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The Menu
MAHLZEIT
Mit Hass gekocht
Ralph Fiennes bekocht die, die er verachtet. Anya Taylor-Joy kann nur staunen. „The Menu“ hat’s in sich.
Vor ein paar Jahren war Drehbuchautor Will Tracy (Succession) im norwegischen Bergen zu Besuch. In einem Boot ging es zu einem noblen Restaurant auf einer nahe gelegenen Privatinsel. Entspannend sollte der exklusive Abend nicht für ihn werden: „Ich neige zu Platzangst, und als wir am Tisch Platz nahmen, sah ich, wie das Boot, auf dem wir gekommen waren, gerade vom Dock ablegte“, erinnert sich Tracy. „Es war eine richtige kleine Insel. Und mir ging dieser eine Gedanke nicht mehr aus dem Kopf: Oh, wir stecken hier jetzt für Stunden fest. Was ist, wenn irgendetwas passiert?“
Passiert ist vor allem, dass er ab diesem Moment die Idee zu The Menu mit sich herumtrug.
Passiert ist jedenfalls nicht, was Anya Taylor-Joy (Last Night in Soho, Das Damengambit) und Nicholas Hoult (Warm Bodies, Mad Max: Fury Road) nun gemeinsam mit Ralph Fiennes (Grand Budapest Hotel, Der ewige Gärtner) darstellen. EIN UNVERGESSLICHER ABEND Margot (Taylor-Joy) steigt auf Einladung von Tyler (Hoult), einem unverbesserlich besserwisserischen Foodie, auf das Boot, das sie zu einem exquisiten Essen bringen soll. Sie beäugt die Geschehnisse mit leicht spöttischer Distanz: Das ist definitiv nicht ihre Welt. Zwölf Gäste finden heute Abend Platz im Restaurant von Sternekoch Slowik, das sich „Hawthorn“ nennt (für das die Crew sich u.a. mit realen Spitzen-
THE MENU KINOSTART 17.11., USA 2022, REGIE Mark Mylod, MIT Anya Taylor-Joy, Ralph Fiennes, Nicholas Hoult, John Leguizamo, FILMLÄNGE 107 Min., © The Walt Disney Company
häusern wie dem Noma und dem inzwischen geschlossenen El Bulli beschäftigte).
Pro Kopf kostet es $ 1.250 USDollar, um im „Hawthorn“ zu dinieren, in dem es nur Gerichte, die aus lokalen Zutaten hergestellt werden, gibt. Es gibt keine Einzeltische. Handys sind verboten. „Wir setzen alles daran, Ihnen einen unvergesslichen Abend zu bereiten“, sagt Elsa (Hong Chau, Downsizing), die rechte Hand von Chefkoch Slowik, zur Begrüßung zu den erlesenen Gästen – was fürs wissende Kinopublikum schon wie eine Drohung klingen kann, die Gäste aber noch nicht weiter irritiert. Die Stimmung wird spätestens beim zweiten Gang kippen – wenn der Abend in eine bedrohliche Richtung geht. KLEINSTER GEMEINSAMER NENNER Wer isst in so einem Etablissement? Natürlich die unverschämt, oft unverdient Reichen. Altes Geld, neues Geld, HollywoodGeld (John Leguizamo, Romeo + Julia) – alles kommt hier zusammen. Aber eben auch Foodies wie Tyler, die auf den Abend gespart haben. Was der kleinste gemeinsame Nenner der Gäste ist: Slowik hat ein Problem mit ihnen.
Slowik brennt für das, was er tut: Er ist voller Hingabe, wenn er Speisen zubereitet – nur macht er das fast nur noch für Leute, die das beflecken, was ihm mehr bedeutet als alles andere auf der Welt: Menschen, die sich herablassend verhalten oder immer etwas zu mäkeln haben, Menschen, die in jedem Moment ihre Privilegien ausleben müssen und andere vor den Kopf stoßen.
Das Personal bedient an den sechs Tischen des „Hawthorn“ Gäste, die stellvertretend für eine gewisse Art von Menschen stehen, die Chefkoch Slowik im Laufe seiner Karriere zur Weißglut getrieben oder respektlos behandelt haben – von der aufgeblasenen Restaurantkritikerin zum ewig meckernden Restaurantbesucher. Als Einzige sticht die Figur der Margot heraus: Sie ist ein unerwarteter Gast; die Begleitung des Foodies. Sie wird zu Slowiks Irritation und zu jemandem, den er als Gleichgesinnte anerkennt, wo sie dem Tamtam im „Hawthorn“ doch mit offener Verachtung begegnet.
EIN NICKEN, EIN BLICK Ralph Fiennes über seine Figur: „Er hat gelernt, die elitären Konsumenten zu verachten – und sich selbst, weil er sich von ihnen hat korrumpieren lassen. Es gibt Kunden, denen man es nie recht machen kann. Er ist ein Perfektionist und muss auf dieser Ebene der Perfektion für Menschen arbeiten, die es nicht wirklich zu schätzen wissen. Das Drehbuch war reizvoll, weil es diese gesamte Bandbreite von Figuren im Rahmen einer schwarzen Komödie ausbreitet.“
Vorbereitend hat er diverse Folgen von Chef’s Table geschaut und viel Zeit mit Sterneköchin Dominique Crenn verbracht, die dem Filmteam beratend zur Seite stand und auch das im Film zu sehende Menü kreierte. „Ich hatte dieses dumme Klischee im Kopf, dass es in der Küche chaotisch zugeht und der Küchenchef seine Mitarbeiter immer anschreit“, so Fiennes. „Aber als mir Dominique von ihrer Küche erzählte und wie sie bevorzugt arbeitet, setzte sich für mich Slowiks Küche mehr und mehr zusammen: Die Kontrolle und die Macht rühren daher, dass die Angestellten alles für ihren Chef und die Gerichte tun. Es geht nicht laut zu, niemand wird bedroht, es gibt keine Gewalt. Nur ein Nicken, ein Blick, kleine Anmerkungen zur Verbesserung oder Ermutigung.“ „Slowik ist eine höchst komplexe Figur“, merkt Regisseur Mark Mylod an. „Ich wollte seinen bedingungslosen Einsatz für die Hege und Innovation seiner Kunstform zeigen, die so weit geht, dass er sein eigenes Leben für sie aufs Spiel setzt – das ist faszinierend und außergewöhnlich. Ralph und ich waren entschlossen, diesen Charakter nicht als Karikatur zu zeigen. Wir wollten seine Menschlichkeit finden, seinen Schmerz, wir wollten seine Handlungen verstehen und verständlich machen. Weder wollten wir ihm verzeihen, noch wollten wir seinen Plan gutheißen, aber wir wollten ihm nach bestem Wissen und Gewissen einen Kontext geben und ihn so authentisch wie möglich zeichnen.“
Slowik befindet sich am Höhepunkt seines Schaffens, das „Hawthorn“ gehört ihm allerdings nicht. Er ist abhängig von Investoren. Am porträtierten Abend befinden sich drei Angestellte des Restaurant-Eigentümers unter den zwölf Gästen: junge TechTypen, die gewohnt sind, sich an einem üppigen Spesenkonto zu bedienen und für die durch Geld alles möglich ist – auch wenn sie selber ohne dickes Bankkonto aufgewachsen sind.
ALTMANS ERBE „Unser Ziel war es, diese Industrie mit großer Sorgfalt vorzuführen. Dafür wagten wir einen richtigen Drahtseilakt, einerseits sticheln wir gnadenlos, andererseits zollen wir dieser besonderen Kunstform und den daran beteiligten Menschen jederzeit Respekt“, so Regisseur Mylod. „Als ich zu dem Projekt kam, tauchte ich selbst erst einmal ein in diese Welt, um mich schlauzumachen, wie das alles funktioniert, wie groß der persönliche Einsatz und wie immens der Stress ist, Abend für Abend auf diesem außergewöhnlichen Level zu operieren. Es zerstört Menschen. Der Druck ist unermesslich.“ Den Autoren und Mylod war es wichtig, jeder Figur eine menschliche Seite abzugewinnen – auch denen, die nicht besonders sympathisch rüberkommen.
Mylod wollte im Stil der Ensemblefilme von Robert Altman arbeiten: wo sich alle Schauspieler am Set befinden. „Dafür brauchte ich Schauspieler, die intelligent und selbstsicher genug dafür sind – und bereit waren für jene Art von Improvisation, die sich aus einer solchen Situation ergibt.“ John Leguizamo zeigt sich sehr angetan davon: „Bei diesem Film dabei zu sein, war, als würde man einer Schauspiel-Masterclass beiwohnen. Als beispielsweise die Szenen mit Reed (Birney) und Judith (Light) (die ein altes, reiches Ehepaar spielen, Anm.) gedreht wurden, sahen ihnen die anderen Schauspieler zu und applaudierten danach. Und dann drehten Paul (Adelstein) und Janet (McTeer, Ozark) eine Szene, und alle anderen schauten zu und waren verzückt. Es war unglaublich.“
BEKÖMMLICHER HORROR Will Tracy und sein langjähriger Schreibpartner Seth Reiss (Late Night with Seth Myers) haben
eine Satire verfasst, die Mark Mylod (Succession, Game of Thrones, The Big White) pointiert und mit kühler Note inszeniert – eine Satire, die sich mit Klassenfragen beschäftigt und die auch schon als „Horrorfilm für Menschen, die sonst keine Horrorfilme vertragen“ bezeichnet wurde. Zu den Produzenten zählen Adam McKay (Don’t Look Up) und Will Ferrell.
The Menu ist ein sehr präzise gearbeitetes Kammerspiel, das Lust an unerwarteten Wendungen und am Demaskieren hat – und das sich in seiner erzählerischen Struktur an der Abfolge der Gänge eines Menüs orientierte: Auf dem Weg von Amuse-Bouche bis zum Dessert steigert sich die Spannung. Der Appetit wird auf der Seite der Gäste währenddessen sinken. Das Publikum wird weiter Lust auf den nächsten und übernächsten Gang haben: Denn das Script ist gleichermaßen abseitig, bissig, rund und humorvoll, die Inszenierung sehr bekömmlich, aber gut gewürzt (durch die durchwegs richtigen Töne – wie etwa die von Jazzmusiker Colin Stetson). The Menu flirtet gern mit dem Absurden, stellt dann aber auch die Frage, ob wir uns bewusst sind, wie wir mit denen umgehen, die uns bedienen. In (post)pandemischen Zeiten, in denen Restaurants kaum Personal finden, da sich das keiner mehr antun will, ist es wohl besonders angebracht, diese Frage präsent zu halten. #themenufilm
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