Österreich 1945 - Band 2

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Fritz H. Sturzeis

Österreich

1945

Drittes Reich – Kriegsende – 2. Republik

Band 2: Die Wirtschaft

Verlag Pollischansky - Wien


Inhaltsverzeichnis Band 2

Vorwort des Autors Vorworte Widmungen und Dank, Vorbilder Einleitung

3 7 12 13

5. Teil: Wirtschaft

Die Wirtschaft in der Übergangsphase Rüstung und Wehrwirtschaft Land- und Forstwirtschaft Handel: Einleitung Schleichhandel – Tausch – Hamstern Plündern – Rauben – Demontieren Spenden Schmuggel Arbeit: Einleitung Arbeitsamt Renten – Krankenkassen Verkehrswesen: Einleitung Bahn Straßenbahn Flugverkehr Schiffsverkehr Autos und andere Transportmittel

17 33 43 51 54 62 69 71 73 75 78 81 83 94 101 110 118

6. Teil: Alltägliches

Ernährung und Bekleidung: Einleitung Wasser – Hygiene Milch – Mehl – Brot Gemüse und sonstige Lebens- und Genußmittel Hunger Bekleidung Bewirtschaftung Medizin Ärzte und Gesundheitsfürsorge Liebesleben und Notzucht Selbstmord – Bestattung Energie: Einleitung Strom – Gas Kohle – Holz – Erdöl/Petrochemie Atomenergie Geldverkehr: Einleitung Postsparkasse (PSK) – Sparverkehr Banken – Sparkassen Pfandleihen Finanz – Steuern – Zoll – Lotterie Versicherungen

127 128 135 144 153 163 172 177 177 187 191 197 200 207 216 219 230 237 244 247 252

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7. Teil: Nachrichtenwesen Printmedien: Einleitung Zeitungen unter verschiendenen Machthabern Exilanten-, Kriegsgefangenen-, Besatzer und Auslandspresse Philatelistische Presse Verlage und Druckereien: Einleitung Journalisten – Autoren – Verlage – Druckereien Plakate, Maueranschläge und Flugblätter Rundfunk, Fernsehen und Funk Telefon Zensur: Einleitung Deutsche Zensur Zensur der Besatzer

257 258 265 272 275 276 287 293 309 315 317 326

8. Teil: Post

Post 1945 Briefinhalte Postämter, Briefkästen, Postwerbung und Postleitzahlen Postdienst, Postsache, Dienstpost Briefmarken und andere Abgeltungen: Einleitung Ganzsachen – Auf- und Verbrauch – Formulare Postgebühren – Frankaturen – Zuschläge Markenfrei – Portofrei Posttransporte, Provisorien und Besonderheiten: Einleitung Überroller Nachgebühren Nachsendungen – Retoursendungen Stempel und Entwertungen Schmuggelpost, Kurierpost und Diplomatenpost Auslandspost Sammler, Vereine, Händler, Preise, Fälschungen und Prüfer

345 353 359 369 379 394 399 418 425 433 438 444 451 459 485 495

9. Teil: Wohnen

Luftschutz, Feuerwehr und Rettung Bombardement, Kampfhandlungen, Opfer und Schäden Schuttaktion, Wiederaufbau und Einquartierungen

515 535 561

Abkürzungsverzeichnis

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Der Vergleich von „Damals“ und „Heute“ Vorwort von Dr. Heinz Fischer Bundespräsident der Republik Österreich Die tägliche Fülle von Zeitungen, TV-Sendungen, Umfragen und Analysen ermöglicht es uns, die Gegenwart von verschiedenen Seiten her zu beleuchten und uns daraus ein eigenes Urteil zu bilden. Das sind gute und nützliche, letztlich auch unbedingt notwendige Voraussetzungen für die Herausbildung differenzierter Meinungen und einer lebendigen Demokratie. Wenn wir uns jedoch einen wirklichen Überblick über verschiedene gesellschaftliche und politische Entwicklungen und Probleme machen wollen, dann reicht der Blick in die Gegenwart nicht aus. Wir brauchen, als Kontrast oder Ergänzung dazu, die Historie. Der Vergleich mit dem „Damals“ der Geschichte hilft in ganz besonderer Weise, das – manchmal unverständliche – „Heute“ besser zu begreifen. Es ist eine spezielle Art der Geschichtsschreibung, die uns dabei hilft, nämlich die Alltags- und Sozialgeschichte. Und gerade dieses Alltagsgeschehen mit seinen zahllosen Facetten menschlicher Verhaltensweisen bringt uns der Verfasser von „Österreich 1945“, nunmehr als Band 2 vorliegend und als Band 3 in Vorbereitung, in meisterlicher Art und Weise nahe. Wir schlagen geradezu ein Lexikon der extrem schwierigen Zeit nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges auf, wenn wir uns seiner Bücher bedienen. Insofern ist das aufwendig und anschaulich gestaltete dokumentarische Werk von Fritz H. Sturzeis ein österreichisches Geschichtsbuch ersten Ranges. Ich freue mich über dieses höchst interessante Ergebnis jahrelanger, intensiver Arbeit und gratuliere dem Autor sehr herzlich!

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Brücken der Toleranz Vorwort von Präsident Dr. Christoph Leitl Präsident der Wirtschaftskammer Das Jahr 1945 markiert einen Nullpunkt. Der Krieg in seiner Endphase brachte Tod, Verwundungen, Zerstörungen, Obdachlosig­keit, Hunger, Leid und Not. Verzweifelte Menschen, Völkerwanderungen durch Kriegsereignisse und Vertreibungen, vierfache Besetzung – ein zerrissenes Land. Und doch ein wichtiger Unterschied zu früher – dieses Österreich wollten alle! Aus der Republik, die keiner wollte, wurde eine Republik, die alle wollten! Und diese Motivation verlieh Kräfte. Einst gegnerische politische Kräfte fanden zusammen und bildeten eine gemeinsame Regierung. Wo früher unversöhnliche Standpunkte bestanden, wurden nunmehr Brücken geschlagen. Brücken der Toleranz, des Verständnisses, des Miteinanders. Koalitionsregierungen auf breiter Basis wurden geschaffen und die Sozialpartnerschaft als urösterreichische Erfin­dung ist ebenfalls in diesen Geburtswehen der 2. Republik entstanden. Mit ihr wurden kommunistische Putschversuche verhindert und mit der neuen politischen Kultur in Öster­reich konnten die Schwierig­keiten der Besatzungs­zeit gemeistert und die Fundamente für Staatsvertrag, Unabhängigkeit und Neutralität – 10 Jahre später, im Jahr 1955 – gelegt werden. Es ist wichtig, sich an „Österreich 1945“ zurückzuerinnern. Und ich bin dankbar, daß es engagierte Menschen wie Fritz Sturzeis gibt, die mit Dokumentationen, vor allem aber mit Schilderungen aus der Realität dieses Jahres aufzeigen, welche Not und Entbehrung unsere Vorgängergeneration auf sich genommen hat, um das heutige Land in Blüte und Wohlstand zu schaffen. Sich dankbar zu erinnern und daraus Kraft zu schöpfen für Problemlösungen der Gegenwart und Optimismus für die Zukunft, das ist aus meiner Sicht der eigentliche Sinn und die Aufgabe der drei Bände dieses Werkes. Europa formt sich neu und Österreich formt sich mit. Wer aber die Zukunft erfolgreich gestalten will, muß sich auch seiner Vergangenheit bewußt sein. Die Geschichte ist die beste Lehrmeisterin. Wer aus ihr Lehren zieht, wird für die Zukunft das Richtige tun. Damit unser Land und seine Menschen ein Jahr 1945 nie mehr erleben müssen!

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Handel Das wichtigste Talent 1945 war Organisieren, was nur bedingt mit Stehlen gleichzusetzen ist. Handel zu betreiben bedeutete den Einsatz von Rohstoff und Ware – die Währung war zeitweise nur eine Verrechnungseinheit. Auch die Entlohnung der Beschäftigten wurde häufig in Naturalien vorgenommen, besonders im ländlichen Bereich. Es gab kaum mehr Bereiche, die nicht mit Karten bewirtschaftet wurden. Babywäsche, Büstenhalter, Schuhdoppler, Reparaturen ... nichts ging ohne Bewilligung.

die Runde: „Goldenes Parteiabzeichen gegen Siebenmeilenstiefel (zur Flucht) zu tauschen gesucht.“ Der Tausch gegen Lebensmittel war offiziell strafbar, daher geschah dies „unter der Hand“, aber dafür umso häufiger. Nicht wenige Teppiche, Bilder und andere Wertgegenstände schmückten in der Nachkriegszeit bäuerliche Anwesen. Auch Schmuck war ein beliebtes Tauschobjekt gegen Schmalz, Brot und Fleisch; oder Milch für Kleinkinder, gegen Fronarbeit.

Es ist daher nicht zu verwundern, daß vieles nur im Tausch abgewickelt wurde. Die Zeitungen waren sowohl in der Endkriegszeit als auch in den darauffolgenden Monaten voll derartiger Anzeigen. Pendeluhr gegen Kinderwagen, Biedermeierkommode gegen Fahrrad, gut erhaltener Wintermantel gegen Gitterbett uvm. Viele lieb gewordene Dinge wechselten in dieser Zeit den Besitzer. Die Lockenwickler der Mutter gegen Kindernahrungsmittel – die Mutter versuchte daraufhin, ihre Haare mit gedrehten Papierschnitzeln zu bändigen.

Gab es einmal eine begrenzte Anzahl eines selten angebotenen Artikels auf dem offiziellen Markt zu kaufen, bildeten sich wesentlich längere Menschenschlagen, als letztendlich befriedigt werden konnten. Geldsummen spielten dabei selten eine große Rolle. Zeit und Geduld, damit mußten sich die Familienernährer – zu dieser Zeit meist die Mütter – wappnen. Bei Fahrten in ländliche Gegenden gab es vielerlei Probleme, eines davon waren die selten vorhandenen Transportmittel. Viele Kilometer mußten zu Fuß zurückgelegt werden, so dauerte der Arbeitstag häufig bis weit in die Nacht hinein. Überlebenswille und Mutterliebe waren eine der herausragendsten Tugenden dieser Zeit.

Zigaretten waren ein wichtiges Zahlungsoder Verrechnungsmittel. Nichtraucher hatten daher Vorteile gegenüber den Rauchern, da sie die begehrten Glimmstengel gegen Brot tauschen konnten. Die Angaben über den Tauschwert schwanken je nach Region und Verhandlungsgeschick beträchtlich. Zigaretten als Währung konnten viel einbringen, z.B. 1:1 bei Eiern, zwei Zigaretten gegen 10 dag Fett, zehn Zigaretten gegen 5 dag Fleisch, usw. Als Scherz machten solche Angebote 51


Plakataush채nge:

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  Berichte vom Plündern fast überall. Karte aus Karlstift bei Gmünd vom 19. Juni 1945, von einem Kurier am Postamt Wien 66 als Ortspost am 9. Juli expediert. Aufnahme des offiziellen Postverkehrs erst am 11. Juli!

 Plünderung aus dem Güterwagen.  „Wer plündert wird erschossen!“ Wer jedoch alles verloren hatte, dachte kaum an die Gefahr. Hier plündern Wiener eine Meinl-Filiale

. . . Derzeit wird niemand mit erfreulichen Wien-Nachrichten rechnen, die Zeitungsmeldung, daß Wien aus Italien mit Lebensmitteln versorgt wird, wird genauso richtig sein wie die „normalen“ Verhältnisse in Graz. Mir geht es nicht viel besser - abgemagert und mit den Nerven fertig. Am 5. April hieß es, die Bolschewiken sind im Anmarsch, ging mit dem Allernotwendigsten nach Rinegg und am 7. April wieder zurück. Am 5. April hatte Graz einen kräftigen Alarm. Die Russen kamen am 9. Mai und wir waren 2 Tage zur Plünderung freigegeben, angefangen hat es auf der Straße mit Taschenuhren und Fahrrädern, dann kamen sie ins Haus . . . wir mußten die Besetzung dulden; am 19. Mai erhielt ich um 8 Uhr früh den Befehl, mein Notquartier oben frei zu machen - fanden in der Nähe Unterkunft. Am 24. Mai konnte ich nach gründlicher Reinigung wieder einziehen, viel gestohlen. Derzeit erhalten wir weder Fett noch Milch, Eier sind rar . . .  Fernbrief, bar bezahlt mit Stempel „Graz 15 b“ nach Wien. 66


Verkehrswesen Nachschub ausweichen und wurden auf Nebenstraßen bzw. -geleise verdrängt. Die Alliierten rückten unweigerlich auf den Bereich Ostmark/Österreich vor und den Wiener Frauen und Kindern wurde nachdrücklich nahegelegt, beim Vormarsch der Sowjets die Stadt zu verlassen. Dazu wurde alles noch Mögliche, auch der Schiffsverkehr, herangezogen. Eine Fülle an Briefinhalten bezeugt Dramatik und Probleme dieser Flucht – in der offiziellen Version Evakuierung genannt.

Transportmittel und Verkehrsadern sind die Träger des wirtschaftlichen Überlebens. In Krisenoder Notzeiten führt jede Beeinträchtigung zu drastischen Verschärfungen, zum Leidwesen der Bevölkerung. Die Bombardements und Tieffliegerangriffe hatten in den ersten Monaten des Jahres 1945 diesen Bereich schwer getroffen. Bahn­höfe und Verkehrsknoten waren das beliebteste Bombenziel. Tiefflieger folgten den Bahnlinien, bis sie ein lohnendes Ziel, einen Zug, beschießen konnten. Viele Todesnachrichten von Loko­ motivführern bezeugen dies. Ähnliches galt natürlich auch für den Straßen- und Schiffsverkehr. In der Luft war 1945 nicht mehr viel von deutschen Maschinen zu sehen.

Befreiung – ein vieldeutiges Wort, natürlich besonders in den Nachkriegstagen. Die Menschen waren auf Gedeih und Verderb den neuen Machthabern ausgeliefert – wenn auch anders als in der Form des vergangenen

Der stark eingeschränkte Verkehr wickelte sich vorwiegend nur mehr in den Nachtstunden ab, um den „Schaden“ an Mensch und Material zu minimieren.

Regimes – aber vor allem anders, als es sich viele erhofft hatten. Auswirkungen zeigten sich natürlich auch im Verkehrswesen. Jede Besatzungsmacht schottete sich vorerst von den anderen ab und erst allmählich wuchsen die Westzonen „zueinander“. In der Ostzone waren die Beschlagnahmen bei allen Verkehrsmitteln („deutsches Eigentum“) dramatisch. Häufig wurden z.B.

Die letzte Kriegszeit war jedoch durch den nicht enden wollenden Flüchtlings- und Vertriebenenstrom weit über ihre Kapazität ausgelastet. Diese bedauernswerten Menschen mußten auch noch dem letzten militärischen 81


Amtliche Anzeigen. Reiseverkehr. Die Reichsbahndirektion Wien teilt mit: Infolge der geänderten Betriebslage können die Reisenden nicht mit Sicherheit darauf rechnen, daß die in der Verlautbarung vom 25. März 1945 über den Osterreiseverkehr genannten Züge jeweils auch tatsächlich verkehren. Es wird sich daher empfehlen, unmittelbar vor Reiseantritt beim Abgangsbahn­ hof Erkundigungen über den Zugsverkehr einzuholen; dies gilt auch für alle anderen nicht zulassungskartenpflichtigen Züge, insbesondere aber für jene Reisenden, die sich die Fahrkarten im Vorverkauf besorgen. Die in der Ver­ lautbarung vom 25. März 1945 genannten Züge dür­ fen über den 4. April 1945 hinaus bis auf Widerruf nur mit Zulassungskarten benützt werden.  „Kleine Wiener Kriegszeitung“ vom 30. März 1945.  Propaganda.  Ablösekarte mit Stempel „Innsbruck 2 ad“.

 Postanweisung der Reichsbahn Wien. Gleisbauzug 3110 mit Leitzahlenstempel „(12a) Steinbrück“ nach Lackenbach/Niederdonau.

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Printmedien Friede – lieber gestern als morgen! Keine Bombenangst mehr, keine Angst vor der Gestapo, dem KZ, mitteilen was man für richtig hält – ein Wunsch vieler Menschen.

Fahrtüchtig hieß jedoch noch immer nicht, fahren und das Produkt transportieren zu dürfen. Für alles mußten Bewilligungen von den neuen Machthabern eingeholt werden. Diese stellten dann „Papiere“ aus, möglichst mehrsprachig, mit vielen Stempeln.

Das hat vor allem die Zeitungen betroffen. Welche deutschsprachige Zeitung schrieb Anfang 1945 nicht noch vom Endsieg, brachte die Führeransprache zu Neujahr nicht zumindest in großen Auszügen? Auch wenn die Journalisten selbst nicht mehr daran glaubten und wie die Leser das Kriegsende herbeisehnten.

Hatte man das alles beisammen, was zumindest anfangs selten gelang, mußte man die Routen erkunden, um das von den Lesern lang ersehnte Produkt an die Kleinverteiler zu bringen. Papiere zu besitzen, hieß noch nicht, auch jeder Kontrolle „genehm“ zu sein. Eine Zurückweisung war noch das kleinste Übel, es gab auch Konfiszierungen, Inhaftierungen, Zwangs­- Arbeitseinsätze u.v.m. Betroffene konnten ein Lied davon singen (siehe auch Kapitel „Transportmittel“).

Das Problem, zu relativ wahrheitsgetreuen, gedruckten Informationen zu gelangen, lag allerdings nicht nur an den Machthabern und ihren Vasallen, sondern auch an der (Un)Möglichkeit, diese zu produzieren. Journalisten wie Setzer und Drucker waren eingezogen, verjagt, eingekerkert. Nur wenige waren im Bombenkrieg unversehrt geblieben, es fehlte an Papier, Druckfarben sowie elektrischem Strom für den Betrieb – in einer Zeit des totalen Mangels.

Erleichterungen bei der Verteilung konnte man sich nur von der Post erhoffen, die interessiert war, den Transport wieder in Schwung zu bringen. Sie kam daher den Verlegern mit Ermäßigungen entgegen, so z.B. der Druckerei Salesy, die „Wo bist Du?“, das Suchblatt für vermißte Familienangehörige druckte und zum Versand brachte. Die Druckerei erhielt mit Rücksicht auf den gemeinnützigen Zweck ab 24. Juli die Bewilligung, mit Drucksachengebühr abzurechnen bzw. zu frankieren.

Wenn es doch Zeitungen gab – wie dann das Produkt an die Leser bringen? Transportfahrzeuge sind dafür unumgänglich, aber woher nehmen? Anfangs war alles für Wehrmachtsfahrten im Einsatz; für sogenannte „Frontbegradigungen“ (Rückzug oder Flucht) wurden später alle greifbaren Fahrzeuge konfisziert. Waren einige der Wehrmacht oder der SS entgangen, wurden diese dann von den neuen Befreiern „benötigt“. Schließlich mußte man technisches Können aufbieten, um aus drei herumstehenden Wracks ein halbwegs fahrtüchtiges Transportmittel zusammenzubasteln.

Bis zu 20g 3 Pfennig, über 20g 4 Pfennig, 50100g 8 Pfennig (PD Zl. 10323/45). Bis zur Auflieferung der passenden Marken durfte am Postamt Wien 54 bar verrechnet werden (Weiteres im Kapitel „Post“). 257


Zeitungen unter verschiedenen Machthabern

 „Kleine Wiener Kriegszeitung“ vom 7. April 1945 = letzte Ausgabe.

 Suchblatt für Vermißte.

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 Die Sowjets stehen schon vor Wien: Nazi-Aufruf an 16-jährige!

 Auswahl diverser Zeitungen von damals. 258

 „Neues Österreich“ vom 4. Mai 1945.


Plakate, Maueranschläge und Flugblätter Plakate und Maueranschläge Bevor aktuelle Informationen in die Zeitungen kamen, wurden sie schon als Flugblatt, dann als Maueranschlag, schließlich als Plakat kundgetan. In den letzten Kriegsmonaten waren es vor allem Durchhalteparolen, Spendenaufrufe, Vertröstungen auf Wunderwaffen und bessere Zeiten nach dem Endsieg. In der Folge Drohungen mit dem Kriegs- und Standgericht, die die jeweiligen Befehlshaber, vom Gauleiter und Truppenführer bis zum lokalen MöchtegernMachthaber, auf Bäumen und Hauswänden der Bevölkerung drastisch nahebrachten.

Mit dem Einmarsch der Alliierten verstärkte sich die Flut an Befehlen, meist gezeichnet vom obersten Befehlshaber der jeweiligen Zone, wie General Blagodatow (UdSSR), General Dwight D. Eisenhower (USA), Feldmarschall H.R. Alexander (GB) bzw. General Bethouart (F). Dazu kamen die örtlichen Befehlshaber, hohe österreichische Politiker oder Bürgermeister, sowie die Parteien.

Auf einem Plakat aus dem Raum Mistelbach stand nach einer kurzfristigen „Rückeroberung“: „Jeder Russe, den du umlegst, schändet keine deutsche Frau mehr“. Hintergrund war sicher ein persönliches Erlebnis irgendwelcher Kriegsgreuel. Auch die propagandistischen Aussagen der Kriegsgegner wurden „ausgeschlachtet“, wie zum Beispiel die Ansichten des US-Ministers Morgenthau mit Aushungern, Sterilisieren usw. Die Forderung nach bedingungsloser Kapitulation war ebenfalls nicht geeignet, heranrückende Befreier sympathisch erscheinen zu lassen. Der berüchtigte Aufruf Ehrenburgs an die Sowjetsoldaten: „Schändet deutsche Frauen, sie sind eure Beute!“ trug kaum zu Beruhigung bei.

„Zuwiderhandlungen werden mit dem Tode bestraft“, war auf vielen zu lesen. Bei Maueranschlägen in Frontnähe ging es oft um Waffenablieferung, Gestellung zum Schanzbau, Plünderungsgut. Später hieß es „Vergewaltigungen sind sofort nach der Tat zu melden“, bzw. es ging um Beschlagnahmen, Ausgehverbote, Räumarbeiten, Registrierungspflicht, Schleichhandel. Auch das Verbot des Läutens von Kirchenglocken sowie die Annahmepflicht von Besatzungsgeld und der Flaggengruß usw. waren Inhalt dieser Befehle. Es wurde aber bald klar, daß das bei der Bevölkerung wenig ankam. Daher gab es in der Folge auch Formulierungen, wie „Amerika ruft Österreich!“ oder „Hallo, hallo ... hier spricht Paris!“.

Riskant war in den Umbruchtagen das Plakatieren von Widerstandsinformationen und -aufrufen. Diese gab es eher auf kleinen Handzetteln, die man leicht verstecken konnte.

Mit dem Einmarsch von Tito-Partisanen am 6. Mai in Bleiburg, war die Gefahr einer Abtrennung von Kärntner Gebieten gegeben. Dies manifestierte sich auch an den zweisprachi-

Einige Nachkriegs-Befehle standen den NSAnschlägen mit Androhungen um nichts nach.

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 Bekanntmachung des Bregenzer Bürgermeisters: Auf Anordnung des Ortskommandanten ist jede Plünderung bei Todesstrafe verboten.

 Auszug einer Veröffentlichung des Dornbirner Bürgermeisters. 289

 Requisitions-Anschlag der französischen Militärregierung.

 21. Mai 1945. Britische Soldaten entfernen in Klagenfurt eine Proklamation, in der Kärnten als ein Teil Jugoslawiens bezeichnet wird.


Bombardement, Kampfhandlungen, Opfer und Schäden „Denn Sie wissen nicht, was Sie tun.“ Das Zitat paßt auf jeden Krieg. In diesem Kapitel sollen die Greuel nicht ausgespart bleiben, die die Folge davon waren. Der Leser sei schon hier gewarnt – das Schreckliche geht unter die Haut, wühlt auf!

waren allein in London 20.000 Opfer zu beklagen. Ein Feuerwehroffizier (übersetzt): „Die Royal Docks in London standen auf engstem Raum mit den Häusern der Arbeiter. Hier reichte bereits eine leichte Bombe, um eine Feuersbrunst auszulösen. Es spielten sich schreckliche Szenen ab, Familienangehörige gruben die verstümmelten Leichen ihrer Angehörigen aus, drückten sie an sich und schrieen vor seelischem Schmerz.“ – Wie bei allen solchen Vorkommnissen liegt sie hier, die „Saat des Hasses“.

Bei einem Bombenkrieg kann man im wahrsten Sinne des Wortes von der „Saat der Gewalt“ sprechen. Für friedliebende Menschen (wie den Verfasser) mögen viele Handlungen unverständlich erscheinen, die menschliche Psyche, besonders im militärischen Bereich, ist oft „unmenschlich genial“. Sowohl auf der deutschen, als auch auf der alliierten Seite waren hochbegabte Menschen dabei, bestmögliche Vernichtungsvariationen zu erfinden.

Die deutschen Aktionen waren auf militärische Ziele bzw. Produktionsstätten, wie die in Coventry, gerichtet. Aber wie auf „allen Seiten“ waren die wahren Opfer Zivilisten.

War im 1. Weltkrieg das Bombardieren von ungeschützten Städten noch „verpönt“ gewesen, gab es im 2. Weltkrieg kaum ein Einhalten. In der Konferenz von Casablanca 1943 hatten sich die Alliierten darauf geeinigt, die Bombardements auf Deutschland massiv zu verstärken, um die Bevölkerung zu demoralisieren. Dabei hätten es gerade die Briten besser wissen müssen – der deutsche V-Waffenbeschuß erzielte bei ihnen diese Wirkung keineswegs.

In der Anfangsphase des Krieges wurden von britischen Militärstrategen genaue Analysen durchgeführt: Welche Angriffsziele bringen die meiste Vernichtungskraft? Städte mit engen Straßen und einem hohen Anteil an verschachtelten Holzbauten. Welche Mischung an Luftminen (Wohnblockknackern), Brandbomben, Spreng- und Splitterbomben, teils mit Zeitzündern, mußte man zusammenstellen, um den größten Verlust an Menschen und Material zu erzielen? Einzelbrände sollten sich zu einem Flammenmeer vereinen können, das Heißluftsäulen bildete.

Auf deutscher Seite war in der Anfangsphase das Bombardement auf Warschau, Rotterdam und Belgrad eindeutig als Kriegsverbrechen zu werten.

Die Menschen sollten durch Hitzschlag oder Monoxidvergiftung umkommen, oder verbrennen. Zeitzünder hatten den Effekt, heraneilende Hilfskräfte – Feuerwehrmänner und Rettung (Rotes Kreuz) – auszuschalten, also ebenso umzubringen.

Zwischen England und Deutschland kam es zu einem Duell auf Kosten der Zivilbevölkerung. Die Bombardements auf Ziele in England, häufig London, kosteten ebenso eine Unzahl an zivilen Opfern – Frauen und Kindern – wie in Hamburg usw. Nach britischen Angaben

Bei den verschiedenen Kategorien der Bomben gab es große Unterschiede, von gering 535


wie tatsächlich diese verschwiegenen Schäden und Verluste aussehen. Der Einschlag einer V2 erforderte ein großes Aufgebot an Rettungsmannschaften. Nur die leeren Außenwände eines großen Wohnblockes waren nach dem Einschlag stehen geblieben.“

Diese Zeitung brachte bis 30. März derartige „Jubelberichte“ über die Todeswirkung der VWaffen, um gleichzeitig den vielfachen „Heldentod“ der Bevölkerung durch Terror anzuprangern.

An den Folgetagen wird dieser Bericht noch weiter „ausgewalzt“ und übertrieben. „Nur noch zehn von hundert Londonern in ganzen Häusern“ oder „Die rächende Strafe unserer VGeschosse“.

Daß diese V-Waffen, so unpräzise und überschätzt sie waren, doch eine schreckliche Wirkung besonders in London hatten, wird auch in der Nachkriegspresse deutlich. Kolportiert werden: 200.000 Häuser total unbewohnbar und viele Menschen entweder getötet oder verletzt.

Am 19. Jänner in der „Kleinen Wiener Kriegszeitung“: „Stündlich sieben V-Bomben auf London.“

Selbstverständlich auch hier – jedes einzelne Opfer war zuviel.

Am 23. Jänner hingegen in der gleichen Zeitung: „Terrorangriff auf Wien. Heftiges Flakfeuer brachte eine Anzahl Terrorbomber zum Absturz. Da wieder Langzeitzünder abgeworfen wurden, wird die Bevölkerung aufgefordert, den Absperrvorschriften unbedingt Folge zu leisten.“

In Wien 1., Wallnerstraße 4, wurde das Zentralbüro für die Kriegsopfer Österreichs eingerichtet. Es gab allerdings eine größere Anzahl weiterer Organisationen, auch für Teilbereiche wie Blinde oder spezielle Fachgruppen, z.B. für Postbedienstete.

 Schwerster Luftangriff auf Wien am 12.3.1945. 747 Bomber der amerikanischen 15. Luftflotte verursachten große Schäden.

 Propaganda-Fernpost-Leitzahlenkarte mit Werbestempel „Wien 1“, mit Rückseite.

 Wien, Penzinger Straße 150-156. 553


 Auch wenn das Haus den Bomben entgangen war – allein schon die Luftdruckschäden waren enorm.

 Ansuchen an den Sozialdienst.

 Retten, was noch irgendwie möglich ist.

 Neue Adresse nach Bombardement der Alliierten ... ... und so sah sie oft aus, die neue Anschrift 

 Bei Bombenangriff beschädigter Brief der Staatsdruckerei Wien. 555

 Großbrand.


1945 war ein Schicksalsjahr in der Geschichte Österreichs. Nazi-Regime und Krieg, der Zusammenbruch und schließlich die ersten Schritte zur Zweiten Republik. Die Menschen hin- und hergerissen von den sich überstürzenden Ereignissen – wie haben sie damals gelebt, wie konnten sie überleben? Während Band 1 dieses Jahr aus der Sicht der Menschen schildert – Männer, Frauen und Kinder, die Erlebnisse eines jeden aus seiner Perspektive – bringt der vorliegende Band 2 der Trilogie von Fritz H. Sturzeis besonders die wirtschaftlichen Aspekte ans Licht. Wie war das Deutsche Reich organisiert, wie konnte zu Kriegsende überhaupt noch etwas funktionieren und wie sahen die ersten Schritte in den Frieden aus? Der Schwerpunkt „Post und Philatelie“ bringt in diesem Band seltenste Belege zu allen Arten des Postverkehrs und Postdienstes sowie Randgebiete.

Vor dem Leser liegt wieder ein packendes Werk voll authentischer Berichte: persönliche Briefe, offizielle Formulare, Aushänge, Propaganda, originale Zeitungsmeldungen ... all das wurde damals wirklich gesagt und geschrieben, ganz unverfälscht und ungeschminkt. Die ältere Generation wird sich an vieles wieder erinnern, die Jüngeren werden erstaunt sein, manchmal auch erschüttert von den chaotischen Zuständen und den herzergreifenden Schicksalen ihrer Eltern und Großeltern vor 60 Jahren – hier, in unserem eigenen Land. Das Werk besteht aus einer unglaublichen Vielfalt von Abbildungen, bringt Aufklärung über wenig oder nicht bekannte Fakten und neue Erkenntnisse. Ein bibliophiles Buch zum Lesen und Schmökern, aber auch ein Gebrauchswerk für den Philatelisten. Ein Geschenk der Qualitätsklasse für einen Sammlerfreund – oder für sich selbst?

Fritz H. Sturzeis, Österreich-Liebhaber und überzeugter Europäer, wäre glücklich, wenn seine Arbeit ... ... zur Völkerverständigung beiträgt ... den Opfern aller Seiten ein würdiges Andenken bewahrt ... die „echten“ Helden würdigt ... Wachsamkeit gegenüber Ungerechtigkeiten weckt ... gegen den Strom zu schwimmen ermutigt ... das Gefühl zur Heimat vertieft


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