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Interview Hope Mallorca
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Hoffnung und Hilfe
HOPE Mallorca hilft seit rund zwei Jahren Menschen, die auf Mallorca durch die Corona-Pandemie in Not geraten sind (EA berichtete mehrfach). Mittlerweile werden monatlich 40 Tonnen Lebensmittel verteilt, und zwar an sieben Standorten: Santanyí (Zentrale), Portocolom, S’Illot, Pollença, Can Picafort, Alcúdia, Cala Bona. Aus der Lebensmittel-Verteilung hat sich weit mehr entwickelt. Zeit für eine Bilanz, im Gespräch mit der Gründerin Heimke Mansfeld (Präsidentin), die zusammen mit Juan Santa Cruz Ferrer (Vize) und Bartolome Canals Adrover (Finanzen) das Präsidium der HOPE Mallorca Stiftung bildet.
EL AVISO: Wie hat sich HOPE Mallorca entwickelt? Es gab ja auch viele medienwirksame Aktionen wie Galas und den HOPE Hair Day. Heimke Mansfeld: Das war eine unserer Aktionen, ich bin ja selbst Friseurin. Begonnen hat aber alles ein knappes Jahr zuvor und somit auch vor der Vereinsgründung mit einer Facebook-Seite, als Jasmin Nordiek, Sonja Willner und ich sahen, was durch die Pandemie auf uns zurollt. Wir wollten Unternehmern über Social Media ermöglichen und es vereinfachen, weiterhin mit Deutschen Geschäfte zu machen. Nach rund einer Woche hatten wir 2.500 Follower mit Leuten, die auf Mallorca irgendetwas hin und her verschickten. Dann stellten wir fest, dass die größte Not durch die Verzögerungen bei der Auszahlung des Sozialgeldes entsteht. Deshalb gründeten wir am 13. Mai 2020 den Verein HOPE Mallorca und eröffneten in meinem Heimatort Santanyi die erste Verteilstelle für Lebensmittel in einer kleinen Garage, mit einem Etat von 400 Euro.
EA: Das war während des Lockdowns sicherlich nicht ganz einfach… HM: Für die Genehmigung, die Garage während des Lockdowns reinigen zu dürfen, bin ich zur Guardia Civil gefahren. Dort hat man mit den üblichen Auflagen sofort zugestimmt. Als ich mich bedankte, bedankten sich die Beamten bei mir, und sagten: „Sie werden sich noch erschrecken, was hier jetzt schon los ist.“ Die hatten die häusliche Gewalt im Auge, aber eben auch die Not, die Familien zu ernähren. Allein in Santanyi, einer der reichsten Gemeinden Mallorcas, gab es 550 bedürftige Familien, die keine Möglichkeit hatten, ausreichend Lebensmittel einzukaufen.
EA: Woher kommen die vielen Ideen, die Sie heute umsetzen: In Deutschland repariertes Spielzeug nach Mallorca bringen, Backen für Kinder zu Weihnachten…? HM: Das entsteht hier in Teamarbeit, und was meinen Sie, was Ihnen alles an Ideen über den Weg läuft, wenn
Ausgabe in Santanyí Heimke Mansfeld
Sie ein Friseurgeschäft haben (lacht). Es ist ein Vorteil, wenn man dort mit Menschen über HOPE Mallorca reden kann und darf. Das geht anderen Kollegen und Kolleginnen auch so, die den Verein vom HOPE Hair Day her kennen. So ist über eine Kundin auch ein sehr netter Kontakt zu der Reparaturwerkstatt Werkhof in Hagen entstanden. Nach einem Anruf hat man uns zu Weihnachten als Spende 1.500 reparierte Spielzeuge angeboten. Wir haben gesagt, her damit (lacht), und zugleich mit anderen Organisationen telefoniert, mit denen uns eine gute Kooperation verbindet. Später kamen nochmal 300 Spielzeuge hinzu, weil wir sonst nicht ausgekommen wären. Alles was bei uns zu viel ankommt, geben wir grundsätzlich weiter an andere Hilfsorganisationen.
EA: Die Entwicklung ist ja auch vom Volumen her enorm. Was wird aktuell an den sieben Verteilstellen umgesetzt? HM: Pro Monat verteilen wir 40 Tonnen und zwar an derzeit 3.500 Menschen und Familien, mit gerade wieder steigender Tendenz auf erfahrungsgemäß bis zu 4.000 Kunden. Die Waren werden vorsortiert. Aussor-
tierte Ware geht in einen Eimer für Tiere, das holen sich die umliegenden Bauern ab. Alles andere wird geputzt, gestapelt und es sieht dann aus wie in einem Lebensmittelgeschäft. Teilweise sind wir auch mit Aktionen unterwegs. Jetzt im Winter werden beispielsweise in Palma Decken und Schuhe an Obdachlose verteilt, die selbst Schuhe ohne Sohlen hatten oder bei 0 Grad in Flip Flops vor uns standen. Und wir verteilen auch gespendete Kleidung, medizinische Betten, Rollstühle und Spielzeug.
EA: Woher bekommen Sie die Lebensmittel? HM: Die Bezugsquellen sind unterschiedlich. So kooperieren wir mit Terracor, von denen wir frisches Gemüse und Obst bekommen. Und wir erhalten Waren von den Lebensmittelketten, etwa über den Lions Club Palma von Lidl, einen Teil müssen wir auch zukaufen. Glücksfälle gibt es durch unsere Kontakte auch: Zweimal haben wir 40 Tonnen aus der Lebensmittel-Vernichtung in Deutschland bekommen. Das war eine Spende von SPRK Global, einem Unternehmen das aus der Vernichtung Lebensmittel zurückkauft und für den Markt wieder aufbereitet. Ein Teil nicht verarbeiteter Waren wird gespendet. Das Ganze hat einen absurden Hintergrund: In Deutschland werden jährlich 12 Millionen Tonnen Lebensmittel vernichtet, teilweise wird bewusst zu viel produziert, um nicht ausverkauft zu sein.
EA: Das deckt den Bedarf aber nicht, wenn ich das richtig gelesen habe? HM: Wir haben das Glück viele deutsche Residenten hier zu haben, die während der Pandemie zu uns gekommen sind, um einfach mal abzuschalten und zu helfen. Da sind dann sowohl Geld-, Sach- und eben Zeitspenden dabei. Beispielsweise die Familie Wegener und vom Augustinerhof die Familie Vogler, die uns seit zwei Jahren im Sommer während ihres Urlaubs helfen. Im Winter haben sie jetzt vom Augustinerkeller aus eine große Spendenaktion initiiert, mit Kontakten zu Lebensmittel-Lieferanten und mehreren Paletten, die uns geliefert wurden. Die engagieren sich auch in Deutschland sozial, aber wollen zudem Mallorca etwas zurückgeben.
In Köln haben wir die Ute Schoormann, mit der Aktion „Helfen schmeckt gemeinsam besser“, von dort werden zum Beispiel Hygiene-Artikel wie Windeln geliefert, die in Deutschland bei Hilfsaktionen nicht gebraucht werden.
Zentrallager in Santanyí
EA: Wie ist das Verhältnis der Sach- zu den Geldspenden? Was wird für die Arbeit gebraucht? HM: Sehr, sehr wichtig sind schon die Geldspenden. Monatlich brauchen wir 35.000 Euro für hauptsächlich Lebensmittel, davon 20.000 Euro als Geldspenden, um zuzukaufen und für andere Kosten, wie die wenigen Gehälter und die ohnehin schon geringe Miete. Wir arbeiten aber vor allem mit rund 200 ehrenamtlichen Mitarbeitern, die nichts verdienen, wie ich selbst auch.
EA: Ganz ohne Festangestellte kommen Sie nicht aus? HM: Nein, das sind mittlerweile 24-Stunden-Jobs. Wir haben deshalb drei Mitarbeiter eingestellt: Unseren Sozialarbeiter Oscar Mennesa, der die Kontakte zu den Fa-
milien hält und den Sozialabgleich für uns macht, auch die Notlage einschätzt, wenn schnelle Hilfe notwendig ist. Dann haben wir Damian Pons, der die komplett die Administration und Kasse regelt und die steuerliche Seite organisiert. Und natürlich Marie Mansfeld, die uns mit Deutsch, Englisch, Spanisch und Mallorquin zur Seite steht, sowie den wachsenden Merchandising-Bereich betreut, mit Sondereditionen von mallorquinischem Wein, Olivenöl, Taschen und Flor de Sal d'es Trenc, die HOPE Mallorca abzüglich Herstellungskosten zugute kommen.
EA: Haben Sie einen Schlüssel für eine gerechte Verteilung, damit bedürftige Menschen nicht leer ausgehen? HM: Wir haben inzwischen einen sehr strengen Schlüssel, nachdem wir am Anfang gesagt hatten, niemand darf leer ausgehen, beobachteten wir, dass Menschen aus Angst vor ihrer Not sowohl in Santanyí wie auch in Portocolom Lebensmittel abgeholt haben. Das ist absolut verständlich, aber ist nicht gerecht gegenüber anderen Kunden. Wir fingen deshalb an, die Daten, die Familien zu registrieren, inklusive Alter der Familienmitglieder und finanzielle Verpflichtungen mit Kontoeinsichten. Das ist ein Sozialabgleich, genauso wie in den Rathäusern. Die Familien werden dann von uns eingestuft, als „normale“ HOPE-Mallorca-Familien oder es sind HOPE-Mallorca-Familien, die das Glück haben zusätzlich an den Fondo Social Europeo angeschlossen zu sein.
EA: Welche Familien sind das? HM: Das sind Familien, die lediglich bis 300 Euro im Monat zum Leben haben und deshalb eine extra Hilfe bekommen. Wir sind mithilfe meines Mannes, der Mallorquiner ist, im europäischen Fondo gelistet worden und haben einen Abgleich machen dürfen. Dafür muss jedes einzelne Lebensmittel registriert werden, das ausgegeben wird. In Santanyi sind es beispielsweise 60 bis 70 Leute, es stehen aber bei der Ausgabe wesentlich mehr an, die nirgendwo anders etwa frisches Gemüse bekommen. Von den Sozialämtern gibt es einmal im Monat Reis, Nudeln und Konserven. Und selbst deren und unsere Ausgabe zusammen ist in der Regel nicht genug, um eine fünfköpfige Familie zu ernähren. oder dann auch gar nicht mehr. Dass muss man einfach so annehmen, es sind Freiwillige auf Zeit und wir danken jedem, der uns kürzer oder länger unterstützt. Wir haben immer wieder bis auf die Kernmannschaft einen Wechsel und ganz tolle Leute, die nachrutschen. Wir gewinnen teilweise auch unsere Kunden – so nennen wir all jene, die von uns unterstützt werden – für die Mithilfe, warum sollen sie als vielleicht mal gerade Arbeitslose untätig bleiben? Was hilft, ist sicherlich, dass alle unsere Stationen wie Franchise-Unternehmen geführt werden. Wir greifen nur ein, wenn es ein größeres Problem gibt.
EA: Welche Rolle spielt dabei die Internationalität des Teams? HM: Eine sehr große. Es fing alles mal sehr deutsch an. Wir Deutschen sind in Krisensituationen ja immer auch so kleine Kampfameisen (lacht), wenn wir Not und Probleme erkennen, wollen wir das lösen. Das hat sich auch bei den Spenden sehr positiv ausgewirkt. Dann sind aber auch andere gekommen: Südamerikaner, Festland-Spanier, Mallorquiner und sehr, sehr viele Marokkaner, wo sogar die Männer zum Beispiel zum Putzen kommen. Das ist derart aufgebrochen, dass sich ganz nebenbei alle möglichen Vorurteile auflösen. Hier in Santanyí sehe ich das täglich: Unsere Stationsleiterin ist Mexikanerin, im Team sind Marokkanerinnen. Da gab es am Anfang Vorbehalte, mittlerweile ist das ein fröhliches Arbeiten
und man bringt Essen für alle mit oder geht nach der Arbeit miteinander Tee trinken.
Drei Haupt- und 200 Ehrenamtliche Mitarbeiter Spenden über Merchandising
EA: Wie ist das organisiert? HM: Bevor das an einem unserer Standorte alles bereit zur Ausgabe ist, müssen wir zu den Gemüsebauern, zu spendenfreudigen Geschäften, wir fahren zur Abholung beim Fondo Social Europeo und zur Stiftung Banco de Alimentos, alles muss sortiert werden. Alles wird erfasst und geht von der Zentrale Santanyí aus an die anderen sechs Stationen, damit wir eine Kontrolle haben, was wo rausgeht. Oft haben wir zu wenig Fahrer, um darüber hinaus noch irgendwo etwas abzuholen. Wer helfen will, sollte uns vorher anrufen, Marie ist unsere vielsprachige Koordinatorin.
EA: Rund 200 ehrenamtliche Mitarbeiter zu finden und zu halten ist aus meiner eigenen Erfahrung nicht so einfach. Was ist Ihr Rezept? HM: Entscheidend ist, die Arbeit konstant zu halten. Da sind Menschen dabei, die ein halbes Jahr oder länger dabei sind und Menschen, die ab und zu mal kommen EA: Mittlerweile gibt es auch eine internationale Jobbörse. Wie sind die Erfahrungswerte? HM: Das ist für uns noch neu und wir sind dabei, das wie andere neue Bereiche zu festigen. Wir haben zunächst und ganz schnell 28 Leute in Arbeit gebracht. Da sind teilweise hoch interessante Angebote von Hotelketten wie Dorint oder Westin, z.B. im 5-Sterne-Resort in der Hamburger Elbphilharmonie. Unser System ist sehr einfach aufgebaut: Wer jemanden braucht, kann sich bei uns melden. Dann kommunizieren wir das und alles, was an Interessenten reinkommt, geben wir eins zu eins an den potentiellen Arbeitgeber weiter. Ist der Arbeitgeber zufrieden, freuen wir uns über eine Spende. Wir bauen das jetzt noch mit Freiwilligen aus, die aus dem Cateringbereich kommen und gezielt auf Interessentensuche gehen, auch vor dem Hintergrund der hohen Jugendarbeitslosigkeit.
EA: Stichwort: Jugendarbeitslosigkeit. Was kann HOPE Mallorca tun? HM: Das ist teilweise Überzeugungsarbeit, einem jungen Menschen klarzumachen, dass er zum Beispiel den Schritt ins Ausland wagen soll, da gibt es auch über uns Jobangebote mit Hin- und Rückticket, und zurückkommen kann er oder sie immer. Das gehört eben auch zu uns: Gib dem Menschen wieder Hoffnung. Was gibt es Schlimmeres als Perspektivlosigkeit? Und zudem ist die Sache ja ganz einfach: Die jungen Menschen sollen irgendwann mal unsere Renten bezahlen. Wenn ich mich heute nicht um die kümmere, warum sollen die sich später um mich kümmern? Wir müssen verstehen, dass wir alle eins sind. Auch der Mensch, der aus Not mit dem Boot zu uns kommt, gehört dazu.
EA: HOPE Mallorca ist mittlerweile eine Stiftung. Was macht den Unterschied zu einem gemeinnützigen Verein? HM: Unsere Bandbreite ist breiter geworden. Zunächst waren wir die „herausgebende Kartoffel“. Heute haben wir Patenschaften, Merchandising, auch zur Unterstützung der lokalen Wirtschaft, und Jobbörsen. Da haben dann unser Rechtsanwalt und unser Steuerberater gesagt, werdet aus dem Verein heraus eine Stiftung, damit ihr klar aufgestellt seid. Damit sind wir auch für die Zukunft beweglicher, geplant sind für die Zeit nach der Pandemie beispielweise Kindergärten und Nachhilfeunterricht. Übrigens sind Spendenquittungen auch in Deutschland anerkannt.
Das Gespräch führte Frank Heinrich, Fotos: Martina Zender
Spenden an HOPE Mallorca Banco Cajamar Santanyí IBAN: ES 48 3058 4516 4227 2000 9268 BIC: CCRIES2AXXXX
Kontakt: www.hope-mallorca.org