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NEUE WEGE FÜR DAS AUKTIONSHAUS CHRISTIE’S Fünf Fragen an Jutta Nixdorf

WIE STEHT ES UM DEN KUNSTMARKT?

Autor_Wilhelm J.Grusdat Bilder_CHRISTIEʼS VOR MEHR ALS EINEM JAHR ERLEBTE DER KUNSTMARKT AUFGRUND VON COVID-19 EINEN REGELRECHTEN WANDEL. DER EINBRUCH DER LOCKDOWN-VERKÄUFE TRIEB GALERIEN, MESSEN UND AUKTIONSHÄUSER IN EIN NICHT-TRADITIONELLES GEBIET: DAS INTERNET. PRESTIGE SPRACH MIT JUTTA NIXDORF, MANAGING DIRECTOR UND SENIOR SPECIALIST POST-WAR AND CONTEMPORARY ART VON CHRISTIE’S, ÜBER DIE VERÄNDERUNGEN, HERAUSFORDERUNGEN UND POTENTIALE DES HEUTIGEN KUNSTMARKTS.

Courtesy Christie’s Images 2021 / ©Banksy

BANKSY Game Changer Verkauft am 23.März 2021 für einen wohltätigen Zweck GBP 16’758’000

Jutta Nixdorf, Managing Director Christie’s, stellt sich den Herausforderungen des wandelnden Kunstmarkts. FÜNF FRAGEN ZU DEN WICHTIGSTEN VERÄNDERUNGEN SEIT DEM LETZTEN JAHR

PRESTIGE: Was geschah mit dem Kunstmarkt am 15.März 2020, als der erste Lockdown ausgerufen wurde?

JUTTA NIXDORF: Am 15. März kam der Kunstmarkt, wie jedes andere Geschäft, vollständig zum Erliegen und Hunderte von geplanten Auktionen, die in den kommenden drei Monaten hätten stattfinden sollen–in unserem Fall 130Auktionen–mussten verschoben werden. Die grosse Frage war, wie man der neuen Situation begegnen sollte, wie lässt sich das Handeln mit Kunst gestalten, wenn keine Live-Auktionen mit Bietern im Saal oder die Begutachtung eines Originals möglich sind. Es erwies sich als entscheidender Vorteil, wenn man bereits vorher die Weichen in Richtung Digitalisierung gestellt hatte. So konnten wir allein zwischen März und Ende Juli 2020 mehr als 100 zusätzliche OnlineAuktionen als geplant durchführen. Denn die Nachfrage nach Kunst- und Luxusobjekten war da. Die Aufgabe bestand jetzt darin, die traditionellen Kunden zu motivieren, sich auf eine digitale Form der Auktion einzulassen und einen Weg zu finden –online –, neue Kunden zu gewinnen. Eine wichtige Frage dabei war, wie unsere Sammler reagieren würden, wenn sie die angebotenen Werke nicht sehen können. Bei bestimmten Kategorien wie Wein, Juwelen oder Uhren hatten wir schon vorher eine grosse Bereitschaft erlebt, auf Objekte nur anhand einer Abbildung zu bieten. Bei Picasso-Gemälden im zwei- oder dreistelligen Millionenbereich war das vor der Pandemie ein Ding der Unmöglichkeit.

Welche Massnahmen wurden ergriffen, um weiterhin auf diesem Markt erfolgreich tätig zu sein?

Da Online auf unbestimmte Zeit der Weg in die Zukunft zu sein schien, machte die Digitalisierung des Kunstmarktes einen grossen Schritt nach vorn. Viele Akteure haben in drei Monaten geschafft, wofür sie sonst vielleicht drei Jahre gebraucht hätten. Da hat die Krise regelrecht wie ein Katalysator gewirkt. Das bezieht sich sowohl auf entscheidende Entwicklungen bei der digitalen Darstellung von Kunst als auch auf neue Auktionsformate. Virtuelle Rundgänge durch Auktionsvorbesichtigungen, 360-GradAbbildungen, die sich bis zum einzelnen Pinselstrich heranzoomen lassen, Live-Übertragungen von Auktionen als Bieterwettstreit unter Telefonbietern und zwischen mehreren Auktionsorten wurden in kurzer Zeit möglich. Und die Krise bot durchaus auch Chancen. Die Zeit war da, um mit Kunden längere und ausführlichere Gespräche über Kunst und Kultur sowie über ihre Sammlungen zu führen. Die Sammler hatten Zeit, ihre Sammeltätigkeit zu

Courtesy Christie’s Images 2021 / ©Pablo Picasso überprüfen, zu sehen, wo wichtige Positionen fehlen oder ein Austausch stattfinden sollte. So kam es, dass die diskreten Privatvermittlungen von Kunstwerken in dieser Zeit bei uns sogar um ein Vielfaches zugenommen haben.

Kam es zu neuen Partnerschaften, um sich der Krise gemeinsam entgegenzustellen?

Die Kunstmessen hatten eine schwierige Zeit im letzten Jahr. Wir sind Partnerschaften mit Kunstmessen eingegangen, denen wir unsere Plattform zur Verfügung gestellt haben, wie zum Beispiel mit der 1:54 African Art Fair, die wir in diesem Herbst zum dritten Mal unterstützen werden. Es gab unter unseren Kunden eine grosse Bereitschaft zu helfen, sodass wir das Rote Kreuz unterstützen und viele Wohltätigkeitsauktionen durchführen konnten, um Forschern und Covid-19-Arbeitern zu helfen. Aber die wichtigste Hilfe kam von den Künstlern selbst, wie man am Beispiel von Banksys «Game Changer» sieht. Das Bild, das eine Krankenschwester als die wahre Superheldin zeigt, spendete der Künstler dem Southhampton Hospital. Das Bild konnte am 23. März zu Gunsten von wohltätigen Projekten im englischen Gesundheitswesen für mehr als 20 Millionen Franken versteigert werden.

Wird sich das Rad wieder zurückdrehen lassen, oder was sind anderthalb Jahre später die wichtigsten Erkenntnisse?

Die Entwicklung in Richtung Globalisierung und Digitalisierung des Kunstmarkts hat sich durch die Krise stark beschleunigt, hätte aber auch ohne diese stattgefunden. Dementsprechend werden viele Veränderungen, die im letzten Jahr als Anpassung an die spezielle Situation vorgenommen wurden, auch in Zukunft Bestand haben. Viele Kunden weltweit, auch sehr traditionelle, haben sich mit dem digitalen Kunsterlebnis angefreundet und sehen auch die Vorteile wie die zeitliche Flexibilität oder die Beteiligung an Auktionen weltweit vom heimischen Sessel aus. Die über mehr als 250Jahre aufgebaute Marke Christie’s und die Expertise der Spezialisten haben das nötige Vertrauen geschaffen, dass Sammler heute auch sehr hochpreisige Bilder oder Kunstobjekte kaufen, bei denen sie sich allein auf die digitale Präsentation und Beratung durch die Spezialisten vor Ort verlassen. Die Zukunft wird weder rein digital noch physisch sein – es wird ein hybrides Modell sein, das allen Zielgruppen weltweit gerecht wird. Es gibt keinen Weg zurück. Wir werden das Beste aus beiden Welten nehmen und es zur neuen Normalität machen.

Und wie geht es weiter?

Die Gesellschaft hat sich in vielen Bereichen weiterentwickelt. Nachhaltigkeit ist auch im Kunstmarkt ein immer wichtigeres Thema. Hier hat das letzte Jahr grosse Veränderungen gebracht. Es gibt kaum mehr gedruckte Kataloge, die Reisetätigkeit

«DIE GLOBALISIERUNG IM KUNSTMARKT WIRD WEITER VORANSCHREITEN.»

Jutta Nixdorf

PABLO PICASSO Femme assise près d’une fenêtre Verkauft am 13.Mai 2021 USD 103’410’000

Courtesy Christie’s Images 2021 / ©Jean-Michel Basquiat

JEAN-MICHEL BASQUIAT In This Case Verkauft am 11.Mai 2021 USD 93’105’000

wurde extrem reduziert, Versandkisten mehrfach genutzt und umweltfreundliche Transportmöglichkeiten gefunden. Bis 2030 wollen wir klimaneutral sein. Die Globalisierung im Kunstmarkt wird weiter voranschreiten. Ein langfristiges Engagement in Asien wird ein wichtiger Wachstumsfaktor bleiben, und auch Afrika wird an Bedeutung gewinnen. Der Markt für Künstlerinnen birgt immer noch grosses Potential für Wachstum und Preissteigerungen, hier sind noch viele grosse Talente unentdeckt oder unterbewertet. Generell werden wir mehr kulturelle Vielfalt auf dem Kunstmarkt erleben und eine Neubewertung von vergessenen oder zu Unrecht wenig beachteten künstlerischen Positionen der Vergangenheit sehen. Im März diesen Jahres begann die Auktionsgeschichte der NFTs, rein digitaler Kunstwerke, deren Einmaligkeit per Blockchain-Technologie sichergestellt wird. Die Online-Auktion von «Beeple’s Everday:The First 5000Days» startete mit 100 USDollar, verkauft wurde die «Datei» schliesslich mit 69 Millionen US-Dollar und stellt damit das drittteuerste Werk eines lebenden Künstler dar, online verfolgt von 22Millionen Interessierten. Ein Grossteil der eher jüngeren Bieter war erstmals in Kontakt mit einem Kunstauktionshaus. In welche Richtung sich dieses Sammelgebiet weiterentwickeln wird, bleibt abzuwarten. Der Luxusbereich, wie Schmuck, Uhren oder Handtaschen, verzeichnet eine enorm wachsende Nachfrage. Und wir erleben immer mehr, wie Kunden mit grosser Selbstverständlichkeit ihr Sammelgebiet ändern oder erweitern. Heute kauft man noch ein Designobjekt, morgen einen Diamantring und übermorgen vielleicht einen Andy Warhol. An Herausforderungen mangelt es also auch in Zukunft nicht, oder kurz gesagt: Es bleibt spannend.

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