Narrenfressen

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THOMAS RIEGER

NARRENFRESSEN GEDICHTE

MIT BILDERN VON HELMUT SAILER


INTRO Über Kunst zu schreiben ist immer schwierig – als ob sie es notwendig hätte, erklärt zu werden, während gute Kunst doch gerade darin besteht, Dinge zu offenbaren, empfinden zu lassen, die nicht erklärbar sind. Gute Werke, egal ob in der Musik, bildenden Kunst, Literatur oder Poesie laufen doch – im Versuch sie zu erklären – Gefahr, zerstört zu werden. Ist daher a priori jede Art der Hermeneutik zu verurteilen? Ich denke nicht; man sollte das Kind nicht mit dem Bad ausleeren, sondern vielmehr dem destruktiven Teil vieler Erörterung auf den Grund gehen und davon abkommen, das eigene Verständnis als allgemein gültiges dem geduldigen Leser aufzudrängen. Gewinnt man die Bescheidenheit, seine eigenen Interpretationen als eine von vielen Möglichkeiten anzusehen, eröffnen sich neue Horizonte. Der Zugang zur Kunst wird plötzlich ein ganz anderer, lockerer, aufregender, ich möchte sogar sagen: kreativer. Er ist nicht mehr getragen von der hohen Anforderung, die absolute gegebene Wahrheit aufzudecken, sondern von der kreativen Freude, für sich und in sich Neues aufzuspüren. Die Auslegung wird somit selbst zum schöpferischen, identitätsstiftenden und -erweiternden Akt. Beim wiederholten vertieften Hinhören, Betrachten oder Lesen offenbaren sich neue Details, Bilder, Empfindungen …, die man bisher nicht wahrgenommen hat – eine leise Vorahnung des Unendlichen. Über Kunst zu schreiben kann daher auch der Wirkung eines ge­ lungenen Bilderrahmens entsprechen, der bescheiden die hilfreiche Ab- und Eingrenzung bietet, um das Wesentliche hervorzuheben und den Blick einzufangen und – in unserem Falle – die genussvolle Lektüre der hier zusammengestellten Gedichte einleiten. Einer der faszinierendsten Aspekte an Gedichten ist ihre Kürze. Im Gegensatz zu noch so hinreißenden Romanen, mit deren Lektüre wir uns mitunter in unserem gestressten Alltag über Monate quälen, vermittelt die Poesie mit ein paar Zeilen. So gesehen ist sie ein äußerst modernes Ausdrucksmittel. Chips ähnlich verpackt sie einen Reichtum an Impressionen in wenige ausgewählte Worte. Präsentiert 3


in einem handlich schönen Gedichtband sind diese ausgesprochen „bedienerfreundlich“. Jedes einzelne Gedicht für sich wartet darauf, entschlüsselt zu werden. Passend zu unserer gegenwärtigen Lebensweise bietet es die Möglichkeit, für kurze Zeit und dennoch nachhaltig aus dem Alltag auszubrechen. Thomas Rieger nützt diese kleine Auszeit, um Augenblicke einzufan­ gen, die Einblicke in das Leben, in seine bunte Gefühlswelt gewähren. Inmitten unserer Alltagszwänge lädt er uns ein, diese kurzweilig zu verlassen, Narrenfreiheit zu genießen und an Augenblicken, die viel zu oft im Alltäglichen untergehen, das Besondere zu entdecken – eben einen Narren zu fressen. Seine Gedichte handeln von Leben und Lieben. Sie beschäftigen sich vordergründig nicht mit politischen und sozialen Belangen, sondern schaffen in einer äußerst reduzierten Sprache farbenreiche, mitunter in die Abstraktion führende Bilder, die Gefühlssituationen widerspiegeln, welche allem anderen elementar zu Grunde liegen, aber häufig im Erwachsenwerden verschüttet gehen. Riegers Sprachbilder verführen uns, das staunende, suchende und lachende Kind in uns zu erwecken und das wundersame Rätsel der Liebe zärtlich zu hüten. Dr. Cristina Bacher Kulturphilosophin

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kann sein kann sein dass alles neu wird heute vielleicht morgen oder nie. kann sein dass in uns rätsel wohnen kindheit suchend aber wie. kann sein dass ich ein land entdecke maßlos weit und nur für sie. kann sein dass sich auch gar nichts ändert gedichte sind bloß alibi.

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narrenfressen haut und haare wirre köpfe ungeduld und übermut kind sein rennen luftsprungmeister wiesentrolle freier fall bücherwürmer lauthals lachen koffer packen liebe machen luftsprungmeister wiesentrolle narrenfressen überall

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karpathos warm auf hohen wolken tanzend sommerroten blicken gleich seelenbarfuĂ&#x; land gewinnen uferlos gedankenreich. wochenmärchen ferne lauschend ausgelassen himmelsnah meerestiefes neuentdecken jahressonne sonnenjahr.

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UFERLOS

Acryl

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Thomas Riegers lyrische Texte sind eine Sammlung von Augenblicken, sind der gelungene Versuch, Emotionen des Alltags, des Lebens im Allgemeinen und der Liebe im Besonderen, zu bunten Wortbildern zu verdichten. Der Leser taucht in eine Welt der Leidenschaft, der uferlosen Ausgelassenheit und Lebensfreude, aber auch der inneren Unruhe, des Zweifels und des Leides ein. Die Gedichte sind ungefiltert; der Autor urteilt nicht, sondern beobachtet – geleitet von der meist hoffnungsvollen Kraft der Neugierde.

VERLAG POLLISCHANSKY – WIEN


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