Gerhart Pistor
Harret aus! Eine Stimme fĂźr Ă–sterreichs Freiheit
Verlag Pollischansky
Zum Titelbild: Friedrich Bock, 1940 von „Paris Match“ in Paris photographiert. Die Maske dient zum Schutz seiner Angehörigen in Österreich vor Verfolgung durch die Gestapo.
Alle Rechte vorbehalten / All rights reserved © 2005 Verlag Pollischansky, A-1140 Wien, Dreyhausenstraße 16 Hergestellt in Österreich / Printed in Austria ISBN 3-85407-059-4 Der Nachdruck des vorliegenden Werkes, auch auszugsweise, ist nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages gestattet (ausgenommen Kurzzitate unter Hinweis auf die Quelle).
Inhaltsverzeichnis 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31. 32. 33. 34. 35.
Vorwort............................................................................................................................................................5 Zum Buch......................................................................................................................................................7 Zum Autor.....................................................................................................................................................7 Die Gestapo wartet. ................................................................................................................................9 Festnahme an der Grenze. ..............................................................................................................13 Vaterhaus und Wurstelprater. .......................................................................................................17 Pass mit falschem Datum. ..............................................................................................................21 Hitlers Wahlsieg.....................................................................................................................................23 Erste Scheidung und Rückkehr..................................................................................................27 Einstieg in die Politik. .......................................................................................................................30 Minister Bock erinnert sich...........................................................................................................33 Österreich verschwindet..................................................................................................................36 Betteln um Lire.......................................................................................................................................42 Reiseziel Paris.........................................................................................................................................46 Der Trick mit den „Ex-Autrichiens“. .....................................................................................50 Die „Österreichische Post“............................................................................................................58 Der Kampf ums USA-Visum.......................................................................................................71 Frankreichs Militär ruft....................................................................................................................78 Verliebt in eine Russin......................................................................................................................80 Premiere für „Harret aus!“.............................................................................................................86 Hörerbriefe an „Harret aus!“........................................................................................................89 Armutszeugnis und Ehewunsch..............................................................................................102 Neuer Pass und neuer Name...................................................................................................... 114 Visum dank „l‘amour“................................................................................................................... 118 Flucht durch Spanien......................................................................................................................122 Landung in New York....................................................................................................................126 Hochzeitshoffnung auf Kuba....................................................................................................130 Der Rundfunkkrieg...........................................................................................................................131 Hörfunk-Einsatz in den USA....................................................................................................138 Im Schnellsiedekurs zum Experten......................................................................................145 Bei der „Stimme Amerikas“......................................................................................................150 Radio-Show zur Befreiung Wiens. .......................................................................................157 „V-Day“ mit Bock Bordy. ...........................................................................................................166 Abschied von London....................................................................................................................177 Die dritte Staatsbürgerschaft.....................................................................................................181 Arbeitslos.................................................................................................................................................186 Vergebliches Hoffen auf Wien.................................................................................................190 Abbildungen..........................................................................................................................................193 3
Vorwort Auf Anhieb ist es mir ziemlich schwer gefallen, die dem Zweck eines animierenden Vorwortes dienende Sympathie für den „Helden“ des Buches Fritz Bock, die „Vaterländischen Front“ und die damit im Zusammenhang stehenden Politiker Dollfuß und Schuschnigg, sowie „Ew. Majestät“ Otto Habsburg und die von der Wiedererrichtung der Monarchie träumenden Legitimisten aufzubringen. Schließlich gibt es einige gewichtige Gründe für den Vorwurf, dass hier in erster Linie die „Sozis“ und erst in zweiter die „Nazis“ bekämpft wurden und dass das demokratische Verständnis all jener politischen Akteure gleich Null war... Das vorausgesetzt, kann einen der „glühende Patriotismus“, der in vielen Situationen verrückt erscheinende „Glaube an Österreich“, der hohe persönliche Einsatz und nicht zuletzt das häufig tragische Schicksal schon Respekt abgewinnen. Am historischen Ende und mit der nötigen Distanz fällt einem bei fehlender persönlicher Verstrickung die Versöhnlichkeit entschieden leichter. Was das vorliegende Buch für mich besonders interessant macht, ist die Rolle, die das Radio auf allen Seiten spielt. Im Positiven wie im Negativen. Bei totalitären Systemen im Allgemeinen und bei den Nazis im Besonderen war das Radio zentrales Propagandamittel. Das billigste und am weitesten verbreitete. Bereits 1933 hat Kurt Engelbrecht in seinem Essay „Deutsche Kunst im Totalen Staat“ von der Devise „Kein Heim ohne Radio“ als eine der Grundlagen des totalitären Staates geschrieben. Und im selben Jahr wurde durch die vom Propagandaministerium in Auftrag gegebene Entwicklung des „Volksempfänger V E 301“ ein wesentlicher Schritt hin zur Verwirklichung dieser Devise gemacht. Und gleichzeitig das Hören Ausländischer Sender verboten. Schließlich gilt „für jeden Einzelnen von uns nur ein Wille und ein Gesetz: das Wort des Führers.“ Auf der anderen Seite war für die im Ausland Gegenpropaganda betreibenden österreichischen Exilanten das Radio ebenfalls das wirksamste und daher ideale Medium. Und so wurde Fritz (Frédéric) Bocks Stim- Fritz Bock ruft während aller Not seinen Landsleuten me mit dem zwei- bis dreizu: „Harret aus - Österreich wird wieder frei!“ 5
mal täglich in Paris ausgestrahlten Ruf „Harret aus! Österreich wird wieder frei!“ zum Symbol für Hoffnung und Widerstand. Und heute? Heute ist evident, dass das Radio diese Rolle in gar keiner Weise mehr spielt. Zumindest nicht in demokratischen Industrieländern... Heute ist das Radio entweder das in seiner Bedeutung auf Musik und Service reduzierte, beziehungsweise umfunktionierte „Begleitmedium“ oder es ist ein Kulturvermittler unter mehreren. Die Funktion des Propagandainstruments hat es so oder so verloren. Und das ist gut so. Es sei denn, man wollte erhebliche geistige Klimmzüge zur zeitgemäßen Umdeutung des Begriffes „Propaganda“ machen. Aber das sollten wir lieber lassen. Es würde der Erinnerung an Fritz Bock nichts Gutes tun... Alfred Treiber, Programmchef des Österreichischen Rundfunks, Ö1 Wien im März 2005
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1. Die Gestapo wartet Gemessenen Schrittes steigen die beiden Männer die Treppen des Alt-Wiener Hauses Kirchengasse 41 hinauf. Sie halten sich keine Sekunde damit auf, Türschilder zu lesen. Sie wissen genau, in welche Wohnung sie wollen. Zu der im dritten Stock. Die zwei Besucher könnten Zwillinge sein, zumindest der Kleidung nach. Die Ledermäntel stammen offensichtlich von der gleichen Firma und sehen wie Uniformen aus. Und für die Männer ihres Berufes ist es auch eine Uniform. Im dritten Stock, bei der Tür mit dem Namensschild „Dietrich“, drückt einer der Ledermantelträger fest auf die Klingel. Bewegungslos warten sie, bis sich nach etwa einer Minute die Tür einen Spalt öffnet. „Ja?“ Nicht nur fragend, sondern auch zaghaft klingt dieses „Ja“ der kleinen zarten Frau, die vorsichtig den Kopf ein wenig zurücklegen muss, um den Männern ins Gesicht blicken zu können. „Ist Herr Fritz Bock hier?“ „Nein! Aber ...“ Weiter kommt sie mit ihrem Satz nicht. „Geheime Staatspolizei!“ Der eine „Zwilling“ drückt die Tür weiter auf. Lässig, so als wäre er zu Hause. Die beiden Gestapo-Leute gehen mit kurzen, festen Schritten durch die Wohnung. Sie werfen in jedes der vier Zimmer einen schnellen Blick. Die Routine ist unübersehbar. Wieder bei der Eingangstür angelangt, hört die Frau noch den Satz: „[...] und jetzt hinauf!“ Einen Stock höher ist das Atelier der Firma „Hans Dietrich & Co“. Nur dieser Name steht auf dem Türschild. Von außen ist nicht zu erkennen, was sich dahinter verbirgt. Aber die Gestapo-Leute wissen ohnedies bestens Bescheid. Sie kennen das Firmenbriefpapier auf dem steht: Künstlerische Portrait-Photographie Internationaler Photo-Presse-Dienst Industrie- und Theateraufnahmen Trude Dietrich, die Tochter des Firmenchefs, weiß nicht, woran sie zuerst denken soll, als sie den beiden Männern folgt. Warum die Gestapo Fritz Bock sprechen will, ist eigentlich nicht so wichtig. Gutes kann es jedenfalls nicht bedeuten. Einer reinen Auskunft wegen wären die beiden sicher nicht hergekommen. Dazu hätte eine Vorladung genügt. Kommen sie, weil Fritz Bock, der „Fritzl“, wie er im Betrieb genannt wird, bei der „Vaterländischen Front“ war? Sie hat gehört, dass allein die Mitgliedschaft schon Schwierigkeiten mit sich bringt, seit Österreich „Heim ins Reich“ gekommen ist. Aber konnte die Gestapo so schnell arbeiten? Österreich ist doch erst seit drei Tagen nicht mehr Österreich. Drei Tage!!! 9
2. Festnahme an der Grenze Nur einmal weg von hier, ist der erste Gedanke von Fritz Bock, als er vor dem Haus in der Wiener Kirchengasse in der kühlen Abendluft steht. Aber wohin? Keinesfalls darf er zu seiner Mutter gehen; die Gefahr ist zu groß, dass sie überwacht wird. Das gleiche gilt für seine Arbeitskollegen und Freunde, die mit ihm bei der „Vaterländischen Front“ waren. Er überlegt, bei wem er sich verstecken könnte. Eine ganze Reihe von Freundinnen kommt da in Betracht. Aber wie lange könnte er sich überhaupt verstecken? Vielleicht ein Monat lang. Dann hätte das gefährliche Versteckerlspielen ein Ende, man würde ihn finden. Bleibt also nur das Ausland. In Paris hat er Bekannte. Freunde von ihm sind am 11. März sofort nach Frankreich aufgebrochen (an diesem Tag wurde Bundeskanzler Schuschnigg von Seyß-Inquart, einem Nationalsozialisten, abgelöst – am nächsten Tag sind die deutschen Truppen in Österreich einmarschiert). Der schnellste Weg aus Österreich führt über Italien. Also auf nach Italien ... Drei Tage bleibt Fritz Bock noch als „U-Boot“ in Wien. Er trifft seine Mutter – natürlich hat die Gestapo bei ihr nach ihm gefragt – und er besorgt sich Geld. 300 Schilling sind alles, was er auftreiben kann, indem er einen Ring versetzt. Sein österreichischer Reisepass mit der Nummer A 1207.282 ist in Ordnung. Erst vor einem Jahr hat er ihn verlängern lassen. Er ist gültig für alle Staaten der Welt und ein optimistischer Passbeamter hatte noch den Stempel hineingedrückt: „Die Gültigkeit dieses Reisepasses wird bis 27. Mai 1942 verlängert“. Aber auf dem Passamt hatte natürlich niemand wissen können, dass es bald kein Land mehr geben würde, das Österreich heißt, und kein Land, das einen österreichischen Pass überhaupt anerkennt. Laut Gesetz darf kein Österreicher mehr als 30 Schilling in heimischer Währung ausführen. Also geht Bock noch am 19. März zur Wiener Creditanstalt-Bank, wechselt 130 Lire, und lässt sich den Betrag in seinem Pass bestätigen. Eine Nacht und einen Tag verbringt er noch im Untergrund, dann, am Abend des 20. März, macht er sich auf den Weg zum Wiener Südbahnhof, um in den Expresszug nach Italien einzusteigen. Wie ein echter Urlauber sieht er nicht aus: Er trägt zwei mittelgroße Koffer – in dem einen befinden sich wohlgeordnet zusammengelegt zwei Anzüge und Hemden, in dem anderen Taschentücher und Unterwäsche. Darunter, nicht sehr originell, versteckt er sein Barvermögen von 300 Schilling. Das Ungewöhnlichste aber: Um den Hals hängt an einem Lederband eine Reiseschreibmaschine, die er später als sein „wertvollstes Gut“ bezeichnen wird. Während seiner jahrelangen 13
„Harret aus! Österreich wird wieder frei!“ Diese Worte von Fritz Bock gaben tausenden Schwarzhörern Hoffnung. Im französischen Rundfunk meldete er sich so in den ersten Kriegsjahren. Er nahm die französische Staatsbürgerschaft an, floh beim Einmarsch der Deutschen mit dem letzten Regierungszug in den Süden. Er schlug sich abenteuerlich über Spanien, Portugal und Kanada in die USA durch, wo er vom Vorläufer der CIA zum Rundfunkfachmann ausgebildet wurde. Seine Ehe mit einer Russin, die bei der UNO unter Spionageverdacht geriet, wurde in Mexiko geschieden. Von London aus meldete er sich schließlich als Bock-Bordy, jetzt US-Bürger, in der „Stimme Amerikas“ mit Sendungen für Österreich. Interviews und reichhaltiges Dokumentationsmaterial bilden die Grundlagen dieses Dokumentarberichts über eine bewegte Zeit.