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Interv. mit Axel Thorer
Hinter dem
oder aus Ecuador oder Marokko. Ich bin deshalb ein Befürworter der mallorquinischen Korruption (lacht). Ein Beispiel: Wir wollen ein Haus, einen Pool und eine Solaranlage bauen. Für alles brauchen Sie und ich eine Genehmigung. Die vergeben die Mallorquiner exklusiv und nehmen Geld dafür, das sichert ihre Unabhängigkeit.
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EA: … und sonst keinerlei Einflüsse? AT: Die kann man nur an Äußerlichkeiten festmachen. Meine mallorquinische Nachbarin sagt mir, sie geht am liebsten zu Lidl, also nicht mehr zu Hiper oder Eroski. Das wir zum Jahreswechsel in der Gärtnerei reihenweise Weihnachtsbäume kaufen konnten und der Nikolaus einen Siegeszug angetreten hat, das stammt von uns, den Deutschen. Die unterschiedlichen Invasionen auf der Insel, haben die Mallorquiner in die Welt sehen lassen. Mein Automechaniker ist gerade mit seiner Frau in Bilbao und sieht sich das Guggenheim Museum an. Ich finde das sensationell, daran hätte vor 50 Jahren noch kein Mallorquiner gedacht. Aber ein mallorquinischer Nachbar hat mich auch einmal gefragt: „Wie groß ist denn die Welt außerhalb von Mallorca?“ und da habe ich gesagt „Nicht viel größer.“
EA: Haben Sie ein Beispiel für das Abkapseln? AT: Ich wohne in einer ländlichen Umgebung im Haus meiner verstorbenen Großmutter und unterhalte mich oft mit meinen Nachbarn. Ich habe mal einen Bauern gefragt, ob es richtig sei, dass man früher die weiblichen Babys in Höhlen zum Sterben gelegt hat, weil man keine Mädchen haben wollte. Da sagte seine Frau: „Du musst ihm nicht alles erzählen, er ist ja ganz neu hier.“ Sie kannte mich damals 50 Jahre lang als Nachbar. Ich habe ihr erklärt, dass ich mich um Integration bemühe und deshalb Fragen stelle, was sie auch verstand. Ein mittlerweile abnehmender Teil der Bevölkerung sind Analphabeten, meist ältere Männer, die sich über ihren Besitz definieren und sich sagen, wieso soll man für die Fremden Lesen und Schreiben lernen, oder auch Sprachen? Ebenso wie viele Mallorquiner immer noch auf „ihrer eigenen Insel“ ohne Autoversicherung fahren, sie sind ja keine Touristen.
EA: Sie haben auch einmal vom Humor der Mallorquiner gesprochen... AT: Ja, die Mallorquiner sind ein absolut humorvolles Volk, mit dem man am besten über ein Lachen in Kontakt kommt. Sie verulken sich gegenseitig, und zwar durchaus auch mit handfesten, erotischen Späßen. Es ist wunderbar mit ihnen zu lachen. Allerdings lachen sie über unsere Scherze, aber machen keine für uns. Es gibt hier den Komiker Agustín Martínez „El Casta“. Einer seiner Bühnenfiguren ist „Klaus Karto el“, der Scherze über das Zusammenleben von Mallorquinern mit den Deutschen macht. Seine Veranstaltungen sind voll, das Publikum schüttet sich vor Lachen aus, aber die Mallorquiner bleiben dabei meist unter sich, also wieder ohne uns… Aber das können wir ja ändern, ich gehe jedenfalls dahin (lacht). Übrigens fährt El Casta einmal im Jahr drei Wochen zu Freunden nach Bochum, um die Deutschen zu begreifen und Deutsch zu lernen.
EA: Sie fühlen sich nach wie vor als Gast auf der Insel? AT: Das ist so und stelle ich auch nicht infrage. Ich bin hier nicht geboren, spreche die Sprache rudimentär. Wenn Mallorquín geredet wird, verstehe ist es meist überhaupt nicht, weil in der Regel schnell und laut geredet wird. Das machen die Mallorquiner, weil sie langsam und leise redend als krank gelten. Das hat übrigens Robert von Ranke Graves gesagt, und es ist so. Ich werfe vielen Deutschen vor, mit einer Kolonialmentalität aufzutreten. Jeder der hier einfliegt, ist und bleibt Gast, wenn er von Geburt an keine mallorquinischen Wurzeln hat. Es gibt wunderbar integrierte Leute. Peter Ma ay ist so einer, der demütig auftritt und sich als Gast empfindet. Die Schriftstellerin Brigitte Blobel ist wunderbar integriert, sie hatte vor ihrem Zuzug ein Jahr lang mit einem mallorquinischen Aupair-Mädchen die Sprache und Kultur Mallorcas gelernt.
EA: Sie sind im heutigen Tansania geboren, waren 1954 mit 15 Jahren das erste Mal auf Mallorca. Was hat sich seither positiv und auch negativ verändert? AT: Asphaltierte Straßen… und meine Großmutter brauchte noch eine Genehmigung für unser Haus, weil es mit 212 Metern über dem Meeresspiegel 12 Meter zu hoch lag. Wir hätten ja von der Küste aus die spanische Flotte beschießen können (lacht). Insgesamt abgenommen hat seither die Religiosität und die früher überwiegend konservative politische Einstellung. Mittlerweile gibt es starke linke Strömungen, die leider mit sehr merkwürdigen Gesetzen einhergehen, um Ausländern zu schaden. Zum Beispiel, dass ich Grundbesitz nur noch als Resident erwerben darf. Warum, wenn man sich hier anständig benimmt? Oder die für Baugenehmigungen notwendige Größe der Grundstücke. Vielen Ausländern macht das gar nichts aus. Aber das ist eine Katastrophe für junge Mallorquiner, die auf dem Grund ihrer Eltern nicht mehr bauen können. Ein weiterer alberner Punkt ist, dass Sie trotz EU-Recht als Ausländer irgendwann einen spanischen Führerschein haben müssen.
Hügel
Axel Thorer (83) ist Weltreisender, Journalist und Autor, stammt aus einer international verzweigten Familie, ist im heutigen Tansania geboren und lebt seit seiner Jugend auf Mallorca und in München. Er arbeitete als Wildhüter, Möbelpacker und Ausgräber für ein Landesmuseum, bis er schließlich zum Journalismus kam. Der ehemalige stellvertretende Chefredakteur von „Bunte“ gilt als „Edelfeder“, hat mehrerer Bücher über Mallorca verö entlicht und ist intimer Kenner des vergangenen und heutigen Mallorcas und seiner Bewohner. EL AVISO traf ihn in einem der ersten Hotels der Insel, im Hotel Felip in Porto Cristo, und sprach mit ihm über seine Inselerfahrungen und die Mentalität und Zukunft der Mallorquiner. EL AVISO: Invasionen sind auf Mallorca nicht neu. Das begann vor 5.000 Jahren mit den Phöniziern. Welchen Einfluss hatte das auf die Mentalität der Mallorquiner? Axel Thorer: Die Mallorquiner haben sich immer abgekapselt, sich versteckt. Ich würde nicht so weit gehen, zu behaupten, dass sie die Unwahrheit sagen, aber sie verdecken die Wahrheit, und als ein kleines, militantes und kulturell eigenständiges Völkchen gehört es seit 5.000 Jahren zu ihrer Überlebensstrategie, sich so wenig wie möglich beeinflussen zu lassen. Es gibt ja höchstens 300.000 Mallorquiner, die Mitarbeiter des dienstleistenden Gewerbes sind meistens vom Festland
EA: Reisen ist Ihre Passion, Sie waren als Entdecker unterwegs, sind Mitglied des exklusiven Explorers Club. Was lässt Sie immer wieder nach Mallorca zurückkehren? AT: In dem Buch „I love Mallorca“ habe ich gesagt „Ich bin hier, weil ich das Ge-
fühl habe, ich bin hier geboren“. Ich fühle mich wohl mit den Mallorquinern, ich mag ihre „versteckte Art“, ich mag, dass ich als integriert gelte, man hat damit auch honoriert, dass ich mich bemüht habe, Spanisch und Mallorquín zu sprechen. Ich mag die Stille bei mir auf dem Land, wo ich nachts nichts höre außer Schafgebimmel und das Klackern der Mandeln, wenn sie auf Fliesen fallen. Ich fühle mich hier sicher, weil die Mallorquiner, wenn man integriert ist, auf einen aufpassen. Umgekehrt werde ich selbstverständlich gefragt, wenn ich helfen kann. Zum Beispiel wenn in meiner Umgebung jemand eine größere Zeche nicht bezahlt und ich einen deutschen Anwalt und die Presse aktiviere, oder es um Übersetzungen und Verständnisfragen zum Verhalten Deutscher geht. Dann bin ich ja in Afrika geboren und in vielem erinnert mich Mallorca daran, vor allem die Bäume..
EA: Sie haben unter anderem Heinrich Harrer begleitet. War es irgendwann eine Option, sich auf die Forschung zu konzentrieren? AT: Nein, aber von der Forschung sind das Wissen und die Neugier geblieben. Ich war 15 Jahre mit Heinrich Harrer unterwegs, mit Reinhold Messner und Thor Heyerdahl auf Expedition. Dadurch habe ich sehr früh sehr viel gelernt. Ich kann mit Eingeborenen umgehen, weil ich ihrer Welt mit einer gewissen Demut begegne. Ich habe von Harrer gelernt, dass es das Wort „primitiv“ nicht gibt, es gibt nur Naturvölker. Heute fahre ich am Tag auf der Insel bis zu 200 Kilometer, um etwas herauszufi nden. Derzeit besuche ich die rund 50 Landkirchen Mallorcas. Ist der Pfarrer erstmal bereit, die Kirche aufschließen, entdecken Sie unfassbare Schätze, aber nirgendwo auf der Welt fi nden Sie auch kältere katholische BarockKirchen als auf Mallorca. Wie konnten die Mallorquiner sich in einer derart schmucklosen Religion bis heute wohlfühlen? Das ist ein Phänomen ihrer Mentalität. Die Antwort auf die Kühle der Kirchen ist die Inquisition. Da wurde nicht nach Dekoration gefragt, sondern es hieß nur: Ihr seid religiös oder geht auf den Scheiterhaufen.
EA: Während Corona hat man die ausbleibenden Touristen beklagt, jetzt beklagt man den Ansturm. 14 Millionen Touristen im Jahr. Kann das gutgehen? AT: Beklagen tun sich nur wenige Leute. Die meisten fi nden das gut. Diese Pandemie hat vielen kleinen ausländischen Unternehmen das Rückgrat gebrochen. Etwa den Auswanderern des TV-Senders Vox, von denen viele am Ende sind. Die Mallorquiner fi nden es großartig, dass so viele deutsche Unternehmen am Ende sind. Die Pandemie war für sie, als wenn sich ein Hund schüttelt und die Flöhe aus dem Fell fl iegen. Aber dass die Touristen jetzt zurück kommen fi nden sie gut, die kann man ja melken. Die Politiker, die heute sagen, wir verdanken dem Tourismus überhaupt nichts, sind Narren. Sie sollten akzeptieren, dass der Reichtum durch den Tourismus auf die Insel kam. Die Mallorquiner hatten mal das Monopol für Seekarten, jeder Weltumsegler brauchte sie, von Vasco da Gama bis Magellan. Als man sie nicht mehr brauchte, versank Mallorca ins Nichts. Den Mallorquinern verdankt man auch, dass es keinen Skorbut mehr gab, weil die Mangelernährung auf den Schi en mit eingelegten Oliven verhindert wurde. Außerdem verdankt die Seeschi fahrt mallorquinischen Firmen den lange haltbaren nahrhaften Hartkeks, der wie die Seekarten und die Olive die Eroberung der Weltmeere ermöglichte. Darauf sind die Mallorquiner zurecht stolz. EA: Sie haben Bücher und zahllose Artikel über Mallorca geschrieben. Gibt es etwas, wo Sie das Gefühl haben, dem noch nicht auf die Spur gekommen zu sein? AT: Ja, natürlich. Hinter jedem Hügel verbergen sich neue Fragen auf Mallorca. Etwa der Schatz der Templer, der unter anderem in den Drachen-Höhlen gesucht wird. Da sind nahezu ununterbrochen Leute unterwegs, was die Ö entlichkeit gar nicht erfährt. Auch der gesamte Adel ist auf Mallorca so etwas wie ein Geheimnis. Die Familien, unter denen nach der Reconquista das Land aufgeteilt wurde, existieren noch, mit riesigen Liegenschaften. Es ist eine völlig abgeschlossene Gesellschaft, in die man nicht reinkommt. Alles was mit der Blauen Legion, der Spanischen Legion in Diensten der Nazis an der Ostfront zu tun hat, ist ebenso ein Geheimnis. Da waren Dutzende von Mallorquinerin drin, freiwillig. Heute heißt es, die wurden als Widerstandskämpfer gezwungen, aber dazu wird geschwiegen.
EA: Würden Sie heute nochmal in den Journalismus gehen? AT: Nein, da würde ich lieber meinen angestammten Beruf als Wildhüter in Namibia oder Botswana nachgehen und Wilderer bekämpfen. Der Journalismus hat mit dem Journalismus meiner Zeit nichts mehr zu tun. Der Grund heißt „Klick“ – wenn ich mit meinem Sohn über eine Meldung spreche, dann heißt es: „Die Meldung hat viele Klicks“. Das heißt, es entscheidet nur noch die Popularität des Themas, nicht mehr das Thema selbst. Es muss alles an Personen aufgehängt werden, also die Hungersnot irgendwo ist nicht das Thema, sondern der verbrecherische Präsident oder der helfende Held. Der Hungernde selbst erscheint nur noch am Rande.
Buchtipp
EA: Sie haben nicht nur den jahrzehntelangen Blick auf Mallorca, sondern auch den weltweiten Vergleich. Was würden Sie den Mallorquinern für ihre Zukunft empfehlen? AT: Das ist nicht einfach zu sagen. Ich würde versuchen, den reinen Sauftourismus zu beenden. Der Schlagertourismus mit Pseudo-Prominenten ist da nochmal was anderes. Den Massentourismus würde ich nicht beschränken, das ist das Rückgrat der Insel.
Das Gespräch führte Frank Heinrich