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Ungers Krebs Teil 12
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Aus dem Roman “Wie viel ist ein Leben wert?”
von Ralph D. Wienrich
Wenige Augenblicke starrte er irritiert vor sich hin. Den Aufenthalt in einem Forschungsinstitut vermochte er sich nicht zu erklären. Seiner Meinung nach hätte jetzt eine Therapie angestanden und, wenn es hätte sein sollen, dann auch in der Spezialklinik von Professor Bertram, wenn seine Möglichkeiten auf seiner Belegstation in der Frankfurter Universitätsklinik nicht für ausreichend erachtet worden wären. Schließlich fasste er den Entschluss, direkt das Gespräch mit Bertram zu suchen. Noch fühlte er sich in der Verantwortung. Er bat seine Sekretärin, ihm eine Verbindung mit dem Professor zu machen. Wenige Sekunden später war er mit dem Sekretariat des Klinikchefs verbunden, dass ihn in arrogantem Ton wissen ließ, das „der Herr Professor in der Angelegenheit Sven Unger für niemanden” zu sprechen sei. Alfons Schneider hielt an sich, zählte kurz bis fünf, um dann, unaufgeregt, mit einem Gruß an Professor Bertram, um Aufklärung über Ungers Berlin Aufenthalt zu bitten. Und dies „umgehend!“
„Er war ihr Patient” Schneider hatte gerade eine Patientin verabschiedet, als seine Mitarbeiterin den Anruf von Professor Bertram meldete. Zu seiner Überraschung wurde er geradezu überfallartig und wie er fand ziemlich stillos mit der Frage konfrontiert, von wem er denn wisse, das Unger sich in Kürze in Berlin befi nden werde? Für den ersten Moment wollte er verärgert auf diese doch sehr verdächtig wirkende Frage reagieren, aber er entschloss sich zur Gelassenheit: „Ein Arzt sollte immer wissen, wo sich sein Patient aufhält, wenn er ernsthaft erkrankt ist,” sagte er ruhig. „Ihr Patient, Herr Kollege? Sie irren! Er w a r Ihr Patient, er war es”. Schrill und unnatürlich drang die Stimme des Professors an sein Ohr. Alfons Schneider empfand die Art und Weise, wie der Hamburger Haut-Spezialist mit ihm umzugehen beliebte, als ehrverletzend, aber er bewahrte Haltung: „Können Sie mir das bitte etwas näher erklären, Herr Bertram?” Bewusst entkleidete er den eitlen Kollegen jetzt seiner Habilitation, die für Bertram das Allerwichtigste überhaupt war.
Forschung oder Behandlung? „Bitte, wenn sie es wünschen. Wir haben es für nötig erachtet, Herrn Unger eine seiner Erkrankung entsprechend angemessene Behandlung zutteil werden zu lassen.” „Ein Forschungsinstitut ist aber keine Klinik, Herr Kollege. Können Sie das etwa nicht leisten, in Hamburg?” Schneider bemerkte, wie es Bertram jetzt förmlich würgte. Und bevor er sich zu einer klärenden Antwort gesammelt hatte, insistierte der Frankfurter Hautarzt hartnäckig: „Wie soll einem Krebspatienten Behandlung und Heilung widerfahren können wenn doch die Forschung und nicht die Behandlung in diesem Institut im Vordergrund stehen? Was also wird mit Herrn Unger dort geschehen? Was haben Sie in Berlin mit ihm vor, Herr Bertram?” Schneider blieb nicht verborgen, wie sein Hamburger Kollege um Fassung rang. Aber statt einer Antwort schleuderte dieser ihm die verräterische Frage durch die Leitung: „Von wem haben Sie denn bloß diese”, er stockte, als wollte er seinen begonnenen Satz wieder ausradieren, „diese Information?”
Streits waren nicht sein Stil Alfons Schneider war alarmiert. Er hatte sekundenschnell registriert, das Bertram seine Frage so nicht hatte stellen wollen. Aber warum dann diese Entgleisung? Er ließ den Hautpapst einige Sekunden zappeln, um dann spitz zu kontern: „Wenn Sie etwas wie auch immer und warum auch immer vor mir oder wem auch immer geheim halten wollen, dann sollten Sie tunlichst auch das Umfeld Ihres neuen Patienten”, Schneider zögerte, „oder sollte ich hier im Bezug auf Herrn Unger besser von Opfer sprechen, darüber informieren, das Maul gegenüber Dritten zu halten, guten Tag, Herr Kollege.” Er fühlte sich unbehaglich. Auseinandersetzungen wie diese waren nicht sein Stil. Sollte er sich jetzt Vorwürfe machen, den Hamburger Spezialisten hinzugezogen zu haben? Aber, und das war und wird immer seine Einstellung bleiben: Wenn es um das Wohl eines Patienten geht, hat die optimale ärztliche Versorgung und Behandlung absoluten Vorrang. Auch dann, wenn sie mit Hilfe eines Kollegen geleistet wird. Persönliche Eitelkeiten passen nicht in sein Berufsverständnis. Wieder einmal schien sich zu bestätigen, dass der allgemeine Gang der Dinge ganz o ensichtlich den Erwartungen zuwiderlief.
Was machte Unger so interessant? Ja, der Hamburger hatte ihn wider seiner Erwartung ausgebootet. Aber warum? Was machte den Patienten Unger für eine Koryphäe wie Bertram so interessant, um ihn so kompromisslos für sich zu reklamieren? Immer noch grübelnd saß Schneider hinter seinem Schreibtisch. Er hätte nicht leugnen können sich etwa nicht aufgeregt zu haben. „Na so was”, sagte er schließlich zu sich und beschloss vorerst einen weisen Schlussstrich unter diese unerfreuliche Angelegenheit zu ziehen. Über die lärmende Gegensprechanlage erinnerte seine Sekretärin ihn an die noch wartenden Patienten. Der Seufzer, mit dem er sich wie ein Geschlagener erhob, um seine Arbeit wieder aufzunehmen, war Vergessen und Befreiung in einem und half diese unangenehme Auseinandersetzung zu verdrängen. Nachdem der letzte Patient die Praxis verlassen hatte, setzte er sich zu seiner Sprechstundenhilfe an deren Schreibtisch und bat sie, herauszufi nden, wie viele Unger es in Frankfurt gibt. Alfons Schneider hatte plötzlich eine Idee.
Fortsetzung folgt …