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Das Hutmacher-Paar

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Eine Krone für Vagabunden

Von Porto Cristo aus werden Hüte in die Welt verschickt. Die kleine Manufaktur „Crown of the Vagabond“ belebt damit ein Handwerk, das auf der Insel leider fast ausgedient hat.

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Nachdem Chris seiner neuesten Hutkreation die endgültige Form gegeben hat, besprüht er das gute Stück mit Alkohol und zündet es an. Rote Flammen züngeln von der Krempe empor, tanzen um die Krone und ersterben langsam in einem bläulichen Flackern. Übrig bleiben mehr oder weniger dezente Brandspuren auf dem Filz, die den Eindruck erwecken, als sei der Besitzer knapp einem brenzligem Abenteuer entronnen. Damit ist der Vintage Look komplett und macht so dem Label alle Ehre. Schließlich heißt die Marke „Crown of the Vagabond“, Krone des Vagabunden. „Die Burnmarks verleihen jedem Stück seine Einzigartigkeit“, erklärt Ruth und führt eine Reihe verschiedener Auftragsarbeiten vor. Manche Hüte bekommen darüber hinaus tiefe Einkerbungen mit einem Cuttermesser zugefügt, einer anderer ist über und über mit gelaserten Designs verziert, die einer Ansammlung klassischer Seemannstätowierungen gleichen. Spätestens jetzt wird einem klar, dass man sich nicht in einem schicken Modistenatelier befindet, sondern in einer trendigen Hutmanufaktur. Die winzig kleine Heimwerkstatt mitten in dem Küstenort Porto Cristo hat Kundschaft in ganz Europa. Selbst aus den USA kommen Bestellungen herein.

Von Texas gelernt, auf Mallorca gefertigt Dabei sind die Macher beileibe keine Traditionshandwerker. Ruth Schmidt (28) und ihr Mann Chris (34) stammen aus Bayern und haben in den vergangenen Jahren als Destination-Hochzeitsfotografen die schönsten Plätze der Welt bereist. Sie sind selbst Vagabunden, die sich gern treiben lassen und, so verrät Ruth lachend, gelten in der Familie als Überlebenskünstler. Dieses Globetrotter-Dasein fand abrupt sein Ende, als die Corona-Einschränkungen die Welt lahmlegten und an große Hochzeitsgesellschaften unter Palmen nicht zu denken war. Die Aufträge brachen weg und plötzlich saßen sie ohne Aussicht auf baldige Jobs in dem Dorfhaus in Porto Cristo, das sich das Paar vor drei Jahren gekauft und ausgebaut hatte. „Die Hutmacherei begann als Corona-Projekt“, sagt Ruth. Aber inzwischen ist ein professionelles Unternehmen daraus geworden, das auf Mallorca einem altes Handwerk wieder zu einem kleinen Neustart verhilft. „Auf der Insel haben wir uns damals vergeblich nach jemandem umgeschaut, der uns die Hutmacherei beibringen kann.“ Traditionsfirmen wie die Sombrerería Casa Juliá in Palma (wir berichteten in Ausgabe April 2021) haben schon vor Jahren die Eigenproduktion aufgegeben und importieren ihre Kollektionen von anderen Herstellern aus dem Ausland. So wollten es Chris und Ruth anfangs auch machen. „Einfach Wollhüte einkaufen, dekorieren und weiterverkaufen. Aber wir hatten dann doch keine Lust auf Fashion Commerce und haben uns darauf eingelassen, die traditionelle Kunst des Hutmachens richtig zu lernen.“ Sie legten sich die notwendige Ausrüstung zu, von den hölzernen Blöcken für die Hutform bis hin zum Brim cutter, um die Krempe zuzuschneiden. Da Chris und Ruth selbst gern Hut tragen, wussten sie auch ziemlich genau, welche speziellen Formen sie bei ihrer eigenen Kollektion bevorzugen wollten und fanden schließlich eine Hutmacherin in Texas, die sie per Zoom-Meetings in die Kunst der Fertigung von Westernhüten einweihte.

Westernstil zum sommerlichen Hippie Chic Bevor sich die beiden daran wagten, tatsächlich die qualitativ hochwertigen Filzrohlinge zu bearbeiten, probierten sie sich wieder und wieder an alten Modellen aus. „Wir haben bei ebay alte Hüte aus verschiedenen Materialien gekauft und erstmal getestet, wie sie reagieren“, erinnert sich Ruth. Was nicht gelang, kam wieder über den Dämpfer und wurde erneut in Form gepresst. Mit viel Geduld und noch mehr Übung entstanden bald schon ganz außergewöhnliche Kreationen. Treu geblieben sind sie sich beim so genannten Western Stil, also jenen Hüten mit fester, breiter Krempe, die zur angesagten sommerlichen BohoMode passen. Ganz dem Hippie-Chic entsprechen da tatsächlich auch die erwähnten Burnmarks und Cuts in den Hüten, die einen unperfekten, nachlässigen Look simulieren.

Jeder Hut ein Unikat In der Kreativwerkstatt gestalten die „Hatter“, wie sie sich auf gut Englisch nennen, die begehrten Einzelstücke. Zu dem Team gehört seit einem halben Jahr auch Hanna Sieber, Ruths 18-jährige Schwester, die ihre Fähigkeiten als Designerin einbringt. Logos und Muster werden von ihr entworfen und per Laser in lederne Hutbänder oder direkt in den Filz eingraviert. Die Kundschaft nimmt überwiegend per Instagram Kontakt auf, um die Maßanfertigungen online zu bestellen. Für die gesamte Prozedur bis zur Fertigstellung können zwei bis vier Wochen vergehen. „Wir setzen uns mit unseren Kundinnen und Kunden zunächst per Zoom für die Beratung zusammen“, erklärt Ruth den Ablauf. Neben dem Kopfumfang muss auch die spezifische Kopfform nach Videoanleitung vermessen werden. Nach dieser Vorgabe fertigt Chris eine Schablone aus Holz an, die immer wieder für weitere Bestellungen verwendet werden kann. Die Rohlinge, die hier zum Einsatz kommen, sind aus Kaninchenhaar-Filz. Chris schleift im Arbeitsablauf das Material mehrere Male, um den Flausch zu verringern. Zuerst aber muss der Ur-Hut per Wasserdampf und Sprühnebel befeuchtet werden, damit er sich dem Holzblock in der entsprechenden Hutgröße anschmiegt und der Übergang zur Krempe definiert werden kann. Nach einem Tag Trockenzeit in der mallorquinischen Sonne wird er erneut weich gemacht, denn nun kommt die Schablone für die individualisierte Kopfform zum Einsatz. Nachdem später die Krempe auf die gewünschte Breite beschnitten wurde, formt Chris per Hand die Krone. Neben der Farbe des Materials und der Höhe der Krone ist es deren Form, die einen großen Teil der Individualität eines Hutes ausmacht. Entsprechend benannt sind die Modelle: der „Golddigger“ hat eine Tropfenform, „Oasis" ist rund und der „Stargazer“ bekommt die Form einer Raute. Alle Designs modelliert Chris frei Hand. Durch das spektakulär wirkende Abbrennen, zieht sich das Material am Ende zusammen und bekommt eine zusätzliche Festigkeit. Nachdem das Schweißband von Hand eingenäht wurde, geht es an die Dekoration. Dafür liegen Lederbänder, selbst designte Seidenstoffe oder auch mal ein in Streifen geschnittener Teppich, Perlen, Münzen, Muscheln und andere Accessoires bereit. Jeder Hut ist ein Unikat, von der Form bis hin zur eingelaserten Seriennummer.

Individualisten beleben die Hutmode „Die Leute schätzen gutes Handwerk, auch wenn sie dafür mehr bezahlen müssen“, beschreibt Ruth ihre Erfahrungen. „So ein Hut ist eine Anschaffung fürs Leben. Alte Modelle kann man wieder in Form bringen oder sie gänzlich umarbeiten. Das ist nachhaltige Mode, darauf achten die Leute natürlich auch.“ Ganz langsam kommt das einstmals so beliebte Kleidungsstück wieder im Alltag an – 60 Jahre, nachdem es ausgemustert wurde. Nachweislich seit Präsident John F. Kennedy 1962 unter der Überschrift "The new American Look“ auf einem Zeitungsfoto ohne Hut zu sehen war, hatte die einstmals als Statussymbol geltende Kopfbedeckung ausgedient. Heute sind es Individualisten, die Wert legen auf einen stilvollen Hut. Dafür gibt es laut Ruth und Chris vier gute Gründe: „Er schützt vor Sonne, er schützt vor Regen, er ist ein modisches Statement und er macht einen Look erst perfekt.“

 Christiane Sternberg, Fotos: Marcos Gittis

Crown of the Vagabond Kontakt über die Website https://crownofthevagabond.com/ Anprobe im Atelier in Porto Cristo nach Absprache

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