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Akzente Das Magazin der Pädagogischen Hochschule Zürich
Hausaufgaben – mehr als zu Hause üben und repetieren Seite 10
Kolumne: Weshalb Quality Time nicht überall auf Knopfdruck erzeugt werden kann Seite 9 Serie: Vom Maiensäss den Berg hinunter in die Schule Seite 32 blog.phzh.ch/akzente
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Inhalt 1/2017
Titelbild: Chiara Aguzzi aus Zürich bei den Hausaufgaben, Foto: Dieter Seeger
24 Studentin Maria Goffi setzt sich für Flüchtlinge ein.
32 «Mein Schulweg»: An Schneekanonen vorbei ins Dorf hinunter.
10 Richtig angewendet, tragen Hausaufgaben viel zum Lernprozess bei.
4 Vermischtes Wege zu einer besseren Vereinbarkeit
24 Studierendenseite Porträt, Bacheloarbeit, Kolumne
7 Eine Frage, drei Antworten Welche Aufgaben muss die Schule lösen? 9 Seitenblick 2 × 3 macht 4 10 Schwerpunkt Hausaufgaben Leitartikel: Das Fenster zur Schule
Meinung: Das Alternativmodell der Tagesschule Leutschenbach Interview: Andrea Lanfranchi, Forschungsleiter an der Hochschule für Heilpädagogik Reportage: Im Programm «Future Kids» unterstützen PHZH-Studierende benachteiligte Kinder
27 PH Zürich Weiterbildung: Theaterspielen gegen eine «verkopfte» Welt
Ausbildung: Eine Woche ohne Smartphone Ausbildung / Weiterbildung: Inklusion – die bisherige Selektivität hinterfragen Ausbildung: «Ein Grossteil möchte in den englischen Sprachraum» 32 Mein Schulweg Berg runter, Berg hoch 34 Medientipps 37 Unter vier Augen Grobe Töne, breiter Applaus 38 Instagram #takeover 38 Impressum
Das Thema Hausaufgaben taucht im Schulumfeld regelmässig auf. Nicht bloss heute, bereits vor über hundert Jahren wurden Vor- und Nachteile gegeneinander abgewogen. So schrieb im Jahr 1914 eine pädagogische Fachzeitschrift: «Es gibt kaum eine Gepflogenheit der Schule, womit sich so viel Lug und Trug verbände, wie mit den Hausaufgaben.» An anderer Stelle heisst es hingegen: «Hausaufgaben bilden eine treffliche Schule der Selbständigkeit.» Trotz umstrittenem Nutzen: Eine flächendeckende Abschaffung steht nicht zur Diskussion. Dazu sind die Hausaufgaben zu stark in der Schule verankert. «Die Hausaufgaben gehören zur Schule wie das Amen zur Kirche», sagt denn auch PHZH-Dozent Martin Keller. Für eine Beibehaltung spricht sich auch die Schule aus. Gemäss einer Umfrage des Zürcher Lehrerinnenund Lehrerverbands von vergangenem Herbst möchte eine Mehrheit von 55 Prozent der Lehrpersonen an den Hausaufgaben festhalten. Dass es aber auch ohne geht, zeigen zwei Beispiele aus dem Kanton Zürich: So hat die Primarschule Andelfingen vor einiger Zeit einen Hausaufgaben-freien Mittwochnachmittag eingeführt. Einen Schritt weiter gegangen ist die Tagesschule Leutschenbach. Dort hat die Schulleitung die Hausaufgaben sogar ganz abgeschafft. Mehr zu diesen Modellen und zur Frage, was eine gute Hausaufgabe ausmacht, lesen Sie ab Seite 10. – Christoph Hotz
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In haltsverzeich nis/Editorial
Wie das Amen in der Kirche
Wege zu einer besseren Vereinbarkeit
Die Stadt Zürich möchte bis ins Jahr 2025 eine flächendeckende Ganztagesbetreuung einführen. Grund dafür ist der steigende Bedarf an ausserfamiliären Betreuungsangeboten. Dazu führt sie zurzeit das Pilotprojekt «Tagesschule 2025» durch. Die Stiftung Pestalozzianum hat Ende November an ihrer traditionellen Podiumsveranstaltung die Thematik aufgenommen und dabei die Vereinbarkeit von Familienleben und Berufstätigkeit sowie der Rolle der Schule im Zusammenhang mit der Einführung von Tagesschulen ins Zentrum gerückt. An der Diskussion nahmen Vertreterinnen und Vertreter aus verschiedenen Berufsbranchen teil: Diversity-Spezialistin Olivia Frei von der AXA Winterthur, Volksschulamt-Chefin Marion Völger, Journalistin Nicole Althaus von der NZZ am Sonntag sowie Michael Geiss, Leiter der Forschungsstelle Bildung im Arbeitsleben der Universität Zürich. Die Leitung des Gesprächs hatte Kantonsschullehrer und Autor Michael Pfister. Die Podiumsgäste waren sich darüber einig: Die Schule muss sich an veränderte gesellschaftliche Erwartungen anpassen. Da diese Erwartungen aber recht heterogen sind, steht die Einführung einer Ganztagesbetreuung nicht in allen Gemeinden zuoberst auf der bildungspolitischen Agenda. Und auch wenn sie eingeführt wird, macht sie alleine die Wunschvorstellung einer besseren Vereinbarkeit von Fami4
Kommende Ver anstaltungen
lie und Beruf nicht wahr. Vielmehr müsste sich das Zusammenspiel von Schule, Arbeitswelt und Familie verbessern. Was sich 15. März dazu in Wirtschaft, Schule, Familie und der Filmtage 21 Politik verändern müsse und was die WisUnter dem Titel senschaft hier beitragen könne, war Thema «Filme für eine nachhaltige Welt» der Diskussion. werden zehn Filme Wichtig sei es, die Auswirkungen von gezeigt aus den Elternschaft auf Berufskarrieren und auf ArBereichen Gesellschaft, Umwelt beitsstrukturen genauer zu untersuchen. Eiund Wirtschaft. nige Faktoren, welche die Vereinbarkeit von Familie und Beruf begünstigen, sind be19. Mai Symposium Personal- kannt: Neben der Möglichkeit, Teilzeit zu arbeiten und flexible Arbeitszeitmodelle bemanagement Im Zentrum steht reitzustellen, brauche es auf Seite der Arbeitdas Thema «Innovageber die Bereitschaft, auf sich verändernde tion und Führung – Bedürfnisse der Mitarbeitenden einzugehen das Neue wagen». Das Programm beund entsprechend neue Wege zu finden. steht aus HauptNicht nur in der Arbeitswelt, sondern referaten sowie gesamtgesellschaftlich brauche es ein UmForumsveranstaltungen. denken. Und ein solches Umdenken müsse direkte Konsequenzen auf die Sozial-, Fami23. Mai lien- und Bildungspolitik haben. Die VereinForum Inklusion Thema des Anlasses barkeit von Familie und Beruf sei immer ist das «Churermo- noch ein Problem, welches vor allem Frauen dell» der Binnentreffe: Verankerte geschlechterspezifische differenzierung im Rollenbilder verhindern eine echte GleichUnterricht. berechtigung und stabilisieren ein Ungleichgewicht in der Arbeitswelt, bei der KinderWeitere Infos: betreuung und bei familiären Aufgaben. phzh.ch/ veranstaltungen
– Anne Bosche
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Foto: Olivia Rigoni
Ver mischtes
Einigkeit auf dem Podium: Tagesschulstrukturen alleine führen nicht zu einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
PHZH in Zahlen
«Likes» der PHZH-FacebookSeite, aufgeteilt auf Alter und Geschlecht (Stand Januar 2017). 13–17 Jahre
0,3 % 0,7 % 18–24 Jahre
Aktuelles Auftakt-Veranstaltung Studierenden unter anderem Fragen zum Lehrplan 21 im Zusammenhang mit BerichterRund 300 Schulleitende und stattungen über aktuelle Themen. Schulbehörden kamen im Dezember an die PH Zürich, um sich über die Weiterbildungen zum Lehrplan 21 zu informieren. Die eineinhalbtägige Weiterbildung für die Schulleiterinnen und Schulleiter ist so gestaltet, dass diese aus unterschiedlichen Angeboten wählen und so einen eigenen Zugang zum Thema und zu ihrer Rolle bei der Umsetzung erhalten.
20%
Tagesschau-Moderator Florian Inhauser beantwortet Fragen von Studierenden.
6% 26 % 11 % 35–44 Jahre
10 % 8%
VSA-Chefin Marion Völger betonte, der Lehrplan 21 sei ein «Kompass und kein Gesetzbuch».
45–54 Jahre
7% 5%
Demokratiebildung und Flüchtlinge: neue Projekte Der Lotteriefonds des Kantons Zürich unterstützt zwei neue Projekte des Zentrums International Projects in Education (IPE) der PH Zürich zur Unterstützung von Flüchtlingskindern und zur Förderung der Demokratiebildung.
55–64 Jahre
2% 2% 65+
1% 1%
Fotos: Olivia Rigoni
Entwicklung der «Likes» (Durchschnittsangaben) 2015
2016
2017
1120
1440
1600
Frauen
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Männer
Tagesschau-Moderator zu Gast Im ersten Semester absolvieren Studierende der Primarstufe ein Grundlagenmodul in Medienbildung. Darin sollen sie unter anderem ihr Medienverhalten und ihre Werthaltungen reflektieren. Dazu war kürzlich Tagesschau-Moderator Florian Inhauser zu Gast. Während einer Stunde diskutierten die
Neues Buch «DaZ unterrichten» Im Austausch zwischen Lehrpersonen und Dozierenden der PH Zürich ist ein neues DaZ-Handbuch erschienen. Es fokussiert auf die ersten drei bis vier Jahre, in denen mehrsprachige Schülerinnen und Schüler mit der deutschen Sprache vertraut werden. 100 Jahre Leben in der Schweiz Studierende der Sekundarstufe I präsentierten Ende 2016 in einer Ausstellung ihre Arbeiten zu verschiedenen Aspekten des Lebens in der Schweiz zwischen 1890 und 1990.
Die Besucher konnten an verschiedenen Stationen in Geschichten aus dem Leben damals eintauchen.
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Ver mischtes
25–34 Jahre
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Eine Frage, drei Antworten: Welche Aufgaben muss die Schule lösen? Problemen eintreten. Herausforderungen werden uns immer beschäftigen ‒ nicht nur in der Schule. Wichtig ist, dabei auf die persönliche Gesundheit und gleichzeitig auf die Vernetzung zu achten, so dass man diese Aufgaben gemeinsam angehen kann.
Zukunft zu ermöglichen, stellt für die Schule eine sehr grosse Herausforderung dar.
Sarah Knüsel, Präsidentin Schulleitendenverband VSLZH
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Christine Schwab, Sekundarlehrerin in Urdorf
Hans-Jürg Keller, Innovationsmanager PH Zürich
Eine grosse Herausforderung ist, auf die Vielfalt der Schülerinnen und Schüler einzugehen. Dank all der engagierten Lehrpersonen wird Schule sicher weiterhin eine grosse soziale Integrationskraft haben. Aber welche Chancen haben Schülerinnen und Schüler später in der Arbeitswelt? Viele Arbeiten werden in Zukunft kaum mehr von Menschen erledigt. Routinearbeiten und zunehmend auch komplexere Arbeiten werden automatisiert. Viele der heutigen Berufe wird es nicht mehr geben. Andere Berufe werden bleiben, neue entstehen. Sie erfordern mehr Kompetenzen als diejenigen, die für Routinearbeiten nötig sind. Empathie, kritisches Denken, Problemlösefähigkeiten und Kreativität gehören dazu. Allen Schülerinnen und Schülern den Erwerb dieser Kompetenzen und damit die Teilhabe an der Arbeitswelt der
«Was, d u arbeitest als Oberstufenlehrerin? Das könnte ich nie!» Wie oft schon habe ich diese Reaktion auf die Frage nach meinem Beruf gehört. Aber welche Aufgaben lassen meine Arbeit so schwierig erscheinen? Nebst den steigenden Anforderungen an den Unterricht sehe ich eine Herausforderung darin, dass wir als Schule verstärkt unseren Erziehungsauftrag wahrnehmen müssen. Termine etwa mit der Jugendberatungsstelle, den Polizisten für Internet- und Suchtprävention oder dem Schulsozialarbeiter füllen die Arbeitswoche zusätzlich aus. Wir müssen uns den immer deutlicheren Gegensätzen unserer Gesellschaft stellen, Unterschiede akzeptieren. Der interkulturellen Erziehung soll somit mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden, und eine Auseinandersetzung mit Werten muss von zentraler Bedeutung sein. Herausforderungen sind dies bestimmt – ich sehe es aber auch als Privileg, Jugendlichen Werkzeuge für die Bewältigung ihres Lebens mitgeben zu dürfen.
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Meinu ngen
Aktuell sind die grossen Herausforderungen die Einführungen des neuen Lehrplans sowie des Berufsauftrages für die Lehrpersonen. Dies vor dem Hintergrund, dass an vielen Orten gespart werden muss. Die Schulleitungen müssen dabei klar, kompetent und umsichtig reagieren und handeln in einem Umfeld, welches sich oft nicht dementsprechend verhält. Zwei der grössten Aufgaben sind die Organisation des gesamten ICT-Bereichs in einer Zeit, in welcher die Schule der Entwicklung stets hinterherhinkt, sowie die Sonderpädagogik, wo alle besonderen pädagogischen Bedürfnisse optimal gefördert und unterstützt werden sollen. Weiter bestehen Schnittstellenproblematiken bei den Stufenübergängen, die lokal und kantonal gelöst werden müssen. Ändert sich auf einer Stufe etwas, muss die darauffolgende Stufe reagieren. Werden dabei ungünstige Mechanismen geschaffen, gilt es, diese zu erkennen und anzupassen. Aus der Praxis höre ich vermehrt, dass bereits der Übergang in den Kindergarten mit Schwierigkeiten verbunden ist, da die Kinder zuvor zu wenig Frühförderung erlebt haben und zum Beispiel mit mangelnden Deutschkenntnissen oder logopädischen
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04.01.2017 15:43:39 AKZENTE 1/2017
Karin Zopfi Bernasconi – Seitenblick
Illustration: Elisabeth Moch
Es gibt Modellvorstellungen, die haften bleiben wie Honig auf dem Sonntagszopf. So erinnere ich mich bis heute an die Ausführungen eines Professors zur Quality Time. Für die Qualität der familiären Beziehungen sei nicht die Quantität der zusammen verbrachten Zeit der entscheidende Faktor. Bei einer hohen Qualität reiche auch wenig Zeit aus. In unseren jungen Ohren tönte dies wie ein Versprechen: Arbeits- und Familienleben sind problemlos vereinbar! Ja, mit etwas pädagogischem Geschick muss es sogar ein Leichtes sein. Papierschöpfen, Origami falten und Guetzli backen werden neben dem Daily Business locker Platz haben. Mit einem gewissen Mass an Eigenerfahrung begann die Glaubhaftigkeit dieses Konzepts zu bröckeln. Quality Time kann vielleicht für einen selber auf Knopfdruck erzeugt werden, beispielsweise mit dem berühmten Hobby, welches flowartige Zustände auslöst. Für Paarbeziehungen mag diese Idealvorstellung auch ihre Berechtigung haben. In einem komplexen, dynamischen familiären Gefüge, in welchem ein Teil der Angehörigen noch über keine AKZENTE 1/2017
ausgereifte Emotions- wie Impulskontrolle verfügt: undenkbar! Alltag oder einfach gemeinsam verbrachte Zeit beinhaltet vor allem mit kleinen Kindern das schnelle Reagieren auf etwelche Situationen, das Geniessen der heiteren, nahen Momente und das Vergessen der unangenehmen Ereignisse. Vieles, mitunter grossartige Meilensteine geschehen aus dem Moment heraus und halten sich an keinen Terminkalender. Entweder ist man zugegen oder eben nicht. Auch wenn mit etwas älteren Kindern die Planbarkeit von Quality Time einfacher wird, braucht es als Basis für gut funktionierende Beziehungen ein gewisses Mass an Quantity Time. Die beste Voraussetzung dafür ist unverplante, stressfreie Zeit, in welcher Eltern die Ruhe haben, sich im Hier und Jetzt auf die Bedürfnisse ihrer Kinder einzulassen. Manchmal bedeutet dies, genau zuhören zu können und die eigene To-do-Liste komplett zu verbannen. In anderen Momenten empfiehlt es sich, die Demut einer wenig beachteten Topfpf lanze aufzubringen und sich darüber zu freuen, dass die eigene Präsenz kaum gefragt ist.
Wenn man bedenkt, dass diese konzeptartige Idealvorstellung aus den 70er Jahren stammt, ist vielleicht etwas Nachsicht geboten. Der Begriff Quality Time wurde vor allem im amerikanischen Kontext im Zusammenhang mit der Vereinbarkeitsfrage von Familie und Beruf ins Feld geführt. So gesehen liegt dessen Qualität in der damit ausgelösten gesellschaftlichen Debatte und der darauf erfolgten Aufweichung fixer Rollenmuster. Aber eben, es handelt sich um eine einfache, idealtypische Vorstellung, die die Vielschichtigkeit familiärer Beziehungen mitnichten einfängt. Wer sich im Glauben wiegt, die eigene, häufig arbeitsbedingte Absenz mit geplanten Verabreichungen von Quality Time einfach wettmachen zu können, läuft Gefahr, dem PippiLangstrumpf-Syndrom («Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt») zu erliegen. Zu akzeptieren, dass Karriere und familiäre Beziehungen nicht gleichzeitig in perfektem Masse vorangetrieben werden können, schadet bestimmt nicht. Karin Zopfi Bernasconi ist Dozentin für Pädagogische Psychologie an der PH Zürich.
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Seitenblick
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Das Fenster zur Schule
Hausaufgaben bergen grosses Konfliktpotential, aber auch Möglichkeiten, die der Unterricht nicht bieten kann. Zu Selbständigkeit und Motivation leiten aber nur herausfordernde Aufgaben an, die mehr als Restprodukte des Unterrichts sind. Text: Melanie Keim; Fotos: Dieter Seeger hat 6. Klässler Noah Schweizer zuhause und in der Schule Gabler fotografiert.
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Schwer pu nkt Hausaufgaben
Man könnte meinen, im Kanton Schwyz sei 1993 für viele ein Traum wahr geworden, als die Bildungsdirektion die Hausaufgaben auf der Primarstufe abschaffte. Plötzlich hatten Kinder mehr Zeit zum Spielen, Lehrpersonen mussten nicht mehr mit Diskussionen um leere Aufgabenblätter in den Morgen starten, abgeschafft war auch der Streit im Elternhaus über Aufgaben, die vor dem Freizeitprogramm zu lösen waren. Und in Untersuchungen wiesen die von den Hausaufgaben befreiten Kinder erst noch keine Leistungseinbusse auf. Schnell zeigte sich jedoch, dass die Schule ohne Hausaufgaben keiner weit geteilten Wunschvorstellung entsprach. Die Regelung wurde nach einiger Zeit an vielen Schulen unterlaufen und nach drei Jahren verlangten nicht nur Lehrpersonen, sondern auch Kinder und Eltern die Hausaufgaben zurück. «Hurra, wieder Hausaufgaben!», titelte der Tagesanzeiger, als die Bildungsdirektion die Hausaufgaben 1996 wieder einführte.
Schulblatt gegen eine auf Drill und Repetition ausgerichtete Hausaufgabenpraxis. So überrissen der Ton, so treffend ist die Kritik an als Disziplinierungsmassnahme erteilten Hausaufgaben. «Mit Hausaufgaben sollten Pünktlichkeit, Ordnung und Fleiss und damit die Kardinaltugenden des industriellen Zeitalters gefördert werden», sagt Keller. Während die Förderung der Selbständigkeit ein wichtiges Ziel und damit auch eine zentrale Legitimationsquelle für das Fortbestehen der Hausaufgaben darstellt, darf eine Disziplinierung nicht als Zweck der Hausaufgaben verstanden werden. Gerade zeitintensive Übungsaufgaben, die ohne Aufsicht der Lehrperson gelöst werden, schaden Kindern nämlich. «Je mehr Zeit ein Kind für die Hausaufgaben braucht, desto schlechtere Leistungen erbringt es», fasst Keller frühe Studien zur Quantität von Hausaufgaben zusammen. Der negative Zusammenhang von Aufgabendauer und Leistung ergibt sich dabei nicht nur aus der Tatsache, dass leistungsschwächere Kinder mehr Zeit für die Hausaufgaben brauchen. Sitzt ein Kind sehr lange an Hausaufgaben, kann dies nicht nur zu Überlastungen und Einbussen der Motivation führen, auch die Wahrscheinlichkeit ist gross, dass Fehler eingeübt und damit verstärkt werden. «Wenn das Üben und Repetieren auf die Hausaufgaben ausgelagert wird, kann die Lehrperson gerade nicht eingreifen, wenn ein Kind Fehler macht», erklärt Keller. Punkto Quantität gilt für die Hausaufgabenerteilung, dass alle Schülerinnen und Schüler, ob leistungsschwach oder leistungsstark, etwa gleich viel Zeit für ihre Aufgaben aufwenden sollten. Dies kann durch ein Aufgabenangebot mit fixem Zeitlimit oder binnendifferenzierten Aufgaben erreicht werden. Zudem sind Übungsaufgaben, abgesehen von Fremdsprachenfächern, grundsätzlich zu vermeiden. Der Repetition von Gelerntem sind stattdessen vorbereitende Aufgaben mit einem lebensweltlichen Bezug vorzuziehen. Werden Masse in der Mathematik eingeführt, können Kinder als Vorbereitung beispielsweise ihren Schulweg messen. Wird ein historisches Thema aufgegriffen, ist ein Interview mit einer älteren Person aus der Familie oder Bekanntschaft denkbar. «Lehrpersonen müssen die Aufgaben zurück in die Schule holen», sagt Keller. Erst wenn Aufgaben nicht einfach nur korrigiert retourniert werden, sondern im Unterricht aufgegriffen und weiterverwendet werden, tragen sie wirklich zum Lernprozess bei. Damit verbunden ist allerdings eine intelligente Planung. Denn herausfordernde, motivierende und somit gute Hausaufgaben sind nie Restprodukte des Unterrichts, die am Ende einer Lektion erteilt werden.
Umstrittene pädagogische Konstante Die Schwyzer Regelung bildet historisch gesehen eine Ausnahme. Der ausgebliebene Leistungseinbruch der Schwyzer Schülerinnen und Schüler stimmt aber voll und ganz mit den Forschungsergebnissen zum Nutzen von Hausaufgaben überein. Bisher wurden keine oder nur moderate positive Auswirkungen der Hausaufgaben auf die Schulleistung gemessen. Dennoch sind Hausaufgaben nach wie vor kaum aus der Schule wegzudenken. «Die Hausaufgaben gehören zur Schule wie das Amen zur Kirche», sagt PHZH-Dozent Martin Keller, der sich seit Jahren mit dem Thema Hausaufgaben beschäftigt. «Will sich eine Lehrperson in die Nesseln setzen, erteilt sie am besten keine Hausaufgaben», verdeutlicht er die Unantastbarkeit der Hausaufgaben, die auf einer langen Tradition beruht. Bereits im 15. Jahrhundert werden Hausaufgaben in Schulordnungen erwähnt, im 18. Jahrhundert gelten sie weitgehend zu einem selbstverständlichen Teil des Unterrichts, und mit der Etablierung der eidgenössischen Volksschule finden sie Ende des 19. Jahrhunderts Eingang in die Schulgesetzgebung. Trotz aller Kontinuität in der Praxis sind Hausaufgaben keineswegs unumstritten. Entsprechend wird das Thema immer wieder von kritischen Stimmen aufgegriffen. So äusserte sich etwa der Verband Schulleiterinnen und Schulleiter Schweiz unlängst kritisch zur gängigen Hausaufgabenpraxis. Im Zentrum standen dabei fehlende Chancengerechtigkeit und Konflikte im Elternhaus. Auch diese kritischen Stimmen können auf eine lange Tradition zurückblicken: Bereits Ende des 19. Jahrhunderts plädierten Pädagogen für die Abschaffung der Hausaufgaben, die zu viel Zeit in Anspruch nahmen. «Manchem haben sie Krankheit und Tod gebracht, un- Mittel zur Selbstkontrolle zählige in ihrer körperlichen und geistigen Entwicklung Einen ungewöhnlichen Weg der Hausaufgabenkontrolle gehemmt», wetterte 1914 ein Autor im Schweizerischen ging Felix Haas, langjähriger Lehrer auf der Sekundar12
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Schwer pu nkt Schulf Ăź hr u ng Erst wenn Hausaufgaben nicht einfach nur korrigiert zurĂźckgegeben, sondern im Unterricht aufgegriffen werden, tragen sie wirklich zum Lernprozess bei. AKZENTE 1/2017
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stufe B und heute Mentor an der PH Zürich. Statt fehlende Hausaufgaben auf den nächsten Tag einzufordern, übergab er den Schülerinnen und Schülern die Verantwortung für das selbständige Arbeiten zuhause bis zu einem Abgabetag vor den Ferien. An den Freitagen vor den Ferien mussten sämtliche Absenzen entschuldigt und Prüfungen unterschrieben sein, Aufgabenblätter und Hefte vollständig und verbessert vorliegen. Wer alles
Schwer pu nkt Hausaufgaben
Punkto Quantität gilt, dass alle Schülerinnen und Schüler etwa gleich viel Zeit für die Aufgaben aufwenden sollten. abgegeben hatte, durfte in die Ferien, der Rest arbeitete weiter, auch einmal bis um 22 Uhr mit einem Unterbruch durch den Pizzakurier. «Weil das Verlangte wirklich eingefordert wurde, entstand eine echte Verbindlichkeit», erklärt Haas. Während Schülerinnen und Schüler unerledigte Hausaufgaben mit einem Eintrag ins Kontaktheft meist für erledigt hielten, hätten sie die Konsequenzen am Abgabetag zu spüren gekriegt. Haas’ Methode rührt daher, dass er Hausaufgaben als wichtiges Mittel zur Förderung von Selbstkontrolle und Selbstregulation betrachtet. Insbesondere bei Jugendlichen, wo der Druck bei der Lehrstellensuche zunehme, während die Peer Group wichtiger als die Schule ist, werde Impulskontrolle zum zentralen Thema. «Ohne Hausaufgaben findet keine Auseinandersetzung mit der Organisation von Freizeit und Lernen statt», sagt Haas. Oder positiv ausgedrückt, lernen Kinder und Jugendliche über Hausaufgaben, etwas Gefordertes zu tun, auch wenn sie lieber etwas anderes machen würden und auch tatsächlich etwas anderes machen könnten. Dazu brauchen einige Jugendliche Unterstützung durch die Lehrperson oder ihre Peers. Viele von Haas‘ Schülerinnen und Schüler meldeten sich nach ersten frustrierend langen Abgabetagen vor den Ferien für ein Coachinggespräch, bei dem sie sich über eigene Wunschvorstellungen eines perfekten Umgangs mit Hausaufgaben individuelle Strategien zur Selbstmotivation und -organisation erarbeiteten. Bisweilen gaben auch ehemalige Schülerinnen und Schüler, die am Abgabeabend vorbeikamen, bewährte Strategien weiter. Schaufenster zur Schule Neben der Förderung von Selbständigkeit und Motivation haben Hausaufgaben eine wichtige Funktion als Ver14
bindung zwischen Schule und Elternhaus. Barbara Zumsteg, Dozentin für Bildung und Erziehung an der PH Zürich, beschreibt Hausaufgaben auch als Schaufenster, durch das Eltern einen Einblick in den Unterricht erhalten. Einen Einblick, der allerdings auch trügerisch sein kann. «Viele Eltern verstehen die Hausaufgaben ihrer Kinder nicht richtig», sagt Zumsteg. Dass sie ihren Kindern in diesem Fall mit ihrer Unterstützung bei den Hausaufgaben nicht helfen, versteht sich von selbst. Ohnehin ist eine starke Einmischung bei den Hausaufgaben von Seiten der Eltern nicht förderlich. «Emotionale Unterstützung und ein Interesse der Schule gegenüber sind generell positiv für die schulische Entwicklung», sagt Zumsteg. Ungefragt Hilfe anzubieten oder das Kind bei den Hausaufgaben zu kontrollieren, verhindere aber das selbständige Lernen. Wenn ein Kind nicht mehr weiterkomme und nach Hilfe verlange, könne man es aber durchaus unterstützen. Gemäss Lehrplan müssen Hausaufgaben «ohne fachliche Hilfe der Eltern lösbar» sein. In der Praxis benötigen dennoch viele Kinder Unterstützung bei den Hausaufgaben. Da diese qualitativ sehr unterschiedlich ausfällt, können Hausaufgaben gemäss Zumsteg bestehende Chancenungleichheiten tendenziell eher verstärken. Auch können Ungleichheiten dadurch verstärkt werden, dass nicht allen Kindern ein ruhiger Arbeitsplatz zur Verfügung steht. Hausaufgabenstunden, die von immer mehr Schulen angeboten werden, wirken dem ein Stück weit entgegen. «Viele Eltern empfinden ein solches Angebot auch als entlastend», sagt Zumsteg in Hinsicht auf Konflikte im Elternhaus. Um Ungerechtigkeiten zu vermeiden, müssen Lehrpersonen auch sicherstellen, dass den Kindern für die Lösung der Aufgaben alle nötigen Mittel zur Verfügung stehen. Denn nicht nur Computer, sondern auch Bücher oder Bastelmaterial sind keineswegs selbstverständliche Teile jedes Haushalts. Zumsteg erwähnt das Beispiel eines Kindes, das in Tränen ausbrach, weil es keine Joghurtbecher mitbringen konnte, wie dies seine Lehrerin verlangt hatte. Grundsätzlich rät Zumsteg Lehrpersonen, sich mit der eigenen Klasse explizit über Hausaufgaben und wie diese gemacht werden sollen, auszutauschen. So profitieren Schülerinnen und Schüler gegenseitig von Lernstrategien, und Lehrpersonen können Umfang und Niveau besser abschätzen. Aufgabenfreier Monat Einen Schritt weiter ging die Schulleitung der Primarschule Andelfingen: Sie holte nicht nur die Meinung von Schülerinnen und Schülern zu Art und Menge der Hausaufgaben ein, sondern auch jene von Eltern und Lehrpersonen. Ausschlaggebend waren verunsichernde Rückmeldungen von Eltern: Beklagten sich die einen bei der Klassenlehrerin über zu wenig Hausaufgaben, meldeten AKZENTE 1/2017
Eine starke Einmischung bei den Hausaufgaben von Seiten der Eltern ist nicht förderlich. teilt werden, kommt es laut Wolfer auch weniger vor, dass sich Lehrpersonen Hausaufgaben aus den Fingern saugen müssen. Täglich gute Hausaufgaben auszudenken, braucht nämlich nicht nur viel Zeit, sondern auch Ideen. Ihr Team, dem der gemeinsame Rahmen Sicherheit gibt, tauscht sich daher auch vermehrt über gute Hausaufgaben aus. Letztlich unterscheidet sich eine gute Hausaufgabe auch gar nicht so stark von einer guten, kompetenzorientierten Aufgabe im Unterricht. An der PH Zürich gehören in der Ausbildung Hausaufgaben deshalb wie die Auseinandersetzung mit der Frage nach der guten Aufgabe für den Unterricht zu jenen Querschnittsthemen, die in verschiedenen Modulen und in unterschiedlichen Zusammenhängen Eingang finden. Podiumsdiskussion «Hausaufgaben – Ein alter Zopf, der abgeschnitten gehört?» 12. Juni 2017, 18 bis 20 Uhr, Campus der PH Zürich Information und Anmeldung: phzh.ch/kurse, Kursnummer 9117B01.01
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Tagesschule Leutschenbach: keine verpflichtenden Hausaufgaben mehr Insgesamt fünf Stadtzürcher Schulen werden seit Beginn des laufenden Schuljahres im Rahmen des Pilotprojekts «Tagesschule 2025» als Tagesschule geführt – so auch die Schule Leutschenbach. Eines der Ziele des Projekts ist die Förderung der Chancengleichheit der Schülerinnen und Schüler. In diesem Zusammenhang hat die Schule Leutschenbach unter anderem ein neues Konzept im Bereich Hausaufgaben entwickelt. Demnach bestehen für alle Schulstufen keine verpflichtenden Hausaufgaben mehr. «Hintergrund der Regelung ist, dass unsere Schülerinnen und Schüler zuhause sehr unterschiedlich unterstützt werden. Viele Eltern können ihren Kindern bei den Hausaufgaben nicht helfen. Wir haben nun ein Konzept entwickelt, welches einen Beitrag zu mehr Bildungsgerechtigkeit leisten soll», sagt Schulleiter Michael Knechtle. Die Schule nennt das Konzept «Erweiterte Freiarbeit (EFA)»: Je nach Schulstufe arbeiten die Schülerinnen und Schüler drei oder vier Mal pro Woche während einer Stunde nach dem regulären Unterricht an individuellen Aufgaben – beispielsweise an ihren Wochenplänen beziehungsweise den darin definierten Lernzielen. Michael Knechtle: «Das Gefäss steht für eine Vertiefung von im Unterricht bereits behandelten Themen zur Verfügung. Die Stunde soll als zusätzliche Lernzeit genutzt werden. Die Schülerinnen und Schüler profitieren dabei kognitiv wie sozial, da teilweise auch gemeinsam an Aufgaben gearbeitet wird.» Betreut werden die Schülerinnen und Schüler von einer Lehr- oder Betreuungsperson aus dem Team.
Positive Signale aus der Schülerschaft Ein zusätzlicher Effekt des Systems ist, dass am Morgen im Unterricht keine Zeit zur Besprechung und Kontrolle der Hausaufgaben verwendet werden muss. Gleichzeitig fällt jedoch eine mögliche positive Funktion weg: jene der Hausaufgabe als «Schaufenster» der Schule für die Eltern. Es sei zu Beginn von einigen Eltern kritisiert worden, dass sie nun nicht mehr wüssten, was in der Schule läuft, erläutert Michael Knechtle. «Wir haben auf diese Kritik reagiert und unser Konzept erweitert», so der Schulleiter. Die Schülerinnen und Schüler notieren ihre in den EFA-Stunden bearbeiteten Aufgaben nun in einem eigens dafür vorgesehenen Journal, welches sie zuhause zeigen können. Rückblickend auf das erste halbe Jahr bewertet der Schulleiter EFA als erfolgsversprechend. «Die Idee funktioniert, und die ersten Rückmeldungen aus dem Team und beispielsweise auch von Elternorganisationen sind positiv.» Zwar bedeute das System aufgrund des hohen Grades an individueller Betreuung eine grosse Herausforderung. «Ich bin jedoch davon überzeugt, dass wir uns damit als Schule weiterentwickeln.» Ein wichtiges Signal kommt auch aus der Schülerschaft: Obwohl die Teilnahme an EFA nicht obligatorisch ist, machen fast alle Schülerinnen und Schüler mit. – Christoph Hotz
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andere, ihr Kind sei überlastet. Eltern mit mehreren Kindern an derselben Schule beschwerten sich wegen unterschiedlicher Aufgabenpensen ihrer Kinder. Diese Verunsicherungen, vor allem auf Elternseite, wollte man so nicht stehenlassen. So nahm die Andelfinger Schulleitung das Thema im Rahmen der Schulentwicklung auf. Mit einer einfachen Regelung fand sie eine konstruktive Antwort auf die Bedürfnisse aller Beteiligten: Der Mittwochnachmittag wurde für die Unterstufe als Hausaufgaben-frei erklärt, und im Dezember, der für manche Familien ein eher stressiger Monat ist, wurden auf allen Stufen keine Hausaufgaben erteilt – nur das Wörterlernen wurde dabei ausgeklammert. «Wir erhielten sehr gutes Feedback, besonders von Eltern, die mit ihren Kindern wegen der Aufgaben grosse Probleme haben», erklärt Karin Wolfer, Co-Schulleiterin. Die Regelung sei auch ein Signal an die Eltern gewesen, dass die Schule das Thema ernst nehme. Laut Wolfer fehlen die gestrichenen Aufgaben im Unterricht überhaupt nicht. Dafür bleibt den Kindern neben den zum Teil dichten Freizeitprogrammen freie Zeit. Wenn weniger Hausaufgaben ver-
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«Es ist wichtig zu wissen, wie es zu Hause aussieht, wo das Kind lernt» Andrea Lanfranchi, Leiter Forschung an der Interkantonalen Hochschule für Heilpädagogik, weist auf die Bedeutung einer konstruktiven Zusammenarbeit zwischen Eltern und Lehrpersonen hin. Ziele und Differenzen müssen geklärt sein, damit zu Hause gute Bedingungen für das Lernen und somit auch für die Hausaufgaben geschaffen werden können.
Akzente: Welchen Einfluss hat das Zuhause auf den Schulerfolg der Kinder? Lanfranchi: Einflussfaktoren für den Erfolg der Kinder sind in erster Linie Intelligenz, Begabung und Motivation, schon an zweiter Stelle kommen die Ressourcen der Familie, an dritter Stelle die Qualität des Unterrichts. Die Familie als Bildungsort hat also eine zentrale Bedeutung. Das ist einer der Gründe, weshalb wir so viele Schwierigkeiten in Bezug auf eine gleiche Verteilung von Bildungschancen haben. Was drückt der Begriff «Bildungsort Familie» genau aus? Er drückt aus, dass das Kind schon sehr früh, noch vor und gleich nach der Geburt, zu lernen beginnt, und dass Impulse der Eltern sehr wichtig sind. Kinder lernen nicht automatisch, sondern durch vermittelte Lernerfahrungen, wenn man mit ihnen in den Wald geht oder andere Kinder einlädt. Wenn ein Vater dem Kind sagt, es solle auftischen, bringt das fünfjährige Kind Gabeln und Messer und macht somit erste wichtige Erfahrungen im pränumerischen Bereich. Eltern müssen nicht Schule geben, aber die Schule geht davon aus, dass Eltern Dinge wie Zeichnen, Schneiden oder Zählen vermitteln. Was braucht es für gutes Lernen zu Hause? Die zentrale Frage ist, ob Eltern ein Bewusstsein haben, dass ihr Handeln und Sprechen mit dem Kind für sein Lernen wichtig ist. Manche Eltern glauben, sie müssten nicht so viel mit ihrem Kind sprechen, wenn es noch klein ist und nicht sprechen kann. Eine gute sprachliche Basis AKZENTE 1/2017
Über Andrea Lanfranchi Andrea Lanfranchi verliess das Elternhaus in Poschiavo mit 16 Jahren für die Lehrerausbildung in Chur. Nach einem Jahr als Realschullehrer folgte ein Studium der Psychologie und Sonderpädagogik an der Universität Zürich. Anschliessend war Lanfranchi zehn Jahre als Schulpsychologe bei der Stadt Zürich tätig. Parallel absolvierte er eine Ausbildung zum Psychotherapeuten und promovierte an der Universität Zürich mit der Studie «Immigranten und Schule». 2002 wechselte Lanfranchi an die Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik Zürich (HfH), wo er heute als Leiter der Forschung tätig ist. Er forscht im Bereich Migration, Schule und frühe Bildung. Lanfranchi leitete die viel beachtete ZEPPELINStudie zur Frühförderung ab Geburt. Der 59-Jährige ist Vater von zwei erwachsenen Kindern, lebt mit seiner Frau in Meilen und geniesst in der Freizeit Langlauf, Rennrad und JazzPiano.
ist aber enorm wichtig. Dabei ist unwichtig, welche Sprache das ist. Ein solches Denkmodell, dass die Schule für die Bildung zuständig ist, ist nicht förderlich für das Lernen. Zudem gibt es auch Eltern mit grossen Belastungen wie Armut, gekoppelt mit Niedergeschlagenheit, die keine Zeit oder Kraft für Lern- und Beziehungszeit mit dem Kind haben und nicht in dem Masse Unterstützung leisten können wie andere Familien. Wir schätzen diesen Teil auf 10 bis 15 Prozent. Welche Auswirkungen hat das erwähnte Denkmodell? Das hat zuerst einmal Auswirkungen auf das Selbstvertrauen des Kindes. Wenn Eltern selbst kein Vertrauen haben, dass sie durch ihr Tun etwas bewirken, können sie dieses auch schlecht weitergeben. Zudem vermittelt man durch Erziehung auch die Kompetenz, zu warten und nicht impulsiv zu reagieren. Da gibt es grosse Unterschiede, und diese wirken sich direkt auf den Schulerfolg aus. Wie kann die Schule solche Chancenungleichheiten minimieren? Ungleichheiten entstehen dadurch, dass gewisse Kinder von der Geburt an bei den Eltern oder extern ein wirksames Unterstützungssystem haben und andere nicht. Präventive Massnahmen wie Hausbesuchsprogramme von der Geburt bis zum Alter von drei Jahren oder gute Kindertagesstätten vor dem Kindergarten sind nicht Aufgabe der Schule, sondern der politischen Verantwortlichen in Kanton und Gemeinden. Die Schweiz investiert etwa 0.2 Prozent des Bruttoinlandprodukts in Massnahmen der frühen Bildung für
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Text: Melanie Keim, Fotos: Nelly Rodriguez
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«Die Schule geht davon aus, dass Eltern Dinge wie Zeichnen, Schneiden oder Zählen vermitteln.» Andrea Lanfranchi, Leiter Forschung an der HfH.
zu schaffen, oder vergrössern sie bestehende Ungleichheiten? Hausaufgaben können beides sein, eine Möglichkeit, sich über Ziele der Lehrperson zu verständigen oder eine Quelle von Konflikten. Es ist gut, wenn Eltern über Hausaufgaben einen Einblick in die Schule erhalten. Ich sehe einen positiven erzieherischen Wert von Hausaufgaben, sofern Kinder und Eltern nicht überfordert werden. Die Schule darf nicht voraussetzen, dass zu Hause ein Dienstleistungsbetrieb vorhanden ist. Ein Teil der Eltern kann diese volle Unterstützung beim Lernen nicht leisten. Da muss die Schule sich überlegen, inwiefern sie sich an diese Schülerschaft anpassen kann. Eine einfache Variante sind Hausaufgaben, die Kinder wirklich selbst lösen können, oder Hausaufgabenstunden an der Schule. Tagesschulen oder schulergänzende Betreuung von guter Qualität sind eine kostenneutrale Möglichkeit, um Bildungsungleichheiten zu reduzieren. Oder die Lehrperson sucht mit Unterstützung der Schulsozialarbeiterin oder eines Schulpsychologen nach Unterstützungsmöglichkeiten zu Hause. Wichtig ist, dass die Lehrperson weiss, wie es zu Hause aussieht, wo das Kind arbeitet. Wenn zum Beispiel ein Jugendlicher auf Lehrstellensuche zu Hause keinen Computer hat, erhält er Zugang zu einem Schulcomputer nach dem Unterricht oder vielleicht einen von einem Sozialzentrum finanzierten Laptop.
Welche Rolle spielen Deutschkenntnisse der Eltern für die Unterstützung der Kinder? Wenn Eltern aufgrund fehlender Deutschkenntnisse Dennoch, was kann die Schule tun? keine Unterstützung bei den Hausaufgaben bieten könDie Lehrperson muss in der Lage sein, mit allen Eltern nen, könnten sie in einem Hausaufgaben-Heft ankreuoffen und konstruktiv zu kommunizieren. Dafür sind zen, ob Kinder die Hausaufgaben gemacht haben. Hausein fallbezogenes Vorgehen und eine kultursensible aufgaben müssen nicht so gestellt werden, dass Eltern Haltung nötig. Zudem braucht es massgeschneiderte sie auch verstehen. Es gibt Kinder, die ihre Eltern schon Formen und Tools des institutionalisierten Austausches. in der dritten Klasse übertreffen. Der springende Punkt Bei gewissen Eltern reicht ein Elternabend, bei anderen ist, dass die Lehrperson ihre Vorstellungen von Koopebraucht es einen Hausbesuch und bei einer dritten ration transparent macht und klar kommuniziert, wie Familie kann man mit einem Berater etwas in BeweHausaufgaben gelöst werden sollen. Und dann sorgt sie gung setzen. Im Gespräch versucht man herauszufinfür unterstützende Massnahmen, wo es nötig ist. den, was die Erwartungen auf beiden Seiten sind. Wo sich Differenzen zeigen, benennt man diese. Eine Kennen Sie besonders gute Beispiele einer instiLehrerin darf ruhig fragen: «Könnte es sein, dass Sie tutionell geregelten Zusammenarbeit zwischen eine ganz andere Vorstellung von Erziehung haben?» Eltern und Schule bezüglich Hausaufgaben? Sie muss nicht mit allem einverstanden sein, was zuWir haben Tagesschulen in Schweden besucht, an hause passiert, aber Vertrauen haben, dass Eltern das denen die Hausaufgaben in der Schule erledigt werden. Beste für das Kind wollen, und klarstellen, dass in der Die Kinder können sich nach der Schule wirklich entSchule eigene Regeln gelten. Familie und Schule sind spannen und müssen mit den Eltern nicht über Aufgazwei verschieden funktionierende Systeme. Diese ben streiten. Die Eltern werden dadurch integriert, Trennung muss man akzeptieren können. dass das Schulhaus jeden Freitagnachmittag ab 15 Uhr geöffnet wird. Dann gibt es Kaffee und Kuchen, Sind Hausaufgaben für Lehrerinnen und Lehrer Tanz- und Sprachkurse. Man holt die Eltern auf eine ein gutes Mittel, um einen Kontakt zu den Eltern andere Art und Weise in die Schule. Kleinkinder, die OECD spricht von einem Minimum von einem Prozent.
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Dank Mentoring mehr Chancen fürs Leben Im Rahmen des Programms «Future Kids» unterstützen Studierende Primarschülerinnen und -schüler aus benachteiligten Familien. Darunter sind auch viele Studentinnen und Studenten der PH Zürich. Sie vermitteln den Kindern Techniken zum eigenständigen Lernen – unter anderem anhand von Hausaufgaben. Auf Hausbesuch mit den Studierenden Timothy Parsons und Jasmin Weber. Text: Claudia Merki, Fotos: Alessandro Della Bella
Arbeiten im Kinderzimmer: Der 6. Klässler Petrit und Student Timothy Parsons treffen sich einmal pro Woche.
Ein Töggelikasten, Vorhänge mit dem Emblem des FC Barcelona, auf dem Pult eine Schreibunterlage mit Porträts von Messi und Neymar. Hier wohnt der 6. Klässler Petrit. Er sitzt gerade mit Timothy Parsons am Pult. Sie tauschen keine Fussballbildli aus, sondern Erlebnisse der Woche. Timothy Parsons ist PHZH-Student im 3. Semester und Mentor von Petrit. «Was hast du seit meinem letzten Besuch erlebt?», fragt er den Jungen. Einmal
pro Woche und für die Dauer eines Jahres besucht der Student den Zwölfjährigen in dessen Zuhause in ZürichOerlikon, um ihn während einer Stunde beim Lernen zu unterstützen und zu fördern. Die zwei machen einen vertrauten Eindruck. Sie sind Teil des 2010 gestarteten Programms «Future Kids» der Zürcher Fachorganisation AOZ. Diese arbeitet mit Deutschschweizer Hochschulen und der PH Zürich zusammen. Ziel des Programms ist
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«Wir mussten zuerst unsere Erwartungen klären», sagt Timothy Parsons. Der Student und Fussball-Fan Petrit haben sich auf die Ziele geeinigt, deshalb funktioniert die Zusammenarbeit jetzt sehr gut.
es, Primarschülerinnen und -schüler aus benachteiligten Familien, oft mit Migrationshintergrund, beim schulergänzenden Lernen individuell zu begleiten. Dabei soll auch die Integration gefördert werden. Mit der Frage nach den Erlebnissen des Buben zielt Timothy nicht allein auf die Schule ab. Fast wie ein grosser Bruder zeigt er Interesse für die privaten Unternehmungen des Jungen. «Freust du dich auf deine Geburtstagsparty?», erkundigt sich der Student. Zwischen den beiden kommt mühelos ein Gespräch in Gang. Das war nicht immer so. Zu Beginn des Mentorings gab es gewisse Schwierigkeiten. «Wir mussten zuerst unsere Erwartungen klären», sagt Timothy Parsons. Petrit wollte Schulstoff lernen, sein Mentor übergeordnet arbeiten. «Erst wollte ich klären, wo er steht, wie er sich organisiert, was er gerne macht und wie ich ihn weiterbringen kann.» Die beiden haben sich darauf geeinigt, dass Petrit jeweils 20
seine konkreten schulischen Bedürfnisse nennt und der Student darauf eingeht. «Unser Treffen soll ihm auch diesen Nutzen bringen.» Dazu gehört auch mal das Lernen auf Prüfungen oder die Unterstützung bei Hausaufgaben. Heute zeigt Timothy Parsons dem Jungen eine Sprach-App, die er für ihn entdeckt hat. Er möchte anschliessend seine Wochenplanung sehen und erkundigt sich nach dem Ausgang eines Englischtests. Erst die Beziehung ermöglicht die Unterstützung Der Student arbeitet mit seinem Schützling gezielt auch an der Beziehung. Auf einem sommerlichen Ausflug in einen Park taten sie nichts anderes, als Karten zu spielen. «Petrit fand das schön und es half uns, eine Beziehung aufzubauen.» Für ein gelingendes «Future Kids»-Mentoring ist die Beziehungsgestaltung zwischen dem Kind und dem Mentor oder der Mentorin zentral. Zu diesem AKZENTE 1/2017
wie man sich organisiert, einen Lernplan erstellt oder welche Lernstrategien es gibt. «Die Umsetzung liegt an ihm.» Eines der Ziele von «Future Kids» ist es, während der Lernbegleitung die Selbstwirksamkeit und damit auch die Selbstsicherheit und das Selbstvertrauen zu stärken. Die Schüler sollen beim Lernen ihre Fortschritte erkennen können, damit sie ein Gefühl des Erfolges erleben.
Während Petrit und sein Mentor nun auf spielerische Art eine kurze Geschichte erfinden, sitzt Petrits Vater im Wohnzimmer bei einer Tasse Kaffee. Der Albaner ist seit 1993 in der Schweiz und arbeitet im Schichtbetrieb. Seine Frau ist gerade ausser Haus an der Arbeit. Dem Vater ist bewusst, dass die Chancen auf eine Berufslehre besser stehen für Jugendliche mit einer erfolgreichen Schulkarriere. Er will, und das ist spürbar, dass sein Sohn, der in der Freizeit in einem Club Fussball spielt und den Gitarrenunterricht besucht, gut in der Schule ist. Kinder erleben Druck, in der Schule zu reüssieren In der PHZH-Begleitstudie erwähnen die befragten Kinder den Druck seitens Eltern, Verwandten, aber auch sich selber, in der Schule zu reüssieren. Petrits Vater kann seinen Sohn zu wenig unterstützen. Damit ist er nicht allein. Laut der Studie ist «allen Kindern der Studie gemein, dass sie zuhause wenig bis keine schulische Unterstützung erhalten.» Nicht, dass die Eltern diese nicht leisten wollten. Doch fehle es ihnen wegen oft grosser Arbeitsbelastung an der Zeit und den Sprachkenntnissen, häufig auch an der erforderlichen Bildung. Petrits Vater glaubt daran, dass das Mentoring seinem Sohn hilft, auch wenn sich die Unterstützung nicht gleich in besseren Noten niederschlägt. Im Verhalten aber schon. «Petrit ist reifer und sicherer geworden», sagt der Vater. Auch der Lehrer sei zufrieden: «Petrit zeigt mehr Interesse und macht überall mit.» Diese Aussagen decken sich mit der Selbsteinschätzung des Jungen. «Ich lese mehr Bücher, bin besser beim Voci-Lernen und habe vor Tests ein besseres Gefühl», fasst er seine Fortschritte zusammen.
Schluss kommt auch die PHZH-Begleitstudie «Lernen mit Spass», welche 2016 das Mentoring-Programm aus Sicht der Kinder untersuchte. Derzeit beteiligen sich 76 Mentorinnen und Mentoren am Programm: Rund 40 Studierende sind es von der Uni Zürich, ein halbes Dutzend kommen je von ETH und ZHAW. 23 Mentorierende stellt die PH Zürich. Laut Zeliha Aktas von der PHZH absolvieren 19 Studierende das Programm als Modul im Rahmen ihrer Ausbildung. «Future Kids ermöglicht ihnen, bereits während des Studiums ein fremdsprachiges Kind zu unterrichten. Diese Erfahrung ist sehr wertvoll», erklärt die Modulleiterin. «Wollen wir mit der Agenda weiterfahren?», fragt der Student den 6. Klässler jetzt. Ihm ist es ein wichtiges Anliegen, dem Jungen mehr und mehr die Verantwortung «Horizonterweiterung» für die Mentorierenden für das Lernen und die Lernorganisation zu übertragen. Auch die PHZH-Studentin Jasmin Weber engagiert sich Er könne, so Timothy Parsons, Petrit lediglich aufzeigen, bei «Future Kids». Sie war sofort begeistert, als sie zum AKZENTE 1/2017
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Eines der Ziele von «Future Kids» ist es, die Selbstsicherheit der Kinder und Jugendlichen zu stärken.
Wohnzimmer setzen sie sich an den Tisch. Gleich wie ihr Kollege beginnt Jasmin Weber die Stunde mit Fragen zur vergangenen Woche und erklärt der 9-Jährigen, woran sie heute arbeiten werden. Dabei holt sie stets Leas Einverständnis ein oder lässt ihr eine Wahl: «Möchtest du jetzt lieber Mathe und danach Englisch machen?» Das Mädchen wählt Englisch. Die Mentorin gibt Lea Anweisungen in dieser Sprache, die das Mädchen in der Stube ausführen soll. Um mehr Schwung in die Stunde zu bringen, spielen sie ein Pferderennen, galoppieren durch den Raum, springen über imaginäre Hürden. Lachend klatschen sie ab. Es ist offensichtlich: Lea macht die Arbeit in dieser Form Spass. Beteiligte treffen sich regelmässig zum Austausch Die Studentin richtet ihr Augenmerk vor allem auch auf die Selbständigkeit und die Sicherheit des Mädchens. «Sie soll keine Angst mehr haben, wenn sie etwas nicht weiss, sondern lernen, sich selber zu helfen.» Laut der PHZH-Studie schafft die Eins-zu-eins-Betreuung einen idealen Rahmen, in welchem sich die Kinder weder schämen noch ängstigen müssen, etwas falsch zu machen.
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ersten Mal von dem Programm erfuhr. «Ein sinnvolles Projekt, hinter dem ich stehen kann», sagt sie. Anstatt irgendeiner Institution Geld zu spenden, helfe sie lieber selber ganz konkret. Jasmin Weber ist wie Timothy Parsons seit Frühjahr 2016 Mentorin. Sie begleitet Lea aus dem Kosovo, die nun in die 3. Klasse geht. Vor Beginn der Mentoratstätigkeit werden die Studierenden in einer eintägigen Schulung auf ihre Aufgaben vorbereitet. «Themen wie Mehrsprachigkeit und das Vermitteln von Lernstrategien stehen dabei im Vordergrund», sagt Beren Tuna, «Future Kids»-Mitarbeiterin bei der AOZ. Zudem würden die Mentorinnen und Mentoren regelmässig durch erfahrene Fachpersonen gecoacht. Die Studierenden würden insbesondere dadurch profitieren, dass sie sich persönlich mit einer anderen Lebensrealität auseinandersetzen. Das Interesse, am Programm mitzumachen, sei gross und es würden sich relativ einfach geeignete Studierende finden. «Viele zeigen eine grosse Bereitschaft, sich sozial zu engagieren.» Lea empfängt ihre Mentorin strahlend an der Wohnungstür im zürcherischen Oberglatt und überreicht ihr noch auf der Schwelle ein Geburtstagsgeschenk. Im
«Möchtest du zuerst Mathe und danach Englisch machen?» Studentin Jasmin Weber lässt Schülerin Lea die Wahl.
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wertungsgespräch. «Mir macht diese Arbeit Freude», resümiert Jasmin Weber. «Future Kids» arbeitet aktuell mit fünf Primarschulen im Kanton Zürich zusammen, von denen vier QUIMS-Schulen sind. Bei «Future Kids» verläuft der Zugang zu den Kindern über die Schule bezieungsweise über die Klassenlehrerinnen und -lehrer. Eine Vereinbarung zwischen der AOZ und der jeweiligen Schule hält die gegenseitigen Verpflichtungen fest. Laut Thomas Schmutz, Kommunikationsbeauftragter der AOZ, bezahlen die Schulen einen relativ geringen Beitrag pro Kind. «Den Grossteil der Kosten trugen bisher Stiftungen, die Stadt Zürich sowie vom Kanton Zürich der Lotteriefonds und das Volksschulamt.» Seit dem Start von «Future Kids» im Jahr 2010 wurden bislang rund 190 Kinder betreut. «Schätzungen gehen davon aus, dass im ganzen Kanton Zürich rund 3500 benachteiligte Primarschüler und -schülerinnen sinnvoll von einem Mentoring profitieren könnten.» Dafür reichen die heutigen Ressourcen natürlich nicht aus. Aber: Laut Thomas Schmutz wird 2017 mit dem Volksschulamt geklärt, wie ein weiteres Wachstum in die Wege geleitet werden kann. Schwer pu nkt Hausaufgaben
Ihre Mutter, eine Albanerin, kann Lea aufgrund der fehlenden Deutschkenntnisse nicht unterstützen. Deshalb erhielt die Primarschülerin bereits vor dem Mentorat Hilfe von einer Nachbarin. «Diese Unterstützung brauchen wir jetzt nicht mehr», zeigt sich die Mutter glücklich. Leas Deutsch habe sich verbessert, und sie gehe nun gerne in die Schule. Inzwischen naht das Ende der Stunde. Die Studentin prüft zum Schluss das Leseverständnis des Mädchens, indem es einige Fragen schriftlich beantworten soll. Lea wirkt nun etwas unkonzentriert, lenkt ab, spielt mit dem Radiergummi. «Den letzten Satz schaffst du noch», motiviert Jasmin. Für die Studentin geht ein langer Tag zu Ende. Eine Pendenz ist noch zu erledigen. Wie alle Mentoren muss sie den Begleitprozess nach den Besuchen jeweils in einem Lernjournal festhalten. Dieses ist auf einer Onlineplattform gespeichert, auf die auch die AOZ-Coaches und Klassenlehrpersonen der begleiteten Kinder Zugriff haben. Lehrerinnen und Lehrer hinterlegen dort die Lernziele, an denen sich die Studierenden orientieren. Einmal jährlich treffen sich Mentor, AOZ-Coach, die Lehrperson, das Kind und ein Elternteil zu einem Aus-
Auflockerung muss sein: Ein Pferderennen durchs Wohnzimmer bringt Schwung in die Stunde.
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Studierendenporträt
Während sich andere Studierende in den Semesterferien vielleicht am Strand räkelten, verbrachte die 22-jährige Maria Goffi im vergangenen August zwei Wochen in einem griechischen Flüchtlingscamp. Sie habe helfen und sich selber ein Bild der aktuellen Flüchtlingsthematik machen wollen, sagt sie. Hier lernte sie eine syrische Familie kennen. Eine Mutter. Drei Kinder. Alle warteten darauf, dass es endlich weitergeht. Der Vater befand sich in Österreich, der älteste Sohn bereits in der Schweiz. Jetzt sollte die Familie wieder zusammenkommen. Zurück in der Schweiz ging Maria Goffi das Schicksal dieser Menschen nicht mehr aus dem Kopf. Sie wollte helfen und überlegte sich, wie sie das von der Schweiz aus tun könnte. Kurzerhand organisierte sie mit 24
Hilfe zweier Kommilitonen einen Kuchenverkauf an der PH Zürich, um Geld für die Hilfsorganisation «Noná» zu sammeln. Diese wurde von zwei Schweizerinnen gegründet, welche Maria Goffi in Griechenland kennen lernte. «Sie sorgen für warme Unterkünfte und verhelfen den Flüchtenden zu mehr Selbstständigkeit», erzählt die Studentin.
So animierte sie Freunde dazu, Kuchen zu backen und kreierte selbst Prospekte und ein Transparent. «Solidarität ohne Grenzen» hiess es darauf. Und aus den Worten wurde Realität. Sie verkaufte Kuchen im Wert von rund 1400 Franken. «Der Betrag hat all unsere Erwartungen übertroffen», sagt sie. «Mit wenig Aufwand konnten wir einen grossen Beitrag
beisteuern. Es wäre schön, wenn sich andere Studierende davon inspirieren lassen würden.» Man merkt Maria Goffi an, dass ihr das soziale Engagement am Herzen liegt. Sie absolvierte ursprünglich eine KV-Lehre, konnte sich den Büro-Alltag aber nie vorstellen. Viel lieber wollte sie mit Menschen arbeiten. So entschied sie sich, die Passerelle zu machen, um danach an der PH Zürich studieren zu können. Was für eine Lehrperson sie sein wird, weiss sie bereits: «Ich will den Jugendlichen nicht nur Bildung vermitteln, sondern sie auch bei ihren persönlichen Problemen unterstützen.» So zeigt sich erneut ihre soziale Ader. – Fabia Bernet
Fabia Bernet studiert Journalismus und Organisationskommunikation an der ZHaW. AKZENTE 1/2017
Foto: Nelly Rodriguez
Studierendenseite
Maria Goffi, 22, studiert an der PH Zürich auf der Sekundarstufe I.
Die Bachelorarbeit
Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, hat sich die Autorin durch eine Vielzahl von Theorien gearbeitet. «Die Zweitsprache ist die Sprache, die nach der Erstsprache erworben wird. Während es bei der Entwicklung der Erstsprache vorrangig um die Persönlichkeitsentwicklung geht, teilt man den Erwerb der Zweitsprache primär der Sozialisation zu», zitiert Lena Hangartner aus der Literatur der Bildungsexpertin Sandra Hutterli. Dies konnte sie auch selber während ihres Praktikums in Uster feststellen: Gerade AKZENTE 1/2017
DaZ-Kinder seien sehr motiviert, die Sprache zu erlernen, da sie mit den anderen spielen und sich integrieren wollen. Doch auch abstraktere Ansätze haben die 26-Jährige fasziniert: beispielsweise die Theorie des mentalen Lexikons. Sie ist eine mögliche Erklärung dafür, mit welchem System Wörter im Gedächtnis abgespeichert werden. «Diese Fülle an Informationen für den Theorieteil war aber schlussendlich mein grösster Stolperstein. Ich musste mich sehr stark eingrenzen», sagt Lena Hangartner rückblickend. Denn auch der Teil mit der empirischen Analyse durfte in ihrer Arbeit nicht zu kurz kommen. Dafür hat sie mit zwei ausgewählten Kindern Sprachtests durchgeführt und anhand ihrer Sprachprofile individuelle Förderungsmöglichkeiten erstellt.
Lena Hangartner ist mit viel Herzblut ans Werk gegangen. Dies kommt in der Arbeit schön zum Ausdruck. Am wichtigsten sind ihr die Erkenntnisse, die sie für ihre berufliche Zukunft als Lehrperson mit in die Schule nimmt. Zum Beispiel, dass man die Schülerinnen und Schüler je nach Sprachniveau in kleine Gruppen einteilt und so auf spielerische Weise schnell Erfolge erzielen kann. Und die Studentin meint abschliessend: «Natürlich ist die Förderung anstrengend.» Doch sie sehe die Arbeit mit fremdsprachigen Kindern als Chance. Sie bedeute immer auch einen Kulturaustausch. – Corina Rainer
Corina Rainer studiert Journalismus und Organisationskommunikation an der ZHaW. Die Arbeit von Lena Hangartner ist online publiziert: blog.phzh.ch/akzente
Die Überlegenheit der Holzkohle Grilleure teilt man in drei Glaubensrichtungen ein: in die Anhänger des Gasgrills, des Elektrogrills und die Orthodoxen, die Fleisch über der Holzkohle braten. Alle sind überzeugt, sie kriegten es am besten hin. In meinem Quartier leben die drei Glaubensgemeinschaften friedlich nebeneinander. Doch einmal im Monat setzt sich der wahre Glaube durch: Wenn meine Nachbarn das Bedürfnis nach einem gemeinsamen Abend haben, versammeln sie sich um meine Feuerschale, die gute Holzkohle produziert. In der Regel strömen sie gleich nach dem ersten Rauchzeichen herbei mit Weinflaschen in der einen und Fleisch in der andern Hand. Geht im Verlauf des Abends das Holz zur Neige, besorgen sie Nachschub. Manch einer hat es sich angewöhnt, die Kartonschachteln der letzten Pizzalieferung in die Feuerschale zu werfen. Diese Abende sind zu einem Ritual geworden. Sie erinnern jedes Mal daran, welche Bedeutung die Erfindung des Feuers vor etwa einer Million Jahren noch heute hat. Kulturwissenschaftler sind sich einig, dass das Feuer die soziale und kulturelle Entwicklung der Menschen vorantrieb: Während sie um das Feuer standen, erzählten sie sich erstmals Geschichten, sangen oder tanzten – alles wichtige Aktivitäten für die Herausbildung einer Gemeinschaft. Welch armseliges Geschöpf wäre aus dem Menschen geworden, hätte er den Elektro- oder Gasgrill vor dem Feuer entdeckt. Dario Venutti ist Student auf der Sekundarstufe II und Tutor im Schreibzentrum der PH Zürich.
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«In einer zweiten Klasse wiesen 19 von 24 Schülerinnen und Schülern einen mehrsprachigen Hintergrund auf», schreibt Lena Hangartner über ihr Quartalspraktikum an der Primarschule Uster. Ihre Beobachtung steht stellvertretend für die aktuelle Entwicklung im ganzen Kanton. Laut der Bildungsdirektion des Kantons Zürich steigt die Zahl der Kinder mit Deutsch als Zweitsprache (DaZ) deutlich an. Im Schuljahr 2013 waren es 40 Prozent und somit fast die Hälfte aller Schülerinnen und Schüler. Die meisten reden Albanisch, gefolgt von Italienisch und Portugiesisch. Lena Hangartner war inspiriert von dem hochaktuellen Thema und ihrer eigenen Erfahrung. Das Thema ihrer Bachelorarbeit stand deshalb schnell fest. Die Studentin wollte sich darauf konzentrieren, wie sie den Sprachstand von Kindern mit Deutsch als Zweitsprache diagnostizieren und fördern kann: «Ich möchte herausfinden, wie ich in solchen Situationen am besten handle und welche Möglichkeiten ich habe, die Kinder im Regelunterricht so gut wie möglich zu unterstützen», erläutert sie ihre Überlegungen.
Ausstudiert – die Studierendenkolumne
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Das Theaterspielen fördert die Kreativität von Kindern und regt ihre Fantasie an. Die PH Zürich setzt hier an und bietet eine CAS-Weiterbildung in Theaterpädagogik an. Lehrerin Alice Hauschild absolviert zurzeit diese Ausbildung und ist begeistert.
Kleiner Aufwand – grosse Wirkung Die Weiterbildung ist genauso spannend, wie Alice Hauschild sich das vorgestellt hat. Sie profitiere von der klaren und praxisorientierten Struktur. Der CAS sei für jede Lehrperson geeignet, sagt Dozent Andi Thürig. «Man muss nicht einmal besonders theateraffin sein.» NeugierText und Foto: Fabia Bernet de und Offenheit seien aber Grundvoraussetzung. Das Gelernte kann danach in vielen Bereichen des Unterrichts eingebracht werden. «Auch im normalen Unterricht lassen sich Elemente der Theaterpädagogik einflechten», sagt er. Mit kleinem Aufwand kann mit Stilmitteln aus dem Bereich des Theaters eine grosse Wirkung erzielt werden. Der Schwerpunkt des CAS liegt auf der eigenen Alice Hauschild hüpft und zieht Grimassen. Ne- praktischen Spielerfahrung und dem Erleben von Entben und vor ihr stehen sechs Kinder im Mittelstufenalter. Vier Mädchen, zwei Jungs. Sie imitieren eifrig die 49-Jährige, die hauptberuflich als Sportlehrerin tätig ist. Alice Hauschild klatscht in die Hände. Es gilt nun, das Klatschen im Kreis so schnell wie möglich weiterzugeben. Lautes Lachen und freudig quiekende Kinderstimmen mischen sich in den Rhythmus. Mit den Übungen wärmt sich die Gruppe für die bevorstehende Probe auf. Die Kinder besuchen das Freifach Theater. Dieses hat Alice Hauschild im Zuge ihrer CAS-Weiterbildung «Theaterpädagogik» ins Leben gerufen. Gemeinsam mit den Kindern erarbeitet sie nun ein Theaterstück, das sie später aufführen werden. «Es ist mir wichtig, die Geschichte gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern Will Theater wieder wichtig machen: zu kreieren», sagt Hauschild. Die Inszenierung ist Teil der Lehrerin Alice Hauschild bei den Proben Weiterbildung. Im März 2016 hat sich die Lehrerin für mit ihrer Klasse. den CAS entschieden. 35 Präsenzveranstaltungen werden in sechs thematische Sequenzen aufgeteilt. Hier erhalten die Teilnehmenden Impulse, die sie später bei der prakti- wicklungs- und Probeprozessen. «Ich habe die ganze Palette des Theaters erlebt», sagt Alice Hauschild. Dass sie schen Umsetzung unterstützen sollen. von der Weiterbildung profitiert hat, merkt man, wenn sie Satz für Satz zu einer Geschichte die Kinder während der Probe mit bestimmter Stimme Im ersten Teil der Weiterbildung sind die teilnehmenden anweist und dennoch immer genug Platz lässt für SponLehrpersonen selbst die Spielenden. Darauf hat sich tanität und Kreativität. Alice Hauschild am meisten gefreut. Vor über 20 Jahren – Fabia Bernet hat sie in Zürich eine Theaterschule besucht. Nun will sie Weitere Informationen zum CAS Theaterpädagogik dem Theater wieder einen Platz in ihrem Leben gewäh- tiny.phzh.ch/theaterpaedagogik ren. «Ich will Theater wieder wichtig machen», sagt sie. Fabia Bernet studiert Journalismus und OrganisaVon der Wichtigkeit des Theaterspielens überzeugt ist tionskommunikation an der ZHaW. AKZENTE 1/2017
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PH Zürich – Weiterbildu ng
Theaterspielen gegen eine «verkopfte» Welt
auch Andi Thürig, Dozent an der PH Zürich im Bereich Musik und Performance und Co-Leiter des CAS Theaterpädagogik: «Theater ist ein guter Gegenpol zu unserer ‹verkopften› Welt.» Die Fantasie der Kinder und Jugendlichen werde wieder angeregt. Dass dies funktioniert, zeigen die Proben der Theaterproduktion von Alice Hauschild. Ein Kind sagt einen Satz, der nächste folgt vom zweiten Kind. Satz für Satz entsteht eine Geschichte. «Ich will die Kinder ihren Weg finden lassen», sagt sie.
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Eine Woche ohne Smartphone Was für viele unvorstellbar ist, hat eine Studentin der PH Zürich im Rahmen einer Lehrveranstaltung in Medienbildung gewagt: Sie hat ihr Handy für eine Woche abgegeben. Ihre Erfahrungen zeigen, dass der Verzicht ein Gewinn sein kann.
«Heute habe ich mich um Punkt 12 Uhr für eine Woche von meinem iPhone verabschiedet.» Mit diesem Satz beginnt Priscilla Gallis Erlebnisbericht, der ihr Selbstexperiment «Eine Woche ohne mein Smartphone» dokumentiert. Angeregt hat den siebentägigen Smartphone-Verzicht Peter Holzwarth, Dozent an der PH Zürich. Er hat den Studierenden in seiner Lehrveranstaltung die Wahl gelassen, anstelle der Bearbeitung von vier Aufträgen – darunter das Verfassen einer Filmanalyse und die Produktion eines Handyaudioguides – für eine Woche das Handy abzugeben und einen Bericht über die Erfahrung zu verfassen. Sechs Personen haben sich für Letzteres entschieden. «Es hat mich überrascht, dass es so viele waren», sagt Peter Holzwarth. Eine der sechs Studierenden ist Priscilla Galli. Seit ihrem 17. Lebensjahr ist die 24-Jährige im Besitz eines Smartphones. Als das erste iPhone auf den Markt gekommen sei, habe sie es noch ein wenig verrückt gefunden, dass ein Gerät so viel kann, sagt Priscilla Galli. Doch obwohl sie sich selber nicht als «Smartphone-Addict» bezeichnet, ihr Smartphone beim Essen nicht auf den Tisch legt und oft den Flugmodus aktiviert, ist es in ihrem Leben mittlerweile selbstverständlich geworden. Sie kann sich nur noch schwer vorstellen, verschiedene Geräte wie etwa einen iPod oder eine Kamera mit sich herumtragen zu müssen. «Das Smartphone vereint alle Funktionen, die ich benötige, um mein Leben zu bewältigen», sagt sie. Doch es muss auch ohne gehen, dachte sich die angehende Primarlehrerin und entschied sich, eine Woche lang auf die Annehmlichkeiten des Geräts zu verzichten.
schreiben zu müssen. «Ausserdem erkennen die Studierenden die Bedeutung der Medienerziehung für die Schule und werden möglichweise angeregt, das Experiment mit ihren eigenen Schülerinnen und Schülern durchzuführen», so der Dozent. Des Weiteren würden sie erleben, wie es sich anfühlt, wenn man im Kollegenkreis die einzige Person ohne Mobiltelefon ist. Letztere Erfahrung beschreibt Priscilla Galli in ihrem Bericht besonders deutlich: «Es war ein komisches Gefühl, mich einfach darauf verlassen zu müssen, dass sie um die abgemachte Zeit erscheinen», schreibt sie etwa zum Besuch ihrer Familie und ergänzt: «Eigentlich eine traurige Erscheinung, da Abmachungen, Verlässlichkeit sowie Pünktlichkeit an Wert verloren haben, seit wir die Möglichkeit haben, andere sofort telefonisch über die eigene Verspätung zu informieren.» Besserer und längerer Schlaf Bereits nach wenigen Tagen erfuhr die Studentin, dass der Verzicht mit der Entstehung von Freiräumen einhergeht: Sie hat Zeit, wieder einmal ein Buch zu lesen und schaut sich konzentriert einen Film an. Zudem fällt ihr das Lernen leichter, da sie nicht abgelenkt wird, was sie in ihrem Fazit auf den Punkt bringt: «Schultechnisch habe ich nur profitiert in dieser Woche. Ich war beim Lesen zu Hause viel konzentrierter, effizienter und genoss besseren und längeren Schlaf. In den Lehrveranstaltungen war ich mental viel präsenter. Diese hohe Konzentration erhoffe ich mir auch zukünftig bei meinen Schülerinnen und Schülern.» Nach einer Woche war Priscilla Galli froh, ihr Smartphone wiederzuhaben – vor allem wegen der darauf gespeicherten Musik, die sie während des Experiments am meisten vermisst hat. Dennoch, so schreibt sie, hätte sie problemlos eine weitere Smartphone-freie Woche anhängen können: «Die Woche hat mir gezeigt, dass ich gut ohne mein iPhone auskommen kann.»
Weniger Ablenkung, mehr Freiräume Der zeitweilige Verzicht auf die Handykommunikation ist mit einem grossen Potenzial verbunden, ist Peter Holzwarth überzeugt. So könne anhand des Experiments beispielsweise überprüft werden, inwieweit Aspekte von Mediensucht erkennbar sind, oder sich verdeutlichen, dass das Handy auch Stress bedeuten kann – wie etwa das Ge- Olivia Rigoni ist Redaktorin in der Abteilung fühl der Erreichbarkeit oder der Zwang, zeitnah zurück- Kommunikation der PH Zürich. AKZENTE 1/2017
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PH Zürich – Ausbildu ng
Text: Olivia Rigoni
PH Zürich – Ausbildu ng/Weiterbildu ng
Inklusion ‒ die bisherige Selektivität hinterfragen
soziale Inklusion Zugehörigkeit und Einbeziehung, curriculare Inklusion zielt auf erfolgreiches Lernen für alle. Inklusion schärft den Blick für Diskriminierungsprozesse. Dabei kommt all jenen Gruppen von Schülerinnen und Schülern ein besonderes Augenmerk zu, die von Marginalisierung, Exklusion oder Schulversagen besonders gefährdet sind.
Die Schweiz hat 2014 die Behindertenrechtskonvention (BKR) unterschrieben. Daneben existiert bereits ein Anti-Diskriminierungspassus in der Die Schweiz hat 2014 als 144. Staat die Bundesverfassung. Welche zusätzlichen Aspekte UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) deckt die BKR ab? ratifiziert. Diese zielt darauf ab, die Bis jetzt besteht kein Anspruch auf integrative FördeChancengleichheit von Menschen mit Berung in einer Regelschule, einschränkende Rahmenhinderungen zu fördern und die Defizitoribedingungen wie zum Beispiel zu wenig qualifiziertes entierung zu überwinden. Die PH Zürich baut nun ein «Forum Inklusion» auf, welches Personal oder enge Raumverhältnisse können nach wie vor zur Sonderschulung führen. Mit der UN-BRK sich mit der Umsetzung der Konvention haben alle Kinder das Recht auf eine ihren Bedürfnisbeschäftigt. sen angemessene Grundschulbildung in einer Regelschule. Ausnahmen müssen nun qualifiziert begründet Text und Foto: Reto Klink werden. Welche Auswirkungen hat die Unterzeichnung der Charta für das Bildungssystem? Weitreichende, da schulische Inklusion nicht durch die schnelle Erweiterung des Methodenrepertoires für den Umgang mit «schwierigen» Kindern zu erreichen ist. Inklusion hinterfragt die bisherige Selektivität unseres Bildungssystems und erfordert System-, Schul- und Professionsentwicklung. Man muss zum Beispiel die selektive Fokussierung auf einzelne Fächer im Verhältnis zu anderen Bildungszielen überdenken und eine umfassendere Leistungsbeurteilung in Betracht ziehen. Ebenso gilt es, die selektiven Stufenübergänge in der Volksschule und die Gliederung der Oberstufe zugunsten der Inklusion zu überprüfen, denn Inklusion geht in der Berufsbildung weiter. Im Lehrplan 21 sind die dafür notwendige Orientierung an Lernprozessen und die stufenübergreifende Kontinuität vorgesehen. Silvia Pool Maag, Professorin für Inklusion und Diversität an der PH Zürich.
Akzente: Silvia Pool Maag, was genau bedeutet Inklusion? Pool: Im gesellschaftlichen und schulischen Kontext bedeutet Inklusion das Bemühen, nicht auszugrenzen und Partizipation und Teilhabe zu ermöglichen. Schulische Inklusion anerkennt Bildung als ein Menschenrecht und sieht ein Bildungssystem vor, das keine Kinder ausschliesst. Eine inklusive Schule ist eine «Schule für alle». In der pädagogischen Praxis bedeutet 30
Was bedeutet Inklusion für die Schul- und Unterrichtsebene? Schulische Inklusion ist eine professionelle Herausforderung. Es geht um die kontinuierliche Weiterentwicklung der integrativen Schul- und Unterrichtsstrukturen und die Öffnung und Vernetzung der Schulen hin zu inklusiven Bildungsregionen oder -zentren. Dafür müssen wir Schulleitungen und Lehrpersonen gewinnen und die notwendige Zusammenarbeit im Kollegium, mit Fachpersonen, Eltern, Sonderschulen und unterrichtsergänzenden Angeboten stärken. Lehrpersonen müssen ihr Sensorium für Chancenungleichheit im Unterricht weiterentwickeln, indem sie die individuAKZENTE 1/2017
«Ein Grossteil möchte in den englischen Sprachraum»
ellen Kompetenzen und Lebenserfahrungen sowie die pädagogischen Bedürfnisse der Kinder verstärkt in den Blick nehmen und den Unterricht entsprechend anpassen. Daneben müssen auch Rahmenbedingungen wie Klassengrösse, kooperative Strukturen, Betreuungsund Raumverhältnisse überdacht werden. Wie muss Inklusion in die Ausbildung an den Pädagogischen Hochschulen einfliessen? Inklusive Bildung wird transversal, das heisst als Querschnittthema im Curriculum verankert und gleichzeitig auch disziplinär in den Bildungswissenschaften bearbeitet. Swissuniversities verweist hier auf die Notwendigkeit einer stärkeren Gewichtung sonderpädagogischer Inhalte in den Curricula. Bei der transversalen Perspektive scheint mir eine stärkere Verbindung von Berufspraxis, allgemeiner Didaktik, Fachdidaktik sowie den Bildungswissenschaften notwendig. Inklusion ist kein zusätzliches Fach, sondern eine Haltung und Denkweise gekoppelt mit fachspezifischem Wissen und Können. Auch die Pädagogischen Hochschulen müssen sich die Frage stellen, wie inklusiv sie sind.
Akzente: Das International Office organisiert unter anderem den Austausch von Studierenden. Wie gross ist das Interesse an der PH Zürich an einem Austauschsemester? Hoch: Wir verzeichnen jährlich steigende Zahlen. In diesem Jahr haben über 90 Studierende ein Semester an einer anderen Hochschule verbracht. Dies freut uns und stellt uns gleichzeitig vor einige Herausforderungen. Akzente: Inwiefern? Hoch: Ein Grossteil der Studierenden möchte ihr Austauschsemester im englischen Sprachraum verbringen. Folglich müssen wir Austauschabkommen mit neuen Partnerhochschulen unterzeichnen, um zusätzliche Plätze zu erhalten. Bei diesen Abkommen gilt das Prinzip der Gegenseitigkeit – wenn wir beispielsweise Plätze für vier Studierende erhalten, dürfen auch vier Studierende zu uns kommen.
«Lehrpersonen müssen ihr Sensorium für Chancenungleichheit im Unterricht weiterentwickeln.»
Akzente: Was sind die Herausforderungen bei den Angeboten für ausländische Studierende? Hoch: Wichtig ist, dass wir englischsprachige Lehrveranstaltungen anbieten – in der Regel sprechen die Studierenden kein Deutsch. Hinzu kommt, dass sie aufgrund fehlender Anrechnungsmöglichkeiten und der hohen Preise kein ganzes Semester in der Schweiz verbringen, sondern nur drei bis vier Wochen. Unser Ziel ist es, dass sie unser Schulsystem trotzdem möglichst gut kennenlernen und wir ihnen auch etwas von der Schweiz zeigen können.
Welches sind die nächsten Umsetzungsschritte? Der Bundesrat und die Räte haben sich mit der Ratifizierung der UN-BRK deutlich für ein inklusives Bildungssystem ausgesprochen. Verglichen mit einigen Nachbarstaaten stehen wir am Anfang dieser Entwicklung. Im Sommer wurde der erste Staatenbericht bei den Vereinten Nationen eingereicht. Darin hält der Bund fest, welche Massnahmen die Schweiz bezüglich Inklusion bereits umsetzt. Der Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen wird in den nächsten zwei, drei Jahren dazu Stellung nehmen, auf Hauptproblembereiche verweisen und Empfehlungen erarbeiten. Die Schweiz wird danach in weiteren Berichten darlegen müssen, wie diese umgesetzt werden.
Akzente: Wie profitieren Studierende von einem Aufenthalt an einer ausländischen Hochschule? Hoch: Für die meisten steht zunächst die Verbesserung ihrer Fremdsprachenkompetenzen im Vordergrund. Die Studierenden erweitern ihre Fachkompetenzen zudem insofern, als sie ein anderes Bildungssystem kennen lernen und Lehrveranstaltungen mit anderen Schwerpunkten besuchen als in Zürich. Hinzu kommt der interkulturelle Aspekt: Die Organisation eines Mobilitätssemesters stellt Studierende vor diverse Herausforderungen. So lernen sie, eine unbekannte Situation allein zu meistern, was ihnen im zukünftigen Lehrberuf zugutekommt.
Silvia Pool Maag ist Professorin für Inklusion und Diversität an der PH Zürich. Das nächste «Forum Inklusion» zum «Churermodell der Binnendifferenzierung im Unterricht» findet für alle Interessierten am 23. Mai 2017 um 18.15 Uhr an der PH Zürich statt.
– Christoph Hotz
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PH Zürich – Ausbildu ng
Friederike Hoch, Leiterin International Office der PH Zürich
Berg runter, Berg hoch Von einem umgebauten Maiensäss am äussersten Waldrand querfeldein den Berg hinunter ins Dorf. Das ist der tägliche Schulweg der elfjährigen Kim aus Lenzerheide in Graubünden. Im Sommer geht die aufgeweckte Fünftklässlerin die Reise zu Fuss an, in den Wintermonaten je nachdem mit den Skis. Spass macht ihr beides.
Serie – Mein Schulweg
Text: Franco Brunner, Fotos: Kim Mirer
«Es wird Zeit Kim, du musst los.» Die Mutter der elfjährigen Kim Mirer ist es gewohnt, dass sie am Morgen jeweils ein bisschen nachhelfen muss. «Bei Kim wird es morgens zeitlich meistens etwas eng», sagt Petra Mirer und lacht. Kim selber sieht das relativ gelassen. Sie nimmt noch einen letzten Schluck Tee, öffnet ein Türchen des Haribo-Adventskalenders und verabschiedet sich von ihrer Mutter – beinahe ohne den Schulrucksack mitzunehmen. Im letzten Augenblick denkt sie gerade noch daran. «Ja, das mit dem Vergessen ist so eine Sache bei mir», sagt die quirlige Fünftklässlerin beim Verlassen des Hauses – einem umgebauten Maiensäss am Waldrand oberhalb von Lenzerheide. Das sei wohl schon immer so gewesen. Nun denn, heute habe sie alles dabei, sagt sie. Kim’s Schulweg führt querfeldein über eine grosse Wiese 32
den Hang hinunter in Richtung Dorf und Schule. Knappe 20 Minuten brauche sie, wenn sie es gemütlich nehme. Doch vielfach renne sie – sowohl den Berg hinunter als auch den Berg wieder hinauf. Es ist tatsächlich nicht ganz einfach, mit der Elfjährigen Schritt zu halten. «Achtung, da ist Sumpf, da kann man nicht durchlaufen», warnt Kim den unwissenden Gast gerade noch rechtzeitig. Keine Frage, das Mädchen kennt ihren Schulweg mitten durch die Natur wie die berühmte Westentasche. «Das da ist mein Lieblingsbaum, aber fragen Sie mich nicht weshalb», sagt Kim lachend und zeigt auf einen einzelnen Baum, der auf einer kleinen Anhöhe thront. Ja, ihr gefalle ihr «Wanderweg» in die Schule sehr gut, sagt Kim ein paar Höhenmeter weiter unten. Trotzdem: Hin und wieder wünsche sie sich schon auch einen ganz normalen Schulweg. So einen wie ihn ihre Schulkollegin habe, die sozusagen nur über die Strasse müsse und dann schon vor der Schule stehe. Vor allem im Frühling, wenn der Schnee so matschig werde, sei es doch etwas anstrengend, von der Schule nach Hause zu laufen. Besonders dann, wenn man zuvor gerade noch Turnunterricht gehabt habe. Ansonsten aber stört Kim Schnee auf ihrem Schulweg nicht. Ganz im Gegenteil. Denn im Winter kann sie, je nach Schneeverhältnissen, mit ihren Skiern in die Schule hinunter brettern und danach gemütlich mit dem Schlepplift wieder hochfahren. «Fast bis vor die Haustüre», wie sie lachend sagt. Das sei schon toll, und hie und da fahre sie auch noch ein, zwei Mal die Piste rauf und runter, bevor sie dann endgültig nach Hause gehe. Bewegung als Teil des Alltags Nein, bei ihren Schulkameradinnen und -kameraden sei ihr Schulweg eigentlich kein besonderes Thema, sagt Kim, als sie gerade ein Foto von der Schneekanone macht, die neben dem Lifthäuschen mit voller Kraft Mutter Natur etwas nachhilft. Bei der Schule selbst sind die verschiedenen Wege der Kinder von Familien, die wie Kim etwas ausserhalb wohnen, allerdings sehr wohl ein Thema, wie der Schulleiter Stefan Langenegger erklärt. «Sowohl im Schulrat als auch in der Schulleitung sind wir diesbezüglich immer bemüht, für alle Beteiligten gute Lösungen zu finden», sagt er. Dass im Winter jeweils das eine oder andere Paar Ski oder das eine oder andere Snowboard vor der Schule stehe, finde er persönlich etwas Tolles. «Durch unsere Lage direkt in einem Skigebiet gehört diese Art von Bewegung für uns zum Alltag», erklärt Langenegger. Und sowieso sei es gut und sinnvoll, dass sich so die Kinder bewegen und sportlich betätigen würden. Dem stimmt auch Kims Mutter zu. «Nicht zuletzt durch ihren Schulweg ist Kim körperlich topfit, genauso wie ihre beiden grösseren Geschwister», sagt sie. Diese tägliche Bewegung tue gut und härte ein Stück weit auch ab. Und die Verbundenheit zur Natur werde dadurch auch nochmals AKZENTE 1/2017
Serie – Mein Schulweg
gestärkt. Deshalb sei es für sie und ihren Mann nie ein Thema gewesen, die Kinder in die Schule zu fahren. «Kim läuft diesen Weg seit dem Kindergarten und es hat ihr ganz bestimmt nicht geschadet, ganz im Gegenteil.»
noch zuhause sind. Da ist es wieder, das mit dem Vergessen. Aus der Ruhe lässt sie sich dadurch jedoch nicht bringen. «Dann renn ich in der Pause halt nochmals rasch den Berg hinauf und hole meine Schwimmausrüstung zuhause.» Oder vielleicht auch nicht. Denn schliesslich könne Vorbei an Rihanna und Leroy Jethro Gibbs man die Schwimmsachen ja auch bei der Schule mieten. Mittlerweile ist Kim unten im Dorf angekommen. Von Sagt es, lacht herzlich, verabschiedet sich und macht sich Müdigkeitserscheinungen keine Spur. Schliesslich ist sie mit ihrer Freundin auf ins Klassenzimmer. ihren Schulweg dieses Mal aus Rücksicht auf den unkunFranco Brunner ist freier Journalist. Er lebt und digen Begleiter – zumindest für ihre Verhältnisse – auch arbeitet in Chur. ganz besonders gemütlich angegangen. Es geht noch durch eine Unterführung, deren Wände zahlreiche Graffitis der – wie Kim sie schmunzelnd nennt – «krassen Serie «Mein Schulweg» Oberstüfler» zieren. Dann ist es auch schon da, das Schul- Im Rahmen der Serie «Mein Schulweg» stellen wir haus von Lenzerheide. Kims Schulfreundin wartet bereits im laufenden Jahr Schulwege von Kindern in der Schweiz vor. Der Text wird jeweils von einem Jourauf dem Pausenplatz. Plötzlich merkt Kim, dass sie heute nalisten oder einer Journalistin erstellt, die ja Schwimmunterricht hat, ihre Schwimmsachen aber Fotos machen die Kinder selber. AKZENTE 1/2017
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Medientipps STAUBSAUGEREIEN
Hoover heisst eigentlich Tim, ist zwölf Jahre alt, hat Sommersprossen, ist der Kleinste der Klasse und genervt von seiner Familie. Kurz – alles ist noch möglich. Hoover hilft Opa, denn der ist allein und es geht ihm nicht gut. Opa gesteht ihm, dass er liebend gerne nach Paris fahren würde, da dort alles mit Oma begann. Hoover möchte ihm diese Reise zum Geburtstag schenken, mit Hilfe seiner Freundin Claudine, die gut singt, aber irgendwie komisch ist und manchmal klaut – dafür hat sie Verwandtschaft in Paris. Immer drängender stellt sich die Frage, wie weit dürfen die beiden gehen, um den Herzenswunsch des alten Mannes zu erfüllen? Das Kinderbuch ist ein Generationenroman mit liebevoll gezeichneten Figuren, welche alle viel Identifikationspotenzial haben. Die Sprache ist präzise, witzig und modern. Die Geschichte berührt – jenseits von gängigen Klischees – moralische und gesellschaftliche Themen der heutigen Zeit. – Carolina Luisio Meyer
Ute Wegmann. Hoover. München: dtv, 2015. 203 Seiten.
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TORTILLAGRABEN
«América» (im Original «The tortilla curtain») lässt den Leser in zwei ganz verschiedene Welten eintauchen: einerseits in jene des kulturell und ökonomisch privilegierten USAmerikaners Delaney Mossbacher und andererseits in jene des mexikanischen Migranten Cándido. Jeder hat auf seine Art mit dem Leben zu kämpfen. Gleich zu Beginn
kreuzen sich die Wege der beiden Protagonisten auf dramatischste Weise – in einem Tal in Kalifornien. Von Anfang an gelingt es Boyle, den Leser mit seinen extremen Seitenwechseln in den Bann zu ziehen, und man fühlt sich privilegiert, an beiden Lebenswelten teilhaben zu können, eine und dieselbe Szene aus Sicht des USAmerikaners und des Mexikaners erzählt zu bekommen. So wird
Empathie für beide Protagonisten möglich – und man wünscht sich ähnliche Perspektivenwechsel für das eigene Leben. Angesichts der Lage an der Grenze zwischen den USA und Mexiko und der Wahl des neuen amerikanischen Präsidenten ist dieser Romanstoff hochaktuell. – Peter Holzwarth
T.C. Boyle. América. München: dtv, 1995. 389 Seiten.
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Foto: Christoph Hotz
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INSPIRATION FÜR MORGEN
Die Unbewohnbarkeit oder die Zerstörung der Welt durch den Menschen sind Thema vieler Spielfilme, z.B. «The Day after Tomorrow», «Elysium» oder «2012». Im Dokumentarfilm «Tomorrow» kommen Menschen zu Wort, die der drohenden ökologischen Zerstörung der Erde kreative Konzepte entgegensetzen: Ein Akademikerpaar in Frankreich bewirtschaftet auf engem Raum Obst und Gemüse – ganz ohne Monokultur; an verschiedenen Orten in Grossbritannien werden die Vorzüge von eigenen Lokalwährungen erkundet, und in Dänemark fahren immer mehr Velos durch die Städte. Es ist ein Film, der ganz ohne erhobenen Zeigefinger auskommt. Er motiviert jeden Einzelnen zum Handeln, weil er zeigt, dass Wandel nicht nur durch Grossprojekte, sondern auch durch viele kleine Aktionen möglich ist. Ein Film, der Hoffnung macht auf eine Welt, in der die kommende Generation Chancen und lebenswerte Grundlagen vorfinden wird. Trailer: tiny.phzh.ch/tomorrow – Peter Holzwarth
Cyrill Dion und Mélanie Laurent. Tomorrow – Die Welt ist voller Lösungen. Berlin: Pandora Film, 2016. 118 Minuten.
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KREATIVE CHANCEN
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SCHLAGLICHTER AUF EIN LEBEN
Was aussieht wie eine VHS-Videokassette ist ein Buch – aber eben ein etwas anderes: Es ist da farbig, wo andere weiss sind (Ober-, Unter- und Vorderschnitt) und innen zweisprachig – Deutsch und Englisch. «Digital Kids» betont die kreativen Chancen der digitalen Medienwelt – theoretisch und praktisch. Aus der Perspektive der Medienpädagogik werden auch kritische Aspekte angesprochen: Beispielsweise hinterfragt Eike Rösch die verbreitete Annahme, dass die so genannten «digital Natives» gar keine Unterstützung mehr benötigen bei der Navigation in digitalen Lebenswelten. Im Buch geht es nicht nur um Medien im herkömmlichen Sinn, sondern auch um Makerspaces und Lernprozesse in Roboterworkshops. «Digital Kids» bietet zusätzliche Informationen wie ein Glossar und einen nützlichen Anhang, der z.B. Hinweise auf kreative Apps und Tutorials enthält. Weitere Hinweise finden sich auf der Internetseite digitalbrainstorming.ch, die nicht nur für Buchbesitzer frei zugänglich ist.
Eines der Bilder zeigt ein achtjähriges Mädchen, das mit aufgestützten Armen vor einem Weihnachtsbaum liegt und liest, aufgenommen 1948, schwarz-weiss – jedes Kapitel von Klara Obermüllers autobiographischen Betrachtungen wird mit einem Foto eingeleitet. «Ich möchte wissen, wie alles gekommen ist und wie ich die wurde, die ich bin», schreibt die Autorin in der Einleitung. An das Märchenbuch unter dem Weihnachtsbaum erinnert sie sich sehr genau: Es sei vermutlich das erste Buch gewesen, das ihr ganz allein gehört habe. Zwei der Märchen darin hätten es ihr als Kind besonders angetan: «Brüderchen und Schwesterchen» und «Die Gänsemagd». Das Wiederlesen viele Jahre später warf bei ihr die Frage auf, ob sie damals schon geahnt habe, dass diese Märchen etwas mit ihrem eigenen Leben zu tun haben, mit ihrem Leben als Adoptivkind. Obermüller wirft Schlaglichter auf ihr Leben, reflektiert rückblickend und regt die Leserinnen und Leser an, sich auf eine eigene visuelle Spurensuche zu begeben.
– Peter Holzwarth
Klara Obermüller. Spurensuche. Ein Lebensrückblick in zwölf Bildern. Zürich: Xanthippe, 2016. 206 Seiten.
Dominik Landwehr. Digital Kids. Basel: Christoph Merian, 2016. 260 Seiten.
– Martina Meienberg
Glückssuche «Aufgeblüht sind über Nacht Malve und Mohn» – eine Zeile aus dem Gedicht «Schlafzauber» von Anne Broger. In ihrem Gedichtband «In der Nacht steigen sie auf» (Edition Howeg 2016) finden sich viele poetisch gefasste Glücksmomente. So etwa, wenn jemand auf dem Sonnenband zu den Ufersteinen zurückschwimmt, wenn ein Platz im Süden mitten unter auffliegenden Tauben überquert wird oder wenn in den Betten Symphonien geträumt werden. Glück kann selbst im Gedicht «Nichts» entdeckt werden: Da wird ein Kapitel geschlossen, das nie geschrieben wurde. Ungeschrieben bleibt auch das letzte Kapitel von «Kirschblüten und rote Bohnen» (Dumont 2016). Am Ende des Romans des japanischen Autors Durian Sukegawa bleibt offen, ob Sentoro, ein vorbestrafter junger Mann, der in einer Imbissbude Dorayaki – mit süsser Bohnenpaste gefüllte Pfannkuchen – verkauft, seinen Weg findet. Er lässt dem Leser jedoch die Hoffnung, dass Glück und Erfüllung zu finden sind, wenn es gelingt, sich einer Sache voll und ganz anzunehmen und diese zur eigenen zu machen. Ähnliches empfiehlt der Philosoph und Psychologe Reinhard K. Sprenger gegen Burn-out, denn: «Wer wirklich für etwas brennt, der brennt nicht aus», heisst es in seinem Buch «Die Entscheidung liegt bei dir!» (Campus 2015). In das Burn-out wandere nur, wer Ja sage und Nein meine, wer oberflächlich in die Anpassung gehe, aber eigentlich etwas anderes wolle. Dann sei nicht «weniger arbeiten» die richtige Antwort, sondern Veränderung. Sprenger schreibt über das Glück der Freiheit und macht gleichzeitig deutlich, dass diese zu erlangen nicht nur angenehm ist. Sie hat ihren Preis. – Martina Meienberg
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Inserate
Gut fürs Kopfkino. Gut für die Seele. Prozessorientierte Psychologie nach Arnold Mindell
Infoabende: 11.5.17, 24.8.17, jeweils 19.15 – 20.45 Uhr – Ist eine Aus- oder Weiterbildung in Prozessarbeit das Richtige für mich? Teilnahme Kostenlos.
So lernen wir.
Einführungsseminare: 10.6.17, jeweils 10.00 – 17.00 Uhr – Inputs zu verschiedenen Anwendungsgebieten der Prozessarbeit.
Basislehrgang: Start am 24.3.17 – Beginn Modul A. Noch hat es freie Plätze! Seminar «Arbeit mit Paaren»: 17. – 19.3.17 – Werkzeuge für die Begleitung von Paarprozessen. Arbeiten an der FES? In einem Klima der Wärme leistungsorientiert arbeiten, lehren und lernen: Möchten Sie Ihre Ideen einbringen und Ihre Schülerinnen und Schüler beim selbstverantwortlichen Lernen unterstützen? Bewerben Sie sich spontan oder auf unsere Ausschreibungen: www.fesz.ch/offene-stellen Wir freuen uns darauf, Sie kennen zu lernen.
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Institut für Prozessarbeit Zürich www.institut-prozesarbeit.ch
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WEITERBILDUNG
Volksschule
Braucht es Noten? Die Themenreihe «Kompeten(zorientier)t beurteilen» greift das kontrovers diskutierte Thema auf. Noten. Noten? Noten! 14. März 2017, 18 – 20 Uhr
Lernlupe, Stellwerk & Co. 4. April 2017, 18 – 20 Uhr
Beurteilung – eine Aufgabe für das ganze Team 9. Mai 2017, 18 – 20 Uhr
phzh.ch/themenreihen
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Mario Bernet und Ruedi Isler – Unter vier Augen
Illustration: Elisabeth Moch
Mario Bernet: Der US-amerikanische Schriftsteller Paul Auster meinte drei Wochen vor der Präsidentenwahl: «Gewinnt Trump, wird es ein anderes Land werden, Amerika wird sich in einen Witz verwandeln. Wir werden zum Gespött – und uns schämen.» Nun ist der Witz da, und ich hatte keine Sekunde Lust zu spotten. Seit dem 9. November hält sich die schlechte Laune, und ich finde keine Argumente, um sie zu vertreiben. Kannst du mir helfen? Ruedi Isler: Ich fürchte nein, denn mir kommen Gedanken an andere beunruhigende politische Entwicklungen. Wohin wir blicken, sehen wir autoritäre Potentaten, die eine nationalkonservative Linie mit religiöser Orthodoxie verbinden: Orban in Ungarn, Kaczinsky in Polen, Erdogan in der Türkei oder Putin in Russland. In Westeuropa drängen Populisten an die Macht. Wahrhaft «schlechte Zeiten sind das für Spassmacher, Spötter und Kabarettist», wie der deutsche Barde Franz Josef Degenhardt vor Jahren sang! Bernet: Scharfmacher und Grobiane gab es bekanntlich schon immer. Aber in den USA wurden nun Lügen, Beleidigungen und Geschmacklosigkeiten zum politischen Erfolgsrezept, und das in der grössten Demokratie der Welt. Wer angesichts dieser Wahl weiter an das AKZENTE 1/2017
historische Projekt der Aufklärung glaubt, muss eine robuste Frohnatur sein. Du merkst: Meine Bestürzung will einfach nicht abklingen. Vielleicht helfen Erklärungen weiter. Hast du eine? Isler: Du bringst mich in Verlegenheit. Ich kann dir nur sagen, was mich verstört: Trump und Konsorten wurden alle gewählt. Offenbar gibt es Millionen von Menschen, denen wir in unserem homogenen Umfeld nie begegnen und die anders fühlen, denken, handeln als wir. Sie haben uns gezeigt, dass Demokratie und Rechtsstaatlichkeit keine Selbstläufer sind. Und auch hierzulande können wir kaum auf ein spezifisches Schweizer Demokratie-Gen hoffen, das uns vor amerikanischen Zuständen schützt. Bernet: Der Briefträger, der Buschauffeur, die Schuhverkäuferin, die Ärztin – auch jenseits meines Freundeskreises treffe ich fast ausschliesslich freundliche, hilfsbereite, sachverständige Leute. Es fällt mir schwer, ihnen zu unterstellen, sie seien anfällig für politische Raufbolde – und ihre Höflichkeit sei nur oberflächlich. Warum werden viele Leute so leichtsinnig, wenn es um politische Fragen geht? Wer oder was schützt sie vor diesem Leichtsinn? Isler: Politische Bildung, historisches Bewusstsein, kritisches Den-
ken und Kampf gegen die Angst, die allenthalben geschürt wird – aber nicht allein das. Auch eine Vermittlung von positiven Werten wie Höflichkeit, Rücksichtnahme und Toleranz. Und vergessen wir nicht das Sein, welches das Bewusstsein schafft: Ohne ein Mindestmass an Gerechtigkeit in der Gesellschaft wird es kaum gehen. Grosse Worte, schale Floskeln? Bernet: Deine Stichworte sind mehr als eine Wunschliste. Du sprichst Errungenschaften an, für die beharrlich gearbeitet wurde – gerade in unserer Bildungslandschaft. Diesen gilt es Sorge zu tragen, mehr denn je. Isler: Werden wir das? Morgen ist alles vergessen, dann ist wieder Vogelgrippe oder ein Vulkanausbruch in Island. Was sicher niemand bestreitet: Für eine Vorbereitung auf das Leben in einer demokratischen Gesellschaft und für den Erhalt von Rechtsstaat und Demokratie hat die Schule eine herausragende Bedeutung. Politische Bildung scheint mir wichtiger denn je. Mario Bernet (links) war 15 Jahre Primarlehrer und ist jetzt wissenschaftlicher Mitarbeiter an der PH Zürich. Ruedi Isler ist Pädagogikprofessor. Sie unterhalten sich an dieser Stelle über ein aktuelles Schulthema.
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Unter vier Augen
Grobe Töne, breiter Applaus
Instagram #takeover 1
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Rolf Gollob ist Co-Leiter des Zentrums «International Projects in Education» der PH Zürich.
Zur Rubrik
1 — Instagram #takeover vom 5. bis 19. Dezember 2016: unterwegs mit dem Zentrum «International Projects in Education IPE» der PH Zürich. Es fotografiert für die #phzh Co-Zentrumsleiter Rolf Gollob. 2 — In den kosovarischen Bergen nahe der Grenze zu Albanien. Erster Schnee und nachts das Heulen der Hunde.
3 — Kaffeepause mit meinen kosovarischen Freunden.
7 — MontagmorgenGerangel um den besten Veloparkplatz!
4 — Morgen am Silvesterlauf!
8 — Denken – planen – entwickeln! «Hin und weg»!
5 — Kiev am frühen Morgen. Weihnachtslieder aus allen Ecken. 6 — ibis was? ibis wo? Heute im Bildungsministerium der Ukraine. Democracy. What else?
9 — Longjog dem See entlang. WinterSonntagSonnenLauf.
Jeweils für zwei Wochen übernimmt eine Person aus dem Bildungsumfeld den Instagram-Account der PH Zürich (@ phzuerich) und fotografiert während dieser Zeit in ihrem Berufsalltag – in diesem Fall von Anfang bis Ende Dezember 2016. Die besten Bilder erscheinen an dieser Stelle in der Rubrik «Instagram #takeover».
Impressum «Akzente» erscheint viermal jährlich, 24. Jahrgang, Nr. 1, Februar 2017, ISSN 2296-7281 (Print), 2296-732X (Online). Herausgeberin: Pädagogische Hochschule Zürich. Redaktionskommission: Christoph Hotz (Redaktionsleitung), Redaktor Kommunikation; Daniel Ammann, Dozent für Medienbildung; Bettina Diethelm, wissenschaftliche Mitarbeiterin; Anne Bosche, wissenschaftliche Mitarbeiterin; Reto Klink, Leiter Kommunikation; Martina Meienberg, wissenschaftliche Mitarbeiterin; Michael Prusse, Abteilungsleiter Sek II Berufsbildung. Redaktionelle Mitarbeit: Melanie Keim, Claudia Merki. Adresse: Pädagogische Hochschule Zürich, Redaktion «Akzente», Christoph Hotz, Lagerstrasse 2, 8090 Zürich, akzente@phzh.ch, www.phzh.ch/akzente. Grafisches Konzept: Raffinerie AG für Gestaltung, Zürich. Layout: Regi Müller, Typografische Gestalterin PH Zürich. Druck: FO-Fotorotar, Egg ZH. Inserate: IEB AG, Gewerbestrasse 18, 8132 Egg, Tel. 043 833 80 40, Fax 043 833 80 44, info@ieb.ch, www.ieb.ch. Abonnemente: Jahresabonnement CHF 20.– inkl. Porto, Pädagogische Hochschule Zürich, Vera Honegger, Lagerstrasse 2, 8090 Zürich, vera.honegger@phzh.ch. Gedruckt auf FSC-zertifiziertem Papier.
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Fotos: Rolf Gollob
Instagra m #takeover
Der Fotograf
Inserate
WEITERBILDUNG
Volksschule
CAS Pädagogische Schulführung Infoveranstaltungen: 4. April, 8. Juni 2017 phzh.ch/cas
Disziplin in der Klassenführung
Schule konkret!
Dreinschwatzen, Nicht-Zuhören, Zu-spät-Kommen... An einem Samstag besprechen wir konkrete Fallbeispiele aus unseren Klassen. Wir suchen Interventions- und Reaktionsmöglichkeiten. Theorieinhalte werden situativ eingefügt. Ausgangspunkte sind stets die Fragen der Teilnehmenden: Dreinschwatzen, Nicht-Zuhören oder andere Unterrichtsstörungen absorbieren unsere Kräfte. Was tun? Was hilft? Warum? Daten 25. 3., 20. 5. oder 2. 9. 2017 Ort Zürich, Institut Unterstrass Leitung Prof. Dr. Jürg Rüedi Anmeldung www.disziplin.ch >> kommende Veranstaltungen
Von der Bildungsdirektion des Kantons Zürich bewilligte Privatschule
Intensivkurs für die schulische und kulturelle Integration Rasche und nachhaltige Integration in die Regelklasse Ganz- und Halbtagsvariante möglich 26/20 Lektionen pro Woche in Kleingruppen Mittagstisch
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Filme für eine nachhaltige Welt
Die Filmtage21 stellen neue, für den Unterricht aller Schulstufen empfohlene Filme vor, welche aktuelle Themen aus den Bereichen Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft aufgreifen, zum Beispiel Energie und globale Klimagerechtigkeit, Kinderalltag, Tourismus, Lebensmittel und Konsum.
Zürich
15. März
PHZH Hörsaal LAA-J002A Lagerstrasse 2
17.30 - 21.15 Uhr
Informationen www.education21.ch/filmtage