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Geschichte einer Kindheit
Geschichte einer Kindheit Lizz Görgl
Hunderttausende haben mitgefiebert, als sie in ihrer aktiven Zeit zu olympischen und Weltcup-Medaillen in Abfahrt, Riesenslalom und Super-G raste. Ihre professionelle Karriere als Rennläuferin hat sie 2017 beendet – von Ruhe kann aber keine Rede sein: Lizz ist als Sängerin, aber auch als Vortragende, Studierende und Werbeträgerin weiterhin sehr aktiv. Tipi hat mit ihr über ihre Kindheit geplaudert. von peter zirbs
Tipi: Lizz, was ist das Erste, an das du
dich erinnern kannst?
Lizz Görgl: An das Schwammerlsuchen und ans „Beerenklauben“, wie meine Mama immer auf Tirolerisch sagt; an die Holzarbeiten, ans Wandern … Und natürlich ans Skifahren im Winter. Ah ja: An das Mülltrennen erinnere ich mich auch – da war unser Vater nämlich sehr genau.
Wie können wir uns die Umgebung vorstellen, in der du aufgewachsen bist?
Wir, das sind meine Eltern sowie meine zwei älteren Brüder Andreas und Stephan, sind in der Bergsiedlung 11 in Parschlug aufgewachsen. Das ist eine ruhige, wenig befahrene Siedlung mit einem Fußball- beziehungsweise Spielplatz in 200 Meter Entfernung und einem angrenzenden Wald mit Bach. Um es ganz korrekt zu sagen: Mein erstes Lebensjahr bin ich am Berg auf der „Alm“, dem Geburtshaus meines Vaters bei St. Lorenzen, aufgewachsen.
Wir Kinder schliefen auf einer Art Matratzenlager, wobei ich meinen eigenen Bereich hatte. Durch die Kästen konnte man durchkrabbeln, das war recht lustig und perfekt zum Versteckspielen. Ich weiß noch, dass ich ganz unbeschwert schon mit drei, vier Jahren in der Nachbarschaft mit meinem lauten Ratschen-Spielzeugdackel im Schlepptau herumspaziert bin und einen Mordslärm gemacht habe.
Wie war deine Kindergartenzeit?
Ich weiß, dass ich Turnen, Singen, Tanzen und Zeichnen geliebt habe – und wir haben immer „Wer fürchtet sich vorm schwarzen Mann“ gespielt. Dann kann ich mich noch erinnern, dass ich mal beim Theaterstück „Hänsel und Gretel“ die Hexe war … Aber ich glaube, ich war eine freundliche Hexe :)
Wo warst du in der Volksschule?
Ich war in Pogier in der Volksschule und ging sehr gerne in die Schule, weil da war immer was los. Etwa mein geliebtes Turnen
Skigefahren ist Lizz schon früh, und sehr oft war sie dabei schneller als die anderen – auch schon im Alter von 14 Jahren, wie hier auf diesem Foto.
– und außerdem mochte ich meine Frau Klassenvorstand sehr gerne. Nur einmal, da musste sie kurz vom Turnunterricht weg und meinte, wir sollen uns ruhig verhalten. Wie sie draußen war, hänselten mich die Burschen, und ich habe dann einem von ihnen in den Bauch geboxt – so fest, dass er weinen musste. Als die Lehrerin wieder zurückkam, schimpfte sie mit mir und meinte sogar, ich würde im Semesterzeugnis einen Zweier in Turnen bekommen. Das war für mich natürlich die Höchststrafe.
Außerdem kann ich mich erinnern, dass ich immer gerne gesungen habe – in vermeintlichem Englisch. Ich konnte natürlich mit sechs oder sieben Jahren noch kein Englisch, aber irgendwelche Laute, die zumindest so ähnlich klangen. Die gab ich eben zum Besten, und das auch während der Unterrichtsstunden. Die Lehrerin ermahnte mich oft und drohte mir, dass ich mich in die Ecke stellen müsse, wenn ich nicht aufhören würde. Was dann auch so geschah, weil ich gar nicht mitbekommen habe, dass ich singe. Da war ich wohl ganz in meiner eigenen Welt. Ja – ich weiß, dass ich mit knapp drei Jahren das erste Mal auf Skiern stand. Ich glaube, ich habe es sofort geliebt. Mir wurde erzählt, dass ich komplett angstbefreit den Berg runter Schuss fuhr. Ich kann mich erinnern: Einmal fuhr ich meiner Mama nach, und die Aufgabe war, ihre Bogen nachzufahren – aber ich schaffte die Kurve nicht und fuhr geradewegs in den Stacheldrahtzaun. Zum Glück war ich so klein, dass es nicht das Auge erwischt hat. Aber die Narbe über dem Auge hab ich noch.
Und wie war das, einen älteren Bruder zu haben, der auch Skifährt?
Mich hat das motiviert. Stephan fuhr ja sein erstes Rennen geheim und kam dann mit einem Pokal nach Hause. Dann dachte ich mir, das möchte ich auch, und schon war ich mit von der Partie. Peter Kropf sen. war damals ein sehr engagierter Rennfahrervater und selbst Hobbyrennfahrer. Er förderte uns und fuhr mit uns und seinem Sohn Peter Kropf jr. zu allen Rennen. Meine Mutter wollte das mit dem Rennfahren eigentlich gar nicht so, aber nachdem Peter das alles übernahm und wir eine Riesengaudi hatten, hat es dann gut gepasst.
Wie hat deine weitere schulische Laufbahn ausgesehen? Und wie hat sich das mit dem Skifahren weiterentwickelt?
Mein Bruder Stephan wollte mit 12 Jahren in die Skihauptschule Schladming gehen, weil er feststellte, dass er ohne auf ihn abgestimmte Infrastruktur keine Chance beim Rennfahren hat. Also machte er die Aufnahmeprüfung, bestand sie und wechselte von der 2. Klasse Gymnasium in Kapfenberg in die 3. Klasse Skihauptschule Schladming. Als wir ihn am Tag der offenen Tür besuchten, beschloss ich, dass ich da auch hingehen möchte, weil es mir so gut gefiel – und machte ebenfalls die Aufnahmeprüfung.
Ich hatte anfangs einen großen Trainingsrückstand und schaffte die Aufnahmeprüfung mit einer schlechten Vier im
Interview
Lizz Görgl
Skifahren, aber ich bekam trotzdem eine Chance. Drei Monate später war ich im Skifahren die Beste in der Klasse. Ich war so dankbar, an diesem Ort zu sein; ich saugte alles auf, was der Trainer sagte und lebte meine Leidenschaft für diesen Sport. In den vier darau olgenden Jahren habe ich fast jedes Rennen gewonnen, wurde zweimal ino zielle Weltmeisterin in der Schülerklasse, durfte nach Kanada zu Schülervergleichskämpfen fl iegen und war voll in meinem Element. Mit 15 wechselte ich dann ins Skigymnasium Stams, weil ich die Matura machen wollte. Leider verletzte ich mich dann im zweiten Jahr am Kreuzband, kam aber aufgrund meines technischen Könnens trotzdem in den ÖSV-Kader – was eine große fi nanzielle Erleichterung für meine Eltern bedeutete. Ein Jahr darauf verletzte ich mich nochmals am rechten Kreuzband, kämpfte mich aber erneut zurück, um dann mit 20 wieder einen Kreuzbandriss zu haben … diesmal links. Meine Mutter meinte damals: „Aller guten Dinge sind drei“ – und sie sollte recht behalten: Ich hatte danach nie wieder eine schwere Verletzung, und dafür bin ich sehr dankbar.
Wie habt ihr Weihnachten gefeiert?
Wir haben zu Weihnachten gerne gesungen und gegessen. Ab 19 Uhr sind wir dann immer bei meiner Oma und der Großfamilie gewesen. Ich kann mich erinnern, dass ich mal einen Brief ans Christkind schrieb, ihn am Fensterbankerl versteckte und dann jeden Morgen schaute, ob er wohl schon weg sei. Dann war es so weit, und ich bekam am Heiligen Abend tatsächlich die Puppe, die ich mir gewünscht hatte. Jahre später fand ich dann allerdings den selbst gebastelten Brief hoch überm Kühlschrank hinter der Hausapotheke. Da war mein Traum vom Christkind leider geplatzt.
Wie hat es mit Urlaub ausgesehen?
Wir sind nie auf Urlaub gefahren. Wir waren im Sommer meistens auf der Alm, wo wir wanderten, Schwammerln suchten oder Beeren klaubten. Aber mit 12 Jahren durfte ich mit meiner Firmpatin das erste Mal ans Meer nach San Vincenzo: Es war großartig! Ich liebe ja das Meer – immer noch. Und dann war da natürlich meine erste Flugreise mit 13 Jahren: Das war zwar kein Urlaub, aber ein Riesenabenteuer. Damals gleich 14 Stunden über den Ozean nach Vancouver zum Whistler Mountain Cup fl iegen – unglaublich. Dort maßen sich die Besten der ino ziellen Weltmeisterschaft in Italien, bei der 46 Nationen am Start waren, mit den Besten aus Nord- und Südamerika. Ich konnte zwei Mal gewinnen – unfassbar.
Wer waren die Stars deiner Kindheit?
Einer der Ersten, der mich begeistert hat, war David Hasselho – sowohl die Serie „Knight Rider“ als auch seine Musik. Später waren es Michael Jackson, Johnny Depp sowie „Beverly Hills 90210“. Sportlich war mein großes Vorbild die Vreni Schneider; Pirmin Zurbriggen fand ich auch cool. Und ein bisschen später natürlich Hermann Maier.
Gab’s Kino- oder Konzertbesuche?
Ja, Musik und Tanz habe ich immer schon geliebt. Oft habe ich stundenlang vor dem Ganzkörperspiegel im Keller irgendwelche Moves, die ich von MTV abgeschaut hatte, geübt. Natürlich bin ich auch gerne ins Kino gegangen – das war was Besonderes. Mit 12 war ich bei meinem Ausfl ug zur Firmung sogar in Wien: in der zweiten Reihe beim Musical „Grease“. Das war absolut fantastisch! Ich bin sogar vom Sitz gesprungen und hab zu tanzen begonnen. Eine MusicalAusbildung war auch ein Traum von mir.
Fasching war ein willkommener Anlass, sich das Gesicht zu bemalen. Am zweiten Bild sehen wir Lizz mit ihrer Mama, rechts daneben beim Kekserlbacken – und selbstbewusst bei der Siegerehrung des Steirischen Schülercups.
Welche Rolle hat aktives Musizieren in deiner Kindheit und Jugend gespielt?
Ich habe immer sehr gerne und sehr viel gesungen – auch im Chor im Internat. Zu Hause hab ich auf unserem Keyboard herumgeklimpert; für Unterricht war dann aber nicht wirklich Zeit. Und ich war ein riesiger Guns N’ Roses-Fan.
Herausforderndste und schönste Zeit?
Die schwerste Zeit war mit Sicherheit die Zeit in Stams mit der schulischen und sportlichen Doppelbelastung sowie meinen drei Verletzungen. Die unbeschwerteste Zeit waren, fi nde ich, die Jahre im Kindergarten und in der Volksschule.
Womit hat deine Kindheit geendet?
Ich denke, die bestandene Matura war dahingehend ein einschneidender und wichtiger Moment.
ÜBER LIZZ GÖRGL
Geboren ist Elisabeth „Lizz“ Görgl am 20. Februar 1981 in Bruck a. d. Mur in der Steiermark. Im Laufe ihrer Karriere als Skirennläuferin gewann sie zwei Mal Gold bei den Alpinen Skiweltmeisterschaften 2011 in Garmisch-Partenkirchen und einmal Bronze bei der WM in Val d’Isère 2009, zwei Mal Bronze bei den Olympischen Winterspielen 2010 in Vancouver und belegte unzählige Podest- und Spitzenplatzierungen im Alpinen Skiweltcup. Nach ihrem Rücktritt vom Rennsport startete sie erfolgreich ihre zweite Karriere als Sängerin und gibt als Vortragende ihre Erfahrungen zu den Themen Leistungsbereitschaft, Motivation, Durchhaltevermögen und Krisenmanagement weiter. Darüber hinaus ist sie als Trainerin in den Bereichen körperliche Fitness, Stressabbau, Koordination und Kraft tätig und belegt aktuell ein Masterstudium für systemische Personal- und Organisationsentwicklung. Infos zu Lizz Görgl auf www.Lizz.at und ihren Social-Media-Kanälen, YouTube, Spotify etc. Und wer mit Lizz trainieren möchte, kann das mit der „Fit mit Lizz“-App tun.