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ESG DUE DILIGENCE: JUNGES PHÄNOMEN MIT GROSSER ZUKUNFT
Nachhaltigkeitskriterien können Dealbreaker sein
Die Anzahl der Fusionen und Übernahmen mit Schweizer Beteiligung hat 2022 mit 647 Deals ein neues Rekordhoch erreicht. Das Volumen umfasste dabei über 138 Milliarden US-Dollar, wie das Beratungsunternehmen KPMG in einer aktuellen Studie bekannt gab. Immer wichtiger wird dabei die Einbindung von ESG-Werten in die Due Diligence. Florian Bornhauser, Senior Manager und Due-Diligence-Experte bei KPMG, erklärt, warum Nachhaltigkeitsüberlegungen für Unternehmer auch kommerziell relevant sind.
Interviewpartner: Florian Bornhauser
Autorin: Isabelle Riederer
PRESTIGE Business: 2 022 war ein Rekordjahr für Fu sionen und Übernahmen. Was könnten die Gründe dafür sein?
Florian Bornhauser: Die rege Aktivität auf dem Schweizer M&A-Markt zeigt, dass Fusionen und Übernahmen ein integraler Bestandteil vieler wachstumsorientierter Unternehmensstrategien sind und dass die Investorenstimmung nach wie vor positiv ist – trotz anhaltender Lieferkettenprobleme, Ukrainekrieg und steigender Zinsen. Zudem sehen wir eine solide Kapitalverfügbarkeit am Markt. Dies äussert sich unter anderem in der Tatsache, dass Private-Equity-Gesellschaften an rund einem Drittel aller Deals beteiligt sind.
In welchen Branchen gab es 2022 besonders viele Transaktionen?
Besonders dynamisch zeigte sich – nicht zuletzt dank der Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft – die Telekommunikations-, Medien- und Technologiebranche (TMT) mit 124 Fusionen und Übernahmen. Ebenfalls sehr aktive Transaktionsmärkte waren der Industriesektor mit 89 sowie die Pharma- und LifeSciences-Branche mit 82 Deals. Diese drei Branchen machten fast die Hälfte aller Fusionen und Übernahmen aus.
Welche Deals waren im vergangenen Jahr die grössten?
Wir haben 2022 zwei sogenannte Mega-Deals mit einem Volumen von über zehn Milliarden US-Dollar gesehen. Die grösste Trans- aktion mit einem Wert von knapp 21 Milliarden US-Dollar war die Übernahme des Duftstoffherstellers Firmenich SA durch die niederländische Royal DSM, eine weltweit führende Anbieterin von Nahrungsmittelzusätzen. Mit einem Transaktionsvolumen von rund 19 Milliarden US-Dollar folgte die Übernahme der schwedischen Streichholzund Tabakproduzentin Swedish Match AB durch den Schweizer Tabakkonzern Philip Morris International.
Nachhaltigkeitsüberlegungen stehen gemäss der aktuellen KPMG-Studie
«2022 EMA ESG Due Diligence Study» auch bei Fusionen und Übernahmen vermehrt im Zentrum. Wie äussert sich diese Entwicklung?
Zu diesem Thema haben wir 151 Investoren in Europa, dem Mittleren Osten und Afrika befragt, um zu verstehen, wie sie Nachhaltigkeitsüberlegungen in Transaktionen einbauen. Dabei haben wir festgestellt, dass mehr als 80 Prozent der Investoren Nachhaltigkeitsüberlegungen aktiv auf ihrer M&A-Agenda haben. Und 40 Prozent integrieren ESG-Aspekte bei Fusionen und Übernahmen sogar heute schon regelmässig in die Due Diligence. Sie tun dies, weil ESG-Faktoren einen signifikanten Einfluss auf die Transaktion beziehungsweise den Preis haben können. So können ESG-Risiken beispielsweise eine Herabsetzung der Bewertung, eine zusätzliche vertragliche Absicherung oder im Extremfall sogar den Abbruch des Deals zur Folge haben.
Würde dies im Umkehrschluss bedeuten, dass Investoren bereit sind, für nachhaltige Unternehmen mehr zu bezahlen?
Genau. Eine Mehrzahl der Investoren hat angegeben, grundsätzlich bereit zu sein, einen Nachhaltigkeitszuschlag zu bezahlen, wenn das Übernahmeobjekt ein attraktives Nachhaltigkeitsprofil hat. Dies gilt zum Beispiel, wenn sich aus der Nachhaltigkeitspositionierung des Übernahmeobjekts Chancen für die künftige Wertschöpfung, sprich Marktpotenziale, ergeben, oder auch, wenn sich Risiken aufgrund der Berücksichtigung von ESG-Kriterien reduzieren.
In welchem Rahmen bewegt sich denn der Preisaufschlag für nachhaltige Unternehmen?
Unsere Studie hat gezeigt, dass zwei Drittel der Investoren einen Nachhaltigkeitszuschlag bezahlen würden. So gab die Hälfte der Befragten an, für nachhaltig wirtschaftende Unternehmen ein bis fünf Prozent mehr zu bezahlen, 15 Prozent der befragten Investoren würden fünf bis zehn Prozent mehr bezahlen und drei Prozent der Investoren gar einen Aufschlag von über zehn Prozent.
Wie erklären Sie sich diesen Trend?
Es gibt mehrere fundamentale Treiber, weshalb Nachhaltigkeit auch kommerziell immer relevanter wird. Ein wichtiger Treiber ist die zunehmende Regulierung. Es gibt zum Beispiel sowohl national als auch international immer mehr Regeln und Offenlegungspflichten, die Firmen zwingen, Nachhaltigkeitsüberlegungen ernst zu nehmen. Wir sehen dies insbesondere in der Fondswelt bereits sehr ausgeprägt. So gibt es immer mehr Regeln, die bestimmen, wann ein Fonds als nachhaltig bezeichnet werden kann und wann nicht. Solche Regeln führen dazu, dass Investmententscheidungen zunehmend einer ESG Due Diligence unterzogen werden.
Und was sind die anderen Treiber?
Die anderen Treiber hängen mit den Marktveränderungen zusammen. So gibt es immer mehr Kundinnen und Kunden, die Wert auf nachhaltige Produkte legen. Dieser kommerzielle Aspekt trägt wesentlich dazu bei, dass das Thema Nachhaltigkeit bei Transaktionen ernst genommen wird. Auch andere Stakeholder-Gruppen haben einen verstärkten Einfluss auf die Nachhaltigkeitsüberlegungen im Rahmen von Transaktionen. Dazu gehören Arbeitnehmende, die wissen wollen, ob der Arbeitgeber nachhaltig wirtschaftet, und dies zu einem Entscheidungskriterium für die Jobauswahl machen. Da viele StakeholderGruppen zunehmend Nachhaltigkeitsüberlegungen in ihre Entscheidungen einfliessen lassen, ist das Thema auch auf dem M & A-Markt zu einem strategischen Faktor geworden.
Besteht nicht das Risiko, dass sich Unternehmen grüner oder sozialer präsentieren, als sie wirklich sind?
Sie sprechen das Thema Green- und Bluewashing an. Natürlich möchten sich alle Unternehmen im besten Licht präsentieren – mit der Gefahr, dass sie ihr Engagement auf diesem Gebiet beschönigen oder überzeichnen. Gerade deshalb ist eine saubere Überprüfung im Rahmen einer Transaktion wichtig, um nach der Übernahme oder Fusion nicht negativ überrascht zu werden. Vielleicht ein Beispiel dazu?
Ja gern.
Wir sahen kürzlich einen Fall, bei dem sich ein Unternehmen grün im Sinne der Nutzung erneuerbarer Energien in seinen Fabriken präsentierte. Das stimmte auf dem Papier auch. Bei einem Besuch vor Ort hat sich dann aber gezeigt, dass hinter einem Fabrikgebäude Dieselgeneratoren standen, die als Energiequelle genutzt wurden, um auf Stromausfälle reagieren zu können, welche in dieser Region relativ häufig auftraten. Die Emissionen dieser Generatoren waren im deklarierten CO2 -Fussabdruck der Firma aber nicht eingerechnet. Hätte die potenzielle Käuferschaft dies nicht vor der Vertragsunterzeichnung bemerkt, hätten sie sich in Zukunft allenfalls selbst mit dem Vorwurf des Greenwashings konfrontiert gesehen.
Bei einer ESG Due Diligence geht es um die ESG-Werte, also um die Bereiche Environmental, Social und Governance. Wie prüft man diese Werte?
Die Prüfung dieser Werte ist eine grosse Herausforderung, insbesondere aufgrund der Breite des Themas. Allein im Bereich «Environmental» gibt es sehr viele Unterthemen, die teilweise komplett unterschiedlich sind. Ein wichtiger Aspekt in diesem Feld ist sicher das Klima, aber auch Biodiversität, Luft- oder Bodenverschmutzung können dazugehören. Im Bereich «Social» gibt es ebenfalls zahlreiche Unterthemen wie Diversität und Inklusion, Kinderarbeit oder Konfliktmineralien. Gleiches gilt für «Governance». Da eine Überprüfung all dieser Themen im Rahmen einer zeitlich begrenzten Due Diligence nicht zuletzt aufgrund des enormen Aufwands schlicht unrealistisch ist, muss man dementsprechend selektieren.
Und wie selektiert man die richtigen Themen im Rahmen einer ESG Due Diligence?
Investoren sollten sich auf diejenigen Bereiche konzentrieren, die im Rahmen einer Transaktion relevant sind. Allein das ist nicht immer einfach, denn Voraussetzung dafür ist, dass das Unternehmen beziehungsweise der Investor über eine Nachhaltigkeitsstrategie verfügt, die klar artikuliert, welche Bereiche man als wesentlich betrachtet. Hinzu kommt, dass die Datenlage seitens des zum Verkauf stehenden Unternehmens für eine Überprüfung noch häufig relativ dünn ist. So gibt es Fälle, bei denen die Verkäufer schlichtweg nicht in der Lage sind, die benötigten Daten zu liefern. Zudem sehen wir Situationen, in denen die Verkäufer zwar in der Lage sind, die gewünschten Daten zu liefern, die Käufer diese dann aber nicht so auswerten können, dass sie einen finanziellen Wert erhalten, der für die Transaktion relevant ist.
Könnten Sie ein Beispiel nennen?
Wir haben in der aktuellen Studie das Beispiel einer Firma erwähnt, bei welcher das Management nicht so divers ist, wie es der Käufer gerne hätte. Die Frage ist, ob dies einen direkten Einfluss auf den finanziellen Unternehmenswert hat. In anderen Worten: Wieviel Abschlag vom Kaufpreis stellt ein gewisser Prozentsatz an «Diversity Underperformance» dar? Fragen dieser Art sind schwer zu beantworten, denn das Themengebiet ist komplex und keine exakte Wissenschaft. Zusammenfassend kann man sagen, dass eine ESG Due Diligence aus drei wesentlichen Herausforderungen besteht. Erstens: Was ist der Umfang der Prüfung? Zweitens: Wie stelle ich sicher, dass ich die angemessenen Daten bekomme? Drittens: Wenn ich die Daten habe, wie quantifiziere ich diese Daten, sodass die Implikationen für eine Transaktion klar und greifbar werden?
Gibt es bestimmte ESG-Bereiche, die für Investoren wichtiger sind als andere?
Die Auswahl relevanter ESG-Themen hängt nicht zuletzt von der Branche und der eigenen Strategie ab. Was in den Antworten unserer Studie aber auffällt, ist die hohe Relevanz des Klimathemas für viele. Der CO2 -Fussabdruck beziehungsweise die Dekarbonisierung ist für rund 70 Prozent der von uns befragten Investoren ein relevantes Thema, dem sie im Rahmen einer ESG Due Diligence besondere Beachtung schenken. Bei weiteren Themen gehen die Meinungen teilweise stark auseinander – insbesondere eben getrieben durch die unterschiedlichen Sektoren, Transaktionsgrössen und Nachhaltigkeitsstrategien verschiedener Investoren.
Gibt es «Best Practices», an denen man sich im Hinblick auf eine ESG Due Diligence orientieren kann?
Absolut – vier Gedanken hierzu: Zuallererst ist es wichtig, den Ansatz, wie man Nachhaltigkeit in einer Transaktion definiert, nicht isoliert zu betrachten, sondern mit der Nachhaltigkeitsstrategie des eigenen Unternehmens zu verlinken. Ganz konkret: Welche Unterthemen von «ESG» betrachtet das akquirierende Unternehmen in seiner eigenen Nachhaltigkeitsstrategie grundsätzlich als wesentlich? Dies erleichtert die Identifikation der relevantesten
Bereiche, die in Bezug auf eine Transaktion geprüft werden sollen, erheblich. Zweitens sehen wir, dass fortgeschrittene Investoren in ihrer ESG Due Diligence nicht nur nach Risiken Ausschau halten, sondern auch versuchen, Wertsteigerungspotenziale im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit zu identifizieren. Drittens stellen fortgeschrittene Investoren sicher, dass die Erkenntnisse einer ESG Due Diligence direkt mit dem Massnahmenplan nach Transaktionsabschluss verknüpft werden. Und viertens kann man sich ansatzweise auch an Vorgehensweisen orientieren, die in klassischen Sorgfaltsprüfungen anderer Art Anwendung finden. Ein Beispiel: Wenn eine Firma behauptet, sie hätte ein nachhaltiges Produkt und die Kunden wären deshalb auch bereit, mehr zu bezahlen, so lässt sich dies zum Beispiel mit einer Kundenbefragung überprüfen – so wie man dies in einer klassischen Commercial Due Diligence tun würde. Es gibt also viele Tools von anderen Due-DiligenceÜberprüfungen, die man auch auf ESGBereiche anwenden kann.
Gibt es Fälle, in welchen der Käufer eine Transaktion wegen einer nicht akzeptablen Nachhaltigkeitsprüfung stoppt?
Ja, die gibt es. Was auffällt: Diejenigen Investoren, die regelmässig Nachhaltigkeitsprüfungen durchführen, gaben in unserer Studie auch deutlich häufiger an, schon einmal materielle Befunde festgestellt zu haben, die einen signifikanten Einfluss darauf hatten, ob und unter welchen Konditionen eine Transaktion stattfand.
ESG-Werte werden also künftig eine noch wichtigere Rolle bei Transaktionen spielen. Was raten Sie Unternehmen?
Nachhaltigkeit ist kein kurzfristiger Hype, sondern ein Thema, das bleibt. Deshalb sollten sich Unternehmer*innen und Investor*innen mit dem Thema befassen –und zwar schon vor einem möglichen Unternehmenskauf oder -verkauf. Natürlich kann man eine Firma auch erst zum Zeitpunkt des Verkaufs «aufhübschen», auch aus einer Nachhaltigkeitsperspektive. Investoren sind aber vermehrt in der Lage, dies während einer ESG Due Diligence zu durchschauen. Die beste Strategie ist deshalb, das Thema frühzeitig, umfassend und ernsthaft in die Firmenkultur und deren Prozesse einzubauen und auf eine geordnete Datenstruktur zu achten. Dies erlaubt es dann auch, die Daten im Rahmen eines Verkaufsprozesses für eine ESG Due Diligence schnell zur Verfügung zu stellen.
Gibt es bestimmte Branchen, die im Bereich ESG Due Diligence weiter sind als andere?
Was in unserer Studie besonders auffällt, ist, dass Finanzinvestoren weiter zu sein scheinen als andere Investoren.
Ein Grund dafür ist wohl das regulatorische Umfeld. So gibt es im Finanzbereich hinsichtlich nachhaltiger Fonds bereits zahlreiche Regeln, die beschreiben, wann ein Fonds als nachhaltig bezeichnet werden darf und wann eben nicht. Diese Regeln haben Finanzinvestoren in den vergangenen Jahren im Prinzip dazu gezwungen, ihre ESG-Due-Diligence-Prozesse im Detail zu durchdenken und zu verbessern. Im Moment beobachten wird, dass sich auch andere Investoren und Branchen immer mehr in diese Richtung entwickeln.