf Feld 13 wartet die Macht des Schicksals. Wenn Sie Ordnung in Ihr inneres Chaos bringen wollen, gehen Sie auf Feld 16.

Oberflächlicher Wandel Sie haben noch mal neu angefangen. Zumindest von außen betrachtet, hat sich Ihr Leben verändert. Doch Sie selbst merken, wie der alte Daseinsverdruss im neuen Gewand wiederkehrt. Das Leben auf dem Land ödet Sie an, der neue Job erfüllt Sie nicht, Ihre zweite Ehe fühlt sich fast schon genauso an wie die erste. Folgt man dem antiken Dichter Lukrez, sind wir von Natur aus unersättlich. Der Wunsch enttäuscht, sobald er in Erfüllung geht, die begehrten Dinge, die wir in unseren Besitz bringen, fallen in ein Fass ohne Boden. Der eigentliche Wandel könne sich, so Lukrez, nur im Inneren vollziehen. Er tritt ein, wenn wir unsere großen Ängste überwunden haben: die Furcht vor dem Tod und vor den Göttern. Wenn Sie jetzt immer noch glauben, dass Sie bei der Vorbereitung zum neuen Leben nicht gründlich genug waren, überlegen Sie sich das Ganze noch mal auf Feld 7. Wenn Sie sich mit dem Gedanken an einen allmählichen Daseinswandel anfreunden können, geht’s auf Feld 18.

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Dossier Kann ich mein leben ändern?

Wie flexibel ist mein Ich? Dem Philosophen Volker Gerhardt zufolge ist die Fähigkeit zur Lebensgestaltung wesentlich für die menschliche Existenz. Der Hirnforscher Gerhard Roth meint, dass wir innerlich weit weniger frei sind, als wir glauben. Ein Dialog über die Möglichkeit, trotzdem einen neuen Weg zu gehen Das Gespräch moderierte Svenja Flaßpöhler Fotos von Thomas Schweigert

Philosophie Magazin: „Kann ich mein Leben ändern“ – finden Sie diese Frage überhaupt sinnvoll? Volker Gerhardt: Wer immer sich für oder gegen etwas entscheidet, ein Angebot annimmt oder es ablehnt, ändert sein Leben bereits. Man kann sich die Haare färben, eine neue Beziehung eingehen, auswandern oder sein Geschlecht ändern. Wer unter diesen, jedem bekannten Konditionen überhaupt in Zweifel zieht, ob man sein Leben ändern kann, muss eine ziemlich spektakuläre Vorstellung von Veränderung haben. Vermutlich will er ein „total anderer“ werden, und selbst das ist nicht unmöglich, wenn er etwa ernsthaft versucht, als Bettelmönch zu leben. Die Frage ist daher nicht, ob man sein Leben ändern kann, sondern in welchem Umfang und Ausmaß. Was sagen Sie, Herr Roth? Volker Gerhardt und Gerhard Roth

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olker Gerhardt empfängt bei sich zu Hause, eine weitläufige Altbauwohnung in Hamburg-Dammtor, direkt gegenüber der Universität. Auf dem Couchtisch Grissini und Mineralwasser, der Philosoph nimmt auf dem Sofa Platz, Gerhard Roth in einem tiefen Sessel. Ein Kantianer und ein Hirnforscher: Ob das gut gehen kann? Es folgt ein angeregtes, fast zweistündiges Philosophieren über die Kraft des Unbewussten, frühkindliche Prägungen und die Wurzeln der menschlichen Freiheit. Nicht die Theorie, sondern die Praxis des Lebens bestimmt die Diskussion, so kommt schnell auch Persönliches zur Sprache. Insbesondere was den Umgang mit charakterlichen Schwächen betrifft, herrscht große Einigkeit zwischen dem Geistes- und dem Naturwissenschaftler.

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Gerhard Roth: Natürlich kann ich mich ändern. Was aber letztlich hinter der Frage steht, ist, ob man die Grundzüge seiner Persönlichkeit ändern kann. Und da würde ich als Neurobiologe sagen, dass das grundsätzlich schwierig ist. Die Grundzüge unserer Persönlichkeit werden sehr früh gestaltet. Im Alter von etwa 14 Jahren stehen laut Entwicklungspsychologen 70 bis 80 Prozent unserer Persönlichkeit fest. Und das ist auch gut so. In einer Gesellschaft, in der sich jeder ad libitum jeden Tag ändern könnte, auch in seiner Persönlichkeit, wäre es unmöglich zu leben. Volker Gerhardt: Allein der Wunsch, sein Leben total zu ändern, ist Ausdruck einer hochgradig individualisierten Persönlichkeit. Wenn jemand, ich betone noch einmal, ernsthaft meint, er wolle, solle oder könne völlig anders — Philosophie Magazin


werden, bezieht er in seine Selbstbestimmung sogar noch seinen Charakter ein. Unmöglich ist das nicht.

© Gallery Stock

Aber wie sehr liegt es in meiner Macht, meine Lebenshaltung, meine Beziehung zur Welt zu verändern? Gerhard Roth: Zunächst einmal: Die allermeisten Menschen, so zeigen empirische Untersuchungen, wollen sich gar nicht wesentlich ändern. Vielleicht die Haarfarbe, vielleicht noch nicht einmal das. 80 Prozent der Menschen lehnen größere Veränderungen ab. 20 Prozent sind die „sensation seekers“, die Erlebnishungrigen. Die wollen jeden Tag was anderes. Das muss man klar trennen. Nun zu Ihrer Frage: Wenn ich versuche, mich zu ändern: Wer ist dann dieses Ich? Und: Woher kommt der Wunsch überhaupt? Was genau meinen Sie damit? Nr. 05 — juli/august 2012

Gerhard Roth: Der Wunsch nach Veränderung kann ja selbst nicht wieder von mir als bewusstem Ich kommen, sondern ich erleide das ja in aller Regel: Ich bin dann eher das Objekt meiner unbewusst entstehenden Veränderungswünsche. Patienten kommen in die Psychotherapie und sagen: Es geht so mit mir nicht weiter. Und dies sagen sie nicht nur, weil es schön ist, sich zu ändern. Volker Gerhardt: Eine Erfahrung als Kind ist mir stets gegenwärtig: Ungerechte Vorwürfe konnten mich derart empören, dass ich im Zorn die Kontrolle zu verlieren fürchtete. Der Jähzorn galt als Familienerbe, und darüber waren beängstigende Geschichten im Umlauf. Also habe ich mir bereits früh vorgenommen, mich von dieser Mitgift frei zu machen. Und das ist, glaube ich, gelungen. Der Zorn lauert zwar bis heute in jedem aufsteigenden Ärger, aber es gelingt in der Regel, ihn durch Ablenkung oder

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Die Philosophen

Byung-Chul Han

„Der Eros besiegt die Depression“ Byung-Chul Han sieht unsere Leistungsgesellschaft gefangen in Narzissmus und Ruhelosigkeit. Ein Gespräch über den Willen zur totalen Selbstausbeutung, den Fluch der Digitalisierung und die geheimnisvolle Erotik des Anderen Das Gespräch führten Ronald Düker und Wolfram Eilenberger Fotos von Alexandra Kinga Fekete

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er Philosoph kommt mit dem Fahrrad zum Interview. Als sei er gerade erst aufgestanden, blinzelt er in die Nachmittagssonne des Prenzlauer Bergs. Obwohl Byung-Chul Han eine Professur in Karlsruhe innehat, lebt und denkt der gebürtige Koreaner in Berlin. Als Ort des Gesprächs hat er das Büro seines Verlags Matthes & Seitz ausgewählt. Han lässt sich in einem Ledersofa nieder, spricht schnell und konzentriert. Die Thesen des 50-Jährigen zur Müdigkeitsgesellschaft und Transparenzpolitik bewegen die philosophische Szene weit über ihre akademischen Grenzen hinaus. Sie treffen ins Herz des gegenwärtigen Unbehagens in unserer Kultur – und führen auf ungewöhnliche Therapieangebote. Han ist ein Denker der Entspannung, der unsere Gesellschaft in einer unheilvollen Leistungslogik gefangen sieht. Im Gespräch zeigt er sich indes als ausgesprochen emotionaler Charakter. Er gestikuliert heftig, ruft, anstatt zu sprechen, lässt seinem Unmut freien Lauf. Vor allem aber seinen Gedanken. Lassen Sie uns zuerst über Ihre Herkunft sprechen, denn die ist ziemlich ungewöhnlich. Was zieht einen Koreaner nach Deutschland, warum wird ein Metallurge zum Philosophen? Im Leben gibt es Brüche und Verwandlungen, die man nicht erklären kann. Vielleicht hat mein ungewöhnlicher Entschluss nicht zuletzt auch mit meinem Namen zu tun. Adorno hat mal gesagt, die Namen seien Initialen, die wir nicht verstehen, denen wir aber gehorchen. Das chinesische Zeichen für Chul bedeutet dem Klang nach sowohl Eisen als auch Licht. Philosophie heißt auf Koreanisch Lichtwissenschaft. So bin ich womöglich nur meinem Namen gefolgt.

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Nach Deutschland … Ja ich bin nach Deutschland gekommen mit dem Zulassungsbescheid zum Studium des Hüttenwesens an der Technischen Hochschule Clausthal-Zellerfeld nahe Göttingen. Ich habe meinen Eltern gesagt, dass ich mein Technikstudium in Deutschland fortsetzen werde. Ich musste sie belügen, sonst hätten sie mich nicht gehen lassen. Ich bin einfach aufgebrochen in ein ganz anderes Land, dessen Sprache ich damals weder sprechen noch schreiben konnte, und habe mich gestürzt in ein ganz anderes Studium. Es war wie in einem Traum. 22 Jahre war ich damals. Ihr Essay über die „Müdigkeitsgesellschaft“, der bereits in Deutschland ein Bestseller wurde, ist nun auch in Südkorea zu einem Kultbuch geworden. Wie erklären Sie sich das? Stimmt, das Buch hat sich dort ähnlich gut verkauft wie Stéphane Hessels „Empört euch!“ in Deutschland. Offenbar fühlten sich die Koreaner von der Grundthese des Buches angesprochen, dass die heutige Leistungsgesellschaft eine Gesellschaft freiwilliger Selbstausbeutung ist, dass nun eine Ausbeutung auch ohne Herrschaft möglich ist. Südkorea ist eine Müdigkeitsgesellschaft im Endstadium. Tatsächlich sieht man in Korea überall schlafende Menschen. Die U-Bahn-Züge gleichen in Seoul Schlafwagen. Und früher war das anders? In meiner Schulzeit standen im Klassenzimmer eingerahmte Maximen, die Begriffe wie Geduld, Fleiß und so weiter enthielten: die klassischen Parolen einer Disziplinargesellschaft. Heute aber hat sich

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Die Philosophen

Der Klassiker

MARX Der Weltveränderer

© Illustration: Hélène Builly, Costume 3 Pièces

Für Karl Marx steht fest, dass es die materiellen, gesellschaftlichen Umstände sind, die das Bewusstsein der Menschen und ihrer Gesellschaften bestimmen. Er sezierte die Anatomie der bürgerlich-kapitalistischen Welt. Wie kein zweiter Philosoph hat er die wirtschaftlichen und politischen Kämpfe des 19. Jahrhunderts auf den Begriff gebracht – und gedanklich die Weltpolitik des 20. Jahrhunderts geprägt. Der Übervater der kommunistischen und sozialistischen Bewegungen war selbst ein Bürgersohn. Er führte eine Flüchtlingsexistenz. Ohne die Großzügigkeit seines Mitstreiters Friedrich Engels wäre es ihm unmöglich gewesen, sein Leben in den Dienst einer Idee zu stellen. Die Marx'sche Lehre wurde immer wieder neu interpretiert, teilweise mit fatalen Resultaten. Für viele, die darauf aus sind, die Welt zu verändern, ist sie heute erstaunlich aktuell geblieben. Illustrationen von Hélène Builly

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Comic

Das ist es, was ich an Wittgenstein so liebe, ...

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... seine Art, logisch definitive Lösungen für abgedroschene Probleme zu liefern!

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Gewinnspiel Schicken Sie die passende Unterschrift zu diesem Bild Jacques Lacans an: redaktion@philomag.com Wir werden die besten Einsendungen veröffentlichen. Als erster Preis winkt ein Jahres-Abo des Philosophie Magazins.

Was glauben Sie?

Hölle, Hölle, Hölle!

(Antworten auf Seite 96)

© Cinetext, Süddeutsche Zeitung Photo / Rue des Archives

Die Hölle, was genau ist das? Ist sie bloß ein Symbol? Oder hat Papst Benedikt XVI recht, der vor kurzem daran erinnerte, dass „die Hölle wirklich existiert und ewig ist“. Wie stellen Sie sich die Hölle vor? Ein kleiner Test mag die Fantasie beflügeln 1. Was ist der beste Weg, um in die Hölle zu kommen? a) Schlechte Taten anhäufen und gute vermeiden. b) Nicht an Gott glauben. c) Machen Sie sich keine Sorgen, es gibt keine Abkürzungen: Alle müssen in der Hölle vorbei. 2. Hier ist sie, ich bin da! Wie sieht es in der Hölle aus? a) Ein Schlund unter der Erde, dunkel und Nr. 05 — Juli/August 2012

düster, wo Sie gemäß Ihren Taten eine personalisierte Strafe erhalten. b) Ein Ort in Flammen, wo Sie von allen Seiten gebraten werden: Wenn Ihre Haut völlig verbrannt ist, wird diese ersetzt, damit es weitergehen kann. Man zwingt Sie, kochendes Wasser zu trinken, bis die inneren Organe sich verflüssigen. c) Ein Zustand intensiven Leidens aufgrund der Scham, die Ihre vergangenen Sünden auslösen. d) Ein Zustand der Trennung von Gott.

3. Gewiss, der Besuch war sehr ansprechend, nun aber möchten Sie sich auf den Weg machen … Wie verlässt man eigentlich die Hölle? a) Unmöglich! Darüber hätten Sie vorher nachdenken müssen. Jetzt sind Sie hier und Sie bleiben … bis in alle Ewigkeit. b) Kein Problem, nach maximal einem Jahr dürfen Sie gehen.

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