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EINE WELLE DER NACHFOLGE Die Unternehmensexplosion und ihre Folgen

Die Unternehmensnachfolge ist nichts Neues. Wieso haben wir in der Schweiz dann nicht mehr Transparenz und Wissen über die Unternehmensnachfolge? Woher kommt die Meinung, dass der Markt das schon regelt? Und tut er das wirklich?

Autorin: Carla Kaufmann

Vor 13 Jahren, im Mai 2010, hatte ich mit Partnern zusammen eine Firma übernommen, die drei Jahre zuvor von Otto Ineichen und Dr. Max Nägeli gegründet wurde – eine Onlineplattform, die Unternehmen in der Nachfolge ausschreibt. Einfacher Business Case: Inserat schalten, kontaktiert werden, Firma verkaufen. Die Plattform selbst trägt sich einzig durch die geschalteten Anzeigen und hatte bei der Gründung vor allem einen Zweck: der Politik im Zuge der Unternehmenssteuerreform II zu beweisen, dass es so etwas wie einen Nachfolgemarkt überhaupt gibt!

Als ich 2010 auf den Nachfolgemarkt kam, erschienen auch die ersten wissenschaftlichen Studien rund um die Unternehmensnachfolge. Man sprach von der astronomischen Zahl von 75’000 Unternehmen in der Nachfolge und von rund 400’000 betroffenen Arbeitsplätzen.

13 Jahre später sprechen wir von 93’000 Unternehmen in der Nachfolge. Woher kommen die 18’000 Unternehmen, die wir nun zusätzlich in der Nachfolge haben? Dieser Anstieg lässt sich schlicht und einfach mit der Unternehmensdemografie der Schweiz erklären.

Vor 100 Jahren, also 1922, gab es in der Schweiz 43’433 Einzelfirmen, 10’339 Kollektiv- und Kommanditgesellschaften und 19’951 Aktiengesellschaften. Mit Vereinen und Stiftungen kam man in jenem Jahr auf einen Unternehmensbestand von 79’876 Unternehmen in der gesamten Schweiz – so das Statistische Jahrbuch der Schweiz von 1922.

Im Vergleich hierzu wurden 2021 insgesamt 50’545 Firmengründungen vollzogen. In der Schweiz werden nun jährlich fast so viele Firmen gegründet, wie der Unternehmensbestand vor 100 Jahren war. Der Unternehmensbestand 2022 ist entsprechend auf weit über 620’000 eingetragene Unternehmen im Schweizer Handelsregister angestiegen (Vergleich Grafik 1).

Woher aber kommt diese Unternehmensexplosion? Wann hat dieses Wachstum, dieser Anstieg des Unternehmensbestandes angefangen?

Der Unternehmensbestand in der Schweiz ist stetig gewachsen, jedoch war das Wachstum bis in die 1970er-Jahre eher linear, bis es in den 1980er- respektive 1990er-Jahren zu einem fast schon exponentiellen Anstieg kam, der blieb. Was war passiert?

Wir wissen, dass die Firmengründungen mit Einführung der Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH), die bereits mit einem Kapital von 20’000 Franken gegründet werden kann, enorm angestiegen sind. Wir wissen auch, dass in den 1990er-Jahren die Digitalisierung eingesetzt hat und viele neue Unternehmen und Märkte in der Informationstechnologie entstanden sind. Zudem hat sich fast zeitgleich die Globalisierung verstärkt, sodass grössere

Märkte schneller erschlossen werden konnten. Was vielen nicht bekannt ist: Das Volumen an Risikokapital in Start-ups ist ebenso angestiegen und hat sich zum Beispiel allein zwischen 2012 und 2019 versechsfacht (www.economiesuisse.ch/de/dossier-politik/ 2-wie-sieht-die-start-landschaft-der-schweiz-aus).

Der Anstieg des Unternehmensbestandes in den letzten 30 Jahren dürfte auf eine Kombination aus unterschiedlichen Faktoren zurückzuführen sein, die sich gegenseitig begünstigt und die Schweiz auch international zum innovativsten Land der Welt gemacht haben. Doch vergessen wir eines nicht: Dieser Anstieg an Unternehmen hat vor gut 30 Jahren begonnen. Und diese Welle an Neugründung rollt nun in die Unternehmensnachfolge. In den kommenden Jahren werden wir zusehen können, wie die Marke von 100’000 Unternehmen in der Nachfolge auf 120’000 Unternehmen ansteigt. Denn die Unternehmensnachfolge korreliert schlicht und einfach mit dem Unternehmensbestand und seiner Entwicklung.

Doch kommen wir zurück zu den Eingangsfragen: Die Unternehmensnachfolge ist nichts Neues. Wieso sind wir dann nicht weiter bei dem Thema? Wieso haben wir in der Schweiz nicht mehr Transparenz und Wissen? Woher kommt die Meinung, dass der Markt das schon regelt? Und tut er das wirklich?

Zum Thema der Unternehmensnachfolge fehlen in der Schweiz bis heute erhebliche Zahlen, die eine effektive Transparenz er- möglichen würden. Wir wissen nicht, wie lange die Haltedauer eines Unternehmens ist und ob sie in den verschiedenen Branchen variiert, ebenso wie alt ein Unternehmen durchschnittlich wird oder wie sich diese Zahl entwickelt. Wir wissen zum Beispiel, dass in Deutschland ein Unternehmen durchschnittlich noch neun Jahre alt wird und diese Zahl rasant rückläufig ist. Solange wir diese Zahlen und Fakten in der Schweiz nicht kennen, bleibt die Unternehmensnachfolge ein Blindflug mit Allokationsproblem.

Der Glaube, dass der Markt die Nachfolgewelle alleine regelt, entspringt dem Wirtschaftsliberalismus, der besagt, möglichst auf alle staatlichen Eingriffe zu verzichten – was ich als Unternehmerin grundsätzlich begrüssen würde. Die Realität ist jedoch, dass es für kleine Unternehmen, die sich jenseits des Investitionsradars klassischer Investoren bewegen, massiv an Hilfestellungen und Angeboten fehlt und hier kein genügend grosser und regulierender Markt entstehen kann, um die unternehmerische Energie einer Generation in die nächste zu überführen. Dies ist insofern bedauerlich, als unsere Hidden Champions – Schweizer Unternehmen, die in ihrer Nische Weltmarktführer sind – allesamt über Generationen gewachsen sind. Unternehmen werden selten gross geboren, wir müssen sie wachsen lassen, organisch und anorganisch. Denn wie Mevlana Celaleddin Rumi sagte: «Unkraut wächst in zwei Monaten, eine rote Rose braucht dafür ein ganzes Jahr.»

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