[Sonderausgabe] STAR WARS

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MAGAZIN rSondebe ausga

„Ich bin dein Vater“ Die Tragik der Skywalkers Was ist die Force? Zwischen Tao und Newton War Heidegger ein Sith-Lord? Wie versteht man einen Wookiee?

STAR WARS Der Mythos unserer Zeit 4 198673 809900

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MIT BEITRÄGEN U. A. VON SLAVOJ ŽIŽEK • HARALD LESCH JULIAN BAGGINI • TOMÁŠ SEDLÁCˇEK • HEINZ WISMANN


SONDERAUSGABE 05, NOVEMBER 2015 Redaktion: Brunnenstraße 143, 10115 Berlin, Deutschland Tel.: +49 (0)30 / 47 37 71 18 E-Mail: redaktion@philomag.de Chefredakteurin der Sonderausgabe: Dr. Catherine Newmark (V.i.S.d.P.) Berater: Dr. Wolfram Eilenberger, Sven Ortoli, Cécile Vazeille (Bild) Art-Direktion: Henrike Noetzold Bildredaktion: Tina Ahrens Schlussredaktion: Sandra Schnädelbach Lektorat: Christiane Braun IT: Cyril Druesne Layoutentwicklung: Jean-Patrice Wattinne / L’Éclaireur Übersetzer: Michael Ebmeyer: S. 88–94; Grit Fröhlich: S. 22–25, 38–43, 46–47, 71; Julia Clauß: S. 28–34, 48–52, 59–60, 76–78, 82–85 Praktikantin: Lisa Friedrich Verlag: Philomagazin Verlag GmbH, Brunnenstraße 143, 10115 Berlin, Deutschland, Tel.: +49 (0)30 / 47 37 71 18 E-Mail: info@philomag.de Geschäftsführer und Verleger: Fabrice Gerschel Herausgeberin: Anne-Sophie Moreau Vertrieb: AS-Vertriebsservice GmbH, Süderstraße 77, 20097 Hamburg, Deutschland, www.as-vertriebsservice.de Litho: tiff.any GmbH, Paul-Lincke-Ufer 7, Aufgang 7c, 10999 Berlin Druck: pva, Druck und MedienDienstleistungen GmbH, Industriestraße 15, 76829 Landau in der Pfalz Anzeigen / Nielsen I, V, VI, VII: Jörn Schmieding-Dieck – MedienQuartier Hamburg, Tel.: +49 (0)40 / 60 94 41 401 E-Mail: schmieding-dieck@mqhh.de Anzeigen / Nielsen II, IIIa, A, CH: Andreas Hey – Verlagsbüro Andreas Hey Tel.: +49 (0)67 85 / 94 100 E-Mail: hey@verlagsbuero-hey.de Anzeigen / Nielsen IIIb, IV: Markus Piendl – MAV GmbH Tel.: +49 (0)89 / 74 50 83 13 E-Mail: piendl@mav-muenchen.com Anzeigen Buchverlage / Kultur / Seminare: Thomas Laschinski – PremiumContentMedia Tel.: +49 (0)30 / 60 98 59 30 E-Mail: advertisebooks@laschinski.com Presse- und Öffentlichkeitsarbeit: Sabine Schaub Tel.: +49 (0)30 / 31 99 83 40 E-Mail: s.schaub@schwindkommunikation.de www.schwindkommunikation.de Abo-Service: Philosophie Magazin, Leserservice, PressUp GmbH, Postfach 70 13 11, 22013 Hamburg Tel.: +49 (0)40 / 41 44 84 63 Fax: +49 (0)40 / 41 44 84 99 E-Mail: philomag@pressup.de Online-Bestellungen: www.philomag.de Das Philosophie Magazin ist erhältlich im Bahnhofs- und Flughafenbuchhandel in Deutschland.

Denker SLAVOJ ŽIŽEK Der slowenische Philosoph und Psychoanalytiker, einer der einflussreichsten Intellektuellen Europas, ist bekannt für seine zugespitzten Zeitdiagnosen und virtuosen Popkulturanalysen. In diesem Heft widmet er sich der Schlüsselszene von „Star Wars“: Die Wendung des „guten“ Anakin zum „bösen“ Darth Vader stellt für ihn eine Handlung äußerster moralischer Integrität dar. Seite 56

HARALD LESCH In „Star Wars“ vereinen sich zwei große Leidenschaften des bekannten Physikers, Wissenschaftsjournalisten und Professors der LudwigMaximilians-Universität in München: Astrophysik und Science-Fiction. Im Interview erläutert er den neuesten Stand der Weltraumforschung und raubt uns nachhaltig jede Hoffnung, dass wir jemals in andere Galaxien reisen könnten. Seite 95

CLOTILDE LEGUIL Wie viel Ödipus steckt in „Star Wars“? Dieser Frage geht die französische Philosophin und Psychoanalytikerin in ihrem Beitrag nach. Sie analysiert mit Jacques Lacan die Beziehung zwischen Luke Skywalker und seinem übermächtigen Vater als moderne Fassung einer mythischen Familienkonstellation und erläutert uns seine universelle Bedeutung. Seite 28

YVES BOSSART Seit Wittgenstein wissen wir, warum wir einen Löwen nicht verstehen könnten, selbst wenn er unsere Sprache spräche: Wir können uns nicht in ihn einfühlen. Warum die Kommunikation zwischen so unterschiedlichen Lebewesen wie Wookiees und Robotern im „Star Wars“Universum dennoch so problemlos gelingt, erklärt der Schweizer Philosoph und Buchautor in seinem Beitrag. Seite 68

JULIAN BAGGINI In „Star Wars“ werden fernöstliche Weisheiten weichgespült und bis zur Sloganhaftigkeit entfremdet: Zu diesem Urteil gelangt der britische Philosoph und Mitbegründer von The Philosophers’ Magazine. Die Verschmelzung von westlichem Turbokapitalismus und östlicher Entsagungslehre ist für ihn ein fauler Kompromiss, der aber perfekt das Lebensgefühl einer Generation traf. Seite 91

TOMÁŠ SEDLÁCˇEK Er ist Chefökonom der Tschechoslowakischen Handelsbank, berät die tschechische Regierung und lehrt Wirtschaftsgeschichte und Philosophie an der Karls-Universität in Prag. In seinem Beitrag vergleicht er den Glauben an die allumfassende Force im „Star Wars“-Universum mit dem gegenwärtigen Glauben an die Macht des Marktes und erkennt darin einen verwandten ideologischen Fetisch. Seite 88

PHILOSOPHIE MAGAZIN

SONDERAUSGABE 05

Fotos: picture-alliance/dpa; picture-alliance; Nathalie Tufenkjian/PUF; privat; Quercus Publishing PLC; picture-alliance

IMPRESSUM


Inhalt Editorial Impressum / Denker

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6 CHRONOLOGIE Episode IV Episode V Episode VI Episode I Episode II Episode III

35 MAY THE FORCE BE WITH YOU

Kalter Krieg in den Sternen Sven Ortoli

Das böse Subjekt Slavoj Žižek

Alexandre Lacroix

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War Heidegger ein Sith? Wolfram Eilenberger

Die Kraft in allem Catherine Newmark

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Priester für unsere Zeit Baptiste Morizot

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Der Weltraum im Used-Look

65 MENSCHEN, MASCHINEN, ALIENS

Sven Ortoli

Tristan Garcia

Martin Legros

Tomáš Sedlá ek

Fotos: Collection Christophel © Lucas Film / Walt Disney Productions (5)

Julian Baggini 46

Ritter aus dem Fernen Osten Lisa Friedrich

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53 DIE DUNKLE SEITE

Clotilde Leguil

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Wookiees verstehen – aber wie? Yves Bossart

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Sie sind unter uns. 71

Unterwegs zum Klonkrieg?

Per Zwölfzylinder durch die Galaxie Tobie Nathan

Interview mit Harald Lesch

Das abwesende Geschlecht

Zu den Bildern von Cédric Delsaux

Befreiung vom Übervater

Interview mit Stefan Heinemann

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74

Der Roboter als Komiker Pierre Cassou-Noguès

STAR WARS

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„Es ist alles voller Galaxien!“ Lisa Friedrich

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Achilles und Ödipus meet Wild West Interview mit Heinz Wismann

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88

Spätkapitalistische Supermarktspiritualität?

Apathie in der Galaxie

Interview mit Alexis Lavis

82

Der Glaube versetzt Sterne 40

Interview mit Thomas Bénatouïl

80

Revolution unter dem Sternenbanner

Von Newton bis Yoda. Die Force

Die Reise des Helden

79 DIE ORDNUNG DES KOSMOS

Jedi-Meister Augustinus gegen Darth Faustus

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19 EIN NEUER MYTHOS

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STAR WARS

1969

1971

1972

› 21. Juli: Neil Armstrong und Buzz Aldrin landen mit der Apollo 11 auf dem Mond.

› Lucas’ erster Film „THX 1138“, der von den Ängsten des Individuums gegenüber einer durchtechnologisierten und seelenlosen Welt handelt, ist ein Flop.

› 26. Mai: Das sogenannte SALT-I-Abkommen zwischen den USA und der UdSSR beschränkt die Anzahl von Raketenabwehrsystemen der beiden Länder.

› Präsidentschaft Richard Nixons (1969–1974). George Lucas wird Nixon später als Inspiration für den bösen Imperator Palpatine bezeichnen.

EPISODE IV

In der oberen Hälfte dieser Chronologie finden sich die Ereignisse, die sich „vor langer Zeit in einer weit, weit entfernten Galaxis“ abgespielt haben, mithin eine Synopsis der Filme in der Reihenfolge ihrer Entstehung. Im unteren Teil finden sich einige Ereignisse, die sich im Zeitraum der Entstehung der Filme parallel dazu in unserer Galaxis abgespielt haben.

EINE NEUE HOFFNUNG (1977)

› Im Galaktischen Imperium herrscht Krieg. Rebellen ist es gelungen, an die Baupläne des imperialen Todessterns zu gelangen, einer Kampfstation, die so mächtig ist, dass sie ganze Planeten auslöschen kann. Prinzessin Leia ist die Aufgabe übertragen worden, die geheimen Pläne zum Rebellenstützpunkt auf Yavin IV zu bringen. Unterwegs wird Leias Raumfähre von imperialen Truppen aufgehalten und durchsucht. Es gelingt ihr, die Pläne im

1974 › Lucas beginnt mit den ersten Entwürfen für „Star Wars“, das zunächst „Journal of the Whills“ heißen soll und dessen Held den Namen Luke Starkiller trägt.

› Lucas’ Freund Francis Ford Coppola bietet ihm an, im Film „Apocalypse Now“ die Regie zu führen, Lucas schlägt das Angebot jedoch aus; 20th Century Fox stellt 150 000 Dollar für die Finanzierung seines „Weltraumwestern“ bereit.

1973 › Ölpreiskrise in Europa und den USA › Lucas’ Film „American Graffiti“ ist ein Erfolg.

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› Der Chemiker James Lovelock und die Mikrobiologin Lynn Margulis beschreiben mit ihrer „GaiaHypothese“ die Erde als lebendes Wesen.

› 9. August: Nixon tritt infolge des WatergateSkandals zurück.

1975 › Lucas liest das Werk „Der Heros in tausend Gestalten“ des Mythenforschers Joseph Campbell und schreibt die dritte Version von „Star Wars“, in der Lukes Vater ein Jedi ohne Bezug zu Darth Vader ist.

Fotos: Collection Christophel © Lucas Film / Walt Disney Productions (5); NASA (2)

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GALAKTISCHE CHRONOLOGIE

CHRONOLOGIE


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CHRONOLOGIE

Inneren des Droiden R2-D2 zu verstecken, der zusammen mit dem Protokolldroiden C-3PO in einer Rettungskapsel entkommt, während Prinzessin Leia von dem imperialen Anführer Darth Vader gefangen genommen wird. Die zwei Roboter landen auf dem Planeten Tatooine, wo sie in der Wüste von Schrotthändlern, den Jawas, aufgegriffen werden. › Der junge Luke Skywalker kauft den Jawas die zwei Droiden für seinen Stiefvater, den Feuchtfarmer Cliegg Lars, ab. Zufällig entdeckt er die Nachricht, die Leia im Inneren von R2-D2 hinterlassen hat, in der sie Obi-Wan Kenobi um Hilfe bittet. › Währenddessen droht Wilhuff Tarkin, General des Imperiums, der gefangenen Prinzessin damit, ihren Heimatplaneten

Alderaan zu zerstören, sollte sie den Standort der Rebellen nicht verraten. Obwohl Leia vorgibt, den Stützpunkt zu verraten, wird Alderaan durch einen Schuss des Todessterns zerstört. › Unterdessen begegnet Luke auf Tatooine Ben (alias Obi-Wan) Kenobi und erfährt von ihm, dass sein Vater ein Jedi war. Obi-Wan übergibt Luke dessen altes Lichtschwert. › Die Truppen des Imperiums haben inzwischen die Spur der zwei Roboter R2-D2 und C-3PO aufgenommen. Als Luke nach Hause zurückkehrt, stellt er fest, dass imperiale Truppen seine Familie umgebracht und ihr Haus zerstört haben. Er beschließt daraufhin, sich Obi-Wan und den zwei Robotern anzuschließen, die die Baupläne des Todessterns nach Alderaan bringen wollen.

› In der Raumfahrt-Hafenstadt Mos Eisley trifft das Vierergespann auf Han Solo und seinen Copiloten Chewbacca. Diese erklären sich bereit, sie gegen Bezahlung auf dem Raumschiff Millennium Falke an ihr Ziel zu bringen. Mit dem Verdienst will Han seine Schulden bei Jabba dem Hutten begleichen. Auf dem Weg nach Alderaan unterweist ObiWan Luke erstmals in der Jedi-Kunst. › Als sie in das System Alderaans gelangen, müssen sie feststellen, dass der Planet verschwunden ist. Stattdessen treffen sie auf den Todesstern, dessen magnetisches Feld ihr Raumschiff an Bord zieht. Es gelingt ihnen, unbemerkt ins Innere des Todessterns zu gelangen. › Luke und Han befreien dort Leia, während Obi-Wan den magnetischen Fangstrahl

deaktiviert und sich Darth Vader entgegenstellt, um den anderen die Flucht zu ermöglichen. Im Kampf stirbt Obi-Wan. › Der Besatzung des Millennium Falken gelingt die Flucht zum Rebellenstützpunkt auf Yavin IV. Dort bereiten sich alle auf einen Angriff gegen den Todesstern vor, dessen einzige Schwachstelle sich dank der von Leia entwendeten Pläne feststellen lässt. › Gleichzeitig plant Darth Vader die Zerstörung von Yavin IV. In letzter Sekunde und mithilfe der Force gelingt es Luke, mit seinem Kampfflieger den Schwachpunkt des Todessterns zu treffen und ihn zu zerstören. Die Rebellen haben einen ersten Sieg über das Imperium erzielt. •

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Mai: Lucas gründet mit Industrial Light & Magic ein eigenes Unternehmen für filmische Spezialeffekte. › Im Lawrence Livermore National Laboratory führen zwei Physiker Versuche zur militärischen Applikation von Röntgenstrahlung durch – unter dem Namen Excalibur wird dieses Projekt später von der amerikanischen Regierung gefördert.

› Der Physiker Fritjof Capra publiziert den Bestseller „Das Tao der Physik“, das die philosophische Übereinstimmung von moderner westlicher Physik und östlicher Mystik zu zeigen versucht.

1976

1977

› Beginn der Dreharbeiten für den ersten „Star Wars“Film in Tunesien

› John Dykstra entwickelt eigens für den Dreh von „Star Wars“ die Kamera Dykstraflex, die es erlaubt, komplexe Spezialeffekte aufzunehmen.

25. Juli: Die NASA veröffentlicht das erste Foto vom Mars, aufgenommen von der Sonde Viking 1. 17. September: Die erste NASA-Raumfähre wird in Anwesenheit des „Star Trek“-Erfinders Gene Roddenberry „Enterprise“ getauft (siehe Bild links).

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25. Mai: „Star Wars“ kommt in den USA in die Kinos – den Zusatztitel „Eine neue Hoffnung“ wird der Film erst später erhalten.


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EIN NEUER MYTHOS

HOLLYWOODS MEISTERERZÄHLER Der 1904 in White Plains, New York geborene Joseph Campbell studiert zunächst Biologie und Mathematik, bevor er sich den Geisteswissenschaften zuwendet. Er widmet sich der englischen, später auch altfranzösischen, provenzalischen und, angeregt durch eine Begegnung mit dem indischen Philosophen Jiddu Krishnamurti, altindischen Literatur, unter anderem in Paris und München. Zurück in den USA, bricht er 1929 sein Promotionsstudium ab, weil seine Fächerwahl – Sanskrit, Moderne Kunst und Mittelalterliche Literatur – der Fakultät an der Columbia Universität zu eklektisch ist. Es folgen – während der Großen Depression – Jahre des Selbststudiums und des unsteten Reisens in den USA. 1934 erhält Campbell eine Professur am Institut für Literatur am Sarah Lawrence College in der Nähe von New York, wo er beinahe 40 Jahre lang unterrichten wird. 1987 stirbt Campbell in Honolulu. Im Zuge seiner breiten vergleichenden Studien zu unterschiedlichen Literaturen sowie auf Grundlage seiner Faszination für die indigenen Kulturen Amerikas wurde Campbell zum vergleichenden Mythenforscher, ein Gebiet, das er noch heute in den USA prägt und das – insbesondere nachdem Hollywood

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seine Werke entdeckt hatte – ihn zu einem der einflussreichsten Gelehrten des 20. Jahrhunderts machen sollte. Sein Hauptwerk „Der Heros in tausend Gestalten“ (Originaltitel: „The Hero with a Thousand Faces“) aus dem Jahre 1949 wurde später zur Standardlektüre der Filmwissenschaften. In ihm untersucht Campbell Mythen aus verschiedenen historischen Epochen und kulturellen Kontexten und stellt fest, dass es – trotz unbestreitbarer Differenzen – bestimmte Leitmotive gibt, die zeit- und kulturunabhängig in den Märchen, Mythen und Erzählungen auftauchen. Er nennt diesen einheitlichen Aufbau den „Monomythos“ und erklärt ihn unter anderem in Bezug auf die Psycho analyse C. G. Jungs. Dieser beschreibt die wiederkehrenden Symbole, Figuren und Bilder anhand psychologischer Bedürfnisse, die aus dem Unterbewussten des Menschen aufsteigen und sich in Fantasien manifestieren, als „Archetypen“. Anhand von Mythen hätten Menschen schon immer versucht, das Unbekannte zu erklären, so Campbell. Die Rezeption von Mythen regt uns an, über unser eigenes Leben nachzudenken und das eigene Verhalten zu hinterfragen. Daher sind sie auch für heutige Generationen von großer Bedeutung. •

Die Reise des Helden LISA FRIEDRICH

Der für Hollywood wahrscheinlich einflussreichste Gelehrte des 20. Jahrhunderts war Joseph Campbell, ein vergleichender Literatur- und Mythenforscher, dessen Werk „Der Heros in tausend Gestalten“ zur Bibel der Drehbuchautoren wurde. George Lucas hat intensiv mit Campbell zusammengearbeitet und seine „Star Wars“-Saga exakt an den Grundlinien von dessen Mythentheorie ausgerichtet. PHILOSOPHIE MAGAZIN

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EIN NEUER MYTHOS

DER MENTOR HINTER DER SAGA Jeder Jedi hat einen Meister oder Mentor. Und George Lucas selbst? „Ich glaube, mein letzter Mentor war wahrscheinlich Joe …“, antwortete er 1999 in einem Interview mit Bill Moyers auf seiner imposanten Skywalker Ranch in den Hügeln Nordkaliforniens. Jahre zuvor hatte er in den Weiten des abgeschiedenen Anwesens ausgedehnte Spaziergänge mit „Joe“ Campbell unternommen und lange Gespräche über die Welt der Mythen und Märchen geführt. Wie andere große Drehbuchautoren hatte George Lucas den Wert, den Campbells Heldenreise für Hollywood hatte, früh erkannt. 1975, zwei Jahre vor dem Erscheinen des ersten Teils seiner „Star

Wars“-Saga, als Lucas sich bereits im intensiven Schreibprozess für das Drehbuch befand, begann er mit der Lektüre des „Heros in tausend Gestalten“. Wie Campbell glaubte Lucas an das erzieherische Potenzial von Mythen. In „Star Wars“ wollte er daher alte Geschichten in einem zeitgenössischen Kontext erzählen und sie durch das Medium Film jüngeren Generationen zugänglich machen. Er war begeistert von der Heldenreise, die Campbell in seinem Buch schildert, und suchte den persönlichen Kontakt zu dem Professor. Auf seiner Suche nach Ideen und Motiven, die sich über mehrere Kulturen erstrecken und die großen Fragen der Menschheit behandeln, war Joseph

Campbell ihm ein erfahrener und fachkundiger Gesprächspartner und Ideengeber, der ihm nicht nur Mentor, sondern auch ein enger Freund wurde. Obwohl er zahlreiche einflussreiche Werke auf dem Gebiet der Mythologie publiziert hatte, waren es letztlich „Star Wars“ und eine Fernsehgesprächsreihe mit Bill Moyers auf der Skywalker Ranch, gesendet unter dem Titel „Jospeh Campbell and the Power of Myth“, die Joseph Campbell posthum berühmt machten. Die Fernsehausstrahlung der Gespräche über Genealogie und Bedeutung von Mythen und den Einfluss, den sie auf die heutige Gesellschaft ausüben, erreichte in Amerika ein Millionenpublikum. •

DER MONOMYTHOS

Fotos: Collection Christophel © Lucas Film / Walt Disney Productions; Matthew Naythons/The LIFE Images Collection/Getty Images

Campbell nennt die Grundstruktur, an der sich alle Mythen orientieren, den „Monomythos“. Er folgt dem Aufbau Aufbruch – Initiation – Rückkehr. Im ersten Stadium befindet sich der Held für gewöhnlich im Übergang in einen neuen Lebensabschnitt, sein Selbst erwacht, er übertritt eine Schwelle ins Unbekannte. Einer Seele, die reif für Verwandlung ist, erscheint meist ein Bote, der ihr Führer und Ratgeber wird. Wenn der Held dem Ruf folgt, muss er sodann Abenteuer bestehen: Er begibt sich auf den Weg der Prüfungen, häufig muss er eine Mission erfüllen, die einer größeren Sache, dem Wohl der Allgemeinheit, dient. In diesem Stadium findet die Transformation des Helden vom Kind zum Erwachsenen statt. Schließlich übertritt der Held die zweite Schwelle, kehrt zurück und bringt seiner Gesellschaft Segen und Versöhnung. Nicht nur orientiert sich „Star Wars“, insbesondere die erste Trilogie, streng an der Struktur von Campbells Monomythos, auch die Konzeption der Charaktere geschieht in enger Anlehnung an die von Campbell beschriebenen mythischen Figuren: Der Held, der Tyrann, der Vater, der Helfer oder die weiblichen Charaktere, die es zu retten gilt, finden alle im „Heros in tausend Gestalten“ ihre Grundlage. Die monomythische Struktur zeigt sich auch auf der humorvollen Seite der Saga: Der Roboter C-3PO spiegelt während der ganzen ersten Triologie die Heldenreise auf ironische Weise wider: Er begibt sich auf eine Suche, wird in seine Einzelteile zerlegt und „wiedergeboren“ – und schließlich gar von den teddybärähnlichen Ewoks zum Gott erhoben. •

Die Aufgabe des Heros ist, den festhaltenden, verstockten Aspekt des Vaters – den Drachen, den Wächter, den Ogerkönig – zu beseitigen und die Lebensenergien, die die Welt nähren sollen, aus der Umklammerung zu lösen und freizusetzen.“ Joseph Campbell, „Der Heros in tausend Gestalten“ (1949)

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Achilles und Ödipus meet Wild West

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DEM VATER BEGEGNEN In „Das Imperium schlägt zurück“ tritt Luke erstmals Darth Vader gegenüber. Im Duell offenbart ihm der Sith-Lord, dass er Lukes Vater ist.

Der Hellenist und Philologe Heinz Wismann findet an vielen Stellen der „Star Wars“-Saga Anklänge an griechische Mythen und beobachtet ganz allgemein ein Revival der großen mythologischen Strukturen in der Gegenwart. „Star Wars“, so Wismann, ist die „Ilias“ mit einer Prise Freud und einem Schuss Western. INTERVIEW MIT HEINZ WISMANN VON SVEN ORTOLI

PM: Herr Wismann, wann und wie haben Sie „Star Wars“ entdeckt? ★  Heinz Wismann: Als der erste Film damals in die Kinos kam, haben ihn mir befreundete Philosophen eindringlich empfohlen. Sie hatten darin jede Menge Stoff zum Nachdenken gefunden. Ich persönlich war vor allem von dem Kontrast zwischen der recht simplen Handlung und ihrer unglaublich ausgeklügelten bildli-

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chen Umsetzung beeindruckt. Für mich war der Film eine Anregung, darüber nachzudenken, auf welch paradoxe Weise der Mythos in der modernen Gegenwart zutage tritt.

Welche ist Ihre Lieblingsszene im ganzen Epos? ★ Wahrscheinlich – was nicht sonderlich originell ist – der Kampf zwischen Darth Vader

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Fotos: Collection Christophel © Lucas Film / Walt Disney Productions (2)

und Luke Skywalker. In dieser Konfrontation liegt etwas Frappierendes, denn auf beiden Seiten steht dieselbe Macht, die Force. Instinktiv würde man sich gern auf die gute Seite stellen, allerdings merkt man, dass dieses helle Gute von etwas sehr Dunklem genährt wird und dass der Sohn leicht gegen den Vater gewinnen kann: In ihnen lebt dieselbe Kraft, die sich am Ende als reine Gewalt manifestiert. In dieser Schlüsselszene, in der man entdeckt, dass es eine Äquivalenz zwischen der Kraft des Sohnes und der des Vaters gibt, berührt man einen der entscheidenden Aspekte der

Reflexion über Gut und Böse, die das religiöse Denken bis hin zu seinen psychoanalytischen Ausläufern umtreibt. Aber da mich in gewisser Weise abgefahrene Dinge faszinieren, gefallen mir auch die Szenen, die dieses unerbittliche, zutiefst manichäische Universum mithilfe des Humors ein wenig untergraben. Neben der Entfesselung absoluter Gewalt gibt es die Momente albernen Gekichers, die der Roboter C-3PO auslöst. Durch ihn wird der radikale Dualismus des Krieges durchkreuzt und man findet inmitten der mörderischen Technik so etwas wie ein Stück Menschlichkeit wieder. Die Roboter sind in erster Linie lustige Figuren, die die Ironie bedienen. In der großen „Star Wars“-Maschinerie sind sie eine Art Deus ex Machina. Sie schenken einem dieses kleine ironische Lächeln, mit dem wir Abstand gewinnen können zu dem Schicksal, in das die ernsthaften Figuren verstrickt sind. Sie spielen ein wenig die Rolle der grotesken Figuren, die im griechischen Satyrspiel auftraten,

das im Anschluss an die Tragödien aufgeführt wurde und wo man dieselbe Geschichte zeigte, nur mit einer komischen Wendung. Der Sinn war, über das zu lachen, was einen zuvor zum Weinen gebracht hat, um die Lebensgeister zu befreien. Freud sagte, dass es den Witz brauche, um sich der übermäßigen Spannungen unserer Psyche entledigen zu können. In Lucas’ „Star Wars“-Filmen spielt der Roboter diese Rolle. Er ist eine Verkörperung des Witzes.

In einem Interview, das er zum Start von „Das Imperium schlägt zurück“ gegeben hat, sagt „Star Wars“-Erfinder George Lucas, sein Film bringe die mythologische Wirklichkeit des Lebens zum Ausdruck. Übertreibt er da nicht ein wenig? ★ Gar nicht so sehr. Die Wirklichkeit, von der er spricht, gibt es, seit die Menschheit zu verstehen versucht, was auf sie zukommt. Es geht im Prinzip darum, in der uns umgebenden Welt herauszufinden, welche Kraft welche Wirkung hat. Die sogenannte mythologische Tätigkeit kann also abstrakt definiert werden als Versuch, Kausalketten offenzulegen, die für eine Reihe bestimmter Wirkungen auf einen ersten Beweger verweisen, den man als Gott bezeichnet – darum findet man auch in den Anfängen jeder Kultur Polytheismus. Bei den Griechen beispielsweise wird alles, was mit dem sexuellen Begehren, mit erotischen Leidenschaften zusammenhängt, mit Aphrodite in Verbindung gebracht, der Krieg hängt mit Ares zusammen und so weiter. Die Mythen konstruieren also voneinander unabhängige Kausalketten, die Manifestationen der Macht sind: Sie gehören zu einem polyzentrischen Universum, dessen Einheit man noch nicht erkannt hat. Sie werden sehen, dass noch heute, wo wir das Universum des Mythos längst hinter uns gelassen haben, jeder sein Leben „mythologisiert“, indem er sich Kausalketten vorstellt – nur mit dem Unterschied, dass der Polytheismus heute nicht mehr explizit ist. Zum Beispiel? ★ Nehmen wir den Fall einer beruflichen Niederlage. Jeder wählt eine Strategie, um sein Scheitern diesem oder jenem Element zuzuschreiben, das ihn von seiner Verantwortung enthebt oder dieselbe schmälert: „fehlendes Glück“, „die Naturgewalten waren gegen mich“ et cetera. Wir sagen also, dass die entscheidenden Kräfte, die für das Gelingen des Vorhabens notwendig gewesen wären, durch

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einen bösen Geist verhindert wurden, durch eine Macht, die wir als Grund all unseres Unglücks ausmachen. Oder auch als Grund all unseres Glücks, denn der Mechanismus funktioniert auch in die positive Richtung. Man kann dieselbe Argumentation anstellen, um einen Erfolg darauf zurückzuführen, dass man unter einem bestimmten Sternzeichen geboren wurde oder eine Hasenpfote oder ein Hufeisen bei sich hatte. Diese Macht, dieses gesichtslose Etwas, dem der Mythos durch verschiedene Gottheiten Gestalt zu geben versucht, ist im Bösen wie auch im Guten präsent. Doch man kann versuchen, sie sich anzueignen: Darin besteht die mythologische Tätigkeit par excellence. In der „Ilias“ haben die Götter, die den Trojanern beziehungsweise den Griechen beistehen, abwechselnd die Macht auf ihrer Seite, und vom Berg Ida aus wacht Zeus mit seiner Waage darüber, dass das Schicksal gerecht verteilt sei. Ähnlich ist auch die Welt, die „Star Wars“ beschreibt, eine Welt, in der es darum geht, sich den Beistand der Force zu sichern.

Sie sehen also Ähnlichkeiten zwischen „Star Wars“ und der „Ilias“? ★ In Homers Epos über den Trojanischen Krieg gibt es etwas, das wir Philologen Aristien nennen, das heißt verschiedene Heldentaten, mit denen bestimmte Helden – Hektor, Diomedes oder Ajax – ihre Tapferkeit unter Beweis stellen. Im Verlauf dieser Aristien flößt ihnen jedes Mal eine Gottheit die nötige Kraft ein, damit sie sich selbst übertreffen können. Athene zum Beispiel macht Diomedes zu einem unbesiegbaren Kämpfer, sodass es ihm sogar gelingt, Ares und Aphrodite zu verwunden, ehe Apollon diese daran erinnert, dass Menschen keine Götter sind! Doch sobald Athene sich zurückzieht, wird Diomedes wieder ein normaler, wenn auch sicher überdurchschnittlicher Krieger. In „Star Wars“ haben wir es auch mit nichts anderem als Aristien zu tun. Ich habe schon die bekannteste erwähnt, wo Luke Skywalker und Darth Vader einander gegenüberstehen, aber es gibt noch viele mehr. Also ja: „Star Wars“ ist eine Art „Ilias“. In „Star Wars“ gibt es aber keinen göttlichen Richter! ★ Nein, aber es gibt ein Prinzip, das Zeus’ Waage ein wenig ähnelt, die die Moira symbolisiert, das Prinzip der gerechten Verteilung des Schicksals: Hesiod, der den Übergang vom Mythos zur Philosophie einleitet, indem er die

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32 George Lucas’ „Star Wars“-Filme folgen tief verwurzelten Erzählmustern unserer Kulturgeschichte, sie sind, wie jede gelungene Mythologie, ein Patchwork. Lucas hat in ihnen aber auch dem legendären Objekt der Moderne schlechthin, dem Automobil, ein Denkmal gesetzt.

TOBIE NATHAN

I

m Pantheon der Mythenstifter wird George Lucas einmal seinen Platz neben Homer finden. Wie Homer hat Lucas eine Vielzahl unterschiedlicher Mythen und Erzählungen gesammelt und in einem großen Epos miteinander verwoben. So entstand „Star Wars“, dieser Trojanische Krieg, der in der Zukunft – oder aber in einer sehr fernen Vergangenheit, sehr, sehr weit weg – spielt. Das fluoreszierende Lichtschwert erinnert an Excalibur, das sagenhafte Schwert des Königs Artus; die Jedi erscheinen als Wiedergänger der Ritter der Tafelrunde; Luke Skywalker steigt wie Orpheus in die Unterwelt, wenn auch bekleidet mit dem Helm eines Jetpiloten, und besiegt

den Todesstern; die Zwillinge Luke und Leia, deren Kräfte sich schon bei ihrer Geburt offenbaren, sind die Reinkarnation von Apollon und Artemis. „Star Wars“ ist eine Ilias der Gründungsmythen, eine Odyssee – reich an Monstern, Riesen und Titanen und voll unzähliger Hindernisse, denen der Held auf seiner Irrfahrt zu sich selbst begegnet. „Star Wars“ ist auch eine Form mystischer Erzählung, ähnlich den Initiationen indischer oder sibirischer Schamanen. Von Visionen heimgesucht, bricht der Held zu einer Reise in andere Welten auf und trifft dort auf seinen Meister, der ihn in den Techniken seiner Macht unterweist, ganz so wie in früheren Initiationsriten. Inspiration fand Lucas bekanntermaßen bei Joseph Campbell, der über das Studium der

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Kulturen der indigenen Bevölkerung Nordamerikas zum Experten indianischer Mythologien wurde. Ähnlich wie Yoda in „Die Rückkehr der Jedi-Ritter“ hatte Campbell sich fünf Jahre ganz von der Welt zurückgezogen, um in einer Waldhütte sämtliche mythologischen Texte zu studieren. Im Anschluss formulierte er unter Rückgriff auf C. G. Jung eine eigene Mythentheorie, die sich mit der vedischen Maxime zusammenfassen ließe: „Die Wahrheit ist eins, die Weisen nennen sie mit vielen Namen.“ Alle Mythen lassen sich also auf einen einzigen großen Mythos beziehen, dessen archetypische Grundstruktur herausgearbeitet werden kann. Alle Religionen sind damit nur verschiedene Ausformungen derselben transzendenten Realität. Campbell hat selbst


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Fotos: Collection Christophel © Lucas Film / Walt Disney Productions (4)

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eine Anzahl bestimmter mythischer Grundmuster analysiert, die von Hollywood ganz ungeniert als filmische Erfolgsrezepte verwendet wurden. So etwa das des archetypischen Helden, das in „Star Wars“ eins zu eins umgesetzt ist. Die sogenannte Heldenreise beginnt mit dem Ruf, der den Helden aus seiner Alltagswelt herausreißt. Es kommt zur Konfrontation mit dem Hüter der Schwelle, dann begegnet der Held seinem Mentor und Meister und muss eine Reihe von Bewährungsproben bewältigen, die damit enden, dass der Held seinen Meister übertrifft. Am Ende dieses Emanzipationsprozesses erreicht er das angestrebte Ziel seiner Suche, das von Campbell als Versöhnung mit dem Vater gedeutet wird. George Lucas hat Campbells Heldentheorie perfekt umgesetzt, bis hin zum Namen desjenigen, dem Luke Skywalker im entscheidenden letzten Kampf gegenübertritt: Darth Vader. Er ist Feind und Vater zugleich, ein „dunkler Vater“ (vader: niederländisch für Vater), der von Luke am Ende vor der Verdammung bewahrt wird. Der weltweite Erfolg von „Star Wars“ beruht auf dem gelungenen Patchwork, das allgemein ein Strukturelement von Mythen ist. Zugleich ist „Star Wars“ ein sehr persönliches Werk: Der Name des Helden – Luke – ist deutlicher Verweis auf den Drehbuchautor und Regisseur Lucas. Obwohl sich der junge George Lucas dem Studium der Anthropologie und Mythologie gewidmet hat, ist er aber vor allem eines: ein Autonarr. Sein erster Spielfilm, „American Graffiti“ (1973), zeigt eine Autofahrt, bei der ein Chevrolet Bel Air Impala 58, ein wunderschöner Mercury Coupé 51 und ein gelber Hot Rod auf der Suche nach einem Ford Thunderbird 56 und seiner blonden Fahrerin durch die

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Nacht cruisen, das Ganze zu einem Soundtrack aus Rock ’n’ Roll der fünfziger Jahre. Lucas’ Faszination für Autos zeigt sich auch in der Akribie, mit der er die Fahrzeuge in „Star Wars“ gestaltet hat. Gerade unter Jugendlichen sind Autos so beliebt, weil sie einen Sieg der Vernunft über die Natur darstellen. Der Mensch kann Struktur, Verhalten und Evolution tierischer Spezies untersuchen; sie bleiben ihm letztlich doch undurchdringlich, weil es Lebewesen sind wie der Mensch selbst. So verlegt er sich auf die Herstellung einer automobilen Spezies, deren Evolution der Entwicklung theoretischer Konzepte folgt. Der Mensch vollzieht so den Statuswechsel vom Geschöpf zum Schöpfer und zum Urheber neuer Arten, deren Evolution er aktiv steuert. Die Magie, so lehrt uns Marcel Mauss, ist die Kunst, Naturerscheinungen dem menschlichen Verstand in technischer Weise zu unterwerfen; das Auto ist also die moderne Quintessenz der Magie. Es imitiert im Übrigen die Morphologie der Wirbeltiere. Es hat eine stabile Stützstruktur im Körperinneren, vergleichbar einem Skelett (das Fahrgestell),

X-FLÜGLER Leichtes Kampfgefährt der Rebellenallianz, das mit einem Piloten und einem Droiden bemannt ist. An Bord eines solchen Sternjägers zerstört Luke den ersten Todesstern („Eine neue Hoffnung“). Ein X-Flügler-Modell ist im Air and Space Museum in Denver (Colorado) ausgestellt – und erfreut sich größerer Beliebtheit als die realen Jagdflugzeuge, die es dort zu sehen gibt.

33 SCHNEEGLEITER Militärmaschine, mit der die Rebellenallianz die mächtigen AT-AT des Imperiums in der Schlacht von Hoth angreift („Das Imperium schlägt zurück“). Wie C-3PO und Darth Vader stammen die Schneegleiter aus der Feder des Illustrators Ralph McQuarrie.

74-Z DÜSENSCHLITTEN

Tobie Nathan

Die Magie, so lehrt uns Marcel Mauss, ist die Kunst, Naturerscheinungen dem menschlichen Verstand in technischer Weise zu unterwerfen.

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PHILOSOPHIE MAGAZIN

Gefährt des Imperiums, das erstmals in der Schlacht von Geonosis („Angriff der Klonkrieger“) zum Einsatz kommt. Der Schlitten wird von einem Soldaten der Spürtruppen gelenkt, der Eliteeinheit des Imperiums. Im Zuge der Verfolgungsjagd auf Endor („Die Rückkehr der Jedi-Ritter“) nutzen auch Luke und Leia die Düsenschlitten.


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Blaise Pascal, „Les Pensées“ (1670)

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Die Gerechtigkeit ist ohnmächtig ohne die Macht; die Macht ist tyrannisch ohne die Gerechtigkeit.

Foto: Cédric Delsaux, Serie „Dark Lens“

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STAR WARS

DIE DUNKLE SEITE

DER RUF DER DUNKLEN SEITE Kanzler Palpatine und Anakin Skywalker

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Das böse Subjekt Wie wird der gute Anakin zum bösen Darth Vader? Vielleicht müsste die Frage anders gestellt und beantwortet werden, als es George Lucas in seiner zweiten „Star Wars“-Trilogie tut. Liegt nicht die eigentliche Motivation für Anakins Hinwendung zur dunklen Seite der Macht in seiner exzessiven Neigung zum Guten?

SLAVOJ ŽIŽEK

I

n der dritten Folge der „Star Wars“-Serie („Die Rache der Sith“) kommt es endlich zum entscheidenden Augenblick der ganzen Saga, zur Verwandlung des „guten“ Anakin in den „bösen“ Darth Vader. Hierbei setzt „Star Wars“ auf die explizite Parallele zwischen der individuellen und der politischen Ebene. Auf der individuellen Ebene spielt die „Erklärung“ auf eine Popform des Buddhismus an: „Er verwandelt sich in Darth Vader, weil er den Dingen verfällt. Er kann sich nicht von seiner Mutter lösen; er kann sich nicht von seiner Freundin lösen. Er kann sich nicht von den Dingen lösen. Das macht einen gierig. Und wenn man gierig ist, dann ist man auf dem Weg auf die dunkle Seite, weil man etwas zu verlieren fürchtet.“ (George Lucas) Lassen wir die Vorstellung von Mutter und Freundin als „Dingen“ auf sich beruhen – interessanter ist der Aspekt, dass der Jedi-Orden als geschlos-

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sene männliche Gemeinschaft betrachtet wird, die ihren Mitgliedern romantische Bindungen untersagt – eine neue Version der Gralsrunde aus Wagners „Parsifal“. Bezeichnender noch ist die politische Parallele: „Wie wurde die Republik zum Imperium? Dies wird als Parallele behandelt zu der Frage: Wie wurde Anakin zu Darth Vader? Wie wird ein guter Mensch zu einem bösen, und wie wird aus einer Demokratie eine Diktatur? Es ist nicht so, dass das Imperium die Republik erobert hätte, sondern das Imperium ist die Republik.“ (Lucas) Das Imperium ist also aus der inneren Korruptheit der Republik erwachsen: „Eines Tages wachten Prinzessin Leia und ihre Freunde auf und sagten: ,Dies ist nicht mehr die Republik, sondern das Imperium. Wir sind die Bösen.‘“ (Lucas) Die aktuellen Konnotationen dieser Bezugnahme auf das antike Rom sind nicht zu übersehen: der Wandel von Nationalstaaten zum globalen Imperium. Man sollte die „Star Wars“-Problematik (von der Republik zum Impe-

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STAR WARS

Fotos: Collection Christophel © Lucas Film / Walt Disney Productions (2)

DIE DUNKLE SEITE

rium) vor dem Hintergrund von Antonio Negris und Michael Hardts Buch „Empire“ lesen: vom Nationalstaat zum globalen Empire. (...) Um zur „Rache der Sith“ zurückzukehren: Der Preis, den der Film dafür zahlt, dass er NewAge-Motiven verhaftet bleibt, ist nicht nur seine ideologische Konfusion, sondern, damit einhergehend, seine inferiore narrative Qualität. Diese Motive sind der entscheidende Grund dafür, dass Anakins Verwandlung in Darth Vader – der Schlüsselmoment der ganzen Serie – der angemessenen tragischen Größe entbehrt. Statt Anakins Hybris in den Mittelpunkt zu stellen, seinen überwältigenden Wunsch einzugreifen, Gutes zu tun, für die, die er liebt (Padmé Amidala), aufs Ganze zu gehen und so der dunklen Seite zu verfallen, wird Anakin als bloßer unentschlossener Krieger dargestellt, der Schritt für Schritt ins Böse abrutscht, weil er der Versuchung der Macht nachgibt und so zur Beute des bösen Imperators wird. Mit anderen Worten, Lucas hatte nicht die Kraft, die von ihm gezogene Parallele zwischen der Verwandlung einerseits der Republik in das Imperium, andererseits jener Anakins in Darth Vader wirklich zu ziehen. Anakin hätte aufgrund seiner extremen Neigung, überall Böses zu sehen und zu bekämpfen, ein Monster werden müssen. Statt zwischen Gut und Böse zu oszillieren, hätte er aufgrund der falschen Art und Weise, am Guten zu hängen, böse werden müssen. Etwa als Palpatine, der Kanzler der Republik, Anakin seine andere Identität offenbart oder als der böse Sith-Meister seine Absicht enthüllt, ein Imperium zu errichten. Der Sith-Meister spielt mit Anakins Angst und dessen anderen Schwächen, indem er sich das Ego und die Arroganz des jungen Jedi zunutze macht und die Jedi als korrupt, unnütz und als Grund für Anakins ganzes Leiden darstellt. Als Anakin gegen Ende des Films erfährt, dass Padmé Obi-Wan geholfen hat, ihn zu finden, schlägt er, außerstande, seine furchtbare Leidenschaft zu zügeln, mit der Peitsche nach ihr, würgt sie mit einer Kraft, die sie aus den Schuhen hebt, und wirft sie gegen die Wand, wobei sie sich schwer am Kopf verletzt. Als Anakin später, nach seinem Duell mit Obi-Wan, wieder zur Besinnung kommt und fragt,

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Slavoj Žižek

Statt Anakins Hybris in den Mittelpunkt zu stellen, wird Anakin als unentschlossener Krieger dargestellt, der ins Böse abrutscht.

wo Padmé ist, und Palpatine ihm mitteilt, dass er sie getötet hat, beginnt Anakin zu schreien und zu wüten und wirft mit Droiden um sich, sodass Palpatine in Deckung gehen muss. In diesen beiden Szenen kommt das Verfehlte des Films zum Ausdruck: zwei identische Ausbrüche unkontrollierbarer zerstörerischer Wut, der erste gegen Padmé gerichtet, der zweite ein Ausagieren der Reue darüber, den ersten zugelassen zu haben – Anakin scheint hier einfach zwischen verschiedenen Positionen zu oszillieren, der „bösen“ (Raserei gegen Padmé) und der „guten“ (Reue und Liebe zu ihr). Die eigentliche Aufgabe aber wäre es gewesen zu zeigen, dass gerade Anakins exzessive Liebe zu Padmé, sein exzessives An-ihr-Hängen dazu führt, dass er den Weg des Bösen geht. Das abschließende Duell zwischen Obi-Wan und Anakin endet damit, dass Anakin k. o.

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geht und in eine Schmelzgrube fällt, in der er Verbrennungen erleidet und furchtbar entstellt wird. Kaum noch am Leben, wird Anakin von Palpatines Helfern gerettet und zu einer üblen medizinischen Einrichtung gebracht, wo er, ohne Glieder und schrecklich zugerichtet, in eine heilende Lotion getaucht wird. Die imperialen Droiden heilen ihn, indem sie aus ihm den gepanzerten Schrecken der Sterne machen, den wir alle als Darth Vader kennen. Am Ende des Films verlässt Anakin, Der-in-Vader-Verwandelte, die medizinische Einrichtung, schreitet über die Brücke des Sternzerstörers und schließt sich seinem neuen Herrn Darth Sidious an, dem Imperator der Galaxie. Sie schauen aus dem Fenster, auf ihre ultimative Waffe, den „Todesstern“, der gerade gebaut wird. Vader, jetzt mehr Maschine als Mensch, atmet schwer und bösartig.

LIEBE BIS IN DEN TOD In „Die Rache der Sith“ ist Anakin krank vor Sorge um seine Frau Padmé. Sein Wunsch, sie zu schützen, lässt ihn auf die dunkle Seite der Macht überlaufen.

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STAR WARS

MENSCHEN, MASCHINEN, ALIENS

Wookiees verstehen – aber wie? Wie ist es möglich, dass sich im „Star Wars“-Universum die unterschiedlichsten Lebewesen – ob Mensch, Roboter oder Wookiee – aus den entferntesten Ecken und Winkeln der Galaxie so problemlos verständigen können? Mit der Sprachphilosophie Ludwig Wittgensteins lässt sich die Antwort verblüffend einfach formulieren: So divers die Bewohner der weit, weit entfernten Galaxie auch sind – auf ihre Weise sind sie alle sehr menschlich.

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YVES BOSSART

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ie Welt von „Star Wars“ besteht aus unzähligen bizarren Lebewesen und Maschinen, die jeweils unterschiedliche Sprachen sprechen. Diese kosmische Sprachverwirrung wirft jede Menge philosophischer Probleme und Rätsel auf. Die zentrale Frage ist sicherlich, wie die vielen unterschiedlichen Lebewesen und Roboter überhaupt miteinander kommunizieren können: Wie können sich zwei Sprecher verstehen, wenn sich ihre Lebensformen und Denkweisen grundlegend unterscheiden? Können fremde Wesen überhaupt eine gemeinsame Sprache finden? Der österreichische Sprachphilosoph Ludwig Wittgenstein meinte einmal: „Wenn ein Löwe sprechen könnte, wir könnten ihn nicht verstehen.“ Mit dieser paradoxen Formulierung wollte er darauf hinweisen, dass jede Sprache in eine Lebensform eingebettet ist, in eine Art zu denken, zu fühlen und zu handeln. Wenn uns eine Lebensform sehr fremd ist, werden wir nie eine gemeinsame Sprache finden, so Wittgenstein, denn wir können die Äußerungen und Verhaltensweisen der anderen nicht nachvollziehen. „Wir können uns nicht in sie finden“, schreibt er. Um eine Sprache zu verstehen, müssen wir zunächst die Sprecher verstehen, ihre Verhaltensmuster, Gefühle, Wünsche und Entschlüsse – bei Löwen fällt uns das alles andere als leicht. Die Frage

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ist, ob das auch für die unzähligen skurrilen Lebewesen und Roboter aus „Star Wars“ gilt. Beim Betrachten der „Star Wars“-Filme fällt schnell auf, dass die meisten Akteure eine gemeinsame Sprache sprechen, die in der englischen Version mit Englisch und in der deutschen Version mit Deutsch wiedergegeben wird. Bei dieser Sprache handelt es sich um „Galaktisches Basic“. Sprachen wie das Basic dienen der Verständigung zwischen unterschiedlichen Sprachgemeinschaften. Neben dem Basic dienen auch „Huttisch“, die Sprache des schwabbeligen Jabba, und „Bocce“, eine Handelssprache, als Mittel der Verständigung. Das Basic kennt unterschiedliche Dialekte und nicht jeder beherrscht die Sprache gleich gut. Der Jedi-Meister Yoda pflegt bekanntlich eine sehr eigenwillige Grammatik („Viel zu lernen du noch hast“). Und nicht alle Wesen sprechen Basic. So versteht der Astromechdroide R2-D2, ein Mechanikerroboter, zwar Basic, kann jedoch nur Pfeiftöne von sich geben. Auch die haarigen Wookiees, wie etwa Chewbacca, verstehen Basic, sind aber nicht in der Lage, es zu sprechen. Ihre Sprache besteht aus Brülllauten und nennt sich „Shyriiwook“. Manche Nichtwookiees können

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STAR WARS

Foto: Collection Christophel © Lucas Film / Walt Disney Productions

MENSCHEN, MASCHINEN, ALIENS

diese Brülllaute verstehen – was für den Zuschauer oft verblüffend wirkt: Etwa dann, wenn Chewbacca im Cockpit vor sich hin brüllt und sein Freund Han Solo antwortet: „Nein, ich glaub auch nicht, dass das Imperium diese Mühle für Wookiees konstruiert hat, Chewie.“ Man fragt sich: Wie zum Teufel konnte Chewbacca mit seinen unartikulierten Brüllgeräuschen einen derart komplexen Inhalt kommunizieren? Ich nehme an, die Antwort lautet: Wir Zuschauer, die des Shyriiwook nicht mächtig sind, hören die Feinheiten einfach nicht. Doch lassen wir diese Problematik für den Moment beiseite und kommen zur zentralen „Star Wars“-Figur, wenn es um Sprache und Verstehen geht. Gemeint ist der Protokolldroide C-3PO.

ÜBERSETZUNGSCOMPUTER: MEHR ALS MATHEMATIK

Der freundliche und etwas tollpatschige Übersetzungsroboter, ein sogenannter „RoboterMensch-Kontakter“, beherrscht über sechs Millionen Sprachen und kann mit allen erdenklichen Kreaturen kommunizieren und ihre Laute in beliebige Sprachen übersetzen. C-3PO ist ein übermenschlicher Dolmetscher, ein Hermes ohne Flügelschuhe, dafür mit schnellem Prozessor und viel Speicherplatz. Doch wie schafft er es eigentlich, all diese fremden Sprachen zu übersetzen? Zunächst könnte man meinen, der Übersetzungsroboter habe leichtes Spiel, denn er brauche ja bloß die Bedeutungen der einzelnen Wörter und die grammatischen Regeln der jeweiligen Sprachen zu kennen. Der Rest sei Rechnen. Selbst mehrdeutige Ausdrücke wie „Bank“ (Geldinstitut oder Sitzgelegenheit) kann er nämlich ohne Schwierigkeiten richtig interpretieren, wenn er den Kontext der Äußerung kennt. Er weiß also in der Regel, was gesagt wird. Schwieriger ist es jedoch zu eruieren, was mit dem Gesagten ausgedrückt werden soll. Sprachliche Phänomene wie Metaphern, Anspielungen, Redewendungen oder Ironie zeigen, dass wir nicht immer meinen, was wir sagen. Bei Sätzen wie „Du bist mir ein feiner Freund“ meinen wir gar das Gegenteil des Gesagten. Oft aber wollen wir mehr oder etwas anderes ausdrücken, als wir sagen. So können wir etwa mit dem Satz „Es ist ziemlich heiß hier drin“ zu verstehen geben,

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Foto: Cédric Delsaux, Serie „Dark Lens“

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Donna Haraway, „Ein Manifest für Cyborgs“ (1985)

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Die Grenze, die gesellschaftliche Realität von Science-Fiction trennt, ist eine optische Täuschung.


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STAR WARS

DIE ORDNUNG DES KOSMOS

Wie sieht es im Cockpit einer Raumfähre aus? Vor „Star Wars“ – von der eiförmigen Scheibe in „Der Tag, an dem die Erde stillstand“ (1951) bis „2001: Odyssee im Weltraum“ (1968) – meist sauber, steril, nahezu perfekt. In „Star Wars“ bedecken Öllachen den Boden, Dampf tritt aus Düsen aus, Kabel baumeln in den Korridoren … SVEN ORTOLI

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Der Weltraum im UsedLook MAKE IT OLD Das Auftauchen des „Millennium Falken“ in den amerikanischen Kinosälen am 25. Mai 1977 schlägt auf seine Art und Weise einen letzten Nagel in den Sarg der Moderne: Zum ersten Mal in der Geschichte des Kinos sind die Objekte der Zukunft, die in erster Linie durch die Raumfähren verkörpert werden, nicht mehr versilbert, glänzend, minimalistisch und symmetrisch, wie die fliegenden Untertassen, die der amerikanische Pilot Kenneth Arnold am 24. Juni 1947 über dem Mount Rainier entdeckt zu haben behauptete. Verbeult, rostig, abgenutzt – damit lassen die „Star Wars“-Raumfähren die fliegenden Untertassen und andere Raketen à la Buck Rogers als schimmernde Küchenmaterialien

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erscheinen, wie sie die Werbung der fünfziger Jahre bevölkerten und die sich an eine weiße Mittelschicht richteten. Als Souvenir einer längst vergangenen Zeit, als der American Dream eine Nation vereinte, die noch nicht von Zweifeln berührt war. Aber in einem Amerika, das von den Bildern des Vietnamkriegs heimgesucht wird, von Watergate gelähmt, durch die Einstellung des ApolloProgramms tief mitgenommen ist, ist die Zukunft nicht mehr schillernd. Die Helden sind müde, der Millennium Falke ebenso: Alt, verstaubt (in einem Wort: veraltet) betritt er flügelknirschend die Ära Reagan. Lucas reagiert auf das „Make it new“, das der amerikanische Literat Ezra Pound 1934 forderte, gewissermaßen mit einem „Make it old“. •

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STAR WARS

DIE ORDNUNG DES KOSMOS

Die Konsumgesellschaft, die Mediengesellschaft, die ‚Event-Gesellschaft‘, der Spätkapitalismus – egal welchen Namen wir unserer Zeit geben – fallen durch den Verlust eines Sinns für Geschichte auf, nicht allein in Bezug auf die Vergangenheit, sondern auch auf die Zukunft.“ Fredric Jameson „Archaeologies of the Future. The Desire Called Utopia and other Science Fictions“ (2005)

EINE GEBRAUCHTE ZUKUNFT

Fotos: Collection Christophel © Lucas Film / Walt Disney Productions

Für die Ausstattung seines Films stellte George Lucas einen Teil des Stabs ein, der mit Stanley Kubrick an „2001: Odyssee im Weltraum“ gearbeitet hatte: Ihm schwebten, wie ein Mitarbeiter berichtete, „Raumfähren vom Typ 2001, nur um 200 Jahre gealtert“ vor. Um den Film glaubhaft zu machen, so Lucas 1976 in der Los Angeles Times, wolle er die Atmosphäre einer „used future“ kreieren, etwas „Organisches“ im Unterschied zur Elektronik und zur Künstlichkeit der bisherigen ScienceFiction-Filme. Ein Beispiel, das Schule machen sollte: Ab den frühen achtziger Jahren werden im Säurebad gebleichte Jeans und andere Kleidungsstücke im Used-Look bei Teenagern zum Trend. •

MALAISE SPEECH Seit dem ersten Ölpreisschock von 1973 erlebten die Amerikaner eine noch nie da gewesene Krise: Tausende gut bezahlter Stellen wichen prekären und schlecht bezahlten Arbeitsverhältnissen, mehr als eine von zwei Hochzeiten endete in Scheidung, trotz der Erfolge der Bürgerrechtsbewegung blieb die Ungerechtigkeit von Rassismus und Rassensegregation beharrlich bestehen, die Inflation erreich-

te ihren Höhepunkt, Gewaltszenen sorgten auf den Titelseiten der Zeitungen für Ge sprächs stoff und Fernsehprediger erfreuten sich großer Beliebtheit. Am 15. Juli 1979 sprach Präsident Jimmy Carter in einer Fernsehrede, die als „Malaise Speech“ in die Geschichtsbücher eingehen sollte, von einer „Vertrauenskrise“. In dieser Rede kontrastierte der Präsident den Optimismus der fünfziger

STAR WARS

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Jahre mit dem Defätismus der siebziger Jahre, gestand eigene Fehler ein und prangerte die Korruption an, die eine Bedrohung für die amerikanische Demokratie darstelle. Seine Rede kam nicht an. Die Wähler hatten das Vertrauen verloren: in den Fortschritt, in die Zukunft, in den amerikanischen Traum. Zwei Jahre später wurde Ronald Reagan zum Präsidenten gewählt. •

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DIE ORDNUNG DES KOSMOS

Die Ideen des auserwählten Volkes, des Gleichgewichts der Mächte und des Republikanismus: Liefert uns die Amerikanische Revolution des 18. Jahrhunderts ein Raster, mit dem sich die politische Tiefenstruktur des galaktischen Aufstands gegen das Imperium erklären lässt?

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Revolution unter dem Sternenbanner PHILOSOPHIE MAGAZIN

SONDERAUSGABE 05

IM NAMEN DER STABILITÄT Der Oberste Kanzler Palpatine hebt vor dem versammelten Senat die Republik auf und verkündet den Beginn des Imperiums („Die Rache der Sith“).


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DIE ORDNUNG DES KOSMOS

MARTIN LEGROS

Foto: Collection Christophel © Lucas Film / Walt Disney Productions (2)

„E

ine Reihe von Tatsachen und jüngsten Begebenheiten gibt Anlass zu der Befürchtung, dass ein von langer Hand geplantes geheimes Vorhaben existiert und zum Teil bereits umgesetzt wurde. Es zielt auf die Errichtung einer imperialen Despotie ab, die alle Freiheitsrechte auslöschen will.“ Wir befinden uns nicht im Vorspann einer „Star Wars“Episode, sondern bei einem Town Meeting in Boston im Jahre 1770. Der Text ist ein Auszug aus der Deklaration, die die Bostoner Versammlung am Vorabend der Amerikanischen Revolution abgab. Nach dem Ende des Siebenjährigen Krieges hatte Großbritannien Handelssteuern erhoben, um die britische Staatskasse zu entlasten. Betroffen waren auch die 13 nordamerikanischen Kolonien des britischen Mutterlandes, die dagegen protestierten, dass sie im Parlament von Westminster weder vertreten waren noch angehört wurden. Mit ihrem Slogan „No taxation without representation“ („Keine Besteuerung ohne Repräsentation“) beriefen sie sich auf alte britische Freiheitsrechte. Der britische König George III. schenkte ihnen allerdings kein Gehör und schickte stattdessen seine Truppen. Dies war der Auslöser für den Aufstand gegen das Britische Empire, also den Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg (1775–1783). In dessen Verlauf entwickelten sich im Zuge intensiver Debatten der 13 Staaten die Prinzipien der Union und ihrer republikanischen Bestimmung. Der Krieg hatte die Entstehung der größten Republik aller Zeiten, der Vereinigten Staaten von Amerika, zur Folge. Liegt hier der politische Schlüssel zum Verständnis der Abenteuer von „Star Wars“? „Star Wars“ ist bekanntermaßen das Produkt einer, wie ihr Schöpfer George Lucas sagt, „unbewussten Destillation“ disparater Elemente, darunter das mittelalterliche Ritterwesen, die Eroberung des Weltraums und die ScienceFiction. Der Einfluss der Amerikanischen Revolution, die das kollektive Unbewusste Amerikas nachhaltig geprägt hat, darf dabei ebenfalls nicht unterschätzt werden. Ein Indiz für diesen Einfluss ist beispielsweise der amerikanische Akzent der Rebellen, die gegen das Imperium kämpfen, während die Admirale des Imperiums, einschließlich Darth Vader, mit britischem Akzent sprechen. Die Raumschiffe der imperialen Flotte heißen Destroyer,

genau wie die Schiffe der britischen Armee. Luke Skywalker, der Held des Films, ist ein Bauernsoldat, so wie die ersten Siedler in Nordamerika. Und erinnert die Boston Tea Party von 1773, bei der eine Gruppe junger Bostoner Bürger, die sich als Mohawk-Indianer verkleidet hatten und in einem Akt der Piraterie drei Schiffe der britischen Handelsflotte stürmten, nicht an den Beginn von „Star Wars“ (Episode IV)? Hier sind die Rebellen in die Raumschiffe des Imperiums eingedrungen, um die geheimen Baupläne des Todessterns zu entwenden. Ganz zu schweigen von der Suche nach dem Vater, die für Luke Skywalker eine ebenso zentrale Rolle spielt wie in der Revolution, die sich selbst ihre „Gründerväter“ gegeben hat. Neben diesen erstaunlichen Parallelen existieren aber auch tiefer gehende strukturelle Überschneidungen zwischen „Star Wars“ und der Amerikanischen Revolution. Die zwei zeitlichen Ebenen der Handlung entsprechen – in der Reihenfolge ihrer Entstehung – genau den beiden großen Phasen der Amerikanischen Revolution: Auf den

DAS ZENTRUM DER INTRIGEN Das Senatsgebäude auf dem Planeten Coruscant ist das politische Zentrum der Galaktischen Republik.

DIE GALAKTISCHE REPUBLIK UND IHRE INSTITUTIONEN GRÜNDUNG

Vor mehr als 1000 Jahren

HYBRIDES, FÖDERALES PARLAMENTARISCHES REGIERUNGSSYSTEM

Die Republik ist eine Föderation aus „souveränen Planeten“, die Republiken oder Monarchien sein können.

LEGISLATIVE

Senat, auch Kongress genannt. Seine Mitglieder sind gewählte Delegationen der Planeten und Sonnensysteme. Der Senat ernennt den Obersten Kanzler, den er auch absetzen kann. Der Kanzler ist das Staatsoberhaupt und kann als solches Gesetze verabschieden und die Schaffung von Untersuchungsausschüssen anordnen.

EXEKUTIVE

Oberster Kanzler. Seine Kompetenzen hängen wesentlich von der jeweiligen politischen Lage und seiner Person ab.

JUDIKATIVE

Oberster Gerichtshof, regelt Streitfälle zwischen den föderalen Staaten, wenn dies dem Senat nicht gelingt.

JEDI-RAT

Unabhängig und neutral. Bestehend aus zwölf Mitgliedern unter der Leitung von Meister Windu und Meister Yoda, dem Ältesten. Die Jedi haben militärische, polizeiliche und diplomatische Kompetenzen: Sie erhalten den „Frieden und die Gerechtigkeit in der Galaxie“, arbeiten im Personenschutz und schlichten bestimmte Konflikte. Verantwortlich für das Staatsarchiv.

HAUPTSITZ

Planet Coruscant

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Foto: Cédric Delsaux, Serie „Dark Lens“

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Montesquieu, „Betrachtungen über die Ursachen von Größe und Niedergang der Römer“ (1734)

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Ein durch Waffengewalt gegründetes Reich muss sich auch durch Waffengewalt erhalten.


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