5 minute read

TRADITIONELLES HANDWERK TRIFFT AUF MODERNES DESIGN Sebastian Herkner im Interview

TRADITIONELLES HANDWERK TRIFFT MODERNES DESIGN

Dedon ©

FARBEN, TEXTUREN, STRUKTUREN – UND AUCH EIN PAPIER-HUMMER IN DER KÜCHE … WIE WOHNT UND WAS MACHT DER SYMPATHISCHE DESIGNER, WENN ER NICHT TISCHE, STÜHLE ODER LEUCHTEN ENTWIRFT? PRESTIGE TRAF DEN DEUTSCHEN PRODUKTDESIGNER SEBASTIAN HERKNER.

Autorin_Lone K.Halvorsen

PRESTIGE: Herr Herkner, wie geht es Ihnen, und wie haben Sie das letzte Jahr erlebt?

SEBASTIAN HERKNER: Mir geht es sehr gut, und ich freue mich darüber, dass wir nun wieder ein wenig reisen können. Gewöhnlich verreise ich sehr viel, aber im letzten Jahr war es natürlich auf Deutschland beschränkt. Dadurch habe ich jedoch Städte wie Leipzig und Dresden, aber auch die Ostsee kennengelernt – wunderschön!

Sie haben durch die Pandemie sicherlich das Homeoffice als Designer kennengelernt …

Die Zeit zuhause inklusive Homeoffice habe ich sehr geschätzt. In beruflicher Hinsicht ist es als Designer jedoch etwas schwierig. Vor allem, wenn haptische Dinge online besprochen werden und man selbst nicht Hand ans Werk legen kann. Zudem hat mir natürlich das Reisen gefehlt, denn bei all meinen Reisen entstehen auch sehr viele Inspirationen für meine Objekte.

Der «Bell Table» von Sebastian Herkner ist ein Meisterwerk traditioneller Handwerkskunst.

Gewiss finden viele Souvenirs aus fremden Ländern einen dekorativen Platz bei Ihnen zuhause?

Ich habe immer sehr viele Souvenirs aus fremden Ländern gekauft – von Salatschüsseln bis hin zu aus Holz geschnitzten Krokodilen. Gar Stühle, die so gebraucht waren, dass das Geschäft sie uns eigentlich nicht verkaufen wollte. Das sind Gegenstände, die Geschichten erzählen und zugleich oft eine Gesprächsgrundlage bilden, wenn fremde Menschen zu Besuch kommen und ihnen die Suppe in einer Schüssel aus Kolumbien serviert wird. Das alles gepaart mit einigen ausgewählten Stücken von mir und vielen Gegenständen, die ich online ersteigert habe.

Der Durchbruch kam vor zehn Jahren mit dem «Bell Table», mit dem Sie förmlich die Materialien auf den Kopf stellten, mit einem Fuss aus Glas und einer Tischplatte aus Metall. Wie kam es zu diesem Entwurf?

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war die Stadt Offenbach zur deutschen Lederstadt mit Weltruhm geworden. Das Handwerk, das hier einst zuhause war, verschwand jedoch zunehmend, da die Produktionskosten im Ausland günstiger waren. Die Stadt verlor zugleich ihre Identität und die Bewohner das verbindende Thema. Nach meinem Abschluss 2007 an der Offenbacher Hochschule für Gestaltung war ich als Assistent an der selbigen Hochschule tätig. Nachdem die Lederwerkstadt auch in der Hochschule geschlossen wurde, war mir bewusst, was die Folgen von neuen Technologien und neuen Materialien waren. Und so kam mir die Idee mit dem «Bell Table». Zurück zu dem klassischen Handwerk mit Glas blasen

und Metall drücken. Der Prototyp wurde bei der Glasmanufaktur von Poschinger im Bayerischen Wald produziert–ein Unternehmen, das nach 450 Jahren immer noch im Familienbesitz ist. Die grosse Herausforderung bestand jedoch darin, einen Hersteller zu finden, da die meisten sich zu dieser Zeit nicht für Glas interessiert haben. Dann hat jedoch das Traditionsunternehmen ClassiCon sein Interesse bekundet, und seit 2012 wird nun der «Bell Table» von ClassiCon produziert.

Was empfinden Sie, wenn Sie jetzt zehn Jahre später den «Bell Table» ansehen?

Ich bin natürlich sehr stolz darauf, und ähnlich wie bei den Popstars die einen Nummer-eins-Hit in den Charts haben, bin ich durchaus auch sehr froh darüber, dass es keine «Eintagsfliege» war.

Was bedeutet Ihnen die mediale Aufmerksamkeit?

Es ist sicher von grosser Bedeutung, dass man eine gewisse «Sichtbarkeit» in den Medien bekommt. Beispielsweise hat das «Wallpaper»-Magazin den «Bell Table» entdeckt, und somit konnte das Produkt auch von den Endkonsumenten letztendlich entdeckt werden. Das «schenkt» natürlich auch mehr Aufmerksamkeit bei den folgenden Objekten – in meinem Fall waren das unter anderem die Leuchten für Pulpo, Dedon-Objekte, Stühle von Thonet und immer wieder wunderbare Polsterobjekte für Wittmann Möbelwerkstätten.

Design-Briefings oder Carte blanche?

Ich bekomme meist Briefings, aber auch gelegentlich eine Carte blanche. Wenn es von der Firma Thonet kommt, weiss ich natürlich, dass es hier um einen Holzstuhl geht – und nicht eine Badewanne. Beim Unternehmen Schönbuch, dessen Steckenpferde der Flur, die Diele oder die Garderobe sind, weiss ich auch, was erwartet wird. Bei der Wiener Möbelfaktur Wittmann werden noch heute Stühle, Betten, Sessel und Matratzen in akkurater Handarbeit gefertigt. So entstand auch die Idee mit den «Macaron»Kissen und die darauffolgende gesamte Kollektion.

Nehmen Sie sich aus dem vergangenen Jahr etwas mit für die Zukunft, was Sie vielleicht beschäftigt hat oder wo Sie gemerkt haben, dass die Prioritäten anders gesetzt werden müssen?

Ich habe festgestellt, dass man, statt um die halbe Welt zu fliegen, sehr viel mit dem Kunden online realisieren kann. Selbstverständlich muss bei grösseren Entscheidungen die Werkstatt besucht werden, aber kleine Details können anders geklärt werden. Hinsichtlich grosser Möbelmessen und Designevents wäre womöglich auch ein Nachdenken über deren Zweck erforderlich. Vielleicht sollten wir zukünftig eher kleinere, intimere und fokussiertere Formate anbieten? Die Kommunikation mit Kunden und Kooperationspartnern war im letzten Jahr deutlich entspannter, und vielleicht haben diese Entschleunigung und das Cocooning, von dem man jahrelang gesprochen hat und das nun eingetroffen ist, etwas Positives mit sich gebracht.

Mit der Wiener Möbelmanufaktur Wittmann besteht eine enge Zusammenarbeit.

Es ist ein Privileg, mit Herstellern und Manufakturen wie Wittmann zusammenzuarbeiten, die inhouse in Österreich mit höchster Perfektion das Handwerk seit 1896 pflegen –und dieses nicht auslagern, sondern sagen: «Wir machen Qualität, denn das ist die beste Antwort zum Thema Massenkonsum und Nachhaltigkeit.» Ein Möbel kann ebenso als Investition betrachtet werden wie eine Immobilie oder ein Kunstwerk. Und wenn mir in zehn Jahren der Stoff nicht mehr gefällt, bringe ich ihn zu Wittmann, wo das Objekt neu gepolstert wird.

Schwimmen Sie mit oder gegen den Strom?

Ich denke, Mut gehört als Designer dazu und, wie mit dem «Bell Table», nicht immer mit dem Strom zu schwimmen, sondern gegen ihn. Deshalb habe ich mich nicht für neue Materialien entschieden, sondern bin zurück zum klassischen Handwerk mit Glas und Metall gegangen. Was damals zwar nicht «in» war und für einen Jungdesigner dann wiederum doppelt schwierig sein kann. Letztlich muss das Produkt funktionieren und verstanden werden. Es darf neu sein, es darf anecken, aber es darf nicht zu fremd sein.

«MUT GEHÖRT ALS DESIGNER DAZU.»

Wo sehen Sie Ihre grösste Affinität? Bei einem Stuhl, einem Beistelltisch oder einer Lampe?

Momentan entwerfe ich zwar sehr viele Stühle, aber ich weiss nicht, warum ich gerade wegen Stühlen so viele Anfragen habe. Aber sicher, ein Stuhl hat einen gewissen Reiz, denn jeder Stuhl ist anders. Ob es ein Bürostuhl, Restaurantstuhl oder ein Wartezimmerstuhl ist – alle haben unterschiedliche Anforderungen. Man sitzt auch unterschiedlich lange drauf: im Warteraum hoffentlich nur zehn Minuten, im Restaurant hingegen zwei Stunden. Stühle haben alle unterschiedliche Charaktere, und ich versuche natürlich auch dann, ein «eigenes» Produkt für die entsprechende Firma zu entwerfen.

This article is from: