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Ein Hoch auf die Option
In Österreich ist die Zahl an Kaiserschnitten seit 1995 um das 2,5-Fache gestiegen. Grund genug, sich mit Experten und (werdenden) Müttern über das Thema Geburt, das Wo, aber vor allem auch das Wie zu unterhalten.
von inez ardelt
Gleich zu Beginn die Entwarnung: Dies ist kein Boxkampf, und es wird bestimmt keine K.O.-Runde geben. Es werden keine Schauergeschichten erzählt, Beschönigungen kommen ebenso wenig vor. Die braucht es allerdings auch nicht, denn jede Geburt ist anders, und es gibt keinen Königsweg. In Österreich sind wir in der glücklichen Lage, ein Gesundheitssystem zu haben, das werdenden Müttern praktisch ab dem Tag, an dem sie schwanger werden wollen, eine großartige Rundumversorgung zur Verfügung stellt. Angefangen von Vorsorgeuntersuchungen, Vorbereitungskursen bis zum Entbindungsort, hierzulande meist ein Krankenhaus mit Geburtenstation. Mindestens so brennend wie die Frage, wo das Baby zur Welt kommen wird, ist auch das Wie. Alleine die Tatsache, dass es hier Auswahlmöglichkeiten gibt, ist eigentlich ein Grund zum Feiern! 85.329 Kinder erblickten 2021 in Österreich das Licht der Welt. Jedes dritte wurde laut Statistik Austria per Kaiserschnitt entbunden, womit sich die Zahl der Kaiserschnittgeburten in den vergangenen 25 Jahren mehr als verdoppelt hat. Das erlebt auch der Gynäkologe und Geburtshelfer Dr. Joachim Pömer in seiner Linzer Ordination und sieht das kritisch. „Diese Entwicklung besorgt mich als klassischen Geburtshelfer durchaus. Die Gründe dafür sind breit gefächert. Viele Trigger-Faktoren haben wir Gynäkologinnen und Gynäkologen bzw. unser gesamtes Gesellschaftsmodell zu verantworten, das im Zeichen einer maximierten Absicherungspolitik und leider auch der weiter abnehmenden Hemmschwelle, jemanden zu verklagen, steht.“ Die moderne Medizin versuche möglichst viele Risikofaktoren zu defi nieren, um das Ungeborene zu schützen. „Dadurch pathologisieren wir die zutiefst physiologische Schwangerschaft und Geburt.
Dr. Joachim Pömer ist Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe mit eigener Praxis und Oberarzt am Kepler Universitätsklinikum Linz.
www.drpoemer.at
Wir versuchen, eine möglichst große Sicherheitsglocke über die Mamas zu stülpen, um ja alles potenziell Negative von ihnen und den Kindern abzuwenden“, schildert Pömer. Je größer diese Sicherheitsglocke ist, desto mehr Schwangere seien von einer Intervention wie dem Kaiserschnitt betro en. Selbst wenn diese gar nicht ins echte Risikokollektiv fi elen. „Leider scha en wir es nicht immer, dieses Sicherheitsnetz so anzupassen, dass nur jene Mamas erfasst werden, die auch wirklich unsere Hilfe brauchen – auch ich nehme mich dabei nicht aus. Man soll ja auch nicht gänzlich ohne Netz springen, nur sich dann gar nicht mehr springen zu trauen, ist auch keine Lösung.“ Es gelte, stets zu
» Wir können froh sein, dass wir den Kaiserschnitt als Schutz- und Rettungsmaßnahme haben und ihn gefahrlos durchführen können. «
Dr. Joachim Pömer
schauen, wo die echten Risiken liegen und wo Mutter und Kind von einer Operation wirklich profitieren.
Wunschschnitt Entscheiden sich Patientinnen für eine Wunsch-Sectio (lateinisch für Kaiserschnitt), dann führen sie stets das Wohl des Kindes an. „Das ist ein Trugschluss, denn die Natur zeigt uns in so vielen Bereichen des Lebens, dass sie sich schon gut überlegt hat, wie etwas idealerweise funktioniert. Selten wird es viel besser, wenn wir Menschen etwas beschleunigen oder übergehen wollen. Da nehme ich die Geburt nicht aus. Diese Aussage bezieht sich aber dezidiert auf den reinen Wunschkaiserschnitt ohne medizinische Indikation.“
Eine sogenannte „absolute“ Indikation, also ein medizinischer Grund, ist etwa bei einer Querlage des Kindes gegeben, wenn der Kopf des Babys nicht durch das mütterliche Becken passt, einem (drohenden) Riss der Gebärmutter oder einer befürchteten vorzeitigen Ablösung des Mutterkuchens. „Betrachtet man rein die schweren Geburtskomplikationen beim Kind, dann hat der Kaiserschnitt absolut die Nase vorne, was die Sicherheit betrifft.“ Allerdings betreffe das nur einen minimalen Anteil aller Geburten. Meist zeichne sich ein Problem im Verlauf einer Geburt oder während der Schwangerschaft ab.
Eine weitere, die „relative“, Indikation die sehr häufig bei einer gewünschten Sectio zum Tragen kommt, ist die psychische. Nicht wenige Frauen entscheiden sich nach einer traumatisierenden ersten Entbindung gegen eine weitere Spontangeburt. „Meist steht die Angst vor den Schmerzen, dem Ungewissen oder dem schon Erlebten im Vordergrund.“ In diesem Fall rät der Gynäkologe zur Aufarbeitung des Erlebten noch vor einer neuerlichen Schwangerschaft. „Hier gibt es inzwischen zahlreiche Psychotherapeuten und -therapeutinnen, die sich auf diese Fragestellung spezialisiert haben“, so der Arzt, der es auch als Aufgabe der Geburtshelferinnen und -helfer sieht, werdende Mütter dabei zu unterstützen, mit Ängsten umzugehen. „Ängste einer Schwangeren oder Mama mit Kinderwunsch auszulöschen, halte ich für unmöglich. Zu groß ist der Wert dessen, worum es geht. Wenn man es aber schafft, die Ängste einzuordnen und zu einem kalkulierten Teil der Schwangerschaft werden zu lassen, dann hat man viel geschafft. Oft ist dann sogar die Bereitschaft da, eine Spontangeburt zu versuchen.“
Natürlich Und diese habe für Babys viele nicht zu unterschätzende Vorteile. „Wir sehen bei den Neugeborenen nach Spontangeburten weniger Anpassungsstörungen, das bedeutet, dass diese Babys weniger oft Starthilfe durch uns oder die Kinderärzte
Julia (2 Kinder; 1 Spontangeburt, 1 Kaiserschnitt): Entspannter Wunsch-Kaiserschnitt
„Die erste Geburt war eine Spontangeburt, aber eine recht schwere. Es hat sehr, sehr lange gedauert, mein Kind brauchte nach der Geburt Sauerstoff, und ich hatte einen Dammriss dritten Grades, der operiert wurde und mir danach noch lange Probleme gemacht hat. Es war für uns alle – auch für meinen Mann – regelrecht traumatisch. Aber ich wollte trotzdem noch ein zweites Kind. Das war dann fast drei Jahre später, und ich dachte, dass ich auch dieses Kind auf natürlichem Weg entbinde und habe das gar nicht groß hinterfragt. Ich habe nur gemerkt, dass sich nach jedem Vorsorgetermin, wenn ich in der Nähe vom Kreißsaal war, ein unangenehmes Gefühl breitmachte. Das wollte ich verbessern und habe mir überlegt, ob nicht ein Kaiserschnitt auch eine Option wäre. Was ich für mich auch gebraucht habe, war, dass der Arzt sein OK dafür gibt. Und das tat er dann auch. Da ist mir ein riesiger Stein vom Herzen gefallen. Es war dann eine superentspannte Geburt. Die Kaiserschnittnarbe war nichts gegen die Narbe vom Dammriss. Und was den geplanten Termin betrifft, muss ich sagen, dass es als Mutter eines kleinen Kindes auch nicht so schlecht war, zu wissen, dass die Geburt nicht irgendwann nachts über einen hereinbricht.“
und -ärztinnen benötigen.“ Gehe alles glatt, könnten sich zudem Mütter sofort adäquat um ihr Kind kümmern und müssten keine Rücksicht auf eine Operationswunde nehmen. Die Erholungsphase sei kürzer, und auch Stillprobleme würden seltener auftreten. „Wir können froh sein, dass wir den Kaiserschnitt als Schutz- und Rettungsmaßnahme haben und diesen heutzutage gefahrlos durchführen können“, fasst der Gynäkologe zusammen und räumt auch gleich noch mit einem Gerücht auf. „Was schon gar nicht stimmt: Einmal Kaiserschnitt – immer Kaiserschnitt! An der Keplerklinik in Linz begleiten wir Spontangeburten unter gewissen Voraussetzungen auch nach zwei vorrangegangenen Kaiserschnitten.“ Auch der Geburtshelfer hat zum Schluss einen Wunsch: „Eindeutig, dass die Spontangeburt die Regel bleibt und wir diese immerfort mit dem wunderbaren Wort NATÜRLICH verbinden mögen.“ Stefanie (2 Kinder; natürliche Geburt): Vertrauen in meinen Körper
„Ich habe bei beiden Geburten nicht darüber nachgedacht – es war völlig klar, dass ich eine natürliche Geburt möchte. Es war sogar eher so, dass ich vor einem Kaiserschnitt Angst gehabt hätte. Dass mir jemand den Bauch aufschneidet und das Kind herausholt, das war keine beruhigende Vorstellung. Was mit meinem Körper auf natürliche Art passiert, ist für mich ,normal‘ und sicher. Vor Eingriffen habe ich großen Respekt. Beim ersten Kind begannen in der Früh die Wehen, waren tagsüber sehr regelmäßig und haben sich sukzessive gesteigert. Im Krankenhaus wurde dann allerdings eingegriffen, was ich als störend empfunden habe. Ich bekam Wehenmittel, weil die Wehen laut Ärztin stärker sein sollten, und die Fruchtblase wurde aufgeschnitten. Zwischen den Wehen habe ich immer geschlafen und Kräfte gesammelt. Da wollte ich einfach meine Ruhe und weder gestreichelt noch irgendwie angesprochen werden. Einflüsse von außen waren in dieser Situation für mich generell störend. Deshalb wäre auch ein Geburtsplan oder eine Playlist verlorene Liebesmüh gewesen. Ich hatte beide Male keine PDA, weil ich auch spüren wollte, was geschieht. Auch das Vertrauen in den eigenen Körper, in die Weiblichkeit an sich. Ich habe das Glück, zwei gesunde Kinder geboren zu haben. Schlussendlich geht es immer um die Gesundheit des Kindes.“
Ingrid (werdende Mutter): Das Fest der Geburt
„Unser erstes Kind ist unterwegs und wir haben uns für eine natürliche Geburt entschieden. Es soll ein Willkommensprozess sein, und bei einem Kaiserschnitt erlebt man das, glaube ich, anders. Ich denke, dass auch die ganzen Glückshormone anders ausgestoßen werden. Wenn es medizinisch notwendig ist, kann man eh nichts machen, aber wir möchten es probieren. Wir haben alles mit der Hebamme so vorbereitet, dass es wirklich eine gemeinsame Sache ist und mein Mann auch ,Aufgaben‘ hat. Wir wünschen uns, dass der Weg ins Krankenhaus relativ stressfrei ist und wir ihn, wenn es geht, gemeinsam gehen können. Für die Geburt haben wir eine Duftlampe mit einem guten Orangengeruch, den wir beide sehr mögen. Wir haben uns ein Tuch ins Bett gelegt, das nach uns beiden riecht und das wir dann nach der Geburt auch sehr gerne verwenden würden. So haben wir uns vorbereitet. Vieles spielt sich ja im Kopf ab. Da haben wir geschaut, dass wir von den Atemübungen her gut vorbereitet sind. Man weiß nie, wie es kommt, aber natürlich denkt man positiv. Wir haben uns auf eine lange Geburt eingestellt, damit wir das alles aufbauen und einbauen können (lacht). Über die Geburten selbst habe ich auch mit meinen Freundinnen nicht gesprochen. Meine Oma hat immer sehr viel über ihre drei Entbindungen erzählt. Das war damals kein Event, sie hat bis zum Schluss gearbeitet und geschaut, dass im Haushalt alles stimmt. Bei uns ist das so was Großes und Besonderes, wo wir uns so darauf freuen. Bei ihr war das eher so in den Tagesablauf eingetaktet.“