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GEBALLTE FRAUENPOWER Ein Gespräch mit Lori Spector
Phillips präsentiert eine Auswahl aktueller Auktionsstücke.
EMILY MAE SMITH b. 1979 Invisible Woman oil on linen 121.9 x 94 cm (47 7/8 x 37 in.) Painted in 2016. GEBALLTE
FRAUEN POWER
Autorin_Simone Hoffmann DIE MÜDIGKEIT MERKT MAN IHR NICHT AN: LORI SPECTOR IST EIN AUSBUND AN ENERGIE. TROTZ VIELER SCHLAFLOSER NÄCHTE, DIE SIE IM VORFELD DER KUNSTVERSTEIGERUNGEN DES AUKTIONSHAUSES PHILLIPS IN NEW YORK VERBRACHT HAT, IST SIE BEI UNSEREM GESPRÄCH MIT BEGEISTERUNG DABEI. KEIN WUNDER, DENN SOBALD ES UM IHR LIEBLINGSTHEMA GEHT, IST DIE KUNSTEXPERTIN NICHT MEHR ZU BREMSEN. SEIT 2019 LEITET LORI SPECTOR DIE SCHWEIZER NIEDERLASSUNG VON PHILLIPS IN ZÜRICH UND SORGT DAMIT FÜR FRISCHEN WIND IN DER SCHWEIZER KULTURSZENE.
PRESTIGE: Oftmals ist der Einstieg in die Kunstwelt eine Art Berufung. Wie war es bei Ihnen Frau Spector? Gab es da auch einen entscheidenden Moment, wo Sie wussten: Das ist mein Leben?
LORI SPECTOR: Ich bin in der Nähe von Philadelphia aufgewachsen, und dort gibt es eine wundervolle Sammlung moderner europäischer Malerei–die Barnes Foundation. Sie hat mich als Jugendliche bereits sehr beeindruckt. Das Museum zeigt die Sammlung von Albert C. Barnes, der in den 1920er und 1930er Jahren eine der wichtigsten Sammlungen europäischer moderner Kunst zusammengetragen und sie dann in seinem Haus in Merion, einem Vorort von Philadelphia, ausgestellt hat. Unsere Schule hatte ein Partnerschaftsprogramm mit der Barnes Foundation, und so kam es, dass wir mit unserer Klasse einmal eine Nacht im Museum verbringen durften. Stellen Sie sich vor: Wir durften direkt neben den Kunstwerken schlafen! Dieses Erlebnis, im gleichen Raum mit echten Werken von Picasso und Matisse die Nacht zu verbringen, hat mich damals so tief beeindruckt, dass mir klar war: Das ist meine Welt. Nach dem Schulabschluss ging ich dann an die Universität von Pennsylvania und studierte dort Kunstgeschichte und Französisch. Ich interessierte mich vor allem für Museen und war damals davon überzeugt, dass ich beruflich am besten in dieser Laufbahn aufgehoben wäre. Eine meiner ersten wichtigen Erfahrungen machte ich dann als Praktikantin am Philadelphia Museum of Art. Hier konnte ich an einer CézanneAusstellung mitarbeiten, die bis heute eine der ausführlichsten Werkschauen des Künstlers auf amerikanischem Boden bleibt.
Eine Nacht im Museum, das kann man sich heute kaum noch vorstellen. Gibt es ein Werk, das Ihnen von damals noch im Gedächtnis bleibt?
Ja, selbstverständlich. Es ist ein Matisse, «Le bonheur de vivre», ein wundervolles Gemälde, das oberhalb eines Treppenaufgangs hing, sodass man es beinahe übersehen konnte. Es ist für mich ein Werk, das so unendlich vieles ausdrückt. Es ist euphorisch, farbenfroh, eine Explosion von Gefühlen, all das eingefangen auf einer Leinwand, einfach atemberaubend! Und Matisse hat mich weiterhin begleitet, ich hatte das grosse Privileg, in den
Robert Rieger © Die Kunst ist im Herzen von Lori Spector zuhause.
letzten Jahren mehrere seiner Werke zu versteigern. Als ich für Phillips Anfang der 2000er Jahre tätig war, verkaufte ich eine seiner ikonischen Skulpturen, «Nue Couchée (Aurore)». Vor wenigen Jahren wurde bei Phillips ein weiterer Guss der Skulptur für eine Rekordsumme verkauft. Mit anderen wichtigen Werken aus seinem Œuvre habe ich gehandelt. Matisse hat mich nie verlassen.
Aber wie kam es dazu, dass Sie von einer quasi vorgezeichneten Laufbahn im Museum in den Kunstmarkt übergewechselt sind?
Nach meinem Studium ging ich für kurze Zeit nach Paris und machte dort im Musée de la Mode et du Textile ein Praktikum. Zu der Zeit beschäftigte ich mich besonders intensiv mit europäischer Malerei, Antiquitäten und Modegeschichte, fühlte mich aber immer auch ein wenig hin- und hergerissen zwischen den Disziplinen. Dann musste ich aus familiären Gründen plötzlich zurück in die Vereinigten Staaten und zog nach New York. Hier begann ich meinen ersten Job in New York bei Christie’s im Bereich Kunst des 19. Jahrhunderts und später Impressionisten sowie Modern Art. Einige Jahre später machte mir Phillips ein spannendes Angebot. Damals war das Auktionshaus gerade dabei, sich einen Platz als wichtiger Player neben Sotheby’s und Christie’s aufzubauen. Es waren spannende Zeiten, in denen ich verantwortlich für einige historische Verkäufe war und mit daran arbeitete, den Bereich Impressionismus und Modern Art aufzubauen. Nach vier Jahren entschied ich mich, meinen eigenen Weg als Kunsthändlerin und Art Advisor zu gehen. Aber ich hing trotz allem sehr an der Museumswelt und ging zurück an die Uni, um mein Studium der Kunstgeschichte an der NYU, dem Institut der Bildenden Künste, fortzusetzen. Irgendwie dachte ich, mein Platz wäre längerfristig in der akademischen Museumswelt. Aber letztendlich habe ich gemerkt, wie wichtig mir der direkte Kontakt mit der Kunst und den Sammlern ist. Das gibt es im Museum nicht. Im Kunstmarkt ist man mittendrin, man befasst sich physisch und spirituell mit der Kunst und kann seine Leidenschaft mit anderen teilen, über Kunst sprechen.
Phillips ©
Das Auktionshaus Phillips hat in Zürich einen neuen Standort eröffnet.
Mit der Auktionswelt kamen Sie aber erst sehr viel später wieder in Berührung …
Ja, genau, es war im Mai 2019. Da kamen Jean-Paul Engelen (Anm. d. Red.: Deputy Chairman von Phillips) und Cheyenne Westphal (Anm. d. Red.: Phillips Global Chairwoman) auf mich zu. Mein Mann ist Schweizer, zu dem Zeitpunkt lebten wir gemeinsam bereits neun Jahre in Zürich. Jean-Paul und Cheyenne wollten wissen, wie Phillips in der deutschsprachigen Schweiz wahrgenommen wird. Damals gab es keine Niederlassung, nur einige Vertreter, die für Phillips in der Schweiz tätig waren und von zu Hause aus arbeiteten. In einer Stadt wie Zürich funktioniert das nicht so gut, die Menschen brauchen einen festen Ort, wo sie hinkommen können, um Meisterwerke im Original zu sehen, einen Kaffee zu trinken. Jean-Paul und Cheyenne fragten mich, ob ich es gerne in die Hand nehmen würde, einen solchen Ort zu schaffen. Ich hatte damals eigentlich nicht geplant, wieder für ein Auktionshaus zu arbeiten. Ich zog meinen Mann zu Rate. Er ist auch Kunsthändler, wir haben uns in New York kennengelernt. Mein Mann unterstützte mich sehr, es sei eine einmalige Chance, sagte er. Und wir freuen uns beide sehr, in Zürich zu sein. Nach mittlerweile elf Jahren hier fühlen wir uns sehr mit dem Ort und mit der Kunst- und Sammlerwelt verbunden.
Sie und Ihr Mann sammeln ebenfalls Kunst. Welche Künstler sind Teil Ihrer Privatsammlung?
Eine Künstlerin, die mich wirklich tief durchdrungen hat, ist Lynette Yiadom-Boakye. Sie hat ghanaische Wurzeln, ist aber in London aufgewachsen und hat dort studiert. Erst kürzlich hatte sie eine Ausstellung in der Tate, und eine meiner grössten Enttäuschungen in der Covid-Zeit war, dass ich die Ausstellung nicht selbst sehen konnte. Ihre Arbeit ist einfach spektakulär, sie malt wie Goya und Manet. Sie hat eine unglaubliche Art, Menschen darzustellen, man hat das Gefühl, sie zu kennen, obwohl keine dieser Figuren real existiert. Lynette ist eine wundervolle Malerin, Autorin und Philosophin. Ich schätze mich sehr glücklich, ein paar ihrer Werke in meiner Privatsammlung zu haben. Wir haben in unserer Sammlung einige Künstler, die noch nicht besonders bekannt sind, aber es voraussichtlich bald werden: Simone Leigh, die die USA bei der nächsten Biennale von Venedig repräsentiert, Latifa Echakhch, die die Schweiz auf der Biennale vertreten wird, RH Quaytman, Karla Black, Claudia Comete ... Ich kaufe das, was mir wirklich gefällt und was ich mir leisten kann.
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Jetzt haben Sie aber nur Frauen aufgezählt. Ist das eine bewusste Wahl?
Ja, es stimmt, wir haben viele spannende Künstlerinnen in unserer Sammlung. Zum Beispiel Shazia Sikander, eine wunderbare pakistanisch-amerikanische Künstlerin. Ihre Zeichnungen und Gemälde erinnern mich an indische und islamische Miniaturgemälde aus dem 16. und 17. Jahrhundert. Ich habe mich sofort in sie verliebt, als ich sie zum ersten Mal sah. Es hat sich erst unterbewusst, dann immer bewusster so entwickelt, dass wir vor allem die Kunst von Frauen sammeln.
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Frauen scheinen in Ihrem Leben einen sehr wichtigen Platz einzunehmen ...
Das stimmt zu hundert Prozent. Wir brauchen genau das: dass Frauen nicht nur in Führungspositionen sind, sondern auch zunehmend bestimmen, wie sie ihre Karriere angehen und formen wollen. Die Künstlerin Cecily Brown ist dafür ein gutes Beispiel. Sie entschied sich, eine der grössten Galerien zu verlassen und sich von einer kleineren vertreten zu lassen. Damit sie mehr Mitspracherecht in Bezug auf ihre Werke hat. Das hat ihr grosse Anerkennung verschafft, und es war ein sehr mutiger Weg. Networking von Frauen ist unglaublich wichtig. Ich bin zum Beispiel Teil einer Alumni-Gruppe, die hauptsächlich aus Frauen besteht. Wir sind ständig im Austausch über unsere Projekte und arbeiten zusammen an Deals.
Die Kunstwelt bleibt aber nach wie vor eine Männerdomäne, wie empfinden Sie das als Frau?
Die Dinge haben sich weiterentwickelt. Ich bin seit mehr als zwanzig Jahren in der Branche tätig, und es gibt mittlerweile eine Reihe von Frauen in leitenden Positionen. Besonders bei Phillips: Viele Spitzenposten sind mit inspirierenden Frauen besetzt. Für grössere Anerkennung und Unterstützung der Leistungen von Frauen in der Kunstwelt zu sorgen, ist uns sehr wichtig. Wir wollen dazu beizutragen, einen Markt zu schaffen, der die Chancengleichheit erhöht.
Die letzten eineinhalb Jahre haben die Welt ziemlich verändert, das ist auch an der Kunst nicht spurlos vorbeigegangen. Was halten Sie von NFT, also «Non-Fungible Token»-Kunstwerken? Ist das eine bleibende Entwicklung?
Ich bin da geteilter Meinung, es wird sich entwickeln, aber in welche Richtung? NFT haben in den vergangenen Monaten kolossale Verkaufspreise erzielt, und dann kam es zu einem Einbruch, die Preise fielen. Aber ich bin sicher, NFT werden weiterhin Bestandteil des Kunstmarktes bleiben, denn es hat sich herausgestellt, dass es wirklich interessierte Käufer dieser Kunstform gibt. Und es ist auch ein Generationenwechsel. Ich finde es faszinierend, dass sich das Kaufverhalten durch die Pandemie so verändert hat: Ich hätte mir vorher nicht vorstellen können, dass Kunden wichtige und bedeutende Kunstwerke kaufen, ohne sie vorher im Original gesehen zu haben. Seit der Pandemie kaufen sie Werke, die sie nur über den Bildschirm entdecken konnten. Und NFT stellen sozusagen eine Weiterentwicklung dieses Kaufverhaltens dar. Es ist im Grunde genommen die konzeptuelle Kunst dieser neuen Generation: Man kauft eine Idee, nicht ein Kunstwerk, das man physisch besitzt und an die Wand hängen kann. Aber wohin sich der Markt in Bezug auf NFT genau entwickelt, bleibt abzuwarten. Nur eins ist nach der Pandemie ganz sicher: Wer sich heute auf dem Kunstmarkt nicht digital entwickelt, ist tot.
AVERY SINGER b. 1987 Untitled acrylic on canvas stretched over wood panel 101.6x114.3 x 5.1cm (40x45x2 in.) Painted in 2018
Verraten Sie uns noch, wie die Zukunft von Phillips in Zürich aussehen soll?
Ich habe grosse Pläne (lacht)! Ich will Phillips in Zürich zu einer Art kreativem Hub entwickeln. Mir geht es darum, Menschen aus ganz unterschiedlichen Bereichen zusammenzubringen: Literatur, Wissenschaft, Kunst, um gemeinsam an Projekten zu arbeiten. Ich glaube, dass es sehr fruchtbar sein kann, wenn sich branchenübergreifende Formen der Zusammenarbeit ergeben. Ich plane in jedem Fall, mehr Ausstellungen zu organisieren. Und unser grosses gemeinsames Ziel ist es, Phillips für die Menschen in Zürich und in der ganzen Schweiz zu einem unübersehbaren Bestandteil des Kunstlebens zu machen.
LINKS KATHARINA GROSSE b. 1961 Untitled acrylic on canvas 290 x 193 cm (114 1/4 x 76 in.) Painted in 2017