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Bones and All
MAHLZEIT
Im Blutrausch
Eine Coming-of-Age-Romanze, die eine saftige Blutspur hinterlässt: Luca Guadagninos begeisternde Kannibalenromanze „Bones and All“.
Maren ist fast 18 Jahre alt, trotzdem führt ihr alleinerziehender Vater ein strenges Regiment und schließt seine Tochter nachts in ihrem Zimmer ein. Dass dies nicht pathologisches Helicopter Parenting ist, wird spätestens klar, als sich Maren doch zu einer Pyjamaparty davonstehlen kann, wo das Kichern der Teenagermädchen jäh abbricht, als Maren (nuanciert gespielt von Taylor Russell, Waves) ihrer Freundin den Finger abbeißt: Maren ist Kannibalin. Coming-of-Age-Identitätssuche einmal anders …
Als sie volljährig wird, ist sie auf sich allein gestellt: Neben ihrer Geburtsurkunde hinterlässt ihr ihr Vater ein besprochenes Tape (es sind die Achtzigerjahre …), das ein bluttriefendes Resümee beinhaltet: Er fasst noch mal all die Ereignisse der vergangenen 15 Jahre – seit dem ersten Babysitter„Intermezzo“ – zusammen.
Als sich Maren aufmacht, ihre Mutter zu finden, die sie niemals kennengelernt hat, begreift sie allerdings schnell, dass sie nicht die Einzige mit kannibalischen Neigungen ist. BLUT UND CAMEOS Wenn Luca Guadagnino, der mit dem Suspiria-Remake schon einen Abstecher ins Horrorgenre machte, von Marens Reise erzählt, dann erzählt er von der Liebe: Maren wird auf Lee treffen. Auch der junge Mann, der vom immens talentierten Timothée Chalamet gespielt wird (den Guadagnino schon in Call Me By Your Name besetzte), giert nach Menschenfleisch. Der Roadtrip durch die USA (der von prominenten Cameo-Auftritten gespickt ist – Michael Stuhlbarg, Chloë Sevigny, David Gordon-Green und Mark
Rylance machen ihre Aufwartung) wird immer blutiger …
Guadagnino scheut bei seiner Verfilmung von Camille DeAngelis Buch nicht vor direkten, roughen, aufregenden Bildern zurück – es wird ausufernd getötet, geschmatzt, gekaut –, gleichzeitig erzählt er sanft von den (verunsicherten) Gefühlen seiner Protagonisten, die am Rand der Gesellschaft tanzen und sich mit ihren Bedürfnissen arrangieren müssen.
In Venedig war die Begeisterung groß: Guadagnino wurde als bester Regisseur ausgezeichnet und Taylor Russell als beste Nachwuchsschauspielerin. Der Regisseur freut sich, dass sich das Publikum „trotz der gewalttätigen Prämisse“ auf die Liebe, von der in seinem Film erzählt wird, einlassen konnte. MEHR ALS HORROR Bones and All ist Guadagninos erster amerikanischer Film (ein zweiter ist bereits gedreht: Challengers mit Zendaya als Tennistrainerin, Release: Sommer 2023), und er freute sich über die Möglichkeit, mit einem Roadmovie in den USA anzukommen – also in einem Genre zu arbeiten, das (dramaturgisch) so viel Unerwartetes möglich macht, und sich mit seinem Film durch die „liebenswerte Schönheit des Mittleren Westens“ zu bewegen.
Am Thema Kannibalismus habe ihn vor allem interessiert, wie sie mit ihrer Lust umgehen. „Die jungen Charaktere wehren sich dagegen und kämpfen, sie prüfen einander und sich selbst mit der moralischen Frage, was sie sind, und versuchen dem, was sie sind, zu entkommen. Die Älteren haben ihren moralischen Kampf vergessen und sind zynisch geworden in Bezug darauf, wer sie sind.“ Er beschäftigte sich auch mit dem Thema Vermächtnis: Was lassen wir zurück, wenn wir verschwinden – vor allem, wenn wir von Menschen zum Verschwinden gebracht werden, die unseren Körper zerstören.
Die Horrorfilme, die er schätzt, seien immer die, die Codes des Genres ständig unterwandern und mehr erzählen als das reine Horror-Moment – wie etwa George Romeros’ filmische Essays, die etwas über Amerika zu sagen haben.
Für ihn sei Bones and All aber mehr ein Road Movie und ein Liebesfilm als im Horrorgenre anzusiedeln. „Ein Liebesfilm, der auch eine gewalttätige Story enthält. Vielleicht wird er vom Publikum endgültig als Horrorfilm wahrgenommen; das Publikum hat das Recht auf das letzte Wort. Aber wenn es nach mir geht, ist das ein Liebesfilm.“ #BonesAndAll
BONES AND ALL KINOSTART 25.11., USA 2022, REGIE Luca Guadagnino, MIT Timothée Chalamet, Taylor Russell, Michael Stuhlbarg, Mark Rylance, Chloë Sevigny, FILMLÄNGE 130 Min., © Warner Bros.