Akzente 4/2018

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Akzente Das Magazin der Pädagogischen Hochschule Zürich

Konflikte – aktiv und zielorientiert Lösungswege entwickeln Seite 10

Interview mit Bildungspreisträgerin Heidi Simoni: «Bildung beginnt im Säuglingsalter» Seite 30 Meinungen: Wie drei Lehrpersonen Hausaufgaben erteilen Seite 7 blog.phzh.ch/akzente


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So lernen wir.

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Inhalt 4/2018

Titelbild: Studierende der PH Zürich im Modul Konfliktmanagement, Foto: Nelly Rodriguez

21 Reportage: Studierende üben den Umgang mit Konflikten.

32 Serie: In einem Jahr zur Berufsfachschul-Lehrperson.

18 Interview: Thomas Marthaler, Friedensrichter und Ex-Boxer.

4 Vermischtes Hochschultag – «Making Citizens»

24 Studierendenseite Porträt, Masterarbeit, Kolumne

7 Eine Frage, drei Antworten Wie erteilen Sie Hausaufgaben? 9 Seitenblick Wie viel Lob verträgt ein Text? 10 Schwerpunkt Konflikte

Leitartikel: Konflikte frühzeitig und offensiv angehen

27 PH Zürich Weiterbildung: Guten Unterricht beurteilen und fördern können

Internationale Bildungsentwicklung: Geflüchtete Jugendliche wirksam unterstützen Rektorat: «Bildung beginnt im Säuglingsalter» Forschung: « Die Seminargemeinschaft wurde durch Rituale beschworen»

Service: Sieben Regeln für den Umgang mit Konflikten

32 Serie «Das Modul» In einem Jahr vom Beruf in die Berufsfachschule

Interview: Thomas Marthaler, Friedensrichter

34 Medientipps

Reportage: Besuch im Modul Konfliktmanagement an der PH Zürich

37 Unter vier Augen Rückkehr des Autoritären? 38 Instagram #takeover

Die beste Konfliktlösung ist immer dann erreicht, wenn beide Parteien einen Schritt aufeinander zugehen mussten. Das sagt einer, der es wissen muss: Thomas Marthaler hat als Friedensrichter in seiner rund zehnjährigen Berufslaufbahn unzählige schwierige Konfliktsituationen bewältigt. Wie er dabei von seiner zweiten Karriere als Boxer profitiert, erklärt er im Interview ab Seite 18. Lässt sich Marthalers Erkenntnis auf die Schule übertragen? Wohl nur bedingt. Denn während beim Friedensrichter in der Regel um finanzielle Zugeständnisse gestritten wird, stehen bei Schulleitenden und Lehrpersonen andere Themen im Zentrum. Und beharren beispielsweise Eltern auf ihrer Meinung,ist zudem ein anderes Vorgehen gefragt als bei zerstrittenen Geschäftspartnern. Trotzdem gilt im Klassenzimmer wie auf der Schlichtungsbehörde: In jedem Konfliktfall ist eine offensive, lösungsorientierte und konstruktive Kommunikation gefragt. Pachy Brunold, Schülerratsmitglied an der Sekundarschule Hinwil beispielsweise bringt seine Erfahrung im Konfliktmanagement unter Schülerinnen und Schülern wie folgt auf den Punkt: «Erkennen die Streitparteien die Positionen der anderen Seite, beruhigt sich die Situation oft.» Wie all dies am besten gelingt - ab Seite 10 in diesem Heft. – Christoph Hotz

38 Impressum

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In haltsverzeich nis/Editorial

Die Sicht der anderen akzeptieren


Politische Bildung in der Schule

«Making Citizens – Politische Bildung in der Schule» – unter diesem Titel fand am 1. November der Hochschultag der PH Zürich statt. Bildungsdirektorin Silvia Steiner betonte in ihrer Begrüssung die Wichtigkeit, dass Kinder und Jugendliche in der Schule das Rüstzeug für die Teilnahme an unserer Demokratie vermittelt bekommen. «In einer direkten Demokratie kann man die Bedeutung der politischen Bildung nicht hoch genug schätzen», sagte sie. Im ersten Beitrag zum Thema warf Rektor Heinz Rhyn zuerst einen Blick in die Vergangenheit. Die Volksschule und die moderne Demokratie hätten sich im 19. Jahrhundert in der Schweiz nicht zufällig gemeinsam entwickelt, betonte Rhyn, denn ohne Bildung sei eine mündige Ausübung der demokratischen Rechte undenkbar. Im Anschluss an seine Ausführungen zu den aktuellen Herausforderungen der Demokratie hob er die Bedeutung und die Verantwortung der Schulen und damit auch der Lehrerinnen- und Lehrerbildung für deren Zukunft hervor. Alle Hoffnungen auf die Bildungseinrichtungen abzustellen, sei jedoch vermessen: «‹Making Citizens› ist und bleibt ein Gesellschaftsprojekt», betonte Heinz Rhyn. Nach dem Referat des Rektors zeigte Beatrice Bürgler, Dozentin für Fachdidaktik Geschichte und Politische Bildung an der PH Zürich, wie Politische Bildung in der Ausbildung von Lehrpersonen verankert ist. Sie legte 4

Kommende   Ver­ anstaltungen

dar, wie an der PH Zürich das Politikbewusstsein sowie das Politikverständnis der Studentinnen und Studenten in verschiede29. November nen Modulen gefördert werden. So würden Fokus 68 beispielsweise im Modul «Politik verstehen An einer Podiums– Zukunft gestalten» aktuelle politische Fradiskussion wird über das Thema gen diskutiert. «Es wird dabei nach beteilig«Antiautoritäre ten Akteuren gefragt, nach deren Interessen Erziehung» diskuund Wertvorstellungen oder auch der Frage tiert. nachgegangen, welchen Stellenwert das Thema ‹Nachhaltige Entwicklung› in poli19. Dezember tischen Debatten einnimmt», so Beatrice Präsentation Masterarbeiten Bürgler. Studierende der Wie Politische Bildung im SchulallSekundarstufe I tag umgesetzt werden kann, zeigte anschliesgeben einen Einblick in ihre send ein Filmbeitrag aus der Primarschule Masterarbeiten. Steiacher in Brüttisellen. Die Schule gewährt ihren Schülerinnen und Schülern seit 9./10. Mai Jahren weitreichende Mitspracherechte. Tagung «PartizipaIm zweiten Teil der Veranstaltung tion - Schule - Entwicklung» wurden traditionsgemäss die Studienpreise An der Veranstalder Stiftung Pestalozzianum für herausratung erhalten die gende Arbeiten sowie der Bildungspreis der Teilnehmenden im Rahmen von Refera- PH Zürich vergeben. Letzterer geht an die ten und weiteren Leiterin des Marie Meierhofer Instituts für Gefässen Einblick in die vielfältigen das Kind, Heidi Simoni. Sie erhält den Preis Formen von Partizi- für ihr langjähriges Engagement im Bereich pation. der frühkindlichen Bildung, Betreuung und Erziehung (siehe Interview Seiten 30/31). Weitere Infos:  phzh.ch/veranstaltungen

– Christoph Hotz

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Foto: Niklaus Spoerri

Ver mischtes

Schulleiter Urs Wäckerlin erläutert, wie Politische Bildung in der Schule Steiacher umgesetzt wird.


Anzahl neue Studierende 2018 und Gesamtzahl der Studierenden an der PH Zürich Gesamtzahl und Neueintritte 2018 pro Stufe/Studiengang 161

Eingangsstufe

408

46

Masterstudiengänge Fachdidaktik

88

Aktuelles Projekt zur Friedensförderung Die Abteilung für Internationale Bildungsentwicklung (IPE) der PH Zürich hat für ein Projekt in Mazedonien und im Kosovo vom Lotteriefonds des Kantons Zürich eine finanzielle Unterstützung von 500 000 Franken erhalten. In dem Projekt werden Lehrpersonen zum Thema Friedensförderung aus- und weitergebildet. Tagung «Unterrichten mit digitalen Medien» Über 300 Lehrpersonen nahmen Ende Oktober an der Tagung «Unterrichten mit digitalen Medien» teil, was einem neuen Besucherrekord entsprach. Das Programm bestand aus Referaten und zahlreichen Workshops.

Fotos: Niklaus Spoerri, Tom Györffy, Screenshot PHZH-Film

Sekundarstufe I

Sekundarstufe II

1760

304

PHZH-Film «Ich will verstehen» Im Workshop «Robot your classroom» Ein neuer Film der PH Zürich gibt lernten die Teilnehmenden, Roboter Einblick in den Lehrberuf und in im Unterricht einzusetzen. das Selbstverständnis der Hochschule. tiny.phzh.ch/phzh-film.

206

Auszeichnungen für Lehrmittel «Kinder begegnen Natur und Technik» und «Weltsicht» wurden an der Frankfurter Buchmesse die «Best European Learning Materials Awards» verliehen. Beide Lehrmittel wurden von der PH Zürich entwickelt.

1031

286

Gesamtzahl der Studierenden 2018 1423

Alle Stufen

Neueintritte

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3573

Zwei der insgesamt 280 glücklichen Absolventinnen und Absolventen der PH Zürich.

Preise für Studierende Die Stiftung Pestalozzianum hat 2018 erneut Studienpreise an vier hervorragende Arbeiten von Studierenden der PH Zürich verliehen. Die Preisträgerinnen sind Zoé Straub, Annina Stecher, Andreina Baltensperger sowie Hannah Philipsen.

706

Primarstufe

Semesters ihr Diplom erhalten haben, ganz herzlich und wünscht ihnen viel Erfolg in ihrer Tätigkeit.

280 neue Lehrpersonen Die PH Zürich gratuliert den 280 neuen Lehrpersonen für den Kindergarten und die Primarstufe, welche auf Ende des vergangenen

Der Film «Ich will verstehen» bewegt sich entlang von Fragen, die sich ein Student stellt.

5

Ver mischtes

PHZH in Zahlen


Inserate

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DAS VERTRAUTE IM FREMDEN – DAS UNBEKANNTE IN MIR Transkulturelle Gemeinsamkeiten hinter den offensichtlichen Unterschieden herausfinden. Seminar mit Rosa Font, eidg. anerkannte Psychotherapeutin Mo./Di., 21./22. Januar 2019

SYSTEMISCHES ELTERNCOACHING Die elftägige Weiterbildung beschäftigt sich mit unterschiedlichen Problematiken in der Familie. Sie werden nicht nur lernen, sondern erleben, wie Sie sich verschiedenen Situationen flexibel anpassen können. Leitung: Marianne Egloff, Familienmediatorin und Erziehungsberaterin Nächster Beginn: 25. Februar 2019

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Eine Frage, drei Antworten: Wie erteilen Sie Hausaufgaben? Schüler angreifbar werden. Hausaufgaben sind deshalb meiner Ansicht nach vor allem ein methodisches Rechtfertigungs- und Beruhigungsmittel.

fallen dabei bestimmt höher aus, als wenn lediglich Aufgaben fertig zu lösen sind.

René Brunschweiler, Sekundarlehrer Schulhaus Hans Asper

Die Schule ist ein seltsames System. Allen Beteiligten ist

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Adrian Moser, Primarlehrer Schule Flachtal

Als ich 1985 als Sekundarlehrer startete, Bezüglich Hausaufgaben habe ich von tadellos (gelegentlich von den Eltern) gelösten bis gänzlich unberührten Aufgaben schon alles gesehen. Gross angelegte Untersuchungen weisen Hausaufgaben zudem bescheidene Effekte aus. Aufgrund dieser Umstände erteile ich Hausaufgaben eher zurückhaltend und versuche, folgende Grundsätze zu beachten: Kurzes, oft wiederholtes Üben ist nachhaltiger als stundenlanges Büffeln. So entlaste ich meine Klasse im Englischunterricht weitgehend von Hausaufgaben, erwarte aber ein regelmässiges Üben der Lernwörter. Andererseits sollen Hausaufgaben nicht nur aus repetitiven Übungsaufgaben bestehen, sondern kognitiv anregend sein, ohne zu überfordern. Als Vorarbeit einer Lektion in Medien und Informatik beauftrage ich die Kinder beispielsweise, ihr eigenes Mediennutzungsverhalten über mehrere Tage zu protokollieren. Motivation und Lernertrag

gehörten die letzten fünf Minuten der damals 50-minütigen Lektion den Hausaufgaben. Alle Schülerinnen und Schüler notierten sich dieselben Aufgaben, meist auf den folgenden Tag, ins «Ufzgiheft».Vieles hat sich seither geändert in meinem Lehrerleben, auch das Erteilen der Hausaufgaben. Heute gebe ich sie auf, wenn es thematisch passt, etwa zu Beginn oder mitten in der Lektion. In einer der beiden Klassen, die ich unterrichte, einer Sek A/B, sind die Aufträge verschieden, und die B-Klasse kann diese meist vom Visualizer abschreiben. Hie und da gebe ich die Dauer an (z.B. 20 Minuten) oder den Umfang (z.B. 250-300 Wörter) und die Schülerinnen und Schüler bestimmen den Inhalt selbst. Wenn immer möglich, erteile ich Aufträge nicht auf den folgenden Tag. Die Jugendlichen sollen lernen, ihre (Aufgaben-)Zeit selbst einzuteilen. Und was ist von damals geblieben? Ich erteile die Aufträge mündlich und ich kontrolliere sie.

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Meinu ngen

klar, dass die Schule digital mithalten muss. Ebenso leuchtet ein, dass die Zeiten des eindimensionalen Unterrichtens passé sind. Meiner Erfahrung nach werden die Hausaufgaben allerdings von vielen Eltern und Lehrpersonen als für den Lernerfolg zwingend angesehen. Da helfen bei der Argumentation weder Studien, die zeigen, dass Hausaufgaben die Guten nicht besser machen, aber die Schwachen schwächer, noch der Hinweis darauf, dass ausschliesslich unter grossem Zeitaufwand geplante sowie vor- statt nachbereitende Hausaufgaben erfolgversprechend sind. Ebenso wird häufig verkannt, dass sich andere Methoden besser eignen, um mit den Schülerinnen und Schülern zu üben, wie man Verantwortung übernimmt und Dinge selbständig erledigt. Offensichtlich geht es beim Thema Hausaufgaben also nicht um didaktische oder pädagogische Argumente, sondern vielmehr um tiefsitzende Misserfolgsängste. Misserfolgsängste der Eltern in Bezug auf ihre Kinder. Diese Ängste übertragen sich auf die Schule und rufen bei Lehrpersonen Bedenken hervor, sie könnten bei schlechten Leistungen der Schülerinnen und

Thomas Hauri, Sekundarlehrer, Dürnten


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Alex Rickert – Seitenblick

Illustration: Elisabeth Moch

Der Umgang mit Lob – der stärksten Waffe der Pädagogik – wurde in jüngster Zeit in der Presse und in Blogs kontrovers diskutiert und ist so in den Fokus einer breiteren Öffentlichkeit gerückt. Das Loben ist aufgrund inflationären Gebrauchs unter Beschuss geraten. Kinder und Jugendliche für jede Regung zu loben, schadet. Zu viel Lob macht unselbstständig und führt zu Selbstüberschätzung, so der Kanon. Neue Impulse im Umgang mit Lob kommen vor allem aus Dänemark. Die Bücher des Familientherapeuten Jesper Juul oder der Psychotherapeutin Iben Dissing Sandahl zu diesem Thema sind internationale Bestseller. Fest steht, dass alle Menschen Aufmerksamkeit brauchen. Kinder auf der Rutschbahn («Papa, schau her») ebenso wie Erwachsene («Ich habe einen Artikel geschrieben») wollen wahrgenommen werden. Menschen suchen das Fremdbild als Spiegelung ihrer Selbstwahrnehmung. So weit, so normal. Als Pädagogen erliegen wir oft der Versuchung, die Urteilskeule zu schwingen und reagieren auf AKZENTE 4/2018

Aufmerksamkeitsansprüche in Form von Lob und, seltener, Tadel. Wir sagen «toll gemacht; schöne Zeichnung; guter Text etc.», anstatt ein Produkt oder eine Handlung primär einmal als das wahrzunehmen, was es im Kern ist: eine Erfahrung. Jasper Juul schreibt, dass es Tendenzen gibt, jede Erfahrung als Leistung zu betrachten, die dadurch irrtümlicherweise urteilsbedürftig erscheint. Im schulischen und akademischen Kontext sind Urteile über Texte allgegenwärtig. Das wird besonders deutlich, wenn wir als Lehrpersonen und Dozierende gut gemeinte Rückmeldungen auf Texte von Schülerinnen und Schülern und Studierenden geben. Die Schreibforschung zeigt, dass normorientierte Kommentare von Lehrpersonen auf Texte problematisch und wenig wirksam sind. Denn ein Text ist nur in wenigen Fällen als Leistung anzusehen, die eines Urteils bedarf. Texte, auch schulische, sind primär Ausdrucksmittel. Das Schreiben ist ein Prozess und somit eine – mitunter mühselige – Erfahrung. Wie kann

man also auf Texte als Erfahrung so reagieren, dass die Rückmeldung die Schreibenden weiterbringt? Aus der Schreibforschung ist bekannt: Anstelle von wertenden Urteilen verbessern sich Schreibende und ihre Texte, wenn das Feedback den Text genau beschreibt, und zwar anhand von Kriterien (z.B. Inhalt, Aufbau, Stil, Korrektheit) und mit Rückgriff auf die Schreibziele. Die Leserperspektive ist gefragt. Ein wirksames Feedback zeigt unter anderem auf, wie der Text aus Lesersicht wirkt, wo textlogische Brüche auftreten oder wo mehr inhaltliche Tiefe angezeigt ist. Weiter wirkungsvoll sind Selbsteinschätzungen zum eigenen Schreiben sowie Peerfeedback. Bevor ich in der Schreibberatung ein Feedback auf einen Text gebe, denke ich deshalb an Dänemark, ans Schreiben als Erfahrung und gebe mir Mühe, den Text so präzise wie möglich aus Leserperspektive zu beschreiben. Mit Urteilen gehe ich sparsam um. Des Guten ist es schnell zu viel. Alex Rickert ist Leiter des Schreibzentrums der PH Zürich.

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Seitenblick

Wie viel Lob verträgt ein Text?


Schwer pu nkt Lauf ba h n

Erfährt eine Lehrperson von einem Konflikt unter Schülerinnen und Schülern, sollte sie dies zeitnah mit den Beteiligten besprechen. 10

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Konflikte frühzeitig und offensiv angehen Neben der Bewältigung von akuten Streitsituationen gehört heute auch die vorbeugende Auseinandersetzung mit Konflikten zum Schulalltag. Dadurch sind sowohl Lehrpersonen als auch Schülerinnen und Schüler besser auf den Umgang mit Konfliktsituationen vorbereitet. Wegweisend ist dabei eine offensive und gleichzeitig gelassene Herangehensweise. Text: Melanie Keim; Fotos: Dieter Seeger; die Bilder entstanden in der Schule Hinwil 11

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Cybermobbing, Eltern, die in der Schule mit einem Anwalt aufkreuzen, ein Team von Lehrpersonen, das geschlossen kündigt: Will man die Schule als Problemherd darstellen, findet man in den Medien genügend Stoff für ein solches Bild. Doch die Berichterstattung über Konflikte an Schulen fokussiert meist auf extreme Einzelfälle. «Konflikte haben an den Schulen kaum zugenommen. Vielmehr hat sich die Art und Weise verändert, wie wir mit dem Thema umgehen», sagt Regula Schümperli, die an der PH Zürich Lehrpersonen und Schulleitungen in schwierigen Konfliktsituationen berät. In den vergangenen Jahrzehnten habe die Sensibilisie-

Schwer pu nkt Konflikte

Konflikte in der Schule sind äusserst divers und verlangen nach unterschiedlichen Vorgehensweisen. rung für Konflikte stark zugenommen, sagt Schümperli. Während in ihrer eigenen Ausbildung zur Lehrerin vor rund 40 Jahren Konflikte noch nicht als eigenes Thema gefasst wurden und spezifischen Konflikten im Schulfeld wenig Beachtung geschenkt wurde, wird der Umgang mit Konflikten heute in der Ausbildung thematisiert. Dadurch seien die Absolventinnen und Absolventen besser auf Konfliktsituationen vorbereitet, wenn sie in den Schuldienst treten. «Zudem haben sich die Strategien und der institutionelle Rahmen für die Konfliktlösung und -prävention verbessert», so Schümperli. So sind Schulen mit schulübergreifenden Konzepten zum Umgang mit Konflikten und Gewalt, der unterstützenden Funktion der Schulleitung und dem verstärkten Einsatz von Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeitern sowie Heilpädagoginnen und Heilpädagogen als Ganzes besser aufgestellt, um schwierige Konfliktsituationen früh aufzufangen. «Gleichzeitig ist der Umgang mit Konflikten durch die intensivere Teamarbeit, die grössere Heterogenität und die zunehmende Vielfalt sozialer Normen komplexer geworden», so Schümperli. Konstruktive Streitkultur Ein idealer Umgang mit Konflikten lässt sich nicht anhand eines Modellfalls aufzeigen. Denn Konfliktsituationen, mit denen sich Lehrpersonen konfrontiert sehen, sind äusserst divers und verlangen nach unterschiedlichen Vorgehensweisen. Wenn eine Schülerin oder ein Schüler den Unterricht dauernd stört, sind andere Stra12

tegien gefragt als bei einer Auseinandersetzung mit Eltern oder wenn die Zusammenarbeit im Team harzt. «In jedem Konfliktfall ist aber eine konstruktive, lösungsorientierte Kommunikation gefragt», sagt Schümperli. Dies beinhaltet aktives Zuhören und Perspektivenwechsel, um der Wahrnehmung des Gegenübers Raum zu lassen, aber auch Klarheit über eigene Gefühle, Wünsche und Ziele, beispielsweise durch Ich-Botschaften. «Vor allem sollten Schuldzuweisungen vermieden werden», betont Schümperli. Neben einer lösungsorientierten Kommunikation bildet eine offensive Herangehensweise einen weiteren Grundsatz des guten Konfliktmanagements. Statt Konflikten auszuweichen und passiv abzuwarten, dass sich diese von selbst lösen, soll man sich Auseinandersetzungen aktiv stellen und Konflikte möglichst zeitnah lösen. Dafür braucht es laut Schümperli auch ein Stück Gelassenheit und das Bewusstsein, dass Konflikte, Wut und Enttäuschung Teil des Schulalltags sind. Im Schulzimmer bedeutet diese offensive Haltung, dass die Lehrperson die Verantwortung für den sozialen Umgang und die Gruppendynamik in ihrer Klasse übernimmt und bei entstehenden Konflikten rasch eingreift. Diese Verantwortung schliesst auch Konflikte mit ein, die sich ausserhalb des Schulzimmers, etwa auf dem Pausenplatz abspielen. Um davon zu erfahren, muss eine Lehrperson achtsam auf Veränderungen im gemeinsamen Umgang sein und bei Anzeichen für Konflikte auch einmal ein Gespräch unter vier Augen suchen. Zudem soll sie ihren Schülerinnen und Schülern das Gefühl vermitteln, mit Problemen bei ihr stets willkommen zu sein. «Die Lehrperson soll aber nicht die Konflikte der Schülerinnen und Schüler lösen, sondern sie befähigen, diese zunehmend selbst zu lösen», sagt Peter Zoller, Dozent an der PH Zürich für Kommunikation und Konfliktmanagement. Das Ziel im Klassenzimmer ist also nicht Konfliktfreiheit, sondern Konfliktfähigkeit. Dies erfordert zunächst, dass verbindliche Regeln für den gemeinsamen Umgang aufgestellt und auch konsequent eingefordert werden. Zoller unterstreicht dabei die wichtige Vorbildfunktion der Lehrerinnen und Lehrer: «Die Lehrperson muss einen respektvollen Umgang und einen guten Konfliktlösungsstil selbst konsequent vorleben.» Eine konstruktive Streitkultur sollte mit der Klasse zudem explizit thematisiert und eingeübt werden. Dies gelingt nach Zoller am besten mit modellhaften Abläufen und symbolträchtigen Hilfsmitteln. Als Beispiel nennt er das sogenannte Friedensseil, ein Seil mit mehreren Knöpfen. Bei einem Streitfall positionieren sich zwei Streithähne an den jeweiligen Enden dieses Seils mit dem Ziel, im Gespräch die Knöpfe des Konflikts zu lösen. Beim ersten Knopf schildern beide Seiten ihre Version des Problems, beim zweiten werden Gefühle und beim dritten Knopf Wünsche ausgesprochen. Der letzte Knopf wird erst aufgeknüpft, wenn die beiden eine Lösung des AKZENTE 4/2018


Schwer pu nkt Konflikte

«Mir ist es ein wichtiges Anliegen, dass ich frühzeitig über Konflikte in der Schule informiert werde. Erfahre ich von Streitsituationen erst, wenn schon eine hohe Eskalationsstufe erreicht ist, wird die Lösungsfindung schwierig.» Christoph Messmer, Schulleiter Sekundarschule Hinwil

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Schwer pu nkt Konflikte

Problems gefunden haben. «So lernen Kinder in einem Streitfall, die Sichtweise des anderen wahrzunehmen und unterschiedliche Bedürfnisse in einem Kompromiss unterzubringen», erklärt Zoller. Konfliktfähigkeit als Langzeitprojekt Neben solchen Hilfsmitteln brauchen Schülerinnen und Schüler auch fixe Gefässe, in denen sie eine konstruktive Streitkultur einüben können. «Der Klassenrat spielt dabei eine eminent wichtige Rolle», sagt Zoller. Zum einen schafft er Raum, um vorhandene Probleme in der Gruppe auszudiskutieren und an realen Problemen Konfliktlösungsstrategien zu erarbeiten. Zum anderen ist er auch Ort für die Beziehungspflege. Denn im Konfliktfall – ob zwischen Lehrperson und Klasse oder den einzelnen Schülerinnen und Schülern – sind gute Beziehungen und ein Vertrauensverhältnis gemäss Zoller matchentscheidend. An Beziehungen und Konfliktfähigkeit soll jedoch nicht nur im Streitfall gearbeitet werden. Eine Frage wie «Wie haben wir diese Woche miteinander gearbeitet?» gehört auch in guten Zeiten in den Klassenrat. Obwohl der Klassenrat als Prinzip in den Schulen flächendeckend Einzug gefunden hat, ist seine konsequente Durchführung laut Zoller keineswegs selbstverständlich. Bei seinen Studierenden muss er sich immer wieder dafür einsetzen, dass sie den Klassenrat in der Praxis auch dann abhalten, wenn von der Klasse keine Themen eingebracht werden. «Wenn vordergründig keine Probleme sichtbar sind, kann ein solches Zeitfenster, das nicht in der Stundentafel abgebildet ist, im dichten Schulalltag schnell einmal wegfallen.» Die konsequente Durchführung ist nicht zuletzt deshalb so wichtig, weil im Klassenrat manchmal auch Probleme zum Vorschein kommen, die sich der Lehrperson im Schulzimmer gerade nicht unmittelbar zeigen. Otto Bandli, Dozent für die Themen Mobbing und Gewalt, unterstreicht auch mit Blick auf das Thema Mobbing die Bedeutung des regelmässig durchgeführten Klassenrats: «Um gegen Mobbing vorgehen zu können, müssen Lehrpersonen wissen, was sich ausserhalb des Schulzimmers unter den Schülerinnen und Schülern abspielt. Und dafür braucht es neben vertrauensvollen Einzelgesprächen auch regelmässige Klassengespräche.» Diese haben noch zusätzlich an Bedeutung gewonnen, seit sich Mobbing mit der Verbreitung von Social Media in digitalen Räumen fortsetzt, welche für Lehrpersonen gewöhnlich nicht einsehbar sind. Bandli weist jedoch darauf hin, dass diese Ausgangslage für Lehrpersonen nicht neu ist: «Mobbing findet grundsätzlich nicht vor den Lehrpersonen statt, sondern erfolgt indirekt und verdeckt. Aus Scham und Angst schweigen die Opfer zudem sehr lange.» Wichtig sei deshalb, dass Lehrpersonen die Anzeichen von Mobbing, die sich im Schulalltag zeigen, ken14

Sieben Regeln für den Umgang mit Konflikten Kein Konflikt ist wie der andere. Und so ist in jedem Streitfall ein situationsspezifisches Vorgehen gefragt. Dennoch lassen sich einige Regeln formulieren, die für sämtliche Konflikte gelten.

Irritationen und Störungen zeitnah ansprechen Ausgesprochene (manifeste) Konflikte lassen sich besser lösen als schwelende (latente) Konflikte. Konflikte sollten jedoch nicht im Falle von hoher Emotionalität bei sich oder dem Gegenüber angegangen werden. Echtes Interesse zeigen am Gegenüber Um Konflikte konstruktiv zu lösen, reicht ein gespieltes Interesse für das Gegenüber nicht aus. Um sich in das Gegenüber einzufühlen, braucht es Neugierde für die Anliegen, Erwartungen und Wünsche dieser Person. Über Bedürfnisse sprechen und nicht über Positionen Die Themen, über die gestritten wird, sind meistens nicht identisch mit den wahren Motiven, Interessen und Bedürfnissen. Oftmals geht es bei Konflikten um Verletzungen von Normen und legitimen Bedürfnissen, die es auszuformulieren und zu besprechen gilt. Dabei ist wichtig, Irritationen, Bedürfnisse, Gedanken und Gefühle in Ich-Aussagen auszusprechen. Grosse Streitpunkte in kleine Einheiten reduzieren Im Streitfall ist es hilfreich, mit leichten Streitpunkten zu beginnen. So erzielt man rasch eine erste Einigung. Und auf dieser Grundlage können gemeinsam auch komplexere Streitpunkte einfacher gelöst werden. Diskussion auf konkrete, aktuelle Verhaltensweisen beschränken Im Streitgespräch sollten in der Vergangenheit liegende Ereignisse nicht hervorgeholt werden. Auch sind generalisierende Aussagen nicht hilfreich. Stattdessen gilt es den Blick auf den konkreten Fall und auf mögliche Lösungen in der Zukunft zu richten. Konflikte fair und partnerschaftlich lösen Konflikte, die über Macht gelöst werden, hinterlassen immer Verlierer. Mögliche Lösungen für die Zukunft werden gemeinsam gesammelt, bewertet und ausgewählt. Für eine partnerschaftliche Lösung spricht jede Partei auch immer über ihren Beitrag, den sie leisten kann. Laufend am gemeinsamen Umgang arbeiten Konfliktprävention betreiben heisst respektvoll und wertschätzend miteinander zu kommunizieren und umzugehen – jeden Tag!

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Für eine gemeinsame Haltung gegenüber Mobbing braucht es schulübergreifende Präventionskonzepte. effektiven Prävention. Um Gewalt und Mobbing entgegenzuwirken, gelte es mit gemeinschaftsfördernden Ritualen und gemeinsamen, auch klassenübergreifenden Erlebnissen ein positives Wir-Gefühl zu entwickeln. Für eine klare, gemeinsame Haltung gegenüber Mobbing und Gewalt brauche es aber auch schulübergreifende Präventionskonzepte. «Die Schulen stehen diesbezüglich heute viele stärker in der Pflicht und nehmen ihre Verantwortung auch wahr», so Bandli. Dass die Gewalt an den Schulen seit Jahren nachweislich rückläufig ist, führt er auf eine verstärkte Aufmerksamkeit für die Problematik auf Seiten der Lehrpersonen und Schulen zurück, aber auch auf den Einsatz von wirksamen schulischen und ausserschulischen Präventionsprogrammen, welche mitunter erhöhte Sozialkompetenzen der Schülerinnen und Schüler als Resultat haben.

menarbeit erfordert denn auch ein klares Bewusstsein für die unterschiedlichen Positionen von Eltern und Lehrperson: Die Rolle der Eltern sei es, sich für ihr Kind einzusetzen, während die Lehrperson sich um das Wohl und Lernverhalten der gesamten Klasse kümmern müsse, so Bandli. Diese Rollenverteilung müsse bei einem Elterngespräch geklärt werden, damit ein gegenseitiges Verständnis überhaupt möglich sei. «Bei schwierigen Gesprächen, die einen aggressiven Ton annehmen, hilft unter anderem das Wissen, dass die Schulleitung jederzeit Unterstützung bieten kann», sagt dazu Peter Zoller. Wie bei Konflikten im Schulzimmer ist auch hier Hilfe von aussen je nach Fall angebracht: wenn die Situation die Möglichkeiten der Lehrperson überschreitet oder eine neutrale Aussenperspektive nötig ist. «Kommt mit der Schulleitung eine staatliche Hierarchiestufe hinzu, kann dies in einem Fall unterstützend und klärend wirken und in einem anderen Fall den Konflikt zusätzlich anheizen», sagt Zoller. Dieser Ermessensspielraum verlange von der Lehrperson viel Selbstsicherheit. Zu Beginn des Studiums haben viele Studierende der PH Zürich besonders viel Respekt vor dem Elterngespräch. Im Laufe des Studiums legen sich solche Bedenken in der Regel, da die Studierenden mittels Kommunikationstrainigs, Rollenspielen und Filmanalysen umfangreich auf die Zusammenarbeit mit Eltern vorbereitet werden. Aufbauend auf eine Schulung in konstruktiver Kommunikation zu Beginn der Ausbildung besuchen die Studierenden parallel zu ihren Praktika Module in Konfliktmanagement und zur Elternzusammenarbeit. Im Studiengang auf Sekundarstufe und nach Wahl in den

Zu Beginn der Ausbildung haben viele Studierende besonderen Respekt vor Elterngesprächen.

Gutes Rüstzeug In einem Bereich haben sich die Konflikte an den Schulen allerdings vermehrt und auch verschärft. So ist die Zusammenarbeit mit Eltern in den letzten Jahren deutlich schwieriger geworden. «In der Sorge um eine möglichst gute Grundausbildung ihres Kindes begegnen Eltern den Lehrpersonen heute zum Teil mit sehr hohen Ansprüchen», sagt Bandli. Dass sich Eltern vermehrt für ihre Kinder einsetzen, findet er verständlich: «Der Qualitätsanspruch, dass das eigene Kind in der Schule optimal betreut wird, ist absolut legitim.» Eine gute Zusam-

anderen Stufen absolvieren sie zudem eine Kompaktwoche zu Gewaltprävention und Mobbing. Grundsätzlich setzt die PH Zürich in der Ausbildung einen starken Fokus auf die Themen Konflikte, Gewalt und Mobbing. «Aus den Mentoraten habe ich den Eindruck, dass sich die Studierenden gut gerüstet fühlen für den Umgang mit Konflikten und gleichzeitig wissen, dass sich die konkreten Konfliktsituationen in der Berufspraxis nie durch die Ausbildung vorwegnehmen lassen», sagt Zoller. Im Hinblick auf Konflikte sind die intensive Betreuung und

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Schwer pu nkt Konflikte

nen und wahrnehmen, so Otto Bandli. Wenn sich jemand zurückzieht, sich die Gruppendynamik oder der Ton in der Klasse verändern, die Interaktion abnimmt oder weniger gelacht wird, gilt es diese Stimmungen und Spannungen anzusprechen. Bei Mobbingfällen muss sofort eingegriffen werden. «Für Mobbing und Gewalt muss Nulltoleranz gelten», so Bandli. Mobbing und Gewalt sollten deshalb in der Schule nicht nur punktuell, etwa im Rahmen einer Präventionswoche thematisiert werden. «Gewalt- und Mobbingprävention ist ein alltägliches Geschäft», so Bandli. Neben der bewussten und konsequenten Arbeit an einer konstruktiven Streitkultur bezeichnet er das Schaffen eines guten Zusammenhalts als wichtiges Element einer


Schwer pu nkt Konflikte

«Ich halte mich aus Konflikten wenn möglich heraus und versuche stattdessen zu vermitteln. Diese Rolle entspricht mir als Person. Wenn die Streitparteien die Positionen der anderen Seite erkennen, beruhigt sich die Situation oft.» Pachy Brunold, Schülerratsmitglied Sekundarschule Hinwil

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die Beratungsangebote in der sensiblen Phase des Be- Gespräche konkret vorbereitet, etwa mit Eltern oder Vorrufseinstiegs besonders wichtig. So tauchen hier auch gesetzten. Gemäss Schümperli waren nach der Einfühviele Fragen zu erlebten Konflikten auf. rung der Schulleitungen vermehrt Konflikte zwischen Lehrpersonen und ihren neuen Vorgesetzten zu beobHandlungsfähigkeit stärken achten, was jedoch ein normaler Prozess des ChangemaBei Lehrpersonen mit mehr Erfahrung stossen Weiterbil- nagements ist. Inzwischen haben sich diese anfänglichen dungsangebote, in denen eigene Konflikte thematisiert Schwierigkeiten gelegt und die Anzahl und Art der Konwerden, ebenfalls auf grosses Interesse. Auch Beratungs- flikte zwischen Lehrpersonen und Schulleitungen gleicht angebote für schwierige Konfliktfälle sind gemäss Regu- denjenigen in anderen Organisationen mit Führungsla Schümperli gut gefragt. «Bei schwierigen Konfliktfäl- kräften. Im kollegialen Austausch und der gemeinsamen len kann eine Aussensicht deeskalierend wirken», sagt Reflexion des eigenen Umgangs mit Konflikten sieht sie. Ziel der Beratungen ist es, nach einer Auslegeord- Schümperli noch Verbesserungspotenzial: «Wir vergessen nung verschiedene Auswegmöglichkeiten zu skizzieren gerne, dass man den Umgang mit Konflikten nicht irund dadurch die Handlungsfähigkeit wieder zu stärken. gendwann abschliessend erlernt hat. Auch wir ErwachZum Teil werden in den Beratungsgesprächen schwierige senen müssen diesen immer wieder üben.»

Beratungsangebote

Weiterbildungsangebote (Auswahl)

Einzelcoachings

Umgang mit Konflikten

Das Angebot richtet sich an sämtliche Personen aus dem Schulfeld, die nach fachlichem Rat und Austausch in beruflichen und persönlichen Fragen suchen: Im Zweiergespräch erfolgt eine Auslegeordnung der Konfliktsituation. Anschliessend werden gemeinsam Lösungsansätze und Handlungsmöglichkeiten erarbeitet. Die Einzelcoachings finden an der PH Zürich statt. (Kontakt via Beratungstelefon)

Teamsupervision

Im zweitägigen Weiterbildungskurs analysieren Teilnehmende ihr eigenes Konfliktlöseverhalten, arbeiten an Konfliktbeispielen aus dem Berufsalltag und üben neue deeskalierende Handlungsmöglichkeiten ein. Zur Klärung persönlicher Anliegen in der Thematik besteht im Anschluss an den Kurs die Möglichkeit, eine Einzelsupervision in Anspruch zu nehmen. 11.9.2019 und 2.10.2019

Der gezielte Erfahrungsaustausch im Team ermöglicht einen Perspektivenwechsel und neue Impulse und stärkt die konstruktive Kommunikation und Konfliktkultur. Geführt von einer Beratungsperson der PH Zürich werden in einer Supervision konkrete Themen mit Berufskolleginnen und -kollegen bearbeitet. Die Teamsupervision findet an der Schule statt und wird in der Regel in Absprache mit der Schulleitung initiiert. (Kontakt via Beratungstelefon)

Mobbing unter Schülerinnen und Schülern wie reagiere ich richtig?

Beratung bei Fällen von Gewalt und Mobbing an den Schulen

CAS Konfliktmanagement und Mediation

Die Beraterinnen und Berater der PH Zürich unterstützen Lehrerinnen und Lehrer sowie Schulleitungen bei der Eingrenzung und Überwindung von Gewalt und Mobbing in Klassen und Schulen. Sie sind spezialisiert auf Gewalt- oder Mobbingsituationen, die in Klassen und Schulen kurz vor der Eskalation stehen oder bereits eskaliert sind. (Kontakt via Beratungstelefon)

Beratungstelefon Das Beratungstelefon bietet kostenlose Kurzberatungen am Telefon an sowie eine gezielte Vermittlung von Beratungs- und Fachpersonen und Informationen zu spezifischen Beratungs- und Weiterbildungsangeboten an der PH Zürich.

In einem Abendkurs werden Gründe und Funktionsweisen von Mobbing und Cybermobbing thematisiert. Ein Schwerpunkt liegt im Erkennen von Mobbing, das sich immer mehr in den ausserschulischen Bereich verlagert. Die Teilnehmenden lernen, wie nachhaltig interveniert werden kann und welche Präventionsmassnahmen auf Klassenebene wirksam sind. 12.3.2019

Der CAS wird in Kooperation mit der ZHAW durchgeführt und richtet sich an Lehrpersonen aller Stufen sowie an Fachpersonen aus den Bereichen Sozialarbeit und Sozialpädagogik. Kursteilnehmende lernen dabei, in Konflikten möglichst allparteilich zu allen Beteiligten zu stehen und konstruktive Elemente von Konflikten für Personen und die gesamte Schule konkret zu nutzen. Neben der Vermittlung von theoretischem Wissen zu Konfliktmanagement und Mediation werden spezifische Techniken des Konfliktmanagements sowie der Umgang mit Konflikten in Gruppen erlernt und konkrete Konfliktsituationen im Berufsalltag bearbeitet. Der CAS umfasst 15 ECTS-Punkte. 26.8.2019–7.7.2020

Montag bis Freitag, 15.00-18.00 Tel. +41 43 305 50 50 beratungstelefon@phzh.ch

Weitere Informationen zu den vorgestellten Angeboten sowie zu zusätzlichen Weiterbildungsprogrammen rund um das Thema «Konflikte im Schulalltag»: tiny.phzh.ch/konflikte, Suchbegriff «Konflikte»

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Schwer pu nkt Konflikte

Konflikte, Gewalt und Mobbing: Angebote der PH Zürich


Schwer pu nkt Konflikte

«Erwartungen nach totaler Gerechtigkeit sind überhöht» Der Friedensrichter Thomas Marthaler hat mit 80 Prozent der Konfliktfälle, die bei ihm ohne Gerichtsprozess gelöst werden, eine sehr hohe Erfolgsquote. Der ehemalige Boxer erklärt, was seine Arbeit mit dem Kampf im Ring gemeinsam hat und weshalb Provokationen für die Konfliktlösung hilfreich sein können. Text: Melanie Keim, Fotos: Nelly Rodriguez

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Wie muss man sich den Ablauf einer Verhandlung beim Friedensrichter vorstellen? Vor jeder Verhandlung erhalte ich das Schlichtungsgesuch mit dem Beschrieb des Streitfalls. Häufig überfliege ich dieses Dokument jedoch nur. So kann ich unvoreingenommen beide Seiten anhören. In der Verhandlung beschreibt erst der Kläger den Konflikt und stellt seine finanzielle Forderung. Anschliessend nimmt die beklagte Partei Stellung dazu. Wenn beide Parteien die gleiche Konfliktsituation schildern, haben wir die Differenz relativ schnell gefunden und können diese auflösen. Das heisst, wir suchen gemeinsam einen finanziellen Kompromiss. Im Normalfall dauert das eine halbe Stunde. Häufig höre ich aber auch sehr unterschiedliche Versionen einer Geschichte. Da lässt sich meist nicht beweisen, was stimmt. Was geschieht in einem solchen Fall, in dem die Fakten unklar sind? Wir können nicht überprüfen, wer Recht hat, sondern nur der Frage nachgehen, wie Differenzen zustande kommen und Missverständnisse auflösen. Für den KomproAKZENTE 4/2018

Über Thomas Marthaler Thomas Marthaler wurde 1961 in Zürich geboren. Nach einer kaufmännischen Lehre brach er mit 19 nach London auf. Dort konnte er neben einem Job bei einer Logistikfirma seiner Leidenschaft, dem Boxen, noch ambitiöser als zuvor nachgehen. Zurück in der Schweiz absolvierte er nach verschiedenen Stellen im sozialen Bereich die Erwachsenenmatur und studierte Jurisprudenz. 2001 wurde er als Stadtammann Leiter des Zürcher Betreibungsamts für die Stadtkreise 3 und 9, 2003 erlangte er sein Anwaltspatent. Seit 2009 ist er als Friedensrichter für die Kreise 3 und 9 tätig. Als Mitglied der SP sass er ab 1998 im Zürcher Gemeinderat, seit 2011 ist er Kantonsrat. Seine erfolgreiche Boxkarriere ging mit 35 und zehn Schweizermeistertiteln im Schwergewicht zu Ende, danach folgten zahlreiche Einsätze als Ring- und Punkterichter. Heute sucht Marthaler im Marathonlauf den sportlichen Ausgleich. Der Vater von vier Kindern lebt mit seiner Frau im Zürcher Quartier Friesenberg.

miss müssen wir gewisse Annahmen treffen. Inhaltlich fallen die Vergleiche deshalb auch nicht immer ganz gerecht oder ausgewogen aus. Doch die Schlichtungsbehörde hat die Konfliktlösung zum Ziel. An erster Stelle wollen wir Streitfälle beilegen. Denn diese binden bei beiden Streitparteien relativ viele Ressourcen, nicht nur finanzielle. Oft muss ich auch aufzeigen, dass Erwartungen nach totaler Gerechtigkeit überhöht sind. Leuten, die aus Prinzip nicht nachgeben wollen, sage ich: «Dann kann ich jetzt eigentlich spazieren gehen.» Aber es ist doch auch verständlich, auf Gerechtigkeit zu beharren? Nur bringt es nichts. Häufig stecken hinter dem Konflikt ganz andere Probleme, die in den Streit projiziert werden. Jemand hat beispielsweise eine Enttäuschung noch nicht überwunden und will den anderen nicht ungestraft davonkommen lassen. Teilweise haben die Leute auch Angst, zu kurz zu kommen. Ich darf die Leute in der Verhandlung zwar nicht verletzen, aber manchmal muss ich sie provozieren, um herauszufinden, weshalb jemand einen solchen Aufstand macht. Wenn eine Person Enttäuschungen oder Verletzungen in der Verhandlung artikulieren kann und ein Dritter diese wahrnimmt, reicht dies oft schon aus, damit sich bei ihr etwas löst. Wenn ich diesen negativen Gefühlen Raum geben kann, können die Menschen endlich loslassen. Der Mechanismus der Konfliktlösung ist hier nicht anders als im Alltag. Nur ist das Einlenken oft einfacher, weil die Parteien im Normalfall nachher nicht mehr viel miteinander zu tun haben. Was ist Ihre Aufgabe in der Verhandlung? Oft schauen beide Parteien die ganze Zeit nur mich an. Dabei ist es ihr Streit, sie müssen eine Lösung finden. Meine Aufgabe ist es, ihnen auf die Sprünge zu helfen, damit sie sich annähern können. Ich muss beiden Parteien das Vertrauen geben, dass es Sinn macht mitzuziehen. Ich versuche ihnen klar zu machen, dass es für sie ein Vorteil ist, nicht zu prozessieren, weil das enorme Kosten mit sich bringt und langwierig und aufreibend ist. Um nicht selbst in den Konflikt zu geraten, muss ich stets Distanz wahren und zeigen, dass ich unparteiisch bin. Ich glaube, das gelingt mir, indem ich

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Schwer pu nkt Konflikte

Den Friedensrichter kennen viele wohl vor allem vom Hörensagen. Wann kommen Sie ins Spiel? Ich werde beigezogen, wenn Private in einem Streitfall die Unterstützung der staatlichen Behörden suchen, um einen Konflikt in einen rechtlichen Rahmen zu bringen. Beim Friedensrichter werden Konflikte gelöst, bevor es zu einem Gerichtsverfahren kommt. Heute war beispielsweise eine Versicherungsmaklerin hier, die den Lohn für einige Monate und zusätzlich ihre Provisionen nicht erhalten hat. Solche arbeitsrechtlichen Streitereien machen einen relativ grossen Teil meiner Arbeit aus. Doch die Fälle sind sehr vielfältig. Manchmal geht es um schwierige Sachverhalte wie eine Dienstleistung, mit der jemand nicht zufrieden war, aber unklar ist, welche Qualität wirklich offeriert wurde. Oft werden aber auch vordergründig Forderungen postuliert und das Problem ist ein ganz anderes, beispielsweise die Enttäuschung über eine erfolglose Geschäftsidee, die man an einem Geschäftspartner auslässt.


fand ich den Namen verlockend. Wer will schon nicht Frieden stiften? Tatsächlich hat sich meine Arbeit als sehr befriedigend herausgestellt. In der Schweiz muss man als Friedensrichter kein Jusstudium mitbringen. Was aber sind wichtige Voraussetzungen? Man muss zielstrebig und ehrgeizig sein und gleichzeitig auch eine gewisse Lockerheit aufweisen. Das ist wie beim Boxen. Von dort habe ich die mentale Stärke, etwas durchzuziehen. Dies ist bei diesen Verhandlungen sehr wichtig. Man darf keine Angst haben, dass die Leute

Schwer pu nkt Konflikte

«Häufig höre ich sehr unterschiedliche Versionen einer Geschichte. Da lässt sich meist nicht beweisen, was stimmt.»

«Dass beide glücklich sind, wäre schön, ist aber selten.» Thomas Marthaler in seinem Büro in Zürich.

nicht einlenken wollen, sondern muss immer das Ziel vor Augen haben, den Streit beizulegen. Hier hilft mir meine Erfahrung. Ich weiss, dass es klappen wird. Als Friedensrichter brauche ich eine gewisse Flexibilität. Wie im Boxkampf muss ich meinen Plan anpassen, wenn mein Gegenüber anders handelt als erwartet. Ich bin auch nicht so perfektionistisch und pedantisch, sondern eher grosszügig. Wenn ich von meinen Konfliktparteien einfordere, einander entgegenzukommen, ist das ehrlich gemeint, weil ich selbst nicht so kleinlich bin.

Als Vater von vier Kindern haben Sie bestimmt auch Erfahrung mit Konflikten in der Schule. Wie erleben sie die Konfliktlösung in der Schule? Ich hatte immer Glück mit den Lehrern meiner vier Kinder. Wie gut Konflikte in der Schule gelöst werden, steht und fällt ja mit der Lehrperson im Raum. Für meine Kinder war es sicher etwas schwierig, dass ich die Wie sieht eine gute Lösung aus? Position ihrer Lehrer oft etwas zu gut verstanden habe. Ein guter Ausgang einer Verhandlung ist schlicht und Sie haben sich von mir wahrscheinlich teilweise etwas einfach, wenn der Streit gelöst ist und man wieder zum verraten gefühlt. Ich war aber immer darauf bedacht, Tagesgeschäft übergehen kann. Manchmal sind beide dass sie ihre Konflikte selbst lösen können. Mein Parteien etwas wütend, weil sie nicht genau das erhalten Eindruck ist, dass Konflikte in den Schulen relativ gut, haben, was sie wollten. Das sind oft die besten Vergleiche, das heisst niederschwellig gelöst werden. Das ist auch weil wirklich beide einen Schritt aufeinander zu machen wichtig, weil Lernen nur in einem positiven Umfeld mit mussten. Dass beide glücklich sind, wäre zwar schön, ist guten Konfliktlösungsmechanismen möglich ist. aber eine seltene Situation. Oft danken mir Personen am Ende dafür, dass der Streitfall nun endlich erledigt ist. Als mir die Stelle als Friedensrichter angeboten wurde, sehr transparent auftrete und beide Standpunkte immer wieder spiegle. Bei einem Gewerbler verheimliche ich also nicht, dass ich als linker Politiker die Arbeitnehmerrechte hochhalte. Wenn dieser aber merkt, dass ich auch seine Rolle verstehe und seine Anliegen ernst nehme, macht er mit.

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Den Umgang mit Konflikten praxisnah trainieren In der Schule treffen unterschiedliche Menschen aufeinander: Jugendliche, Lehrpersonen und auch Eltern. Sie alle haben eigene Ansichten und Bedürfnisse. Dies birgt einiges Konfliktpotenzial. Im Konflikttraining lernen Studierende der Sekundarstufe 1 verschiedene Vorgehensweisen, mit Konflikten umzugehen.«Akzente» hat das Modul besucht.

Es ist kurz vor den Sommerferien. Die Studierenden im Modul «Training Konfliktmanagement» haben soeben das Lernvikariat abgeschlossen. Sie sind alle im 8. Semester und unterrichteten zum ersten Mal drei Wochen alleine in einem Praktikum ohne unterstützende Lehrperson im Klassenzimmer. Nun sitzen sie im Kreis und erzählen ihre Konfliktbeispiele aus dem Schulalltag. Die Studierenden erlebten die Konflikte als Herausforderung und teilweise als belastend. Modulleiterin Martina Funke sagt: «Konflikte sind auch eine Chance. Etwa für Schülerinnen und Schüler, eigene Kompetenzen aufzubauen oder um sich besser zu verstehen, um Werte und Bedürfnisse zu formulieren oder um Grenzen im Zusammenleben aufzuzeigen und einzufordern.» Konflikte konstruktiv zu bearbeiten sei aufwändig, fährt sie fort. «Aber noch zermürbender ist es, nicht oder schlecht gelöste Konflikte auszuhalten.» Vor dem Unterricht hat Martina Funke auf dem Flipchart das Unterrichtsprogramm notiert. Im Zentrum der heutigen Veranstaltung stehen der Austausch und die Reflexion eigener Fallbeispiele aus dem Lernvikariat. Dazu verteilt sie in einem ersten Schritt ein Blatt Papier. Darauf ist eine Skizze aufgezeichnet, das sogenannte «Thomann-Schema». Dieses eignet sich, Konflikte strukturiert und professionell anzugehen. Die Konfliktsituation wird mit vier Feldern dargestellt: Wer ist involviert? Was sind die Anliegen? Welches ist die konkrete Schlüsselsituation? Wie fühle ich mich im Konflikt? Die Studierenden reflektieren ihre Fälle mit Hilfe des Schemas für die anschliessende Besprechung.

wissen ermögliche es den Studierenden, ein differenziertes Verständnis von Konflikten zu entwickeln und auch deren Vielfalt im Schulalltag zu analysieren. Als Hilfe dienen verschiedene Methoden und Techniken, die anhand von Übungen und Rollenspiel ausprobiert werden können: Wie konfrontiere ich mein Gegenüber, ohne die Situation eskalieren zu lassen? Wie wird ein Konflikt lösungsorientiert angegangen? Wie führe ich ein Konfliktgespräch mit Eltern? Martina Funke vergleicht das Vorgehen mit dem einer Ärztin oder eines Arztes, die nach einer differenzierten Analyse eine Diagnose stellen und entsprechende Massnahmen zur Heilung einleiten. So hofft sie, mit ihren Methoden und Techniken den Studierenden den

Die Studierenden erlebten die Konflikte als herausfordernd und teilweise als belastend.

Vielfältige Konflikte im Schulalltag Das Modul dauert insgesamt vier Tage und gliedert sich in zwei Teile. Vor dem Lernvikariat wurde während zwei Tagen das Basiswissen zur Analyse von Konfliktsituationen erarbeitet. In den kommenden zwei Tagen wird dieses Wissen mit konkreten Situationen aus dem Lernvikariat vernetzt und aufgezeigt, wie Konflikten begegnet werden kann. «Ziel des Moduls ist es, Kompetenzen aufzubauen, damit die Studierenden lernen, mit Konflikten konstruktiv umzugehen», sagt Martina Funke. Das Basis-

«Doktorkoffer» zu füllen. Wichtig sei, nicht nur die passende Methode oder Technik zu erlernen, sondern auch eine verstehens- und lösungsorientierte Haltung zu entwickeln. Auch sollen sie erkennen, wann für die Lehrperson weitere Hilfe zur Konfliktbewältigung beigezogen werden muss, beispielsweise die Schulsozialarbeiterin. Die Studierenden haben das Schema inzwischen ausgefüllt und stellen es sich gegenseitig vor. Ein Ereignis erregt dabei besonders viel Interesse. Eine Studentin erhielt eine anonyme Drohung eines Schülers oder einer Schülerin. Die Studierenden hören der genauen Schilderung zu. Dieses «pubertäre Geschwätz» dürfe man nicht ernst nehmen, sonst gebe man ihm noch mehr Raum, sagt schliesslich eine Studentin. Einer würde Anzeige gegen unbekannt erstatten und die Polizei einschalten. Ein letzter Vorschlag ist, den Vorfall im Klassenrat zu thematisieren. Die Debatte ist emotional und kontrovers.

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Schwer pu nkt Konflikte

Text: Walter Aeschimann, Fotos: Nelly Rodriguez


Die Studentinnen und Studenten diskutieren über Konflikte, die sie im Vikariat erlebt haben.

In einem Rollenspiel müssen die Studierenden auf eine ihnen nicht bekannte Situation reagieren.

Im Konflikttraining erarbeiten die Studierenden unter anderem gemeinsam geeignete Fragestellungen, um der Ursache eines Konflikts auf die Spur zu kommen und Lösungen entwickeln zu können.


tigung, dass sich die Schülerin mangelhaft am Unterricht beteilige und sehr unruhig sei. Der zweite Student reagiert mit einer Gegenfrage: Wie erleben Sie Ihre Tochter in letzter Zeit? Der dritte hört aktiv zu und lädt die Eltern ein, seinen Unterricht zu besuchen. Die Klasse findet in der Nachbesprechung, der dritte Studierende habe gut reagiert. Er habe die Führung des Gespräches bei sich behalten, die Eltern mit ihrem Anliegen ernst genommen, sei offen geblieben und habe Raum gegeben, den Unmut auch zu schildern. Die Technik, aktiv zuzuhören haben die Studierenden schon in einem früheren Trainingsmodul zum Thema Kommunikation gelernt. Neu ist im Konflikttraining, geeignete Fragen zu stellen, um dem Prob-

«Geben Sie mir das Handy zurück.» Nach der Pause bearbeiten die Studierenden weitere Konfliktbeispiele. Dazu verwendet die Dozentin die sogenannte «Szene-Stopp-Reaktion»-Methode. Dabei müssen die angehenden Lehrpersonen spontan auf eine ihnen nicht bekannte Situation in einem Rollenspiel reagieren. Zwei Studenten und eine Studentin erklären sich bereit, mitzumachen und die Lehrperson zu spielen. Dazu müssen sie den Raum jetzt verlassen. Die Dozentin informiert nun die anderen Studentinnen und Studenten über die von ihr vorgegebene Situation: Es ist Schulunterricht. Ein Schüler, gespielt von einem Studierenden, verschickt während des Unterrichts eine «wichtige» SMS. Der Lehrer soll reagieren. Der Schüler muss stur bleiben und das Handy nicht zur Seite legen. Falls ihm der Lehrer das Handy wegnimmt, muss der Schüler drohen: «Geben Sie mir das Handy zurück. Sonst hole ich meinen Vater.» Die Studierenden werden nun nacheinander in den Raum gebeten. Ein Student nimmt dem Schüler das Handy weg und erwidert auf dessen Drohung: «Das interessiert mich nicht.» Ein anderer geht hin und wiederholt permanent die Forderung, das Handy abzugeben. Die letzte Studierende diskutiert und formuliert schliesslich einen Kompromiss. Die Studierenden sind sich in der Nachbesprechung einig. Man müsse wissen, ob Regeln in der entsprechenden Schule bestehen. Wenn ja, müssten diese auch durchgesetzt werden. Auf keinen Fall dürften Kompromisse gemacht werden, sonst verliere die Lehrperson ihre Autorität. Es reiche, wenn die Lehrperson die Regeln wiederholt und mit ruhiger, bestimmter Stimme das korrekte Verhalten einfordert. Anschliessend folgt die zweite Situation, drei andere Studierende gehen aus dem Raum: Ein Elternpaar will mit dem Lehrer ein Gespräch. Der Vater sagt zu Beginn des Gespräches: «Meine Tochter war immer gut im Englisch. Seit sie bei Ihnen ist, hat sie miserable Noten. Daran sind Sie und der schlechte Unterricht schuld.» Eine der drei Studierenden erwidert mit einer Rechtfer-

lem auf die Spur zu kommen und gemeinsam Lösungen zu entwickeln. Auch aus einem weiteren bereits besuchten Modul zur Gewaltprävention werden Themen nochmals aufgenommen, bevor die Studierenden später erarbeiten, wie die Schüler und Schülerinnen lernen, ein Problem selber anzugehen. Im Zentrum steht dabei die «Peer-Mediation», mit der Gleichaltrige die Konflikte unter sich lösen. Dafür werden Schülerinnen und Schüler zu «Streitschlichtern» ausgebildet. Am Ende des Vormittags spricht die Studentin nochmals über das Beispiel der anonymen Drohung. Sie sagt, der Mentor an der PH Zürich habe ihr sehr geholfen. Und das Modul Konflikttraining helfe ihr, «indem wir über konkrete Fälle diskutieren». Aber der Konflikt sei nicht gelöst. Ein ungelöster Konflikt sei nicht erstrebenswert, sagt Martina Funke dazu, aber manchmal unvermeidlich. Wenn nötig müsse man das Erlebte mit einer Supervision aufarbeiten. Ebenso müssten Lehrpersonen wissen, dass sie nicht jeden Konflikt zu einer befriedigenden Lösung führen können. «Gesellschaftliche Probleme drängen auch in die Schule und diese können nicht alleine von den Lehrpersonen gelöst werden.» Ob es mehr oder weniger Konflikte geworden sind in den letzten Jahren, sei schwierig einzuschätzen. Sicherlich habe sich aber die Wahrnehmung und der Umgang damit verändert. So gestaltet sich die Lösungsfindung bei Widerständen und Verweigerungen anders als früher. Auch stelle sich die Frage, wann und wie stark die Lehrperson bei Konflikten zwischen Schülerinnen und Schülern intervenieren soll. Bei Gewalt und Mobbing hätten die Lehrpersonen jedoch Nulltoleranz und würden sofort intervenieren.

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Mit der «Peer-Mediation» werden die Schülerinnen und Schüler zu Streitschlichtern ausgebildet. Schwer pu nkt Konflikte

Martina Funke fasst die Schilderungen zusammen und bettet den erläuterten Vorfall theoretisch ein. Sie verweist dabei auf den österreichischen Konfliktforscher Friedrich Glasl. Sein Theoriegerüst gehört zum Standardrepertoire der Konfliktbewältigung. Er hat neun Stufen der Eskalation formuliert und zehn Regeln für fruchtbare Konfliktverläufe aufgelistet. Im geschilderten Beispiel sei eine hohe Stufe der Eskalation erreicht. Für Bedrohungen von Lehrpersonen durch Jugendliche gebe es eine klare Vorgehensweise. Auf jeden Fall müsse klargemacht werden, dass dieses destruktive Verhalten nicht toleriert und, falls die Drohungen weitergingen, die Polizei eingeschaltet werde. Glücklicherweise komme dies jedoch sehr selten vor.


Studierendenporträt

Studierendenseite

Dominik Hagen absolviert an der PH Zürich den Masterstudiengang Fachdidaktik Naturwissenschaften.

Und weshalb hat er sich für die PH Zürich entschieden? «Als ich mein Zürich den Masterstudiengang Studium begann, gab es in der Fachdidaktik Naturwissenschaften Schweiz noch keinen vergleichbaren belegt, lässt die Antwort keine Studiengang an einer anderen HochSekunde auf sich warten. Die Leischule im Bereich Fachdidaktik denschaft für die NaturwissenNaturwissenschaften. Die PH Zürich «Lebenslanges Lernen ist für mich eine intrinsische Motivati- geniesst den Ruf, dynamisch auf schaften in Verbindung mit ihrer on, die mit dem persönlichen BeVermittlung im Unterricht war Veränderungen einzugehen, so eben der Hauptgrund für die Wahl dieses dürfnis einhergeht, meinen Studieauch mit zeitgemässen Studiengänrenden eine optimale Ausbildung an gen wie diesem.» Der stark modulaStudiengangs. «Folgerichtig» nennt der Pädagogischen Hochschule zu er deshalb seinen Entscheid, nach risierte Aufbau des Studiums erermöglichen», sagt er. «Das Studium möglicht zudem die Flexibilität, die mehr als 20 Jahren im Lehrberuf bringt mich in den einzelnen Fachnoch einmal an die Hochschule zu berufstätige Studierende benötigen. wechseln. Dominik Hagen blickt auf bereichen von Physik bis Biologie Nach knapp vier Jahren Studium eine langjährige Pädagogiklaufbahn auf den neuesten Stand. Die fachrückt nun die Masterarbeit näher. zurück, in der er vieles gesehen und didaktischen Komponenten ergänzen Das genaue Thema ist noch nicht dieses aufgefrischte Wissen sehr pas- definiert, inhaltlich werden jedoch weitergegeben hat. Er war Lehrer send. Die Studierenden zu befähian diversen Primarschulen sowie Vorstellungen von Schülerinnen und gen, selbst über mögliche Probleman der Schweizerschule in Rom, Schülern eine zentrale Rolle spielen. Schulleiter, später Praxislehrperson lösungen nachzudenken, steht dabei – Stephanie Kleinlein im Vordergrund.» und Lehrbeauftragter an der 24

Pädagogischen Hochschule Thurgau. Mit dem Master in Fachdidaktik Naturwissenschaften möchte er seine Hochschultätigkeit didaktisch und fachlich ausbauen.

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Foto: Nelly Rodriguez

Wenn man Dominik Hagen fragt, warum er an der PH


Die Masterarbeit nis. Aus der Forschung ist bekannt, dass soziale Ausgrenzung vom Gehirn ähnlich wie körperlicher Schmerz wahrgenommen wird. Zudem ist Anerkennung eine Voraussetzung, dass Menschen überhaupt eine intellektuelle Leistung anstreben. Dies gilt auch in der Schule: Sozial akzeptiert zu sein, sei für das Wohlbefinden und Lernen zentral, schreibt Zoé Straub in ihrer Masterarbeit. Die 25-Jährige ist der Frage nachgegangen, wie stark die soziale Integration der einzelnen Schülerinnen und Schüler in einer Klasse von den schulischen Leistungen abhängt. Die Fragestellung erhalte mit der heutigen Heterogenität der Klassen besondere Relevanz, hält die Autorin fest. Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf sind heute grösstenteils in Regelklassen integriert. Zudem werden auf der Sekundarstufe nicht mehr überall Niveauklassen geführt, sondern gemischte Stammklassen mit Anforderungsstufen in einzelnen Fächern. Somit vergrössert sich die Bandbreite zwischen den Stärksten und Schwächsten.

indem sie mit Namen nannten, neben wem sie während einer Zugfahrt ins Klassenlager gerne oder lieber nicht sitzen würden. Anhand der Antworten stellte die Autorin für jede Klasse grafisch dar, welche Schülerinnen und Schüler beliebt sind und welche weniger oder gar nicht. Die Unterschiede waren teils beträchtlich. Parallel dazu gaben die Lehrpersonen ihre Einschätzung zu den Leistungen ab, indem sie jedes Kind in Deutsch, Mathematik und Sport einer schwachen, durchschnittlichen oder starken Gruppe zuordneten. Darauf wurden die Angaben miteinander verglichen. Es zeigte sich, dass geringe kognitive Leistung mit einem tiefen sozialen Status einhergeht. Bei den sportlichen Leistungen war der Effekt bei den Knaben sehr stark, bei den Mädchen dagegen kaum nachweisbar. Zum Zusammenhang von guten Schulleistungen und der sozialen Integration konnten hingegen nur ungenaue Aussagen gemacht werden.

Zoé Straubs Arbeit hat den

diesjährigen Studienpreis der PH Zürich und der Stiftung Pestalozzianum erhalten. Die Fragestellung sei sorgfältig in den theoretischen Ihre Untersuchung hat Rahmen und den aktuellen ForZoé Straub an neun Klassen der schungsstand eingebettet und ersten Sekundarstufe im Kanton vermöge für Jugendliche zu senZürich vorgenommen. Bei insgesibilisieren, die von sozialem Aussamt 144 Jugendlichen hat sie über schluss betroffen sind, schreibt die einen Online-Fragebogen einerseits Jury. Die Würdigung deckt sich mit die selbst wahrgenommene Inteden Schlussfolgerungen der frisch gration und andererseits die Ausausgebildeten Sekundarlehrerin: sensicht erhoben. Die Teilnehmen- «Ich werde Leistungsschwächere in den mussten zum Beispiel angeben, Zukunft besser unterstützen und ob sie gerne in die Schule gehen Schwächere ermutigen, sich zu und wie wohl sie sich in der Klasse beteiligen.» – Andrea Söldi fühlen. Gleichzeitig taten sie ihre Die Masterarbeit von Zoé Straub Sympathie oder Antipathie für ist online publiziert: einzelne Klassenkameraden kund, blog.phzh.ch/akzente AKZENTE 4/2018

Komfortzone oder Adrenalinkick? Fremde Menschen anrufen. Auf unbekannten Strecken ganz alleine Auto fahren müssen. Parken ohne Sensorik. Schlimme Achterbahnen fahren. Sich mit Sprachen verständigen, die man mal in der Schule gelernt hat. Alleine eine Reise ins Ungewisse antreten. Wenn ich solche Dinge auf mich zukommen sehe, werde ich nervös. Deshalb habe ich mich nun offiziell dazu entschieden, meine Komfortzonen zu verlassen und Ängste, die mich tagtäglich paralysieren, einfach mal zu überwinden. Unter konstantem Adrenalinrausch raste ich durch die letzten Monate. Spontaner Roadtrip nach Italien? Certo. Laufend Termine am Telefon vereinbaren und sogar ins Ausland anrufen, um Unklarheiten zu beseitigen – wie ein Profi. Einfach mal auf eine Achterbahn gehen. 1. Runde: Wieso tu ich mir das an, ich sterbe. 2. Runde: Es ist ziemlich schlimm, aber kann es sein, dass es auch Spass macht? 3. Runde: Okay, ich will auf jede Bahn hier! Einen Monat allein in Singapur verbringen? Ich will gar nicht mehr zurückkommen. Sogar erste Erfolgserlebnisse beim Kampf mit den engen Parkplätzen. Vielleicht ist doch alles nur Kopfsache? Es sind genau diese Entscheidungen, die mich jetzt zufrieden zum Lächeln bringen. Zum Glück habe ich die Ängste meines Alltags in Angriff genommen. Jetzt muss ich es einfach immer wieder tun. Meine Komfortzonen verlassen. Und wie geht es dir so? Sharon Ben Ishay ist Studentin auf der Primarstufe und Tutorin im Schreibzentrum der PH Zürich

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Studierendenseite

Dazugehören ist ein menschliches Grundbedürf-

Ausstudiert – die Studierendenkolumne


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Wie gelingen lehren und lernen im kompetenzorientierten Unterricht optimal und wie können Führungspersonen die Unterrichtsqualität beurteilen? Diese und weitere Fragen standen Anfang Oktober im Zentrum der Tagung «Beurteilung von Unterricht» an der PH Zürich.

Gemeinsames Verständnis von Unterricht Mit dem Beitrag von Andreas Brunner von der Fachstelle für Schulbeurteilung der Bildungsdirektion des Kantons Zürich erhielt das Publikum einen konkreten Einblick in die Vorgehensweisen und methodischen Zugänge der Fachstelle. Die Qualität von Unterricht werde Text: Angela Roos aktuell anhand von vier Aspekten evaluiert: Unterrichtsgestaltung, sonderpädagogische Angebote, individuelle Lernbegleitung sowie Beurteilung der Schülerinnen Schulleitungen tragen die Verantwortung sowohl und Schüler. Brunner erwähnte dabei die Wichtigkeit für die Weiterentwicklung des theoretischen Inputs im pä- eines gemeinsamen Verständnisses von gutem Unterdagogischen Sinn als auch für die Führung der Schule, so fasste Roland Fischer, Projektleiter Lehrplan 21 im Volksschulamt des Kantons Zürich seine einleitenden Worte zusammen. Eine entwicklungstheoretische Perspektive auf den Unterricht präsentierte Catherine Lieger von der PH Zürich in ihrem Einstiegsreferat. Sie richtete dabei den Fokus auf das Spiel als Lernform und damit auf die jüngsten Schülerinnen und Schüler. Durch die sogenannten entwicklungsorientierten Zugänge in die Fachbereiche berücksichtige der Lehrplan 21 die Notwendigkeit des Spiels im Lernprozess optimal. Lehrpersonen richt und wies darauf hin, dass ein Beurteilungsprozess können dies fördern, indem sie das Spiel professionell lediglich eine kurze Momentaufnahme eines hochkombegleiten. In ihrem anschliessenden Beitrag betonte An- plexen Prozesses ist. na-Katharina Praetorius von der Universität Zürich die Als letzter Referent brachte Petros Pashiardis von Bedeutung der Unterrichtsqualität. Diese sei ein wichti- der Open University of Cyprus eine internationale Sichtger Faktor zur Vorhersage der Leistungsentwicklung so- weise zum Thema Beurteilung und Schulleitungen ein. wie der emotionalen Entwicklung. Beurteilt werde Un- Der gesellschaftliche Wandel verändere nicht nur Unterterrichtsqualität auf Basis dreier Dimensionen: dem richtsweisen und -zwecke, sondern auch die Ansprüche eigentlichen Angebot, dessen Nutzen sowie dessen Wir- der Lernenden. Pashiardis präsentierte weiter die Ergebkung. Dazu würden unterschiedliche Methoden zur Ver- nisse der «School Leadership and its Impact on Student fügung stehen, beispielsweise die direkte Befragung der Achievement-Studie» (LISA), die europaweit FührungsLehrpersonen oder Schülerinnen und Schüler sowie die stile erfolgreicher Schulleitungen untersuchte. Die Ergebnisse zeigten, dass sich Führungspersonen weniger Evaluation durch externe Beobachter. von Geschehen und Umständen auf übergeordneten Wechselwirkung zwischen Lehren und Lernen Ebenen wie dem geografischen oder kulturellen Kontext Danach richteten Michael Schratz und Evi Agostini von beeinflussen lassen. Vielmehr liessen sich Schulleitungen der Universität Innsbruck den Blick auf das Lehren und von der schulnahen Umgebung leiten. Pashiardis riet daLernen. Das Dilemma bestehe darin, dass die meisten bei dem Publikum, seinen eigenen Führungsstil-Mix als Didaktiken dies als separate Vorgänge und nicht als Führungspersonen zu finden.

«Der gesellschaftliche Wandel verändert nicht nur den Unterricht, sondern auch die Ansprüche der Lernenden.»

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PH Zürich – Weiterbildu ng

Als Schulleitung guten Unterricht beurteilen und fördern können

Wechselwirkung sehen. Michael Schratz hat dazu die Begriffe lehrseits und lernseits geprägt. Während lehrseits den von einer Lehrperson vorbereiteten Unterricht und dessen Umsetzung meint, versteht er unter lernseits das Reagieren der Lehrperson auf mögliche Lerneffekte bei den Schülerinnen und Schülern. Dies kann sich beispielsweise in einem fragenden Blick einer Schülerin oder eines Schülers äussern. In solchen Situationen könne eine Wechselwirkung zwischen Lehren und Lernen stattfinden. Dies sei mit einer einfachen Übung zu erfahren, indem Lehrpersonen im Unterricht eine Frage stellen, die sie selbst nicht beantworten können.


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CAS Deutsch als Zweitsprache

Zürcher Fachhochschule

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phzh.ch/abo AKZENTE 4/2018


Geflüchtete Jugendliche im Unterricht wirksam unterstützen Das neue Lehrmittel «Unterwegs» der PH Zürich und der PH Bern unterstützt geflüchtete Jugendliche auf dem Weg zu besserem Deutsch, zu mehr Selbstvertrauen und zu einer sinnvollen Berufswahl. Die ersten Rückmeldungen fallen positiv aus.

Wenn in einer Schulklasse 16-jährige Jugendliche sitzen, die kaum Deutsch können und zudem nicht wissen, ob sie in zwei Monaten noch in der Schweiz sind, ist dies für Lehrpersonen eine grosse Herausforderung. Speziell gefordert sind auch Lehrpersonen, die in Durchgangszentren oder Wohnheimen geflüchtete Jugendliche unterrichten, denn diese Schülerinnen und Schüler verfügen häufig über sehr unterschiedliche Bildungsniveaus. Was bisher fehlte, war ein Lehrmittel, das für Geflüchtete mit wenig Deutschkenntnissen eingesetzt werden kann. Gemeinsam mit der PH Bern machte sich die Abteilung Internationale Bildungsentwicklung (IPE) der PH Zürich vor zwei Jahren an die Arbeit, ein entsprechendes Lehrmittel zu entwickeln. Es sollte sowohl für Flüchtlingszentren als auch für die Volksschule geeignet sein und drei Anforderungen erfüllen: den Erwerb der Sprache Deutsch fördern, die Lernenden bei der Berufswahlorientierung unterstützen sowie die sogenannten Life Skills fördern. Dazu gehören beispielsweise Fähigkeiten wie kritisches Denken oder der konstruktive Umgang mit Konflikten. Und da in vielen Durchgangszentren Sozialarbeitende oder freiwillige Helferinnen und Helfer unterrichten, die keine Ausbildung zur Lehrperson absolviert haben, sollte es ohne spezifische pädagogische Kenntnisse verwendet werden können.

Autorenteam anschliessend in das Lehrmittel ein. Im Zentrum Bäregg wird «Unterwegs» nun bereits seit einigen Monaten eingesetzt. Evelyn Ritter, Leiterin Bildung & Beruf im Zentrum Bäregg, ist mit dem Lehrmittel sehr

«Die geflüchteten Jugendlichen befassen sich nun vermehrt mit ihrer Berufswahl.»

Einbezug der Jugendlichen Dem Autorenteam war es ein wichtiges Anliegen, geflüchtete Jugendliche bei der Entwicklung miteinzubeziehen. Das Zentrum Bäregg, im Kanton Bern für die Unterbringung und Betreuung von unbegleiteten minderjährigen geflüchteten Jugendlichen zuständig, zeigte an dem Projekt Interesse und erklärte sich zur Mitarbeit bereit. Nachdem eine erste Version des Lehrmittels vorlag, testeten die Schülerinnen und Schüler die insgesamt sieben Module und gaben ein Feedback ab. Die Rückmeldungen – beispielsweise wurde der Wunsch geäussert nach mehr Platz im Heft für die Lösungen – arbeitete das

zufrieden: «Unsere Lehrpersonen setzen es regelmässig im Unterricht ein. Eine Lehrerin erklärte mir, dass sie durch den Unterricht mit ‹Unterwegs› eine intensivere Verbindung zu einigen Schülern aufbauen konnte.» Auch die Jugendlichen würden gerne damit arbeiten. Das Lehrmittel werde der Heterogenität in den Klassen gerecht. «Auch Jugendliche, die schulisch nicht so stark sind, beteiligen sich an den Lektionen», sagt sie. «Unterwegs» motiviere sämtliche Schülerinnen und Schüler, weil es immer mehrere Möglichkeiten gebe, eine Aufgabe zu lösen. Auffällig sei zudem, dass sich die geflüchteten Jugendlichen vermehrt mit ihrer Berufswahl befassen. «Unterwegs» wird auch im Zentrum Lilienberg verwendet, in welchem 90 unbegleitete Jugendliche untergebracht sind. Inzwischen arbeiten auch immer mehr Lehrpersonen in der Volksschule mit dem Heft. Das Lehrmittel ist seit Anfang Jahr beim hep-Verlag erhältlich. Nebst dem Heft mit den Modulen steht ein Band mit Kommentaren für die Lehrpersonen zur Verfügung sowie diverses Zusatzmaterial. Die Projektleitung auf Seite PH Zürich lag bei Wiltrud Weidinger. Bei der PH Bern waren Georg Bühler und Gisela Bürki verantwortlich.

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PH Zürich – Inter nationale Bildu ngsentwicklu ng

Text: Franziska Agosti


«Bildung beginnt im Säuglingsalter» Die Leiterin des Marie Meierhofer Instituts für das Kind, Heidi Simoni, hat den diesjährigen Bildungspreis der PH Zürich erhalten. Im Interview äussert sie sich zur Bedeutung der frühkindlichen Bildung und zur Verbindung von Wissenschaft und Praxis. Text und Foto: Walter Aeschimann

und ob Auswirkungen bei Kindern mit unterschiedlichen familiären Hintergründen feststellbar sind. Welche Ergebnisse haben sich ergeben? Bei den Erzieherinnen haben sich der Blick auf die Kinder und die Schwerpunkte ihrer Arbeit verändert. Der Austausch über die Interessen und das Lernen der einzelnen Kinder und der Kindergruppe verstärkte sich. Stützt sich das Projekt auf eine bestimmte These? Die Grundannahme ist, dass sich Kinder von der Geburt an aktiv mit sich und der Umwelt auseinandersetzen. Dies ist ihr Beitrag zu ihrer Entwicklung. Deshalb beginnt die Bildungsbiografie bereits im Säuglingsalter. Die Rolle der Erwachsenen ist es, sie fürsorglich zu begleiten und für eine anregende Umwelt zu sorgen. Die zentralen Fragen lauten also, wie Kleinkinder lernen und wie wir sie unterstützen können.

PH Zürich – Rektorat

Welches übergeordnete Ziel verfolgen Sie an Ihrem Institut? Unser Bestreben ist es, zu guten Bedingungen für das Aufwachsen von Kindern beizutragen. Wir erarbeiten und sammeln dafür Grundlagen und vermitteln sie an Eltern und Fachpersonen. Junge Kinder lernen nicht in Lektionen, sondern eingebettet im Alltag, ganzheitlich und aktiv tätig. Eine Kita soll die ihr anvertrauten Kinder behüten, aber sie kann viel mehr. Damit sie in ihrer sprachlichen, emotionalen, sozialen und kognitiven Entwicklung gut unterstützt werden können, ist auch der Dialog zwischen Eltern und Erzieherinnen oder Spielgruppenleiterinnen ausgesprochen wichtig.

Akzente: Einer Ihrer Schwerpunkte am Institut ist die Forschung zum Thema Kinder im Vorschulalter. Was sind Ihre Forschungsschwerpunkte? Heidi Simoni: Seit mehreren Jahren beschäftigen wir uns damit, wie junge Menschen die Welt erkunden und im Austausch mit ihrer Identität Kompetenzen erwerben. Wir forschen dazu hauptsächlich in Kindertagesstätten, weil viele Kinder heute vor allem in dieser Lebenswelt mit anderen Kindern in Kontakt sind.

Ist die Idee, Kinder dort zu fördern, wo spezifische Begabungen vermutet werden? Es geht darum, jedem Kind die passende «Bildungsnahrung» anzubieten. Davon profitieren Kinder mit besonderen Bedürfnissen und Kinder mit besonderen Begabungen. Dazu ein Beispiel: Ein scheuer Junge, der kaum Deutsch sprach, tat sich anfänglich in der Kita schwer. Auf Spaziergängen ist er jedoch bei jeder Brücke fasziniert stehen geblieben. Das haben die Erzieherinnen beobachtet. Als unsere Forschenden später wieder in der Kita waren, hingen an den Wänden Bilder von Brücken. In der Bauecke waren Spuren statischer Experimente sichtbar. Offenbar hatte der Junge andere Kinder mit seiner Neugier angesteckt.

Können Sie ein konkretes Projekt beschreiben? Wir haben kürzlich ein grosses Projekt umgesetzt, bei dem es darum ging, Lernprozesse anzuregen und zu unterstützen. Unser Ansatz verfolgte dabei das Ziel, die Initiativen der Kinder verstärkt ins Zentrum zu rücken. Uns interessierte, was sich im Alltag der Kita verändert

Wie gelangen Ihre Ergebnisse in die Praxis? Wir machen Auswertungs- und Diskussionsrunden mit Fachleuten aus der Wissenschaft, der Praxis und manchmal auch aus der Verwaltung. Gerade Praktikerinnen und Praktiker ordnen gewisse Ergebnisse womöglich anders ein als wir. Die Auseinandersetzung

Heidi Simoni, Bildungspreisträgerin 2018.

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AKZENTE 4/2018


«Die Seminargemeinschaft wurde durch Rituale beschworen»

mit Forschungsergebnissen hilft ihnen wiederum, ihre Praxiserfahrung zu reflektieren. Wie nehmen Trägerschaften und Fachangestellte von Kitas Ihre Forschung auf? Die Zusammenarbeit ist sehr gut. Dies verdanken wir sicher auch unserem Ruf, wonach wir uns tatsächlich mit den Anliegen der Praxis auseinandersetzen. Manchmal reiben sich die Erkenntnisse zu guter Praxis an der Realität. Kitas und Spielgruppen sind heute mit vielfältigen Ansprüchen und oft sehr knappen Ressourcen konfrontiert. Deshalb stehen wir erst recht für Quali-

«Die zentralen Fragen lauten, wie Kleinkinder lernen und wie wir sie unterstützen können.»

Akzente: Welches sind die wichtigsten Themenfelder, mit denen sich das Zentrum für Schulgeschichte (ZSG) beschäftigt? Hoffmann-Ocon: Das ZSG befasst sich bildungsfeldnah mit der Geschichte der Lehrerbildung. Ein Fokus liegt beispielsweise auf dem Zusammenhang von Krisenwahrnehmungen und Bildungsreformen. Dabei erschliessen wir gesellschaftlich und bildungspolitisch strittige Themen jeweils aus der Perspektive verschiedener Akteure – begünstigt durch die gute Materiallage unserer Forschungsbibliothek.

tätsentwicklung ein. Es braucht gut ausgebildetes und ausreichend Personal für Kitas und Kindergärten. Wie hat sich die Erziehung von Kindern im Vorschulalter verändert? Wir wissen heute mehr darüber, dass und wie in der frühen Kindheit die Basis für die Gesundheits- und Bildungsbiografie gelegt wird. Vor 50 Jahren ging es vor allem darum, Kinder zu ernähren, zu hüten und in der Gruppe zu disziplinieren. Die Aufgaben haben sich seither deutlich verändert. Von grosser Bedeutung ist dabei die Frage, welches Rüstzeug Fachpersonen brauchen, um ihnen gerecht zu werden. Es geht also um Ausbildungsgänge und Professionalität.

Akzente: Gibt es ein Beispiel eines aktuellen Forschungsprojekts und was waren die wichtigsten Erkenntnisse? Hoffmann-Ocon: Ein aktuelles Projekt befasst sich mit dem alltäglichen Handeln, den Regeln und Ritualen an vier Ausbildungsorten für Lehrpersonen im Kanton Zürich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Dabei fokussieren wir auf eine Phase, in welcher die Seminare krisenhaft in Frage gestellt wurden. Ein interessanter Befund deutet sich an: An drei Orten wurde die Seminargemeinschaft durch Rituale beschworen und stabilisiert, etwa durch Treffen in Vereinigungen, aber auch durch die Inhalte in Lehrbüchern oder durch Prüfungspraktiken. Die unterschiedliche Gewichtung solcher Faktoren führte trotz vielfältiger Verflechtungen zwischen den Seminaren zu einer Art Konkurrenz- und Marktsituation, in der jede Institution eigensinnige Vorstellungen von der Eignung der Lehrpersonen entwickelte.

Sie erhalten den Bildungspreis 2018 der PH Zürich. Was bedeutet Ihnen dieser Preis? Ich habe mich riesig gefreut. Der Preis ist eine tolle Anerkennung für das, was unser Institut seit jeher und nun auch mit mir als Leiterin in den letzten Jahren geleistet hat. Unsere Haltung, wonach bereits ein Säugling ein Gegenüber ist, und aktuelle Erkenntnisse, was eine sinnvolle frühe Förderung ausmacht, werden offensichtlich wahrgenommen.

Akzente: Wie verwenden Sie Ihre Erkenntnisse? Hoffmann-Ocon: Innerhalb der PH Zürich sind wir bestrebt, unsere Befunde in Ausbildungsmodulen zur Diskussion zu stellen, so dass Studierende mit ihren Projekten daran anknüpfen können. Gegen extern präsentieren wir Forschungsergebnisse auf Tagungen oder als Artikel in Büchern und Zeitschriften. Wir werden auch regelmässig von Medien zu historischen Kontexten von Bildungsthemen angefragt. Der Bedarf an fundiertem, quellengestütztem Wissen scheint gerade bei kontroversen Gegenständen hoch zu sein.

Heidi Simoni hat seit 2007 die Leitung des Marie Meierhofer Instituts für das Kind inne. Zuvor leitete sie während rund sieben Jahren die Praxisforschung des Instituts. Für ihr Engagement im Bereich der frühkindlichen Bildung, Betreuung und Erziehung erhielt sie anfangs November den Bildungspreis der PH Zürich.

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– Christoph Hotz

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PH Zürich – Forschu ng

Andreas Hoffmann-Ocon, Leiter Zentrum für Schulgeschichte


In einem Jahr vom Beruf an die Berufsfachschule

Der neue Studiengang umfasst die drei Module «Didaktik der beruflichen Bildung», «Grundlagen des Lehrens und Lernens» und «Interaktionsprozesse». Zum Studium berechtigen eine abgeschlossene Berufslehre auf höchster Stufe oder ein Studienabschluss auf Stufe Bachelor. Die beiden Dozierenden Daniela Plüss und Dario Venutti leiten den Unterricht als Team. «Die Heterogenität der Klasse ist die grosse Herausforderung», sagen beide und sehen dies zugleich als Chance. Die Zusammensetzung Auf Beginn des neuen Schuljahrs hat die inspiriere auch zu unterschiedlichen Perspektiven auf die PH Zürich einen neuen einjährigen StuAnforderungen im Lehrberuf. Das hätten sie berücksichdiengang für angehende Berufsschullehrtigen müssen, als sie das Unterrichtsprogramm neu gepersonen entwickelt. Konzipiert wurde er staltet haben. «Es war ein intensiver und kreativer Profür Einsteigerinnen und Einsteiger mit zess, wie wir das Modul sinnvoll aufbauen. Wir mussten unterschiedlichen Berufen. Das Programm einen gemeinsamen Nenner für alle Bedürfnisse definieorientiert sich an den Bedürfnissen der ren.» Das «überraschend grosse Interesse» zeigt, dass für Studierenden, damit sie Beruf und Famiden Studiengang ein Bedarf vorhanden ist. lie koordinieren können.

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k s u f nd u re

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Serie – Das Modul

Text: Walter Aeschimann, Fotos: Niklaus Spoerri

Es ist Donnerstag, später Nachmittag. 35 Studierende haben sich in einem der Räume an der PH Zürich versammelt. Sie betrachten eine Videofilmsequenz und sehen eine Lehrerin, die mit ihrer Klasse das Thema Börse und Aktien behandelt. Die Aufgabe für die Studierenden besteht darin, den Ablauf der Sequenz zu notieren und sich auf «das Wesentliche zu konzentrieren». Anschliessend fassen sie im Plenum kurz zusammen, was sie gesehen haben und reflektieren Schlüsselwörter, etwa Gewinn, Verlust und Risiko. In dieser zweiten Lektion ist zentral, mit Lerninhalten umzugehen und geeignete Strategien für das Lernen zu entwickeln. 32

Diskussion über Merkmale guten Unterrichts Der Studiengang orientiert sich nicht am traditionellen Semesterrhythmus, sondern am Ferienplan der Berufsfachschulen in Zürich. Für die Studierenden ist dies besonders attraktiv. Susanne Diener ist Pflegefachfrau FH und arbeitet seit 15 Jahren am Kantonsspital in Winterthur. Für sie gab es immer zwei Berufsziele: Pflege und Lehre. Erst habe sie das erste Ziel verwirklicht. Dann wurde die Familie wichtig. Nun sei der Zeitpunkt gekommen, ihren zweiten Traumberuf zu erlernen. Der normale Ausbildungsweg wäre zu aufwendig gewesen. «Mit diesem Studiengang kann ich Erstberuf und Familie sehr gut koordinieren.» Ihr Fernziel lässt sie offen. Ob sie ein weiteres Studienjahr anschliesst, werde sie entscheiden, wenn sie Berufserfahrung als Lehrerin gesammelt habe. Ein anderes Beispiel ist André Jaunin. Er ist Elektroingenieur FH und arbeitet seit 12 Jahren bei der gleichen Firma. Als Bereichsleiter unterrichtet er seit kurzer Zeit betriebsintern die KV-Lernenden in technischer Produktekunde. Diese Lektionen hat er selber entwickelt und gestaltet sie unabhängig von der Berufsfachschule. «Ich habe gemerkt, dass mir dieser Unterricht grossen Spass bereitet», sagt Jaunin. Deshalb sei das Bedürfnis aufgekommen, als Zweitberuf an einer Berufsfachschule zu unterrichten. Er hat sich nach einem Quereinstieg erkundigt und ist auf diesen Studiengang gestossen, den er «sehr sinnvoll» findet. Anhand der Videosequenz und mithilfe eines spezifischen Modells überlegen die Studierenden in einem zweiten Schritt der heutigen Lektion Qualitätsmerkmale für guten Unterricht. Einzelne Merkmale werden später im Plenum diskutiert: Klassenführung, Realitätsbezug, Methodenvielfalt. Zusammen mit den Dozierenden fassen die Studierenden schliesslich ihre Eindrücke zur Unterrichtsqualität der Lehrerin im Film zusammen. Einigen war das Lernziel nicht klar genug formuliert, andere AKZENTE 4/2018


Pädagogischer Takt Als Aufgabe für die kommende Woche müssen die Studierenden einen Text aus einem Fachbuch zum Thema Lernen lesen. Dabei sollen sie ihre Lesestrategie reflektieren und notieren. In den nächsten Lektionen betrachten die Studierenden wiederum eine Filmsequenz, diesmal zum Thema Chemieunterricht an Berufsschulen. Im Film wird die Lehrperson mit Arbeitsblättern unterrichten. Als Vorbereitung müssen sich die Studierenden selber Wissen zum Thema «sinnvoller Einsatz von Arbeitsblättern» aneignen und Aspekte zu dieser Gestaltung des Unterrichts notieren. Die Niederschrift erfolgt in Form eines Protokolls. Dieses führen sie permanent während des ganzen Jahres und reflektieren darin auch den Unterricht, das Selbststudium oder Lernfortschritte. Das Protokoll ist am Schluss Teil der Diplomprüfung. Die Studierenden haben sich drei Stunden aktiv am Unterricht beteiligt. Einige bleiben am Ende noch sitzen und arbeiten an den Hausaufgaben. «Das sogenannte Classroom Management ist anders als bei jüngeren Studierenden», finden die Dozierenden im Rückblick auf den Nachmittag. Vor jeder Lektion treffen sie sich zum intensiven Austausch. Sie besprechen das kommende Unterrichtsprogramm, auch um mögliche Anpassungen vorzunehmen. Bis jetzt laufe alles «optimal», sagen Daniela Plüss und Dario Venutti zufrieden.

In einer Lektion entwickeln die Studierenden verschiedene Lernstrategien.

Bis jetzt l uft alles optimal Serie – Das Modul

hätten das Thema nicht im Frontalunterricht, sondern an einem aktuellen Fall «durchgespielt», eine Studentin fand das Thema klar und verständlich strukturiert. Die Mehrheit der Studierenden verfügt noch über keine Unterrichtserfahrung. Diese müssen sie in einem Praktikum während des Studiums nachholen. Einige wenige haben bereits eine Lehranstellung und müssen daher kein Praktikum machen. Am Ende des Studienganges absolvieren alle Teilnehmenden eine Diplomprüfung. Das Lehrdiplom berechtigt für den berufskundlichen Unterricht im Nebenberuf mit einem Pensum bis zu 50 Prozent. Wer die Diplomprüfung besteht, kann das Studium fortsetzen und ein hauptberufliches Diplom erwerben. Für einige bietet der Studiengang allenfalls auch die Möglichkeit, herauszufinden, ob sie diesen Beruf tatsächlich ergreifen möchten.

Anhand von Videosequenzen überlegen sich die Studierenden Qualitätsmerkmale für guten Unterricht.

n o v n o i t a Koordin d Ber uf n u e i l i Fam

Serie «Das Modul» In der Serie «Das Modul» haben wir in diesem Jahr verschiedene Ausbildungsmodule der PH Zürich vorgestellt. Die insgesamt vier Beiträge bildeten exemplarisch die Vielfältigkeit des Studienangebots ab. Dieser Teil schliesst die Serie ab.

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Medientipps LITERARISCHE AUSFLÜGE

20-mal fliegen, 20-mal landen, z. B. mit Carigiets rotem Helikopter in den Bündner Bergen. Dort wird im Bilderbuch Maurus und Madleina (1969) den Protagonisten das Leben gerettet. Eine andere Lesereise führt in den mexikanischen Bundesstaat Chiapas zum 15-jährigen Santiago aus Eglis Tunnelkids (1999), der sich nach der Ermordung seines Vaters allein Richtung USA durchschlägt. Wer lesend durch den neuen Atlas der Schweizer Kinder- und Jugendliteratur reist, landet auch in den Klassenzimmern von einst und heute. In Zullos Le plus grand footballeur de tous les temps (2010) kommt die Deutschlehrerin beim Ich-Erzähler schlecht weg: «Elle n’a aucune autorité. (…) Chacun fait ce qu’il veut. C’est le bordel.» Von der Schule ins Weltall und zurück – der Atlas zum 50-jährigen Jubiläum des SIKJM ergründet die Schweizer Kinderliteratur in 20 thematischen Essays und Kartenbildern. Allein die imaginären Illustrationen, die jedes Kapitel eröffnen, sind eine Reise wert. – Martina Meienberg

Schweizerisches Institut für Kinderund Jugendmedien, Hrsg. Atlas der Schweizer Kinderliteratur. Zürich: Chronos, 2018. 244 Seiten.

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GESCHICHTE IN 3 AKTEN

Nicht nur der klassische Hollywoodfilm, auch die Geschichte des Kinos selbst lässt sich in drei Akten erzählen. In ihrer einzigartigen Filmgeschichte unternimmt Michaela Krützen den Versuch, an drei mustergültigen Spielfilmen verlässliche Kriterien zur Charakterisierung von Klassik, Moderne und Nachmoderne herauszu-

arbeiten. In einer ersten Analyse beschäftigt sich die Autorin mit Casablanca und erstellt in 16 Schritten einen Katalog von Merkmalen, die für Filme dieser Epoche typisch sind. Sie führt durch die Handlungsdramaturgie, legt den künstlichen Realismus anhand des unsichtbaren Schnitts offen, kommentiert Spannungsverläufe und macht die Entwicklung der Figuren an der Hel-

denreise fest. Einem analogen Verfahren werden im Anschluss die Filme L’Année dernière à Marienbad sowie Eternal Sunshine of the Spotless Mind unterzogen. Die detaillierten Fallstudien sind beispielhaft – im doppelten Wortsinn. – Daniel Ammann

M. Krützen. Klassik, Moderne, Nachmoderne: Eine Filmgeschichte. Frankfurt/M.: S. Fischer, 2015. 828 Seiten.

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Foto: Gianna Mischol

Medientipps

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GLEICH GEHT’S LOS

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SCHATTEN UND SCHLEIER

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EIN GEISTREICHES BUCH

Aufschieben gehört zum Studentenleben und ist anstrengend. Anstatt die freigeschobene Zeit für etwas Sinnvolles zu nutzen – Freunde treffen oder Sport treiben – plagt das schlechte Gewissen. So entsteht laut Fabian Grolimund «Müllzeit». Der Psychologe und Lerncoach zeigt, wie sich diese in Arbeits- oder Freizeit umwandeln lässt. Er verspricht: «Bessere Noten, weniger Stress, mehr Freizeit.» Dazu vergleicht er «machende» und «aufschiebende» Studierende, erläutert, wie Letztere die Prokrastination überwinden und stellt 25 erfolgversprechende Übungen vor. Im zweiten Teil geht es um Strategien zur Prüfungsvorbereitung und zum Schreiben von Arbeiten (Literatursuche, wissenschaftliches Schreiben). Aber auch der Umgang mit Langeweile in Vorlesungen, Veränderung der Schlafgewohnheiten oder geeignete Lernorte sind Themenbereiche, die Grolimund ausführt. Die humorvolle und fordernde Art des Autors und das praxisorientierte Training motivieren zum Weiterlesen und Ausprobieren.

Einer der Protagonisten entscheidet sich für die Westküste – wegen des schlechteren Wetters: Im schottischen Nebel sei alles möglich, meint er. So tappt man in Daniel Ammanns Geschichten manchmal im Dunkeln, liest sie gerne mehrmals, um zu verstehen, wer Schatten wirft und was sich hinter dem Schleier verbirgt. Soll man dem Ich-Erzähler glauben, der denkt, dass sich Herr Ibis seinen Hund nur eingebildet hat? Jedenfalls stellt sich die Frage, welcher der beiden Herren tatsächlich einen Vogel hat, als Herr Ibis auf einmal spurlos verschwindet. Amber, den Hund in einer anderen Erzählung, gibt es wirklich. Er führt den Arzt zu seinem toten Herrchen. Der Künstler konnte sein Bild nicht mehr fertig malen; er ist mit dem Pinsel in der Hand gestorben … Dem Autor ist es gelungen, nicht alles zu erzählen, sondern ein paar Geheimnisse für sich zu behalten. Denn – so heisst es in einer seiner zwölf Geschichten: «Es sind die Leser, die den Schlüssel in der Hand haben.»

Seit knapp einer Woche wohnt Bo nun mit seinem Vater im abgelegenen und heruntergekommenen Haus am Waldrand. Bo ist sich sicher: In diesem Haus stimmt etwas nicht – oder bildet er sich das alles bloss ein? Hörte er da nicht gerade knarzende Schritte auf dem Dachboden? Und stand da nicht gerade noch «Haut ab, bevor es zu spät ist!» auf dem beschlagenen Spiegel? Als Bo sich am nächsten Tag auf dem Friedhof nebenan umsieht, hört er Menschenstimmen, die den Spuk schnell und einfach erklären. Doch so einfach ist es nicht mit den echten und unechten Gespenstern, die in dieser witzigen Spukgeschichte alle noch vorkommen. Immer wieder hält diese neue Rätsel und unerwartete Wendungen bereit. Das Buch besticht durch eine klare Sprache, viel Situationskomik und Sprachwitz. Die schaurig­witzigen Illustrationen bilden Elemente der Handlung ab, während der Text klar dominiert. Bo sieht Gespenster eignet sich für die Mittelstufe – sowohl als Vorlesebuch als auch zum Selberlesen.

– Julia Bärtschi

– Martina Meienberg

F. Grolimund. Vom Aufschieber zum Lernprofi. Freiburg i. Br.: Verlag Herder, 2018. 192 Seiten.

D. Ammann. Der weisse Schatten und andere Geschichten. St. Gallen: Magoria, 2018. 90 Seiten.

H. van Straaten. Bo sieht Gespenster. Übers. Rolf Erdorf. Stuttgart: Verlag Freies Geistesleben, 2018. 103 Seiten.

– Stefan Schröter

Faszination des Grauens An den sagenhaften Prometheus der griechischen Mythologie mögen sich wenige erinnern, aber Victor Frankenstein ist den meisten ein Begriff. Boris Karloff in der Rolle seines Monsters gilt als Ikone der Popkultur. Die Geschichte des modernen Prometheus (so der Untertitel des Romans «Frankenstein») ist bereits 200 Jahre alt und hat ihren Ursprung in der Schweiz. Mary Shelley (damals noch Mary Wollstonecraft Godwin) war mit ihrem Geliebten, dem Dichter Percy Bysshe Shelley, bei Lord Byron am Genfersee zu Besuch. Man las sich Schauergeschichten vor und dachte darüber nach, selbst welche zu schreiben. Aber lediglich Mary sollte ihre Idee in die Tat umsetzen. Anderthalb Jahre später erscheint «Frankenstein», in einer ersten Auflage noch ohne den Namen der 20-jährigen Verfasserin. Die neue Übersetzung der Urfassung (Manesse 2018) zeigt, dass der Stoff nichts von seiner Wirkkraft eingebüsst hat. Kenneth Brannagh hat «Frankenstein» 1994 werknah mit Robert De Niro als namenlose Kreatur fürs Kino adaptiert. Damit rücken Themen wie moralische Verantwortung, innere Zerrissenheit und Nächstenliebe wieder in den Vordergrund. Allerdings geift auch Brannagh im zweiten Teil auf Effekte des Gruselkinos zurück und erweitert die Story um ein weibliches Monster. In ihrem Biopic «Mary Shelley» (2017) zeichnet Regisseurin Haifaa Al-Mansour Stationen im Leben der jungen Autorin nach und verknüpft die Entstehungsgeschichte ihres epochalen Romans auf eindrückliche Weise mit Marys persönlichen Erfahrungen und schweren Schicksalsschlägen. – Daniel Ammann

Besprechungen weiterer Titel: blog.phzh.ch/akzente/rubrik/medientipps AKZENTE 4/2018

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Medientipps

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Mario Bernet und Ruedi Isler – Unter vier Augen

Illustration: Elisabeth Moch

Ruedi Isler: Das Landesmuseum widmet den 68ern die Ausstellung «Imagine 68». Sollten wir erneut über Autorität und Antiautorität nachdenken? Die Ausstellung ist nicht der einzige Anlass dazu. Was meinst du, Mario? Mario Bernet: Versuchen wir’s. Eigentlich habe ich beide Begriffe aus meinem Vokabular verbannt, weil ihre Verwendung für rote Köpfe statt tauglicher Erkenntnisse sorgt. Siehst du das differenzierter? Isler: Es sind belastete Begriffe, gewiss. Aber das autoritäre Prinzip ist politisch im Vormarsch, in der Türkei, in vielen postsowjetischen Staaten, eigentlich fast weltweit. In pädagogischen Sphären gibt es Entsprechungen. Eine Wiederaufnahme der Debatte scheint nicht falsch. Bernet: Im autoritären Prinzip sehe ich zwei Aspekte: den Versuch, Macht über andere auszuspielen, und die Bereitschaft, sich einem fremden Willen unterzuordnen. Im Schulfeld wird hingegen vermehrt von Kooperation und Partizipation gesprochen – das klingt eher autoritätskritisch. Bist du dir sicher mit deinem Befund zur Wiederkehr des Autoritären? Isler: Deinen Stichworten entspricht eine gewisse Praxis – und gleichzeitig handelt es sich um AKZENTE 4/2018

pädagogische Rhetorik, hinter der sich paradoxerweise erhöhter Anpassungsdruck, Uniformität, Kontrolle, Durchsetzung von Standards etc. verbergen, also veränderte Formen von Autorität. Vermehrt sehe ich aber auch einen alt-neuen harschen Umgangston mit Heranwachsenden. Bernet: Aus dem Jahr 1968 stammt ein denkwürdiger Text von Theodor W. Adorno. Er nennt darin zwei wichtige Leistungen, welche die Erziehung in einer humanen Gesellschaft erbringen müsste: «den Menschen abgewöhnen, die Ellenbogen zu gebrauchen» und den «Abbau jeglicher Art von unerhellter Autorität». Salopp gesagt: Da stehen 50 Jahre später noch Hausaufgaben an. Aber du bist besorgter, scheint mir. Isler: Ja, die Parallelität von unreflektierter, geradezu unbewusster und wortreich verschleierter Autorität in vielen Lebensbereichen, auch im Bildungswesen, und von autoritären Tendenzen der Gesamtgesellschaft erachte ich als bedenklich für die Demokratie. Dies auch deshalb, weil die einzige Autorität, die Adorno gelten liess, nämlich die Sachautorität, zusehends wegschmilzt: Alles ist möglich, nichts ist unwahr. In Verbindung mit Autoritarismus eine ungute Mischung.

Bernet: Ich will diese Bedenken nicht wegwischen. Und doch mag ich einen gewissen Optimismus nicht preisgeben, wenn ich mir die letzten Jahrzehnte der öffentlichen Bildung vor Augen führe. Ich bilde mir ein, dass dort das Fundament der Demokratie gelegt wird, mehr denn je. Ist das naiv? Isler: Ich zweifle nicht daran, dass demokratisch gesinnte Generationen aus unseren Schulen entlassen werden. Demokratielernen ist sicher nicht falsch, aber es reicht nicht, wenn der Wind aus einer anderen Richtung weht. Bernet: Daher wurden Lehrerinnen und Lehrer auch schon mit der mythischen Figur des Sisyphos verglichen, der unverdrossen am Werk ist, obwohl er immer wieder scheitert. Albert Camus meinte dazu: «Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen.» Einen treffenderen Leitsatz für den Lehrberuf kann ich mir nicht vorstellen. Mario Bernet (links) war 16 Jahre Primarlehrer und ist jetzt wissenschaftlicher Mitarbeiter an der PH Zürich. Ruedi Isler ist Pädagogikprofessor. Sie haben sich an dieser Stelle in den vergangenen drei Jahren über ein aktuelles Schulthema unterhalten. Dieser Beitrag bildet den Abschluss ihrer Kolumnentätigkeit.

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Unter vier Augen

Rückkehr des Autoritären?


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Jürg Fraefel leitet den Bereich Digital Learning an der PH Zürich.

Zur Rubrik

1 — Ruhe vor dem grossen 4 — I am PHZH? Ansturm #UBC #Vancou5 — UBC Slam Poetry ver. Semesterstart greets PHZH Slam morgen nach Labour Day. Poetry. 2 — Main Event #UBC. A 6 — Learning space massive celebration for available. students about getting involved on campus. 7 — Brain food for studying. 3 — Engagierte Studentenschaft an der UBC. Es 8 — Vancouver, bike geht um die umstrittene city – UBC, bike Trans-Mountain-Öl-Piuniversity. peline. #UBC, #transmountainpipeline.

9 — Abschluss des Instagram Takeover durch Jürg Fraefel, University of British Columbia. Mit Ramona und Leonora, Austausch-Studentinnen der PHZH, grüssen wir das Headquarter.

Jeweils für zwei Wochen übernimmt eine Person aus dem Bildungsumfeld den Instagram-Account der PH Zürich (@phzuerich) und fotografiert während dieser Zeit in ihrem Berufsalltag – in diesem Fall von Anfang bis Mitte September 2018. Die besten Bilder erscheinen an dieser Stelle in der Rubrik «Instagram #takeover».

Impressum «Akzente» erscheint viermal jährlich, 25. Jahrgang, Nr. 4, November 2018, ISSN 2296-7281 (Print), 2296-732X (Online). Herausgeberin: Pädagogische Hochschule  Zürich. Redaktionskommission: Christoph Hotz (Redaktionsleitung), Daniel Ammann, Anne Bosche, Martina Meienberg, Michael Prusse. Redaktionelle  Mitarbeit: Walter Aeschimann, Franziska Agosti, Melanie Keim, Stephanie Kleinlein, Angela Roos, Andrea Söldi; Adresse: Pädagogische Hochschule Zürich, Redaktion «Akzente», Christoph Hotz, Lagerstrasse 2, 8090 Zürich, akzente@phzh.ch, phzh.ch/akzente. Grafisches Konzept: Raffinerie AG für  Gestaltung, Zürich. Layout: Gianna Mischol, Typografische Gestalterin PH Zürich. Druck: FO-Fotorotar, Egg ZH. Inserate: IEB AG, Gewerbestrasse 18,  8132 Egg, Tel. 043 833 80 60, Fax 043 833 80 44, info@ieb.ch, ieb.ch. Abonnemente: Jahresabonnement CHF 20.– inkl. Porto, phzh.ch/abo. Gedruckt  auf FSC-zertifiziertem Papier.

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AKZENTE 4/2018

Fotos: Jürg Fraefel

Instagra m #takeover

Der Fotograf


Inserate

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Motiviert und gestärkt in der Schule Welche Strategien sind wirksam im individuellen Umgang mit Belastung und Stress? Wie wirkt sich das Schulklima auf das Wohlbefinden von Lehrpersonen aus? Was können Schulleitende zur Stärkung der Gesundheit von Lehrerinnen und Lehrern beitragen? Und welche gesundheitsfördernden Massnahmen lassen sich in den Schulstrukturen verankern? Antworten dazu erhalten Sie in der neuen Themenreihe «Gesundheit am Arbeitsplatz Schule». Auftakt-Veranstaltung «Gesundheit stärkt Bildung», 15. Januar 2019, 18.30 bis 20.15 Uhr phzh.ch/themenreihen


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