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Darf ich vorstellen: dein Becken
Der Seitstütz ist eine gute Übung, um den Beckenboden nach einer Geburt zu stärken.
Darf ich vorstellen: dein Beckenboden
Nach einer Geburt stehen neben neuen Aufgaben mit unseren Babys auch Herausforderungen mit einem „neuen“ Körper am Tagesplan. Physiotherapeutin Judith Lengauer weiß, wie der Beckenboden funktioniert, welche Aufgaben er hat und wie wir unsere kraftvolle Mitte wieder stärken können. von judith lengauer
Der Beckenboden zählt wohl zu den unbekanntesten und am wenigsten besprochenen Muskelgruppen im ganzen Körper. Jede von uns kennt durch Fitnesskurse, Studios oder Online-Work-outs die essenziellen Muskelgruppen für einen knackigen Po, einen schönen Bauch und Übungen für den Rücken ... Aber was ist mit deiner kraftvollen Mitte?
Du hast im Laufe deiner Schwangerschaft vielleicht schon von deiner Ärztin oder Hebamme verschiedenste Definitionen und Beschreibungen vom geheimnisvollen Beckenboden gehört: Stell dir vor, dein Beckenboden ist wie eine Waschmaschine in deinem Haushalt. Immer vorhanden, total selbstverständlich, immer in Gebrauch, sodass seine Existenz nicht mehr wirklich wertgeschätzt wird. Und es wird schon gar kein Gedanke an Pflege verschwendet. Geht deine Haushaltshilfe doch eines Tages kaputt oder läuft aus, bricht eine kleine Welt zusammen. Genau so ist es, wenn dich dein Beckenboden nicht mehr richtig unterstützen kann – zum Beispiel nach einer Geburt.
Wer oder was ist mein Beckenboden?
Dein Beckenboden ist ein Wunderwerk und ein komplexes Muskelgeflecht – deine kraftvolle Mitte. Dieses Muskelgeflecht zählt in unserem Körper zu den wichtigsten Muskelgruppen. Somit sollte er unbedingt in den Trainingsplan integriert werden und im Kopf als „trainierenswert“ eingespeichert sein.
Dein Beckenboden verschließt das Becken und somit die ganze Rumpfkapsel nach unten hin und besteht, etwas heruntergebrochen, aus drei Muskelschichten. Diese kommen und ziehen in verschiedene Richtungen am knöchernen Becken. Vom Schambein nach hinten zum Steißbein und von links nach rechts.
Bei einer Geburt muss sich dein Beckenboden extrem dehnen, damit dein Baby das Licht der Welt erblicken kann. Und nicht zu vergessen die neun Monate Babygewicht – die strapazieren deinen Beckenboden ebenso. Somit wird auch bei einem Kaiserschnitt der Beckenboden nicht verschont. Und wenn man sich den Kopfdurchmesser unserer kleinen Schätze ansieht, wird klar, dass der Beckenboden hier eine ganz neue Dimension von Dehnung erlebt hat.
Dabei sind nach einer Entbindung Beschwerden wie Senkungsgefühl, Fremdkörpergefühl in der Vagina, unkontrollierter Harn- oder Stuhlverlust oder ein Instabilitätsgefühl im Rumpf bei manchen Bewegungen bis zu einem gewissen Grad physiologisch. Du bist also nicht alleine damit. Diese Gefühle oder Problemchen können auch erst nach Monaten bei neuen Bewegungen oder einer weiteren Schwangerschaft auftreten und wahrgenommen werden.
Trampolinspringen? Sicher doch!
Es ist also wichtig, deinen Beckenboden nach einer Schwangerschaft auch ohne akute Einschränkungen im täglichen Leben präventiv zu trainieren. Zu den Aufgaben deines Beckenbodens gehören die Haltefunktionen deiner Organer wie Blase, Gebärmutter und Enddarm sowie
5 SIMPLE BECKENBODEN-REGELN
• Aufrecht bleiben beim Husten, Niesen, Lachen • Kein Pressen auf dem WC • Kräftiges Anspannen nach jedem WC-Gang • Alltagsintegration • Keine einengende Kleidung
Judith Lengauer
ist Physiotherapeutin mit Schwerpunkt Orthopädie, Onkologie und Beckenboden und vor Kurzem Mutter geworden. Sie arbeitet in eigener Praxis in Untervisnitz und gibt auch online Rückbildungskurse.
physiotherapie-lengauer.at
Schließfunktion von After, Scheide und Harnröhre und nicht zu vergessen die Sexualität! Wenn du dir deinen Körper ansiehst, wirst du bemerken, dass dein Beckenboden täglich gegen die Schwerkraft arbeiten muss und mit dem Gewicht deiner Organe zurechtkommen soll. Dabei wird jetzt wohl klar, welcher zusätzlichen Belastung dein Beckenboden während einer Schwangerschaft und bei der Geburt ausgesetzt ist und warum eine gezielte Kräftigung nach einer Entbindung von großer Bedeutung ist.
Aber bitte keine Panik! Dein Beckenboden reagiert und arbeitet wie jeder andere Muskel im Körper. Er kann durch gezielte Übungen gekräftigt werden. Und wie immer gilt der Leitspruch: „Use it or lose it.“
Sei eine „Power-Mami“, die problemlos Trampolinspringen kann, ohne Angst lacht und ein erfülltes Sexleben hat – also nichts wie ran an das Beckenbodentraining!
Alles subjektiv
Ich bin selbst vor Kurzem Mama geworden und durfte dadurch all mein erlerntes Wissen am eigenen Körper umsetzen, wahrnehmen und Neues dazulernen.
Bereits die Monate vor der Geburt stand Beckenbodentraining wöchentlich als Vorbereitung auf die anstehende Geburt auf dem Programm, um mir und meinem Körper zuliebe für die Zeit nach der Geburt gut vorbereitet zu sein. Dennoch ist auch mein Beckenboden definitiv nicht so wie vor der Geburt. Ich muss mich genauso wie andere Frauen stark konzentrieren, wenn bei spontanem Harndrang keine Toilette in der Nähe ist oder ich beim Stillen niesen muss. Durch meine Vorbereitung und das nötige Wissen über die Beanspruchung unseres Beckenbodens weiß ich, dass solche Situationen völlig okay sind und mein Beckenboden durch Geduld, Zeit und ein angepasstes Training alles wieder meistern wird können.
Nachdem mir meine Patientinnen tagtäglich davon erzählen, wie sie das Gefühl nach der Geburt im Beckenboden subjektiv wahrnehmen, kann ich nur sagen: Meine Wahrnehmung würde ich ganz anders beschreiben. Und genau diese Diversität ist normal und wunderschön!
Online-Kurs „Beckenboden“
Wann: 27.10.–15.12.2022; jeden Do 9:30–10:30 Uhr
Anmeldung und weitere Infos:
0650/280 49 38 Physiotherapie.lengauer@gmail.com physiotherapie-lengauer.at • Live-Kurs 8 x 60 Minuten online via
Zoom (vorab Anamnesebogen zum
Kennenlernen der Bedürfnisse) • Nach jeder Einheit gibt’s ein abgestimmtes Video für zu Hause und zwischendurch.
• Im Kurszeitraum werden immer wieder kleine Aufgaben bereitgestellt, um dich und deinen Beckenboden zusammenzuschweißen. Diese kannst du durchführen, wann immer du Zeit und Lust dazu hast.
• Du kannst den Kurs gerne MIT deinem kleinen Schatz absolvieren – für Stillen und andere Bedürfnisse ist genügend Zeit. • Du brauchst eine Matte und ein bequemes Outfit, einen Gymnastikball, so vorhanden, oder einen Sessel und eine Kuscheldecke. Der Kurs soll
DICH als Mama, Frau und Freundin stärken und dich in den Austausch mit anderen Mamis bringen.
KREUZ UND QUER Lege dich auf deinen Rücken und winkle deine Beine an. Hebe ein Bein 90 Grad an. Bei der nächsten Ausatmung aktivierst du deinen Beckenboden und presst deine Hand gegen dein gegenüberliegendes Knie. Halte diese Spannung für einige Sekunden. Beim Lockerlassen darf auch der Beckenboden wieder entspannt werden. Wiederhole diese Übung pro Seite 10–12 Mal bei drei Durchgängen.
FLIEGENDE BEINE Schnappe dir einen Sitzkeil oder ein zusammengerolltes Handtuch. Lege dich gemütlich auf deinen Bauch und platziere den Keil auf Höhe deiner Beckenknochen. Aktiviere nun beim Ausatmen deinen Beckenboden und führe deine Beine hoch und wieder tief. Am Boden angekommen, kannst du deinen Beckenboden wieder entspannen. Wiederhole diese Übung 10–12 Mal bei drei Durchgängen.
SCHULTERBRÜCKE Lege dich auf den Rücken und winkle deine Beine an, dein Baby nimmt Platz in deinem Schoß. Aktiviere nun deinen Beckenboden und hebe während der Ausatmung dein Gesäß und senke es wieder. Am Boden angekommen, kannst du deinen Beckenboden wieder entspannen. Wiederhole diese Übung 10–12 Mal bei drei Durchgängen.