OKTOBER/NOVEMBER NR. 06 / 2012
NEU Christian Lindner & Joseph Vogl streiten über die Zukunft des Kapitalismus
Pussy Riot
„Unser Vorbild ist Sokrates”
Wie viel steckt in
mir ? 16-SEITIGES BOOKLET Sammelbeilage von
Nr. 06
Buddha
Die Lehrrede zur Achtsamkeit
Das Satipatthaˉ na-Sutta (Paˉ li-Kanon, M I. 55-63)
BUDDHA
Aufgewacht!
Deutschland 6,90 € Österreich: 7 €; Schweiz: 12,50 SF; Luxemburg: 7,40 €. Italien & Spanien: Auf Nachfrage.
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DENKER IN DIESEM HEFT Seite 12 >
Der Autor des viel beachteten Werkes „Das Gespenst des Kapitals“ (Diaphanes, 2010) ist Professor für Neuere deutsche Literatur an der HumboldtUniversität Berlin. Im Zeitgeist diskutiert Joseph Vogl mit dem FDP-Politiker Christian Lindner über die Zukunft des Kapitalismus
ZWEIMONATLICH NR. 06 — OKTOBER/NOVEMBER 2012
Chefredakteur : Dr. Wolfram Eilenberger (V.i.S.d.P.) Stv. Chefredakteurin : Dr. Svenja Flaßpöhler Berater: Alexandre Lacroix Art-Direktion: Ralf Schwanen Layout: Nicole Skala Bildredaktion: Michael Biedowicz Verantwortliche Redakteure: Dr. Jutta Person (Büchersektion), Marianna Lieder (Autorendossier) Schlussredaktion: Sandra Schnädelbach Lektorat: Christiane Braun Internet: Cyril Druesne Autoren in diesem Heft: Dr. Pierfrancesco Basile, Florian Henckel von Donnersmarck, Dr. Ronald Düker, Jana Glaese, Eva Marlene Hausteiner, Holger Heimann, Dr. Anja Hirsch, Prof. Dr. Vittorio Hösle, Frederike Kaltheuner, Prof. Dr. Markus Krajewski , Stefan Mekiffer, Prof. Dr. Herfried Münkler, Prof. Dr. Robert Pfaller, Cord Riechelmann, Prof. Dr. Jens Schlieter, Gert Scobel, Andreas Weber, Dr. Eva Weber-Guskar, Dr. Florian Werner, Jürgen Wiebicke
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Unsere Buchsektion-Redakteurin ist promovierte Kulturwissenschaftlerin, Journalistin und Kritikerin. 2006 erschien ihr Buch „Der pathographische Blick“ (Königshausen und Neumann). In ihrer Kolumne stellt sie dieses Mal den philosophischen Wert des Traumes heraus
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Frans de Waal Der berühmte Zoologe und Verhaltensforscher lehrt an der Emory University in Atlanta. Letzte Publikation: „Das Prinzip Empathie. Was wir von der Natur für eine bessere Gesellschaft lernen können“ (Hanser, 2011). Im Dossier erklärt er, warum wir den Tieren ähnlicher sind, als wir glauben
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Tim Flach In seinen preisgekrönten Arbeiten beschäftigt sich der Londoner Fotograf mit unserem anthropozentrischen Begehren, im Tier das Menschliche erkennen zu wollen. Tim Flachs faszinierende wie irritierende Tierporträts illustrieren das Dossier
Litho: tiff.any GmbH Herstellung: Annick Torres (Rivages) Druck: Maury Imprimeur, Z.I. 45300 Manchecourt, Frankreich
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Vittorio Hösle Der Professor für Philosophie an der University of Notre Dame in Indiana ist Beiratsmitglied im „Komitee für eine demokratische Uno“. Im Pro und Contra argumentiert er, anders als der Politikwissenschaftler Herfried Münkler, entschieden gegen das Recht eines Präventivkriegs im Israel-Iran-Konflikt
Nielsen IV: Markus Piendl – MAV GmbH Tel: +49 (0)89 / 74 50 83 13 E-Mail: piendl@mav-muenchen.com
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Anzeigen Buchverlage: Thomas Laschinski – PremiumContentMedia Tel: +49 (0)30 / 60 98 59 30 E-Mail: advertisebooks@laschinski.com Presse- und Öffentlichkeitsarbeit: Sabine Schaub Tel: +49 (0)30 / 31 99 83 40 E-Mail: s.schaub@schwindkommunikation.de www.schwindkommunikation.de Abo-Service: Philosophie Magazin Leserservice PressUp GmbH Postfach 70 13 11, 22013 Hamburg Tel: +49 (0)40 / 41 448 463 Fax: +49 (0)40 / 41 448 499 E-Mail: philomag@pressup.de Online-Bestellungen: www.philomag.de/abo
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Cord Riechelmann „Wilde Tiere in der Großstadt“ (Nicolaische Verlagsbuchhandlung, 2004) heißt eines seiner Bücher, für die FAZ war er als Kolumnist und Stadtnaturreporter tätig. In seinem Essay hinterfragt der studierte Philosoph und Biologe die Metapher des menschlichen „Herdentriebs“
Geschäftsführer und Herausgeber: Fabrice Gerschel Stv. Herausgeberin: Anne-Sophie Moreau
Anzeigen: MedienQuartier Hamburg Tel: +49 (0)40 / 85 41 09 13 E-Mail: info@mqhh.de
Lama Ole Nydahl Der gebürtige Däne hat den Diamantweg-Buddhismus in den Westen gebracht. Gemeinsam mit seiner Frau gründete er über 600 buddhistische Zentren weltweit. Im Heft spricht Ole Nydahl mit dem Philosophen Andreas Urs Sommer über die philosophischen Dimensionen des Buddhismus
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Vertrieb: Axel Springer Vertriebsservice GmbH Süderstraße 77, 20097 Hamburg, Deutschland www.as-vertriebsservice.de
Robert Pfaller Die Lustfeindlichkeit unserer Kultur ist das zentrale Thema seines aktuellen Buches „Wofür es sich zu leben lohnt“ (S. Fischer, 2011). Robert Pfaller, Professor an der Universität für angewandte Künste in Wien, ist neuer Kolumnist des Philosophie Magazins. Wir freuen uns auf seine „Lockerungen“!
Titelbild : © Tim Flach / Ganz nah / Knesebeck-Verlag Verlag: Philomagazin Verlag GmbH Brunnenstraße 143 10115 Berlin, Deutschland Tel.: +49 (0)30 / 60 98 58 219 E-Mail: info@philomag.de
Jutta Person
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Eva Weber-Guskar Die Philosophin lehrt an der Universität Göttingen und schreibt unter anderem für die Süddeutsche Zeitung. Ihre Dissertation „Klarheit der Gefühle“ ist 2009 bei de Gruyter erschienen. Im Heft porträtiert sie den britischen Philosophen Derek Parfit, einen der einflussreichsten Ethiker der Gegenwart
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Florian Werner Der promovierte Literaturwissenschaftler arbeitet für den WDR und ist Autor zahlreicher Bücher. Sein jüngstes Werk: „Schüchtern. Bekenntnis zu einer unterschätzten Eigenschaft“ (Nagel und Kimche, 2012). Im Heft ergründet er die Sehnsucht des Menschen nach der Apokalypse
Die nächste Ausgabe erscheint am 08. November 2012 — PHILOSOPHIE MAGAZIN
© Oliver Mark. Trevor Good, Jörg Steinmetz, Camillo Büchelmeier, Zora Del Buono, Stéphane Lavoué, Privat, picture alliance, Johanna Rübel
Redaktion : Brunnenstraße 143, 10115 Berlin, Deutschland Tel: +49 (0)30 / 60 98 58 215 E-Mail: redaktion@philomag.de
Joseph Vogl
INHALT ZEITGEIST 06 08 10 12
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Unsere Frage Sinnbild Radar Dialog Welche Zukunft blüht dem Kapitalismus? Der Kulturtheoretiker Joseph Vogl im Streitgespräch mit dem FDP-Politiker Christian Lindner
20 > Pro & Contra Lässt sich ein Präventivkrieg gegen den Iran rechtfertigen? 22 > Grenzgang Der Hirnschrittmacher Sebastian Glose litt unter schweren Zwangsstörungen, vor einem Jahr hat er sich zwei Elektroden in sein Gehirn einsetzen lassen. Eine Begegnung
26 > Lockerungen Freier denken mit Robert Pfallers neuer Kolumne 28 > Perspektive Pussy-Riot-Bandmitglied Nadeschda Tolokonnikowa über das Wagnis politischer Kunst und ihr großes Vorbild Sokrates
30 > Brauchen wir Around-Ear-Cans? Markus Krajewski testet ein neues Produkt
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Wie viel Tier steckt in mir ? Die Abgrenzung vom instinktgeleiteten Tier ist grundlegend für unser Selbstverständnis als Vernunftwesen. Führende Verhaltensforscher jedoch sehen gerade in der Rückkehr zu unserer animalischen Natur den Weg zum guten Leben. Höchste Zeit, die Frage nach dem Tier in uns neu zu stellen Mit Beiträgen von Svenja Flaßpöhler, Cord Riechelmann, Frans de Waal
© Oiliver Mark, Andrey Stenin/RIA Novosti / picture alliance, Theron Humphrey, Steve Pyke, Andreas Klammt, Tom Mackie / Getty Images
und Andreas Weber
DIE PHILOSOPHEN 56 > Das Gespräch Cornel West: „Amerika ist unterwegs in den Nihilismus.“ Der Philosoph des schwarzen Amerika über Obama als gefallenen Helden, russischen Humor und prophetischen Pragmatismus
62 > Beispielsweise Gauguins Südeseereise war ein ethisches Experiment. Der britische Philosoph Bernard Williams erläutert, warum
63 > Die Kunst, immer recht zu behalten 64 > Buddha Vor 2500 Jahren erwachte Siddhaˉ rtha Gautama zum Buddha. Die von ihm begründete Weltreligion kennt keinen Gott, sondern nur das Glück wahrer Selbsterkenntnis. Philosophen fasziniert der Buddhismus deshalb seit jeher. Mit Beiträgen von Jens Schlieter, Andreas Urs Sommer und Lama Ole Nydahl
BÜCHER Dieses Heft enthält eine 16-seitige Sammelbeilage: „Die Lehrrede der Achtsamkeit“ von Buddha
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Gerechtigkeit für Igel Ronald Dworkin erklärt, weshalb Moral kompromisslos ist Die Wüste denken Zwei Bücher über den philosophischen Faszinationsraum Scobel.mag Die Kolumne mit Durchblick Im Verhör Jürgen Wiebicke lauscht Nietzsches Lyrik Der analytische Bergsteiger Derek Parfit hat den Gipfel seines Schaffens erreicht. Ein Porträt
86 > Ereignis Wir Apokalyptiker Sieben Gründe für unsere Sehnsucht nach dem Weltuntergang
91 92 94 98 NR. 06 — OKTOBER/NOVEMBER 2012
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Projektionen Die Filmkolumne von Florian Henckel von Donnersmarck Agenda Philosophische Termine Comic + Spiele Sokrates fragt Lena antwortet
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ZEITGEIST ZEITGEIST DIALOG DIALOG
Welche Zukunft blüht dem Kapitalismus? Bankrotte Banken werden von hoffnungslos überschuldeten Nationen gerettet. Verzweifelt versuchen Staaten, den globalen Finanzmarkt mit verbindlichen Regeln zu zähmen. Was tun? FDP-Vordenker Christian Lindner streitet mit dem Kulturtheoretiker Joseph Vogl über Wege aus der Finanzkrise Das Gespräch moderierte Wolfram Eilenberger Fotos von Oliver Mark
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reffpunkt Hotel de Rome, Berlin. Früher Sitz der DDR-Staatsbank, heute ein Luxushotel. Für Joseph Vogl sind es nur ein paar Schritte von seinem Büro in der Humboldt-Universität. Christian Lindner fährt wenig später mit dem Taxi vor. Eingeflogen aus Düsseldorf. Im Landtag von Nordrhein-Westfalen wird der ehemalige Generalsekretär die Landtagsfraktion der FDP anführen. Lindner ist der Vordenker seiner Partei, der für seine Neigung zur ideengeschichtlichen Auseinandersetzung immer wieder kritisiert wird. Das schade dem Image, wirke elitär. Auch Joseph Vogl steht mittlerweile unter öffentlicher Beobachtung. Mit dem Erfolg seines Buches „Das Gespenst des Kapitals“ ist der Germanist bei Ökonomie und Politik zum gefragten Gesprächspartner geworden. Wir gehen die Treppen hinunter, in den Keller des Hotels. Wo früher die Finanzreserven eines mittlerweile untergegangenen Staates lagerten, lädt heute ein Spa-Bereich das obere ein Prozent zur Wellness ein. In einem erhaltenen Tresorraum stehen ein Tisch und drei Stühle. Meterdicke Stahltüren, riesige Zahlenschlösser. Wer kennt heute noch den Code? Philosophie Magazin: Herr Lindner, ist die Rede von einer Krise des Kapitalismus aus Ihrer Sicht berechtigt? Lindner: Ja und nein. Nein, weil es nicht den Kapitalismus gibt, sondern unterschiedliche Organisationsformen des privaten Eigentums an Kapital – der angelsächsische unterscheidet sich fundamental vom chinesischen Kapitalismus. Die deutsche Ordnungsidee nennen wir Soziale
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DOSSIER
Wie viel steckt in
mir ? © Tim Flach / Ganz nah / Knesebeck-Verlag
Was ist der Mensch? Über 2500 Jahre kannte unsere Kultur nur eine Antwort: Er ist ein Vernunftwesen, das sich grundsätzlich vom Tier unterscheidet. Neue Erkenntnisse von Evolutionsbiologen und Verhaltensforschern legen ein ganz anderes Selbstverständnis nahe. Soziale Fähigkeiten, Altruismus und Gemeinsinn sind tief in unserem evolutionären Erbe verankert. Weist eine Rückkehr zu unserer animalischen Natur den Weg zum guten Leben? Oder bleibt das Tier in uns der Feind?
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DOSSIER WIE VIEL TIER STECKT IN MIR?
Das Tier und wir Platon (428/427–348/347 v. Chr.): Altes Testament:
Tiere sind des Menschen Untertan
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Im Alten Testame nt bildet die Schöpfungsgeschichte das theologische Fundament für ein dualistisches Verständnis von Mensch und Tier: „Und Gott sprach: Lasset uns Menschen machen in unserem Bilde, nach unserem Gleichni s; und sie sollen herrschen über die Fische des Meeres und über das Gevögel des Himmels und über das Vieh und über die ganze Erde und über alles Gewürm, das sich auf der Erde regt!“
sten i l a u D
Tiere sind unvernünftig
agoras Der Mensch wird im Mythos des Prot Götter die Als eit: amk chts Opfer einer Una n, tatte auss ten gkei Fähi mit en die Lebewes tzschu vergessen sie den Menschen, der Erst als ist. ert elief ausg en Tier den los verleiht, Hermes ihnen Recht und Scham mmenzusa lich können die Menschen fried eidivert Tiere e wild n leben und sich gege noch unft Vern er wed gen. Tiere besitzen die Kunst der Politik. r.) (Dialog „Protagoras“, 388–387 v. Ch
(Genesis 1, 20–27)
Aristoteles (384–322 v. Chr.):
Der Mensch, das politische Lebewesen
Die
ten Kontinualis
Der Mensch ist ein politisc hes Lebewesen (zoon politikon) und teilt diese Eigenschaft mit Herdentieren wie Ameisen und Bienen, denn sie vollbringen im Zusammenleben eine gemeinschaftliche Leistun g (koinon ergon). Der Mensch ist dennoch ein höheres politisches Tier, da nur er über Vernunf t (logos) und Sprache verfügt. („Tierkunde“ und „Politik“, Entstehungszeit unbekannt)
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Michel de Montaigne (1533–1592):
Der Mensch, Gespiele des Tieres
„Wenn ich mit meiner Katze spie le“, fragt Montaig ne, „wer weiß, ob sie nich t vielmehr mit mir spielt?“ In seinem prov okanten Essay „Apologie für Raymond Sebond“ gibt sich Montaigne als Advokat der Tiervernunft. Indem Montaigne den Tier en traditionell menschliche Fähigkeiten wie Sprechen und Denken zuschreibt, kritisiert er das eingebildete Selbstbild des Menschen.
(„Essays“, Zweites Buch, XII. Haupt stück , „Apologie für Raymond Sebond“, 1580)
— PHILOSOPHIE MAGAZIN
Sind Mensch und Tier grundsätzlich verschieden? Oder nur graduell? In der Philosophiegeschichte wurden beide Ansichten vertreten. Die wichtigsten Positionen im Überblick Zusammengestellt von Frederike Kaltheuner
Immanuel Kant (1724–1804):
René Descartes (1596–1650):
Tiere sind Maschinen
In Descartes’ mechanischem Welt bild gleichen Tiere Maschinen. Sie hand eln einzig nach der Disposition ihrer Orga ne; ihre Schreie bedeuten nicht mehr als das Quietschen eines Uhrwerks. Auch der men schliche Körper gleicht einer Maschin e, besitzt allerdings eine davon getrennte Seel e, die dem Menschen Sprache und Vern unft verleiht. („Abhandlung über die Methode des richtigen Vernunftgebrauchs“, 1637)
Tiere sind amoralisch Tiere sind amoralisch, weil sie sich nicht von ihren Instinkten distanzieren können. Folgt der Mensch seiner „Anlage zur Tierheit“ und nicht den moralischen Gesetzen, verfehlt er demnach seine Menschlichkeit. Zwar sollen Tiere nicht gequält werden, aber nur damit das Mitgefühl für andere Menschen nicht abstumpft. („Die Metaphysik der Sitten“, Zweiter Teil, 1797; „Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“, 1793–94)
VerHume unterzieht den menschlichen g: hun rsuc Unte en tisch skep r eine d stan n sche Men Wie Tiere verlassen sich auch att anst , heit instinktiv auf die Gewohn Tier, zu reflektieren. Beide, Mensch und und en lern g hrun Erfa können „von der Wirn elbe dies dass en, von ihr annehm folkungen immer denselben Ursachen gen.“ chlichen („Untersuchung in Betreff des mens Vernunft die r „Übe IX: ilung Verstandes“, Abte der Tiere“, 1748)
Peter Singer (*1946):
Friedrich Nietzsche (1844-1900):
Der Mensch, das Tier in Ketten Gegen das christliche Weltbild erklärt Nietzsche: Der Mensch ist „durchaus keine Krone der Schöpfung, jedes Wesen ist, neben ihm, auf einer gleichen Stufe der Vollkommenheit“. Moral, Religion und Metaphysik haben den Menschen in Ketten gelegt, sodass er verlernt hat, sich „wie ein Thier zu gebärden“. Besonders hoch angesehen hat Nietzsche den Löwen; lediglich das Kind in seiner kompromisslosen Weltbejahung erreicht noch eine höhere Entwicklungsstufe. („Der Antichrist “, 1888, „Menschliches, Allzumenschliches II“, 1878, „Also sprach Zarathustra“, 1883–85)
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Tiere sind weltarm Die Beziehung zur Welt ist bei Mensch und Tier eine jeweils andere. Die Welt des Menschen ist reicher als die des Tieres, da der Mensch ein und dasselbe Seiende unterschiedlich auffassen kann. Die Welt des Menschen vermag sich über Generationen zu verändern, die Welt des triebgesteuerten Tieres bleibt immer gleich. Tiere sind „weltarm“, Menschen dagegen „weltbildend“. („Die Grundbegriffe der Metaphysik: Welt, Endlichkeit, Einsamkeit“, 1929/30)
David Hume (1711–1776):
Der Mensch, das Gewohnheitstier
Martin Heidegger (1889–1976):
Der Mensch, ein Lebewesen ohne besonderen Wert
Singer Der australische Philosoph Peter aus tion hinterfragt die dualistische Posi Ana In . tzes der Perspektive des Tierschu ichbeze s smu logie zu Rassismus und Sexi g der net Singer die Nichtberücksichtigun “. mus zizis „Spe als en Interessen von Tier weLebe n jede s eine t Wer he Der moralisc Fähigsens bemisst sich einzig an seinen nicht keiten. Demnach unterscheiden sich sonen, alle Menschen prinzipiell von Tier igen geist ren dern nur diejenigen mit höhe Kompetenzen. („Animal Liberation. Die Befreiung 1975)
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der Tiere“,
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DOSSIER WIE VIEL TIER STECKT IN MIR?
Tierisches, Allzutierisches
Sie glauben, Tiere seien einfach anders, können vieles nicht, was wir vermögen? Vielleicht irren Sie sich. Für jeden vermeintlichen Unterschied findet unser Autor wenigstens ein Tier, das ihn widerlegt. Ein Bestiarium der hartnäckigsten Vorurteile Von Andreas Weber Fotos von Tim Flach
1. Vorurteil: „Tiere benutzen kein Werkzeug“ Noch in den achtziger Jahren lernten Kinder, dass nur Menschen Werkzeuge benutzen – im Biologieunterricht, der langjährigen Feierstätte für die Besonderheit des Homo sapiens und des latenten Rassismus unserer planetenbeherrschenden Art. Doch hatten die Ethologen einfach nicht wirklich hingeschaut. Seitdem gehen beständig neue Nachrichten ein, um wie viele Ecken Tiere denken können, damit sie etwas bekommen – und wen oder was sie dabei alles instrumentalisieren. Schweine nutzen Spiegel, um nach einer Nahrungsquelle zu schielen, Drosseln schlagen Schnecken an Steinen auf, Bonobos angeln mit Zweigen nach Termiten, Gorillas stützen sich beim Überqueren von Gewässern auf Stöcke, Delfine schützen ihre Schnauze beim Wühlen nach Nahrung durch Schwämme, NR. 06 — OKTOBER/NOVEMBER 2012
Lippfische schlagen mit Geröll Muschelschalen auf, Nacktmulle, die maulwurfsähnlich unter der Erde leben, stopfen sich beim Graben zum Atemschutz Pflanzenteile hinter die Zähne, Krähen biegen Drähte zu Haken, die sie zum Futterfang benutzen. Sogar Insekten nutzen Hilfsmittel: Mithilfe eines Kiesels stampfen Grabwespen den Sand an ihrem Nest fest.
2. Vorurteil: „Tiere sind nicht eitel“ Sieht man näher hin, ist das Tierreich vollgestopft mit Dandys und Ästheten. So baut der Laubenvogel eine kunstvolle Balzhütte, in der er seiner Erwählten im Tanz seine Künste vorführt. Vorher bemalt das Geflügel alles mit einer Mischung aus Pigmenten und Spucke. Noch weiter treiben es Prachtbienen der Gattung Euglossa, die an ihren Hinter-
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DIE PHILOSOPHEN Cornel West
„Amerika ist unterwegs in den Nihilismus“ Der Anzug eines Predigers, Tschechow im Gepäck, die Tradition des Pragmatismus im Herzen. Cornel West, die philosophische Stimme des schwarzen Amerika, über alltäglichen Rassismus, heilende Komik und eine Enttäuschung namens Barack Obama Das Gespräch führte Julien Charnay Fotos von Steve Pike
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aum hat er die Tür seines Büros an der amerikanischen Eliteuniversität Princeton geöffnet, breitet Cornel West seine Arme weit aus und setzt zu einer festen Umarmung an. Ein lachender Philosoph, dessen tiefe Liebe zu Jazz und Blues bereits im Klang seiner Stimme zum Ausdruck kommt. West ist kein Professor wie jeder andere, sondern als politischer Aktivist regelmäßiger Gast in den großen amerikanischen Radio- und Fernsehshows. Sogar in Hollywood-Blockbustern wie „Matrix Reloaded“ ist er in einer Rolle als „Dr. West“ zu bewundern. Natürlich erregt er mit dieser Popularität auch Argwohn, provoziert, eckt an. Wie seine große Leitfigur, Martin Luther King, scheut er keine Kontroverse, geht rhetorisch scharf vor. Im Jahr 2008 noch einer der großen Unterstützer von Barack Obama, hat sich West mittlerweile zu einem der schärfsten Kritiker des amerikanischen Präsidenten entwickelt. In seinem Meisterwerk „The Souls of Black Folk“ („Die Seele der Schwarzen“) beschreibt der große afroamerikanische Intellektuelle W. E. B. Dubois (1868–1963) sein durch den Rassismus der amerikanischen Gesellschaft ausgelöstes Gefühl, „ein Problem zu sein“. Haben Sie dieses Gefühl jemals gehabt? Ich bin unter Schwarzen aufgewachsen: eine ganz andere Erfahrung als bei Dubois, der einer der wenigen Schwarzen in der Stadt war, in der er lebte – auf der weißen Seite Amerikas. Ich hatte nie das Gefühl, dass ich ein Problem sei, denn wir hatten alle die gleiche Hautfarbe. Dubois wird von der Frage „Wie fühlt es sich an, ein Problem zu sein“ verfolgt, denn der einzige Blick auf sich selbst, den er hat, ist der Blick aus der normativen weißen Sicht, also: „Ihr Schwarzen seid ein Problem.“ Meine Ausrichtung ist eine ganz andere.
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In welcher Tradition sehen Sie sich? Ich bin ein Blues-Mann, ein Jazz-Mann, und als solcher sehe ich mich selbst nicht mit dem Blick des weißen Publikums. Ich betrachte mich als jemanden, der in einer großen schwarzen Tradition steht und der auf das weiße Publikum reagiert. Blues und Jazz sind nicht bloß musikalische Formen, sondern ontologische Arten, frei, mutig und mitfühlend zu sein in einer Welt, die mit der Katastrophe ringt. Wird der Blues-und-Jazz-Mann misshandelt oder terrorisiert, so sagt er: Jemand verhängt eine Katastrophe über mich. Die weiße Vorherrschaft ist nicht nur individuell, sondern institutionell. Sie ist kein Problem, sondern eine über die Schwarzen verhängte Katastrophe. Dadurch, dass Sie in einem schwarzen Umfeld fast ohne Kontakt zu Weißen aufwuchsen, konnten Sie im Umgang mit Weißen zwei gegensätzlichen Fallstricken entgehen: nämlich sie entweder als etwas Höheres zu betrachten oder als das Böse … Ich nahm sie weder als Götter noch als Dämonen wahr, sondern als einen Teil des menschlichen Kontinuums. In dem schwarzen Umfeld, aus dem ich kam, war ich schwarzen Gangstern begegnet und kannte diverse Arten, wie Schwarze einander fertigmachen können. Doch auch diese Gangster waren Menschen. Als ich also auf die weißen Brüder und Schwestern traf, wusste ich, unser Blick aufeinander war durch die weiße Vorherrschaft geprägt. Ich wusste, wenn sie mich anspuckten, hatten sie kein Recht dazu. Die weiße Vorherrschaft ist ein Teil der Katastrophe, aber auch ihre Verfechter sind Menschen. Ich hasse das Unrecht, aber sie hasse ich nicht. So wie die Schlägertypen und Gangster: Ich hasste es, wenn sie mich drangsalierten, aber ich hasste sie nicht als Menschen – sie waren meine Freunde, wir wuchsen zusammen auf. — PHILOSOPHIE MAGAZIN
Biografie
Cornel West 1953: Geboren in Tulsa, Oklahoma, USA 1970: Studium in Harvard, unter anderen bei Stanley Cavell und John Rawls 1980: Promotion über Ethik und Marxismus an der Universität Princeton unter Einfluss des dort lehrenden Richard Rorty 1984–2002: Professuren in Yale, an der Universität von Paris, in Princeton und Harvard seit 2002: Professur für Afroamerikanische Studien an der Universität Princeton und für Religionsphilosophie und Christliche Studien am Union Theological Seminary in New York 2009: West trägt mit einem gesprochenen Text zu der Jazz-Platte „Choices“ von Terence Blanchard bei
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DIE PHILOSOPHEN
Der Klassiker
Buddha Vor ungefähr 2500 Jahren „erwachte“ Siddhaˉ rtha Gautama in Nordindien zum Buddha. Bereits zu Lebzeiten wurde er als Verkörperung des Mitgefühls, der Weisheit und der Gelassenheit verehrt. Heute gilt er als Begründer einer der großen Weltreligionen. Allerdings kennt der Buddhismus weder Himmel und Hölle noch einen gütigen Schöpfer, eine dauerhafte Substanz oder ein „Ich“ als Kern der Person. Als Religion kommt das buddhistische Denken ohne Gott, als Philosophie ohne den abendländischen Logos aus, als existenzielle Therapie zwingt es zunächst zur Einsicht, dass Leben Leiden ist. Doch ist dies kein Grund zu Pessimismus: Leiden kann überwunden werden. Wer nach Selbsterkenntnis strebt, meditiert und sich aus der Befangenheit seines Ich löst, erreicht den Zustand maximaler Glückseligkeit – eine Verheißung, von der sich heute vermehrt auch westliche Individualisten angesprochen fühlen. Illustrationen von Andreas Klammt
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SPIELE
! Dasein istSPIELE Tatsache, Leben eine Kunst.! Wie finden wir zum Frieden mit uns selbst und anderen? Wie erlangen wir echte innere Freiheit, Freude, Liebe? Und wie erreichen wir wahres, dauerhaftes Glück? All diese Fragen beantwortet Frédéric Lenoir in seiner kleinen philosophischen Anleitung.
GEWINNSPIEL
GÖTTLICHES PARADOX (Antworten auf Seite 96)
Ü: Elsbeth Ranke Deutsche Erstausgabe 200 Seiten € 14,90
Schicken Sie die passende Unterschrift zu diesem Foto eines Sigmund-Freud-Stickers auf einer Parkuhr in Spanien an: gewinnspiel@philomag.de Wir werden die besten Einsendungen veröffentlichen. Als erster Preis winkt ein Jahres-Abo des Philosophie Magazins.
Verflixtes Ich
Auch Götter sind bisweilen auf Selbstsuche. Doch wie steht es dann um ihre Allwissenheit?
© Eduardo Del Cerro López
Gott 1 fügte hinzu: „Ich denke, wir haben gute Arbeit geleistet: eine Welt im Gleichgewicht, alles perfekt aufeinander abgestimmt von zwei allwissenden Göttern. Jetzt haben wir uns aber eine Pause verdient.“ Gott 2: „In der Tat. Wir können stolz sein. Und es gibt nur uns zwei Allwissende, die dieses Wunder bestaunen können. Wir kennen die ganze Welt, die Geschichte all ihrer Bewohner und die genaue Position jedes noch so kleinen Teilchens. Kein Detail in der Gegenwart oder der Zukunft entkommt unserer absoluten Allwissenheit.“ Gott 1: „Wohl wahr! Da ist nur eine Sache, die mich ein wenig stört ... Ich weiß, dass wir zwei Götter sind, Jupiter und Zeus, und
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ich weiß alles über jeden von uns. Ich weiß zum Beispiel, dass Jupiter von den Römern und Zeus von den Griechen verehrt werden wird. Aber so absurd es klingen mag, da ist etwas, das ich vergessen habe: Bin ich Jupiter und du Zeus, oder andersherum?“ Gott 2: „Hmm, da fragst du mich was, ich habe keine Ahnung. Aber die Hauptsache ist doch: Wir sind allwissend! Wir wissen alles über die Welt, und wir wissen alles über die zwei Götter, die die Welt geschaffen haben – nämlich du und ich.“
© Bruno Klein
„Es werde Licht!“, donnerten Jupiter und Zeus im Chor. Und es wurde Licht.
Gott 1: „Schön und gut, aber ich glaube nicht, dass man allwissend sein kann, wenn man nicht weiß, wer man ist ...“ Wer hat recht: Der erste oder der zweite Gott? Können Jupiter und Zeus allwissend sein, wenn sie nicht wissen, welcher der zwei Götter sie sind?
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