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Zu Besuch beim Brieftaubenzüchter

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Die Champions der Lüfte

Manch einer mag sich die Taubenpost zurück wünschen, wenn er wieder mal vergeblich auf einen Zusteller wartet. Sind die Tiere doch über Jahrtausende zuverlässige Überbringer von Nachrichten gewesen. Heute fliegen sie, um Preise zu gewinnen. Auch auf Mallorca gibt etwa 300 Halter, die ihre Tauben für Wettbewerbe trainieren. EL AVISO hat zwei der erfolgreichsten getroffen.

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Disziplin herrscht nicht gerade im Taubenschlag. Es flattert und gurrt aufgeregt, als Tolo die Klappe nach draußen öffnet. Der Abend kühlt die Luft ab und einige Tiere drängt es hinaus zu einem Abendflug. Im Schwarm ziehen sie ihre Kreise, zischen mal ganz dicht über das Dach ihres Geheges hinweg, dann schwingen sie sich wieder hoch in die Luft und ihr Gefieder glänzt golden vom Licht der untergehenden Sonne. Das Flattern geht in ein Klatschen über, wenn sich ihre Flügel berühren, sie noch einmal Schwung holen, um gleich darauf wieder im eleganten Gleitflug die Schwingen fast reglos zu halten. Fasziniert blicken nicht nur wir ihnen zu, sondern auch ihre Besitzer Tolo Puigros und Jordi Jaume. Selbst wenn man seit Jahrzehnten mit Brieftauben arbeitet, kann man sich offenbar an ihnen nicht satt sehen.

Enthaltsamkeit vor den Wettkämpfen „In der Wettbewerbszeit sind die Tiere viel ruhiger und konzentrierter“, sagt Tolo. Rennsaison ist auf Mallorca zwischen Januar bis April. In dieser Zeit finden die Hauptwettbewerbe statt. „Danach ist es zu heiß und die Bedingungen über dem Meer werden ungünstiger für die Flüge.“ Um pure Geschwindigkeit geht es bei den Wettflügen allerdings nicht, sondern um Orientierungssinn und Durchhaltevermögen. „Es ist vergleichbar mit einem Radrennen, bei dem auf verschiedenen Etappen Punkte gesammelt werden“, erklärt Jordi. In den frühen Monaten des Jahres trainiert Tolo die Tiere. Sie bleiben täglich eine Stunde in der Luft, um die Ausdauer zu stärken. Außerdem verordnet er den Tauben Askese – Männchen und Weibchen bleiben streng getrennt im Schlag. „Damit es keine Rivalitätskämpfe gibt“, meint Tolo. Schließlich sollen die Tiere fokussiert und voller Energie in die Distanzflüge starten. Jetzt allerdings, wo die Wettbewerbssaison gelaufen ist, tummeln sich Männlein und Weiblein gemischt im Gehege, faulenzen und fliegen nur, wenn sie Lust dazu verspüren. Von Ibiza nach Hause 1,5 Stunden Sicher müssen sie sich auch von den Strapazen der Wettkämpfe erholen. Denn die sind tatsächlich anspruchsvoll. Hier auf Mallorca finden gar keine Distanzflüge statt, viel zu kurz sind die Strecken, die zurückgelegt werden können. Nein, aufs Festland geht es, bis hin nach Alicante oder Marbella. Die längste nationale Strecke legen Tolos und Jordis Tauben von Huelva in den Heimatschlag nach Son Carrió zurück. Kein Problem, ihre Tiere schaffen mehr als 1.000 Kilometer am Tag. „Von Ibiza nach Hause brauchen sie anderthalb Stunden.“ Das Geheimnis der Brieftauben ist, dass sie sich nach ihrem Zuhause sehnen und so schnell wie möglich auf direktem Wege wieder dorthin zurück wollen. „Für die Wettbewerbe bringen wir die Tauben bis nach Palma, von dort werden sie zum Startort aufs Festland oder nach Portugal verschifft. Wir Halter bleiben hier zu Hause sitzen und warten.“ Der Chip, mit dem jede Taube beringt ist, wird beim Freilassen mit einem Scanner ausgelesen und registriert die Startzeit und die Flugroute. Tolo und Jordi werden über die Abflugzeit per Message informiert. Von da an sitzen sie an dem großen Tisch auf Tolos Campo mit Blick über die Landschaft und starren gen Horizont. Sie kennen ihre Tiere, können abschätzen, wann mit der Ankunft zu rechnen ist. Und doch bleibt alles ungewiss, bis die Silhouetten ihrer Tauben in der Ferne zu erkennen sind.

Pokale zeugen vom Erfolg Jede einzelne wird von Tolo und Jordi mit Spannung erwartet. Sie fiebern mit, tauschen sich mit anderen Haltern per Message aus. Am Einflugloch des Geheges ist ebenfalls ein Scanner installiert, so dass die Ankunftszeit exakt gemessen werden kann. Tolo und Jordi wissen, dass ihre Tiere in Topform sind und dürfen sich bei jedem Wettbewerb beste Chancen ausrechnen. Zum Beweis stellt Tolo einen Pokal nach dem anderen auf den Tisch. Seit zehn Jahren sind sie als Tandem erfolgreich: Mallorca Champions 2021, Spanische Champions

2020 und 2016, 2018 gewannen sie die Championship Portugal und 2017 sogar die Weltmeisterschaft. „Man spürt Stolz und auch Befriedigung, wenn unsere Tiere beim Rennen ganz vorn mit dabei sind.“ Diese Flugtage sind Höhepunkte und die Belohnung für alle Mühen der Arbeit mit den Tieren.

Auf Mallorca Hobby, in China Geschäft Auf Mallorca hat das Brieftaubenhobby nicht mehr so viele Anhänger wie früher. Etwa 300 Halter gibt es auf der Insel mit etwa 6.000 Tauben, die für Wettbewerbe trainiert werden. Alle sind im Brieftaubenverband der Balearen organisiert, in der Federació Balear de Colombicultura. Auf der Insel ist der Taubensport eine Marginalie im Vergleich zu anderen Ländern. „Woanders spielen die Taubenfreunde in einer ganz andern Liga. In Portugal ist das der zweitwichtigste Sport nach Fußball“, sagt Tolo. „Dort wird die Ankunft der Tauben sogar im Fernsehen übertragen. Holland ist Spitze in Taubensport und Zucht, Belgien ist das Mutterland des Brieftaubensports. Rumänien ist auch ganz vorn mit dabei. Und die Chinesen kommen nach Europa, um zu investieren. Die geben ein Heidengeld für gute Zuchttiere aus.“ Es gibt große Wettbewerbe, wie die International Pigeon Race Barcelona, die immer am ersten Freitag im Juli stattfindet und als wichtigste Taubensportveranstaltung in Europa gilt. Genannt die „Tour de France der Internationalen Taubenrennen“, bei der bis zu 20.000 Tauben auf einmal in den Himmel aufsteigen.

Früher Zeitvertreib und Laster Taubenzucht, sagt Tolo, war früher auf Mallorca mal ein ganz normaler Zeitvertreib. „Die Leute hatten kein Fernsehen, keine Mobiltelefone, mit denen sie daddeln konnten, da musste man sich anderweitig beschäftigen.“ Und so richteten die Besitzer von Tauben Wettbewerbe aus, bei denen sie die Tiere gegeneinander antreten ließen. Nicht nur zum reinen Vergnügen, versteht sich, sondern es ging auch um Geld. „Natürlich wurde gewettet, Spielsalons gab es noch nicht. Laster bleibt Laster.“

Namen für die Stars des Schwarms Für Tolo ist die Beschäftigung mit den Brieftauben eine eher meditative Angelegenheit. Tagsüber steht er für die Aufträge seiner eigenen Konstruktionsfirma ständig unter Spannung. Da sind sein Campo und die Tauben ein Ruhepol, auf den er sich zurückziehen kann. „Hier kann ich mich entspannen, ich brauche keine Pillen oder anderes, um runterzukommen.“ Der Erfolg des Tandems liegt sicher auch in der Arbeitsaufteilung. Während Tolo sich beinahe ausschließlich um die Tiere kümmert, die Pflege und das Training übernimmt, ist Jordi eher der Manager-Typ. Er sucht Wettbewerbe heraus und kümmert sich um die Anmeldungen. Er hält den Kontakt zu dem Tierarzt nach León, dem regelmäßig vor den Wettbewerben Kot- und Speichelproben zugeschickt werden müssen, um einen exzellenten Gesundheitszustand zu garantieren. Beide stecken viel Arbeit und Leidenschaft in ihr Hobby. Sie kümmern sich um 70 erwachsene Tauben mit Wettkampferfahrung und 180 Jungtiere, die sich ihre Sporen noch verdienen müssen. Sie kennen jede einzelne ihrer Tauben, auch wenn nur manche, die besonders aus der Masse herausstechen, einen Namen bekommen: El Pardo, der schon acht Mal die fast 600 Kilometer aus Granada wieder nach Hause geschafft hat. Oder La Querida, um die sich die Männchen balgen.

In der heißen Sommerzeit lassen sich aber auch die Stars des Taubenschlags gehen. Jetzt setzt langsam die Dämmerung ein. Der Schwarm trippelt und gurrt auf dem Dach des Geheges herum und hofft, dass sich der Besuch bald verzieht. Die Tauben wollen ihre Ruhe haben und einfach ihrem Vogelleben nachgehen. Verdient haben sie es sich.

Website des Verbandes: https://fbcolombicultura.ning.com/

Video über die Taubenzüchter Tolo und Jordi https://www.youtube.com/watch?v=BGjg-0NRfYY

 Christiane Sternberg Fotos: Marcos Gittis

Taubenpost

Domestizierte und speziell trainierte Tauben übermittelten schon im Altertum Nachrichten. Ihre Zuverlässigkeit ist begründet in ihrem guten Orientierungssinn und in der Fähigkeit, in kürzester Zeit auch weite Strecken zurückzulegen, um in den heimischen Schlag zurück zu kommen. Im alten China wurde das gesamte Postwesen auf Brieftauben aufgebaut. Die Kreuzritter hielten im Mittelalter per Taube Kontakt mit der Heimat, in Kriegen der Neuzeit wurden sie als Nachrichtendienst eingesetzt und selbst die Presseagentur Reuters startete einst mit Brieftauben. In der Schweiz wurde die Brieftaubenabteilung des Militärs erst 1997 aufgelöst.

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