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Menschliche Dinge
Eine Nacht, zwei Perspektiven
„Menschliche Dinge“ nennt sich Yvan Attals gekonntes #metoo-Drama. In einer der Hauptrollen: Attals Frau Charlotte Gainsbourg.
Die Essayistin Claire (Charlotte Gainsbourg) hat sich von ihrem Mann, einem prominenten Fernsehjournalisten, getrennt. Endlich kann die feministische Intellektuelle ihren in den USA an einer Elite-Uni studierenden Sohn Alexandre, der auf Heimatbesuch in Frankreich ist, mit ihrem neuen Lebensgefährten, dem Literaturprofessor Adam (Mathieu Kassovitz), bekannt machen. Dessen Teenager-Tochter Mila schneit auch vorbei. Man versteht sich, es ist ein erfreuliches erstes Beschnuppern – so nett, dass Claire gar vorschlägt, dass Alexandre seine neue Stiefschwester mit auf die Party nimmt, zu der er jetzt aufbricht. Das böse Erwachen folgt auf dem Fuße: Am nächsten Tag sitzt Alexandre in Untersuchungshaft, die Anzeige lautet Vergewaltigung.
VERUNSICHERUNG DES BLICKS Aus dem skizzierten Albtraum schafft Yvan Attal (Die brillante Mademoiselle Neïla) ein kluges und nuanciertes #metoo-Drama. Er verfilmt damit den gleichnamigen Roman von Karine Tuil. (Tuils Inspiration für ihren Roman war wiederum der „Fall Stanford“.) „Die Geschichte hat mich umgehauen“, so Attal. „Ich war bewegt von dem Angeklagten – in dem ich meinen eigenen Sohn wiedererkannte – und bewegt von dem Opfer – in dem ich meine eigene Tochter wiedererkannte –, und ich identifizierte mich voll und ganz mit den Eltern der beiden jungen Leute, die in diesen Skandal verwickelt waren. Ich habe die Struktur der Geschichte – es gibt „ihn“ und dann „sie“ und schließlich den Prozess – so verändert, dass das Publikum Zeit hat, sie lieb zu gewinnen. Ich wollte wissen, woher sie kamen, wer sie waren, wie sich jeder von ihnen an den Abend vor dem Drama erinnerte, warum sie es für eine Vergewaltigung hielt und er dachte, dass sie ihre Zustimmung gegeben hatte.“
Yvan Attal schafft auch kleine Irritationen in der Charakterzeichnung seiner beiden Hauptfiguren, die bis zum Ende rätseln lassen, was in der besagten Nacht geschehen ist. War der Körperkontakt der beiden konsensuell oder nicht? War er es erst, blieb es aber nicht? War das Alexandre klar oder nicht? Attal gelingt auf elegante Weise eine Verunsicherung des Blicks des Publikums: Mila nimmt es mit der Wahrheit manches Mal nicht so genau. Der sanfte Alexandre kann schon auch übergriffig und aufbrausend sein – und das überraschend schnell. Erst das Schlussbild wird für Klarheit sorgen.
Als Claire besetzt Yvan Attal seine Ehefrau Charlotte Gainsbourg, der gemeinsame Sohn Ben Attal wird zu Alexandre. #menschlichedinge
MENSCHLICHE DINGE – LES CHOSES HUMAINES KINOSTART 25.11., F 2021, REGIE Yvan Attal, MIT Charlotte Gainsbourg, Mathieu Kassovitz, Ben Attal, FILMLÄNGE 138 Min., © Polyfilm