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DAS RAFFINIERTE ERBSTÜCK Prada «Galleria»

DAS RAFFINIERTE

ERBSTÜCK

Autor_Reinhard Haas Bilder_Prada S.p.A.

Die 2007 entworfene und seitdem immer wieder neu erfundene Handtasche «Galleria» ist ein Neo-Klassiker von Prada. Elegant und stilvoll, aber gleichzeitig von Natur aus pragmatisch, bewegt sich das Galleria-Design zwischen Form und Funktion. Die Tasche verweist auf das handwerkliche Erbe von Prada und spiegelt gleichzeitig ein modernes Design-Ethos wider.

Industrielle Präzision trifft auf handwerkliche Exaktheit.

DIE

Die Kombination aus Geschichte und Zeitgenössischem erfindet das Zeitlose: Die Galleria-Handtasche ist zu einem Markenzeichen der Identität von Prada im 21. Jahrhundert geworden. Als zukünftiges Erbe, ein Erbstück in der Entstehung, ist die Tasche nach dem Sitz des historischen Prada-Flaggschiffs in Mailand benannt – der geschichtsträchtigen Galleria Vittorio Emanuele II, in der sich die Boutique befindet, in der die Marke Prada 1913 von Mario Prada, Miuccia Pradas Grossvater, gegründet wurde. Sie wurde erstmals in Saffiano-Leder angeboten–einem kratz- und wasserfesten Kalbsleder, das sich durch eine kreuzschraffierte Oberflächenstruktur auszeichnet, ein Material, das von Mario Prada patentiert wurde und noch heute ein Leitmotiv von Prada ist. Zurückhaltend, zeitlos, die Linien sind einfach und rein. Die Galleria-Handtasche nimmt bewusst Bezug auf die klassischen Stile der Vergangenheit: Sie erinnert mit ihrer geradlinigen Form und dem geschwungenen Henkel an die Mitte des 20.Jahrhunderts beliebten Rahmentaschen und Medizintaschen. Im Inneren verbirgt sich ein Trio von parallelen Fächern, zwei davon mit Reissverschluss, und ein weiteres, tief im Inneren verstecktes Fach. Die Galleria ist ein Beispiel für die jahrhundertealte Kompetenz und Exzellenz von Prada in der Herstellung von Lederwaren. Sie besteht aus 83 Einzelteilen und ist ein wahres Duett, eine

Kombination aus industrieller Präzision und handwerklicher Exaktheit, wie sie nur von Hand möglich ist. Das charakteristische Saffiano-Leder der Tasche wird in einem aufwendigen Heisspressverfahren hergestellt; die rohen Kanten werden geglättet und von Hand bemalt. Jede Galleria-Tasche ist mit einem PradaDreieck versehen, ein Qualitätssiegel, ein Mass für Perfektion. Während die Silhouette konstant bleibt, wurde die Oberfläche der Galleria-Tasche immer wieder neu interpretiert, in einem Spektrum von Farben, einer Reihe von Ledern, einige üppig verziert und bestickt, andere einfach mit einem Band aus Steppnähten definiert. Als konstantes Element der Prada-Garderobe ist sie wohldefiniert–und kann so Saison für Saison mit der Stimmung des Augenblicks und dem Zeitgeist neu definiert und kreiert werden. Sie bleibt ständig relevant–für jede neue Generation.

DAS HÖCHSTMASS ITALIENISCHER HERSTELLUNG Wie alle Lederwaren von Prada wird auch die Galleria im italienischen Scandicci hergestellt. Vor den Toren von Florenz steht diese hypermoderne 38’000Quadratmeter grosse Fabrik. Der Komplex aus Chrom und Glas gleicht eher einem Labor denn einer Lederwaren-Manufaktur. Und doch ist diese Gegend seit dem 13.Jahrhundert das Zentrum der italienischen Lederverarbeitung und -veredelung. Alle Phasen der Produktion werden in dieser Fabrik durchgeführt, von der Erstellung des Prototyps über die Entwicklung des Modells bis hin zu seiner Herstellung und der Prüfung der Anlage. Eine eng überwachte integrierte Lieferkette sorgt für ein Höchstmass an Qualität. Scandicci ist das Kompetenzzentrum für die Produktion der Prada-Herren- und -Damen-Kollektionen, einschliesslich exklusiver Artikel aus kostbaren Häuten und einiger spezieller Sonderanfertigungen. Beim Prototyping wird das Muster gefertigt und in CAD umgewandelt, um die für die Herstellung des Produkts notwendigen Materialien zu schneiden. Anschliessend fertigt ein Techniker das erste Muster an, das einer sorgfältigen Prüfung unterzogen wird, um den Produktionsprozess zu optimieren. Eine genaue Qualitätskontrolle zur Überprüfung der Konformität der Rohmaterialien ist die Grundlage für die weiteren Produktionsschritte, beginnend mit dem Zuschnitt. In einem automatisierten Zentrum, das aus 20Maschinen besteht, trifft die Technologie auf die Kompetenz der Bediener, die jeden einzelnen Schritt sorgfältig verfolgen. Das geschnittene Leder wird einer Dickenreduzierung und einem Schälen unterzogen, um die optimale Dicke der einzelnen Komponenten zu erreichen, die dann mit den Verstärkungen verklebt werden. In der Färbephase wird der Ledersaum eingefärbt, um einen perfekten Abschluss der Kante zu gewährleisten. Die Montage der insgesamt 83 Einzelteile ist eine Teamarbeit aller beteiligten

Fachkräfte und Ledermeister. Die «Montage mit Formträger», bei der eine hölzerne Silhouette als Rahmen für den Bau des Musters verwendet wird, und die «Metallrahmenmontage», eine Präzisionsbearbeitung für das Einsetzen von Taschen-Reissverschlüssen, sind nur zwei Beispiele. Endbearbeitung und Prüfung sind die letzten Schritte, bei denen jede Handtasche auf ihre Übereinstimmung mit den Qualitätsstandards der Marke geprüft wird.

EINE ERINNERUNG AN DIE REINHEIT DER MAGIE In der Mode geht es fast immer um Fantasie –neu kreiert, ständig erweitert und jeden Tag von der Industrie mit Sorgfalt und Liebe in Handarbeit hergestellt. Doch die Magie der Modeindustrie wird leicht übersehen, vergessen – Vertrautheit erlaubt Selbstgefälligkeit. Eine Erinnerung an die Reinheit dieser Träume, an diese Magie, ist die Intention, die diese neue Prada-Kampagne leitet: eine neue Figur, die 22-jährige Schauspielerin Hunter Schafer. Das ehemalige Model debütierte 2019 in der HBO-Serie «Euphoria» und ist mittlerweile auch das Werbegesicht des Kosmetik-Herstellers Shiseido. Für Prada in Szene gesetzt hat sie der Filmemacher Xavier Dolan, 32. Die beiden werden eingeladen, die zeitlose PradaGalleria-Handtasche ohne vorgefasste Erwartungen zu untersuchen. Von aussen nach innen schauend fangen sie den ewigen Traum der Mode neu ein. Ohne Vorurteile wird ihnen völlige Freiheit gewährt: Dolan wurde die Unabhängigkeit gegeben, seine persönliche Vision des Universums der Mode und der Identität der Prada Galleria zu kreieren und zu steuern. Die Kampagne schöpft ihre Inspiration aus einer unaufhörlichen Faszination für die Ikonografie unserer Branche. Dolans Kurzfilm scheint verschiedene Aspekte dieses Traums zu erforschen: den des Filmemachens und den der Mode. Jeder ist facettenreich, vielschichtig–eine Reflexion der Besessenheit unseres Zeitalters, sich endlos von Idee zu Idee zu bewegen – von Ruhe zu dynamischer Aktion, von Einfachheit zu Komplexität. Es gibt keine singuläre Erzählung, eher eine Abfolge von Mikronarrativen wie eingefangene Gedanken, Lieben, Emotionen oder Träume, die in ständigem Dialog miteinander stehen.

Der Herzschlag dieser Träume ist die Mode, von aussen betrachtet. Der Film umarmt die Codes und Tropen, die der Welt der Mode innewohnen, und hat eine Reinheit, eine Naivität, eine Freude. Sie spiegeln Allgemeingültigkeit wider: Archetypen von Modeshootings, wie sie sich viele vorstellen, unschuldig und optimistisch, idealisiert und vergöttert. Schafer ist unsere Heldin–eine Romantikerin, ein junges Mädchen, das sich ihren Platz innerhalb ihrer verschiedenen Fantasien vorstellt. Wir springen von ihrem Schlafzimmer zu den Imaginationen eines Modeshootings, zu universellen Reflexionen der Mode, wie sie im Volksbewusstsein imaginiert wird, eine Flucht aus ihrer Realität. Aber diese Realität könnte selbst ein Traum sein: Diese Szenen sind widersprüchlich vom Apparat des Filmemachens umrahmt, eingebettet in filmische Sets, die an die Traumfabrik Hollywood erinnern, eine weitere Quelle endloser Verzauberung wie die Welt der Mode, die sie sich vorstellt. In Schafers Fixierung–ihrer Fantasie–ist die Prada Galleria ein Talisman der Mode. Die Tasche ist ein Klassiker, dessen Charakter immer wieder neu erfunden, neu erdacht, neu belebt wird, so vielfältig und facettenreich wie eine Filmheldin. Veränderung, Widerspruch, Evolution – immer und nie dasselbe. Die GalleriaTasche wird hier in verschiedenen Kontexten, unterschiedlichen Orten und Visionen neu erfunden, sie springt zwischen imaginären Szenen und Szenarien, zwischen mehreren Mikronarrativen wie Fragmente von Gedanken, Hoffnungen oder Wünschen. Sowohl das Kino als auch die Mode verwandeln die Fantasie in greifbare Realität: Filme erwecken die Fiktion zum Leben, geben den bisher imaginierten Visionen ihrer Regisseure eine Körperlichkeit. Wir als Publikum können ihre wildesten Sehnsüchte teilen–während Schauspieler wie Schafer der Fantasie Glaubwürdigkeit verleihen, indem sie den Heldinnen nicht nur eine buchstäbliche Präsenz, sondern auch eine Ehrlichkeit, eine Reinheit, eine Wahrheit verleihen. Ein grossartiger Schauspieler kann seine Rolle wie ein Kleid bewohnen und sie zu einem Teil von ihm machen. Und so schafft auch die Mode Aktualität aus Inspiration–Objekte, kostbar und aufgeladen, die man dann besitzen kann. Wir können die Phantasien der Mode berühren und fühlen, sie sehen und teilen. Sie können unsere werden.

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