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Geschichte einer Kindheit

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Wir sind weg

Wir sind weg

Geschichte einer Kindheit Severin Groebner

Im Helmut-Qualtinger-Hof in Wien-Döbling aufgewachsen, scheint es im Nachhinein geradezu Vorbestimmung gewesen zu sein, dass aus ihm ein erfolgreicher Kabarettist werden sollte: Längst ist Severin Groebner nicht nur durch seine Bühnen- und TV-Auftritte bekannt, sondern wurde auch mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Tipi hat mit ihm über seine Kindheit und Jugend geplaudert. von peter zirbs

Tipi: Severin, was ist das Erste, an das

du dich erinnern kannst?

Severin Groebner: Ich, mit drei oder vier Jahren, im Winter auf einer Rodel bei dem kleinen Hügerl beim Nebenhaus, und ich fahre, wahrscheinlich zum ersten Mal alleine, dieses Hügerl runter. Und war sehr aufgeregt. Das war in der Wohnhausanlage des Helmut-Qualtinger-Hofs in Döbling in Wien. Dort ist es, wie in ganz Wien, ein bisserl hügelig. Das ist ja das Schöne an Wien: Wenn man auf der – die Floridsdorfer werden mich dafür hassen – richtigen Seite geboren ist, muss man zur Innenstadt nur noch runterrollen.

Wie war deine Kindergartenzeit?

Ich hatte einen Freund im Kindergarten, an dem habe ich – zum ersten und zum letzten Mal – mein verhandlungstechnisches Geschick ausprobiert: Ich habe mein schlechtes Matchbox-Auto gegen seinen super aufklappbaren Range Rover mit auswechselbaren Reservereifen mittels purer Eloquenz eingetauscht. Einerseits war ich sehr stolz, hatte aber andererseits ein schlechtes Gewissen. Ich tauge nämlich nicht zum Kapitalisten und wusste ganz genau, dass ich ihn bescheiße.

Im Kindergarten habe ich meinen ältesten Freund kennengelernt, mit dem ich noch heute befreundet bin. Ansonsten kann ich mich dunkel an die liebe Tante und an die böse Tante erinnern. Und an den Schock, wenn man vom Kindergarten in die Schule kommt: Jetzt ist man schon wieder der Kleine. Und dann beim Eintritt ins Gymnasium wieder! Alles, was man vorher in vier Jahren erreicht hat, wird gestrichen. Das fand ich unfair.

Und dann die Volksschule ...

Ich musste fast die ganze Daringergasse entlanggehen, und dann die AlfredWegener-Gasse. Der war ja ein berühmter Meteorologe und Geowissenschaftler – daher auch meine große naturwissenschaftliche Karriere. Dort war jedenfalls die Neulandschule; eine liberale, aufgeklärte katholische Volksschule. Klingt wie ein Widerspruch in sich, aber so was gab’s in den 70er-Jahren.

Wie ist es dir dort ergangen?

In der Volksschule habe ich mich immer als Außenseiter gefühlt. Das hat sich bis in die ersten zwei Jahre Gymnasium gezogen. Wenigstens hatte ich nicht die schlimmste Lehrerin gehabt; meine war zwar auch hantig, aber nicht so wie die gefürchtete Lehrerin Christine. CHRISTINE! Die hat immer so geplärrt. Man hat in der ganzen Volksschule gehört, wie CHRISTINE! ihre Klasse zur Sau macht. Das war so eine ganz Kleine, Dünne, Zache – aber ihr Organ … Sie hatte einen Pagenkopf, der mich an Mireille Mathieu erinnerte. Bis heute habe ich deshalb ein Problem mit Mireille Mathieu, was der wiederum wahrscheinlich ziemlich wurscht sein wird. Und meine großen Brüder, die immer die coolen Säcke für mich Kleinen waren, die haben auch gezittert vor Christine. Ich glaube ja, dass mein ganzes Verhältnis zum Christentum aufgrund von Christine schwer gestört ist. Ich hatte jedenfalls die liebere Lehrerin, die Annemarie. Was ich gehasst habe, waren diese Gedächtnisübungen. Also drei Sätze auswendig zu lernen und dann fehlerfrei aufzuschreiben. Furchtbar! Und jetzt habe ich einen Beruf, wo ich Sätze aufschreibe und sie dann selbst auswendig lerne. Offenbar versuche ich, dieses kindliche Trauma immer noch aufzuarbeiten. Aber immerhin habe ich damit Erfolg: Auch wenn ich sonst nichts im Leben erreicht haben sollte – der Gedächtnisübung habe ich ein Schnippchen geschlagen.

Wie lief es im Gymnasium?

Meine Gymnasialkarriere war eine längere als vorgesehen: Ich bin nämlich zwei Mal durchgefallen; in der fünften und siebten Klasse. Ich komme aus Döbling, was bis inklusive Volksschule relativ wurscht war. Ich komme aus einem Gemeindebau und hatte einen bildungsbürgerlichen Hintergrund. Ich ging dann ins Döblinger Gymnasium – eine selbsternannte Eliteschule. Außerhalb der Schule weiß das niemand, dass es ein Elitegymnasium ist, dafür wissen es die drinnen umso besser. Ich bin mir vorgekommen wie in einem Überwachungsstaat. Und die Kinder von den Oberärzten waren noch die angenehmsten Mitschüler.

Da kommst du in eine Schule, und plötzlich behandeln dich Menschen anders, weil du zu Hause keinen Swimmingpool hast. Ich habe das Bürgertum mit seiner vermeintlichen Menschenliebe von innen kennengelernt: Ich habe Villen betreten, die alles hatten und doch tot waren. Bis auf eine sehr traurige und sehr betrunkene Mutter in irgendeiner dunklen Ecke.

Wenn ich damals etwas gelernt habe: Geld macht nicht glücklich. Wenn ich in den letzten Jahren die österreichische Innenpolitik oder Chronik verfolge, tauchen immer wieder Namen von Schulkollegen auf, bei denen ich mir schon damals meinen Teil gedacht habe. Faustregel: Wenn Leute bereits mit 12 Jahren glauben, sie wären

Seine damaligen Idole Lou Reed und Billy Bragg sah man ihm auf dem Foto aus dem Jahr 1991 noch an: „Die Haare waren kürzer; die Pubertät vorbei“, erklärt Groebner.

Interview

» Als Jugendlicher habe ich mit Kräutern experimentiert; statt Mathe zu lernen, habe ich lieber ganz, ganz lang Musik mit ganz, ganz langen Gitarrensoli gehört. Die stinklangweiligsten Gitarrensoli fand ich plötzlich total super! «

Severin Groebner

etwas Besseres, werden sie meist im Alter nicht sympathischer. Es gab aber auch sehr liebe und sehr nette, großartige Menschen dort, die meine Freunde wurden – wie etwa Klaus Gröll, mit dem ich später meine ersten Bühnenerfahrungen sammeln sollte.

Wie ist es weitergangen?

Ab der fünften Klasse wurden meine Schulnoten rapide schlechter. Das hat sicher auch damit zu tun gehabt, dass sich meine Eltern permanent gestritten haben und mein Zuhause kein schöner Platz war. Als Rückzugsraum ist es weggefallen. Ich habe aber zum Glück liebe Freunde und deren Eltern gehabt, wo ich fünf Mal die Woche meine Abende verbracht und gegessen habe. Auch ein gutbürgerliches Haus, aber eben mit ganz anderen Vorzeichen – mit viel Liebe und viel Freundlichkeit. Mit 15 habe ich begonnen, auszugehen und Blödsinn zu machen – was man halt so macht; und bin dann draufgekommen, dass Weggehen und Blödsinn machen viel lustiger ist, als in die Schule zu gehen und zu lernen. Und Überraschung!, es hat Folgen gezeitigt. Nämlich, dass ich die fünfte Klasse wiederholen durfte. Nachprüfung in Französisch und Latein; Letzteres hab ich zwar gescha t und es hätte die Möglichkeit gegeben, mit einem Fünfer trotzdem aufzusteigen, da hat aber die Lehrerkonferenz dann gesag: Was, der Groebner? Der steigt uns sicher nicht auf! Der ist uns letztes Jahr so am Oasch gegangen! Jedenfalls hab ich dann in der siebten Klasse wieder einen Nachzipf gehabt, und zwar in Mathe. Dabei war ich immer gut in Mathe. Aber ich hab in diesem Schuljahr einfach gar nichts gelernt. Als der junge Mensch, der ich war, habe ich damals auch mit Kräutern experimentiert, und das ist der Konzentration und dem logischen Denken nicht unbedingt zuträglich. Außerdem ist einem dadurch auch alles ein bisserl wurscht. Ich habe statt Mathe zu lernen lieber ganz, ganz lang Musik mit ganz, ganz langen Gitarrensoli gehört. Die stinklangweiligsten Gitarrensoli fand ich plötzlich super!

Dann hast du die Schule gewechselt ...

Ich bin in die Stubenbastei gewechselt, und zwar deshalb, weil ich schon vorher beim Schulschwänzen im Café Krugerhof Leute kennengelernt habe. Von Döbling zum Krugerhof war es eine Weltreise. Ich bin richtig weit gefahren fürs Schulschwänzen! Merke: Motivation ist alles. Die Stubenbastei ist nur fünf Minuten vom Krugerhof entfernt, dadurch hatte ich es ab dem Zeitpunkt viel leichter mit dem Schwänzen. Jedenfalls habe ich da bereits begonnen, nebenbei für die Jugendredaktion von Radio Wien zu arbeiten, und bin während dieses Schuljahres von zu Hause ausgezogen – nämlich in die Ex-Wohnung von einem meiner Brüder. Die Schule habe ich dann mit mehr als 50 Prozent Fehlstunden abgeschlossen; der Direktor war aber o enbar so nett und hat beschlossen, mir bei meiner schulischen Lau ahn keine weiteren Steine in den Weg zu legen – und hat mich maturieren lassen.

Wie hast du die Teenagerzeit erlebt?

Entsetzlich! Ich war ständig nur unglücklich verliebt. Und weil ich unglücklich verliebt war, habe ich mich am Wochenende ang’so en. Dann war ich wieder eine Woche in eine andere unglücklich verliebt und hab mich am Wochenende wieder ang’so en. Das war meine Teenagerzeit. Ein Desaster. Ich möchte nie wieder Teenager sein müssen. Mit 20 hat mein Leben angefangen; vorher war es nur stressig, anstrengend und eng. Und alles, was mich gerettet hat, waren Schallplatten, Literatur, Gespräche mit Freunden und lange Spaziergänge in den Weingärten. Ich habe Tucholsky für mich entdeckt; ich habe ein, zwei Handkes gelesen und nicht verstanden … Vielleicht war ich zu deppert dafür, vielleicht ist es auch einfach nur fad. Mein Ziel war dann, Rockstar zu werden, weil solcherart der Veranstalter das Saufen zahlt und die Mädels endlich mal unglücklich in mich verliebt sind. Hat zwar nicht geklappt, aber immerhin hat es mich auf die Bühne und zu meinem jetzigen Beruf gebracht.

Womit hat deine Jugend geendet?

Das war mit 22, als sich mein bester Freund aufgehängt hat. Wir kannten uns gut seit Anfang der Gymnasiumszeit und haben die Pubertät gemeinsam durchlebt. Als es passierte, war das ein schwer fassbarer Schlag. Es hat dazu geführt, dass ich mich auf die Bühne gestellt und viel gesungen habe, weil: Musik hilft gegen Traurigkeit.

Von links nach rechts: Severin (2 J.) mit Severin (2 J.) mit Nilpferd. Urlaub in Kärnten Ende der 70er. Mit 12 die erste Hauptrolle im Schultheater. Erstes Mal InterRail mit 16 in Irland, GB und den Niederlanden. 1989 mit Redaktionskolleginnen.

ÜBER SEVERIN GROEBNER

Geboren am 20. Oktober 1969 in Wien, trat er erstmals 1993 mit dem Pianisten Klaus Gröll in Wiener Ka eehäusern auf. Es folgten Auftritte an Spielorten wie dem Kabarett Niedermair, dem Theater Drachengasse, der Wiener Sargfabrik, im Münchner Lustspielhaus, dem Theater Drehleier, der Lach- und Schießgesellschaft, im Nürnberger Burgtheater oder im Karikatura in Frankfurt. Er schreibt Satiren für den Bayerische Rundfunk, den Westdeutschen Rundfunk, eine Kolumne für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung und seit 10 Jahren jede Woche eine Glosse für die Wiener Zeitung. Er ist im deutschen und österreichischen Fernsehen in Kabarettsendungen zu sehen (u.a.: ORF-Tafelrunde, Pratersterne, Sommerkabarett, ZDF „Die Anstalt“ oder im „Schlachthof“ im Bayerischen Fernsehen). Er wurde u.a. mit dem Grazer Kleinkunstvogel, dem Österreichischen Kabarettpreis, dem Salzburger Stier und dem Dieter-Hildebrandt-Preis geehrt.

Das neue Programm: ÜberHaltung Unterhaltung über alles 29. & 30.12.2022 Wien Niedermair 20.1.2023 München - Lustspielhaus 21.1.2023 Linz - Posthof 22.1.2023 Wien - Kulisse 25.1.2023 Wien Niedermair

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