SPRING 2020
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VOLUME 54
BY
A B C D E F G
G
Be the Storm
V8 Levante Trofeo mit 580 PS. Der stärkste Maserati, den es je gab
V8 90° 3799 cm3; Leistung 580 PS (427 kW); Drehmoment: max. 730 Nm bei 2500-5000 Upm; Höchstgeschwindigkeit: 300 km/h; Beschleunigung von 0 auf 100 km/h: 4,1 Sek. Kraftstoffverbrauch (kombiniert): 16,1 l/100 km; CO2-Emissionen* (kombiniert): 363 g/km; Abgasnorm: EURO 6d-FINAL; Effizienzklasse: G. * CO2 ist das für die Erderwärmung hauptverantwortliche Treibhausgas; Die mittlere CO2-Emission aller (markenübergreifend) angebotenen Fahrzeugtypen in der Schweiz beträgt 174 g/km.
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erscheint vierteljährlich
CORRECTOR ANDREAS PROBST
MEMBER OF THE BOARD TIBOR MUELLER BORIS JAEGGI
COVER Diyala Kayiran All rights reserved
rundschauMEDIEN AG St. Jakob-Strasse 84 CH-4132 Muttenz T +41 (0)61 335 60 80 F +41 (0)61 335 60 88 info@rundschaumedien.ch rundschaumedien.ch
PHOTOGRAPHS Bilddatenbanken, Louboutin, Patek Philippe, A. Lange & Sähne, Chanel, Cartier, Baume & Mercier, Carl F. Bucherer, Hermes, Nomos, Jaeger, Girard Peregaux, Rolex, Piaget, Vacheron, Breitling, Bulgari, Hublot, TAG Heuer, Zenith, Maurice Lacroix, Ulysse Nardin, Oris, Roger Dubois, MeisterSinger, Revlon, Yves Saint Laurent, Clarins, Dior, Lancome, Tamara Orjola, Jenifer Wen Ma, PPR/WITWINKEL/David Hubacher
EDITOR-IN-CHIEF SWENJA WILLMS s.willms@rundschaumedien.ch DEPUTY EDITOR-IN-CHIEF NIKE SCHRÖDER n.schroeder@rundschaumedien.ch
IM PRES SUM
SALES SALVATORE D'ALESSANDRO s.dalessandro@rundschaumedien.ch PATRICK FREY p.frey@rundschaumedien.ch VIRGINIE VINCENT v.vincent@rundschaumedien.ch FRANCO D'ELIA f.delia@rundschaumedien.ch MICHELE ZITO m.zito@rundschaumedien.ch ALBAN MULAJ a.mulaj@rundschaumedien.ch URS HUEBSCHER u.huebscher@rundschaumedien.ch HEAD OF PRODUCTION & ART DIRECTION EMMA R. SCHAUB e.schaub@rundschaumedien.ch PRODUCT PUBLIC RELATION SWENJA WILLMS s.willms@rundschaumedien.ch EDITORS DR. ALEXANDRA ARNOLD SANESHA BLOOM GISBERT L. BRUNNER WALTER EDELMANN WILMA FASOLA PATRICK FREY LONE K. HALVORSEN BERND HAUSER THOMAS HAUER SIMONE HOFFMANN URS HUEBSCHER ANDREAS KRAFFT BEAT KRENGER HEIKO LASCHITZKI CORINA RAINER KATHRIN ROTH ANNA KAROLINA STOCK BEATRICE SCHÖNHAUS SPIRIG HELENA UGRENOVIC ANDY ZAUGG
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ADMIN, COORDINATION & SUBSCRIPTIONS SERPIL DURSUN s.dursun@rundschaumedien.ch PRICE Issue CHF 10.–/€ 9.50 Year C HF 39.–/€ 35.– IT SUPPORT DEJAN DJOKIC deki@rundschaumedien.ch WEB SERVICES websiteria GmbH info@websiteria.ch is a registered trademark. (IGE 596.147) ISSN 1662-1255
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ART & CULTURE
22 VOM ASPHALT INS MUSEUM Christian Louboutin im Palais de la Porte Dorée 32 EDITOR’S CHOICE Kultur in Buchform 33 UNIQUE ART – METAMORPHOSEN Athi-Patra Ruga 34 EINE HERZENSANGELEGENHEIT Christina Oiticica im Interview 40 KAMPF UM NOTRE DAME Die wichtigste Baustelle Europas
48 ENTLANG DES MEKONG Vom tibetischen Hochland hinab zum Südchinesischen Meer
TRAVEL
56 GOOD VIBRATIONS Lily Beach Resort & Spa 58 DIE PERLE DER KARIBIK Cartagena 70 ITALIENISCHE GESCHICHTE IN STEIN UND MÖRTEL Grand Hotel Excelsior Vittoria 74 ANDALUSISCHE TRÄUME Golf & Spa Resort Finca Cortesín
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THE DOLDER GRAND · A BRAND OF DOLDER HOTEL AG KURHAUSSTRASSE 65 · 8032 ZURICH, SWITZERLAND · INFO@THEDOLDERGRAND.COM · THEDOLDERGRAND.COM · T +41 44 456 60 00
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WATCHES 78 &
78 SCHLICHT UND EINFACH Armbanduhren für kultivierte Zeit-Genossen
88 KRISTALL FUNKELT IMMER 125 Jahre Swarovski
92 UHR-ZEITEN DES WANDELS Neuheiten 2020 102 EINZIGARTIG UND ANDERS Big Bang Integral
JEW EL L ERY MO TION 108
88 104 BRITISH OPEN AIR FEELING New Bentley Continental GTC 108 EIN EVOLUTIONÄRER PROZESS Autodesign im Wandel der Zeit 112 DER LETZTE SEINER ART Der EB110 116 DER MEISTER DER GESCHWUNGENEN KANTEN Design-Provokateur Luigi Colani
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FASH ION
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124 COME, FLY WITH ME Pan Am Lounge Berlin 136 KULTFOTOGRAFIE – NEU ENTDECKT Madame d’Ora 142 FASHION EDITORIAL Her(a)
150 KULTOBJEKT LIPPENSTIFT Eine wechselhafte Erfolgsgeschichte
BEAUTY & WELL 150 BEING 170 LI VING 160 KOLUMNE Katrin Roth
162 BODY RELOADED Ansätze für ein neues Körpergefühl 168 WALDHAUS FLIMS Eintauchen, abschalten, aufatmen
170 ZWISCHEN TREND UND TRADITION Moderne Orientteppiche von Jan Kath
176 «CLASSIC BLUE» Die Trendfarbe 2020
178 AUF LUXUS GEBETTET Vispring 180 WELTHAUPTSTADT DES DESIGNS Lille
184 QUARTETT IMMOBILIEN Der Weg zum perfekten Eigenheim
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NEW SERUM
O R D E S A LP E S T E AC H I N G YO U R S K I N TO T U R N B AC K T I M E
WE UNLOCK NATURE’S SECRETS FOR YOUR SKIN
ALP E O R.C O M
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188 DER AROMENMAGIER Mitja Birlo 195 KOLUMNE Andy Zaugg 196 WOMEN IN BUSINESS Weibliche Spitzenköche am Gourmet Festival in St. Moritz 202 MEER IM MUND Die Limfjord-Auster
46 ART & CULTURE 68 TRAVEL 100 JEWELLERY 122 MOTION 141 FASHION MEN 148 FASHION WOMEN 161 BEAUTY 186 LIVING 200 CULINARIUM 220 FINANCE
214 EIN GUTES GESPANN Restaurant «Sühring»
222 KINDER, KOSTEN, KRISENGEFAHR? Ein kostspieliges Vergnügen 225 KOLUMNE Dr. Alexandra Arnold 226 WOHLSTAND IN DER SCHWEIZ Hoffnung auf ein sorgenloses Leben 230 INVESTMENT OUTLOOK Wie Anleger trotz tiefer Zinsen Rendite erzielen
MONCLER
CULI NA 214 RIUM FI NAN CE TRENDS
210 SONNE AUF DEM TISCH Kurkuma
8 IMPRESSUM 21 EDITORIAL ANTONINI
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232 VORSCHAU
Unsere patentierte Kochinsel ist nicht nur Teil einer Designküche. Sie bildet als Kunstwerk für sich den neuen Mittelpunkt des Zusammenlebens. Das Aussehen und die Funktion der Kochinsel lässt sich per Sprachbefehl verändern. Unsere Küche steht in einem Hightech Umfeld direkt am Flugplatz in Heubach, wo hinter verschlossenen Türen die präzisesten Architektur-, Beleuchtungs- und Decken- Systeme der Welt entstehen. Die Firma RICHTER entwickelt und produziert mit 130 Mitarbeitern Systeme für die anspruchsvollsten Kunden weltweit! www.holzkunst-holocher.de
HolzKunst Holocher GmbH | Oberburg, 14 | 87448 Waltenhofen | +49 172 – 5893325 | info@holzkunst-holocher.de
BOUTIQUES GENEVE • LUZERN • ZURICH • ZERMATT
EDITORIAL
PER ZEITKAPSEL UNTERWEGS
Um die Gegenwart zu verstehen, müssen wir die Vergangenheit kennen; ergo öffnen wir in der vorliegenden Ausgabe unsere Zeitkapsel und reisen zurück in Zeiten, in denen Pioniere, Künstler und Entdecker am Werk waren, deren Einfluss heute noch immer wahrnehmbar ist. Unsere Frühlingsausgabe führt durch eine bunte Mischung geistreicher Epochen, beginnend bei der mächtigsten Göttin des Olymps in der griechischen Mythologie: Hera – verkörpert durch unser Coverbild und unsere Mode-Fotostrecke. Wortwörtlich in einer Zeitkapsel landen wir in Berlin in der Pan Am Lounge. Rauschende Partys, Galas und Empfänge wurden hier in den 1960er Jahren abgehalten – und werden es auch heute noch. Dank Natascha Bonnermann wurden die Räumlichkeiten mit dem Bewusstsein für deren historische Bedeutung wiederbelebt. Ebenfalls in Berlin führte Mitte des 20. Jahrhunderts der Design-Provokateur Luigi Colani unerbittlich einen Feldzug gegen die geraden Linien im Design. Wir würdigen die organische Formsprache des Visionärs nach seinem Tod vergangenen Jahres. Auf der Höhe der industriellen Revolution vor 125 Jahren nahm die Geschichte einer der grössten Kristall-Konzerne der Welt ihren Lauf: Swarovski ist heute der Inbegriff von Schönheit, gepaart mit Luxus und vereinigt mit Moderne. Wir werfen einen Blick zurück zu den Anfängen des Prestigeunternehmens. Und schliesslich begleiten wir ein Beauty-Utensil durch das letzte Jahrhundert, das als Symbol der Verführung, Filmrequisite oder politisches Statement eingesetzt wurde: Der Lippenstift war nie nur ein Kosmetikprodukt, sondern auch Ausdruck eines Lebensgefühls und ein epochenabhängiges Stimmungsbarometer. Berauscht von den Errungenschaften fast vergessener Vorboten, verschliessen wir wieder die Zeitkapsel und widmen uns der Gegenwart. Denn auch hier warten Geschichten und Ideen nur auf ihre Entdeckung, und wer heute schon den Blick geöffnet hat, der schreibt bald selbst Erfolgsgeschichte.
EDI TO RIAL
Swenja Willms Editor in Chief
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ART ART && CULCULTURE TURE
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ART & CULTURE
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ART & CULTURE
DIE HOHE KUNST DER VERFÜHRUNG VOM ASPHALT INS MUSEUM: PARIS FEIERT DIE SCHUHE VON CHRISTIAN LOUBOUTIN MIT EINER GROSSEN AUSSTELLUNG. HIGH HEELS TREFFEN AUF SHOWGIRLS, LADY DI UND DAVID LYNCH. Autor_Beat Krenger
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© Marc Domage
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ART & CULTURE
Sie ist selten, diese Begegnung der speziellen Art. Und derzeit ist sie in den Art-déco-Hallen des Palais de la Porte Dorée in Paris zu sehen. Dort inszeniert der französische Schuhdesigner Christian Louboutin seine Träume hautnah. Wie er das gemacht hat, ist elektrisierend. Haute Culture kommt auf knallroten Ledersohlen daher. Zu sehen gibt es Modelle aus seinem persönlichen Fundus ebenso wie Leihgaben aus öffentlichen und privaten Sammlungen aus aller Welt. Eine Parade von spektakulären Schuhen, viele davon zum ersten Mal öffentlich ausgestellt. Das Spektrum ist so bunt wie Louboutins Designs. Wo sonst sieht man schon ein riesiges Stiletto-Glasmosaik, das er für Maison du Vitrail entworfen hat, neben dem Hologramm einer strippenden Dita von Teese? Die Werkschau zu Ehren von Christian Louboutin hat eine schillernde Bühne geschaffen für Kollaborationen mit Regisseur David Lynch, Multimedia-Künstlerin Lisa Reyhan, Choreografin Blanca Li und dem englischen Design-Duo Whitaker Malem. Es ist ein Heimkommen für Louboutin. Im 12. Arrondissement wurde er geboren. Hier im Südosten von Paris ging er zur Schule. Gleich um die Ecke besuchte er das Gymnasium. Als Teenager verbrachte er fast jedes Wochenende in den Kinos an der Avenue Daumesnil, wo damals indische und ägyptische Filme gezeigt wurden. Im zarten Alter von 13 Jahren – es war im Sommer 1976 – wurde zum ersten Mal Christians Interesse an Frauenschuhen geweckt – in der Eingangshalle zum Aquarium im Musée des Arts Africains et Océaniens (heute Palais de la Porte Dorée, wo jetzt die Louboutin-Ausstellung gezeigt wird). Dort sprang ihm ein Schild ins Auge, das einen durchgestrichenen Pumps mit einem Bleistiftabsatz zeigte. Die Zeichnung mit den zensierten Schuhen sollte die weiblichen Besucher davon abhalten, mit ihren Absätzen die Parkettböden zu zerkratzen. Die Form dieses «verbotenen» Absatzes faszinierte ihn enorm, und er zeichnete ihn immer wieder nach. Heute ist der Pigalle-Pumps, der von dieser Begegnung inspiriert wurde, Louboutins Bestseller und gilt als Wahrzeichen der Weiblichkeit. Mit einem Höhenunterschied, der nie acht Zentimeter überschreitet, sind Schuhe zu Objekten der Begierde geworden, die Frauen zum Träumen bringen und Männer zum Staunen. LIEBLINGE DER SUPERSTARS Über zweitausend Paar Pigalle-Pumps werden jeden Tag weltweit verkauft. Das Fabrikationsgeheimnis? Nicht weniger als 100 Arbeitsschritte von Hand sind nötig, um dieses Gefühl von Schwerelosigkeit zu erreichen. Stars wie Beyoncé, Madonna, Angelina Jolie, Leonardo DiCaprio, Catherine Deneuve, Rihanna und Zendaya sind erklärte Fans. In den letzten drei Jahrzehnten seit der Gründung seiner Firma sind ein Paar «Louboutins» zu einer Metapher für echten Luxus geworden. Rapperin Cardi B hat ihnen im Jahr 2017 sogar einen eigenen Song gewidmet. Und auch wenn die Pumps mittlerweile in 1000 unterschiedlichen Variationen erhältlich sind, verbindet sie ausnahmslos ein Merkmal: die rote Ledersohle. Das Markenzeichen jedes Schuhs aus dem Hause Louboutin. Und was hat es mit den roten Sohlen genau auf sich? Die Geschichte, die dahintersteckt, ist dem Zufall zu verdanken. Bei einem neuen Prototyp plagte Christian Louboutin das Gefühl, dass dem Schuh das gewisse Etwas fehlte. Seine Assistentin, die an diesem Tag mit roten Nägeln im Atelier erschien, brachte den
Designer auf die zündende Idee: Den roten Lack pinselte er kurzerhand auf die Sohlen und setzte damit einen Akzent, der Geschichte schreiben sollte. Der Schuh wurde zur Sensation. Warum Louboutin über all die Jahre gerade bei Rot geblieben ist? Weil es, laut seiner Auffassung, keine Farbe, sondern die Essenz der Verführung ist. Die roten Louboutin-Ledersohlen sind sehr wichtig. Ein exklusiver Code. Weil die Menschen es lieben, zu einer verschworenen Gemeinschaft zu gehören. Dabei ist der Farbakzent subtil genug, um nicht aufdringlich zu sein. REBELLISCHE JUGEND Christian Louboutin wuchs unter Frauen auf. Als erster und einziger Sohn nach drei Töchtern wurde er von seiner Mutter vergöttert und mit Liebe überschüttet. Sein Vater, ein Zimmermann, war beruflich viel unterwegs und selten zu Hause. Louboutin hat bereits als Kind lieber gezeichnet, als in die Schule zu gehen. Nachdem er drei Mal aus dem Unterricht verwiesen wurde, entschloss er sich im Alter von zwölf Jahren, von zu Hause wegzulaufen – und erhielt darauf die Erlaubnis seiner Mutter, zu einem Freund zu ziehen. Statt eine echte Ausbildung zu absolvieren, zeichnete und reiste Louboutin seit seiner Jugend viel und ausgiebig und entdeckte rein zufällig seine grosse Liebe zu Schuhen, mit denen er, wie er später sagte, «Regeln brechen, Frauen Mut geben und sie emanzipieren» wollte. Seine erste Kollektion entwarf er mit 20 Jahren für die Showgirls des Varieté- und Musicaltheaters Folies Bergère in Paris. Die Tänzerinnen trugen nur einen Hauch von Nichts auf der Bühne, und dennoch spürte man diese Stärke und Selbstsicherheit bei ihren Auftritten – dank ihren hohen, kunstvoll geschwungenen und verzierten Schuhen. Danach war Louboutin ein Shooting Star. Chanel, Maud Frizon, Charles Jourdain, Roger Vivier und Yves Saint Laurent rissen sich um das junge Modetalent. Und Louboutin verbrachte seine Jugendjahre zwischen den grossen Pariser Modehäusern, wo er als Freelancer arbeitete. 1991 eröffnete Christian Louboutin mit Hilfe von zwei Freunden aus der Kunstszene seine erste kleine Boutique an der Seine. Er stand die ersten Jahre selbst im Verkaufsraum und schenkte seinen Kundinnen gratis Kaffee aus. Und der Zufall wollte es, dass gleich in der ersten Woche nach der Eröffnung Prinzessin Caroline von Monaco den Weg zu ihm fand – und den Laden begeistert mit vier gefüllten Schuhschachteln verliess. Von da an war der Erfolg der Marke Louboutin nicht mehr zu stoppen. So schliesst sich ein Kreis mit der Werkschau mit dem doppeldeutigen Namen «Christian Louboutin – L’Exhibition[niste]», die noch bis zum 26. Juli zu sehen sein wird. Es gibt eine schillernde Parade an Schuhkreationen aus seinem fast 30-jährigen Schaffen zu entdecken, viele davon Spezialanfertigungen, etwa für Michael Jackson, Tina Turner und Usain Bolt, ebenso wie die Inspirationen, die hinter den ausgewählten Modellen stecken. FRIVOLE LEICHTIGKEIT Louboutins Schaffen überschreitet auch in den zehn Ausstellungsräumen die Grenzen: Eine Theaterinszenierung aus dem Königreich Bhutan trifft auf Showtänzerinnen. Fetisch auf Filmlegenden. Die Schuhe hier sind mehr als nur ein Accessoire, sie sind Zeitzeugen und Kunst-Objekte zugleich. Ob Andy Warhol, ägyptische Katzen, Go-go-Tänzerinnen oder ein Zylinder von Marlene Dietrich: Sie alle haben den Franzosen beeinflusst, ebenso wie seine Reisen nach Afrika, Südamerika, Asien und Ozeanien.
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Danach sei sie in der Tat etwas unterkühlt gewesen, berichtete Louboutin amüsiert. Doch bei seiner Arbeit ist er ganz Profi, perfektionistisch, kreativ, leidenschaftlich. Zeichnungen seiner Schuhe müssen makellos sein, immer wieder radiert er Fehler aus. Das fertige Modell wird so lange begutachtet und verändert, bis er zufrieden ist. Das kann schon mal fünf Tage pro Exemplar dauern. «Ich muss mich sehr in eine Kollektion hineinvertiefen, um es richtig hinzubekommen», antwortete Christian Louboutin der «New York Times» auf die Frage nach seiner Arbeitsweise.
Als grosse, schimmernde Pyramide installiert, findet man im nächsten Raum eine Kollektion von Louboutins wichtigsten SchuhIkonen. Jedes Paar ist ein Meisterwerk. Sei es durch den Einsatz der edelsten Materialien, seine Originalität oder dank dem Wissen der besten Handwerker der Welt. Highlights sind ein CinderellaSchuh aus Kristall oder ein Pantoffel mit elaborierten Stickereien aus dem Atelier von Designer Sabyasachi Mukherjee. Ein Pumps mit dem Namen «Lady Grès» ist eine Hommage an die gleichnamige Modedesignerin, die zu Lebzeiten immer einen Turban getragen hatte. Weitere Exponate sind Architekturstars wie Oscar Niemeyer und Ettore Sottsass gewidmet. Popkultur verschmilzt hier mit zeitlosem Design. Mal glamourös, mal geschichtsträchtig, mal witzig und dann wiederum ohne intellektuelle Umschweife. Louboutin wurde lange auf seine sexy High Heels reduziert, die natürlich einen wichtigen Teil seiner Arbeit ausmachen, dabei zeigt die Ausstellung auch, dass er ein Meister der Inszenierung ist und keine Berührungsängste zum Alltäglichen kennt. Christian Louboutin durfte im Januar seinen 56. Geburtstag feiern. Seinen jugendlichen Schalk hat er jedoch bis heute nie ganz abgelegt. Bereits zum Beginn seiner Karriere, Ende der siebziger Jahre, als er die Nächte mit Mick Jagger und Andy Warhol im Pariser Nachtclub Palace durchtanzte, war ihm Freiheitsdrang und Inklusivität ebenso wichtig wie der Kontakt mit den Reichen und Schönen. Fast scheint es, dass Louboutins Karriere einzig auf dieses Lebensgefühl aufgebaut ist, das lieber schreit als schweigt. Das stets gelebte Motto: Schaut mich an. Ich bin stolz, zu sein, wie ich bin. Ich will alles sein, nur nicht langweilig.
80 PAAR STILETTOS IN ZWEI STUNDEN Christian Louboutin hatte das immer schneller rotierende Produktkarussell nie gestört – 150 Schuhe pro Saison, die er entwirft, war das nie eine Bürde für ihn? Der kleine Mann ist ein harter Arbeiter und ein Meister darin, aus Alltagsgegenständen und Eindrücken von seinen vielen Reisen neue Ideen für seine Schuhe zu finden. Erst kürzlich verkündete er in der britischen «Harper’s Bazaar»: «In der Mode gehen wir nicht mit der Evolution, sondern mit der Revolution. Es ist die Revolution, die das Weibliche zelebriert, an die ich glaube. Ich glaube, dass die Zukunft den Frauen gehört.» Die treuste Kundin des Maestros ist Bestseller-Autorin Danielle Steel. Sie soll mittlerweile über 6000 «Louboutins» besitzen. Regelmässig fliegt sie nach Paris und kauft die Boutique an der Rue du Faubourg Saint-Honoré halb leer. Ihr Rekord: 80 Paar Stilettos in zwei Stunden. Und das bei Preisen ab 600 Franken aufwärts – pro Paar versteht sich. Selbst in der Hip-Hop-Szene ist der Franzose in aller Munde. Und zu verdanken hat er das Cardi B. Die Entertainerin rappte 2017 in den ersten Zeilen ihrer Debutsingle «Bodak Yellow»: «These expensive, these is red bottoms, these is bloody shoes» und weiter: «Hit the store, I can get ’em both, I don’t wanna choose». Kurz nach dem Release wurde das Lied ein Hit und kletterte bis an die Spitze der amerikanischen Billboard Charts. Cardi B, geboren in der Bronx, hat als ehemalige Stripperin Erfahrung mit den hohen Hacken. Ihre ersten Louboutin-Stilettos bekam sie zu ihrem 19. Geburtstag geschenkt: von einem ihrer Verehrer, der regelmässig den Club besuchte, in dem sie lasziv an der Stange tanzte. Mittlerweile besitzt der Superstar weit über 100 Paar Schuhe von Christian Louboutin. Kollin Carter, Stylist von Cardi B, verriet dem «Billboard Magazine»: «Dort, wo Cardi B aufgewachsen ist, wollen viele junge Frauen mit den exklusiven Schuhen ein Zeichen setzen. In der Bronx vermittelt ein Paar von Louboutin wie kein anderes Statussymbol die Botschaft: ‹Ich habe es geschafft!›» Indem Cardi B über ihre Lieblingsschuhe rappte und sie zu vielen Events ausführte, kurbelte sie die Verkäufe des Labels enorm an. Laut einem Report von den Branchenkennern Business of Fashion und Suchanfragen auf der Fashion-Plattform Lyst explodierten die Suchanfragen nach dem Luxus-Schuhlabel um 217 Prozent mit dem Release von «Bodak Yellow». Christian Louboutin freute sich natürlich über die prominente Gratis-Werbung. Auch weil es ihm stets wichtig war, dass alle Frauen seine Schuhe lieben. Und dass gerade eine ehemalige Stripperin zur lautesten Botschafterin seiner Schuhe wurde, bringt den Maestro zum Schmunzeln. «So schliesst sich wieder der Kreis, da meine ersten Kreationen ja auch von Showgirls getragen wurden», erklärte Louboutin kürzlich im amerikanischen Fernsehen. Die Anerkennung, die Christian Louboutin heute auf der ganzen Welt geniesst, ist auch das Resultat seiner Hartnäckigkeit. Bis heute besitzt er, was äusserst selten ist, die volle kreative und
BIS IN DEN TOD VERBUNDEN Für Aufsehen sorgte letztes Jahr ein Foto in der «New York Post» zum Begräbnis der verstorbenen Aretha Franklin mit der Bildlegende: «Going in style, dressed in peace: Fire-red Louboutins, gold-plated coffin, three costume changes». Der letzte Wille der Souldiva war es, mit ihren feuerroten Lieblingsschuhen von dieser Welt zu gehen. Selbst zur eigenen Abdankung wollte die exzentrische Sängerin auf der Höhe des Glamours sein, den sie zu Lebzeiten kultiviert hatte. Deshalb mussten ihre heiss geliebten Louboutins mit in den goldenen Sarg, der im Greater Grace Temple in Detroit für Familie und Bewunderer aufgebahrt wurde. Frauen mit Ecken und Kanten haben Louboutin seit jeher fasziniert. Den Grundstein seiner Karriere legte er mit den «Love Pumps»: ein Paar schwarze Schuhe aus Wildleder, auf die das Wort «Love» kunstvoll gestickt war. Erst, wenn das Paar nebeneinandersteht, ist das Wort lesbar. Die Geschichte dahinter ist rührend und traurig zugleich. 1992 ging ein Foto von Lady Di um die Welt, das sie und Prinz Charles bei einem Indienbesuch vor dem Taj Mahal zeigte. Der Blick der Prinzessin ging in sich gekehrt und abwesend zu Boden. Der Schuhdesigner wollte mit seinen «Love Pumps» der damals notorisch unglücklichen Prinzessin ein wenig Trost spenden. Die Pumps wurden zum Verkaufsschlager – und Louboutins Karriere kam ins Rollen. So sehr, dass die heutige Chefredakteurin der US-amerikanischen «Vogue», Anna Wintour, damals seine Pariser Boutique besuchte, um die innovativen Schuhdesigns und Louboutin persönlich kennenzulernen. Wie der Maestro einst der Presse verraten hat, lief bei dem Besuch so einiges schief: Die schon damals als «Ice Queen» bekannte Wintour bezeichnete er in seiner Aufregung als «Ice Cream» – bis sie ihn pikiert über das Missverständnis aufklärte.
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stellten Louboutin-Stilettos ins Schwärmen gerät. «Hello Lover – von Dir habe ich immer schon geträumt», schmachtet sie dem Objekt der Begierde zu. Ob im Film, in Musikvideos oder auf dem Laufsteg: Das Phänomen der roten Sohlen ist eine universelle Erfolgsgeschichte. Was auch Louboutins revolutionärer «Nude»-Serie zu verdanken ist. Als einer der ersten überhaupt hat der Designer bereits vor vielen Jahren seine Pumps in neun verschiedenen Hauttönen produzieren lassen, damit Frauen jeder Hautfarbe ihre Beine dank dem passenden Nude-Effekt um ein Vielfaches länger schummeln können. In weiser Voraussicht, dass andere Schuhmarken auf die Idee kommen würden, Louboutins Markenzeichen für ihre Zwecke zu nutzen, liess der Designer schon vor vielen Jahren die roten Schuhsolen patentieren. Mit dem knallroten Pantone-Ton 181663TP darf in den Niederlanden, Belgien und Luxemburg kein anderes Unternehmen die Schuhsohlen verschönern. Anfang 2019 gewann das Unternehmen einen Fall gegen die Dosenbach-Tochter Van Haren, die seit 2012 Schuhe mit roter Sohle zu Billigpreisen anbietet. In der
finanzielle Kontrolle über sein Schuhimperium, das er vor 29 Jahren gegründet hat. Aktuell gibt es 160 Boutiquen auf der ganzen Welt, und sein Vermögen wird auf 85 Millionen Dollar geschätzt. Bis heute hat Christian Louboutin noch nie eine Werbeanzeige für seine Schuhe in einem Magazin geschaltet – eine absolute Seltenheit im Modegeschäft. Doch der Designer weiss genau, dass er selbst der beste Botschafter seiner Designs ist. Deshalb bereist er auch unermüdlich die ganze Welt, um an einem Tag ein Geschäft in Peking zu eröffnen und am folgenden die Arbeit seines Ateliers im Königreich Bhutan zu begutachten, wo selbst die junge Königin ein bekennender Fan seiner Schuhe ist. Nebenbei entwirft Christian Louboutin auch Handtaschen und hat kürzlich erfolgreich eine eigene Kosmetiklinie lanciert. SEX AND THE LOUBOUTIN Unvergessen ist die Szene aus der Serie «Sex and the City», in der Sarah Jessica Parker als Hauptprotagonistin Carrie Bradshaw auf der 5th Avenue in New York vor einem Schaufenster mit ausge-
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und Spikes sowie aufwendige Stickereien und viel Strass, der wie kleine Diamanten am Fuss leuchtet. Louboutin mag glanzvolle Auftritte ebenso wie die Langlebigkeit seiner Entwürfe: «Heute betrachte ich meine Schuhe eher wie ein Juwelier seinen gefertigten Schmuck», sagt er. «Gemacht für die Ewigkeit». Als Verneigung der besonderen Art ist auch der allerletzte Schuh der finalen Haute-Couture-Modeschau des damals bereits todkranken Yves Saint Laurent zu sehen. Der YSL-Abschiedsschuh wurde, was selbst die meisten Modekenner nicht wissen, von Christian Louboutin designt. Das helle Licht strahlt auf das filigrane Kunstwerk und weckt in ihm ein kleines Feuer, das keinen kaltlässt. Und auch wer weder kunstaffin noch modekundig ist, wird sich an dieser Inszenierung erfreuen können. Ein Labyrinth öffnet sich, die einzelnen Vitrinen und Videoprojektionen in der weitläufigen Architektur der Schau haben ihre jeweils innere Logik, jede eine neue Bezauberung. Zehn Räume wurden dafür extra ausgestattet. Auf der Zeitreise durch die Ausstellung findet man sich in einer Nachbildung von Louboutins erstem Atelier wieder, das er zum Beginn seiner Karriere in einer kleinen Wohnung im 9. Arrondissement eingerichtet hatte. Erste Mood Boards, Zeichnungen und Entwürfe von Designern, die er damals vergötterte sind zu sehen. Azzedine Alaïa war einer von ihnen. Zum krönenden Abschluss taucht man in die mysteriöse Filmwelt von Regisseur David Lynch ein, der den Fetisch um den Schuh auf die Spitze treibt. Christian Louboutin ist ein Meister darin, Verbündete zu finden und neue Wege gemeinsam zu gehen, um etwas zu schaffen, das Bestand hat. Nicht nur ein Gimmick für eine Saison. Das Wunderbare an Louboutins Entwürfen ist, dass sie nicht altern. Den Pigalle-Pumps hat er bereits vor 15 Jahren entworfen. Und seine Schuhe lassen sich jahrelang tragen, sie kommen nicht aus der Mode. Wo sie exzentrisch sind, nehmen sie den Charakter einer gewissen Eleganz an. Und darin sind sie dann den eigens für die Pariser Ausstellung gefertigten Skulpturen, gedrehten Filmen, gemalten Bildern und Fotografien verwandt, in denen ihre Geschichte bewahrt bleibt – und die zugleich in die Zukunft weisen.
Schweiz gab es jedoch einen Dämpfer: Das Bundesgericht stellte fest, dass auch andere Hersteller wie etwa Yves Saint Laurent hochhackige Schuhe mit farbiger Sohle verkaufen und sich diese daher nicht schützen liessen. Was oft vergessen wird, ist der Fakt, dass Louboutin nicht nur Mörderstilettos verkauft, sondern auch Sneaker, Schnürschuhe für Herren und flache Stiefel. Dem Unterschied zwischen hohen und flachen Schuhen habe er selbst nie gross Beachtung geschenkt, verriet er einst an einer Shop-Eröffnung. Und er räumt auch mit einem Vorurteil auf: «Ich habe schon immer auch flache Schuhe gemacht. Aber viele Menschen sind von hohen Absätzen fasziniert, weil diese als besonders sexy gelten. Wenn Sie mich fragen, ob flache Schuhe auch sexy sein können, lautet meine Antwort ganz klar: ja. Denken Sie nur an Brigitte Bardot. Sie war der Inbegriff der Sinnlichkeit. Und sie trug meistens Ballerinas. Weiblichkeit ist also nicht untrennbar mit der Höhe der Absätze verbunden. Das sage ich, obwohl ich persönlich High Heels sehr liebe.» DER EWIGE NOMADE Louboutin ist gerne und oft unterwegs. Sein Lebensmittelpunkt ist nach wie vor sein eigenes Apartment in Paris, doch er besitzt auch ein Landhaus in der Bretagne, ein Schloss in der Vendée-Region Frankreichs, ein Stadtpalais in Lissabon, ein Strandhäuschen in Melides, Portugal, und ein Landhaus in der Nähe von Luxor (samt Hausboot auf dem Nil). Eine Villa in Los Angeles rundet das imposante Immobilien-Portfolio ab. Dazu reist er gerne und oft nach Asien und Südamerika, stets auf der Suche nach neuen Ideen. Seine Inspiration ist das pralle Leben – keine Fotos oder Bücher. Persönliche Erlebnisse und Eindrücke sind ihm viel lieber. Der Franzose gilt als Meister darin, starke Muster, Materialien, Details oder Farben zu einer neuen Einheit zusammenzufügen, die zeigt, dass der kreative Prozess zum fertigen Schuh durchaus Spass machen kann. Kein anderer mischt verschiedene Stile so wie Christian Louboutin: Neben der Kunst bedient er sich der Musik oder gesellschaftlicher ebenso wie ethnischer Themen. Stets dabei: seine ausgeprägte Vorliebe für Farben, Spitze, Nieten
L’Exhibition[niste] Palais de la Porte Dorée bis 26. Juli 2020
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MR. BOUALAO UND DIE GEISTER DES
ME KO NG Autor_Thomas Hauer
AUF DER RUND 4500 KILOMETER LANGEN REISE VOM TIBETISCHEN HOCHLAND HINAB ZU SEINEM MÜNDUNGSDELTA AM SÜDCHINESISCHEN MEER DURCHFLIESST DER MEKONG SECHS LÄNDER. DABEI WÄCHST ER VOM UNSCHEINBAREN RINNSAL ZU EINEM DER MÄCHTIGSTEN STRÖME DER ERDE. ENTLANG EINES DER SPEKTAKULÄRSTEN FLUSSABSCHNITTE ZWISCHEN GOLDENEM DREIECK UND DER LAOTISCHEN HAUPTSTADT VIENTIANE HAT SICH IN DEN LETZTEN 20 JAHREN EINE BESCHEIDENE KREUZFAHRTINDUSTRIE ENTWICKELT. DURCH SIE WURDE DIESE NOCH BIS VOR WENIGEN JAHREN WEITGEHEND UNERSCHLOSSENE REGION AUCH FÜR DEN MAINSTREAM-TOURISMUS ZUGÄNGLICH.
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51 © Ross Hillier
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Katarakte gebildet haben. Durch diese Nadelöhre drängt der Fluss mit solcher Gewalt, dass selbst die 2017 komplett überholte «Mekong Pearl», die normalerweise auch mit schwierigen Bedingungen gut zurechtkommt, unter Volllast flussabwärts fahren muss. Nur so können die Ruder genügend Druck aufbauen, um das Schiff in der schmalen Fahrrinne zu halten. Ein Unterfangen, das Kapitän Boualao und Navigator Mr. Vansee, die es zusammen auf rund 70 Jahre Berufserfahrung bringen, all ihr Können abverlangt. Nautische Geräte wie Echolot oder gar verlässliche Karten sucht man auf der Kommandobrücke dagegen vergeblich. Doch keine Sorge: Lotse und Kapitän kennen jeden Felsen, jede Untiefe und jede Sandbank entlang der Route wie ihre Westentasche. Weiter flussabwärts wird das anfangs noch breite Mekong- Tal dann immer enger, und die mit dichten Teakwäldern und sattgrünem Bambus bewachsenen Bergflanken zu beiden Seiten des Ufers, an denen einfache Bambushütten wie Schwalbennester kleben, ragen fast senkrecht in den Himmel. Nur hier und da stechen durch Brandrodung urbar gemachte Felder an den Hängen wie Narben aus dem tropischen Dickicht hervor. Die knapp 30 Passagiere, die in grosszügigen Teakholz-Kabinen untergebracht sind, gönnen sich derweil ein eisgekühltes Beerlao auf dem Achterdeck, entspannen im winzigen SchiffsSpa oder geniessen von bequemen Liegestühlen aus die im Zeitlupentempo vorbeiziehende Leinwand. Auf der dösen gegen Mittag auf breiten Sandbänken Wasserbüffel träge in der Sonne, während einsame Fischer in schmalen Langbooten die im Fluss ausgebrachten Netze kontrollieren und zahllose Kinder aus den ufernahen Dörfern nach der Schule Abkühlung im Wasser suchen. Dann werden die Passagiere von einem dezenten Gong zum Lunch gebeten. Chefkoch Mr. Ning und sein Team zaubern dreimal am Tag in ihrer winzigen Kombüse köstliche Buffets und À-la-carte-Menüs. Meist einfache, aber wohlschmeckende lokale Spezialitäten. Zum Beispiel das laotische Nationalgericht Laab, ein herzhafter
Schottete sich die 1975 gegründete Demokratische Volksrepublik Laos, bis heute ein sozialistischer Einparteienstaat unter Führung der revolutionären Volkspartei LRVP, doch noch bis Mitte der 80er Jahre hermetisch von der Aussenwelt ab; gab es in dem Land, das zu mehr als 60 Prozent aus Gebirge und undurchdringlichem Dschungel besteht, bis auf wenige Überlandstrecken in der Mekong-Ebene weder befestigte Strassen noch ein Eisenbahnnetz. Doch parallel zur wirtschaftlichen Öffnung des grossen Bruders Vietnam lüftete sich auch in Laos Stück für Stück der politische Bambusvorhang. Heute sind es vor allem die Chinesen, die mit prestigeträchtigen Grossprojekten wie einer gerade im Bau befindlichen Hochgeschwindigkeitsbahntrasse die Entwicklung des Landes mit grossem Tempo forcieren. Tatsächlich war Laos aufgrund seiner geopolitischen Lage als küstenloser Pufferstaat und französische Kolonie bis zu seiner Unabhängigkeit im Jahr 1954 über Jahrhunderte hinweg nicht nur Spielball im Ringen europäischer Grossmächte um einen Logenplatz im lukrativen Chinahandel, sondern auch des hegemonialen Strebens seiner mächtigen Nachbarn. Ab Mitte der 60er Jahre wurde es ausserdem zum Schauplatz eines grausamen Stellvertreterkrieges im Schatten des Vietnamkonflikts. Doch am Ende gewann auch in Laos der bewaffnete Widerstand militärisch die Oberhand, angeführt vom legendären «roten Prinzen» Souphanouvong. Doch das ist Geschichte. Unsere rund 800 Kilometer lange Reise flussabwärts beginnt an der thailändisch-laotischen Grenze, die wir bei Huay Xai passieren. Jetzt, am Ende der Regenzeit, müsste der Pegel des Mekong hier eigentlich rund drei Meter höher stehen, aber auch in diesem Winkel der Erde macht sich der Klimawandel bemerkbar, denn der lebensspendende Monsun wird immer unberechenbarer. So ragen an zahlreichen Stellen rasiermesserscharfe Felsklingen aus dem von fruchtbarem Sediment rotbraun gefärbten Wasser, zwischen denen sich gurgelnde Strudel und reissende
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Spektakuläre Urwaldkulisse entlang des Mekong.
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Laotischer Reisbauer.
Ein junger Mönch wäscht seine Almosenschale.
Fleisch- oder Fischsalat mit Minze und Koriander. Auch wenn sich Mr. Ning mit Rücksicht auf europäische Gaumen in Sachen Schärfe zurückhält, reicht die Chilidosis manches Gerichts doch aus, um einem Tränen in die Augen zu treiben. So entspannt die Passagiere das Bordleben geniessen, so konzentriert geht es gleichzeitig auf der Brücke zu. Der Mekong verzeiht keine Fehler. Doch Kapitän Boualao, der nie ein Patent erworben hat, weil man schnödem Papier in Laos ohnehin nicht viel Bedeutung beimisst, verlässt sich nicht alleine auf seine Erfahrung. Fast noch wichtiger ist es, die Flussgeister gnädig zu stimmen. Denn auch wenn sich die Tiefland-Laoten entlang des Mekong zum Buddhismus bekennen, glauben sie nicht weniger inbrünstig an Geisterwesen aller Art. Seien es nun verstorbene Ahnen, die besänftigt werden müssen, oder Naturgeister, die in den Untiefen des Flusses oder der angrenzenden Wälder leben. Und so führen Kapitän Boualao und Mr. Vansee an besonders heiligen Stellen entlang des Ufers kleine Opferrituale durch. Dann wandert mal eine Handvoll Reis, mal eine Banane über Bord. Schliesslich muss auch so ein Flussgeist regelmässig essen. Klar. Ab und zu gibt es auch mal ein Gläschen hochprozentigen Reisschnaps, den die Geisterwesen offenbar ebenfalls zu schätzen wissen. Für Bares – in Südostasien normalerweise gängigste Währung, um sich gutes Karma zu sichern – sind sie dagegen weniger empfänglich. Die Schiffseigner selbst vertrauen übrigens lieber auf eine gut dotierte Police beim laotischen Ableger der Allianzversicherung. Da auf dem Mekong nur auf Sicht gefahren werden kann, muss der Kapitän spätestens, wenn die Sonne untergeht, vor Anker gehen. Dann wird das Schiff mit armdicken Tauen an stählernen
Haltestangen festgemacht, die von der Besatzung in Windeseile in das weiche Sediment getrieben werden. Befindet sich der Liegeplatz in der Nähe einer Siedlung, ist das ausserdem eine gute Gelegenheit, das Laos jenseits der Hochglanzbroschüren zu erleben. Zum Beispiel beim Besuch des Dorfes Ban Huay Phalam, das auf keiner Landkarte der Welt verzeichnet ist. Doch zunächst gilt es, im Gänsemarsch die steile Uferböschung zu erklimmen, in die die Mannschaft schnell ein paar Behelfsstufen gegraben hat. In den zum Schutz vor Schlangen und Skorpionen auf Stelzen errichteten Bambushütten leben Menschen aus der Volksgruppe der Khamu, die ihren bescheidenen Lebensunterhalt mit dem Anbau von Trockenreis verdienen oder sich als Lohnarbeiter auf chinesischen Plantagen im Hinterland verdingen. Nach anfänglicher Skepsis werden die Besucher schon bald von Kindern umringt, die die reichlich marode wirkende staatliche Dorfgrundschule besuchen. Schliesslich kommt es nicht oft vor, dass Fremde hier auftauchen – schon gar nicht 30 bleichgesichtige Farangs auf einmal. Auf etwa halber Wegstrecke flussabwärts erreicht die «Mekong Pearl», nachdem sie die Tham-Thing-Höhlen bei Pak Ou mit ihren mehr als 6000 Buddha-Statuen passiert hat, dann die alte laotische Königsstadt Luang Prabang, die seit 1995 zum UNESCO-Weltkulturerbe zählt und Luxustouristen wie Backpacker gleichermassen in ihren Bann zieht. Luang Prabang ist nicht nur spirituelles Zentrum des Landes, wo vergoldete Stupas und Pagoden von mehr als 30 Klöstern um die Wette funkeln, sondern lockt Besucher auch mit Dutzenden von Hotels und Guesthouses, Restaurants und Massageshops. Nach vier Tagen
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jenseits der Zivilisation schon fast ein Kulturschock. Auch wenn es hier ausserhalb der Saison vergleichsweise gemächlich zugeht. Während des 48-stündigen Aufenthalts steht klassisches Sight seeing auf dem Programm, darunter eine Stippvisite im ehemaligen Königspalast, auf dem geschäftigen Nachtmarkt oder im ältesten Tempel der Stadt, dem Wat Xieng Thong. Und auch ein Abstecher zu den spektakulären Sinterterrassen der Kuang-Si-Wasserfälle gehört natürlich dazu. Nachtleben hat die Stadt dagegen kaum zu bieten. Noch vor Mitternacht werden die Bürgersteige hochgeklappt. Aus gutem Grund, denn in Luang Prabang heisst es früh aufstehen: Gegen 5.30 Uhr findet allmorgendlich der Almosengang der Mönche aus den umliegenden Klöstern statt. Mittlerweile eine von Laos’ bekanntesten Touristenattraktionen – zum Unmut vieler Mönche allerdings. Die letzte Etappe bis nach Vientiane vergeht dann fast wie im Flug. Vorher durchquert die «Mekong Pearl» aber noch einmal eine der ursprünglichsten Landschaften entlang des gesamten Flusslaufes, deren magische Aura regelrecht in Trance versetzt, sodass sich Stunden und Tage, ja die Zeit, selbst aufzulösen beginnen. Spätestens beim Beach-BBQ unter sternenklarem Himmel auf einer Sandbank im Nirgendwo, bei dem der Reisschnaps in Strömen fliesst und zu dem auch die Bewohner des nahegelegenen Dorfes kommen, ist dann auch der letzte Farang mit dem Herzen ganz in Laos angekommen. Wäre da nicht der niedrige Wasserstand, der bei Pak Lay schliesslich selbst die «Mekong Pearl» beinahe schachmatt setzt, denn mittlerweile ist der Pegelstand auf rund anderthalb Meter abgesackt. Zum Glück haben die Chinesen flussaufwärts die Fluttore ihrer gewaltigen Dämme geöffnet, sodass es das Schiff auf der anrollenden Welle gerade noch bis nach Vientiane schafft. Trotzdem muss Schiffsjunge Laan regelmässig mit einer langen Bambusstange prüfen, wie viel Wasser die «Mekong Pearl» noch unterm Kiel hat. Vor grösseren Stromschnellen ist das Chefsache, und der Kapitän fährt mit einem Fischerboot voraus, um sich die Situation persönlich anzuschauen, muss das Schiff kurz vor dem Ziel doch noch den gefürchteten Keng-Chan-Katarakt passieren, die grössten Untiefen der gesamten Strecke. Der kurze Besuch der Kapitale mit ihrem prachtvollen Siegestor, das an den glanzvollen Sieg über die Franzosen erinnert, ist dann nur noch eine Fussnote dieser beeindruckenden Reise tief in die Seele dieses vergessenen Landstrichs.
Lernidee Erlebnisreisen offeriert zwischen September und Februar diverse Mekong-Arrangements auf zwei modernen Flusskreuzfahrtschiffen. Eine 15-tägige Reise, inklusive elf Tage Kreuzfahrt zwischen Goldenem Dreieck und Vientiane, gibt es inklusive Flug mit Thai Airways, Ausf lugspaket und Vollpension ab circa 3480 Euro pro Person.
WWW.LERNIDEE.DE
Der Wat-Xieng-Tempel in Luang Prabang.
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WAT CHES & JEW WATCHES& JEWELLERY ELLERY PRESTIGE
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SCHLICHT, EINFACH
UND TROTZDEM MANCHMAL KOMPLIZIERT Autor_Gisbert L. Brunner
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DER SLOGAN «ALLES ZU SEINER ZEIT» TRIFFT AUCH AUF ARMBANDUHREN ZU. IM LEBEN KULTIVIERTER ZEITGENOSSINNEN UND -GENOSSEN GIBT ES IMMER WIEDER GELEGENHEITEN, BEI DENEN SPORTLICHE OPULENZ FEHL AM PLATZ UND SCHLICHTE ELEGANZ ANGESAGT IST. PRESTIGE PRÄSENTIERT ARMBANDUHREN, DIE TROTZ IHRER GESTALTERISCHEN ZURÜCKHALTUNG JEDE MENGE BIETEN.
GEHEN
Gehen Frau oder Mann von Welt in Jogginganzug oder Jeans zum Opernball? Schwer vorstellbar, denn schon am Eingang würde höflich, aber bestimmt auf die Kleiderordnung hingewiesen. Aufs Handgelenk blickt bei dieser Gelegenheit niemand. Ob dort ebenfalls gänzlich Unpassendes die Stunden, Minuten und Sekunden indiziert, interessiert schlichtweg nicht. Dabei sollten regelmässige Ball-, Opern- oder Theatergänger, die etwas auf sich und ihr Erscheinungsbild halten, auch ihrer Uhr das nötige Mass an Aufmerksamkeit widmen. Mit einem markanten SportChronographen oder einer opulenten Taucheruhr begehen sie zwar keinen Fauxpas, aber irgendwo liegen sie doch kräftig daneben. Mehr als Zeiger für die Zeit und vielleicht noch eine Datumsanzeige braucht es in festlichem Rahmen nämlich nicht. Mit Luxusaskese hat Reduktion dieser Art nichts zu tun. Und der Makel des Billigen haftet ihr auch nicht an. «Wirklichen Reichtum», so der slowenische Philosoph und Psychoanalytiker Slavoj Žižek, «erkennt man daran, dass er nicht mehr in das Schema arm / reich fällt, sondern dieses Schema in einer souveränen Geste transzendiert.» Elegantschlichte Armbanduhren zu Frack, Smoking oder dem langen Kleid beziehen ihren Charme aus gekonnter Beschränkung aufs Wesentliche. Ihre Gestalter huldigten der weisen Erkenntnis des Fliegers und Schriftstellers Antoine de Saint-Exupéry, wonach Vollkommenheit nicht dadurch entsteht, wenn sich nichts mehr hinzufügen lässt, sondern dann, wenn man nichts mehr wegnehmen kann. Sind die Schlichten dann auch noch ultraflach ausgeführt, wird es ganz schön kompliziert. Derartige Uhrwerke fordern die Manufakturen in besonderer Weise heraus, weil mit abnehmenden Dimensionen auch die Fertigungstoleranzen geringer werden. Zum Beispiel müssen Uhrmacher die Lagersteine wegen des geringen Höhenspiels der darin rotierenden Zapfen extrem sorgfältig einpressen. Ferner verlangen Uhrwerke dieser Art bei Feinbearbeitung, Montage und Regulierung nach zeitraubender Handarbeit. Und die hat logischerweise ihren Preis. Mit Blick auf die Geschlechter passt schlichte Eleganz auch perfekt an weibliche Handgelenke. Selbst 40 Millimeter Durchmesser machen dort heutzutage eine gute Figur. Es lebe die chronometrische Gleichberechtigung.
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SCHLANKES AUS SACHSEN Weniger bei einer Luxus-Armbanduhr geht fast nicht. Die 39 Millimeter grosse «Saxonia Thin» von A. Lange & Söhne besitzt lediglich Zeiger für Stunden und Minuten. Deren Länge passt zu den Proportionen des blauen Zifferblatts mit schlanken Strichindexen. Das Fehlen eines Sekundenzeigers sorgt für Entspannung im hektischen Alltag. Sorge, dass das 2,9 Millimeter flache Manufaktur-Handaufzugskaliber L093.1 seinen Dienst versagt, muss Frau beim hohen Qualitätsanspruch der sächsischen Nobelmanufaktur nicht haben. SCHLICHT, EINFACH, CLASSIMA Irgendwann kommt der Zeitpunkt, wo Frau sich ihre erste LuxusArmbanduhr Schweizer Provenienz leisten möchte. Im Portfolio des Richemont-Konzerns heisst die Einsteigermarke Baume & Mercier. Dort erinnert «Classima» an die Schlichtheit der 1940er Jahre. Den Gehäusedurchmesser eines neuen femininen Modells deutet der Modellname «Classima 27 mm» bereits an. Im Stahlgehäuse mit Sichtboden findet sich das Automatikkaliber 2671 von Eta. Sein Federhaus speichert Kraft für 38 Stunden. Zur Wahl stehen Zifferblätter ohne oder mit Diamanten. UHR IM ZEICHEN DER LIEBE Zusammen mit der chinesischen Schauspielerin Li Bingbing hat Carl F. Bucherer ein tickendes Zeichen der Liebe geschaffen. Es ist rund, misst 35,5 Millimeter und beherbergt das Eta-basierte Automatikkaliber CFB 1971 mit kleinem Sekundenzeiger bei «6» sowie Fensterdatum. Damit Frau von Welt aus dem Vollen schöpfen kann, gibt es die neue «Manero AutoDate Love» in vielen verschiedenen Ausführungen. Gemeint sind Zifferblattfarbe, Material und Ausstattung des Gehäuses sowie das Armband aus Leder oder Metall. In allen Fällen besitzt die bis drei bar wasserdichte Schale Saphirgläser auf der Vorder- und Rückseite. EIN LOB DER FASSFORM Monsieur Louis, daran besteht nicht der geringste Zweifel, war ein begnadeter Designer. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts leistete der Mann mit Nachnamen Cartier entscheidende Beiträge zur Emanzipation der Armbanduhr von der runden Taschenuhr-Gestalt. In diesem Sinne gestaltete er 1904 die legendäre «Santos». 1906 folgte die nicht minder berühmte «Tonneau». Ihr langgestrecktes Gehäuse schmiegt sich förmlich ans Handgelenk. Als Reminiszenz an einen anerkannten Meister seines Fachs hat Cartier die «Tonneau» gründlich überarbeitet. Das Rotgoldgehäuse in den Dimensionen 23 x 46,3 Millimeter umfängt ein 2,9 Millimeter flaches Form-Handaufzugswerk vom Kaliber 1917 MC. Dessen Gangautonomie beträgt 38 Stunden. FREUND FÜRS WEIBLICHE HANDGELENK Die Kalender zeigten das Jahr 2015, als Chanel die neue Linie «Boy-Friend» auf die Bühne der luxuriösen Zeitmesskunst schickte. Obwohl das gestreckte achteckige Gehäuse zweifellos maskuline Gestaltungselemente aufweist, wendet sich diese Armbanduhr einzig und allein an Frauen. Neu in der Kollektion ist die in drei verschiedenen Grössen erhältliche «Boy-Friend Tweed». Bei diesem Stahlmodell mit schwarzem Zifferblatt durchbricht das von Tweed-Stoff inspirierte Armband die Grenzen zwischen den Geschlechtern. Die beiden Zeiger und den Ring des Fensterdatums bewegt ein präzises Quarzwerk fort.
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FLACHES AUS DEM VALLÉE DE JOUX Wahrhaft minimalistisch haben die Designer von Jaeger-LeCoultre im Vallée de Joux ihre «Master Ultra Thin Small Seconds» gestaltet. Summa summarum baut das Gehäuse mit 40 Millimeter Durchmesser gerade einmal 7,58 Millimeter hoch. Einen entscheidenden Beitrag zum extraflachen Auftritt am Handgelenk leistet das aus 223 Teilen selbst gefertigte und durch den Saphirglasboden beobachtbare Automatikkaliber 896 / 1. Nur 3,98 Millimeter beträgt die Höhe des tickenden Mikrokosmos mit kleiner Sekunde bei «6». Ohne Energienachschub läuft das Manufakturwerk rund 43 Stunden am Stück. Bis zu fünf bar Wasserdruck reicht die Wasserdichte der rotgoldenen Schale.
FAIRNESS GROSSGESCHRIEBEN Das Gehäuse der auf 250 Exemplare limitierten L.U. Chopard «XPS Twist» besteht aus ethisch gewonnenem Weissgold. Die Gesamthöhe beträgt nur 7,2 Millimeter. Ihre Manufaktur-Automatik vom Kaliber L.U.C 96.26-L, zur Schau gestellt hinter einem Sichtboden, hat den offiziellen Schweizer Chronometercheck der Prüfbehörde COSC bestanden. Demzufolge muss sich die tägliche Gangabweichung im engen Delta zwischen minus 4 und plus 6 Sekunden bewegen. Die ganze Armbanduhr genügt den extrem strengen Kriterien der Qualité Fleurier. Bis drei bar reicht die Wasserdichte der betont zurückhaltend gestalteten Schale. FLACH UND SCHLICHT MIT «TANKUHR» Kontinuierlich erweitert Frédérique Constant das Spektrum seiner Uhrwerke aus eigener Manufaktur. Solche gibt es seit 2004. Am Anfang mit manuellem, seit 2006 auch mit automatischem Aufzug. Das neu entwickelte Rotorkaliber FC-723 beseelt die «Slimline Power Reserve Manufacture». Wie der Name andeutet, besitzt das Œuvre eine Gangreserveanzeige. Der zugehörige Zeiger bewegt sich vor einem blauen Zifferblatt. Nach Vollaufzug stehen rund 50 Stunden Gangautonomie zur Verfügung. Neben den Stunden und Minuten lässt sich auch das Datum in analoger Form ablesen. Die mit vier Hertz oszillierende Unruh lässt sich durch den Sichtboden des 40 Millimeter grossen, bis drei bar wasserdichten Stahlgehäuses beobachten.
TICKENDE PRODUKTFORM Anfang der 1960er Jahre machte sich Max Bill daran, «das Nützliche, das auf schöne Art Bescheidene» zu schaffen. Zu seinem Œuvre gehörten auch Zifferblätter für Armbanduhren. 1962 brachte Junghans die Zeitmesser in den Handel. Als echter Glücksgriff erwies sich das Comeback im Jahr 1997. Ganz neu am Markt ist die an Damen adressierte «Max Bill Automatic» mit nur 24 Millimeter Durchmesser. Das schwarz PVD-beschichtete Edelstahlgehäuse schützt ein Automatikwerk vom Kaliber Eta 2824-2 bis zu drei bar Wasserdruck. LA BOHÈME FÜR DAMEN Expressis verbis an Damen wendet sich Montblanc mit «Bohème». Bei den Zifferblättern, welche traditionsgemäss stark zum Gesamteindruck beitragen, verwendet die Traditionsmarke viel Zeit auf Details. Ausdrucksstarke Stundenziffern mit eigener Typographie, sorgfältig ausgewählte Zeiger, Guilloche-Muster und acht Diamant-Indexe sind nur einige Beispiele. Weil es im Geschäftsleben regelmässig aufs Datum ankommt, haben sich die Designer bei der «Bohème Date Automatic» etwas Besonderes einfallen lassen. Ein spitzovales Fenster bei «6» dient besserer Ablesbarkeit. Das Uhrwerk im 34 Millimeter grossen Stahlgehäuse mit Diamantlünette ist ein Eta 2824-A2.
REMINISZENZ ANS JAHR 1966 Lediglich 3,36 Millimeter misst das Automatikkaliber GP3300 von Girard-Perregaux in der Höhe. Die Uhrmacher fügen den Mikrokosmos aus 185 Komponenten zusammen. Nachdem der Rotor seine Arbeit erledigt und die Zugfeder voll gespannt hat, stehen 46 Stunden Gangautonomie zur Verfügung. Beim Modell «GP 1966 38 mm» umfängt die Schweizer Traditionsmanufaktur dieses Manufakturwerk mit einem 38 Millimeter messenden Roségoldgehäuse. Das zeitlose Œuvre, dessen Wasserdichte bis drei bar reicht, trägt am Handgelenk nur 8,62 Millimeter auf.
ERINNERUNGEN ANS BAUHAUS Nomos steht seit 1992 für klares, unverfälschtes Design und Glashütter Uhrmacherkunst. Inzwischen entstehen sämtliche Uhrwerke unter dem eigenen Dach. In der stählernen «Tangente 33 Duo» mit 32,8 Millimeter kleinem Stahlgehäuse findet sich das sorgfältig feinbearbeitete Kaliber Alpha 2. Zum Spannen der Zugfeder verlangt es den Besitzerinnen tägliche Kontaktaufnahme ab. Bis drei bar Druck reicht die Wasserdichte des ans Bauhaus erinnernden Zeitmessers.
ZEIT-GALOPP Beim Design der «Galop d’Hermès» liess sich Ini Archibong von Kandaren, Steigbügeln und Harnischen, also Objekten rund ums Pferd, inspirieren. Dementsprechend präsentiert sich auch das Äussere dieser Damenarmbanduhr. Ecken und Kanten gibt es bei diesem Zeitmesser nicht. Den Auftritt kennzeichnet organische Schlichtheit. Man könnte auch von einem Kieselstein sprechen, den die kontinuierlich fliessende Zeit glatt geschliffen hat. 40,8 x 26 Millimeter misst das aussergewöhnliche, aus Edelstahl gefertigte Gehäuse mit Zeigerstellkrone bei «6». Ein gleichermassen komfortables wie präzises Quarzwerk erspart Frau das Aufziehen.
TONDA HEISST RUND Beim Betrachten der «Tonda Métropolitaine» wird jedem spontan klar, dass sich Parmigiani Fleurier sehr intensiv mit dem auseinandergesetzt hat, was die Herzen der Damen begehren. Ihr 33,1 Millimeter grosses Roségoldgehäuse hält ein handgefertigtes Hermès-Lederband am Unterarm. Der Pariser Feintäschner hat sich an der Werkemanufaktur Vaucher beteiligt. In deren Ateliers entsteht auch das flache Automatikkaliber PF310 mit zwei Federhäusern, 50 Stunden Gangautonomie, exzentrischem Sekundenzeiger und Fensterdatum. Beste Freunde sind jene 72 Diamanten von insgesammt 0,52 Karat, die das bis drei bar wasserdichte Gehäuse zieren.
ALLER GUTEN DINGE SIND DREI Die Erfolgsgeschichte der eleganten «Portofino»-Linie von IWC begann 1984 mit der Referenz 5251. Aus dem Produkt-Portfolio der Schaffhauser Manufaktur ist sie seitdem nicht mehr wegzudenken. Schlicht, elegant und zurückhaltend präsentiert sich die «Portofino Automatic» in Edelstahl. Ihr Gehäuse mit 40 Millimeter Durchmesser, welches Wasserdruck bis zu drei bar widersteht, umfängt ein Automatikwerk, das IWC 35110 getauft hat. Dahinter verbirgt sich ein flaches Eta 2892-A2 mit beidseitig aufziehendem Kugellagerrotor und 42 Stunden Gangautonomie.
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FÜR ALLE 24 STUNDEN DES TAGES Seit nunmehr 20 Jahren wendet sich Patek Philippe mit der Linie Twenty-4 ausdrücklich an beruflich erfolgreiche Frauen, die sich ihre persönliche Armbanduhr selbst kaufen wollen. Ein wertvolles Geschenk vom Partner schliesst das natürlich nicht aus. Neben der rechteckigen Ausführung mit Quarzwerk gibt es mittlerweile auch eine runde Begleiterin für alle 24 Stunden des Tages. Bei der Referenz 7300 zeichnet das aus 217 Teilen assemblierte Manufakturkaliber 324 SC mit Rotoraufzug für die Anzeige von Zeit und Datum verantwortlich. Das Gehäuse mit 36 Millimetern Durchmesser gibt es in Stahl oder Gold. Viel Spielraum bietet die Genfer Familienmanufaktur auch bei der Ausstattung mit Edelsteinen. FLACHE HOCHEBENE Von Peru bis Chile erstreckt sich die als «Altiplano» bestens bekannte Hochebene. Mit durchschnittlich 3500 Metern über dem Meeresspiegel zählt sie zu den höchsten menschlichen Siedlungsgebieten. Piaget hat diese Region zur Namenspatin für ultraflache Armbanduhren erkoren. Strahlendes Blau zeichnet das Zifferblatt der 36 Millimeter messenden Version mit Weissgoldgehäuse und 2,51 Karat Diamanten im Baguetteschliff aus. Durch einige Kronendrehungen muss Frau das eigener Manufaktur entstammende Kaliber 430P nach spätestens 43 Stunden mit frischer Energie versorgen. Folglich handelt es sich beim 2,1 Millimeter flachen, aus 131 Komponenten assemblierten Innenleben um ein Handaufzugswerk. BENVENUTO LÄSST GRÜSSEN Im Hause Rolex steht «Cellini» für zurückhaltende Eleganz. Die aktuelle Kollektion prägen runde Gold-Armbanduhren. Zu den sichtbaren Merkmalen der weissgoldenen «Cellini Date» gehören eine 39-Millimeter-Schale mit aussen fein geriffeltem Glasrand sowie die Datumsanzeige bei «3». Insgesamt vier Zeiger drehen vor einem guillochierten Zifferblatt vom Typ «Rayons flammés de la gloire». Natürlich ist die Krone mit dem bis fünf bar wasserdichten Gehäuse verschraubt. Vor dem Einbau muss die Manufakturautomatik 3165 zur Chronometer-Prüfstelle COSC. MEHR SEIN ALS SCHEIN Vacheron Constantin verwöhnt Damen, denen innere Werte mehr bedeuten als pompöse Äusserlichkeiten, mit der ausgesprochen dezenten «Patrimony Automatik». Diese Weissgold-Armbanduhr, Durchmesser 36 Millimeter, und das in ihr mit vier Hertz tickende Automatikkaliber 2450 Q6 erfüllen ohne Wenn und Aber die strengen Kriterien des Genfer Siegels. Sie betreffen konstruktive und handwerkliche Aspekte des Uhrwerks und die Ganggenauigkeit des fertigen Zeitmessers. Mehr als eine Minute falschgehen darf er innerhalb von sieben Tagen nicht. Von selbst mag sich verstehen, dass der Gehäuseboden ein Sichtfenster besitzt.
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MO TION MOT ION 104
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NEW BENTLEY CONTINENTAL GTC PRESTIGE
BRITISH OPEN AIR FEELING
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Autor_Patrick Frey Bilder_Bentley Motors Ltd.
MOTION
GIBT ES EIN EDLERES UND STILVOLLERES CABRIOLET ALS DEN NEUEN BENTLEY GT CONVERTIBLE? MITNICHTEN. DIE DRITTE GENERATION DES G TC BIETET WIEDER EIN TECHNISCH GEHOBENES FRISCHLUFTVERGNÜGEN DER FEINEN ENGLISCHEN ART. INDEED! Schon das geschlossene Coupé verzückte bei seiner Premiere an der IAA 2017 Publikum, Fachpresse und Kunden gleichermassen, legte es doch die Messlatte im Segment der Luxus-Gran-Turismo ein gutes Stück höher. Rechtzeitig zum 100. Geburtstag der Marke folgte in diesem Jahr die Markteinführung der offenen Version – des Bentley GT Convertible (oder kurz GTC). Das elegante Karosserie-Design schmeichelt dem Auge – das Profil des Cabriolets ist länger und niedriger als das des Vorgängermodells. Und in nur 19 Sekunden öffnet und schliesst sich das Dach, selbst bei vollem Tempo innerorts (also bis 50 km / h). Für das Verdeck stehen sieben unterschiedliche Farben zur Wahl, darunter erstmals auch ein authentisches Tweed-Material – how fabulous! Doch besonders wird ein Bentley durch sein exquisit handgefertigtes Interieur. Material- und Lifestyle-Optionen stehen in praktisch unbegrenzter Auswahl zur Verfügung. Die Standardpalette allein umfasst 17 Lackfarben, weitere 70 Farbtöne erweitern das Spektrum. Zudem gibt es 15 luxuriöse Teppichvarianten, acht verschiedene handverarbeitete Holzfurniere (mit weiteren vier Optionen für Kombinationen untereinander) und 15 Lederoptionen
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für die Innenraumverkleidung. Mit an Bord sind natürlich auch die bereits aus dem Coupé bekannte, voll digitale und fahrerorientierte Instrumententafel sowie das einzigartige Bentley Rotating Display, das wahlweise einen grosszügigen 12,3-Touchscreen, eine reine Furnierfläche oder drei edle Analoginstrumente anzeigt. Ein Bentley wäre kein Bentley, hätte er nicht ausreichend Dampf unter der Haube. Die 635 PS des 6,0-Liter-W12-TSI-Motors (mit Zylinderabschaltung) werden über ein Achtgang-Doppelkupplungsgetriebe an den neuen Allradantrieb übertragen. Dank seinem maximalen Drehmoment von 900 Nm erreicht der GT Convertible 100 km / h nach 3,8 Sekunden und hört mit der Beschleunigung erst bei 333 km / h auf. Ein weiteres technisches Highlight ist die 48-Volt-Architektur, die eine blitzschnelle Wankstabilisierung für eine konkurrenzlose Fahrzeugkontrolle ermöglicht. Die Dämpferregelung verändert in Abhängigkeit von Geschwindigkeit und Untergrund die Luftmenge in der Luftfederung und balanciert so optimal zwischen Komfort und Handling. Drei wählbare Fahrmodi ändern die Einstellungen von Aufhängung, Motor, Getriebe und anderen Fahrwerksystemen. Zudem kann der Fahrer individuelle Dynamikeinstellungen festlegen. Überarbeitet wurde auch die nahtlos in die beheizten Komfortsitze integrierte Nackenheizung, die sowohl wärmer als auch leiser geworden ist. Kombiniert mit dem beheizten Lenkrad, der Sitzheizung und den neuen beheizten Armlehnen sorgen diese Komfortfunktionen für ein luxuriöses Open-Air-Vergnügen zu jeder Jahreszeit – ab 267’100 Franken auch in der Schweiz.
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FASH ION FA SHION 124
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Coat and leather skirt: Dawid Tomaszewski Hat: Gucci Tulle top: Dawid Tomaszewski Shoes: Wandler
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COME, FLY WITH ME
Gedacht als Anlaufstelle für die Crew-Mitglieder nach langen Transatlantikflügen, eröffnete die Pan American World Airways 1966 ihre legendäre Luxus-Lounge in Berlin. Schnell wurde die Lounge zu einem geheimen Hotspot im zentralen Westen der geteilten Stadt. Rauschende Partys, Galas und Empfänge – wer Rang und Namen hatte, traf sich hier. Während an der Bar der Bourbon floss, verhandelten die Big Player aus Politik und Gesellschaft zurückgezogen in diskreter Atmosphäre über die Fragen ihrer Zeit. Erst mit dem Aus der Airline und dem Fall der Mauer in Berlin fiel die Lounge in einen langen Dornröschenschlaf. Mit der Neubelebung der Berliner City West und durch die Besitzerin Natascha Bonnermann wurden die Räumlichkeiten der Pan Am Lounge mit viel Liebe zum Detail und dem Bewusstsein für die historische Bedeutung dieser Location wiederbelebt.
Autorinnen_Swenja Willms und Snesha Bloom Bilder_Suzana Holtgrave
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Sie verliebte sich instinktiv: Natascha Bonnermann entdeckte durch einen Zufall die damals unbelebte Pan Am Lounge und liess durch die Wiedereröffnung den Geist der 60er Jahre auferstehen.
PRESTIGE: Frau Bonnermann, die Pan Am Lounge wurde 1966 für Crew-Mitglieder der Airline entworfen. Wie entstand aus einer Unterkunft ein Hotspot für Glamour und Partys? NATASCHA BONNERMANN: 1966, auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges, hatte Pan Am ihr Headquarter im neugebauten Europa-Center in West-Berlin. Die Airline musste sich Gedanken darüber machen, wo das Crew-Personal während eines Stopovers in Berlin unterkommt. Die Pan American Airways sicherte sich dank ihren guten Kontakten ein Gebäude an der Budapester Strasse 43 – die Überreste einer einstigen High-Society- Adresse, das Hotel Eden. Im 10. Stock des «Eden»-Hochhauses entstand ein Penthouse – die legendäre Pan Am Lounge. Die Partys der Pan Am Airline wurden eine Legende. Nicht nur die Partys der Airline sind berüchtigt, auch die Geschichte der Airline selbst und deren Einfluss auf Berlin. Einer der wohl bekanntesten Einsätze der Airline ist die berühmte Berliner Luftbrücke 1948. Die Pan Am assistierte damals der US-Luftwaffe und verhinderte schliesslich die Übernahme der ehemaligen Hauptstadt durch die Sowjetunion. In 90 Sekunden landeten riesige Maschinen im Tempelhof mit Kleidung, Lebensmitteln und Kraftstoffen, entluden die Ware und erhoben sich wieder in die Lüfte.
grosse Reparaturzahlungen tätigen, und gleichzeitig litt das Vertrauen in das Unternehmen extrem. Mit der Wiedervereinigung in Berlin musste Pan Am die Destination aus ihrem Streckennetz verbannen, da Lufthansa nun für Deutschland agierte. Mit dem Todesstoss erfüllte sich zugleich die Mission von Pan Am: die Anbindung Berlins an die freie Welt. Nach dem Aus der Airline im Jahr 1991 gerät die Lounge in Vergessenheit. Weshalb haben Sie sich dazu entschlossen, diese Räumlichkeiten neu aufleben zu lassen? Ich habe die Pan Am Lounge 2005 durch einen eigenartigen Zufall entdeckt. Ich war damals Schauspielerin, war viel für Dreh arbeiten unterwegs und landete in dieser Lounge und wusste, dass ich hier bleiben will. Ausserdem habe ich im Laufe der letzten Jahre so viele tolle Begegnungen gehabt mit Stewardessen und Piloten der Pan Am Airline, die mich so bewegt und beeindruckt haben mit ihrem Wagemut, Glamour und ihrer Tatkraft, dass ich dieses Erbe am Strahlen und Funkeln erhalten möchte. Mit dieser Lounge möchte ich den Servicegedanken einer First Class einer Boeing 747 Mitte der 60er widerspiegeln. Der Geist der Airline ist also bis heute noch spürbar? Das Partyblut unserer Gäste steckt auch heute noch in den Knochen. Mir liegt es sehr am Herzen, die Pan Am Lounge genau so zu bewahren, wie ich sie damals vorfand. Jeder kennt wahrscheinlich die Situation, dass man einen Lieblingslippenstift hat und eines Tages die Textur, die Formulierung oder die Farbe verändert wird, weil der Hersteller dachte, man müsste moderner werden. Doch das tue ich hier nicht. Ich behalte alle Details liebevoll weiter bei, selbst wenn sie heute eher spröde und ungelenk erscheinen, weil sie Teil des gesamten Erscheinungsbildes sind. Du kommst hier in einer Zeitkapsel an, und diese möchtest du bewahren.
Die Airline galt in den 50er Jahren als unumstrittene Nummer eins am Himmel. Was waren die Gründe für ihren Untergang? Grob gesagt waren es drei Gründe: Pan Am verfolgte immer nur eine Vision, die aber nicht immer umgesetzt werden konnte. Beispielsweise baute Pan Am ein Streckennetz in Amerika auf, welches so eigentlich niemand brauchte und grosse Verluste generierte. Nach dem ersten Terrorattentat im Flugverkehr, dem Anschlag auf ein Flugzeug der Pan Am Airways, musste die Airline
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Pants and jacket: Hermes Body: Vetements Shoes: Prada Earring: Mango
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FASHION
Top: Marcel Ostertag Trousers: Talbot Runhof Shoes: Balenciaga Glasses: Andy Wolf Rings: Xenia Bous
PHOTOGRAPHY:
SUZANA HOLTGRAVE FROM CALL LIST AGENCY ZURICH
MODEL:
SOPHIA FRIESEN FROM HER MANAGEMENT
STYLING:
ADELAIDA CUE BÄR FROM NINA KLEIN AGENCY
STYLING ASSISTANT: LAURA CAUFAPÉ
HAIR & MAKE-UP:
KATJA MAASSEN FROM LIGANORD AGENCY USING DIOR MAKE-UP
PRODUCTION:
SNESHA BLOOM FROM CALL LIST AGENCY ZURICH
LOCATION:
PAN AM LOUNGE BERLIN
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Jacket: Pallas Paris Top: Ganni Pants: Marcel Ostertag Shoes: Arket Hat: Spatz-Hut-design Passau Rings: Susan Bosslau Lab
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FASHION Dress: Richard Quinn Tights: Tom Ford Earring: Uterque Rings: Thomas Sabo Shoes: Wandler
PRESTIGE LINKS Pants: Talbot Runhof Silk blouse: Balmain Belt: Marina Hoermanseder Earrings: Mango Shoes: The Attico RECHTS Jacket: Talbot Runhof Silk blouse: Balmain Belt: Marina Hoermanseder Earrings: Mango
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FASHION
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Coat and leather skirt: Dawid Tomaszewski Hat: Gucci Tulle top: Dawid Tomaszewski Shoes: Wandler
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FASHION Trenchcoat: Christian Dior Earrings, Necklace and Bag: Christian Dior Tulle top: Dawid Tomaszewski Skirt: Talbot Runhof Shoes: Bottega Venetta
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PRESTIGE LINKS Jacket and shirt: Acne Studio Earring: Charlotte Chesnais RECHTS Top, sweater and skirt: Miu Miu Earrings: Goossens
HER(A). 142
FASHION
PHOTOGRAPHER: DIYALA KAYIRAN
HAIR- AND MAKE-UP ARTIST: NOELIA DE JESUS
STYLIST:
JUSTINE BLEICHER
MODEL:
IVANA DOMINKOVIC
AGENCY:
OPTION MODEL AGENCY
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PRESTIGE Trenchcoat: Stella McCartney Shoes: Amina Muaddi Rings: Dodo
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FASHION
LINKS Top, sweater and skirt: Miu Miu Earrings: Goossens RECHTS Shirt and jacket: Paul Smith Earring: Zara
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LINKS Coat: Dries Van Noten Trousers: Margaux Selle Shoes: Amina Muaddi RECHTS Dress: The Frankie Shop Earrings and ring: Goossens
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WOMEN
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TR EN DS by
TYLER ELLIS
Die LJ ist eine semi-strukturierte Handtasche mit einer dreieckigen Frontklappe und dem kundenspezifischen Spear-Lock-Verschluss.
LOUIS VUITTON
Louis Vuitton greift in seiner Spring-Summer-2020-Kollektion den Faden seiner eigenen Geschichte auf und bringt zwei auf kommende Jahrhunderte zusammen: der traumhafte Beginn des 20. Jahrhunderts und des 21. Jahrhunderts.
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JIMMY CHOO
Mahesa 100 aus Cuoio-Kalbsleder ist der Inbegriff von Eleganz. Der schlanke und geschnittene, leicht eckige Fuss verleiht diesem Stiefel ein modernes GefĂźhl.
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BE BEAUTY & AUTY WELL BE WELL ING BEING PRESTIGE
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KULTOBJEKT LIPPENSTIFT im Wandel der Zeit Autorin_Anna Karolina Stock
VOR LANGER ZEIT FING AN, WAS BIS HEUTE WÄHRT: DIE ERFOLGSGESCHICHTE DES LIPPENSTIFTS. DABEI BLICKT DAS RITUAL DES SCHMINKENS AUF EINE BEMERKENSWERT WECHSELHAFTE GESCHICHTE ZURÜCK. ALS SYMBOL DER VERFÜHRUNG, FILMREQUISITE ODER POLITISCHES STATEMENT – ROTE LIPPEN WAREN NIE NUR ZUM KÜSSEN DA.
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BEAUTY &WELLBEING
1920
Ob zurückhaltend natürlich oder feuerrot, glänzend oder matt – der Lippenstift war nie nur ein Beauty-Utensil, sondern ein Stimmungsbarometer und der Ausdruck eines Lebensgefühls, das epochenabhängig sehr unterschiedlich ausfallen konnte. Mit einer Ära veränderten sich auch die Form- und Farbtrends der Lippen. Das war schon in den letzten hundert Jahren so und wird auch in Zukunft so sein. Diese Ansicht vertritt zumindest Lidewij Edelkoort, eine der weltweit renommiertesten Trendforscherinnen für Mode und Design, die im Laufe der Zeit selbst zur Stilikone wurde. Die Niederländerin reist um die Welt, pendelt zwischen ihren drei Büros in Paris, New York und Tokio, immer auf der Suche nach gut verkäuflichen Informationen darüber, wie wir in Zukunft wohnen, uns kleiden, welche Farben und Materialien wir bevorzugen. Kurz gesagt: was wir kaufen wollen. Mit ihren Vorhersagen gibt Li Edelkoort, so wird ihr Name meistens abgekürzt, zwei Jahre im Voraus millionenschwere Einblicke in das Seelenleben stilprägender Frauen und damit in die verborgenen Launen und Wünsche künftiger Kundinnen. «Welche Lippenform gerade angesagt ist, hängt stark von der Rolle der Frau in der jeweiligen Epoche ab. Im Barock schminkte man sich einen herzförmigen Mund in zurückhaltenden Farben, um Frische und Jungfräulichkeit zu verkörpern», erklärt Edelkoort. In den 1920er und 1930er Jahren waren Frauen tatsächlich emanzipierter und unabhängiger als später in den 1950ern und 1960ern. Eine Marlene Dietrich oder eine Greta Garbo brauchten keine verführerischen, sinnlichen Lippen, um charakterstark und souverän zu wirken. «Fest steht, dass es tatsächlich alle zehn Jahre mehr oder weniger auffällige Lippenstift-Trends gibt. Mal schmaler, mal akzentuierter, mit richtigen Kanten, dann wieder etwas grosszügiger.»
EMANZIPATION, PROHIBITION, REBELLION Charleston, Kurzhaarfrisuren, Freizügigkeit machten den Stil der Goldenen Zwanziger aus. Zum künstlich gewellten Bubikopf und dem korsettfreien Kleid schminkte sich die Frau von Welt einen verführerischen, herzförmigen Mund in mattem Dunkelrot. Der Look war eine Mischung aus kokett und leicht verrucht und ein Symbol der Emanzipation. Besonders die sogenannten «Flapper Girls», jene jungen Frauen, die nachts ausgingen, Kette rauchten, schwarzgebrannten Whisky tranken, verhalfen der Lippenfarbe zu wachsender Popularität. Unterstützt wurden sie dabei vom Schwarz-Weiss-Film, der den Kussmund aufgrund des erforderlichen Kontrastes in seiner gewagtesten Form präsentierte – nämlich in Farben von Schwarz bis Granatrot. Bis heute sind die Bühnen- und Filmstars von einst für ihre charakteristisch geschminkten Lippen bekannt: etwa Clara Bow für ihren Amorbogen oder Mae Murray für ihren Bienenstich-Mund – ein Schmink trick von Max Factor, der eigens für den Film entwickelt wurde. Da die üblichen Pomaden durch die heissen Studiolampen zerflossen, wurde der Mund komplett überschminkt und dann ein kleiner herzförmiger Kussmund darauf platziert. Dieses runde Puppenmündchen war aus den 1920er Jahren nicht wegzudenken.
1930
EINE ZEIT DER DEPRESSION UND ANDROGYNITÄT In den 1930er Jahren wich der verspielte Charleston-Look einer neuen Strenge mit klaren, geraden Formen. Die Lippenmode wurde natürlicher und nüchterner. Statt den Mund zu überzeichnen,
1870
DIE ERFINDUNG DES ERSTEN LIPPENSTIFTS DER NEUZEIT Da sie als unsittlich und vulgär galten, tauchten tiefrote Lippen im Laufe der Kulturgeschichte meist nur an Lebedamen, eigenwilligen Königinnen wie etwa Elisabeth I. von England und später auch an Schauspielerinnen auf. Selbst als Guerlain im Jahr 1870 mit «Ne m’oubliez pas» («Vergesst mich nicht») den ersten Lippenstift und die erste Hülse in der Geschichte des modernen Make-ups entwarf, konnte sich niemand so richtig dafür begeistern. Und das, obwohl der pinkfarbene Wachsstift in einem innovativen Gehäuse mit Schiebemechanismus daherkam und – als Gipfel der Raffinesse – sogar nachfüllbar war. Auch als 13 Jahre später auf der Weltausstellung in Amsterdam ein in Seidenpapier gewickelter Stift aus gefärbtem Rizinusöl, Hirschtalg und Bienenwachs (mit dem klangvollen Namen «Stylo d’Amour» – «Liebesstift») präsentiert wurde, erlangte das als «Saucisse» (dt. Würstchen) verschmähte Ding alles andere als Weltruhm. Die französische Schauspielerin Sarah Bernhardt, eine Diva des späten 19. Jahrhunderts, erkannte jedoch das Potenzial der Pariser Kreation und verschaffte ihr zunehmende Popularität, als sie sich öffentlich den kirschroten Kussmund nachzog. Mithilfe der wachsenden Filmindustrie und der nach Selbstbestimmung schreienden Suffragetten-Bewegung, die 1912 mit signalroten Lippen durch New York zog, dauerte es nicht mehr lange, bis es den Schönmacher in emaillierten Hülsen auch in Kaufhäusern zu kaufen gab und das Lippenrot salonfähig wurde.
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typisch für die Wirtschaftswunderjahre. Darüber hinaus fanden auffällige Farbnuancen wie Orange und Koralle erstmalig Anklang. Typische Ikonen dieser Zeit waren Betty Page mit ihrem rot geschminkten Mund und Marilyn Monroe mit ihren betont weiblichen Kurven. Obwohl ihnen Üppigkeit und passive Weiblichkeit in Film und Fernsehen klar vorgelebt wurden, plagte die Frauen der 1950er ein innerer Zwiespalt: Einerseits kämpften sie für ihre im Krieg errungene Unabhängigkeit und gegen die klassische Frauenrolle, andererseits sehnten sie sich nach Sicherheit, einem trauten Heim und klar definierten Aufgaben. Es überrascht also nicht, dass sich in dieser Epoche auch ein Kontrastprogramm zur Sexbombe etablierte: der knabenhaft-grazile Frauentyp à la Audrey Hepburn. Diese sehr gegensätzliche Identifikationsfigur eines scheuen, koketten «Rehs» trug eher Koralle oder ein zartes Rotbraun auf den Lippen und schminkte den Mund, wenn überhaupt, nur zurückhaltend.
zog man lediglich den Amorbogen nach. Neben seidig glänzenden Braun- und Rottönen waren auch kräftige Pinknuancen und Fuchsia modern. Ab 1932 war in den Kosmetikregalen der Kaufhäuser auch der Lipgloss zu finden. Sieben Jahre später erschien der erste «Revlon Super Lustrous»-Lippenstift, ein kräftiger Rotton mit dem Namen «Fire & Ice», der bis in die vierziger Jahre ein Bestseller war – und auch heute noch gerne getragen wird. Mehr als 30 Millionen Exemplare wurden davon bereits verkauft und machen den Revlon-Klassiker zu einem der erfolgreichsten Lippenstifte aller Zeiten. Gleichzeitig waren die Dreissiger eine Zeit der Entbehrung und Sparsamkeit, in der man sich erstmals auf den starken Willen und die Individualität von Frauen besann. Schauspielerinnen wie Greta Garbo und Marlene Dietrich, die ihr Schicksal selbst bestimmen wollten, gehören zu den Stilikonen jener Zeit. Weite Marlene-Hosen und Blazer unterstrichen die androgyne Tendenz in der Mode. Doch in all ihrer Herbheit und Kühnheit sollten Frauen in den 1930ern trotzdem bildschön sein. Hiess man nicht gerade Marlene oder Greta, wurde mit dramatischen Lidstrichen und exakt gezupften, schmalen Augenbrauen nachgeholfen, dazu ein porzellanhafter, edler Teint.
1940
DER ZWEITE WELTKRIEG UND NEUES SELBSTBEWUSSTSEIN Während des Zweiten Weltkriegs sehnte man sich nach den schönen Dingen des Lebens. Egal, ob Parfüm, Strumpfhosen oder Lippenstifte, Luxusgüter waren Mangelware und nur auf dem Schwarzmarkt erhältlich. Wer Lippenstift besass, nutzte ihn für besondere Anlässe. Während seine Hülsen im Krieg noch als Patronen genutzt wurden, avancierte das kosmetische Accessoire nach 1945 immer mehr zum täglichen Gebrauchsgegenstand. In der Nachkriegszeit wurden die Lippen tendenziell wieder grösser und weiblicher geschminkt, angesagt war ein kräftiges Zinnoberrot. Das Lippenrot zielte aber weniger auf Verführung ab, sondern wurde für viele Frauen zum Instrument persönlicher Moral, das Leid kaschierte und Stärke signalisierte. Es unterstrich den mutigen Look einer selbstbewussten Frau, die zu Hause den harten Kriegsalltag bewältigte, nachdem ihr Mann auf dem Schlachtfeld gefallen war. Auch auf den Kinoleinwänden waren in den 1940er Jahren zahlreiche Hollywood-Grössen mit eigenwilligem Charakter und knalligen Kussmündern zu sehen: starke Charaktere wie Rita Hayworth, Bette Davis, Hedy Lamarr, Vivien Leigh und Katharine Hepburn. Sie alle spiegelten das neue Gefühl für die eigene Stärke wider und verkörperten die Frau von Welt, der es nachzueifern galt.
1950
NACHKRIEGSZEIT UND WIRTSCHAFTSAUFSCHWUNG Nach dem Wiederaufbau folgte das Wirtschaftswunder der 1950er Jahre. Man möchte den Krieg endlich hinter sich lassen, ein neues Kapitel aufschlagen. Üppig und verführerisch, statt zurückhaltend war die Devise jener Epoche. Sogar die Lippenstifthüllen wurden mit Edelsteinen besetzt, und die Lippen zeigten sich mit voluminösem Glanzeffekt. Ein über die natürliche Lippenlinie gezeichneter Mund in leuchtendem Rot oder kräftigem Pink war
«Fire & Ice» von Revlon zählt zu den erfolgreichsten Lippenstiften aller Zeiten.
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© Lawrence Schiller /Courtesy TASCHEN and Steven Kasher Gallery
Marilyn Monroe verkörperte die Ära der 50er Jahre mit verführerisch roten Lippen.
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© Richard Corman
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1960
LINKS Punk wurde zur Anti-Schönheits-Bewegung der 1980er. Allen voran: Madonna.
DIE ZEIT DER EXTREME UND KONTRASTE Woodstock, Flower Power, sexuelle Revolution und die Entdeckung des Weltalls – die Sechziger waren turbulent und voller Umbrüche. Man liess sich nicht mehr alles gefallen, stellte vieles infrage – so auch die bis dahin bestehenden Schönheitsideale. Während Stilikone Brigitte Bardot mit ihren voluminösen Haaren und dramatischen Augen noch für Sexappeal und Weiblichkeit stand, verkehrte Twiggy dieses Frauenbild ins komplette Gegenteil. Ihr magersüchtig-jugendlicher Chic setzte einen klaren Gegenpol zum bis dahin gefragten Bild der Frau als Sexsymbol. Als Zeichen der Ablehnung von pauschalisierter Schönheit, Wohlstand und Konsum wählten die Frauen der 1960er eher blasse und unauffällige Lippenstiftfarben wie perlmuttschimmerndes Beige, Babyrosa oder Silber. Da der rebellische Hippie-Look hauptsächlich von stark betonten Augen lebte, wurde oft nur ein Hauch Make-up-Grundierung in Beige, hellem Braun oder Rosé auf den Mund aufgetragen, um ein möglichst reduziertes Bild zu erzeugen. Ein zart schimmernder Gloss sorgte für einen vollen, weichen Schmollmund.
RECHTS «Rouge Pur Couture N° 19» von Yves Saint Laurent – die Trendfarbe in den 1980er Jahren.
1970
DIE SCHILLERNDE DISCO-ZEIT Die 1970er Jahre waren bunt, schillernd und ein bisschen verrückt: «Saturday Night Fever», «Studio 54», die Bhagwan-Kommune und farbige Soul-Diven wie Gloria Gaynor und Diana Ross bestimmten das Jahrzehnt. Zum Disco-Look aus Glitzerkostümen, Schlaghosen und Plateausohlen passte ein klar konturierter, glänzender Mund. Frauen studierten, verzichteten auf den Trauschein, waren alleinerziehend und brachen mit Konventionen. Dementsprechend selbstbewusst war auch die Lippenstiftfarbe der siebziger Jahre: burgunderrot, glitzernd und auffällig. Aber auch Rotbraun, Orange und Purpur waren wieder populär. Mithilfe von Lipgloss schillerten die Lippen in allen erdenklichen Farben, bevorzugt in warmen Rottönen. Die ersten Lippenstifthülsen aus Kunststoff kamen auf den Markt – preiswert und bunt für die breiten Massen.
1980
VON «DALLAS» BIS MADONNA In den 1980er Jahren war der Hippie-Look endgültig passé. Die Stars und Sternchen aus den amerikanischen TV-Serien «Dallas» und «Denver» bestimmten die Beauty-Trends der Achtziger: ein extrem starkes und künstliches Make-up, das an die Farbigkeit der fünfziger Jahre erinnert. Statt Eyeliner wurde jedoch reichlich Lidschatten aufgetragen, dazu knallroter oder pinker Lippenstift. «Rouge Pur Couture N° 19» von Yves Saint Laurent, ein intensives Fuchsia-Pink, war binnen 14 Tagen weltweit ausverkauft und gehört bis heute zu den Bestsellern der Marke. Als Gegenbewegung dazu symbolisierte der aufstrebende Punk-Look den Anfang einer neuen, aufregenden Zeit. Frauen wollten keinesfalls attraktiv oder süss sein und als Sexobjekt gesehen werden, sondern provozieren. Punk wurde zur Anti-Schönheits- Bewegung der 1980er – mit dabei die Extravaganz von Boy George und die Mode von Vivienne Westwood und Malcolm MacLaren. Sowohl Frauen als auch Männer trugen lange Mähnen – vorne
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kurz, hinten lang, auch bekannt als «Vokuhila». Dem Punk-Look entsprechend wurden die Lippenfarben eher dunkel gewählt, sogar Schwarz mit Metallic-Effekt war en vogue. Pop-Idole wie Madonna oder Annie Lennox repräsentierten die emanzipierte Frau, die sich mit androgyner Schönheit gängigen Beauty-Idealen widersetzt und zum Vorbild für viele Frauen wird.
UND WAS BRINGT DIE ZUKUNFT? Seit der Jahrtausendwende vollzieht die Mode im Beauty- und Fashionbereich einen immer schnelleren Wechsel. Trends ändern sich im Halbjahrestakt, und auch die Lippenmode ist vielfältiger geworden: Erlaubt ist, was gefällt. Mit dem wachsenden Bedürfnis nach Individualisierung entscheidet jede Frau selbst, was ihr steht und wie sie sich schminkt. Gleichzeitig wissen wir, dass sich die Trends im Laufe der Geschichte immer wieder wiederholen. «Bezogen auf den Lippenstift werden sanfte Nude-Töne wie Beige, Rosé oder Apricot, sowohl matt als auch glänzend, weiterhin den Wunsch nach Entschleunigung und Nachhaltigkeit symbolisieren», verrät Li Edelkoort. Entscheidend ist nicht die dramatische Wirkung, sondern dass die Form der Lippen ihrer natürlichen Linie treu bleibt und die Lippenfarbe möglichst optimal an den individuellen Teint angepasst ist. «In den 2020er Jahren werden definitiv auch wieder dünnere Lippen Trend sein. Eventuell könnten sich auch Lippen in einem perfekten Rot durchsetzen, die die Gewichtung und Proportionen zwischen den Augen, den Lippen und der Silhouette harmonisch ausbalancieren – klares Signal einer Ära der Postrezession und des gesellschaftlichen Neuaufbaus.»
1990
TECHNO UND DIE ZEIT DES INDIVIDUALISMUS Mobiltelefone, Internet, Spass- und Konsumgesellschaft, Techno und die Fitness-Welle bestimmten die 1990er Jahre, ein Jahrzehnt des Kommerzes. Man verabschiedete sich vom Modediktat, suchte neue Freiheiten und mehr Individualität. Letztere wurde in den verschiedensten Bereichen ausgelebt: Tattoos, Piercings, Drogen und elektronische Musik. Nach den modischen Extremen der 1980er brachte das Jahrzehnt ein deutlich natürlicheres Make-up und eine neue Schlichtheit mit sich. Dezente Farben und ein natürlich ausgemalter, sauber konturierter Mund bestimmten den individuellen Look der Neunziger. Neben Nude-Tönen wie in den Sechzigern und dem Revival von rotbraunen Lippen in unterschiedlichsten Nuancen lagen dunkle Lipliner, mit denen die Lippen sauber konturiert und schattiert wurden, im Trend. Nicht selten wurden die Lippenränder deutlich dunkler nachgezogen als der Rest des Mundes.
2000
DAS NEUE MILLENNIUM UND DIE SUCHE NACH HARMONIE «Cocooning» heisst das Schlagwort für die Jahrtausendwende, die mit Besorgnis und Unsicherheit einherging. Man besann sich wieder auf traditionelle Werte wie Familie und Freunde, schenkte inneren Werten mehr Beachtung. In den 2000ern herrschte ein Wunsch nach Harmonie vor, der auch vor der Mode keinen Halt machte: Sie wurde einfacher, reduzierter und sportlicher. Auch Lippenform und -farbe folgten dieser natürlichen Linie. Pastellige, zart schimmernde Töne wie Beige, Rosa und Apricot, sogenannte «non-colours», unterstrichen die Natürlichkeit der Trägerin und symbolisierten den Trend nach Rückbesinnung und der Suche nach Zukunftsorientierung. Wer sich den Mund dennoch in kräftigem Rot schminkte, hatte wohl die Absicht aufzufallen.
Marilyn & Me von Lawrence Schiller 210 Seiten TASCHEN ISBN 9783836536240
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VOLLE LIPPEN UM JEDEN PREIS Volle Lippen waren in den 2010ern so gefragt wie nie zuvor. Kaum jemand hat von Natur aus einen Mund wie Angelina Jolie, verfolgt wurde dieses Ideal aber trotzdem. Bei mangelnder Fülle halfen Stars und Sternchen also einfach nach: Es wurde gespritzt, geschröpft, gebürstet und mit Permanent-Make-up gemogelt. Beim normalen Verbraucher hingegen spielte dieser Trend schon in den 2010ern eine eher unbedeutende Rolle – nicht zuletzt, weil professionelle Schönheitseingriffe durchaus kostspielig sind. Zudem spricht man nicht umsonst von «Schlauchbootlippen», die an eine unschöne Schwellung nach einem Bienenstich erinnern.
Madonna NYC 83 von Richard Corman 96 Seiten 80 Abbildungen Damiani Editore ISBN: 9788862082884NF
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LIV LI VINGING 170
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Autorin_Corina Rainer Bilder_Jan Kath Design GmbH
TREND UND TRADITION 171
JAN KATH BRICHT MIT SEINEN MODERNEN ORIENTTEPPICHEN TRADITIONELLE SEHGEWOHNHEITEN, DENN ER KOMBINIERT KLASSISCHE MUSTER MIT ZEITGENÖSSISCHEN DESIGNS. FRÜHER WURDE DER 48-JÄHRIGE FÜR SEINE EIGENWILLIGKEIT BELÄCHELT. HEUTE ZÄHLT DER BOCHUMER ZU DEN INTERNATIONALEN GRÖSSEN UND SETZT REGELMÄSSIG TRENDS IN DER SZENE.
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«In klinisch durchgestylten Wohnungen mit hochglanzpolierten Betonböden fühlt sich niemand wirklich wohl», findet Jan Kath. «Unsere Teppiche sind Inseln zum Wohlfühlen. Sie wirken im coolen Interieur heilsam, ohne den Style zu zerstören.» Er gilt als Pionier auf dem Teppichmarkt und war einer der Ersten, der sich getraut hat, das traditionelle Handwerk mit modernen Designs zu kombinieren. Mittlerweile werden seine Kreationen regelmässig mit Design Awards ausgezeichnet und in Museen ausgestellt. Dabei wollte der Unternehmer ursprünglich gar nichts mit Teppichen zu tun haben.
VON DER BESTIMMUNG EINGEHOLT
Jan Kath ist in die dritte Generation einer Teppichhändler-Familie geboren. Aus diesem Grund besucht er schon als kleiner Junge mit seinem Vater Manufakturen im Iran und in Nepal. Während diesen Reisen entwickelt er schon früh ein Verständnis für Farbkombinationen und Proportionen – eigentlich die perfekte Vorbereitung für eine spätere Übernahme des elterlichen Geschäfts. Doch als dies in seiner Jugend zum Thema wird, findet Jan Kath die Idee alles andere als verlockend. Lieber trampt der damals 20-Jährige als Backpacker durch Asien. Schliesslich landet er nach mehreren Monaten mit dem letzten Geld in der nepalesischen Hauptstadt Kathmandu. Dort trifft er wie durch Zufall einen Bekannten seines Vaters, der nach einem Qualitätskontrolleur für seine Teppichproduktion sucht. Da Jan Kath noch keine Lust hat, nach Hause zu fliegen, nimmt er den Job erstmal an. Ohne zu ahnen, dass er mit dem Business einmal international durchstarten wird.
Marke «Jan Kath Design». Sie erschaffen unkonventionelle Kombinationen: Perserteppiche mit zerkratzten Strukturen, wilden Formen und Schriftzügen wie aus der Graffiti-Spraydose. Die Designs sorgen für Aufruhr in der Szene. Besonders, dass Jan Kath seine Werke in verlassenen Industriehallen im Ruhrgebiet inszeniert, stösst auf Unverständnis. Doch er verlässt sich da auf seine Intuition und das Motto seiner Marke: «Ihr könnt cool sein, ohne kalte Füsse zu haben!»
VON DEN FABRIKHALLEN IN DIE KÖNIGSHÄUSER
UNKONVENTIONELLE IDEEN SORGEN FÜR AUFMERKSAMKEIT
Auch wenn sein Stil anfangs auf Kritik stösst, finden die «JK»-Teppiche langsam ihren Weg in zahlreiche Königshäuser in Europa und im arabischen Raum. Auch Luxushotelketten und Stars wie Bruce Willis oder Anthony Kiedis, der Sänger der Red Hot Chili Peppers, werden auf ihn aufmerksam. Kath erhält immer speziellere Anfragen: So lässt er zum Beispiel 2011 für den Senatsaal in Bremen einen 160 Quadratmeter grossen Teppich aus 19 Millionen Knoten knüpfen. Um den tonnenschweren Teppich in den ersten Stock des Gebäudes zu tragen, sind zwei Ruderteams nötig. Im selben Jahr bestellen auch Fürst Albert II. und Charlène von Monaco bei ihm einen 103 Meter langen roten Teppich für ihre Hochzeit. Inzwischen gibt es eigene Jan Kath Stores in der ganzen Welt: Paris, Vancouver, New York, Berlin, Tokio und Sydney. Doch der grösste Showroom und die Kreativzentrale befinden sich noch immer im Ruhrgebiet. Hier, in einer ehemaligen Fabrikhalle, zwischen Stahlträgern und alten Lastkränen, empfängt er seine Kunden am liebsten.
Tatsächlich übernimmt Jan Kath nach kurzer Zeit das Geschäft und kehrt zurück in seine Heimat. Doch weil in Deutschland Orientteppiche zu diesem Zeitpunkt als überholt gelten, will er erstmal ihr verstaubtes Image aufwerten. Mit seinem Freund Dimo Feldmann arbeitet er nächtelang an eigenen Designs. Jan Kath als viel gereister Weltenbummler und Dimo Feldmann als DJ entwickeln zusammen eine unverkennbare Handschrift für die
JEDES DESIGN ERZÄHLT EINE GESCHICHTE
Die Kollektionen aus dem Hause Kath sind abwechslungsreich und decken die unterschiedlichsten Wünsche ab. Aber eines haben sie alle gemeinsam: «Jeder unserer Teppiche erzählt eine Geschichte», erklärt Kath. Wie zum Beispiel die Modelle der Linie «Spectrum». Die ungewohnten Farbwelten und sphärischen
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MUT ZUR IMPERFEKTION
Doch Jan Kath spielt in seinen Designs auch gerne mit Imperfektionen. Wie beispielsweise in seiner neusten Kollektion «East»: «Für mich hat das Fehlerhafte eine eigene Magie. Auch wenn unsere Teppiche detailliert geplant werden und die Knüpferinnen und Knüpfer zu den Besten der Welt gehören, können sich Fehler einschleichen. Doch gerade diese Makel – wie auch die Unregelmässigkeiten in der von Hand gesponnenen Wolle – sind es, die meinen Teppichen eine besondere Emotionalität geben.» Als Inspiration diente unter anderem die japanische Kunstform «Kintsugi». Mit dieser speziellen Technik werden zerbrochene Keramikgefässe neu verklebt. Dabei werden sie mit einer Kittmasse neu zusammengefügt, und die Bruchlinien werden mit Gold und Platin verschönert. Dass die Makel bewusst hervorgehoben werden, fasziniert Jan Kath, und er setzt dies mit «Lücken» im Design um, die mit hell leuchtender Seide aufgefüllt werden.
FAIRTRADE IST SELBSTVERSTÄNDLICH
Auch wenn Jan Kath für unkonventionelle Designs bekannt ist, in Sachen Qualität bleibt er «kompromisslos konservativ». Faire Arbeitsbedingungen sind für ihn unabdinglich: «Es ist eine moralische Verpflichtung, dafür zu sorgen, dass die Arbeitsbedingungen stimmen. Wir richten Kindergärten ein, damit der Nachwuchs unserer Mitarbeiter nicht zwischen den Knüpfstühlen spielt. Das bringt die nötige Konzentration und Ruhe in die Produktion. Denn viele unserer Designs sind äusserst kompliziert zu knüpfen.» Ausserdem will er das Handwerk attraktiv halten, damit der Unternehmer auch in Zukunft auf motivierte Fachkräfte zurückgreifen kann. Bei seinen Materialien achtet er auf Fairtrade und hohe ökologische Standards. Zu dem Grundmaterial der in Asien gefertigten Kollektionen gehören chinesische Seide, Garn aus Brennnesselfasern und tibetische Hochlandwolle. Die Hirten bringen die Wolle mit Yaks von den Bergen in die Basisstation, wo sie im Fluss gewaschen und gekämmt und von Hand versponnen wird. Für die Färbung werden ökologisch getestete Spezialfarben aus der Schweiz verwendet.
JAHRHUNDERTEALTE METHODEN DES TEPPICHKNÜPFENS
Momentan decken mehr als 2500 Mitarbeitende in Nepal, Indien, Thailand und Marokko die Produktionsanfragen ab. Meistens sitzen die Knüpferinnen und Knüpfer in Teams von drei bis vier Personen nebeneinander an einem Knüpfstuhl. Sie arbeiten während drei bis vier Monaten, denn über eine Million Knoten stecken in etwa sieben Quadratmeter Teppich. Dabei müssen sie immer synchron arbeiten: Linie für Linie. Wenn eine Knotenreihe beendet ist, werden die Knoten mit dem «Schussfaden» fixiert und anschliessend mit dem Kammhammer angeschlagen. Erst dann kann mit der nächsten begonnen werden. Je komplexer das Design, desto detaillierter ist die Knüpfvorlage und je mehr Farben, desto mehr Wollknäuel liegen hinter den Knüpfern. Das Handwerk geht auf eine jahrhundertealte Tradition zurück, und in jeder Produktionsstätte wird eine unterschiedliche Knüpfmethode verwendet. Jede bringt die Designs und Materialien auf unterschiedliche Art und Weise zur Geltung: In Nepal wird beispielsweise die traditionell tibetische Knüpftechnik
Muster offenbaren Sagen und Märchen, die in düsteren Mooren und Tannenwäldern spielen. Aus diesem Grund tragen einige dieser Modelle auch Namen wie «Levico» (ein kleiner, wenig bekannter See in Italien). Oder die Kollektion «Yantra»: Sie widmet sich der Geschichte des Quadrats. Es eignet sich aufgrund seiner Ebenmässigkeit besonders gut als Grundlage für ein Design. Bereits Platon nannte die Form «vollendet schön». Zudem ist das Quadrat die Grundform vieler Meditationsbilder im Hinduismus und Tantrismus sowie Grundriss von zahlreichen Tempeln, Altären, Klöstern und Städten.
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verwendet. «In Marokko verwenden wir etwa den nomadischen Berberknoten, der rustikal und archaisch wirkt», so Jan Kath. «Ich liebe diese unterschiedlichen Ausdrucksformen, und ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, sie zu erhalten.»
Schluss wird jeder Teppich mühevoll von Hand getrimmt, bevor er schliesslich verpackt und verschickt wird. Dieser Produktionsablauf braucht Geduld: Von Anfang bis Ende dauert es ungefähr ein halbes Jahr, bis ein Teppich fertiggestellt ist.
DIE TECHNIKEN BLEIBEN EIN GEHEIMNIS
REBELL UND TRADITIONALIST ZUGLEICH
Die verschiedenen Knüpftechniken sind jedoch nicht das einzige Erfolgsgeheimnis. Auch die speziell für Jan Kath entwickelten Techniken sind entscheidend. Durch die speziellen Verfahren sind seine Teppiche nur schwer zu kopieren, und das schützt seine Marke vor billigen Reproduktionen. In der Kollektion «Erased Heritage» wird der Teppichflor beispielsweise so abgebrannt, dass ein spezieller «used» Look entsteht. Die unterschiedliche Hitzebeständigkeit der verwendeten Materialien macht dies möglich. Dadurch sieht der Teppich so aus, als wären bereits tausende Füsse darübergegangen. Doch alles Weitere ist Betriebsgeheimnis. Auch der Prozess des Waschens kann den Look des Teppichs massgeblich beeindrucken: Entweder fördert er die Brillanz der Farben oder lässt sie zurückhaltend erscheinen. Zum
Auch wenn seine Designs rebellisch sind, als Geschäftsmann bleibt Jan Kath ein Traditionalist. So führt er sein Unternehmen gemeinsam mit seinem Bruder David Kath und seiner Mutter Ruth Kath. Im Familienbetrieb ist auch noch immer sein Jugendfreund Dimo Feldmann. Noch immer tüfteln sie zusammen nächtelang in Bochum an Entwürfen. Und noch immer findet Jan Kath seine Inspirationen auf der ganzen Welt – sei es ein Blick aus dem Flugzeugfenster auf die Wolken über dem Himalaya oder eine folkloristische Tischdecke in einer russischen Bar in New York. Irgendwie schafft er es, in seinen Kreationen alt und neu, fremd und heimisch, perfekt und imperfekt zu vereinen. Jan Kath ist ein Meister der Kontraste. Und es scheint, als wäre es genau das, was seine Teppiche so beliebt macht.
Die verwendete tibetanische Hochlandwolle besitzt eine heterogene Struktur, dies ist gewollt.
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CU LINA RI UM CULI NA RIUM
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© Jennifer Endom – 7132 Hotel, Vals
CULINARIUM
INTERNATIONALES RENOMMEE GENIESST VALS NICHT NUR WEGEN SEINER MINERALQUELLEN ODER DANK DES ARCHAISCHEN, AUS MEHR ALS 60’000 QUARZIT-PLATTEN ERRICHTETEN THERMENBAUS NACH PLÄNEN DES SCHWEIZER STARARCHITEKTEN PETER ZUMTHOR. MIT DEM 7132 HOTEL UND DEM ANGESCHLOSSENEN HOUSE OF ARCHITECTS, DAS DESIGNLIEBHABER AUS DER GANZEN WELT ANZIEHT, VERFÜGT DAS TAUSEND-SEELEN-DORF AM ENDE DES LUMNEZIA-TALES AUCH ÜBER EINEN DER EXKLUSIVSTEN BEHERBERGUNGSBETRIEBE DER GESAMTEN EIDGENOSSENSCHAFT. KULINARISCHES AUSHÄNGESCHILD DES HAUSES IST DAS STYLISHE, MIT ZWEI MICHELIN-STERNEN UND 18 GAULT-MILLAU-PUNKTEN GEADELTE RESTAURANT 7132 SILVER UNTER ÄGIDE VON AUSNAHMETALENT MITJA BIRLO – DEM WAHRSCHEINLICH UNBEKANNTESTEN SPITZENKOCH DER SCHWEIZ.
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DER AROMENMAGIER
© Global Image Creation – 7132 Hotel, Vals
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CULINARIUM Autor_Thomas Hauer
GANZE
Der exklusive Fuhrpark des 7132 Hotels inklusive privatem Helikopter lässt keine Wünsche offen.
Ganze zwölf Minuten dauert ein Taxiflug mit dem hoteleigenen Eurocopter EC 130 vom Helipad in Göschenen über den Oberalppass nach Vals normalerweise. Aber weil das Wetter gut ist, dreht unser Pilot noch eine Panoramarunde über Flims, Laax und die Rheinschlucht, bevor er schliesslich punktgenau auf einem kleinen Wiesenkarree im Valser Ortsteil Lugnez aufsetzt, wo der Hotelshuttle uns bereits erwartet. So ein privater Helikoptertransfer – für Gäste der Penthouse-Suiten von und zu jedem internationalen Airport oder Helilandeplatz innerhalb der Schweiz bereits im Übernachtungspreis inkludiert – ist nur eines der zahllosen Extras, die das «7132» von anderen Häusern in der 5-Sterne-Superior-Liga abheben. Klar, dass da auch das gastronomische Angebot passen muss. Dabei waren die Umstände, unter denen Küchenchef Mitja Birlo seinen Posten im Mai 2018 antreten musste, alles andere als glücklich. Birlos damaliger Chef Sven Wassmer, unter dessen Ägide der gebürtige Bielefelder schon drei Jahre als dessen Nummer zwei gearbeitet hatte, verliess nach einem Zerwürfnis mit Hoteleigentümer Remo Stoffel quasi über Nacht seinen Posten in Richtung «Quellenhof», und der Souschef wurde fast ebenso schnell aus der zweiten Reihe an die Poleposition der Küche des damals bereits hochdekorierten «Silver» katapultiert. Doch das ist Schnee von gestern. Längst hat Birlo Kritikern wie Gästen bewiesen, dass er in jeder Hinsicht ein würdiger Nachfolger Wassmers mit ganz eigener Handschrift ist. An der Seite Birlos und seiner insgesamt siebenköpfigen Küchenbrigade steht mit dem gerade mal 26 Jahre jungen Dominic Lackner ein nicht minder talentierter, hochsympathischer Restaurantleiter und Sommelier, der die Kreationen Birlos kongenial zu begleiten weiss. Dazu steht ihm ein imposanter Weinkeller zur Verfügung, in dem aktuell Preziosen im Gegenwert von rund zwei Millionen Franken lagern. Dank seiner parallel absolvierten Kochausbildung läuft Lackner aber auch bei der zunehmend in Mode kommenden alkoholfreien Menübegleitung zur Hochform auf. Ja manche der «Elixiere», die er wie ein neuzeitlicher Alchemist aus Früchten, Gemüsen, Kräutern und Gewürzen in der «Silver»-Küche zusammenbraut, schlagen in Sachen Speisen-Getränke-Harmonie sogar die Trouvaillen aus der Weinschatzkammer. Ein besonderes Augenmerk in Sachen Wein gilt im «Silver» übrigens seit jeher lokalen Tropfen aus der Bündner Herrschaft, darunter auch fast Vergessenes wie die hochspannenden Weine aus der autochthonen Rebsorte Completer, sowie edelsten BordeauxGewächsen – nicht zuletzt, weil die ein Steckenpferd von Eigentümer Stoffel sind. So
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bringt es die Karte am Ende auf rund 750 Positionen mit einer in Teilen bemerkenswerten Jahrgangstiefe. Und auch Liebhaber von Schaumweinen kommen im «Silver» auf ihre Kosten – tatsächlich gehört das «Silver» zu den grössten Abnehmern von Roederer Cristal in der ganzen Schweiz, der hier nicht kisten-, sondern gleich palettenweise bestellt wird. Aber Lackner baut auch gerne Champagner von kleinen, allenfalls Champagner- Connaisseuren bekannten Erzeugern in seine Weinbegleitung ein, die sich neben den grossen Namen nicht nur qualitativ behaupten können, sondern auch mit einem hervorragenden Preis-Genuss-Verhältnis punkten. Doch zurück in die Küche. Die Küchenphilosophie Mitja Birlos, dessen Vater bei einer Versicherungsgesellschaft arbeitet und dessen Mutter studierte Modedesignerin ist, was vielleicht erklärt, warum unbändige Kreativität und technische Perfektion auf seinen Tellern scheinbar fast spielerisch Hand in Hand gehen, lässt sich verkürzt so zusammenfassen: das Beste, was die Region kulinarisch zu bieten hat, wo es Sinn macht verfeinert mit internationalen Luxusprodukten. Denn Regionalität ist für den Küchenchef des «Silver» kein Fetisch. Im Gegenteil. Sinn müssen die Teller ergeben. So finden sich Pommernenten, die die Familie Tönz auf ihrem nahegelegenen Hof exklusiv für das «Silver» züchtet, Bergsaibling und Huhn aus dem Val Lumnezia oder Valser Rustico und Ricotta ebenso selbstverständlich in den Kreationen Birlos wieder wie bretonischer Hummer, Kaviar, Trüffeln oder High Grade Kobe-Beef aus Japan. Als Nächstes steht ein Projekt mit einem Züchter an, der für das «Silver» die seltenen Turopolje-Schweine, die ursprünglich aus Kroatien stammen, grossziehen wird. Vom Frühjahr bis in den Spätherbst bricht die Brigade ausserdem mindestens zweimal die Woche mit Körben und Rucksäcken bewaffnet in die nähere Umgebung auf, um im Wald und auf den Fluren frische Kräuter, Pilze, Wildgemüse oder Beeren zu sammeln, die das Küchenteam anschliessend in das Zehn-Gänge-Menü einbaut, in dem Birlo, je nach Saison und Warenverfügbarkeit, immer wieder einzelne Gänge austauscht und das sich auf diese Weise quasi konstant weiterentwickelt. Zur Einstimmung auf den Abend schickt die Küche aber erst einmal fünf kleine Amuse-Bouche voraus. Doch keine Angst, die Portionen sind perfekt proportioniert, sodass man sich selbst nach diversen Desserts und Mignardises noch rundum wohl fühlt. Wie aber sieht nun ein typischer Gang mit der Handschrift Birlos aus? Nun, bleiben wir doch gleich beim offiziellen Menü-Auftakt: Chawanmushi, ein in der Textur ein wenig an Seidentofu erinnernder japanischer Eierstich, der sich sehr gut aromatisieren lässt, gepaart mit herzhaftem Valser Topinambur und Kaviari Kristal Kaviar. Eine spannungsgeladene Kombination aus der erdigen Süsse der Jerusalem-Artischocke mit der salzig-jodigen Note des frischen – das heisst unpasteurisierten – Kaviars und der streichel zarten Cremigkeit des Chawanmushi, die beides aromatisch zusammenbindet. Wow. Der Gaumenschmeichler wird perfekt ergänzt von einem slowenischen Orange-Wein aus der autochthonen Pinella-Rebe. Auch optisch ist dieser Menü-Auftakt ein absoluter Hochgenuss. Das gilt auch für den saftigen Zander aus dem Lago Maggiore, begleitet von Pistazien und würzigen Salzzitronen im zweiten Durchgang. Dazu reicht Dominic Lackner entweder einen 2009er Lagen-Riesling Smaragd «Vom Stein» des Nicolaihofs in der Wachau, Österreichs ältestem Weingut, der bereits deutliche Petrolnoten zeigt, oder als alkoholfreie Alternative einen kräuterigen Drink auf Basis von gerösteten Pistazien, Gurke und Estragon. Deutlich internationaler wird es dann mit bretonischem Hummer, Shiso und Minzöl. Während Shiso, dessen komplexes Aroma an eine Mischung aus Zitrone, Koriander und Anis erinnert, aktuell ja fast schon inflationär in der Sterneküche verwendet wird, ist es bei diesem Gang vor allem die Kombination des saftigen Hummers, der in einer kräftigen Bisque serviert wird, mit dem intensiven Minzöl, der dem Gang Tiefe verleiht und einen überraschenden Geschmacksakkord bietet, den wir so bisher nicht kannten. Chapeau! Der dazu offerierte 2008er Puligny-Montrachet 1er Cru «Les Combettes» von Kultwinzer Jacques Prieur ist schlicht atemberaubend. Ebenfalls hervorragend gefallen hat uns eine Gemüseterrine, aufgebaut aus unzähligen hauchfeinen, knackigen Gemüsestreifen, verfeinert mit Périgord-Trüffel und Joghurt, begleitet von einem wahren Champagner-Schatz: dem «Fidèle» Extra Brut Blanc de Noirs des kleinen Produzenten Vouette et Sobrée, der in einer Art Solera-System – wie man es normalerweise vom Sherry kennt – produziert wird. Nach einem weiteren Zwischengang – ein geniales Rindstatar mit Safran und Meerrettich – begegnen wir schliesslich der eingangs erwähnten Pommernente.
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© Jennifer Endom – 7132 Hotel, Vals
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RECHTS Ein «schwarzes» Zimmer nach einem Entwurf von Peter Zumthor im House of Architects.
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DAS BESTE, WAS DIE REGION KULINARISCH ZU BIETEN HAT, WO ES SINN MACHT VERFEINERT MIT INTERNATIONALEN LUXUSPRODUKTEN
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WWW.7132SILVER.COM
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Der neu gestaltete Eingangsbereich des 7132 Hotels nach Plänen des Amerikaners Thom Mayne.
Hier als sous-vide gegarte Brust mit Kürbis und Salbei. Traditionell werden die Hauptgänge im «Silver» stets von einem grossen Bordeaux-Wein begleitet. So auch hier dank eines 2005er 2ème Grand Cru Classé aus Saint-Julien vom grossartigen Château Léoville-Barton, der sich momentan auf einem ersten Höhepunkt präsentiert. In Sachen Dessert ist die Küchenleistung ebenfalls über jeden Zweifel erhaben. Besonders gut gefällt uns ein Sorbet auf Basis von Quitte, «Bündner Calvados» vom Weingut von Tscharner und etwas Wermut Antica Formula, das direkt am Tisch mit Hilfe von flüssigem Stickstoff aufgeschlagen wird. Nicht nur eine tolle Show, sondern auch ein Gaumenkitzel der ganz besonderen Art: Durch das sekundenschnelle Gefrieren der Zutaten im minus 176 Grad kalten Stickstoff haben die Eiskristalle praktisch keine Zeit zu wachsen und bleiben so winzig klein, dass sich das Sorbet auf der Zunge wie gefrorene Seide anfühlt. Ein kulinarischer Gänsehautmoment und gutes Beispiel dafür, wie der Einsatz von Technik zur Intensivierung des Genusserlebnisses beitragen kann und eben nicht nur als blosse Spielerei um eines billigen Showeffektes willen daherkommt. Die beiden weiteren Desserts – eine süss-salzige Komposition aus Valser Ricotta, Dörraprikosen und Sternanis sowie eine samtige Topinambur-Creme mit Birne und weissem Albatrüffel, die quasi den Kreis zum Menü-Auftakt schliesst – bilden schliesslich das Finale eines grossartigen Abends. Wir sind uns sicher: Von Mitja Birlo und Dominic Lackner werden wir noch eine Menge hören!
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C D P DOLCE & GABBANA Eleganter Schal aus 100 Prozent reinem Seidentwill mit Glasscheiben-Print, Fransen und Logoprint für einen abgerundeten und einzigartigen Look.
CARAN D’ACHE
Timegraph – der erste Füllfederhalter, der über eine Uhr mit mechanischem Werk verfügt. Dieses aussergewöhnliche Stück verbindet zwei berühmte Schweizer Traditionen: die Haute Écriture und die Haute Horlogerie.
FINANCE
HUBLOT
Die neue «Classic Fusion Cruz-Diez» zeichnet sich durch eine Vielfalt an Farben und sich ständig verändernden Farbkombinationen aus und spiegelt so andere Werke des verstorbenen Künstlers Carlos Cruz-Diez wider.
PRADA
TREN DS
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Diese zwei Nylon-Pochettes mit Kordeln aus gewebtem Stoff mit Besatz aus Saffiano-Leder und Kordelzug sind mit dem Dreieckslogo von Prada verziert.
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KINDER, KRISENGEFAHR? KOSTEN, PRESTIGE
SIE SIND DAS WERTVOLLSTE, DAS WIR HABEN. UNSERE KINDER. SIE SIND ABER AUCH EIN KOSTSPIELIGES VERGNÜGEN. RUND EINE MILLION FRANKEN FALLEN AN, UM SIE VOM SÄUGLING ZUM 20-JÄHRIGEN JUNGEN ERWACHSENEN GROSSZUZIEHEN. DAS BRINGT DEN EINEN ODER ANDEREN ZU FALL.
Autorin_Wilma Fasola
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für oder gegen Kinder. Je gebildeter die Frau, desto eher ist sie kinderlos. Daher findet hier derzeit eine Verschiebung statt, wie sich anhand der Diskussionen um einen Vaterschaftsurlaub, wie er in vielen Ländern mittlerweile Alltag ist, zeigt. EIN KIND KOSTET MEHR ALS EINE MILLION In der Studie schreibt das Bundesamt, dass eine Frau beim ersten Kind auf rund 1000 Franken weniger Einkommen im Monat kommt. Eine doch eher konservativ geschätzte Einbusse. Aber allein dann kommen wir auf 240’000 Franken in den ersten zwanzig Lebensjahren des Sprösslings. Wobei wir also schon bei Kosten von 440’000 Franken sind. Richtig ins Gewicht fallen jedoch final noch einmal die indirekten Aufwände für die Familien- sowie Hausarbeit. 86 Stunden widmet sich Frau pro Woche dieser stressigen und oft unbefriedigenden Aufgabe. Macht summa summarum 2800 Franken pro Monat. Das ergibt auf die 20 Jahre hochgerechnet die stolze Summe von 672’000 Franken. So kommen wir also auf 1,12 Millionen Franken in 20 Jahren. Welche normale Familie kann das stemmen, ohne Einbussen in Kauf zu nehmen und sich dem Risiko auszusetzen, unter die Armutsgrenze zu rutschen? VIELE LEBEN VON DER HAND IN DEN MUND Sébastien Mercier ist Geschäftsleiter der Schuldenberatung Schweiz. Mit seinem Team unterstützt er private Haushalte, die sich komplett überschuldet haben. «Es gibt Haushalte, die sich durch die Geburt oder Adoption eines Kindes überschuldet haben», erklärt er, «sehr oft ist die Geburt oder Adoption jedoch nicht die einzige Überschuldungsursache, in einem von zehn Fällen ist sie jedoch ausschlaggebend für die finanzielle Krise.»
Wer das erste Kind bekommt, ist meistens sehr grosszügig beim Geldausgeben. Ein Kinderwagen für weit mehr als 1000 Franken ist keine Seltenheit. Eine Wickelkommode plus Bettchen und Schrank schlagen ebenfalls schnell mit einigen hundert Franken zu Buche. Dann kommen noch die unfassbar vielen niedlichen Kinderkleider dazu, von denen Frau gar nicht genug bekommen kann. TrippTrapp-Stuhl mit Säuglingsaufsatz, die gute Babytrage von Rookie und der Maxi-Cosi fürs Auto machen noch einmal 800 Franken. Aber man macht es ja gern, überschwänglich gern. Unterstützt von einer enorm hohen Dosis an Hormonen. Und einer noch grösseren Portion Naivität. Denn nur die wenigsten angehenden Eltern machen sich darüber Gedanken, welche massiven Auswirkungen die Geburt des Kindes auf ihre finanzielle Situation hat. DIE VERDIENSTEINBUSSE TRIFFT NOCH IMMER MEISTENS DIE FRAU Eine Studie des Bundesamts für Statistik aus dem Jahr 2009 beziffert die monatlichen Ausgaben für ein Kind auf 800 Franken. Allein das macht auf 20 Jahre berechnet die stolze Summe von 190’000 Franken. Damit sind jedoch nur die direkten Kosten, also Ausgaben für den Konsum, bedacht. Dazu kommen noch indirekte Kosten. Das sind unter anderem die durch die Kinder bedingten Einkommenseinbussen und die unbezahlte Familien- sowie Hausarbeit. Hier trifft es hauptsächlich immer noch die Frau. In der Regel ist sie es, die ihr berufliches Pensum einschränkt oder zunächst teilweise oder auch länger komplett auf null runterfährt. Dass sich die Mutter komplett den Kindern widmet, ist jedoch ein Auslaufmodell. Die Gründe dafür lassen sich schnell auf zwei Verben herunterbrechen: wollen und müssen. Das Bild von der Frau am Herd ist jedoch für viele Frauen nicht mehr stimmig. Frauen gehen gerne zur Arbeit, sie lieben die Selbstverwirklichung. Mit zunehmendem akademischen Grad steigt die Zahl überproportional an. Gleiches gilt übrigens auch mit Blick auf die Entscheidung
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Dabei ist es meistens nicht so, dass das Kind einfach zu viel kostet. «Es ist stets viel komplexer», so Mercier. «Die Überschuldung muss generell als Prozess gesehen werden. Viele Menschen leben ‹en flux tendu› und geben das monatliche Einkommen direkt wieder aus.» Kommt es in diesem Fall zu einem schweren Einschnitt in den normalen Alltag – Scheidung, Unfall, Krankheit, Verlust des Arbeitsplatzes –, nimmt die Abwärtsspirale Fahrt auf. Einhergehend mit dem Unmut aller Beteiligten. EIN FAMILIENBUDGET ALS RISIKOKILLER Dem lässt sich in seinen Augen mit einer strukturierten Budgetplanung entgegenwirken. «Definieren Sie ein Budget und halten Sie sich daran», sagt Mercier. «Spielen Sie nicht mit Konsumkrediten. Bilden Sie, wenn immer es möglich ist, Rücklagen. Erkundigen Sie sich nach sozialen Leistungen.» Ein ausgeglichenes Budget ist in seinen Augen das A und O. Und damit geht auch Andrea Schmid-Fischer d’accord. Sie ist Präsidentin beim Dachverband Budgetberatung Schweiz und mahnt vor allem zu einem kritischen Konsum. «Wir sind andauernd Einflüssen ausgesetzt. Tausende Fachpersonen beschäftigen sich mit der Frage, wie sie uns dazu bringen können, Geld auszugeben. Sie versuchen, uns gezielt zu steuern, Geld einzusetzen», sagt sie. «Darum ist es wichtig, ein realistisches Budget zu erstellen und sich daran zu halten. Das ist sicher nicht einfach, aber die konstante Kontrolle von Ein- und Ausgängen ist sehr hilfreich.» In ihrem beruflichen Alltag hat die auch für die Frauenzentrale Luzern aktive Budgetberaterin Schmid-Fischer regelmässig mit Fragen rund um das familiäre finanzielle Umfeld zu tun. «Sicher kosten Kinder Geld, der grösste Kostenfaktor ist jedoch wirklich die Einkommenseinbusse zugunsten der Kinderbetreuung», erklärt sie. «Gerade bei Konkubinatsbeziehungen, in de-
nen die Eltern zusammenleben, aber nicht verheiratet sind, gibt es dabei eine noch grössere Verschiebung zuungunsten des betreuenden Elternteils.» AM BESTEN RECHNET MAN NUR FÜR SICH Bei den direkten Kosten für ein Kind stimmt die Budget-Expertin der Studie zu. Sie liegen basierend auf ihren Erfahrungen bei rund 300 Franken für ein Kleinkind und 860 Franken für Jugendliche in Ausbildung. «Werden zudem noch anteilsmässig Wohnkosten und Bildungskosten berücksichtigt, können die Beträge schnell höher ausfallen», sagt Schmid-Fischer. «Ein grosser Posten ist auf jeden Fall die Kinderbetreuung, hier gibt es grosse Unterschiede je nach Betreuungsmodell und in Bezug auf staatliche Beihilfen.» Mit Blick auf Kleidung, Lebensmittel und Spielzeug ist es wichtig, diese mit dem vorhandenen und eben klar definierten Haushaltsetat abzustimmen. Gleiches gilt für Hobbies, sowohl die der Kinder wie auch der Eltern. «Die einen managen den Etat via App, wie eben die unseres Verbandes», erklärt die Expertin. «Andere nutzen eine ExcelTabelle, heben die Budgetbeträge wöchentlich ab oder verteilen Barbeträge auf Kuverts.» Im Grunde spielt der Weg keine Rolle. Die Einhaltung ist das Wichtigste und ist der idealste Weg, damit ein Kind nicht zur «Kostenfalle» wird. Die Falle ist nämlich nicht, dass man Eltern geworden ist. Die Falle ist, dass man den bewussten Konsum aufgrund überschäumender Hormone und später sicher auch durch den Leistungsdruck der Gesellschaft verloren hat. Doch es muss nicht Markenkleidung sein, nicht das neuste Smartphone, und der teure Familienurlaub ist auch kein Zwang – beim Thema Finanzen muss jede Familie nicht nur individuell, sondern offen und ehrlich planen. Offen untereinander, ehrlich mit Blick auf die eigene finanzielle Situation.
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EINE CHANCE FÜR EIN OFFENES ARBEITSKLIMA
LOHNTRANSPARENZ:
FINANCE
Autorin_Dr. Alexandra Arnold
Der Druck hin zu mehr Lohntransparenz ist auch in der Schweiz zu spüren. Dank der Digitalisierung können sich Beschäftigte heutzutage auf Online-Plattformen ohne grösseren Aufwand über die marktüblichen Löhne informieren. Allerdings hilft das nur bedingt, um einzuschätzen, ob man innerhalb des eigenen Unternehmens fair entlohnt wird. Aus diesem Grund fordern immer mehr Beschäftigte, allen voran die jüngere Generation, dass offener über das Thema Lohn kommuniziert wird. Trotz dem gesteigerten Bedürfnis nach mehr Transparenz stehen immer noch viele Unternehmen der Lohntransparenz skeptisch gegenüber. Sie fürchten sich vor Neid und Missgunst unter den Beschäftigten, ausufernden Lohndiskussionen oder dem reduzierten Spielraum bei der Lohnfestsetzung. Nachfolgend sechs Argumente, wieso es sich für Unternehmen trotzdem lohnen kann, offen über den Lohn zu sprechen, um längerfristig ein offenes und produktives Arbeitsklima zu schaffen: Machen Unternehmen die Löhne transparent, sei das, indem sie die Lohnbänder, Ziellöhne oder gar individuelle Löhne offenlegen, zwingt es Unternehmen, ihr Lohnsystem einfach und nachvollziehbar zu gestalten. So können die Mitarbeitenden besser nachvollziehen, wie die Löhne festgelegt werden, und verstehen auch besser die Absichten hinter dem Lohnsystem. Im Falle von Lohntransparenz bietet man den Mitarbeitenden zudem bessere Möglichkeiten, den eigenen Lohn voranzutreiben, da sie besser einschätzen können, wo sie im Vergleich mit anderen stehen und was noch drin liegen würde. Dies führt wiederum zu höherer Lohnzufriedenheit bei den Beschäftigten. Legen die Unternehmen die Löhne freiwillig offen, hat dies eine positive Signalwirkung. Denn wer den Informationsvorsprung gegenüber den Mitarbeitenden aufgibt, signalisiert den Mitarbeitenden, dass man nichts zu verbergen hat und sich aktiv für faire Löhne einsetzt. Dies führt zu höherem Vertrauen in das Unternehmen und einem positiven Arbeitsklima. Mehr Lohntransparenz reduziert die Gefahr, gewisse Gruppen wie Frauen, Ausländer / innen oder Temporärbeschäftigte in Bezug auf den Lohn ungewollt zu diskriminieren. Denn umso klarer definiert wird, wie viel das Unternehmen für die jeweiligen Funktionen bezahlt, beziehungsweise unter welchen Umständen der Lohn erhöht wird, desto weniger unbewusste Verzerrungen können sich bei der Lohnfestlegung einschleichen. Weiter verhindert eine offene Kommunikation in Bezug auf den Lohn, dass Gerüchte und unrealistische Lohnerwartungen entstehen. Denn rund ein Drittel der Beschäftigten in der Schweiz fragt Arbeitskolleginnen und -kollegen nach deren Lohn. Das Problem liegt darin, dass nicht immer präzise Angaben gemacht werden, wenn man danach gefragt wird, und je nach Situation auf- beziehungsweise abgerundet wird. Somit kann man mit einer transparenten Lohnkommunikation verhindern, dass falsche Informationen im Umlauf sind. Schlussendlich fördert eine transparente Lohnkommunikation in Stelleninseraten einen effizienten Rekrutierungsprozess. Interessenten können sich schon vorab damit auseinandersetzen, ob die gebotene Lohnsumme ihren Erwartungen entspricht, und die Unternehmen eliminieren langwierige Lohnverhandlungen, welche zudem zusätzliches Diskriminierungspotential bergen.
DR. ALEXANDRA ARNOLD IST OBERASSISTENTIN AM CENTER FÜR HUMAN RESOURCE MANAGEMENT (CEHRM) AN DER UNIVERSITÄT LUZERN UND MITGRÜNDERIN VON HR CONSCIENCE, EINEM BERATUNGSUNTERNEHMEN, DAS AUF WISSENSCHAFTLICH FUNDIERTE UND EVIDENZBASIERTE BERATUNG SPEZIALISIERT IST.
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VOR
KONTRASTPROGRAMM URLAUBSREISE INS ICH
In den 1970ern noch Aussteiger-Paradies, heute bekannt für Massentourismus und Full-MoonPartys: Koh Samui im Golf von Thailand. Im Kamalaya Resort hingegen weht ein ruhiger Wind. Wer hierher kommt, möchte zu sich finden und an sich arbeiten. Getreu dem Motto «Feel Life’s Potential» checken im «Kamalaya» mehrheitlich Gäste ein, die ihr Leben als Sackgasse empfinden, nicht weiterwissen, aber etwas verändern wollen.
SCHAU
ZU GAST 100 JAHRE VILLA RENÉ LALIQUE
DER SAMMLER JEAN-GABRIEL DE BUEIL
Der Geschäftsmann Jean-Gabriel de Bueil hat beschlossen, in Paris die traditionsreichsten Bistros zu retten und vor dem Massensterben zu bewahren. Vier Bistros befinden sich derzeit in seinem Besitz, in denen beispielsweise Serge Gainsbourg und weitere wichtige Schauspieler, Politiker oder Schriftsteller ihren Stammplatz hatten. Nostalgisches Flair des alten Paris wird durch französische Cuisine gewahrt.
Wir wandeln auf den Spuren von René Lalique, einem der bekanntesten französischen Kreativen seiner Zeit. Sein meisterhaftes Können stellte er durch fantasievolle Schöpfungen in den verschiedensten künstlerischen Disziplinen unter Beweis. 1920 liess er sich in Wingen-sur-Moder ein eindrucksvolles Patrizierhaus bauen, in welchem er bis zu seinem Tod 1945 lebte. Nachdem dieses Domizil lange leer stand, wurde der Villa nun durch einen Schweizer Unternehmer neues Leben eingehaucht.
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BADEN IM GLÜCK.