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WEISSE NÄCHTE St.Petersburg

TR AV EL

TR A VEL

WEISSE NÄCHTE

IN ST. PETERSBURG

Autor&Bilder_Konstantin Arnold ES WAR EIN SCHÖNER, SONNIGER NACHMITTAG, ALS WIR IN JENEM TEIL DER WELT ANKAMEN, DURCH DEN MAN DEN ANDEREN UND DANN DIE GANZE WELT BESSER VERSTEHT.

Das Grand Hotel Europe in St.Petersburg beeindruckt mit einem prächtigen Ambiente. www.belmond.com

VON

Von einem Chauffeur und einem Bad in der Dostojewski Suite des Grand Hotel Europa trennte uns nur noch die Laune eines russischen Grenzbeamten. Die Sonne fiel durch die Fenster und heizte die Luft auf, das machte die Szenen dramatischer. Im schlimmsten Fall würden wir die Nacht am Flughafen verbringen oder einen Flug finden, den wir uns leisten können, zu einem besseren Flughafen, an dem die Männer keine Schlagstöcke tragen und die Sonne nicht so heiss durch das Glas fällt. Der Tag hatte sehr aufregend begonnen. Man wollte uns schon am Morgen in Lissabon nicht ins Flugzeug lassen. Warum weiss ich auch nicht, aber ich wusste, dass ich mir von dieser Flughafentante, mit ihrem Flughafentablet, nicht unsere Träume zerreissen lasse. Da standen wir, früh um vier, mit all unseren Dokumenten in Urlaubsklamotten am Check-in und die Tante meinte, wir dürften nicht fliegen. Meine Freundin versuchte es unter Tränen und ich machte einen fürchterlichen Aufstand und sagte, sie müsse uns doch wenigstens die Tickets nach Paris geben, mir doch egal, was ihr Flughafencomputer sagt, in dem schlägt kein Herz. Ich wusste, wenn wir einmal in Paris wären, würden wir es nach St.Petersburg schaffen und wir schafften es ja auch, so wie ich es ihr an jenem Morgen in Lissabon versprochen hatte. Jetzt mussten wir in Russland nur noch nach Russland kommen. Man nahm unsere Pässe und liess uns stehen. Bestimmt eine Stunde. Dann kam einer mit Polizeihut und meinte, wir dürften nicht einreisen. Und wieso? Weil wir über Paris geflogen wären. Das war doch aber Transit. Er sagte, ja er wisse das, aber das wäre egal. Und nun? Wir hätten zwei Möglichkeiten, entweder wir fliegen nach Helsinki und kommen mit einem Direktflug wieder oder wir kaufen Fussballtickets für die Europameisterschaft und lassen uns eine Fan ID machen. Ja, das war das Level und wir kauften Tickets für ein Spiel, das wir nie sahen und wurden Fans eines Landes, das wir nicht kannten und durften einreisen. Ich hätte nie gedacht, dass mich der Klang eines Passstempels mal so glücklich machen würde. Ab da an gings steil bergauf. Wir kamen im Hotel an und man empfing uns wie Könige oder wir kamen uns wie Könige vor, nachdem man uns an der Grenze wie Dreck behandelt hatte. Wir machten uns frisch. Draussen war Dämmerlicht. Im Westen war der Himmel dunkelblau und im Osten noch weiss. Wir assen in einem wunderbaren Lokal, nicht weit vom Hotel, vielleicht war es sogar noch das Hotel, und bestellten russisches Essen und tranken russische Weine. Der Kellner meinte, dass Russen nie russisch essen gehen. Das hätte mit der Sowjetunion zu tun. Wenn Russen essen gehen, gehen sie zum Italiener oder Georgier, aber sie gehen nie zu Russen. Auf dem Newski-Prospekt könnte man das sehen. Ich sagte, wir hätten in Gogols und Dostojewskis Büchern über diese Meile gelesen. Die Männer dieser grossen, stolzen Promenade sehen nicht aus wie die Frauen. Sie sehen schlechter aus und gehen betrunken im Zickzack und die Frauen laufen ihnen gerade nach und hoffen, einen unter ihnen zu finden, der im Zickzack läuft, aber wenigstens Oligarch ist. Ihre Blicke sind kalt und hart und durchdringen einen wie Pistolenkugeln oder Gedichte Majakowskis. Ihre Gesichter sind kompliziert. Sie tragen kurze Röcke und haben lange Beine, die auf Stelzenschuhen gehen. Nur ab und an kommt eine, der man hinterhergucken kann, aber sie sind nur im Vorbeigehen schön, nachdem sie vorbeigegangen sind, sind sie nichts mehr und man kann seine Blicke wieder über die Stadt und seine Freundin gleiten lassen. Auf Reisen schärfen sich die Blicke und die Klänge und die Gerüche werden intensiver. Das Geschärfte kann man dann wieder mit heimnehmen und das zu Hause genauso sehen, wie man St.Petersburg gesehen hat: prächtig und von Kanälen durchzogen. Die Kanäle werden von Brücken umspannt. Das Licht der Strassenlaternen brennt in den Kanälen und man kann das von den Brücken sehen und einfach dastehen, im angestrahlten Monument dieses Moments. Ich will die Stadt jetzt nicht mit anderen Städten beschreiben, aber Wien und Venedig kommen nah dran. Alles ist weiss und gelb und weiss und blau und über allem ist das weisse Blau des Himmels, das von den Säulen der Zaren gehalten wird. Kirchen mit goldenen Kuppeln stechen hoch in die Luft, wie Antennen ins All. Weite machte sich auf den Strassen breit, die Monumente und Häuser voneinander trennen. Jedes Haus ist irgendwas. Selbst die Häuser, die nichts sind, sehen aus als ob sie was wären. Sie stehen alle breitbeinig da. Manche sind eine ganze Strasse lang. Es sah wundervoll aus, wenn sie bei Rot mit mir über eine dieser gewaltigen Strasse rann und ein Sportwagen mit hoher Geschwindigkeit auf uns zu kam. Auf der anderen Seite konnte man dann die Blutskirche angucken oder angucken, wie sie sich die Blutskirche anguckt, mit grossen geöffneten Augen. Und nochmal: Hinter allem dieses Nachtblau, wie eine Kulisse, auf der das Rätsel des Mondes steht, der sich am hellen Himmel zeigt und von Wolken durchziehen lässt. Dazu diese Parks bei Nacht. Menschen und Liebespaare sitzen auf weissen Bänken unter Bäumen um die Statue eines Schriftstellers verteilt. Turgenew, Tschechow, Gogol. Das sind die besten Bars der Stadt. Bessere

fanden wir nicht. Dahinter funkeln Monumente, die gesamte russische Dekadenz. Wir haben den Eimer mit Eis in den Staub gestellt. Das Hotel Europa ist nebendran. Man hatte uns den Champagner dort zur Begrüssung ins Zimmer gestellt. So liefen wir durch die Nächte und schliefen an den Tagen nicht und die Tage waren gleich. Nach dem Frühstück gingen wir in die Museen. Erst ins Russische und ins Erarta, aber ins Erarta gingen wir nur durch Zufall. Kontemporäre Kunst war nie unser Ding, aber die Frau am Telefon hielt Moderne Kunst für Kontemporäre Kunst und meinte, sie hätten die grösste Moderne Kunstsammlung Russlands. Also gingen wir hin. War aber gar nicht so schlecht, ausser, dass so viele Jahre der russischen Kunst einer widerlichen sozialistischen Zensur zum Opfer gefallen sind. Manche Maler mussten mit Lack malen, andere gingen ins Gefängnis oder bezahlten ihre Bilder mit dem Leben. Am gewaltigsten sind die Eremitagen. Das Museum selbst ist ein Kunstwerk. Es gibt die alte und die neue und die kleine Eremitage. Sie unterscheiden sich am Prunk und den Klängen der Böden. Die Frau, die uns das sagte, verglich das Museum ständig mit dem Louvre und sagte, dass es das zweitbeste Museum der Welt sei und dass sie die grösste Vase hätten, die je gebaut wurde. Alles war aus Gold und aus Marmor, den Farben des Reichtums und Rot. Malachit mit Megalomanie. Kunst, die in teure Rahmen gesteckt wird. Aus irgendeinem Grund lassen die Russen ihren Unmut gerne an diesen Gemälden aus. Die Frau, die das Museum ständig mit dem Louvre verglich, erzählte uns, wie einer mit Säure auf den Rembrandt losging oder neulich einer mit dem Messer. Das mit dem Messer wäre nicht so schlimm, nur die Säure eben. Es fiel mir schwer, «SO LIEFEN WIR DURCH DIE NÄCHTE UND SCHLIEFEN AN DEN TAGEN NICHT UND DIE TAGE WAREN GLEICH.» diese Bilder einzuordnen, aber sie hatten auch kein Geheimnis und als ich sie eingeordnet hatte, bedeuteten sie mir nichts. Sie waren keine Bilder, die man sich an die Wand hängen würde, um ein Leben lang in sie reinzugucken, weil sie ihr Geheimnis nie ganz verraten und immer einen Raum lassen, den man sich erarbeiten muss. Einige Gemälde waren jedoch so wahr, dass sie beim Angucken einen anderen Menschen aus dir machten. Victor Ivanovs Familie 1945 oder Valentine Servovs Portrait der Tänzerin Ida

Rubinstein. Kusma Sergejewitsch Petrow-Wodkins Madonnen oder der Tod im Leben seiner Gemälde. Mir gefiel auch ein Bild von Inna Sklyarevskaya, aber ich kann den Namen in meinen Notizen nicht mehr genau lesen. Das Europa hatte im Mikhailovsky eine eigene Loge und russisches Ballett ist ein Klischee, so wie Wodka eins ist, nur, dass es im Gegensatz zum Wodka auch wahr ist. Die Tänzer werden so erbarmungslos und genetisch auserwählt, wie es nur ein richtiges Regime kann. Die Show ist prächtig. Wir trafen in diesen Tagen aber keinen einzigen Russen, der gerne Wodka trinkt und wir machten sogar ein Tasting. Zum Wodka gab es Kaviar, nur kann ich, wegen des Wodkas, nicht mehr viel zum Kaviar sagen, aber der Kellner war so lieb, mir den Kaviar aufzuschreiben, den wir gegessen haben: Sterlet, Oscietra, Beluga, wohl alles gutes Zeug, an das wir ausserhalb Russlands gar nicht so unpasteurisiert rankommen. Egal, wie wir schon waren, wir fanden immer wieder ins Hotel zurück. Nach dem Wodka aber nur, weil das Tasting im Hotel gewesen ist. In den Morgenstunden leuchteten die goldenen Lettern des Hotels am Newski-Prospekt immer wie der Text eines russischen Schlaflieds. Der Nachtconcierge kannte uns schon und grüsste. Wir grüssten zurück und erzählten ihm von den Abenteuern der Nacht. Die Nächte in St. Petersburg sind nicht weiss, sie sind phantastisch. Man schwitzt, aber schwimmen gehen kann man nicht einfach, ohne zu sterben. Man flüchtet sich in die Parks und bildet sich Kühle ein. An der Newa weht Wind. Der Fluss verhält sich wie der Bosporus. Oben am Alexandergarten, vorm Admiralspalast, lagen wir am liebsten auf den Wiesen und tranken Bier, das sie in einem Irish Pub besorgt hatte. Die meisten Cafés haben bis weit nach Mitternacht geöffnet, prestigeträchtige, wie das Literatur Café am Newski. Es gibt einfach keine Zeit, zu dieser Zeit, in dieser Stadt, und die Leute leben den Tag einfach weiter, wenn die Nacht begonnen hat. Normal erlebt man sowas nur besoffen, ich glaube wir waren noch nie nüchtern um diese Zeit wach. Es ist ein einziges Morgengrauen, die ganze Nacht lang, bis zum Morgengrauen und alles spiegelt sich in Fenstern von Palästen. Die Zeit liest man an den Brücken ab. Wenn sie öffnen, bedeutet das, dass sie jetzt zu sind und dass es spät geworden ist. Man steigt in ein Boot oder reitet heim, auf weissen Schimmeln, durch Traumlandschaften über leere surreale Plätze. Eines Nachts liefen wir den Spuren von Rodion Raskolnikow nach, der in Dostojewskis «Schuld & Sühne» eine alte Frau mit einem Beil erschlägt. Die Spur dieses Mordes führte uns in ein abgelegenes Viertel und sie führte uns so tief hinein, dass wir selbst nicht mehr wussten, ob Raskolnikow wahr war oder nicht. Wir gingen über den S-Platz, wie Dostojewski ihn nennt und an der Nikolaus-Marine-Kathedrale vorbei über die Holzbrücke der vier Löwen mit den zwei Laternen mittendrauf. Sie führte direkt zu dem Kasernenblock mit den dunklen Hinterhöfen. Die Fassaden der Häuser waren schwarz und blickten mit tausend toten Augen. Da vorn muss es gewesen sein, die Wohnung der Alten, genau da kam er raus, im Fieberwahn mit Blut auf den Stiefeln. Keine Ahnung wie die Strasse hiess, den Namen müsste ich malen. Aber es war eine stille Seitengasse, eigentlich perfekt für einen Mord, wir wollten nur niemanden umbringen. Auch nicht die alte Frau, die zufällig aus dem Haus trat. Ich fragte, ob das das Haus ist, in dem Raskolnikow, die Alte.., und die alte Frau unterbrach und sagte genervt ja. Sie sagte es auf Deutsch und sie sagte auch, wir sollten uns hier nicht herumtreiben und wenn wir es schon tun, dann besser im Herbst oder im Winter, St. Petersburg wäre eine Winterstadt, dann sind die Schatten schärfer. Sie sagte das alles mit einem bösen Gesicht, hinter dem etwas sehr Gutes lag. Sie war eine von diesen wundervollen alten Frauen, die es bald nicht mehr gibt. Irgendetwas sehr Schönes lag doch dem Russischen inne. Sie fragte, wo wir her wären und erzählte, dass sie den Krieg erlebt hätte und Russland kein guter Ort für die Liebe wäre. Wir sagten, oh doch, vor allem seine Tage und Nächte.

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