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In Zeitlupe Richtung Normalität

Generation auf Abstand In Zeitlupe Richtung Normalität

Die Corona-Pandemie ist und bleibt eine Herausforderung – auch oder gerade für die Jüngsten in der Gesellschaft. Mittlerweile dürfen zwar alle wieder in die Schule, zum Sport und ins Kino. Trotzdem: Jede Altersgruppe hat den Corona-Blues und hofft auf einen Sommer, in dem ein paar Abenteuer möglich sein werden.

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von julia fleiß

„Back to school“ hieß es Mitte Mai endlich für alle Schülerinnen und Schüler. Nachdem Schülervertreter/-innen schon lange die Öffnung der Schulen gefordert hatten, freuten sich die meisten nun richtig auf den normalen Schulalltag. Denn das Homeschooling, das anfangs durchaus cool und aufregend war, wurde immer mehr zur psychischen Belastung. Für viele heißt es jetzt: aufholen, lernen, Prüfungen ablegen und vor allem durchkommen. In Gemeinschaft und mit den Lehrer(inne)n in direkter Kommunikation dürfte das allerdings besser klappen als im Distance Learning. Mit sprachlichen Barrieren und dem Fehlen von technischem Equipment, Selbstdisziplin und Organisation hatte Distance Learning nämlich kein Erbarmen.

Superspreader-Image Gerade Teenager, die sich ohnehin in einer schwierigen Lebensphase befinden, hatten es pandemietechnisch nicht leicht. Sie waren seit Pandemiebeginn als Superspreader verschrien. Mussten auf Schule, Clubs oder andere Treffen mit ihren Freunden verzichten. In einem Alter, in dem man die aufregendsten Dinge mit Gleichaltrigen erleben sollte, hieß es plötzlich von allen Seiten nur: „Abstand halten!“ Nichts mit Klassenreisen, Sportturnieren oder Schulfesten. Das drückte bei vielen nicht nur etwas die Stimmung, es hatte oft gravierende Auswirkungen. Kinder- und Jugendpsychiatrien füllten sich mit antriebslosen, erschöpften jungen Patient(inn)en. Eine Studie der DonauUni Krems, die Anfang 2021 veröffentlicht wurde, zeichnet ein trauriges Bild der Jugend: Jeder zweite junge Erwachsene litt demzufolge an depressiven Symptomen. Ein Bild, das auch die niedergelassene Psychologin Mag.a Stephanie-Dominique Karigl bestätigt: „Für Kinder und Jugendliche, die meine Praxis aufsuchen, haben sich Lebensqualität und psychische Gesundheit deutlich verschlechtert. Viele berichten von Unwohlsein, Kopfschmerzen, Niedergeschlagenheit, Schlafproblemen oder Wut.“

Großer Vorteil dieser Generation ist jedoch, dass sie als Digital Natives nicht erst lernen mussten, wie man per FaceTime und Co. zumindest virtuell immer zusammensein kann. Nicht dasselbe wie „echte“ Kontakte – versichern Experten. Deshalb und weil Medienkonsum auch Suchtpotenzial hat, sollte jetzt darauf geachtet werden, dass die digitalen Chats wieder von echten Treffen abgelöst werden.

Taferlklassler in Coronazeiten Auch bei Volksschulkindern war der Frust teilweise groß. Kaum eingewöhnt und neue Freunde in der Klasse gefunden, hieß es auch schon wieder Lockdown und Homeschooling. Buchstabentage, Ausflüge und gemeinsames Werken fielen erst mal wieder aus. Nicht selten waren Einschlafprobleme, Bauchschmerzen oder Wutausbrüche die Folge des plötzlich aus den Fugen geratenen Alltags. „Soziale Kontakte und gemeinsame Lernprozesse, die in diesem Alter als zentrale Grundbedürfnisse gelten, fehlten plötzlich. Die daraus resultierenden Folgen für die sozial-emotionale Entwicklung sind nicht abschätzbar“, sagt Kinder- und Jugendpsychologin Mag.a Stephanie-Dominique Karigl. Denn auch wenn Ausgangsbeschränkungen und Homeschooling erst mal ein Ende haben, Ängste oder zumindest leise Zweifel an der Zukunft können auch bei Kindern bleiben.

Schluss mit dem Corona-Blues „Neben jenen Jugendlichen, die sich auf die Öffnung der Schulen gefreut haben, erlebe ich in meiner Praxis auch jene, die die schulische Motivation in den vergangenen Monaten völlig verloren haben, sodass das Wiedereröffnen der Schulen noch mehr Frust gebracht hat“, erzählt Mag.a Karigl. Dabei spielen Versagensängste und Leistungsdruck eine große Rolle. Manche Kinder muss man auf dem Weg zurück in den normalen Alltag vielleicht behutsamer begleiten als andere. Aufpassen, dass in der Schule nicht zu großer Druck aufgebaut wird und sie auch in ihrer alten Clique wieder ihren Platz finden.

Insgesamt stehen die Zeichen gut, die drückenden Lockdowns hinter sich zu lassen und mit neuem Elan in den Sommer zu starten. Die Temperaturen steigen, die Corona-Zahlen fallen und mit ihnen auch viele einschränkende Maßnahmen. Besuche im Prater, Zoo oder Kino können nach so langer Abstinenz durchaus noch mehr Glücksmomente auslösen als früher. Die Kleinen blühen auf, weil sie wieder zum Turnen und ins Schwimmbad dürfen, die Größeren stürmen ins Fußballtraining oder in ihr Lieblingslokal. Zurück zu den früheren Gewohnheiten zu finden, ist laut Expertin natürlich einfacher als umgekehrt: „Kinder werden sich rasch wieder an die wiederkehrende ,Normalität‘ gewöhnen, wenn Eltern auch hier als Vorbild fungieren. Und ihnen zum Beispiel zeigen, dass Nähe ein schönes Gefühl erzeugen kann“, räumt Mag.a Karigl Bedenken aus dem Weg, dass die Jugend den viel zitierten Abstand zu sehr verinnerlicht haben könnte.

Das letzte Jahr war hart für die Kinder: Zu Hause bleiben, Abstand halten und selbstständig lernen standen auf dem Programm und überforderten viele. Eltern gut – alles gut Die große Frage, die sich Eltern stellen: Wie kann ich mein Kind in dieser Zeit am besten unterstützen? Wenn es trotz Öffnungen nicht aus dem Corona-Blues herausfindet? Laut Expertin gilt: Wenn sich Nachwirkungen der Pandemie bei den Kids bemerkbar machen – keine Panik! Es sind jene Werte wichtig, die auch abseits einer Pandemie gelten sollten: zuhören und wenn nötig unterstützen, aber in jedem Fall auch Freiraum lassen. Letzteres haben wir in Zeiten der Pandemie ohnehin schon verinnerlicht und wirkt sich vielleicht positiv auf eine ausgewogene Beziehung zwischen Eltern und Pubertierenden aus: da sein, aber ruhig auch etwas Abstand halten.

Mode von Bobo Choses, www.bobochoses.com

Interview Mag.a Stephanie-Dominique Karigl Wie können Eltern unterstützen? Sie sollten zur Kenntnis nehmen, dass ist klinische Psychologin und Kinder auch echte Sorgen haben können. Gesundheitspsychologin mit Schwerpunkt auf Sie fragen, ihnen zuhören, bevor man sich Kinder-, Jugend- und Familienpsychologie. ein Bild macht. Nicht panisch werden! Erst Albertplatz 1/2, 1080 Wien & Klosterneuburg, einmal keinen Druck au auen, weder für www.kipsy.at sich selbst noch für das Kind. Herausfi nden, ob es selbst Erklärungen und Bewältigungsstrategien hat und ergründen, ob wirklich das Kind Anlass zur Sorge gibt Was war bisher das Schlimmste an der Pandemie – oder die Erwartungen, die man selbst für Kinder und Jugendliche? an es stellt. Kinder brauchen gerade jetzt Stephanie-Dominique Karigl: Nach mehr als einem Sicherheit und Geborgenheit. Große ErJahr Corona-Pandemie macht sich eine Pandemie- ziehungsmaßnahmen und Strafen müssen Müdigkeit in allen Altersgruppen bemerkbar. in solchen Zeiten nicht sein. Stattdessen Anfangs waren Ängste wie „Könnte es mich oder meine Bezugsper- sollten sie ihr Kind positiv bestärken und sonen auch tre en?“ präsent, mittlerweile machen sich Gefühle breit zum erwünschten Verhalten motivieren. wie „Ich möchte mich nicht mehr an die Maßnahmen halten und wieder alles ohne Einschränkungen erleben dürfen“. Im Allgemeinen Wie gehen Kinder um mit einem Jahr fehlten ihnen ihre Freunde und der persönliche Austausch über die voller Botschaften wie „Ich bin eine medialen Möglichkeiten hinweg. Nicht nur die kognitive, sondern Gefahr für andere, andere sind eine auch die psychosoziale Entwicklung von Kindern und Jugendlichen potenzielle Gefahr für mich“ oder „Wenn hat stark an fehlenden Bildungsangeboten gelitten. Weiters sind ich Oma und Opa umarme, könnten sie Kinder und Jugendliche deutlich weniger motiviert, Bewegung zu sterben“? machen und verbringen mehr Zeit vor ihrem Smartphone oder am Kinder sind anpassungsfähig, kommen mit PC. Hinzu kommt, dass die fi nanzielle Situation professionelle Unter- neuen Situationen grundsätzlich sehr gut stützung teilweise unmöglich macht. Hier sollte längst die psycholo- zurecht und können an Herausforderungische Betreuung auf Krankenschein stattfi nden. gen wachsen. Vor allem dann, wenn die Personen, die ihnen wichtig sind, einen Spüren Sie die große Erleichterung bei Kindern und Jugendli- Weg fi nden, die Herausforderungen zu chen aufgrund der vielversprechenden Ö nungsschritte? meistern. Zugleich lassen tägliche BeJede Krise hat zwei Gesichter: Schülerinnen und Schüler erleben richterstattungen über Corona-Fallzahlen mit der Schulö nung wieder einen geregelten Alltag und kön- oder Abstandsregeln auch Kinder nicht nen Freunde regelmäßig sehen. Das erleichtert viele und ist ein unberührt. Bei nicht wenigen lösen sie Ho nungsschimmer für die Zukunft. Auch das Familienleben wird Unsicherheit, Sorgen und Ängste aus. Ich wieder entspannter, da die Verantwortung für Bildung wieder zu den rate Eltern, das Thema o en anzuspreExperten – den Lehrern – zurückkehrt. Tatsache ist aber, dass die chen. Dabei können Malen, Geschichten Pandemie verdaut werden muss und nicht von einem Tag auf den Erzählen und andere spielerische Aktivianderen für jeden vergessen ist. Für viele wird es schwierig, den täten helfen. Altersadäquate Erklärungen veränderten Tag-Nacht-Rhythmus wieder an die Schule anzupassen, über das Virus und seine Folgen helfen vor allem, weil die Zeit bis zum Ende des Schuljahres nicht mehr Kindern außerdem, mit ihren Ängsten lange ist. In regelmäßiger psychologischer Betreuung können hier besser umzugehen. aktiv die Vorteile des schulischen Alltags erarbeitet und Motivation zurückgewonnen werden. Die gute Nachricht: Kinder sind extrem anpassungsfähig: Sie haben sich teilweise rascher an Welche Reaktionen auf die Situation sind „normal“ und ab wann Masken & Co. gewöhnt als wir Erwachsene.

sollte man hellhörig werden und Unterstützung suchen?

Es ist nicht selten schwierig, zwischen normalen Sorgen und schwerwiegenden Problemen zu unterscheiden. Zwischen Phase und Zustand. Die vielen Übergänge, die zum „Großwerden“ dazugehören, beinhalten aufgrund der sich ständig verändernden Körper- und Gehirnstrukturen alle möglichen Begleitumstände: Wutausbrüche, Trauer, Euphorie, mal Sehnsucht nach Nähe, mal Bedürfnis nach Abgrenzung. Ist das noch normal – oder schon gefährlich? In allen Phasen der Kindheit und Jugend gilt: Eltern müssen ihren Kindern Freiheit lassen. Wenn psychische Au älligkeiten wie etwa Veränderung des Essverhaltens, extreme Wutausbrüche, Niedergeschlagenheit oder Schlafprobleme länger als vier Wochen andauern, sollte ein Arzt/eine Ärztin oder ein Psychologe/eine Psycholgin aufgesucht werden. Schon im Erstgespräch können weitere Schritte angeraten oder Befürchtungen entkräftet werden. Das entlastet Eltern und Kinder.

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