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Vom Privileg, kämpfen zu dürfen – und nicht zu müssen Ronny

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Wir sind weg

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Wer sich reines Kämpfen erwartet, ist bei den Freedom Fighters falsch. Der Anfang des Trainings beginnt mal mit einer Sitzmeditation zur inneren Einkehr.

Vom Privileg, kämpfen zu dürfen – und nicht zu müssen

Zusammen kämpfen, weinen, lachen und meditieren. Ronny Kokert arbeitet mit seinen Freedom Fighters nicht nur auf der Matte, sondern auch auf anderen Ebenen. Es geht um Achtsamkeit, Respekt und Gegenwärtigkeit. von heidrun henke

Ronny Kokert war mehrfacher Staatsmeister und 1998 sogar Weltmeister in Taekwondo und hat in Wien-Josefstadt sein eigenes Kampfsportzentrum. Genau genommen wird hier Shinergy, eine spezielle Art von Kampfsport, unterrichtet, die Elemente aus dem Zen-Buddhismus und der Kampfkunst kombiniert. In seinem gleichnamigen Zentrum ist er die meiste Zeit anzutreffen, er begrüßt jeden Einzelnen mit einem freudigen, herzlichen Lächeln. Seine kinnlangen Haare fallen ihm dabei schwungvoll ins Gesicht, und wenngleich er ein Trainingsshirt anhat, wirkt er wie jemand, der die Ärmel hochkrempelt. Er ist ein umtriebiger Mensch und verfolgt immer neue Ideen, trotzdem wirkt er nicht getrieben. Seine starke Präsenz fällt auf. Er lebt voll und ganz im Moment, kein Kunde entgeht ihm, jeder wird von ihm gesehen. Doch nicht nur seinen Shinergy-Kunden schenkt er Aufmerksamkeit, er hat auch Augen für die Dinge links und rechts des Sandsackes. Ronny Kokert engagiert sich seit Jahren sozial und bringt sich mit allem ein, was er zur Verfügung hat. Seien es finanzielle Mittel, Kampfgeist, Empathie, Kontakte, Kampftechniken, echtes Interesse ...

Sich selbst finden Der Shinergy-Gründer war mehrmals in Griechenland auf der Insel Lesbos, schleuste sich dort im damaligen Flüchtlingslager Moria ein und verteilte Kuverts mit Geld, das er in Wien für die Geflüchteten gesammelt hatte. Er trainierte dort junge Männer, die zum Warten verdammt waren. Warten auf Asyl, ein neues Leben, ihre Freiheit ...

In Wien gründete er dann 2016 die Freedom Fighters. Die Truppe besteht aus Jugendlichen ab 14 Jahren, vorwiegend männlich, sie kommen aus Afghanistan, dem Irak, Syrien und sind alle vor dem Krieg nach Österreich geflohen. Die jungen Burschen haben eine schwierige Flucht hinter sich, teils wochenlang, waren größten Gefahren ausgesetzt und sind von ihren Erlebnissen traumatisiert. Ronny Kokert hört ihnen zu. Als er sie zum ersten Mal im Aufnahmezentrum in Traiskirchen trifft, spürt er sofort, dass er ihnen helfen will – und kann. Er holt sie genau dort ab, wo sie gerade stehen. Im inneren Kampf mit sich selbst und ihrer Biografie. Als ehemaliger Kampfsport-Weltmeister weiß er nur zu gut, wie man kämpft, doch er hat dadurch noch viel mehr gelernt, nämlich, wie man zu sich selbst findet. Das will er auch den Geflüchteten beibringen. „Bei unserer allerersten Begegnung habe ich sofort in ihren Augen Angst gesehen, aber auch einen großen Kampfgeist. Auch mir hat damals das Kämpfen sehr geholfen, meine Krise zu überwinden und mein Selbstbewusstsein wiederaufzubauen“, erzählt Ronny, der seit 30 Jahren Kampfsport praktiziert.

Kurzentschlossen lädt er die Jungs in sein Shinergy-Zentrum ein und trainiert mit ihnen dreimal die Woche, kostenlos natürlich. Inzwischen haben die Freedom Fighters zahlreiche Medaillen und Titel für Österreich geholt. Zusätzlich zu ihrem Training hat Ronny die Burschen auch auf Wettkämpfe und Turniere vorbereitet, um ihre Asylverfahren zu unterstützen oder zu beschleunigen, denn sportliche Erfolge werden als Zeichen der Integration gewertet. „Doch eigentlich geht es gar nicht um Integration, sondern um Inklusion“, meint Ronny. Die Burschen sind nicht nur bei der Kunst des Kämpfens weitergekommen, sondern auch in ihrem Alltag in Österreich. Zum Beispiel Abbah Salih, der heute als Fahrradmechaniker in Wien arbeitet. Er ist Kurde und kam gemeinsam mit seinem gelähmten Cousin vom Irak hierher. Abbah wurde sogar Weltmeister im Kickboxen für Österreich. Oder Izmael, der im Sacher eine Lehre absolviert hat und heute als Koch arbeitet. Er füchtete vor den Taliban aus Kabul und war mit nur 100 Dollar drei Wochen lang auf der Flucht. Zweimal kenterte er dabei. Oder Hussein, der gerade eine HTL für Hoch- und Tiefbau besucht und gern Bauingenieur werden will.

Angst und Aggression Doch aller Anfang ist schwer, auch der der Freedom Fighters. Ronny Kokert musste sich zahlreiche Anfeindungen anhören. „Wie kann er nur diesen Flüchtlingen das Kämpfen beibringen, das schürt doch nur noch mehr Gewalt“, so der Grundtenor vieler Leute mit Vorurteilen. „Ich verstehe, dass das befremdlich wirkt. Doch nur wer sich mit Angst und Aggression auseinandersetzt, kann auch konstruktiv damit umgehen lernen. In der Kampfkunst ist das Ziel, das Kämpferische anzuschauen, es zu integrieren und in einen konstruktiven Raum zu geben. Kämpfen zu können, bedeutet, nicht mehr kämpfen zu müssen. Das ist das Prinzip der Freedom Fighters.“

Ronny erzählt von den ersten Trainingsstunden: „Viele der Burschen haben ein actionreiches Programm erwartet, doch ich habe sie alle mal hinsetzen und meditieren lassen. Unsere Art zu kämpfen erfordert mentale Stärke, Respekt, Achtung vor dem Gegenüber und Verantwortung. Es geht um eine konstruktive Konfliktlösung.“ Es kann aber auch nicht jeder mitmachen. Manche wollen nur kämpfen oder sind zu sehr in ihren religiösen Grundsätzen gefangen. Wichtig bei Shinergy ist, nicht einfach etwas zu lernen und dann widerzugeben, abzuspulen, sondern sich immer dem Augenblick, der Technik anzupassen, geschmeidig und weich zu bleiben wie eine Katze. Und immer gegenwärtig und präsent zu sein. „Ich rede hier auch ganz offen mit meinen Burschen. Sie erzählen mir von ihrer Fluchtgeschichte, und dann sitzen

oben: Die Freedom Fighters in Action im Shinergyzentrum: Ismail, Ali Reza, Mostafa und Shari. unten: Ronny Kokert engagierte sich auch in Lesbos und trainierte dort Burschen aus dem Flüchtlingslager Moria.

wir manchmal da und weinen zusammen. Wir sind wie eine Familie und unternehmen auch hin und wieder in der Freizeit etwas zusammen, feiern Feste. Unter den Jugendlichen haben sich schon einige tolle Freundschaften gebildet, und ein Freedom-Fighter-Pärchen haben wir auch schon“, schmunzelt Ronny.

Auf der nicht-körperlichen Ebene hat Kampfkunst ganz viel mit Hinsehen, Hineinspüren und Mut im Sinne von Angstbewältigung zu tun. „Dort, wo die Schatten sind, dort soll man reingehen“, erzählt der Shinergy-Trainer, der aus Erfahrung spricht. „Kampfkunst hat mir geholfen, eine Verbundenheit mit mir und meinen Gefühlen aufzubauen. Auch solche, die man nicht an sich mag, gehören integriert“.

Von den Freedom Fighters hat Ronny viel gelernt. „Die Geschichten dieser Burschen sind teilweise richtige Erfolgsstorys. Wir können so viel von ihnen lernen. Vor allem, wie man mit Schicksalsschlägen umgeht und trotz allem Zuversicht und Lebensfreude behält.“

Auch der Titel seines jüngsten Buchprojekts „Der Weg der Freiheit. Wie ich von Geflüchteten lernte, anzukommen“ verrät seinen Respekt für die jungen Kämpfer. Die Freedom Fighters sind ein Herzensprojekt in seinem Leben, sie geben ihm Sinn und fordern ihn immer wieder heraus. Am Ende des Gesprächs philosophieren wir über Verantwortungsbewusstsein, Helfen und inneren Frieden. „Jeder Tropfen im Ozean zählt. Denn jeder Tropfen ist der Ozean,“ gibt er mir noch mit auf den Weg.

Das Lager Kara Tepe auf Lesbos, in dem viele Geflüchtete nach ihrer Fahrt übers Mittelmeer „stranden“. Ronny Kokert hat dort Jugendliche in Kampfkunst unterrichtet, um ihnen wieder das Gefühl von Selbstermächtigung zu geben.

BUCHTIPP

Ronny Kokert: Der Weg der Freiheit. Wie ich von Geflüchteten lernte, anzukommen; Kremayr & Scheriau, € 22,–

Kokert zeichnet nach, wie steinig, beglückend und lehrreich die gemeinsame Reise ist, die seine Schüler vom Flüchtlingslager bis zu Weltmeistertiteln führt. Die Entwicklung der Freedom Fighters sowie seine eigene ist eine berührende Geschichte über Akzeptanz und Ablehnung, Zweifel, Mut und Ankommen – im Leben und bei sich selbst.

Der Skelettfluch – Teil 3

Von Linus Rheindorf (11)

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Du schreibst auch gerne Geschichten? Dann erzähl sie uns – vielleicht wird sie ja schon im nächsten Tipi abgedruckt: tipi@tipimagazin.at

Ich roch Essen. Sehr leckeres Essen. Ich aß drei Portionen von dem köstlichen Frühstück, das der alte Mann für uns vorbereitet hatte. Als wir satt waren, zogen wir weiter. Plötzlich hörten wir ein fürchterliches Gebrüll. „Was ist das nur?“, fragte ich meinen Bruder. Die Antwort kam bald darauf. Es war der Skelettfluch. Er bemerkte uns noch nicht.

Da brach auf einmal ein Ast unter Janoschs Füßen. Das Knacken erregte seine Aufmerksamkeit. Er erschuf zwei Skelette, die uns angriffen. Wir waren Skelette aber schon gewohnt. Bockerl kratzte das linke Skelett, und dem anderen schlugen wir auf den Kopf. Beide fielen zu Boden.

Der Skelettfluch war schon über alle Berge. „So ein Mist“, sagte ich. „Ich wollte den Skelettfluch besiegen.“ Jetzt gingen wir weiter und kamen zu einer großen Pforte. Wir öffneten sie.

Als wir die Tür geöffnet hatten, kam ein riesiges Labyrinth zum Vorschein. „Oh mein Gott“, dachte ich. „Wie sollen wir da den richtigen Weg finden?“ Wir betraten das Labyrinth. Wir gingen hinein und verirrten uns gleich darauf. Plötzlich hörten wir mechanische Geräusche. „Ein Cyborgskelett!“, rief ich erschrocken. Es konnte sogar Laserstrahlen aus seinen Augen und Händen schießen. Es zielte auf Bockerl, doch der wich geschickt aus und sprang das Skelett an. Das Skelett schüttelte ihn jedoch ab. Jetzt kam ich dran. Ich schlug ihm auf den Kopf. Dann schlug auch Janosch ihm auf den Kopf. Und Lean gab ihm mit seiner Zunge den Rest.

Dann gingen wir weiter und verirrten uns gleich wieder. Plötzlich sahen wir einen Hebel. Ohne darüber nachzudenken, zog ich an ihm. Eine Wand verschob sich, und eine Festung kam zum Vorschein.

Als wir das große Portal der Festung öffneten, kam der Skelettfluch zum Vorschein. Dahinter verbarg sich ein kleines schrumpeliges Männchen. In der Hand hielt es eine Kristallkugel, und es kicherte hinterhältig. Der Skelettfluch griff sofort an. Er stach mit den Giftspritzen nach uns. Ich schrie: „Die Kugel! Wir müssen sie zerstören!“ Ich setzte das Chamäleon auf meine Schulter und rutschte zwischen den Spritzen hindurch, während Janosch und Bockerl den Fluch ablenkten. Lean und ich rannten zu dem Erschaffer und rissen ihm die Kugel aus der Hand. Als ich die Kugel in der Hand hielt, konnte ich den Skelettfluch steuern. Er hob den Erschaffer auf und schleuderte ihn weit aus der Burg. „Wo sind die Skelette der verzauberten Menschen?“, fragte ich meine Freunde. Bockerl legte sich müde auf den Steinboden. Damit löste er den Öffnungsmechanismus einer Geheimtüre aus. Sie öffnete sich. Dahinter war ein Gang mit vielen großen Zellen. In den Zellen waren die verschwundenen Skelette. „Wie machen wir alle wieder zu Menschen?“, fragte Janosch. Ich hatte eine Idee. Wir füllten das Gegengift in die Spritzen des Skelettfluchs und ließen ihn die Arbeit machen. Die zurückverwandelten Leute waren verwirrt und orientierungslos.

Wir konnten unsere Eltern finden, und der Skelettfluch trug uns und die anderen Leute nach Hause. Fortan wohnte der Skelettfluch bei uns und half uns bei der Hausarbeit. Ich bekomme immer noch Gänsehaut, wenn ich an dieses Erlebnis zurückdenke.

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