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«DIVERSITÄT IST KEIN LUXUS, SONDERN

EINE ÜBERLEBENSSTRATEGIE»

Eine erfolgreiche Nachfolge ist die Krönung des Unternehmertums

Eine Schlosserei, eine Bar oder ein Handelsunternehmen für Kindersportgeräte – sie alle suchen einen Nachfolger! Das eigene Unternehmen in fremde Hände zu geben, ist für die Eigentümer oft eine emotionale Sache und für die Käufer ist der mentale Druck hoch. Carla Kaufmann, Geschäftsführerin von Companymarket, bringt zusammen, was zusammengehört. Die Zürcherin kämpft an vielen Fronten für mehr Wertschätzung des Schweizer Unternehmertums und für das Recht eines jeden Unternehmens auf einen Nachfolge-Coach.

Interviewpartner: Carla Kaufmann

Autorin: Isabelle Riederer

PRESTIGE BUSINESS: Frau Kaufmann, Studien belegen, dass über 90’000 KMU in den nächsten Jahren von einer offenen Nachfolge betroffen sind. Ein erfolgreicher Generationenwechsel ist deshalb für die Zukunft jedes einzelnen dieser Unternehmen wesentlich. Wie beurteilen Sie diese Situation?

Carla Kaufmann: Es sind tatsächlich über 90’000 KMU, die in den kommenden Jahren von einer Nachfolge betroffen sind, und diese Zahl wird noch steigen. Dadurch, dass die sogenannte Babyboomer-

Generation in Rente geht, wird der Markt sehr viele Arbeitskräfte verlieren. Hinzu kommt, dass viele KMU in den kommenden Jahren vermehrt an externe Partner verkauft werden. In den Achtzigerjahren wurden rund 80 Prozent aller Unternehmungen innerhalb der Familie weitergegeben, damals war es normal, in die Fussstapfen der Eltern zu treten und das Familienunternehmen weiterzuführen. Heute ist es noch ein Drittel der KMU, das innerhalb der Familie eine Nachfolge findet, ein Drittel wird verkauft und ein Drittel wird von Mitarbeitenden übernommen. Die Restlichen werden bereinigt. Dieser Trend führt auch dazu, dass es immer weniger Familienunternehmen gibt.

Was ist Ihrer Meinung nach der kritischste Punkt bei der Nachfolge?

Eine Nachfolgeregelung ist am Ende immer etwas Menschliches und vor allem Emotionales. Ich bin der Meinung, dass jedes Unternehmen weitergeführt werden kann, wenn es Substanz hat. Alles ist übertragbar und kann konsolidiert werden. Oft wird behauptet, dass die Nachfolge zu spät angegangen wird, was aber nur zum Teil stimmt. Die Nachfolge sollte nämlich dann angegangen werden, wenn die Arbeit keine Freude mehr macht. Deshalb kann man dies nicht an einer Anzahl von Jahren festmachen. Ab dem Moment, an dem der Frust überwiegt, sollte man sich als Unternehmer Gedanken um die Nachfolge machen. Das Problem ist häufig, dass viele Unternehmer sich nicht eingestehen wollen, dass sie eben keine Freude mehr haben. Natürlich hat das auch mit der Angst vor Veränderungen und dem Loslassen zu tun. Hinzu kommt, dass es in der Schweiz zu wenig Angebote gibt, die Unternehmer kostenlos beraten.

Das ist ja auch Ihr Anliegen als Vizepräsidentin des Schweizer Dachverbands für Unternehmensnachfolge (CHDU), oder?

Genau! Wir wollen, dass Schweizer Unternehmen analog zu einem Start-up-Coach auch einen Nachfolge-Coach erhalten –und zwar kostenlos. Viele Unternehmen gehen der Schweizer Wirtschaft verloren, weil ihnen eine guten Nachfolgeberatung fehlt. Nachfolgeberatung, um damit Arbeitsplätze zu erhalten, geht uns alle an und sollte eine Staatssache sein. Oder wie Friedrich Dürrenmatt sagte: «Was alle angeht, können nur alle lösen.»

Warum tun sich viele Unternehmer mit der Nachfolge so schwer?

Eine Unternehmensnachfolge ist sehr emotional und individuell. Grundsätzlich sollte sich jeder Unternehmer bewusst sein, dass eine geregelte Nachfolge nichts mit dem Alter zu tun hat. Es geht auch darum, sein Unternehmen in sicheren Händen zu wissen, für den Fall, dass etwas passieren sollte. Ein weiterer Knackpunkt sind aber sicher auch unsere gesellschaftlich verankerten Ideale. In Europa gibt es drei Generationen: Man ist jung, man ist erwachsen und arbeitet und man ist alt. In Indien hingegen gibt es vier Generationen: Man ist jung und lernt, man ist erwachsen und trägt die Gesellschaft, man ist erwachsen und gibt der Gesellschaft etwas zurück und man bereitet sich auf die Spiritualität vor. Diese dritte Generation ist zwischen 55 und 80 Jahre alt, eine Altersgruppe, die in unserer

Gesellschaft nicht aktiviert ist. Sie geht unserer Gesellschaft und der Schweizer Wirtschaft verloren, obwohl gerade auch sie als Käuferschaft oder Investoren für eine Nachfolge von Unternehmen hochinteressant wäre.

Gibt es bestimmte Branchen, in denen eine Nachfolgeregelung besonders schwierig ist?

Ja, die gibt es. Aktuell ist es vor allem die Druck- und Verlagsbranche. 23.2 Prozent der Betriebe haben die Nachfolge noch nicht geregelt. Bei den Architekturbüros sind des 18.9 Prozent. Hier liegt die Schwierigkeit auch darin, dass es viele Einzelbüros gibt, die einfach schwer zu übertragen sind. Mit 18.4 Prozent ist auch der Anteil der betroffenen Firmen bei den Unternehmens- und Steuerberatern sowie den Reparaturdiensten sehr hoch. Eine der Hauptursachen ist die Digitalisierung.

Welche Herausforderungen sehen Sie auf die Unternehmer in Bezug auf eine Nachfolge zukommen?

Eine Schwierigkeit dürfte sein, dass viele Unternehmen heutzutage einfach nicht mehr alt werden. Unternehmen in Deutschland werden durchschnittlich noch neun Jahre alt! Leider gibt es keine Zahlen aus der Schweiz. Ich hoffe aber, dass wir vom Schweizer Dachverband für Unternehmensnachfolge das ändern können. Denn wir brauchen ein besseres Verständnis über die Entwicklung der Unternehmenslandschaft. Es gibt eine Harvard-Studie, die zwar nur die grossen Unternehmen untersucht hat. Die Studie kommt jedoch zum Schluss, dass sich die Lebensdauer der Unternehmen aufgrund der gestiegenen M & A-Aktivitäten sowie der sich rasant beschleunigenden Innovationszyklen drastisch verkürzt.

Gibt es verschiedene Arten von Nachfolgelösungen?

Grundsätzlich gibt es drei mögliche Lösungen für eine Nachfolge: familienintern, firmenintern oder extern. Leider haben die Verkäufer oft die Vorstellung, ein Firmenverkauf gestalte sich wie der Verkauf einer Immobilie. Doch im Laufe des Prozesses werden sie dann rasch einmal von der Komplexität überrascht. Nebenbei gibt es noch geordnete Liquidationen oder die Situation, dass sich die Inhaberschaft in ein strategisches Gremium zurückzieht und nur die operative Führung überträgt. Für jedes Unternehmen gibt es die passende Nachfolge, nur manchmal sieht diese anders aus als gedacht. In Italien und Frankreich entstehen aktuell sehr viele Kooperativen als Nachfolge. Besonders grosse Unternehmen, die vielleicht schon mehrmals verkauft wurden, werden plötzlich von den Mitarbeitern wieder zurückgekauft und weitergeführt.

Was müssen Unternehmer beachten, wenn sie in den nächsten Jahren ihre Nachfolge regeln müssten?

Eine gute Nachfolge braucht ein gutes Team! Das können Leute aus der Familie, dem Freundeskreis oder aus dem Unternehmen selbst sowie Treuhänder, Steuerberater, ein Coach oder auch eine wichtige Vertrauensperson sein. Ein gutes Nachfolge-Team ist essenziell! Es braucht ein Team, das den Unternehmer operativ und persönlich begleitet. Wenn das Team stimmt, funktioniert auch die Nachfolge – egal, wie diese schlussendlich aussieht. Jede Firma ist einzigartig und hat ihre eigene Geschichte, die berücksichtigt werden muss. Wichtiger als jede Firmendokumentation ist deshalb eine enge menschliche Begleitung. Die Ängste des Verkäufers respektive der Verkäuferin müssen dabei sehr ernst genommen werden.

Wie kann das Unternehmen für eine Übergabe attraktiver werden?

Für eine Übergabe sollte man sich als erstes die Frage stellen, warum mein Unternehmen attraktiv für eine Nachfolge oder einen Verkauf ist. Durch die Beantwortung dieser Frage kann man die Käuferschaft bereits eingrenzen und weiss auch, für welche Käufer oder Nachfolger das eigene Unternehmen überhaupt interessant ist. Natürlich gibt es dann noch zahlreiche Massnahmen im Sinne von «Man schmücke die Braut», um das Unternehmen noch attraktiver zu machen.

Gibt es Tabus bei der Nachfolgeregelung?

Es gibt Tabus, doch sind diese vor allem gesellschaftlicher Natur. Dazu gehört zum Beispiel das Schreiben eines Erbvertrags. Für viele ist das nach wie vor ein Tabuthema, dabei sollte es selbstverständlich sein. Besonders der Tod wird in unserer Gesellschaft immer noch tabuisiert. Dabei wäre es so wichtig, dass sich Unternehmer Gedanken machen, was mit der eigenen Firma passiert, wenn mir als Chef etwas zustösst. Es ist äusserst löblich, wenn man als Unternehmer die Grösse hat, für andere mitzudenken und sie zu schützen.

Man hört immer wieder, dass beim Übergabeprozess die Chemie zwischen Alt- und Neueigentümer stimmen muss. Ist das wirklich so?

Von der psychologischen Seite her betrachtet, entscheidet man sich immer dafür, was einem am meisten Sicherheit bietet. Und natürlich gibt eine Person oder ein Unternehmen, das dem eigenen ähnlich ist, ein besseres Gefühl als jemand, der komplett das Gegenteil ist. Jedoch kann diese Ähnlichkeit auch nur gespielt oder imitiert sein. Ich glaube, dass sich der Unternehmer in erster Linie bewusst sein sollte, was er will. Viele wissen nicht, was sie wollen, sondern sie schauen einfach mal, was passiert.

Sie sind Hauptaktionärin sowie Verwaltungsrätin der Companymarket AG, der ältesten Vermittlungsplattform der Schweiz. Sie bringen Verkäufer und Käufer zusammen. Wie muss ich mir das vorstellen?

Die Companymarket AG funktioniert wie Homegate oder Immoscout. Wir sind eine Plattform, auf welcher ein anonymisierter Erstkontakt zwischen Verkäufer und Käufer stattfinden kann. Unsere Stärken sind die anonyme Kontaktaufnahme und unsere enorme Käuferschaft. Seit 2012 verschicken wir jede Woche an alle unsere User einen Newsletter mit Unternehmen, die eine Nachfolge suchen. Nach dem anonymisierten Erstkontakt findet schnell das erste persönliche Gespräch statt und bereits da stellt sich heraus, ob es passen könnte oder nicht. Konkret kümmern wir uns um die Organisation ausserfamiliärer Nachfolgeregelungen und veröffentlichen Verkaufs- anzeigen auf unserer Website, die öffentlich zugänglich ist. Bevor wir diesen Dienst aufgebaut haben, wurden die Informationen über Banken, Inserate in den Printmedien oder Mundpropaganda verbreitet. In der Schweiz wurde companymarket.ch in kurzer Zeit zum grössten Portal dieser Art. Pro Halbjahr werden dort rund 300 Anzeigen veröffentlicht.

Was ist das Ziel des Schweizer Dachverbands für Unternehmensnachfolge CHDU? Wir haben vier Stossrichtungen: Politik, Ausbildung, Forschung und Praxis. In der Politik wollen wir erreichen, dass jedes Unternehmen analog zu einem Start-upCoach einen kostenlosen Nachfolge-Coach erhält. Der Bund fördert die Gründung von Start-ups mit Mitteln in Millionenhöhe. Das ist eine gute Sache, aber er kümmert sich nicht um die Nachfolgeproblematik. Wir wollen eine Stabilität unserer Volks - wirtschaft durch langfristiges Schweizer Unternehmertum erreichen. Wir wollen politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Rahmenbedingungen schaffen, die ein langfristiges Unternehmertum begünstigen, insbesondere in der kritischen Übergangsphase innerhalb eines Nachfolgeprozesses.

Damit aber nicht genug, 2012 gründeten Sie auch noch den Verein geschäftsfrau.ch, um mehr Diversität in die Unternehmensnachfolge zu bringen. Wie kam es dazu? Die Idee zu diesem Verein kam aus der Arbeit mit Companymarket. Wir haben bald einmal festgestellt, dass wir verhältnismässig wenig Frauen auf der Website haben, die sich für eine Unternehmensnachfolge interessieren. Mit geschäftsfrau.ch wollen wir Frauen gezielt zu diesem Thema sensibilisieren und vor allem auch motivieren. Wir vereinen Frauen, die kurz vor eine

Nachfolge stehen, genauso wie Frauen, die sich entschieden haben, ihr Unternehmen weiterzugeben. Das Problem unserer Gesellschaft ist, dass wir die Dimension der Diversität nicht wirklich verstehen. Das Gegenteil von Diversität ist nicht Homogenität, sondern Inzucht – und keiner will Inzucht haben. Doch das ist genau der Grund, weshalb viele Unternehmen heute nicht mehr alt werden, weil sie statt auf Diversität auf Inzucht setzen. Wenn wir alle gleicher Meinung sind, ist es am einfachsten. Dabei ist Diversität kein Luxus, sondern eine Überlebensstrategie.

Gibt es verlässliche Aussagen dazu, ob sich mehr Frauen oder Männer für die Nachfolge eines Unternehmens interessieren?

Es sind in allen Bereichen bei Weitem mehr Nachfolger als Nachfolgerinnen. Bei der familieninternen Nachfolgeregelung sieht man, dass es immer mehr Frauen, Töchter gibt, die zum Zuge kommen. Dazu gibt es auch Studien der Universität St. Gallen, die belegen, dass gerade, wenn es um die Nachfolge eines Familienunternehmens geht, die Töchter vermehrt zum Zuge kommen.

Wie kam es dazu, dass Sie sich für die Nachfolge von KMU engagieren?

Ich stamme aus einer Unternehmerfamilie, mein Vater ist ein klassischer Ur-Unternehmer und gründete mehrere Firmen. Es geht mir hierbei nicht direkt um die Nachfolge selbst, sondern um die Wertschätzung des Unternehmertums. Es ist in der Schweiz einfach traurig. Es fehlt an Respekt und Wertschätzung gegenüber diesen Unternehmerinnen und Unternehmern, die viel unbezahlte Arbeit leisten, weshalb es einfach nicht korrekt ist,

Zur Person

Carla Kaufmann hat an der Universität St. Gallen Rechtswissenschaften studiert. 2010 hat sie die Firma Companymarket AG übernommen – inzwischen die grösste Vermittlungsplattform für Nachfolgeregelungen von KMU in der Schweiz. Pro Jahr finden rund 400 Schweizer Unternehmen via Companymarket eine Nachfolge. 2013 gründete sie den Verein geschäftsfrau.ch, der die Vermittlung von Frauen und Teams für Nachfolgeregelungen fördert. Zusätzlich ist sie Vizepräsidentin des Schweizer Dachverbands für Unternehmensnachfolge (CHDU).

dass man keinen guten Abschluss erhält. Eine erfolgreiche Nachfolge ist für mich die Krönung eines Unternehmertums.

Sie haben die Initiative «Nachfolgebus» ins Leben gerufen. Welche Idee steckt dahinter?

Die Initiative hat das Ziel, die Unternehmensnachfolge für jedes Unternehmen einfach zugänglich zu machen. In der Nachfolge ist der erste Schritt oft der schwierigste. Indem wir mit einem Bus in die Regionen hinausfahren, bieten wir Unternehmerinnen und Unternehmern eine kostenlose Möglichkeit, sich umfassend über den Prozess der Unternehmensnachfolge zu informieren und mögliche Berührungsängste mit dem Thema abzubauen. Dafür stehen unsere Expert*innen den Firmeninhaber*innen kostenlos mit Rat und Tat zur Seite und unterstützen diese dabei, einen Einstieg und eine Auslegeordnung für ihre eigene Nachfolgeregelung zu finden.

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