VECTURA #4 Auszug

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WWW.VECTURAMAG.CH

[ lat.: das Fahren]

#4 | Herbst 2012

Erbmasse

MERCEDES G-KLASSE

MADE IN USA // LAMBORGHINI CHEETAH HIGH-SPEED // SUPERZÜGE FAHRSPASS // 912 TRIFFT CR-Z MOTORMENSCHEN // ALÉN / BRACQ / WARD

EDITION ALLRAD www.prestigemedia.ch | CHF 10.–

03

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RUBRIKEN

Das motion-magazin aus der schweiz

herbst 2012 001


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002 VECTURA #4

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editorial

Matthias Pfannmüller, Chefredaktor

Vectura #4

EDITION

allrad

K

lassische Pw-Segmente schrumpfen, doch der Markt der Sport Utility Vehicle (SUV) brummt stärker denn je: Bis 2020 prognostizieren die Demoskopen einen weltweiten Zuwachs von 40 Prozent auf 20 Millionen Einheiten jährlich – eine eher konservative Schätzung. Die steigende Popularität strassentauglicher Geländewagen hat mehrere Gründe. Zum einen ist da das psychologische Moment: Offroader sind im Crashfall deutlich solider als normale Pw und sehen auch so aus. «My car is my castle»: Welcher Familienvater mag dazu schon nein sagen – oder zum variablen Platzangebot, dem bequemen Zugang und der erhöht-erhabenen Sitzposition? Dazu kommt, dass die Hersteller ihre SUV-Flotten bewusst besser ausstatten als manches ebenfalls mit Allradantrieb erhältliche Kompakt- oder Kombimodell. Wird also das neueste Getriebe in Kombination mit einem ebenso durchzugsstarken wie sauberen Diesel gewünscht, führt kein Weg am teureren Softroader vorbei. Nicht zuletzt ist es für viele Autofahrer ein Kick (und unterbewusst auch beruhigend zu wissen), notfalls ohne Asphalt nach Hause kommen zu können. Dass Offroad-Einsätze in der Schweiz weitgehend untersagt sind und es politische Gruppierungen gibt, die am liebsten die gesamte Fahrzeuggattung verbieten möchten, spielt dabei überhaupt keine Rolle. Es reicht schon, den Abenteuerfilm im Kopf ablaufen zu lassen. Baureihen mit überragenden Geländeeigenschaften werden indes immer seltener. Beim Gros der SUV-Angebote handelt es sich heute um Strassenmodelle mit rustikaler Optik und rudimentären Über-Stock-und-Stein-Fähigkeiten – sofern überhaupt ein 4x4-Antrieb an Bord ist. «Offroad» ist längst auch ein Stylingpaket wie «Executive» oder «Sport», mit dem sich manche Modelle besser verkaufen lassen. Die SUV-Bandbreite ist derweil ein weiterer Grund für die zunehmende Verbreitung – es ist für jeden Interessenten etwas Passendes dabei. Wie abwechslungsreich die Allrad-Welt war und ist, beleuchtet diese Ausgabe. Die Automobilindustrie widmet sich unterdessen verstärkt den Themen Verbrauch und Emission. Plug-in-Hybridtechnologie ist bei Geländewagen noch eine aufwändige High-End-Antwort. Der Trend geht daher zum kompakt-umweltfreundlichen Allrounder, der in der Stadt ebenso zuhause ist wie vor der Skihütte. Und das ist eine begrüssenswerte Entwicklung. herbst 2012 003


inhalt #4

072

006

DESIGN AUF ABWEGEN Warum einige Softroader schlecht und andere gut aussehen, erklärt Mark Stehrenberger

074

ZEITSPRUNG Alter Porsche trifft modernen Honda zur Ausfahrt auf den Gurnigel

012

KURVENRAUSCH Schweizer Passstrassen entwickeln ohne Autos eine ganz eigene Ästhetik

084

INSIDER-TALK Bevor bei einem Autosalon das Licht angeht, gibt es für Messebauer sehr viel zu tun

020

TRENDSETTER Kompakt, sportiv, effizient: neue SUV-Modelle für die Saison 2013

RETRO ON THE ROCKS Klassische Optik, aktuelle Technik: Offroader von Icon sind etwas ganz Besonderes

028

034

NOMEN EST OMEN Punkten in der Mittelklasse: Suzuki Kizashi

102

ETIKETTENSCHWINDEL Der Cheetah trug zwar das Lamborghini-Logo, war aber ein waschechter Amerikaner

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ÜBEN IM GRENZBEREICH Auf den TCS-Verkehrssicherheitszentren kann man kontrolliert die Kontrolle verlieren

042

TRADITION VERPFLICHTET Japanische Bestseller: Suzuki LJ80 von 1981 und Grand Vitara Modelljahr 2013

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TITELSTORY Die Mercedes G-Klasse hiess einst G-Modell. Mit ihren 33 Jahren ist sie frischer denn je

044

EXOTEN DER RUNDSTRECKE Das Thema Allrad-Rennwagen ist bald 100 Jahre alt und hat mitunter sehr gewagte Konstruktionen hervorgebracht

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GENTLEMAN’S CHOICE Stephan Senn fährt Jaguar XJS V12 Coupé

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KOMFORT-FEATURE Elektronisch geregelte Allradsysteme bieten auch auf Asphalt mehr Stabilität und Sicherheit

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MEISTERLICH Markku Alén zählt zu den erfolgreichsten Rallye-Piloten. Heute verfeinert er die Dynamik von Sportwagen wie dem Ferrari FF

056

KEINE EXPERIMENTE Mit dem neuen Subaru Impreza geht die vierte Modellgeneration an den Start

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ALLRAD-IKONE Anfang 2013 kommt der komplett neue Range Rover auf den Markt. Wir stellen den britischen Luxusliner en détail vor

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GROSSER BAHNHOF Superzüge erobern das internationale Schienennetz. Längst erreichen sie 300 km/h und mehr – falls es die Strecke erlaubt HAUPTSPONSOR Rennprofis erklären, wie wichtig Flüssigkeit für Fitness und Gesundheit ist

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FÜR DEN GROSSSTADT-DSCHUNGEL Georg Dönni wünscht sich einen SUV

070 IMPRESSUM

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E DI T ION

allrad

004 VECTURA #4

EDITORIAL

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REVOLUTION Die dritte Mercedes A-Klasse macht alles anders als ihre Vorgänger

FAMILIENBANDE 048088 Manche Traktoren tragen den Namen von Automobilmarken, sind aber früher entstanden. Heute trifft Nostalgie auf High-Tech


012

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Vitamin A

006 VECTURA #4


Fahrtermin

Geblieben ist nur der Name: Die Mercedes A-Klasse der dritten Generation hat keinen doppelten Boden mehr, sondern vertritt technisch und in puncto Positionierung ein völlig neues Konzept. Mit sportlichen Attributen soll sie jetzt im wachsenden Segment der kompakten Premiumfahrzeuge punkten Text Stefan Lüscher · Fotos Werk

V

orbei sind die Zeiten, in denen Mercedes mit Van-artig hoher Sitzposition und einer Sandwich-Konstruktion die Sicherheit und Antriebstechnologie der Kompaktklasse neu definieren wollte. Bei ihrem ersten Auftritt 1997 machte die A-Klasse zunächst mit dem fatalen Elchtestergebnis von sich reden – ein denkbar ungünstiger Start. Doch der kleinste aller Benze rappelte sich schnell wieder auf, kehrte mit serienmäs-

sigem ESP zurück und vermochte sich einen festen Platz in der Kompaktklasse zu erobern. Von den ersten beiden Generationen wurden bis Ende 2011 über 2,2 Millionen Exemplare verkauft – 37 000 davon in der Schweiz und auch hier in erster Linie an Frauen und ältere Verkehrsteilnehmer. Als Imageträger oder Motivation für die Jugend, sich der Marke Mercedes zuzuwenden, taugte die Baureihe dagegen nie.

herbst 2012 007


fahrtermin RUBRIKEN

Neue, quer eingebaute Turbomotoren arbeiten mit relativ kleinen Hubräumen und generieren schon bei sehr tiefen Drehzahlen hohe Drehmomente

Mit der dritten Modellgeneration, die intern W176 genannt wird und ab September in der Schweiz zu haben ist, hat sich Mercedes deshalb zu einem spektakulären Neubeginn entschlossen. Ab sofort reitet man auf der jung-dynamischen Welle und hat konsequenterweise mit einem weissen Blatt Papier begonnen: Bei der neuen A-Klasse ist jede einzelne Schraube neu. Herausgekommen ist ein für Mercedes überraschend progressives und sehr emotionales Design, rund 40 cm länger und mit einer um 18 cm flacheren Dachlinie als beim Vorgänger, einer ausgeprägt langen Motorhaube und einem verjüngenden Heck mit Spoiler und Diffusor, das entfernte Parallelen zum VW Scirocco aufweist.

008 VECTURA #4

Die direkten Konkurrenten sind jedoch bei Audi und BMW zu suchen – beim ebenfalls komplett neuen A3 und dem ein Jahr frischen 1er. Wie ihr Vorgänger ist die neue A-Klasse zwar ein Fronttriebler, erstmals wird es ab Frühling 2013 aber auch diverse Allradmodelle, ein Coupé, einen kompakten SUV und die ultimative Sportversion A 45 AMG (Weltpremiere in Genf) mit deutlich über 300 PS geben. Gestartet wird zunächst mit dem Fünftürer in den vier Ausstattungslinien Basis, Style, Urban und AMG Sport. Letzterem ist der beim Concept Car gezeigte, fast etwas überstylte Diamantkühlergrill vorbehalten; ausserdem gibt es diverse Design-Pakete für die Individualisierung.


TECHNISCHE DATEN

Mercedes-Benz A 200 BlueEfficiency Konzept Kompakte Stufenhecklimousine mit vier Türen und fünf Sitzplätzen; wahlweise mit Front- (Handschaltung) oder Allradantrieb (Automat) Motor

Als Antriebsquellen stehen neue, quer eingebaute Turbomotoren zur Verfügung. Sie arbeiten mit relativ kleinen Hubräumen und generieren schon bei sehr tiefen Drehzahlen hohe Drehmomente, was eine betont ruhige, unaufgeregte Fahrweise begünstigt. Auch die Verbrauchswerte können sich sehen lassen, zumal die neue A-Klasse mit einer rekordverdächtig guten Aerodynamik aufwarten kann und alle Triebwerke schon serienmässig über eine Stopp-Start-Funktion verfügen. Bei den Benzinern reicht das Leistungsspektrum zur Markteinführung von 122 bis 211 PS, bei den Turbodiesel hat man die Wahl zwischen 109 PS und 136 PS, was sich im A 200 CDI aber dank 300 Nm ab 1600/min

Code M 270.910, vorne längs eingebauter VollaluminiumVierzylinder nach dem Downsizing-Prinzip. Turbo-Aufladung, zwei oben liegende Nockenwellen, Kettenantrieb, 4 Ventile pro Zylinder, Camtronic-Ventilhubumschaltung, BenzinDirekteinspritzung, Stopp-Start-System

Hubraum in cm3 Bohrung x Hub in mm Verdichtung Leistung in PS (kW) @ U/min Max. Drehmoment in Nm @ U/min Kraftübertragung

1595 83 x 74 10,3:1 156 (115) @ 5000 250 Nm @ 1250 – 4000 M6 (Option 7G-DCT)

Abmessungen (L/B/H) in cm Radstand in cm Spur vorne/hinten in cm Reifen und Räder

429 /178 /143 270 155/155 205/55 R 16 V auf 6,5 J

Tankinhalt in L Kofferraumvolumen in L Leergewicht in kg Zulässiges Gesamtgewicht in kg Leistungsgewicht in kg/PS

50 341 bis 1157 ab 1370 1935 8,78

0 – 100 km/h in Sek. Höchstgeschwindigkeit in km/h

8,4 224

Durchschnittsverbrauch* in L/100 km CO2-Emission in g/km Energieeffizienzkategorie Preis ab CHF

8,3 (Sport: 7,9) 191 (Sport: 183) F 37 990.–

* gemessen nach NEFZ, Neuer Europäischer Fahrzyklus

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fahrtermin RUBRIKEN

schon sehr kräftig anfühlt. Eine ausgezeichnete Wahl stellt zudem das ebenfalls neue Siebengang-Doppelkupplungsgetriebe dar (als Option für CHF 2795.–). Man kann es in den Automatikmodi Comfort oder Sport fahren oder mittels – etwas klein geratener – Schaltwippen am Lenkrad manuell schalten. So oder so wechselt es die Gänge effizient und butterweich ohne jeden Schaltruck. Der neue Stern in der Kompaktklasse, wie ihn die MercedesVerantwortlichen gerne titulieren, verzichtet im Vergleich zur Konkurrenz auf adaptive Stossdämpfer und unterschiedliche Fahrdynamikprogramme. Trotzdem kann man ihm nach ersten Testfahrten ein äusserst ausgewogenes Fahrverhalten mit hohen Kurvengeschwindigkeiten und eine tadellose Traktion attestieren. Die elektromechanische Lenkung agiert sehr präzise und vermittelt besten Fahrbahnkontakt. Im Grenzbereich verhält sich die neue A-Klasse jedoch markentypisch eher konservativ und nie auch nur ansatzweise übersteuernd. Das dezent eingreifende ESP lässt sich bei Bedarf nur teilweise und über mehrere Klicks in einem Untermenu deaktivieren, was aber den dynamischen Charakter der A-Klasse und den Fahrspass keineswegs schmälert. Sitzkomfort, Platzangebot und Ausstattung lassen ebenfalls kaum Wünsche offen, zumindest wenn man bei Letzterem vom umfangreichen Optionenkatalog ausgiebig konsumiert und den 010 VECTURA #4

A auf S-Klasse-Niveau hievt. Zum Angebot gehören auch diverse Assistenten wie das Schutzsystem Pre Safe, ein aktiver Parkassistent, die sehr empfehlenswerte kamerabasierte Schildererkennung und ein hervorragender adaptiver Fernlichtassistent mit Bi-Xenon-Licht. Serienmässig ist bereits ein Aufmerksamkeitsassistent, der das Verhalten des Fahrers überprüft und diesen wenn nötig zur Kaffeepause schickt. Auch ein Kollisionswarner, der radargestützt vor Auffahrunfällen warnt und beim optimalen Bremsen hilft, ist schon ab Werk an Bord. Nicht zuletzt ist die A-Klasse für die anvisierte Generation Facebook ein iPhone auf Rädern: Das trendige Smartphone lässt sich komplett integrieren und zaubert seine Inhalte über Sprachsteuerung oder Tasten auf ein knapp 15 Zentimeter grosses Farbdisplay im iPad-Look. Damit wird die Metamorphose der A-Klasse nicht nur optisch, sondern auch inhaltlich überzeugend vollzogen.


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RUBRIKEN

Generation

Fahrspass

Honda CR-Z versus Porsche 912: ungleicher Vergleich auf dem Gurnigel, der ältesten Schweizer Rennstrecke

Text Matthias Pfannmüller · Fotos Ian G.C. White, map

012 VECTURA #4


vergleichstest

Z

ugegeben: Einen klassischen Elfer gegen einen neuzeitlichen Mild-Hybrid antreten zu lassen, ist mindestens ungewöhnlich. Doch bei näherem Hinsehen verblüffen die Ähnlichkeiten: «Unser» Porsche verfügt ebenfalls über vier Zylinder, denn es ist ein 912. Auch das Leistungsgewicht beider Kandidaten ist relativ nah beieinander. Das Gleiche gilt für Radstand, Karosserieabmessungen oder Platzangebot. 912 gegen CR-Z – hier treffen natürlich auch Antriebskonzepte und technische Kulturen aus völlig unterschiedlichen Epochen aufeinander: Knapp 45 Jahre trennen den Deutschen und den Japaner, das sind Welten. Der Zwölfer steht für die analoge Autowelt, in der Besitzer noch viel selbst machen konnten. Hondas «Z» dagegen ist ein Kind des digitalen Zeitalters und vollgestopft mit Elektronik, die nur noch in der Markengarage gewartet werden kann.

Die einende Klammer heisst Fahrspass: Sowohl der 912 als auch der CR-Z bieten reichlich davon, aber jeder auf seine eigene Art und Weise. Die Gemeinsamkeit liegt in den Motoren: Beide Hersteller bauen fabelhafte Triebwerke, die nicht nur für den Trip von A nach B entwickelt wurden. Diese Maschinen sind das Produkt begeisterter Ingenieure, die sich während der Entwicklung vorgestellt haben, einmal selbst damit fahren zu wollen.

Und noch etwas verbindet CR-Z und 912: Sie wurden für eine Klientel gemacht, die zwar Dynamik sucht, aber dafür keine Unsummen auszugeben bereit ist. Nachdem Porsche 1965 die Produktion des Typ 356 eingestellt hatte, trat der 912 mit dessen Vierzylinder als neues Einstiegsmodell unterhalb des Elfers an. Der Zwölfer ist optisch identisch, aber spartanischer ausgestattet. Entworfen wurde die Urform vom kürzlich verstorbenen Alexander Porsche; seitlich und von schräg hinten wirkt das Auto etwas gedrungen. Ein ab 1969 um knapp sechs Zentimeter gestreckter Radstand der B-Serie – sie kam mit seitlichen Karosserieanpassungen, doch die Gesamtlänge blieb unverändert – sieht das Coupé wesentlich stimmiger und eleganter aus. Gemeinsam mit einer schon 1968 erweiterten Spurbreite bietet das B-Modell mehr Fahrstabilität, um sein im Grenzbereich nervöses Heck besser unter Kontrolle zu halten. Der Foto-912 ist einer der allerletzten und weist deshalb ebenfalls den langen Radstand auf. Lange verschmäht, entwickelt der Zwölfer heute einen ganz besonderen Reiz; originale Exemplare kosten in gutem Zustand inzwischen 70 000 Franken und mehr.

Einen neuen CR-Z gibt es für weniger als die Hälfte. Was auch daran liegt, dass er in Europa nur schwer Fuss fassen kann: Gerade mal 65 000 Einheiten wurden seit Markteinführung im herbst 2012 013


vergleichstest

Sommer 2010 weltweit verkauft, von den Schweizer Zahlen will man hier erst gar nicht sprechen. Das stört die Zentrale in Japan offenbar nicht – sie hat den Zweitürer speziell für die absatzstarken Vereinigten Staaten konzipiert, um den US-Geschmack auszuloten. Denn der ist dem Unternehmen für kommende Baureihen besonders wichtig. In Übersee ist man auch so konsequent, den CR-Z als reinen Zweisitzer ohne Rückbank auszuliefern, die ohnehin nur für die berühmten beinamputierten Zwerge taugt. Geblieben ist das klassische Honda-Motorkonzept – ein bedarfsweise hoch drehender Vierzylinder, für den die Autowelt 1964 schon jenen Bonsai-Roadster S600 bewundert hat. Auch der CR-Z entwickelt zwischen 4500 und 6500 Touren ein recht erstaunliches Temperament, was nicht zuletzt am passend untersetzten, knackigen Sechsgang-Schaltgetriebe liegt. So vertritt das Hybrid-Coupé die sportlichen Lorbeeren seines Hauses mit jener Würde, welche Insight-Chassis und Jazz-Komponenten zulassen. Steif ist er ja, der CR-Z – und smart zusammengebaut: Da wackelt nichts, auch Kurven werden sehr stabil genommen. Den notdürftig nach unten gerückten H-Punkt – mit ihm definieren Konstrukteure das Becken des Fahrers, also dessen Sitzhöhe über Asphalt – spürt man allerdings. Auch an den unter starker Beanspruchung nicht Fading-freien Bremsen ist zu merken, dass hier Baukasten-Komponenten neu kombiniert wurden. Kurz: Der CR-Z ist ein intelligent gemachter Zweitürer, aber sicher kein reinrassiger Sportwagen.

Das Asia-Coupé zitiert optisch den verblichenen CRX, der 1984 lanciert wurde und sich als «Pocket Rocket» international einen Namen machte. So gesehen verfügt auch der Z über eine jahrzehntelange Modellgeschichte. Entworfen wurde er von Honda-Chefdesigner Motoaki Minowa, der einen windschnittigen Hatchback mit steiler Heckpartie ablieferte. Dem aerodynamisch günstigen Formkonzept folgen immer mehr Modelle – Volkswagens Scirocco gehört dazu, der Hyundai Veloster oder Volvos just auslaufender C30. Das Honda-Styling wirkt im Vergleich mit dem klassischen Porsche wie Alko-Pop gegen Champagner. Die CR-Z-Karosse begeistert nicht jeden auf den ersten Blick, bietet allerdings clevere Detaillösungen und wird nie langweilig. Beim Porsche geht das Heck nach unten, beim Honda nach oben und schafft dank Frontmotor einen beachtlichen Kofferraum – aber auch eine zweiteilige Heckscheibe mit störendem Balken im Rückspiegel. Von der Rundumsicht des 912 kann man im Japaner nur träumen, so wie in vielen anderen modernen Autos auch. Vorne ist er dagegen «cab forward», ragt die Bugpartie weit über die Räder. Nach dem tragischen Ableben des S2000 vor drei Jahren muss der CR-Z die sportliche Fahne des Hauses hochhalten, bis 2014 ein neuer Civic Type R antreten wird. Auf den neuen NSX müssen

Fans noch länger warten, doch eine Honda-Vorgabe gilt für alle drei: mehr Effizienz für sportliche Autos. Der Hersteller will hier ganz vorne dabei sein, und der Z spielt bei dieser Strategie eine Vorreiter- und Forschungsrolle – technisch, aber auch in Bezug auf die Marktakzeptanz. Für engagierte CR-Z-Erlebnisse braucht es aber auch einen respektlosen Fahrer, der bereit ist, kräftig Gas zu geben und das Auto von seiner scheinbaren Lethargie zu befreien. Dabei fühlt sich Hondas Motor-Getriebe-Abstimmung schon bei Tempo 50 sehr gelungen an: Es ist immer ausreichend Leistung abrufbar, um zügig anzufahren oder im Extremfall gar zu überholen. Mit den drei Tasten «Econ», «Normal» und «Sport» lässt sich der Charakter auf Knopfdruck verändern, leuchten die 3D-Instrumente grün, blau oder rot. Der Öko-Mode schafft in Verbindung mit dem serienmässigen Stopp-Start-System locker Vier-Komma-Verbräuche, aber dann kann man auch gleich die Bahn nehmen.

Im Sport-Programm sind es schnell sechs Liter, dafür schärft das Auto die Gasannahme und geht spürbar dynamischer zur Sache. Seine dann auch direkter agierende Lenkung macht aus dem Japaner einen Kurvenräuber. Oberhalb von 5000 Touren beisst der CR-Z richtig herzhaft zu. Drehzahl statt Hubraum: Sein Besitzer, zuvor mit einem drehmomentgewaltigen Sechsliter-V8 unterwegs, ist zufrieden damit und hat auch nach zwei Jahren noch nicht genug von dem kleinen Spaceship. Als einziges Manko nennt er den Frontantrieb, obwohl: Mit provozierten Lastwechseln (also Gas wegnehmen) lässt sich das Heck in Kurven gezielt ausschwenken, neigt der CR-Z zum Übersteuern, kann man sogar driften. Auch im Winter kommt der Sport-Hybrid erstaunlich weit und erklimmt auf den richtigen Reifen so manchen Pass. Während der ansonsten leise Honda unter Vollgas knurrt, klingt der 912 allzeit wie ein hochgezüchteter Käfer, betört mit dem heiseren Rasseln seines luftgekühlten Vierzylinder-Boxermotors. Doch so sehr sich der auch bemüht – dem Honda fährt er nicht davon. Zwischen Gurnigelbad und Stockhütte hat er nicht den Hauch einer Chance; am Berg verendet er regelrecht, fällt weit zurück. Kein Wunder: Zwischen ihm und dem Japaner liegen über 50 Jahre Auto-Evolution. Dank zusätzlicher Batterie-Power fühlt sich der CR-Z zuweilen wie ein 1,8-Liter-Modell an. Dazu kommen ein paar konstruktive Tricks wie die Kraftportionierung auf sechs Gänge, mit denen die limitierte Motorkraft besser abrufbar wird. Dem Porsche verschafft sein kurzer zweiter Gang beim Zwischenspurt für Sekunden einen hauchdünnen Beschleunigungsvorteil, doch spätestens bei 60 km/h zieht der Honda wieder vorbei. Immerhin: Der Zwölfer fühlt sich auch nach Jahrzehnten noch sehr solide an und ist deutlich leichter. Beim Japaner fallen der Hybridantrieb inklusive Batterie sowie die Komfort-Features (LED-Tagfahrscheinwerfer, Regen- und Lichtsensoren, sechs

Klassik trifft Manga-Design: Der Porsche ist der Ästhetik verpflichtet, der Honda steht für umweltbewusste Sportlichkeit. Hingucker sind beide

014 VECTURA #4


Airbags, Servolenkung, Zentralverriegelung, Tempomat, Subwoofer-Stereoanlage, iPod-Anschluss, Sprachsteuerung oder Klimaautomatik) ins Gewicht. Gespart hat Honda beim Blech: Die Türen fallen dröhnend ins Schloss, während die des Porsche mit sattem «pop» schliessen.

912-Piloten fahren dagegen in Abwesenheit all jener Sicherheitssysteme, die heute selbstverständlich sind. Gurte sind das höchste der Gefühle, und selbst die gab es anfänglich nur gegen Aufpreis. Dafür riecht – Pardon – duftet der 912 herrlich nach Benzin und wird immer wertvoller. Ob der CR-Z in vier Jahrzehnten Sammlerstatus haben wird, darf bezweifelt werden. Allein die Batterie dürfte dann komplett entladen und kaum ersetzbar sein. Das Auto ist eher der Gegenwart verpflichtet, punktet mit Umweltbewusstsein und verbraucht praktisch nie mehr als sechs Liter. Ende Jahr kommt ein Facelift inklusive neuem Batteriesys-

tem, das leichter und stärker ausfallen soll. Die noch aktuelle Serie 1 ist somit angezählt und – pssst! – beim Honda-Händler derzeit besonders günstig zu erwerben. Fazit: Die Unterschiede zwischen dem rassigen 912 und dem komfortablen CR-Z treten erst langfristig zu Tage. Während der zeitlos schöne Porsche immer teurer wird, zeigt der moderne Honda, dass Fahrdynamik und Spritsparen kein Widerspruch sein müssen. Spätestens bei der übernächsten Verschärfung der CO2-Norm wird er seine Vorreiterrolle allerdings einbüssen.

herbst 2012 015


Der 912 erfordert engagiertes, weil Servo-freies Fahren. Die Fuchsfelgen sind bis heute eine begehrte Option

016 VECTURA #4


Captain Future: Der Honda beschleunigt mit elektrischer Unterst端tzung. Das Holz-Heck ist nicht original, sondern eine Spezialfolie von 3M herbst 2012 017


vergleichstest

TECHNISCHE DATEN Honda CR-Z

TECHNISCHE DATEN Porsche 912

Konzept Spurten und Sparen: Der CR-Z soll beides können. 2+2-sitziges Fastback-Coupé mit mutiger Formsprache und durchdachtem Infotainment. Frontantrieb

Konzept Basismodell der zweiten Strassensportwagen-Generation des Herstellers, der aus jenem Entwicklungsbüro hervorging, das einst den VW Käfer konstruierte. 2+2-sitziges Sportcoupé mit markentypischer Heckmotor-Anordnung, Heckantrieb

Motor

Motor

Drehfreudiger Alu-Vierzylinder mit oben liegender Nockenwelle (Kette), fünffach gelagerter Kurbelwelle und E-MotorUnterstützung (Mild Hybrid), elektr. Einspritzung, FrontmotorAnordnung

Luftgekühlter Vierzylinder-Aluminium-Heckmotor mit hängenden Ventilen und zentral angeordneter Nockenwelle und vierfach gelagerter Kurbelwelle. Zwei Fallstrom-Doppelvergaser (Solex 40 PJJ-4), Ölkühler

Hubraum in cm3 Bohrung x Hub in mm Verdichtung Leistung in PS (kW) @ U/min Max. Drehmoment in Nm @ U/min Kraftübertragung

1497 73 x 89,4 10,4:1 114+14 (84+10) @ 6100 174 @ 1000–1500 M6

Hubraum in cm3 Bohrung x Hub in mm Verdichtung Leistung in PS (kW) @ U/min Max. Drehmoment in Nm @ U/min Kraftübertragung

1582 82,5 x 74 9,3:1 90 (66) @ 5800 138 @ 3500 M4*

Abmessungen (L/B/H) in cm Radstand in cm Spur vorne/hinten in cm Reifen und Räder

408/174/139,5** 243,5 152/150 195/55 R16 (a.W. 205/45 R17)

Abmessungen (L/B/H) in cm Radstand in cm Spur vorne/hinten in cm Reifen und Räder

416/161/132 227 136/134,5 165 HR 15 (a.W. 185 HR 14 oder 185/70 VR 15)

Tankinhalt in L Kofferraumvolumen in L Leergewicht in kg Zulässiges Gesamtgewicht in kg Leistungsgewicht in kg/PS

40 225–595 1145 1520 8,9

Tankinhalt in L Kofferraumvolumen in L Leergewicht in kg Zulässiges Gesamtgewicht in kg Leistungsgewicht in kg/PS

62 200 950 1300 10,6

0 – 100 km/h in Sek. Höchstgeschwindigkeit in km/h

9,9 200

0 – 100 km/h in Sek. Höchstgeschwindigkeit in km/h

13,2 185

Durchschnittsverbrauch* in L/100 km CO2-Emission in g/km Energieeffizienzkategorie Preis ab CHF

5,5 117 A 29 900.–

Durchschnittsverbrauch in L/100 km CO2-Emission in g/km Energieeffizienzkategorie Preis ab CHF

ca. 11 k.A. – 24 060.– (1969)

* gemessen nach NEFZ, Neuer Europäischer Fahrzyklus ** inkl. Dachantenne

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* Option: vollsynchr. Fünfganggetriebe


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Brot & Spiele Trotz aller Kritik am Individualverkehr: Autosalons gleichen heute immer mehr (oder gerade deswegen) einem Tanz um das goldene Kalb, sind der medial perfekt inszenierte Zirkus des 21. Jahrhunderts. VECTURA blickt mit einem Insider hinter die Kulissen Text Robert Waltmann 路 Fotos Andreas Keller

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circus maximus

Showtime: dreimal Audi-Stand in Peking 2012

G

leissendes Scheinwerferlicht, blitzende Karossen, viele, sehr viele schöne Frauen, Prominente, Premieren, Performances – so kennt man die Selbstdarstellung der Automobilfirmen von gelegentlichen oder auch regelmässigen Besuchen – zum Beispiel in Genf oder Paris. Kaum einem Besucher oder Journalisten ist aber bekannt, welcher unglaubliche Aufwand hinter diesen Messeständen steckt, die da so unverrückbar den Rahmen für die Auto-Premieren und Exponate bilden. Ein Grossteil des Publikums macht sich gar nicht klar, dass die Hallen noch vor kurzem gähnend leer waren. Das Schema ist rund um den Globus immer wieder gleich: Bis zu 20 Tage wird aufgebaut, gute zehn Tage läuft die Show, und nach Messeende muss alles nach spätestens fünf Tagen wieder verschwunden sein. Die Königsklasse sind die sogenannten A-Messen, neben den vielen B- und C-Messen in aller Welt und den rein regionalen Shows. Der Messezirkus im High-End-Bereich der A-Klasse

kennt den jährlichen und zweijährigen Turnus: Den Auftakt bildet traditionell Detroit im Januar, dann geht’s nach Genf (beide jährlich), danach folgen Peking (im Wechsel mit Shanghai), Moskau, Frankfurt, Paris und Tokio im Zweijahres-Rhythmus – fast könnte man den Veranstaltungskalender mit dem der Formel 1 vergleichen… Das ist Globalismus in Perfektion. Nicht umsonst gibt es in der Branche den Satz «Nach der Messe ist vor der Messe»: Teilweise nahtlos anschliessend, teilweise sogar überlappend, laufen die Vorbereitungen bei den Autoherstellern, Architekten, Agenturen, Kommunikationsfachleuten, dem technischen Personal und nicht zuletzt den Journalisten. So war das natürlich nicht immer: Man kennt die SchwarzweissAufnahmen aus den fünfziger Jahren – Teppich auf dem Hallenboden, Namenschilder von der Decke abgehängt, Sperrkordeln, Topfpflanzen, fertig war der Messestand. Schon in den sechziger Jahren änderte sich das: Drehbühnen, doppelstöckige Gebilde, zunächst alle noch sehr einfach und schlicht, weil herbst 2012 021


circus maximus

meist rein hölzerne, einfache Konstrukte. Der Aufwand steigerte sich bis in die Achtziger. Der Wandel zur Top-Architektur, teilweise mit Hochbau-Anspruch, kam dann in den neunziger Jahren, und die Werkstoffe glichen sich immer mehr der modernen Architektur an – Glasfassaden, Marmor oder Edelstahl machten aus der ehemals rein zweckorientierten Präsentation der eigentlichen Stars, Automobile und Showcars, eine Darbietung der jeweils kompletten Markenwelt. Bis zur 9/11-Katastrophe im Herbst 2001 in New York und Washington war noch die Live Performance dazugekommen – laut, heftig, eben Show pur. Die Attentate wurden zur Eröffnung der IAA Frankfurt verübt, was zum fast augenblicklichen Verstummen eben jener Vorführungen führte, welche danach auch nie wieder dieselbe Popularität erreichten. Ab Mitte der neunziger Jahre und noch verstärkt in den 2000ern folgte der Boom bewegter Bilder, gigantische LED-Wände blitzten auf, mit Musikvideo-artig schnellen Schnitten und perfekti-

onierten Filmdarstellungen; das ist bis heute ein ungebrochener Trend. In dieser Zeit wurde die Crème-de-la-Crème aller Branchenmessen, die Automobilmesse, auch zum Spielfeld renommierter Architekten und Designer, die in dem kurzlebigen Umfeld die Möglichkeit entdeckten, Trendsetter zu werden oder bisher «Unmögliches» möglich zu machen. Ein gutes Beispiel ist die Messearchitektur von Schmidhuber + Partner/München für Audi, die gigantische organisch geformte Bauten vorgab; man denke nur an den Pavillon auf der letzten IAA im Herbst 2011, vom deutschen Messebauer Ambrosius realisiert. Oder an den monumentalen Bau von Daimler für Mercedes-Benz und Maybach; traditionell ist der Konzern schon immer in der historischen Frankfurter Festhalle auf dem Messegelände zu Hause. Letztes Jahr, erstmalig von Display International aus Würselen bei Aachen projektiert und gebaut, stand dort ein 16 Meter hoher Bau mit der grössten Bühne und gestaffelten LED-Screens, die man je zu diesem Zweck gesehen hat – 40 Meter lang und zwölf Meter hoch. Dort ging eine Showkombination aus

Erlebniswelt: Kia-Bühne in Genf 2012

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Grossbaustelle: der Mercedes-Stand in der Festhalle Frankfurt (IAA 2011), vorher und nachher

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Live-Act und Film derart raffiniert im wahrsten Sinn des Wortes über die Bühne, dass den Zuschauern nicht nur die Luft wegblieb, sondern auch die Jury des ADC (Art Directors Club) befand, dass das gleich mehrere Preise wert war.

passiert. 890 Tonnen Stahl, 17 000 Quadratmeter Holzwerkstoffe, 68 Kilometer Elektroverkabelung und 3500 Leuchtmittel – das waren die Zutaten für diese Inszenierung der Superlative. Alles in allem waren 1000 Leute an diesem Projekt beteiligt.

Die Vorbereitungen zu diesem Messestand, der wohl den Superlativ dessen bildet, was heute im Messebau geht, waren extrem intensiv. Zunächst hatte man die Architekten KTP (Kauffmann, Theilig & Partner/Stuttgart) gefragt, dann ging der eigentliche Bau über mehrere Wochen los. Display International musste die 10 000 Quadratmeter überbauten Raum zunächst in Einzelteilen durch eine einzige Toröffnung in die Festhalle bringen, um dann den Stahlbau, das dreigeschossige Gebäude und die Bühne Schritt für Schritt einzubauen. Hunderte von Handwerkern arbeiteten gleichzeitig emsig ihre Vorgaben ab, diverse fahrbare Kräne hievten die sperrigen und schweren Bauteile in die Höhe. Der Zeitdruck sitzt stets im Nacken, das gilt ganz allgemein für die Messebau-Branche: Schichtarbeit und viele Überstunden sind normal, alle arbeiten auf den Zeitpunkt der Übergabe hin, die absolut fix ist, es gibt keine Verspätungen, egal, was auch

So sah man in Frankfurt 2011 recht gut, wohin der Wettbewerb der Marken neben dem der Automodelle auch führt: Der eine Hersteller, Audi, liess auf der Agora-Freifläche quasi ein UFO mit spektakulären Kurven landen, das in luftiger Höhe um die geschätzt gut zehn Millionen teure Halle echte Probefahrten zu bieten hatte. Der andere, BMW, hatte schon auf der IAA 2009 und dann auch 2011 eine vom Schweizer Messe- und Veranstaltungsspezialisten Nüssli realisierte richtige Strasse in seine Halle gebaut, auf der aktuelle Modelle die Zuschauer umkreisten. Mercedes wiederum bot in seinem Festhallen-Messestand einen 650 Meter langen Parcours, der die Besucher zunächst über eigens zu diesem Zweck montierte Rolltreppen nach oben brachte, von wo aus sie dann an allen ausgestellten Fahrzeugen vorbei über drei Ebenen zu Fuss bis unten defilieren konnten – wenn man nicht gerade die «medial-kinetische» Vorführung auf der Bühne genoss.

Come together: Volkswagen-Stände 2007 in Frankfurt und 2012 in Detroit (rechts)

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Auch diese Premiumhersteller schwelgen nicht immer in solchen Superlativen. Viele Messen weltweit werden aus Fundusmaterial in Kombination mit attraktiven Zusatzelementen gebaut. Das teure Material wird also mehrfach verwendet und sowohl umweltfreundlich als auch kostenbewusst eingesetzt. Nur so kommt man bei grossen Flächen auf niedrige einstellige Millionenbeträge. Ein ganz besonderer Leckerbissen für Architekturfans ist der jährliche Genfer Automobilsalon. Er hat ein ganz besonderes Flair, was vielleicht hauptsächlich daher kommt, dass man dort ganz konsequent eine Art Landschaftsordnung pflegt: An den Hallenwänden entlang befinden sich die ganz grossen Stände, aufwendig bis luxuriös, in der Mitte stehen kleinere Marken, die ihre Stände und Präsentationen nur bis auf Augenhöhe aufbauen dürfen, so dass man über drei riesige Hallen hinweg von überall aus einen wirklich spektakulären Blick auf das Gesamtgeschehen hat – das gibt es nirgendwo sonst auf der Welt. Die hohe Kunst des automobilen Messebaus ist übrigens fest in deutscher und Schweizer Hand: Beide Länder verfügen über

eine Handvoll Spezialisten, die diese State-of-the-Art-Präsentation am besten beherrschen und die man an den Messeplätzen in aller Welt ständig antrifft. Und nicht überall herrschen so geordnete Verhältnisse wie beispielsweise in Frankreich, Deutschland oder der Schweiz. In Detroit weht ein rauer Wind, nicht nur wettermässig, sondern auch in den Hallen. Wer dort versucht, selbst einen Hammer in die Hand zu nehmen, wird von der örtlichen Gewerkschaft schnell darüber aufgeklärt, dass in der Halle nur amerikanische organisierte Kräfte arbeiten dürfen. Wer das nicht beachtet, dem wird notfalls der Strom für die Werkzeuge abgestellt und das Licht ausgeschaltet. In China fällt vor allem auf, dass trotz der avantgardistischen Wolkenkratzer im Stadtbild, entworfen von den weltweit berühmtesten Architekten, die reale (Messe-)Bau-Wirklichkeit noch etwas mittelalterlich anmutet. Da kann es durchaus passieren, dass der Gabelstapler ungenutzt herumsteht und die 500-Kilo-Last lieber von 20 Arbeitskräften durch die Gänge getragen wird. Und man darf sich nicht wundern, an allen Ecken der Halle, tags wie nachts, schlafende Wanderarbeiter anzutreffen, die den Weg

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ins Schlafquartier einsparen, falls überhaupt eines existiert. In Peking oder Shanghai wird die relativ neue Lust am Auto auf den Messen besonders sichtbar: Nicht nur, dass es so brechend voll ist, dass einem vor lauter medialer Präsenz oft Hören und Sehen vergeht. Nirgendwo sonst sieht man auch so viele junge wohlgeformte Frauen und Männer an den ausgestellten Fahrzeugen, die für den entsprechenden Blickfang sorgen sollen – und die manchmal von den Weltpremieren, die ja heute zunehmend in China stattfinden, ablenken können.

Farbenfrohe Clubatmosphäre: zweimal Citroën 2009 in Genf (unten) und 2011 in Frankfurt (oben)

Ziemlich lang ist auch die Liste der Beispiele, was alles schiefgehen kann, wenn man nur wenige Tage Zeit hat, 5000 oder 10 000 Quadratmeter mit den feinsten Materialien zu bebauen, wofür man ausserhalb des Messebetriebs Monate brauchen würde. Da fährt ein viel zu schnell bewegter Gabelstapler genau in jenes Gestell, auf dem speziell geformte Glasscheiben deponiert sind, die man als Nächstes gebraucht hätte. Oder es gibt Wassereinbruch bei Regen von oben, durch versehentlich ausgelöste Sprinkler in den Räumen von innen oder gar von allen Seiten, weil nach dem Wolkenbruch ein Mini-Tsunami durch die Halle schwappt. Auch Wasser in fester Form kann eine kleine Katastrophe auslösen, wenn bei minus 20 Grad Celsius ein Container festgefroren und nicht mehr zu bewegen ist. Auch aus grösserer Höhe fallende Werkzeuge hinterlassen äusserst unschöne Spuren auf Motorhauben – alles schon passiert, und trotzdem schafft man es irgendwie immer, auch damit fertigzuwerden. Bei allem Tamtam: Das Auto ist rund um den Globus noch immer sehr greifbar der Mittelpunkt des mobilen Interesses, und das ganz analog und live, mit bis zu einer Million Besucher pro Messe, natürlich begleitet von sehr umfassender medialer Berichterstattung in den Printmedien oder zunehmend im Internet. Aber diese aufwendigen Veranstaltungen sind ausserdem auch sehr emotional und eine Begegnung der Sinne – Sehen, Hören, Fühlen, Schmecken, Riechen. Dieses Erlebnis kann man in keiner Zeitung oder Sendung, sondern so komprimiert eben doch nur auf der Messe erleben!

Robert Waltmann (65) ist seit 1992 Geschäftsführer Verkauf & Marketing der Display International, eines führenden Players im Automobil-Messebau (www.displayint.com). Er ist regelmässig auf den wichtigen Automessen anzutreffen. 026 VECTURA #4


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auf der Spur

Er begann einst als Toyota-Garagist, baute dann eigene Autos auf. demnächst arbeitet Jonathan Ward mit ALTMEISTER Ercole Spada zusammen Text Matthias Pfannmüller · Fotos William Bradford, Michael Muller, Pedenmunk, Alastair Ritchie, Werk

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W

enn es um Kultautos geht, hat jeder «Motorhead» sofort ein eigenes Bild im Kopf. Bei Jonathan Ward ist es der Original-Toyota BJ40 Baujahr 1958 bis 83, allgemein auch «Landcruiser» genannt – und Urmodell einer ganzen Modell-Dynastie, die bis heute weit über sechs Millionen Mal produziert worden ist. Über 800 von ihnen nannte der 42-Jährige schon sein Eigen, und dabei wird es wohl nicht bleiben. Das Auto ist für ihn «die Essenz der Coolness», und da war es nur konsequent, 1996 unter der Firmenbezeichnung TLC in Van Nuys nördlich von Los Angeles – und nur für diesen einen Fahrzeugtyp, versteht sich – eine Garage für Service, Restauration und Ersatzteile zu eröffnen. Kunden gab es wie Sand am Meer: In Kalifornien erfreut sich der Landcruiser nach wie vor grosser Beliebtheit; er ist sozusagen das Gegenstück zum VW Bulli: In Letzterem sassen meist softe, langhaarige Frauenversteher, doch echte Kerle fuhren einen gestrippten BJ ohne Dach und Türen. Qual der Wahl: Das FJ-Cockpit gibt es entweder «Old School»…

TLC lief mit den Jahren so gut, dass selbst der Toyota-Konzern im fernen Japan auf Ward aufmerksam wurde. Die Japaner vertrauten dem in Maryland geborenen und in New York aufgewachsenen Landcruiser-Guru zunächst kleinere Projekte an, bevor ihn Konzernboss Akio Toyoda persönlich darum bat, einen modernen BJ-Nachfolger zu konzipieren und auch gleich drei fahrbare Prototypen zu bauen. So geschah es, doch letztlich gingen die Meinungen in Bezug auf Power und Styling zu weit auseinander. Toyota brachte 2006 den selbst entwickelten FJ Cruiser auf den Markt. Ward selbst dachte weniger an einen neumodischen Aufguss, sondern an «klassisches Styling, moderne Fahrleistungen und zeitlosen Nutzwert»: Der Plan, den BJ-Look der Baujahre 1960 bis ’75 mit leistungsstarker Technik zu paaren, kam also fast zwangsläufig. Und weil Ward jede Landcruiser-Schraube beim Vornamen kennt, war der erste Prototyp im Jahr 2004 fast ein Kinderspiel. Alles, was vom Original übrig blieb, waren der Leiterrahmen und die Fahrgestellnummer: Sie ist bis heute wichtig, um den Neuaufbau ohne Crash- und Emissionstest zulassen zu können. Der «Rest» stammte aus den Regalen verschiedener Grossserienhersteller, um Versorgung und Bezahlbarkeit zu gewährleisten. Gasdruckstossdämpfer ersetzten Blattfedern, Scheibenbremsen die betagten Trommeln, LED-Spots die gelblich funzelnden Glühbirnen der Instrumentenbeleuchtung. Andere Teile wie optisch originalgetreue, aber Teflon-beschichtete Karosseriebleche, die Kabinen-Isolierung, Achskomponenten oder das Softtop wurden extra angefertigt. Auch beim Antrieb ging man keine Kompromisse ein – und verpflanzte einen Chevy-V8 in den Bug, der mit 350 SAE-PS gut dreimal so viel Leistung aufwies wie die seligen Sechszylinder-Benziner aus japanischer Produktion. Damit schaffte es der vier Meter lange, leer 1700 Kilo schwere Geländewagen in 6,7 Sekunden auf 100 km/h, war furchteinflössende 185 Stundenkilometer schnell und wirkte sowohl solide als auch professionell gemacht, wie wir auf einer Probefahrt im Jahr 2006 feststellen konnten. «Meine Autos vertragen mehr Missbrauch als der alte Landcruiser», versprach Ward und sollte recht behalten: Auch die ersten Kunden schwärmten von der Verarbeitungsqualität. Dazu lockte ein attraktiver Basispreis von 88 000 Dollar, der sich mit diversen Optionen wie Luftdruck-Sperrdifferential, Seilwinde, Sitzheizung, Klima- und Stereoanlagen natürlich auch in die Höhe treiben liess. 030 VECTURA #4

…oder in einer Baja-Ausführung mit staubdichten Digitalinstrumenten

Volle Kraft voraus: Chevy-V8-Power


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Made in USA: Mit dem CJ3B bietet Ward auch einen Amerikaner an

Ward nannte seine Firma fortan «Icon» und den Geländewagen «New School», womit er auch gleich andeutete, was folgen sollte. Denn neben diesem Retro-Runner, der dank vorne und hinten getrennt aktivierbarer Untersetzungen sehr geländegängig ist und sich auf Anhieb reger Nachfrage erfreute, bietet Icon (www.icon4x4.com) mittlerweile diverse Modellvarianten mit unterschiedlichen Radständen, Aufbauten und Ausstattungen an. Damit nicht genug: Neben dem Toyota gibt es inzwischen auch potente, optisch ebenfalls nur dezent aufgefrischte Updates der Allrad-Ikonen Willys Jeep JC3B (1940–’60) und Ford Bronco (1966–’75), die wie der Toyota auch mit anderen Motoren verfügbar sind und sogar auf neu entwickelten, noch stabileren Rahmen ruhen. Ward nutzt längst nur beste Zutaten: Der CanvasVerdeckstoff kommt aus Deutschland, die Schnappverschlüsse sind von Bentley, andere Bauteile stammen von Marine- und Flugzeugzulieferern – Icons Sonnenblenden zum Beispiel finden sich auch im Lear Jet. Spezialteile wie das Markenlogo, die Bluebelly-Wüsteneidechse, werden nach wie vor exklusiv produziert. Aus der kleinen Landcruiser-Garage, die es immer noch gibt, um sich um klassische Landcruiser zu kümmern, ist so ein mittelständischer Betrieb geworden, der aktuell in Chatsworth residiert, aber einmal mehr noch grössere Räumlichkeiten sucht: Arbeiteten anfänglich noch er und seine Frau Jamie bei TLC, beschäftigt Ward heute 28 Mitarbeiter, die bisher 115 Fahrzeuge in Handarbeit produziert und ausgeliefert haben, unter anderem auch nach Dubai und Europa. Ein Icon kommt wie gesagt überall durch, nur die Schweizer Zulassung stellt eine grosse Hürde dar. Wie gross, hängt vom jeweiligen Icon-Modell und dem Grad der Umrüstung ab. In der Verordnung über die technischen Anforderungen an herbst 2012 031


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Nach Toyota und Jeep erfährt auch der Ford Bronco die Icon-Behandlung

Strassenfahrzeuge (VTS) und der asa-Richtlinie 2a Ziffer 1.2.2 der Vereinigung der Strassenverkehrsämter sind Änderungen und Umbauten von Motorwagen genau definiert. In jedem Fall gelten Icon-Modelle als Neufahrzeuge, müssen einzeln geprüft werden. Die erforderlichen Abgas- und Geräuschmessungen können bei anerkannten Prüfstellen wie dem Dynamic Test Center in Vauffelin bei Biel (www.dtc-ag.ch) ausgeführt werden. Merke: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Es dürfte trotzdem etwas länger dauern, einen Icon zu fahren, denn die Warteliste ist lang. Der Firmengründer selbst ist ein stets bescheidener, zugänglicher Typ geblieben, was ihn und seine Marke Icon noch sympathischer macht. Doch Ward ruht sich nicht auf seinem Erfolg aus, sondern sucht neue Herausforderungen. Eine nennt sich «Derelict Series» und steht für patinierte, aber technisch aktuali-

Zweites Standbein: Die «Derelict Series» spricht Hot-Rodder an

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sierte, topfitte Strassenkreuzer aus den 50er-Jahren, deren «RatLook» gerade besonders hip ist. Es gibt die US-Klassiker auch toprestauriert; dann nennen sie sich «Icon Reformers». Das jüngste Projekt ist indes noch anspruchsvoller: Der zweifache Familienvater hat sich über einen gemeinsamen Kunden rein zufällig mit dem italienischen Stardesigner Ercole Spada zusammengefunden, dessen Entwürfe für Zagato, BMW oder Fiat Automobilgeschichte geschrieben haben. Zu den Kreationen des inzwischen 75-jährigen Spada gehört auch der berühmte Aston Martin DB4 GT Zagato, und dieses Auto wird nun ebenfalls ein Revival erleben – als technisch moderner Vintage-Roadster. 2014 soll es in Pebble Beach so weit sein, und angesichts Spadas ästhetischem Empfinden und Wards Detailversessenheit muss man sich um das Ergebnis wohl keine Sorgen machen: Auch der NeoAston wird eine echte Ikone sein.


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ITALO-WESTERN er sollte in den krieg ziehen – und fuhr doch wieder nach hause: Cheetah oder die Geschichte eines vorübergehenden Scheiterns

Text Matthias Pfannmüller · Fotos Archiv Pharis, Umberto Guizzardi, Werk

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Cheetah-Keimzelle: FMC XR311

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s ist also entschieden: Die dritte Lamborghini-Baureihe, welche ab 2015 erwartet werden darf, wird keine Sportlimousine, sondern ein bedingt geländegängiger SUV sein. Urus nennt sich die Ende April in Peking gezeigte, karbonhaltige Studie mit 600 PS. Sie ist knapp fünf Meter lang, kommt trotz 166 cm Höhe optisch geduckt daher und bläht die Nüstern wie ein zum Galopp ansetzender Stier. Anders als bei vielen anderen Luxusmarken, die derzeit ins Gelände aufbrechen, um zahlungskräftigen Chinesen den Weg durch provinzielle Infrastrukturen zu bahnen, sind die Allrad-Ambitionen aus Sant’Agata nicht synthetisch. Vielmehr kann Lamborghini auf eine jahrzehntelange 4x4-Geschichte zurückblicken – und wir sprechen nicht von den Traktoren. Der wuchtige V12-Offroader LM002 ging in den 80er-Jahren in Serie, und genau genommen begann seine Geschichte schon viel früher. Aus der Not geboren Mitte der 70er ging es Automobili Lamborghini richtig schlecht. Mit dem endgültigen Ausstieg des Markengründers Ferruccio im Jahre 1974 gingen auch die besten Angestellten, fehlte es neben treibenden Kräften schnell auch am Geld und es war klar: Mit den wenigen Dutzend Countach, die damals montiert wurden, würde der italienische Hersteller langfristig nicht überleben können. Die Baureihen Jarama und Espada rangierten inzwischen unter «ferner liefen»; neue Konkurrenten wie der in den Startlöchern stehende Porsche 928 verschärften die Situation. Fremdaufträge waren das Gebot der Stunde für Lamborghini, und tatsächlich gelang es dem damaligen Generaldirektor Franco Baraldini, einen BMW-Vertrag für einen neuen Tourenwagen an Land zu ziehen – den späteren M1. Die Bayern lieferten einen Sechszylindermotor samt Getrag-Getriebe nach Norditalien, Lamborghini sollte das Auto entwickeln und mindestens 400 Exemplare bauen. Das Design steuerte kein Geringerer als Giorgetto Giugiaro bei. Angesichts dieser lukrativen Order sicherte die italienische Regierung dem strauchelnden Sportwagenproduzenten im Sommer 1976 eine Finanzhilfe zu, um den drohenden Untergang abzuwenden und die Mehrheit der Arbeitsplätze zu erhalten. Eine sich langsam erholende Wirtschaftslage sorgte für zusätzliches Selbstbewusstsein und in Sant’Agata schien es unter der Führung des damaligen Schweizer Markenbesit-

zers René Leimer jetzt wieder aufwärts zu gehen. Der spitzte die Ohren, als ihm sein Generaldirektor nach einer US-Reise von einem sensationellen Offroad-Fahrzeug berichtete. Franco Baraldini erzählt: «Schon 1975 war ich auf ein ungewöhnliches Auto aufmerksam geworden, das mich in gewisser Weise an den Countach erinnerte. Es handelte sich um einen relativ flachen Geländewagen mit hubraumstarkem Chrysler-V8-Motor, der hinten angeordnet war und dem Auto zu überragenden Fahrleistungen verhelfen sollte.» Der Allradler geht auf eine Entwicklung für den Rüstungshersteller FMC (Food Machinery Corporation) zurück: 1970 entstand dort der XR311, und er war als geländefähiges Mehrzweckfahrzeug für den militärischen Einsatz gedacht. Exakt nach den Ausschreibungsvorgaben der US-Armee konzipiert, die ihren Fuhrpark um ein High Mobility Vehicle (HMV) ergänzen wollte, hoffte FMC auf einen lukrativen Auftrag. Die Streitkräfte konnten sich aber nicht zu einer Bestellung durchringen. Baraldini nahm jedenfalls Witterung auf – über Chrysler-Verbindungen stiess er schliesslich auf die XR311-Konstrukteure Bard Johnson und Rodney Barnes Pharis. Beide hatten FMC inzwischen verlassen. Jetzt suchten sie einen Weg, ihre Erfindung doch noch zu realisieren, und waren deshalb nicht abgeneigt, mit Lamborghini zu verhandeln. Auch Leimer hielt eine Kooperation für sinnvoll und gab Baraldini grünes Licht. Der flog daraufhin mehrmals nach Kalifornien und bereitete die Zusammenarbeit vor. Davon erfuhr wiederum FMC, machte Patentansprüche geltend und drohte bei Missachtung mit einem zeit- und kostenintensiven Strafverfahren. Das sollte zwar scheitern, verzögerte aber einen Vertrag mit Lamborghini. Pakt mit den Amerikanern Anfang 1976 war der Weg schliesslich frei, und am 20. Januar unterschrieben Baraldini und die Amerikaner im New Yorker «Waldorf Astoria» eine entsprechende Vereinbarung: Ihr zufolge sollten Johnson und Pharis einen Prototyp bauen und Lamborghini die Kosten tragen, bevor man das Fahrzeug im nächsten Schritt zur Serienreife entwickeln und gemeinsam vermarkten werde. Die beiden Konstrukteure gründeten daraufhin in Kalifornien eine eigene Firma namens Mobility Technology International (MTI) und machten sich sofort ans Werk. herbst 2012 035


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Kein Jahr später hatte MTI den Prototyp weitgehend fertiggestellt. Die Zutaten des 455 cm langen, 188 cm breiten, aber nur 165 cm hohen Cheetah (englisch für Gepard) stellten damals das Nonplusultra dar: Ausgestattet mit permanentem Allradantrieb und drei Differentialen, Einzelradaufhängungen und Scheibenbremsen rundum, Rohrrahmen mit Überrollkäfig, einer Karosserie aus Aluminium (nicht Kunststoff, wie oft zu lesen ist), umklappbarer Frontscheibe, vier Einzelsitzen und belastbarer Ladefläche, konnte man sich viele Verwendungsmöglichkeiten vorstellen: «Leimer sah gute Chancen für eine militärische Produktion, denn er hatte gute Verbindungen in arabische Länder und wusste um den dortigen Bedarf», erinnert sich ein damaliger Lamborghini-Mitarbeiter. Die Zubehörliste des Cheetah sah dementsprechend lang aus: Räder und Karosserie konnten in einer kugelsicheren Ausführung bestellt werden. Sogar ein Waffen-Kit mit Granatenwerfer und Drehplattform war vorgesehen, dazu wahlweise eine leistungsfähige Heizung, 24-Volt-Anlage, Funkgerät, Seilwinde, Fernstrahler, Tarnnetze oder ein Anhänger. Die in der Presse kolportierte Radar-Anlage gibt es allerdings nicht: «Bei der langen Antenne 036 VECTURA #4

handelte es sich lediglich um einen Peilstab mit Wimpel, damit man bei Dünenfahrt besser gesehen werden konnte», gibt Rodney Pharis schmunzelnd zu Protokoll. Nicht zuletzt schien der Cheetah auch als Polizei- oder Rettungswagen zu taugen – oder eben als Sandkasten-Spielzeug grosser reicher Jungs: Der 5,9-Liter-V8-Motor lieferte 180 PS – genug, um das über zwei Tonnen schwere Fahrzeug in gut elf Sekunden auf Tempo 100 und maximale 150 km/h zu beschleunigen. Im Gelände sollten dank den Spezialreifen immer noch 100 Kilometer pro Stunde möglich sein; sogar eine TurboVariante stellte man in Aussicht. Die variable Drehmomentverteilung, knapp 30 cm Bodenfreiheit und über 80 cm Wattiefe, aber auch 70% Steigfähigkeit und bis zu 50% Seitenneigung versprachen beste Offroad-Eigenschaften. Zwei Tanks standen dabei für hohe Reichweite, die Dreigang-Automatik und eine Servolenkung für Fahrkomfort. Mitte der siebziger Jahre war das Geländewagen-Angebot noch nicht so vielfältig wie heute, sondern sehr überschaubar. In Europa kannte man Jeep, den Toyota Land Cruiser, die britischen


Land- und Range Rover – das war’s. 1979 kam das Mercedes G-Modell hinzu; ein Jahr später würde der kleine Suzuki LJ als legitimer Nachfolger der Flower-Power-Strandbuggys das Angebot ergänzen. So gesehen war der Cheetah ein Trendsetter. Auf Crashkurs Ein Geländewagen von Lamborghini? Auf dem Genfer Salon im März 1977 war die Sensation perfekt. Interessenten staunten nicht schlecht – und verstanden unter Umständen kein Wort, denn die meisten Prospekte hatte man aus den genannten Gründen in Arabisch verfasst. Auf den Cheetah schien man nur gewartet zu haben, denn tatsächlich gab es noch auf der Messe konkrete Anfragen aus Syrien und Saudi-Arabien. Lamborghini möge bitte die Offroad-Fähigkeiten nachweisen, forderten die potentiellen Kunden, dann werde man umgehend Fahrzeuge bestellen. Viele Fahrzeuge. Von einem technisch ausgereiften Geländewagen konnte indes keine Rede sein; der Cheetah war schliesslich ein fahrbereites Showcar und Franco Baraldini bei den Erprobungen bereits nicht mehr an Bord: Schon Ende 1976 hatte er Lamborghini verlassen, nachdem er mitbekam, dass Leimer nicht über die erforderlichen herbst 2012 037


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finanziellen Mittel verfügen würde, um sowohl den BMW-Sportals auch den Cheetah-Geländewagen wie jeweils vertraglich vereinbart umzusetzen. Mit diesem Insider-Wissen war Baraldinis Ausscheiden nur konsequent: «Ich hatte die Verträge gemacht – sowohl mit BMW als auch mit MTI. Unsere Partner vertrauten mir und nun stand mein guter Name auf dem Spiel.» Bei MTI bekam man die Ungereimtheiten in Italien mit, konnte zu diesem Zeitpunkt aber nicht mehr ohne weiteres aussteigen. Tatsächlich plante Lamborghini ernsthaft, den Cheetah schnell in Serie zu fertigen, um die hoch dotierten Anfragen aus dem Nahen Osten bedienen zu können. Was Mitte 1977 geschah, ist heute nur noch schwer nachvollziehbar, dürfte sich aber folgendermassen abgespielt haben: Das Schweizer Lamborghini-Management setzte alles auf eine Karte, zweigte einen grösseren Betrag des BMW-Geldes für eine hauseigene Cheetah-Serienentwicklung ohne MTI-Beteiligung ab und bat um weitere staatliche Fördermittel. Letzteres vergeblich, denn die italienische Regierung hegte Zweifel an den immer abenteuerlicheren Plänen in der Emilia – zu Recht, wie sich schon wenig später bestätigen sollte. Einseitige Zusammenarbeit Interessant ist, wie MTI-Ingenieur Rod Pharis das Projekt erlebt hat. Hier ist sein Bericht: «Weil Lamborghini den Cheetah Mitte März 1977 in Genf vorstellen wollte, fanden Entwicklung und Bau des Prototyps unter extremem Zeitdruck statt. Die ersten Testfahrten – hauptsächlich für Presse- und Prospektfotos – dauerten nur zwei Wochen. Wir brachten sogar die Lamborghini-Logos an und wurden am 13. März fertig, bevor ich den Wagen persönlich in einer Fracht-747 von San Francisco über New York nach Frankfurt und dann per Truck nach Genf begleitete. Dort traf ich am 15. März ein – einen Tag vor der Salon-Premiere. Es gelang mir, den Prototyp auf Anhieb durch den Zoll zu bringen, bevor ich die Schutzhüllen entfernte und das Auto die kurze Strecke hinüber zur Ausstellungshalle fuhr – gerade noch rechtzeitig, denn eine Stunde später wären alle Zugänge versperrt gewesen: Es war ein Rennen gegen die Uhr. Dann ging ich auf mein Hotelzimmer und war bis zum nächsten Morgen nicht mehr ansprechbar. Nach dem Salon brachte Lamborghini den Cheetah nach Sant’Agata – und damit eskalierten die Schwierigkeiten. Denn es war weder vereinbart worden, den Prototyp zu testen, noch ihn vorzuführen oder ohne unsere Genehmigung und Beteiligung ausser Landes zu bringen. Auch durfte das Fahrzeug nicht mit militärischem Zubehör ausgestattet werden, doch Lamborghini verletzte jede einzelne dieser Beschränkungen. Man zerlegte das Auto sogar, machte Detailzeichnungen und behielt es sechs Monate länger als ursprünglich verabredet. Darüber hinaus wurde der bestellte Wagen nie voll bezahlt, was Phase II, also Serienentwicklung und Produktionsvorbereitung, unmöglich machte. Wir diskutierten mehrere Vertragszusätze, die ohne Zahlung allerdings wieder verfielen. Daraufhin verlangten wir, den Prototyp bis zu einem bestimmten Datum zurückzugeben, was nicht geschah. Im Oktober 1977 verkauften wir, MTI, die Exklusivrechte am Cheetah-Design, den Prototyp und seinen Namen an Teledyne Continental Motors (TCM) in Muskegon, Michigan: Mit unserer Unterstützung wollte TCM versuchen, sowohl einen Vertrag mit der US-Armee für einen Gefechtswagen als auch eine zivile Cheetah-

Version zu realisieren. Das Agreement sah eine Beschränkung ausserhalb der USA vor, denn wir wollten uns die Möglichkeit einer Lamborghini-Lizenz als Option offen halten. Leider war das italienische Unternehmen nicht in der Lage, die dafür erforderlichen finanziellen Mittel bereitzustellen. Zu dieser Zeit befand sich der Cheetah noch immer in Sant’Agata und ich kündigte dort mein Erscheinen an, um das Fahrzeug abzuholen. Als ich eine Woche später eintraf, schien jeder sehr erstaunt zu sein, und Präsident Leimer liess mich in der Lobby warten. Ich ging hinaus auf das Firmengelände und bemerkte dort sofort frische Spuren der unverwechselbaren CheetahGeländereifen. Sie führten von einem grossen Rolltor zum Haupteingang und von dort auf die Strasse. Während des folgenden Treffens mit Leimer (und den Übersetzern) gab er an, der Cheetah befände sich in Belgien und könne in den kommenden Wochen deshalb nicht in die Staaten zurückkehren. Ich erinnerte ihn an unseren Vertrag, der den Export aus Italien verbot und schon seit Monaten die Rückgabe auf Verlangen vorsah. Dann erwähnte ich die Reifenspuren und dass ich bedauerlicherweise keine andere Möglichkeit mehr sähe, als Lamborghini und Leimer persönlich wegen Unterschlagung von MTI-Eigentum anzuzeigen. Leimer versprach nun, nach dem Mittagessen seinen Anwalt Prof. Alberto Maffei Alberti zu rufen, was auch geschah. Dem zeigte und erklärte ich unseren Vertrag, woraufhin er sich in meiner Gegenwart lange mit Leimer auf Französisch unterhielt. Es war offensichtlich, dass Maffei Alberti sehr aufgebracht war. Anschliessend entschuldigte er sich bei mir und erklärte, der Prototyp befände sich auf einem Lkw in Italien, aber der Fahrer sei seit Stunden nicht erreichbar. Ich verlangte, dass man mir den Cheetah innerhalb von zwei Tagen zum United-Airlines-Terminal des Frankfurter Flughafens bringen solle. Im Gegenzug bat Leimer um einen weiteren Vertragszusatz bezüglich der limitierten Lizenzrechte ausserhalb der Vereinigten Staaten und versprach dafür, ausstehende Rechnungen zu begleichen sowie die Finanzierung der Entwicklungsphase auf den Weg zu bringen. Wir einigten uns schliesslich darauf und ich unterschrieb die Klausel, bevor ich mich auf den Weg nach Frankfurt begab. Der Cheetah wurde letztlich von einem Lamborghini-Testfahrer geliefert. Ich überwachte die Verladung des Fahrzeugs in die 747 nach Los Angeles, flog mit derselben Maschine und fuhr den Cheetah schliesslich zu unserer Firma nach San José zurück, damit unsere Partnerschaft mit Teledyne Continental Motors rechtzeitig beginnen konnte.» Waghalsige Manöver Trotz der nahezu aufgekündigten Zusammenarbeit mit MTI wollte Lamborghini an den viel versprechenden 4x4-Plänen festhalten. Und während mit «Saturday Night Fever» weltweit der Disco-Boom ausbrach, reiste Leimer persönlich in die USA, um nochmals mit Pharis und Johnson zu verhandeln: Er wollte von ihnen alle Cheetah-Rechte und den Prototyp kaufen, obwohl er ausser Versprechungen nichts zu bieten hatte – die Gespräche mit den Amerikanern scheiterten. Doch auch ohne die Italiener sollten MTI und Partner Teledyne Pech haben: Die US-Armee forderte inzwischen ein High Mobility Multipurpose Wheeled Vehicle (HMMWV) und lehnte den Cheetah ab. Den Zuschlag sollte 1979 der Hersteller AM General erhalten – so entstand der Hummer. herbst 2012 039


RÜCKSPIEGEL

Bumm-bumm: LM001, noch mit Heckmotor

Erstmals mit V12 im Bug: LMA (für «anteriore»)

Endlich in Serie: der LM neben einem Countach Anniversario

In Sant’Agata war die Geschäftskasse dagegen so gut wie leer und Ende 1977 mit nur 97 gefertigten Fahrzeugen ein neuer Tiefpunkt erreicht: Lamborghini würde aus eigener Kraft höchstens noch ein paar Monate durchhalten können. Ob die Fertigungszahlen jener Jahre stimmen, ist bis heute umstritten: Auf jeden Fall gab es damals Unregelmässigkeiten in den Büchern, und beim BMW-Sportwagen-Projekt, das mittlerweile auch offiziell M1 genannt wurde, hinkte Lamborghini dem Zeitplan inzwischen hoffnungslos hinterher. Statt zu liefern, bat Leimer in München um einen Vorschuss, was das Fass zum Überlaufen brachte. Davon abgesehen änderte die Motorsportbehörde FIA das Gruppe4-Reglement – der M1 war out, bevor er überhaupt antreten konnte. Mitte April 1978 kündigte BMW nach knapp zwei Jahren entnervt die Zusammenarbeit mit Lamborghini. Weil der M1 trotzdem gebaut werden und in einer eigenen Rennserie antreten sollte, verlagerte man die Fertigung zu Giugiaros Firma ItalDesign; die Endmontage erfolgte schliesslich bei Baur in Stuttgart. Lifestyle-Revival Lamborghini stand mit leeren Händen da und steuerte jetzt direkt in den Konkurs. Erst zwei Besitzerwechsel und acht Jahre später erlebte der Cheetah ein Revival – in Form des brachialen LM002. Dem waren ein paar wirre Prototypen vorausgegangen, bevor man ihn 1986 auf die zivile Bevölkerung losliess – das Militär hatte längst jegliches Interesse verloren. Ausgestattet mit einem vorne angeordneten, 415 PS und ab 1990 satte 490 PS starken 5,2-L-Zwölfzylinder, der das 3,3-Tonnen-Trümm auf über 220 Stundenkilometer wuchten konnte, war der LM fortan der Star auf den Parkplätzen von Saint-Tropez oder Bahrain. Etwa 300 Exemplare später war schon wieder Schluss, rollte 1986 der letzte LM aus dem Werk – die Nachfrage war einfach zu gering, der Preis exorbitant hoch und der Verbrauch sowieso. Der Allradantrieb lebte derweil als Traktionshilfe weiter – in den Lambo-Supersportwagen. 1993 trat erstmals der Diablo VT (Viscous Traction) mit Viskokupplung zwischen den Achsen an; auch Murciélago, Gallardo und Aventador kamen als 4x4 auf den Markt. Heute gibt es rein heckgetriebene Lamborghini-Boliden nur noch als Sondermodell. Das Unternehmen selbst ist nicht mehr mit jenem der turbulenten siebziger und achtziger Jahre zu vergleichen: Nach Mitte 1998, als Audi und damit der VolkswagenKonzern die italienische Traummarke erwarb, ging es bei Automobili Lamborghini steil bergauf, kamen Vertrauen, Fertigungsqualität und überragende Fahrleistungen, feierte man einen Absatzrekord nach dem anderen. Doch mit der technischen Komplexität ist auch die kritische Masse gestiegen: Heute braucht es schon ein paar Autos mehr, um profitabel arbeiten zu können. Deshalb ein weltweit expandierendes Händlernetz, deshalb die dritte Baureihe – deshalb ein Luxus-SUV, der in Asien, Arabien oder Russland reissenden Absatz finden dürfte. Und weil sich der Urus, oder wie immer er später heissen mag, die Plattform und Motoren mit Konzerngeschwistern von Audi oder Porsche teilen wird, bleiben auch die Kosten überschaubar. Klar ist: Von allen SUV-Derivaten des VW-Konzerns wird das Lambo-Pendant am begehrenswertesten sein. Und am schnellsten, natürlich.

Auszüge dieses Textes stammen aus einer grossen Lamborghini-Chronik, die 2013 zum 50-jährigen Markenjubiläum erscheinen wird

Zukunftsmusik: Lamborghini Urus

040 VECTURA #4


Der neue

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Fahrertraining

Im Namen der

Sicherheit 042 VECTURA #4


In Derendingen hat der TCS kürzlich ein weiteres, hochmodernes Verkehrssicherheitszentrum eröffnet. Der Besuch lohnt sich Text Simon Baumann · Fotos Werk

N

ach einer mehr als dreijährigen Planungs- und Bauphase hat die Test & Training tcs AG, eine Tochtergesellschaft des TCS, im Juni dieses Jahres in Derendingen bei Solothurn ein neues Verkehrssicherheitszentrum eröffnet. Es verfügt über modernste technische Einrichtungen sowie professionelle Instruktoren und bietet verschiedene Fahrsicherheitstrainings für Einzelpersonen, Gruppen und Unternehmen an. Mit dem VSZ Derendingen verfügt der TCS bereits über die sechste Anlage dieser Art. Nebst den drei grossen Verkehrssicherheitszentren in Niederstocken (bei Thun, BE), Hinwil (ZH) und neu auch in Derendingen (SO) gibt es Fahrtrainingszentren auch in Emmen (LU), Meyrin (GE) und Lignières (NE). Direkt an der A1 gelegen und somit nur wenige Fahrminuten von der Autobahnausfahrt Solothurn-Ost entfernt, schliesst das neue Zentrum (www.derendingen.tcs.ch) also eine geografische Lücke im bestehenden Angebot. Schweizweit kümmern sich über 100 professionelle Instruktoren um die Betreuung der Kursteilnehmer. Das Fachpersonal wird an der eigens dafür eingerichteten Trainer School des TCS ausgebildet und perfektioniert so das von Test & Training tcs AG in der Schweiz eingeführte Konzept «Lernen durch Erleben». Mit einem Investitionsvolumen von 11 Millionen Franken entstand im Industriequartier von Derendingen eine rund 25 000 Quadratmeter grosse Anlage mit hochmoderner Ausstattung. Auf drei Aktionsflächen finden sich ein bewässerter Gleitbelag, Wasserhindernisse, ein Geschwindigkeitsmesssystem und eine Schleuderplatte. Doch auch umwelttechnischen Aspekten wurde beim Bau grösste Aufmerksamkeit geschenkt. Nebst der Realisierung des Wärmepumpen-beheizten Holzgebäudes im Minergiestandard wird die gesamte Wassermenge, die bei Niederschlägen auf die Anlage fällt, in unterirdischen Tanks aufgefangen und über ein komplexes Pumpensystem wiederverwendet. Der Rücklauf er-

folgt über ein hochwirksames Filtersystem, so dass das Wasser in einem permanenten, geschlossenen Kreislauf mehrfach eingesetzt werden kann. Die Grösse der Anlage ermöglicht es, bis zu vier Kurse mit jeweils zehn Fahrzeugen gleichzeitig durchzuführen. Das Haupthaus bietet nebst dem Empfang und den Büros für die Administration ein grosszügig ausgelegtes Bistro namens «Turbolino» sowie fünf Theorie- und Schulungsräume. Drei davon können multifunktional zu einer Fläche zusammengefasst und von grösseren Gruppen oder für Präsentationen genutzt werden. Die technischen Einrichtungen im VSZ Derendingen bieten ideale Voraussetzungen für die Durchführung von Fahrsicherheitstrainings in den unterschiedlichsten Bereichen. Dazu zählen die 2-Phasen-Ausbildung, spezielle Schulungsprogramme für Roller, Motorrad, Auto, Lieferwagen, schwere Nutzfahrzeuge, Busse und Gelenkbusse oder auch massgeschneiderte Übungseinheiten für Unternehmen und Verbände. Die Anlage lässt sich teilweise oder in ihrer Gesamtheit für individuelle Fahrveranstaltungen buchen – so kann das Sicherheitstraining beispielsweise mit einmaligen Fahrerlebnissen kombiniert werden. Der seit Dezember 2005 eingeführte Führerschein auf Probe verlangt, dass nach der praktischen Führerprüfung zwei obligatorische Ausbildungstage absolviert werden. Neulenker haben dafür drei Jahre Zeit. Die Test & Training tcs AG, die verschiedenen Sektionen des TCS und einige Partner bieten diese 2-PhasenKurse an mehr als 30 Standorten in der Schweiz an – unter anderem natürlich auch im neuen VSZ Derendingen. Wer einen Standort in der eigenen Region sucht, wird unter www.2phasen.tcs.ch fündig. Fahranfänger unter 25 Jahren finden beim speziell auf sie zugeschnittenen Cooldown Club (www.cooldownclub.ch) sinnvolle Tipps und finanzielle Vorteile, unter anderem eine Vergünstigung von bis zu 150 Franken auf die 2-Phasen-Ausbildung. herbst 2012 043


fahrtermin

Eine Freundschaft

fürs Leben Der Mercedes G ist das Auto für die Ewigkeit. Oder mindestens für dreissig Jahre Text Wolfgang Peters · Fotos Werk

W

ir sind mit einer Legende verabredet. Mit einem Fahrzeug, wie es in der Wegwerfgesellschaft keines mehr gibt. Ersonnen vor knapp vier Jahrzehnten und konstruiert für die Belastungen einer Expedition in das Innere des Kraters Krakatao, kraft seines Alters schon mehrmals modellgepflegt und von innen nach aussen renoviert, wie es der Stand der Technik forderte, und dabei im Kern geblieben, wie es immer war: Das G-Modell von Mercedes-Benz scheint gebaut für eine automobile Ewigkeit und ist geeignet, als gern akzeptierte Erbmasse vom Vater auf den Sohn und dann später auf dessen Sohn überzugehen. Ja, das G-Modell ist ein Wagen für den Generationenvertrag. Und gleichzeitig Beispiel für Nachhaltigkeit, die man nicht mit immer neuen Modellen erreicht. Zur Legende wird ein Automobil nicht aus strategischer Berechnung. Dieser Titel fällt einer Baureihe zu oder nicht. Dazu gehören eine eiserne Gesundheit, Abenteuer und Anekdoten, belastbare Eigenschaften, ein Charakter aus Verzicht und Vergnügen 044 VECTURA #4

sowie eine gewisse Arroganz im Auftreten und vor allem eine unerhörte Vorsicht bei der Akzeptanz modischer Attribute. Aber auch eine ruhige Klarheit im Wesen und jene Entschlossenheit, die weder Geröll noch den Teufel fürchtet und weder vor dem Boulevard der Eitelkeiten noch vor den banalen Einsätzen der Bourgeoisie zurückschreckt. Die beste Eigenschaft des G-Modells: Das kastenförmige Vehikel kann alles. Seit jeher. Die Basis seines Langzeiterfolgs war die Konzeption für den Einsatz jenseits aller Strassen, worauf noch eingegangen wird. Allerdings haben sich die Schwerpunkte in seinen Eigenschaftswertungen und in seinen Einsatzgebieten im Laufe eines biblischen Lebens deutlich verschoben. Das belegt schon der Hinweis auf eine mild veränderte Namensgebung: Aus dem G-Modell wurde in der modischeren Nomenklatur des Herstellers die G-Klasse. An der Klasse des G-Modells hat sich dadurch nichts geändert. Es ist nach Meinung von Experten und Fans noch immer der beste Geländewagen der Welt. Heute nur mit mehr Schmalz und Seide und Pomp denn je zuvor.


evolution

Die alte Weisheit, der Krieg sei der Vater aller Dinge, gilt für die G-Klasse in gemässigtem Umfang. Anfang der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts kam der letzte Schah von Persien auf die Idee, in der Armee seines Landes möge doch bitte ein moderner Geländewagen Dienst tun. Dass diese Vorstellung bei MercedesBenz umgesetzt wurde, ereignete sich vor dem Hintergrund eines Engagements von Persien (aus dem alsbald der Iran werden sollte) mit einer netten Aktienbeteiligung am Kapital des im Schwäbischen logierenden, aber global agierenden Unternehmens. Der Schah wurde von der Revolution weggespült, aber die Idee vom Geländewagen überlebte. Vielleicht war das schon ein erster Hinweis auf das lange Leben des G.

Legendenbildung: erste Skizzen und ein Tonmodell Mitte 70er-Jahre

Denn die Schweizer Armee dachte zu dieser Zeit ebenfalls über ein derartiges Fahrzeug nach, und aus Norwegen und aus Argentinien kamen ähnliche Wünsche. Da fand es sich trefflich, dass in Österreich Steyr-Daimler-Puch seinen Haflinger baute. Ein anspruchsloses Gefährt für die Arbeit auf der Alm, und die Mercedes-Männer in der Abteilung Nutzfahrzeuge beschäftigten sich mit einem ebenso frugalen, aber fantastisch talentierten Alleskönner, nämlich mit ihrem universalen Motorgerät, kurz Unimog genannt. Es kamen beide Unternehmen, und damit Haflinger und Unimog, zusammen und über mehrere Vertragsschritte wurden dann 1975 eine gemeinsame Entwicklung und schliesslich der Produktionsbeginn des G-Modells Anfang 1979 im österreichischen Graz beschlossen. Auf dem Programm standen nicht mehr und nicht weniger als Zeugung und Geburt des nach

Prominenter Fahrgast: Johannes Paul II. anno 1980 im Papamobil

herbst 2012 045


evolution

Ansicht vieler Experten weltbesten Geländewagens. Dass sich daraus eine Legende der Kontinuität und des Könnens entwickeln sollte, ahnte damals natürlich noch niemand. Ebenso wenig war klar, dass der G direkt in die Entwicklung eines Lebensgefühls hinein beschleunigte, das ihn zu einem Fahrzeug der Verehrung, fast der Mystifizierung, machen sollte. Die Freizeit- und DrittwagenGesellschaft schien auf den G geradezu gewartet zu haben. Heute, im späten Jahr 33 nach der ersten Auslieferung eines G-Modells, gibt es noch immer keine Spuren von Müdigkeit im Umfeld dieses Autos. Vor zehn, zwölf Jahren kamen zum wiederholten Male Gerüchte auf, mit dem G könnte es nun doch allmählich zu Ende gehen. Mercedes baute eine Flottille flotter Geländegänger auf der Basis der M-Klasse auf und der alte Kasten mit seinen Kanten wirkte immer störrischer und irgendwie auch sturer. Und doch gleichzeitig wie eine lieb gewordene Vitrine der Erbtante, die darin ihr Silber aufbewahrte. Jürgen Hubbert, in jener Zeit Chef der Personenwagensparte von Mercedes-Benz, sagte damals gerne, man werde die G-Klasse so lange bauen, wie sich Käufer dafür fänden. Daran hat sich bis in die Gegenwart nichts geändert. Insgesamt wurden bis jetzt etwa 220 000 Exemplare gefertigt, und die meisten davon sind noch «still going strong.» Zur aktuellen Modellfamilie Jahrgang 2012 gehören drei Versionen, denen eine gewisse Normalität anhaftet, und zwei Varianten, die für extraterrestrische Regionen geeignet sein könnten. Es gibt den G350 Bluetec und den G500, beide mit langem und den G500 auch als Cabrio mit zeltähnlichem Verdeck und kurzem Radstand. Über diesen Versionen und damit quasi in den wolkigen Abteilungen der Reichsten und Schönsten halten sich die Ableitungen des zu Mercedes gehörenden einstigen Tuning-Unternehmens AMG auf, deren Biturbomotoren mit acht oder zwölf Zylindern für Leistungen sorgen, die manchen Zeitgenossen nicht ganz zu Unrecht beinahe als apokalyptisch anmuten. Eine weitere Version ist für Profis jedweder Ausrichtung geplant: Der G300 Professional ist frei von den Glitzer- und Glamour-Elementen der AMG-Abkömmlinge; Quellwasser-Robustheit statt Prosecco-Lifestyle definiert diese Variante, und wer beim Betreten ihres schlichten Führerstandes aufmerksam schnuppert, wird mit dem Hauch von Männerschweiss konfrontiert. Und zwar auch in den flammneuen Exemplaren. Aber das mag eine Täuschung der überreizten Sinne sein. Die Geburtsentscheidung, den besten Geländewagen zu bauen, führte zunächst nur zu technischen Konsequenzen. Diese sollten so ausgelegt sein, dass der G nicht nur jenseits von Asphalt vorankam, sondern auch für geschmeidige Reisen komfortverwöhnter Passagiere zu taugen hatte. Fahr- und Federungskomfort sollten mit jenen in einem Limousinen-Mercedes vergleichbar sein. Mit hohem Aufwand wurden diese Ansprüche erfüllt, und

Bewährte Methoden: Nach wie vor wird die G-Klasse im österreichischen Graz händisch zusammengeschweisst. Eine automatisierte Fertigung hat sie nie gesehen

046 VECTURA #4


die Forderungen verwöhnter Kundschaft konzentrierten sich immer deutlicher auf Komfort und Leistung. Deshalb wurden die beiden Startbaureihen 460/461 zum Ende der achtziger Jahre in den Typ 463 überführt, der fortan mit permanentem Allradantrieb (zuschaltbarer 4x4-Antrieb wie bei 460/461 konnte nicht mit ABS arbeiten) für eine exklusive Kundschaft sorgte. Technisch hielt sich der G mit drei (!) sperrbaren Differentialen, mit seinem Leiterrahmen und mit seiner passiven Sicherheit ohnehin an der Spitze der Offroad-Bewegung. Zu unserer Verabredung kommt die aufrechte Legende im jüngsten Kleid nach der Renovierung. Schon der erste Blick zeigt: Der G hat nichts von seiner Urtümlichkeit und der Orientierung seiner Eigenschaften am grösstmöglichen Hindernis verloren. Auf den vorderen Radhäusern sitzen noch immer jene faustgrossen Blinker, mit denen man auch havarierten Seeleuten im Sturm den Weg weisen könnte. Und die Türgriffe wirken, als könne man das gesamte Auto daran aufhängen. Mit einem metallischen Knacken öffnen die Portale, und sie schliessen mit der Endgültigkeit der Tore eines Sanatoriums. Das Einsteigen ist eine kleine Bergtour, und wer dann Platz genommen hat, lebt und regiert in einem Hochsitz auf der Jagd nach den Reisezielen dieser Welt. Dafür gibt es jeden Komfort, der in einem Auto zu haben ist. Und trotzdem herrscht die Anmutung einer Einfachheit, die allerdings nicht auf die Sparsamkeit des Mangels zurückblickt, sondern mit steigenden Ansprüchen ihren Inhalt erweiterte, ohne die Funktionalität verloren zu haben. Daran rütteln auch die mit der jüngsten Überarbeitung eingezogenen Displays und Zierteile nichts. Alles bleibt besser im G und alles bewegt sich im G ein wenig schwerer: Die Drucktasten rufen nach kräftigen Daumen, das Volant prüft den Griff der Fäuste und alles wirkt wie für die Ewigkeit genäht, gestichelt, geschraubt, gefräst und gefügt. Solidität zum Anfassen. Materialgüte als optische Streicheleinheit. VerwöhnAroma für die Fingerkuppen. Ein Leder wie der geschmeidige Pfotenballen des tapferen Hundes. Die Sitzposition ist nicht viel

Typenkunde: Baureihe 460 mit vier Karosserien,…

…ein kurzer Stationwagon (463) Baujahr 2003…

…und der revitalisierte 461er in der Edition-Version für extreme Einsätze

herbst 2012 047


1979

1982

1990

Typologie: G-Klasse-Entwicklung von 1973 bis heute 1973 Im

April entsteht das erste Holzmodell des künftigen MercedesGeländewagens.

1974 Der

erste fahrbereite Prototyp wird erprobt.

1975 Eine

zweite Machbarkeitsstudie bestätigt die Erfolgsaussichten für einen Geländewagen von Mercedes-Benz. Beginn der Bauarbeiten für eine neue Produktionshalle in Graz.

1979 Das G-Modell wird in Südfrankreich zum ersten Mal der Presse vorge-

stellt. Die Produktion der Baureihe 460 (kurz oder lang geschlossen, kurz mit Softtop) startet in Graz am 1. Februar 1979 mit den Modellen 240 GD, 300 GD, 230 G und 280 GE und einer Leistungsspanne von 72 bis 150 PS (53–112 kW). In Österreich, der Schweiz und den sozialistischen Ländern des Comecon heisst das Modell Puch G. Servolenkung und beide Differentialsperren sind optional erhältlich. 1980 Ein

geschlossener Kastenwagen mit kurzem oder langem Radstand erweitert das Angebot.

1981 Erste

Modellpflege: Optional erhältlich sind für den 280 GE und den 300 GD Automatikgetriebe, Klimaanlage, Längssitzbänke für die Ladefläche, Zusatztanks, Tropendach, Scheinwerferschutzgitter, Seilwinde, ein Hardtop für das Cabrio und der mechanische Nebenabtrieb. Statt fünf stehen jetzt 22 Farbtöne zur Verfügung.

1982 Der

neue 230 GE mit Benzineinspritzung und 125 PS (92 kW) löst den 230 G mit Vergasermotor ab. Recaro-Sitze, Zusatzheizung, Breitreifen auf Leichtmetallfelgen und Kotflügelverbreiterung sind auf Wunsch lieferbar.

1983 Den

230 GE gibt es wahlweise mit Viergang-Automatikgetriebe. Im Rahmen der zweiten Modellpflege werden vier neue Metallic-Farbtöne und ein Fünfganggetriebe angeboten – dazu Acht-Zoll-TandemBremskraftverstärker und ein neues Klappverdeck für das Cabrio. Jacky Ickx und Claude Brasseur fahren bei der Rallye Paris–Dakar mit einem 280 GE als Erste durchs Ziel.

1985 Dritte

Modellpflege mit serienmässigen Differentialsperren, Zentralverriegelung und Drehzahlmesser. Das Cabrio erhält anstelle der einfachen Plane ein Klappverdeck.

1986 Die

Benzinermodelle 230 GE und 280 GE sind mit geregeltem Katalysator lieferbar. Im Juli fährt das 50 000. Exemplar der G-Klasse vom Band.

048 VECTURA #4

1987 Vierte

Modellpflege mit neuen Sonderausstattungen: elektrische Fensterheber, automatische Antenne und Doppelrollo für die Kofferraumabdeckung und ein grösserer Tank. Das Fahrgestell mit Fahrerhaus und 3,12 Meter Radstand kommt ins Programm. Der 250 GD mit 84 PS (62 kW) löst den 240 GD ab. Planungsbeginn für die spätere Modellreihe 463.

1988 Neuer

Sechszylinder-Dieselmotor für den 300 GD. Fahrer- und Beifahrersitz werden mit Armlehnen ausgestattet.

1989 Zum

10-jährigen Jubiläum erscheint das Sondermodell 230 GE Classic in limitierter Auflage von 300 Exemplaren. Präsentation der neuen Baureihe 463 mit permanentem Allradantrieb, Edelholz-Innenausstattung und auf Wunsch ABS im September auf der IAA in Frankfurt.

1990 Markteinführung

der Baureihe 463 (permanenter Allradantrieb, geändertes Armaturenbrett) im April mit den Modellen 230 GE, 300 GE, 250 GD und 300 GD. Drei Karosserieversionen stehen zur Auswahl. Ende der Produktion des 280 GE und des 300 GD der Baureihe 460.

1992 Produktion

des G-Modells in Griechenland, das als CKD-Fahrzeug (Completely Knocked Down) in Einzelteilen an den Montageort geliefert wird. Markteinführung der Baureihe 461 für professionelle Anwender – eine überarbeitete Variante der bisherigen Baureihe 460. Die Modellpalette umfasst den 230 GE und den neuen 290 GD, der den bisherigen 250 GD ablöst. Erste Modellpflege des Typs 463: Tempomat, Reserveradabdeckung aus Edelstahl, seitliche Trittbretter, Gepäckraumabdeckung und Wurzelnussholz sind auf Wunsch lieferbar. Im April wird der neue 350 GD Turbodiesel mit 136 PS (101 kW) eingeführt. Im Juni entsteht der 100 000. Geländewagen der G-Klasse.

1993 In

der Modellreihe 461 kommt ein Fahrgestell mit Fahrerhaus und 3,4 Meter Radstand ins Programm. Das Achtzylinder-Sondermodell 500 GE wird präsentiert. Es bietet einen leistungsstarken V8-Motor mit 241 PS (177 kW) sowie eine besonders luxuriöse Ausstattung und ist auf 500 Exemplare begrenzt. Das «G» wandert nach vorn: Die G-Modelle heissen jetzt offiziell G-Klasse, und die Typenbezeichnungen lauten G 230, G 300, G 350 Turbodiesel etc.

1994 Zweite

Modellpflege der Modellreihe 463 mit innenbelüfteten Scheibenbremsen vorn und serienmässigem Fahrerairbag. Der 210 PS (155 kW) starke G 320 löst den bisherigen G 300 ab.

1995 Alle

Modelle der G-Klasse werden mit Zentralverriegelung per Fernbedienung und Wegfahrsperre ausgestattet.


chronik

2000

2007

1996 Der

G 300 Turbodiesel mit 177 PS (130 kW) und elektronisch gesteuertem Fünfgang-Automatikgetriebe wird vorgestellt. Er ersetzt den G 350 Turbodiesel. Modellpflege und Aufwertung der 463er-Serienausstattung durch Scheinwerfer-Reinigungsanlage, Tempomat und Beifahrerairbag.

1997 Das

Cabrio der G-Klasse mit elektropneumatischem Verdeck wird präsentiert. Beim 463 löst der V6-Motor im G 320 den bisherigen Reihensechszylinder ab. Die elektronisch gesteuerte Fünfgang-Automatik ist im G 300 Turbodiesel und im 320 erhältlich. In der Baureihe 461 ersetzt der 290 GD Turbodiesel mit 120 PS (88 kW) den 290 GD mit Saugdieselmotor.

1998 Vierte

Modellpflege: Neben dem G 320 und dem G 300 Turbodiesel wird als Spitzenmodell der neue G 500 mit 296 PS (218 kW) angeboten.

1999 Im

März wird zum 20. Geburtstag der G-Klasse das exklusive Sondermodell G 500 Classic vorgestellt. Die Stückzahl ist auf 400 Fahrzeuge limitiert. Das Multifunktionslenkrad erweitert die Serienausstattung der G-Klasse. Der G 55 AMG wird präsentiert. Sein V8Motor leistet 354 PS (260 kW). Der Mercedes-Benz G 500 Guard erscheint in drei verschiedenen Sonderschutzversionen.

2000 Die

neuen Modelle des Jahrgangs 2001 werden auf dem Pariser Automobilsalon vorgestellt – mit neuem Interieur für noch mehr Komfort. Der G 400 CDI mit neuem V8-Dieselmotor (250 PS/ 184 kW) ersetzt den G 300 Turbodiesel. Die V8-Modelle erhalten neue Leichtmetallfelgen, eine verchromte Kühlermaske und Stossfänger in Wagenfarbe. Produktionsende der Puch-Varianten.

2001

Ab Herbst wird die G-Klasse mit neuen Fahrdynamiksystemen vorgestellt. Dazu zählen ESP, ein Brems-Assistent sowie elektronische Traktionskontrolle.

2002 Der

neue G 270 CDI mit 156 PS (115 kW) starkem Fünfzylinder-Dieselmotor erscheint. Produktionsende der 461er-Ausführung; sie wird fortan nur noch für das Militär gebaut. US-Verkaufsstart der G-Klasse unter der Bezeichnung «G Wagon».

2003 Die

G-Klasse erhält in die Aussenspiegel integrierte Blinker.

2004 Weltpremiere

des neuen G 55 AMG mit V8-Kompressormotor und 476 PS (350 kW) auf dem Genfer Automobilsalon. Die G-Klasse feiert ihr 25-jähriges Jubiläum.

2006 Der

G 55 AMG leistet jetzt 500 PS (368 kW). Erstmals werden BiXenon-Scheinwerfer, Nebelleuchten mit Abbiegelicht und neue,

2012

kratzfestere Nanolack-Farbtöne angeboten. Der G 320 CDI mit 224 PS (165 kW) und serienmässigem Partikelfilter ersetzt die Dieselmodelle G 270 CDI und G 400 CDI. Gleichzeitig entfällt der G 320. 2007 Die

letzte Ausbaustufe des G 55 AMG leistet 507 PS (378 kW). Erneute Modellpflege: Kombiinstrument mit vier analogen Rundinstrumenten, eine modifizierte Mittelkonsole mit neuen Reglern und Schaltern und ein modernes Vierspeichen-Multifunktionslenkrad bilden ab diesem Modelljahr die Kommandozentrale. Das Bedienund Anzeigegerät Comand APS mit DVD-Navigationssystem, integriertem Radio, CD-Player und Telefontastatur ist serienmässig (optional im G 320 CDI). Neue Heckleuchten erstrahlen in moderner LED-Optik. Erweiterte Sonderausstattungen, unter anderem mit Rückfahrkamera, Reifendruckkontrolle oder einem Interieurpaket mit robuster Ledernachbildung.

2008 Der

G 500 erhält einen neuen 5,5-L-V8-Motor mit 388 PS (285 kW) und 530 Nm Drehmoment. Mit einer geänderten Kühlermaske im 3-Lamellen-Design präsentiert sich die G-Klasse ab Herbst des Jahres. Zeitgleich kommt auch die neue Telematikgeneration mit schneller Festplattten-Navigation, Bluetooth-Schnittstelle für den Betrieb von Mobiltelefonen und Sprachbedienung zum Einsatz.

2009 Neue

Sitzanlage und überarbeitete Innenraumgestaltung. Die G-Klasse feiert ihren 30. Geburtstag: Zum Jubiläum präsentiert Mercedes-Benz die Sondermodelle EDITION30 – Basis ist der G 500 – und EDITION30.PUR; Letzterer entspricht technisch dem G 280 CDI in der frugalen Militär-Variante 461 und feiert nun sein ziviles Comeback.

2010 Aus

dem G 280 CDI wird Ende Jahr der G 300 Professional mit nun 181 PS (135 kW).

2011 Neuer

V6-Dieselmotor im G 350 mit modernster Bluetec-Technologie und Harnstoff-Einspritzung für besonders niedriges Emissionsniveau; die Leistung beträgt 211 PS (155 kW).

2012 Präsentation

der vorerst letzten Ausbaustufe im April auf der Auto China in Peking. Aussen mit LED-Tagfahrleuchten und anderen Aussenspiegeln, innen komplett neues Armaturenbrett. Dazu kommen ein überarbeitetes ESP mit Anhängerstabilisierung sowie neue Sicherheitsfeatures wie Totwinkel-Assistent, Einparkhilfe oder Abstands-Tempomat. Die neuen Topmodelle heissen G 63 AMG (Achtzylinder-Biturbo mit 536 PS/400 kW, ab 189 100 Franken) und G 65 AMG: Er bringt erstmals einen V-Zwölfzylinder in den G, der dort dank Biturbo satte 612 PS (450 kW) und 1000 Nm abgibt und mindestens 356 000 Franken kostet, was ihn zum aktuell teuersten Mercedes-Serien-Pw macht. Der Verkauf startet im Sommer.

herbst 2012 049


Guter Jahrgang: 2012er G 350 Bluetec mit langem Radstand

050 VECTURA #4


evolution

niedriger als in einem Truck und der kabinenähnliche Aufbau ist ein Abteil zum mobilen Wohnen. Ein Planwagen mit festem Dach und steil stehenden Scheiben. In der Einsamkeit der Wüste führen mehrere G-Fahrer ihre Gefährte zur Wagenburg zusammen. Andere Geländewagen ignoriert der G-Fahrer gerne. Alles Untertanen. Das gilt auch für die Leistung. Anfänglich hatte Mercedes hier mit schmalbrüstigen Dieseln zu tief gestapelt; 94 PS waren das Existenzminimum, aber nicht ausreichend für geschmeidiges Fahren auf dem Weg ins Skigebiet geeignet. Doch dann kamen schnurrige V8 und dickere Diesel mit absolut fettem Drehmoment und (relativ) magerem Durst. Und jetzt brodeln unter der kantigen Haube reinrassige Hochleistungs-Sportmotoren. Vielleicht kann man sie lieben, wenn man ein reicher Russe ist, sein Vermögen mit Wodka gemacht hat und hinter kugelsicheren Scheiben leben muss. Für den Genuss des G genügt ein sanfter Diesel wie der im 350 Bluetec. Dessen V-Sechszylinder hat ein Drehmoment wie eine Winternacht am Fusse des Matterhorns, und wer auf ihn hört, der kann die alten Stories von Niemals-Aufgeben und Immer-Durchkommen für die Kinder und Kindeskinder bewahren – so wie den ganzen G.

G-Force: Die neuen AMG-Versionen haben bis zu 612 PS

herbst 2012 051


Am Sande meines Herzens Zum 33-Jahre-Jubiläum verneigen wir uns vor der Mercedes G-Klasse, die aus Graz kommt und erst einmal in der Wüste berühmt wurde – lange vor der Flaniermeilen-Show in Beverly Hills, Dubai und Moskau Text Herbert Völker · Fotos Werk, Reinhard Klein

D

re des Überrollkäfigs und Verstärkungen an Vorderachse und Motoraufhängung. Der 2,8-Liter-Benziner bekam eine etwas geheimnisvolle Mercedes-Nockenwelle – «mehr Schmalz von unten», wie sie in Stuttgart sagen.

Bei der ersten und zweiten Dakar durfte übrigens auch ein bemerkenswert hässliches Auto mitfahren, das vielleicht nicht zufällig Iltis hiess. Sein Hersteller ritterte ebenfalls um internationale Militäraufträge, dann aber geriet der Dakar-Sieg von 1980 zur Geburtsstunde der smarten Variante einer Konzerntochter. Sie hat praktischerweise ihren alten Namen behalten, Audi. Wem das zu verschwurbelt klingt: Der heutige Schlachtenlenker, Piëch, liess als damaliger Cheftechniker die Dakar-siegreiche Allradtechnik des Iltis zum Quattro-Prinzip veredeln und begründete damit die progressive Linie von Audi.

Von Terror und Entführungen in Nordafrika war damals noch nicht einmal ansatzweise die Rede. Was uns aber nachts bibbern liess, zusätzlich zur Kälte am Boden, war die Angst vor dem Verlorengehen und Nie-mehr-gefunden-werden. GPS existierte nur als Gerücht beim amerikanischen Militär; für jeden Check am Kompass mussten wir noch aussteigen und zehn Schritte vom Auto weggehen. Die Anleitungen zur Strecke (Road Book) lasen sich in der Übersetzung beispielsweise so: «Bevor du die äusseren Hütten von Silet erreichst, gehst du auf Kurs 280, kommst in weiches Gelände, lavierst dich durch zwei Dünen durch, am Kamm siehst du auf 180 drei schwarze Berge, du wirst sie aus den Augen verlieren, später musst du zwischen erstem und zweitem Berg durch, vorerst aber bleibst du auf westlichem Kurs.»

Beides war gleich aufregend: der junge G und die frisch erfundene Wüstenrallye. Ich redete den Steyr-Daimler-Puch-Leuten ein Loch in den Bauch, um ein Werksauto für die Dakar 1982 zu bekommen, zwar als Journalist und nicht in Wertung, sonst aber voll integriert und auf Höhe des Wettbewerbs, denn anders hätte sich ja die tägliche Marschtabelle nicht einhalten lassen. Mein Partner war der wunderbare Fotograf Reinhard Klein (www.mcklein.de). Die wichtigsten Umbauten am G betrafen den Zusatztank (170 Liter, also 260 insgesamt), die armdicken Roh-

Tatsächlich war 1982 ein Schlüsseljahr, was Verirren und Vermisstsein betraf. Mark Thatcher, Sohn der britischen Premierministerin, ritt mit seinem Peugeot 504 ins Nirwana. Das waren Headline-News für eine ganze Woche, sogar die französische Luftwaffe wurde aufgescheucht. Am Ende entdeckte eine algerische Hercules den jungen Herrn im Grenzgebiet zu Mali, etwas trocken in der Kehle, aber sonst okay. Das Riesentheater führte dazu, dass ab 1983 alle Teilnehmer Funksonden für den Notfall bekamen. Wer das Ding aktivierte, sollte spätestens am dritten

ie Mercedes G-Klasse (für uns damals Puch G) und die Rallye Paris–Dakar sind gleich alt, 33. Die Dakar begann in unschuldiger Liebe zu allen hell- und dunkelhäutigen Stämmen auf ihren Routen. Der G verdankte sein schmuckloses Äusseres den Militärs, im Vorfeld hatte der Schah von Persien eine wichtige Rolle gespielt; er hielt seinerzeit 18 Prozent Anteile an Mercedes. Man vergisst solche Dinge, Daimler hatte ja im Lauf der Jahrzehnte nicht nur Chrysler am Hals.

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RUBRIKEN Rückspiegel

Tag geborgen werden. Grundsätzlich brauchte man vor der GPSZeit (ab 1986) schon einiges Glück, um jeden Abend ins neue Lager zu finden. Zu unseren Teamkollegen, wenn man so sagen darf, gehörte auch Grand-Prix-Star Jacky Ickx mit seinem Beifahrer, dem französischen Schauspieler Claude Brasseur (Filmvater von Sophie Marceau in «La Boum», aber noch besser in seinen Cop-Rollen, dann auch als Mussolini, wofür er den idealen Schädel hatte). Ickx/Brasseur fuhren einen von Mercedes präparierten 280 G und wurden Fünfte. Auch wir, in unserer wohl angebrachten Demut, hatten unser Bestes gegeben, hatten Dakar erreicht und der Welt davon berichtet. Grösstes Missgeschick war die Plünderung des Autos auf dem Schiffstransport retour. Im Grazer Puch-Werk machten sie einen 10 000-Kilometer-Service und überliessen uns dasselbe Auto auch für die folgende Dakar, also 1983. Thierry Sabine, der legendäre Begründer der Rallye, war erst 33, als er am Morgen des sechsten Tages zum Halbkreis der 500 Kumpels sagte: «Am Abend werdet ihr mich hassen.» Es ging um die Durchquerung des Ténéré, eine 600-km-Etappe im grimmigsten Stück der Sahara, damals aberwitzig, heute völlig undenkbar. Wie wir’s geschafft haben (und 150 andere auch), ich kann’s nicht mehr sagen. Strahlende Sieger dieser Rallye waren Ickx/Brasseur auf Mercedes G. Es war der Höhepunkt im ersten Leben der eckigen Kiste aus Graz, noch ohne jede Elektronik in den Kraftschlüssen. Dass auch zwei patscherte Journalisten schon zum zweiten Mal

im Renntempo nach Dakar gefunden hatten, stiess bei Mercedes und Puch ebenfalls auf Wohlwollen, und wir wurden geradezu eingeladen, es noch ein drittes (und dann viertes) Mal zu versuchen. Zur Abwechslung wollten sie uns auf einem Vierzylinder sehen, also 230 GE, was vom Marketing her interessanter war als beim Schwungholen in den Dünen. Der Sechszylinder war ja doch das ideale Format für den G (bevor die modernen Diesel kamen, von Achtzylinder und V12-Overkill nicht zu reden, das gehört ins vierte, also aktuelle Leben des G). 1984 erlebten wir die ausuferndste aller Dakar-Strecken, mit weitem Bogen nach Süden, durch die Elfenbeinküste, Sierra Leone und Guinea. Wir brachten den G auch 1985 ins Ziel, hatten aber, speziell im Ténéré, das Gefühl, unser Konto bei allen Schutzengeln der beschleunigten Wüstentrips langsam zu überziehen. Die Dakar zeigte auch schon klare Ansätze, jenes Monster zu werden, das irgendwann nicht mehr in die afrikanische Dimension passen würde. Immer öfter wurden die Biwaks neben Landestrips eingerichtet, und nachts ging es zu wie in Heathrow. Der G war für Spitzenteams kein Sieganwärter mehr, nicht gegen hochbeinige Allrad-Porsches und Leichtbau-Pajeros. Da war aber der Ruf des Modells schon solide gefestigt, in der ganzen Welt der Hardcore-4x4-Fans, fernab jeder Mode. Wenn uns allerdings jemand gesagt hätte, dass dieses eckige Trumm ein Vierteljahrhundert später die hippste Erscheinung in Beverly Hills sein würde, hätte ich von Schlafsack zu Schlafsack gemurmelt: «Reinhard, die Wüste macht uns ja doch fertig. Versuch ein bissl zu schlafen.» herbst 2012 053


Vier gewinnt Mercedes nennt sie den «Gipfel des permanenten Allradantriebs». Doch wie patent ist die markeneigene 4matic wirklich? Text Hubertus Hoslin · Fotos Werk

4

matic – so heisst der permanente, elektronisch geregelte Allradantrieb von Mercedes, und in der Bezeichnung ist bereits alles enthalten, worum es geht: Vierradantrieb und automatisch. Dabei geht es nicht nur um Gelände-, sondern vor allem um Personenwagen, denen dieses Antriebskonzept bei nassen oder winterlichen Strassenverhältnissen zu mehr Traktion und Stabilität verhelfen soll. Weil die 4matic vollkommen selbstständig agiert und der Fahrer nichts beachten muss, bietet das System auch einzigartigen Komfort sowie bestmögliche Sicherheit. Und sorgt dafür, dass der Fahrspass nicht auf der Strecke bleibt. 49 Mercedes-Modelle aus zehn Baureihen, darunter auch der flammneue CLS Shooting Brake, sind inzwischen mit diesem intelligenten 4x4-Antrieb erhältlich. Doch 4matic ist nicht gleich 4matic: Je nach Anforderungsprofil kommen massgeschneiderte Systeme zum Einsatz. Die M-Klasse bietet beispielsweise eine 4matic, die neben dem souveränen wie sicheren Antrieb auf der

Auch mit 4matic erhältlich: Mercedes CLS Shooting Brake

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Strasse auch hochkarätige Offroad-Technik umfasst. Hier ergänzen sinnvolle, teils optionale Zusatzsysteme die 4matic, um deren volles Potential auch auf losem Untergrund ausschöpfen zu können. So stehen nebe n dem Automatikprogramm auch zwei spezielle Offroad- sowie die drei Strassen-Modi «Winter», «Sport» und «Anhängerbetrieb» zur Verfügung. In der E-Klasse ist wiederum eine 4matic-Version verbaut, die optimales Leistungsvermögen auf Asphalt garantiert. Bei der Abstimmung standen Fahrstabilität und aktive Sicherheit klar im Vordergrund. Doch wie genau funktioniert die 4matic? Sie kann Radschlupf mit Hilfe moderner Mikroelektronik und Hydraulik erfassen und begrenzen, um die Längsdynamik und damit die Spurstabilität eines Autos zu verbessern. Das System besteht im Wesentlichen aus einem Verteilergetriebe, welches in die Automatik integriert ist und die Antriebskraft situativ auf Vorder- und Hinterachse verteilt. Dank einer Sperre des Zentraldifferentials können bis zu 100


technik

Prozent der Antriebskraft zu einer Achse geleitet werden. Das geschieht permanent, sodass die Technik immer einsatzbereit ist – ohne die bei anderen Allradsystemen übliche Reaktionszeit. Diese Grundkonzeption ermöglicht hohe Traktionswerte, weil die beim Beschleunigen auftretende dynamische Achslastverschiebung Richtung Hinterachse genutzt wird, um dort mehr Antriebsmoment abzusetzen. Die Lamellensperre kann das Antriebsmoment aber auch variabel von 30 zu 70 beziehungsweise 70 zu 30 Prozent zwischen Vorder- und Hinterachse verschieben, falls die Strassenverhältnisse das erfordern. So kann der Eingriff der elektronischen Hilfssysteme ESP, Traktionskontrolle oder Schlupfregelung möglichst spät erfolgen, ein Grossteil des Antriebsmoments wird auch auf glatten Strassen in Vortrieb umgesetzt. Alle Regeleingriffe erfolgen fast unmerklich. Trotzdem erfährt der Fahrer sofort, wenn er sich dem Grenzbereich nähert. In diesem Fall blinkt im Kombi-Instrument ein gelbes Warnsymbol. Dies ist das eindeutige Signal, die Fahrweise den Strassenverhältnissen anzupassen. Bei den jeweils umfangreichen Abstimmungsarbeiten stand die nochmalige Erhöhung der Längstraktion bei gleichzeitig verbesserter Querdynamik und Fahrsicherheit im Fokus. Diese Vorgaben konnten die Entwicklungsingenieure mit spezifischen Steuerungsmechanismen im Antriebsstrang realisieren. Die Allradgeschichte von Mercedes geht im Grunde genommen auf das Jahr 1903 zurück: Damals begann Paul Daimler mit der Entwicklung zum «Dernburg-Wagen», einem Pw mit Allradantrieb und -lenkung. Seither hat der Hersteller weitere 4x4-Lösungen präsentiert – unter anderem mit sechs Rädern (Mercedes G1, Typencode W103, gebaut von 1926 bis 1928), verbesserter Vierradsteuerung (G5, W152, 1937–ʼ41) oder klassischem, weil mechanisch mit drei Sperren operierendem Allradantrieb (G-Modell). Die erste 4maticGeneration kam 1987 in der damaligen E-Klasse (W124) auf den Markt; der Vorderradantrieb wurde hier noch bedarfsweise auto-

matisch zuschaltet. Die technischen Voraussetzungen hatte 1978 das Antiblockiersystem (ABS) gelegt. 1997 folgte eine permanente 4matic-Variante, die wiederum erstmals in der E-Klasse angeboten wurde. 2003 hatte man die 4matic auch dank leistungsfähiger Elektronik in Bezug auf Komfort und Fahrdynamik derart perfektioniert, dass sie nun im Topmodell S-Klasse zum Einsatz kommen durfte. Heute bildet das System einen wesentlichen Baustein der Markenstrategie, die sowohl sichersten als auch zuverlässigsten Autos der Welt zu bauen. Der permanente Allradantrieb hilft aber nicht nur bei Schnee. Bei Nässe verbessert er die Fahrbahnhaftung und vermindert das Aquaplaning-Risiko. Auch wer häufig auf der Autobahn unterwegs ist, kann von der Vierradtechnik profitieren, weil sie die Seitenwindempfindlichkeit des Wagens verringert. Diesen Vorteilen stehen ausser dem Mehrgewicht fast keine Nachteile gegenüber. Moderne 4matic-Modelle sind so komfortabel und leistungsstark wie ihre heckgetriebenen Serienbrüder, haben das gleiche Kofferraumvolumen und die gleiche Ausstattung. Und weil die 4matic in den vergangenen Jahren effizienter wurde, sank auch der Kraftstoffverbrauch. Er liegt circa einen halben Liter über den Werten vergleichbarer Modelle mit konventioneller Antriebstechnik. Beispiel E 250 CDI 4matic Blueefficiency: Bei diesem Fahrzeug hat man die 4matic erstmals mit einem Vierzylinder-Diesel kombiniert; ein Durchschnittsverbrauch von 5,6 L spricht für sich. Insgesamt darf also ohne Übertreibung gesagt werden, dass es sich bei der 4matic um eines der aktuell besten verfügbaren Allradsysteme handelt. Grundsätzlich gilt in der kalten Jahreszeit: Auch eine 4matic kann nur so gut arbeiten, wie es die Verbindung zwischen Fahrzeug und Untergrund erlaubt. Darum bitte nicht vergessen: Geeignete, ausreichend frische Winterreifen sind immer unabdingbare Voraussetzung. herbst 2012 055


Alén voran Für die Feinabstimmung des innovativen Allradantriebs im Ferrari FF verpflichteten die Italiener keinen Geringeren als den mehrfachen Rallye-Champion Markku Alén. Wir besuchen ihn im hohen Norden – und setzen uns selbst hinters Steuer Text Roland Löwisch · Fotos Lorenzo Marcinnò, rl, Collection Fanna

N

ormalerweise fliegt ein Auto auseinander, wenn es so knallt. Doch der Mann neben mir hat es so gelandet, dass gleichmässig alle vier Stossdämpfer belastet werden. Und grinst sich einen. «Ist wie bei Rallye», rollt Markku Alén mit diesem unnachahmlichen Finnen-Rrrrr und erhobener Stimme durch den Zwölfzylinder-Sound, «du kannst hier einfach auf dem Gas stehen bleiben.»

Jahre alt und noch so gut drauf wie eh und je. Also durfte er auch die Fahrwerks- und Elektronikkomponenten des Ferrari FF mitentwickeln, dank alter Bande zum Ferrari-Verwaltungsratsvorsitzenden Luca di Montezemolo. Ja, der Wettbewerb würde ihm schon ein bisschen fehlen, sagt der Finne, während er über den wirklich schmalen und glatten Eiskurs driftet, aber er sei ja noch mit der Autobranche verbandelt und überhaupt …

Na klasse Da braucht man schon Vertrauen als Beifahrer. Der Sprung kam nach einer hügeligen Geraden, auf der Alén erst mal voll beschleunigt hatte. Das rund 1,8 Tonnen schwere ItaloGeschoss namens Ferrari FF hob auf der letzten Kuppe kurz ab und schlug etwa zehn Meter weiter hart auf. Und das alles auf purem Eis: Der Schnee hier ist schon längst so gefroren wie platt gefahren.

Mit «überhaupt» kann er nur meinen, dass der Tacho momentan gerade 155 km/h zeigt und er selbst überhaupt keine Ermüdungserscheinungen. Schlafwandlerisch sicher zirkelt unser allradgetriebener «Ferrari Four» (so die Bedeutung von «FF») um die Kurven, selbstverständlich so quer wie möglich. «Glaubt man nicht, dass ein Ferrari das kann, oder?», fragt Alén schelmisch zwischendurch – und damit hat er völlig recht. Dass ein 660 PS starker 6,3-Liter-V12 in Frontmittelmotorbauweise mit abgeschalteten Fahrstabilisierungsprogrammen, vier Sitzplätzen und einem Kofferraum, der bei umgeklappten Rücksitzlehnen 800 Liter Fassungsvermögen bietet – dass so ein perfekter LangstreckenSuper-GT mit seiner Topspeed von 335 km/h wie ein Rallyeauto durch schwedische Winterwälder fliegt, ist eine Errungenschaft der jüngsten Moderne.

Es ist die dritte Runde auf dieser etwa zehn Kilometer langen Teststrecke im schwedischen Arjeplog, wo die Temperaturen schon im September unter den Gefrierpunkt fallen. Und die Bäume gefühlt viel zu nah am Strassenrand stehen. Alén, 1978 letzter Rallye-Champion vor Einführung der Fahrerweltmeisterschaft und langjähriger Werkspilot der Fiat-Gruppe, ist inzwischen 61 056 VECTURA #4


MOTORMENSCHEN

Das Geheimnis liegt hauptsächlich in dem neuartigen Allradantrieb – noch nie zuvor befand sich im seit Bestehen bislang immer heckgetriebenen Ferrari-Portfolio ein Serienfahrzeug mit Power an allen vier Rädern. Das selbst entwickelte Vierradsystem nennt Ferrari kurz «4RM», was für «quattro ruote motrici» steht. Es verteilt das Drehmoment des Motors auf alle vier Räder des Sportlers. Die grössten Vorteile: Das neuartige System ermöglicht die Beibehaltung eines klassischen Frontmittelmotors samt Transaxle-Aufbau (Getriebe und Differential an der Hinterachse) mit nur einer Antriebswelle zum Motor – und damit weniger Gewicht.

und Kupplungssteuerungen sind ebenso wie die Elektronik für das serienmässige Siebengang-Doppelkupplungsgetriebe im PTU integriert, was extrem schnelle Schaltzeiten ermöglicht. In den Gängen fünf bis sieben bleibt vorne der Antrieb grundsätzlich kalt, weil Ferrari davon ausgeht, dass normale Fahrer ihre Pferde dann im Trockenen galoppieren lassen, deshalb schnell unterwegs sind und keine Unterstützung an der Vorderachse benötigen. Um die Feinabstimmung des PTU kümmert sich Alén auch heute noch – auch wenn das Auto bereits für exakt 315 535 Franken zu haben ist.

Dass der komplette 4x4-Antrieb des FF etwa 50 Prozent leichter ist als herkömmliche Systeme der Konkurrenz, liegt hauptsächlich an der nur 170 Millimeter kurzen, rund 45 Kilo leichten und «Power Transfer Unit» (PTU) genannten Schaltzentrale des 4RM-Systems. Sie ist direkt mit dem Triebwerk verbunden und liegt über der Vorderachse. Von hier aus steuert sie die Differenz zwischen Drehzahl und Radgeschwindigkeit aller vier Räder, reguliert ausserdem das jeweils benötigte Drehmoment an der Vorderachse und sorgt dort auch für die richtige Verteilung zwischen linkem und rechtem Rad. Die Kraft nimmt sie direkt von der Kurbelwelle, indem zwei voneinander unabhängige Mehrfachkupplungsscheibenpakete aus Kohlefaser ihre Drehmomente über Achswellen an die Vorderräder leiten. Das heisst: keine mechanische Verbindung zwischen Vorder- und Hinterachse und zwei voneinander unabhängige Traktionssysteme.

Endlich Fahrerwechsel Die fiesesten Punkte der Teststrecke habe ich fest im Hirn verankert, während wir uns vorsichtig an meinen ersten Drift herantasten. Auch dabei unterstützt die

So ausgestattet ist der FF in der Lage, situativ mit reinem Hinterradantrieb und damit ganz Ferrari-typisch unterwegs zu sein, falls vorne keine zusätzliche Traktion gebraucht wird. Die Mehrfachscheibenkupplungen übernehmen auch die Aufgaben von zentralem und vorderem Differential: Hydraulische Schaltungsherbst 2012 057


Alén im Lancia Stratos bei der RAC-Rallye 1978

Alén machte das Rallyefahren 1974 zu seinem Beruf und gehörte schnell zu den Allerschnellsten der Branche; 1978 dominierte er die Saison

Korsika-Einsatz 1982 auf dem Lancia Rally 037

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MOTORMENSCHEN

Elektronik per Manettino, wie sich der Lenkraddrehschalter für Traktionskontrolle, Differential, Allradantrieb, Stabilitätskontrolle, Getriebe und Dämpfungskontrolle nennt. Die «Ice-Einstellung dort bietet maximale Sicherheit bei minimalem Fahrspass – alle Systeme sind jetzt vollaktiv und nehmen dem Fahrer fast das Denken ab. Bei «Wet», also im Nässe-Modus, sind immerhin kleinere Drifts möglich, weil jetzt alle Parameter etwas mehr Spielraum zulassen. Die «Comfort»-Stellung lässt das Auto noch mehr schwänzeln, nur Getriebe- und Dämpfereinstellung bleiben identisch. Die «Sport»-Einstellung ist auf der Rennstrecke optimal; nun schützen nur noch leichte Elektronik-Reserven vor dem Abflug. Die Grundeinstellung für finnische Rennfahrer – «ESC aus» – sollten tatsächlich nur Profis ausprobieren, sonst gibt es Physikunterricht der rotierenden Art. Alle Traktionsund Stabilitätssysteme sind dann abgeschaltet; nur mit dem Dämpfer-Knopf kann noch gespielt werden: Dessen Benutzung macht das Fahrwerk etwas weicher (ebenso im Sport-Modus) – ein Vorteil zum Beispiel beim Kurvendriften auf Schnee. Besonders stolz ist Ferrari darauf, alle Komponenten der Elektronik auch selbst entwickelt zu haben: Im 599 GTB stammt die «Vehicle-Dynamic»-Elektronik noch zu drei Fünftel von Bosch, im California immerhin noch zu zwei Fünftel. Damit sich die PTU-Elektronik auf den Zustand der Fahrbahnoberfläche optimal einstellen kann, soll man nach dem Motorstart die ersten 300 Meter gesittet fahren – was mir schwerfällt. Aber dann ist das freie Spiel mit Gaspedal und Manettino erlaubt. Hat nicht schon der erste Gasstoss mit seinem hellen Bellen die Sinne geschärft, ist es spätestens der Vortrieb. Ab 1000 Umdrehungen liegen bereits 500 Newtonmeter an, die von der Elektronik und dem Allradantrieb wunderbar auf den rutschigen Untergrund übertragen werden – und das auf ganz normalen Winterreifen. Die Einstellungen «Ice» und «Wet» fordern einen halbwegs geübten Fahrer so gut wie gar nicht, weshalb ich deren Einsatz auf ein paar Kurven reduziere. Spassig wird es ab «Comfort» – der Drift ist einfach und relativ gefahrlos. Trotzdem kann das Heck den Schneewällen hier schon bedenklich nahe kommen. Berührungen sind zu verhindern, wenn man entweder von vornherein langsamer fährt oder zur richtigen Zeit Vollgas gibt, damit sich der FF selbst aus der brenzligen Situation ziehen kann – eine sehr ungewöhnliche Massnahme für einen Ferrari. Natürlich lässt sich der FF auch langsam fahren und auf Serienwinterreifen sogar stilvoll und sicher am vereisten Berg in Bewegung setzen. Diese Übung stellt unter Beweis, dass der FF selbst im alpinen Winter alltagstauglich ist. Einem Markku Alén bereitet das natürlich nur bedingt Vergnügen. Als Champion in der fragwürdigen Disziplin, drei verschiedene Rallye-Autos innerhalb von 58 Sekunden nach dem Start hintereinander aufs Dach gelegt zu haben («...das lag an den Autos...»), will er am liebsten zurück auf seine Sonderprüfung am Sprunghügel. Soll er auch, denn er ist hoch motiviert, den Ferrari FF noch etwas feiner zu kalibrieren. Von seinem persönlichen Geschmack der ElektronikAbstimmung sollen schliesslich alle FF-Kunden profitieren. Wahrscheinlich will er aber auch noch ein bisschen den Sprunghügel geniessen. Könnte ja sein, dass Fiat ihn wegen seiner guten Arbeit beauftragt, künftig auch Zweizylinder-Puntos abzustimmen. Mit denen kann Alén zweifellos auch driften, aber die Sprünge wären vermutlich nicht so heftig…

Der Finne 1987 als Lancia-Werksfahrer

Markku Allan Alén wurde 1951 in Helsinki geboren. 1969 bestritt er seine ersten Rennen am Steuer eines Renault 8 Gordini und gewann gleich die finnische Meisterschaft seiner Klasse; weitere Einsätze mit Volvo, Fiat, Lancia, Subaru, Toyota und Ford sollten folgen. Alén machte das Rallyefahren 1974 zum Beruf und gehörte schnell zu den Allerbesten; 1978 dominierte er die Saison. Sein Pech: Die FIA-Rallye-Markenweltmeisterschaft (WRC) gab es zwar schon seit 1973, eine Fahrer-WM aber erst ab 1979. Somit ist Alén nach Sandro Munari der letzte der inoffiziellen Champions gewesen. Seinen fünf Siegen bei der Rallye Finnland 1978, ’79, ’80, ’87 und ’88 tat das aber keinen Abbruch; ebenso gewann er in England, Schweden und Griechenland. Mit 20 Gesamtsiegen liegt er in der Top Ten aller Rallyefahrer derzeit auf Platz 7 (gemeinsam mit Didier Auriol). 1995 wechselte Alén auf Asphalt und ging mit Alfa Romeo bei der britischen ITCC (International Touring Car Championship) an den Start; parallel trat er in der DTM an. Mit der Trophée Andros kehrte er 1996 auf losen Untergrund zurück; auch die Rallye Dakar ist er gleich mehrfach gefahren. 2004 wurde Alén Zweiter der finnischen Rallycross-Meisterschaft; sein letzter Rallye-WM-Einsatz hatte 2001 auf einem Ford Focus in England stattgefunden. Anton Alén (29) ist 2005 in die Fussstapfen seines Vaters getreten, ebenfalls Rennfahrer geworden und bisher auf Mitsubishi, Subaru und Abarth gestartet. map/ac

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SEINE SCHLANKE

LordSCHAFT Leichter, sparsamer, noch luxuriöser – so kommt die vierte Range-Rover-Generation daher. Mit dieser Rezeptur will sie den Titel «vornehmster Geländewagen der Welt» verteidigen. Zum Europa-Start Anfang 2013 stehen drei Motoren zur Wahl Text Boris Schmidt · Fotos Werk

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MODELLWECHSEL

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MODELLWECHSEL

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Geländewagen sind gefragt: In einem insgesamt schwachen europäischen Automobilmarkt erzielt das Allradsegment immer noch Zuwächse. Auch in der Schweiz sind viele Käufer nahezu verrückt nach den grossen Offroadern, die heute gern als SUV (Sport Utility Vehicle) tituliert werden. Befeuert wird der Boom auch durch eine immer grössere Vielzahl an Modellen: Marken, die etwas auf sich halten, führen gleich mehrere SUV im Portfolio. Geländewagen im wahren Wortsinne sind die meisten allerdings nicht mehr: Ihnen fehlt fast immer ein Untersetzungsgetriebe für den Einsatz im wirklich Groben; manche Modelle haben noch nicht einmal Allradantrieb.

Bei Land Rover in Solihull freut man sich besonders über den Boom, ist man doch neben Jeep die einzige relevante Automarke der Welt, die ausschliesslich auf SUV oder Geländewagen setzt. Nachdem schon so mancher Autoexperte den Briten eine unsichere Zukunft prophezeite, als Ford die Marke 2008 gemeinsam mit Jaguar an den indischen Tata-Konzern verkaufte, geht es Land Rover heute besser denn je. Gewiss profitiert das Haus auch vom allgemeinen SUV-Trend, man hat aber auch die richtige Mischung im Angebot: kultige Geländewagen-Tradition (Defender), den praktischen Alleskönner (Discovery), das attraktive Einsteigermodell (der just optisch und technisch überarbeitete Freelander) und – last but not least – ein Trio für die besonderen Momente des Allradlebens: Range Rover, Range Rover Sport und Range Rover Evoque. Der kleine und ebenso stylische Evoque, der 2011 debütierte und die Linie der Luxus-Landys gekonnt nach unten abrundet, wird weltweit so stark nachgefragt, dass das Werk im britischen Halewood kürzlich auf 24-Stunden-Betrieb in nun drei Schichten umgestellt werden musste. Längst gilt Range Rover bei vielen Kunden als eigene Marke neben Land Rover, auch wenn dem nicht so ist. Doch mit harten Kerlen, die an ihren Defendern herumschrauben, möchten elegante Evoque-Fahrerinnen nicht unbedingt in Zusammenhang gebracht werden. Dennoch richten sich alle Augen momentan auf den neuen Range Rover. Er gilt als Mass der Dinge im Haus und zeigt, was die Ingenieure so draufhaben. Der «Range» muss quasi die unendlichen Geländewagen-Talente eines Defenders mit dem Anspruch einer Luxuslimousine paaren (es gibt Menschen, die ihn als «Rolls-Royce der Feldwege» bezeichnen). Und natürlich wird das Komfortniveau im vierten Range Rover (Modellcode L405) um Längen über dem eines Evoque liegen. Die möglichst individuelle Erscheinung ist da Programm: Neben feinstem Leder und diversen Edelhölzern – beides aus nachwachsenden Quellen, wie man betont – stehen 17 Innenraumfarben, 37 Lackierun066 VECTURA #4

gen, zwei kontrastierende Dachfarben (Santorini-Schwarz und Indus-Silber) oder acht verschiedene Felgenthemen zwischen 19 und 22 Zoll zur Wahl.

Die eigentliche Sensation ist jedoch der schlanke Auftritt, den das neue Topmodell an den Tag legt. Land Rover ist zwar dafür bekannt, beim Automobilbau viel Aluminium einzusetzen – so geschehen schon 1948 beim allerersten Land Rover, doch damals geschah das vor allen Dingen aus Mangel an Alternativen. Der neue Lord hat wieder eine selbsttragende Karosserie, die aber diesmal komplett aus Leichtmetall besteht – ein Novum unter Geländewagen. Eine Milliarde Pfund (umgerechnet 1,5 Mia. Franken) hat das Unternehmen allein in diese Technologie investiert, die auch bei anderen, künftigen Land-Rover-Modellen zum Einsatz kommen wird. Plakativ nennt man beim Range Rover 4 eine Gewichtsreduzierung von 420 Kilogramm gegenüber dem Vorgänger (L322). Die Alu-Struktur ist 39 Prozent leichter als der bisherige Stahlaufbau, das spart alleine 180 Kilogramm und 75% Energieaufwand. Die Rohkarosse wiegt weniger als die eines 3er-BMW und wird auf einer komplett neu aufgebauten, vollautomatisierten Fertigungsstrasse im Stammwerk Solihull gepresst; die Seitenteile gar aus einem einzigen Stück – das hat es in dieser Grössenordnung noch nie gegeben. Beim Zusammenfügen der 270 Teile wird kaum geschweisst, sondern 3700 Mal genietet: Der Hersteller betont, dass Fertigungsverfahren aus dem Flugzeugbau zum Einsatz kommen und man noch nie eine aufwendigere Entwicklung als bei jenem Alu-Monocoque gestemmt hat. Unvorstellbare 1000 Jahre Prozessor-Rechenzeit seien dafür nötig gewesen, und das Ergebnis ist nicht nur leichter, sondern auch extrem steif. Alle Anforderungen hinsichtlich Crash-Festigkeit und Dauerhaltbarkeit werden übererfüllt, verspricht Land Rover, und selbstverständlich habe der Neue auch alle die üblichen harten Geländetests überstanden. 18 Monate wurden Prototypen weltweit bei Temperaturen zwischen minus 30 und plus 50 Grad Celsius auf bis zu 4500 Meter Höhe erprobt; 80 Exemplare zerschellten im Crashversuch. Zurück zur neuen Leichtigkeit des Seins. Neben den 180 Kilo bei der Karosserie spart der neue Range unter anderem Gewicht bei Motorhaube, Türen, Flankenschutz, B-Säulen, der Federung vorne und hinten sowie den Hilfsrahmen in Bug und Heck. Auch Teile des Antriebsstrangs, der Brembo-Sechskolbenbremsen, Sitzstruktur und Räder speckten ab. Andere Karosseriekomponenten sind aus Magnesium gefertigt, die Paneele am oberen Teil der Heckklappe bestehen aus Plastik. Macht zusammen schon


MODELLWECHSEL

über 300 kg. Das war auch bitter nötig, mag mancher einwerfen – schliesslich bringt der alte, 4,95 Meter lange Range Rover noch 2,6 Tonnen auf die Waage. Dass Solihull von über 400 Kilogramm Gewichtsreduzierung reden kann, liegt an einem kleinen Trick: Wie schon zu Beginn der inzwischen nicht mehr produzierten dritten Generation im Jahr 2002 ist nun wieder ein Sechszylinder-Diesel im Angebot – und dieser Dreilitermotor bringt die restlichen 70 Kilo Ersparnis im Vergleich zum bisherigen 4,4-Liter-TDV8, dessen Fahrleistungen vom neuen Sechsender übertroffen werden – bei 20% weniger Verbrauch. Stammte der 177 PS (130 kW) starke Sechszylinder vor zehn Jahren noch von BMW, greift man inzwischen auf eigene Motoren zurück. Der TDV6 ist aus Discovery und Range Sport bekannt, wurde aber für den Einsatz im Über-Rover nochmals gründlich überarbeitet. Dort bietet er nun 258 PS (190 kW) und ein maximales Drehmoment von 600 Nm. Als zunächst einziger der vier Motoren verfügt er ausserdem über ein Start-Stopp-System, was zum geringen Normverbrauch von 7,5 Liter Diesel auf 100 Kilometer beiträgt; dazu bleibt diese Modellvariante mit einem CO2-Ausstoss von 197 g/km knapp unter der 200er-Marke. Den Spurt von null auf 100 km/h erledigt der schwächste, aber vielleicht auch interessanteste Neu-Range in unter acht Sekunden. Und wie alle Range Rover der vierten Generation ist auch er mit einer optimierten AchtgangAutomatik von ZF ausgestattet; Schaltpaddel am Lenkrad sind Serie. Der zweite Selbstzünder hat wieder acht Zylinder, wird exklusiv nur für den Range Rover gebaut, heisst jetzt SDV8 und leistet nach einer kleinen Kraftkur 339 PS (250 kW) – 26 mehr als bisher. Das maximale Drehmoment liegt unverändert bei 700 Nm, während der Normverbrauch um immerhin 6% auf 8,7 Liter fällt.

Während die beiden Diesel hauptsächlich für die europäischen Märkte gedacht sind, sollen zwei optimierte V8-Benziner vorrangig Range-Rover-Fans in Amerika und Asien beglücken. Auch hier haben sich Fahrdynamik und Verbrauchswerte schon allein durch das Leistungsgewicht verbessert; als Fünfliter-Kompressor soll der Range den Spurt von null auf 100 km/h gar in unter 5,5 Sekunden schaffen! Der schwächere Achtzylinder-Sauger ist ausschliesslich für Nordamerika vorgesehen, während der TDV6 dort nicht angeboten wird. Viel Beachtung wird gewiss eine Diesel-Parallelhybrid-Variante finden, die Ende 2013 auf den Markt kommt. Die Kombination von Dreiliter- und E-Motor ermöglicht rein elektrisches Fahren und später auch das Aufladen an der Steckdose; Land Rover spricht von insgesamt 338 PS, unter sieben Sekunden für den Spurt auf Tempo 100, nur 169 Gramm CO2 und einem Normverbrauch von rund 6,2 L – Chapeau!

Allen Range Rover gemein ist selbstverständlich der permanente Allradantrieb; wie gewohnt verteilt ein Zentraldifferential die Kraft im Normalfall zu 50:50 nach vorne und hinten. Geht irgendwo Grip verloren, entscheidet die Elektronik über eine bestmögliche Kraftverteilung. Das von Land Rover patentierte Terrain-Response-System wurde für den Range entscheidend weiterentwickelt: Ab sofort muss der Fahrer nicht mehr einstellen, auf welchem Untergrund er unterwegs ist – das Auto merkt es erstmals selbst und wählt aus fünf Möglichkeiten die entsprechenden Parameter für bestmögliches Durchkommen. Nur noch die Untersetzung will manuell aktiviert werden, und das ist erstmals bis Tempo 60 möglich (vorher nur 40). Mit diesen Zutaten ist klar: Auch der nächste Range ist trotz Einzelradaufhängung kein weichgespülter Softroader, sondern

Technische Daten RANGE ROVER (L405) Konzept Full-Size-Geländewagen mit Luxusausstattung. Selbsttragende Leichtmetallkarosserie mit vier Türen, zweiteiliger Heckklappe und fünf Sitzplätzen (wahlweise vier Einzelsitze). Einzelradaufhängung, Luftfederung. Permanenter Allradantrieb mit fünf automatischen Fahrprogrammen, Reduktionsgetriebe und Hinterachssperre (Option)

TDV6 Hubraum in cm3 Bohrung x Hub in mm Verdichtung Leistung in PS (kW) @ U/min Max. Drehmoment in Nm @ U/min Kraftübertragung Abmessungen (L/B/H) in cm Radstand in cm Spur vorne/hinten in cm Reifen und Räder Tankinhalt in L Kofferraumvolumen in L Leergewicht (ohne Fahrer) in kg Zulässiges Gesamtgewicht in kg Leistungsgewicht in kg/PS

2993 84 x 90 16:1 258 (190) @ 4000 600 Nm @ 2000

255/50 R20 auf 8,5 J

SDV8 4367 84 x 98,5 ca. 16:1 339 (250) @ 3500 700 @ 1750–3000 A8 500/207/183,5 292 169/168.5 275/45 R21 auf 9,5 J

5.0 Supercharged 5000 92,5 x 93 9,5:1 510 (375) @ 6000–6500 625 @ 2500–5500

275/40 R22 auf 9,5 J

2160 3000 8,4

105 550–2030 2360 3200 7,0

2330 3150 4,6

0 – 100 km/h in Sek. Höchstgeschwindigkeit in km/h

7,9 209

6,9 217

5,4 225 (249***)

Durchschnittsverbrauch* in L/100 km* CO2-Emission in g/km Energieeffizienzkategorie** Preis ab CHF

7,5 196 C ca. 135 000.–

8,7 229 D ca. 145 000.–

13,8 322 G ca. 190 000.–

85

105

* gemessen nach NEFZ, Neuer Europäischer Fahrzyklus ** vorläufig *** Option

herbst 2012 067


MODELLWECHSEL

waschechter Geländewagen geblieben. Die Rampenwinkel wurden verbessert und eine in allen Varianten serienmässige Luftfederung erlaubt zudem, den gesamten Aufbau noch höher zu pumpen: Die Wattiefe ist auf 90 Zentimeter gestiegen – satte 20 Zentimeter mehr als bisher. Dank weiterer Hilfssysteme wie Bergabfahrhilfe, Hillholder und die erwähnte elektronisch regulierte Kraftverteilung ist der vornehme Brite also Wildnis-tauglicher denn je. Und solche Extremtouren sind im Range immer etwas ganz Besonderes. Dennoch dürfte sich nur ein Bruchteil der künftigen Klientel tatsächlich ins Gelände wagen – den meisten ist ihr strassenbereiftes Auto dafür viel zu schön und auch zu wertvoll. Sie erfreuen sich lieber an der «Command Seating Position»: Im Range Rover sitzt man neun Zentimeter höher als in jedem anderen SUV, dazu gesellt sich ein erhabener Überblick auf die Motorhaube mit ihren traditionellen Einzügen rechts und links. Das opulente Innenraum-Layout stellt den bisher gekannten Luxus in den Schatten – noch feiner ist das Leder, noch exakter die Verarbeitung, noch eleganter die Cockpit-Gliederung. Das Dash wirkt weniger klobig und somit luftiger – es ist alles da, aber nichts drängt sich auf. Die Schalter und Knöpfe wurden um 50 Prozent reduziert; wahlweise gibt es eine dimmbare Ambiente-Beleuchtung mit zehn frei wählbaren Farben oder 20fach verstellbare Vordersitze mit MassageFunktion. Neu ist unter anderem ein optionales, UV-schutzbeschichtetes Glasdach, welches fast über die gesamte Dachlänge reicht und im vorderen Bereich geöffnet werden kann. Am Internet-Zugang wird noch gearbeitet, TV-Empfang ist bereits möglich, die Türen rasten beim Schliessen wahlweise elektrisch ein, man kann den Range auch ohne Schlüssel öffnen und starten, statt der Rück068 VECTURA #4

bank sind auf Wunsch zwei exklusive Einzelsitze oder eine Vierzonen-Klimaanlage lieferbar (Serie: Dreizonen) – die Aufpreisliste ist länger denn je. Wie zuletzt schon beim Range 3 gibt es virtuelle TFT-LCD-Instrumente. Neu ist ein Bewegungssensor unter der Innenraumbeleuchtung – Knöpfchendrücken entfällt. Ein zentral angeordneter Monitor erlaubt es, dass sich der Fahrer aktuelle Navigationshinweise ansieht (das aktualisierte System kommt von Denso), während sein Copilot einen Spielfilm geniesst. Auch DAB-Radio oder Sprachkontrolle sind verfügbar. Als Top-Soundsystem steht eine Meridian-Anlage mit 1700 Watt und 29 Lautsprechern für 3D-Akustik parat.

Rear-Seat-Entertainment mit Extra-Bildschirmen gibt es natürlich ebenfalls; die Seitenscheiben lassen sich endlich komplett in den Fondtüren versenken. Über denen finden sich leider keine Handgriffe mehr. Im Fond finden sich satte zwölf Zentimeter mehr Beinfreiheit, was auch an einem um vier auf 292 Zentimeter gestreckten Radstand liegt. Die Gesamtlänge des Range Rover wächst um vier Zentimeter und bleibt damit hauchdünn unter fünf Meter. Das ist Audi-A6-Niveau, solange es sich um die kurze Version handelt: Land Rover mag zwar nicht darüber sprechen, doch schon in einem Jahr wird es den Range für die arabischen und asiatischen Märkte auch in einer Chauffeur-Variante geben. Dieser LWB (Long Wheel Base) weist 15 cm mehr Radstand auf und dürfte sich bestens verkaufen, zumal es nichts Vergleichbares gibt.

Rein äusserlich hat sich der Neue von seinem unter BMWRegie entwickelten Vorgänger kaum entfernt: «Don’t change it, just make it better!» lautete die Vorgabe an das Designteam um Gerry McGovern, der die vierte Generation als «Evolution einer Ikone» bezeichnet. Die Proportionen wurden weitgehend beibe-


halten, das Auto wirkt aber deutlich eleganter. Auffällig sind die nun ums Eck ragenden Hauptscheinwerfer und Rückleuchten; vor allem die vertikalen Zierstreben an den Vordertüren fallen ins Auge. Sie sind ohne Funktion, stehen dem Range aber gut und reduzieren optisch die Länge. Eine leicht abgeschrägte Front, die flacher stehende Windschutzscheibe und das Heck mit seinen horizontalen Sicken setzen weitere Akzente, die Dachlinie verläuft zwei Zentimeter tiefer als bisher und der Heckscheibenwischer ist komplett im Spoiler verborgen. Das alles sorgt für einen Luftwiderstandsbeiwert von «nur» 0,34 beim TDV6, doch für einen Geländewagen ist das ein sehr guter Wert – der aerodynamische Feinschliff und ein verkleideter Unterboden helfen dabei. Zum Vergleich: Der Range Rover Sport weist 0,36, der alte Range 0,39 auf. Und die Heckklappe? Die bleibt horizontal geteilt, kann aber jetzt oben und unten elektrisch betätigt werden. Auf Knopfdruck ausfahrbare Trittbretter und eine ebenso bequem aktivierbare Anhängerkupplung sind erstmals zu haben; Letztere ist dabei aber nicht auf allen Märkten erhältlich. Die maximale Zuglast beträgt unverändert 3,5 Tonnen. Als fahrdynamische Referenz haben die Range-Rover-Macher keinen Geringeren als den Bentley Flying Spur im Sinn gehabt und diesen angeblich in allen Disziplinen übertroffen. Beim Innengeräusch gibt man zu, dass es in der Mercedes S-Klasse einen Hauch leiser zugeht.

ist ein Spurhalteassistent. Fehlanzeige auch bei Nachtsichtgerät oder Head-Up-Display. Weil die Lenkung nicht mehr hydraulisch, sondern elektrisch agiert, sind aber die technischen Voraussetzungen für automatisches Einparken gegeben. Dabei kann man über die Rückfahrkamera verfolgen, wie sich das Auto selbst abstellt. Weitere Kameras sind im Bug angebracht und ermöglichen beispielsweise, in unübersichtliche Kreuzungen oder Ausfahrten hineinzublicken.

Die Auslieferung des neuen Range Rover beginnt im Januar 2013. Aussergewöhnliche Erlebnisse sind garantiert; sie dürften mindestens 135 000 Franken kosten – exakte Preise waren bei Redaktionsschluss noch nicht bekannt. Eines ist aber klar: Mit ihrem Gesamtkonzept bleibt auch Nummer 4, was schon der Urtyp Jahrgang 1970 gewesen ist – das Elitärste, was man abseits befestigter Strassen bewegen kann.

Boris Schmidt (53) ist seit 1989 Redaktor der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» und hat – gemeinsam mit anderen Autoren – bereits mehrere Fachbücher zum Thema Land Rover verfasst. Ein aktualisierter Range-Rover-Titel erscheint Ende Jahr.

Einmal in Bewegung, kann auf etliche technische Hilfssysteme zurückgegriffen werden, zum Beispiel die optimierte Wankkontrolle, einen verbesserten Tote-Winkel-Assistenten oder – Novum – den adaptiven Tempomaten. Letzterer bremst im Stau jetzt bis zum Stillstand und fährt auf Knopfdruck wieder an, kann aber keine Verkehrsschilder lesen. Was es ebenfalls (noch) nicht gibt, herbst 2012 069


fahrtenbuch

Raubkatzen in freier Wildbahn Warum auch Jaguar dringend einen SUV oder Crossover bauen sollte

W

elche Automobilmarke hat noch keinen Geländewagen oder wenigstens einen mit Vierradantrieb? Kaum eine. Sogar die mythischen Sportwagenmarken wie Porsche und Ferrari sind mehr oder weniger tief in den Markt der schlammigen Wege gesprungen. Wer hätte vor zehn Jahren noch gedacht, dass man in Zuffenhausen einmal mehr Cayenne als 911er verkaufen würde? In der Offroad-freien Zone bleiben noch Bentley und Aston Martin, aber auch diese beiden britischen Edelmarken sind am Ausloten des Marktes mit mehr und vor allem weniger ansprechenden Studien. Wo bleibt in diesem Reigen Jaguar? Scheu hält man sich im Entwicklungszentrum Whitley zurück, einen Alleskraxler zu entwickeln, um der Konzernschwester Land Rover ja keinen noch so kleinen Marktanteil abzujagen. Vielleicht ist es auch britische Noblesse. Warum eigentlich? Jaguar, entstanden aus der Vision eines minderjährigen Jünglings, war immer an vorderster Front dabei, wenn es um neue Märkte und neue Technologien ging. Leider ist dieser Geist der Marke in den 70er-Jahren abhanden gekommen, als Gewerkschaften und eine falsche Regierung die ganze Automobilindustrie mit dem Leyland-Wahn zerfledderten. Das einst stolze Flaggschiff der britischen Industrie, mit revolutionären Wagen wie Mini, E-Type oder Range Rover, zerschellte ungebremst an den aufstrebenden japanischen und deutschen Marken. Was bleibt, ist die Erinnerung – und eine Kolonie internationaler Motorkonzerne: Es gibt kaum noch ein Mutterhaus, das in England nicht Komponenten, ganze Autos oder sogar Marken herstellen lässt. Warum also entwickelt Jaguar nicht einen eigenen Geländewagen? Land Rover greift bereits auf Triebwerke von Jaguar zurück, warum sollte sich Jaguar im Gegenzug nicht eine Plattform von der Schwester borgen? Sicher würde Mike Cross, Herr über die Fahrwerksabstimmung bei Jaguar, diesem Projekt den nötigen Biss und ein markentypisches Einlenkverhalten verleihen. Müssig ist die Frage, ob es auf unseren hervorragenden mitteleuropäischen Strassen überhaupt einen Geländewagen, einen SUV oder Crossover braucht. In Westeuropa schätzt man vor allem die hohe Sitzposition und den damit verbundenen Überblick, aber auch das Platzangebot. Ganz anders dagegen in den aufstrebenden Märkten weiter östlich, wo die Verkehrswege weniger gut ausgebaut sind und die Randsteine hoch, Parkplätze nicht der Euronorm entsprechen und nur mit einem halsbrecherischen Fahrmanöver ein Überfall verhindert werden kann. Dort gieren Millionen junger Menschen nach Audi-, BMW-, Mercedes- oder Porsche-Modellen, die zwar etwas hochbeinig daherkommen, aber eben auch ein Lebensziel darstellen. Sie gelten als Symbole des Erfolgs, sind vierrädrige Rewards für harte Arbeit. Selbst künstliche Neumarken wie Infiniti finden ihre Käufer, doch Jaguar glänzt durch Abwesenheit. 070 VECTURA #4

Noch immer leidet das Haus unter dem Bappeli-Image der drögen Leyland-Ära, obwohl Jaguar in den 30er-, 50er- und 60erJahren hochsportliche Fahrzeuge produzierte und mit ihnen bedeutendste Rennerfolge errungen hat. Aus diesem Grunde darf es sich Jaguar nicht leisten, eine wachsende Käufergruppe zu ignorieren. Ich bin sicher, dass Ian Callum, der sich als erster Designer wieder auf die Kernwerte der Marke konzentriert und nicht moderne E-Type oder Mk2 im Retrolook zur Serienreife bringt, auch eine solch anspruchsvolle Aufgabe mit Bravour meistern könnte. Er hat schon bei Aston Martin mit DB7 und Vanquish eine Renaissance dieser urenglischen Marke eingeläutet. Auch die aktuellen Jaguar-Modelle sehen heute eigenständig und modern aus: Der neue F-Type-Roadster wird die Markeneigenschaften Eleganz, technische Avantgarde, Dynamik, Britishness, Understatement und Preiswürdigkeit in sich vereinen. Bei einem Softroader wäre das nicht anders – und er würde sicherlich nicht X-Type heissen. Ich hoffe sehr, dass Ratan Tata als Inhaber von Jaguar Cars dem Designteam um Callum längst grünes Licht gegeben hat, um in den hintersten Hallen des Entwicklungszentrums Whitley an einem solchen Crossover zu arbeiten. Sonst ist es bald zu spät für Jaguar, um in diesem wachsenden Segment noch wahrgenommen zu werden.

Georg Dönni begann bereits im zarten Kindesalter, Plastikmodelle seiner Traumwagen zusammenzusetzen. 1986 liess er sich am englischen Colchester Institute of Technology zum Fahrzeugrestaurator ausbilden; heute ist er ein über die Schweizer Grenzen hinaus bekannter Jaguar-Spezialist. Seine 1988 gegründete Garage befindet sich in einer alten Schreinerei in Roggliswil. Dort parken stets die schönsten Katzen. Unter anderem hat Dönni den PremierenE-Type vom Genfer Salon 1961 komplett neu aufgebaut.


PUSCHL AV ( SCHWE IZ ), 2005

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Soll 2013 antreten: Jaguar-Crossover auf Basis des XF Sportbrake

Wald-und-Wiesen-Design Was vom Offroad-Gedanken optisch übrig blieb – Beobachtungen zur aktuellen SUV-Welle Text und Zeichnung Mark Stehrenberger

S

UV und Geländewagen erleben derzeit einen riesigen Boom. Damit die wachsende Nachfrage gestillt werden kann, kommt eine ganze Flotte frischer Offroader auf uns zu und ein Trend ist offensichtlich: Sie werden kleiner.

Die meisten Neuheiten findet man also bei den Kompaktmodellen. Audi erweitert seine Q-Familie demnächst um die Varianten 1, 2 und 4. Mercedes bringt schon 2013 einen Softroader auf AKlasse-Basis und arbeitet zusammen mit Infiniti an einem kleinen Bruder der M-Klasse. Volkswagen wird Up und Polo im SUV-Look anbieten und die Tiguan-Baureihe um eine Langversion ergänzen; auch die Konzerntöchter Seat und Skoda sollen künftig verstärkt mitmischen. Fiat hat einen Basis-Jeep auf 500er-Plattform im Sinn und Volvo zeigt uns Ende Jahr mit dem V40 XC, wie man Kompaktwagen auf Allrad-Optik trimmen kann. Dass dies auch bei Kombis funktioniert, will Jaguar schon bald mit einer Allradvariante des neuen XF Sportbrake beweisen (siehe oben). Wichtig dabei ist, dass nicht alles, was nach SUV aussieht, auch 4x4Antrieb aufweist. Viele Kunden legen gar keinen Wert darauf und sind nur an der Optik oder einer höheren Sitzposition interessiert. Dazu kommt, dass Verbrauch und Emissionen heute das Package diktieren, nicht Untersetzungsgetriebe! Offroad-typische Zutaten wie Kuhfänger oder Überrollkäfige sind längst verschwunden; an ihre Stelle traten Schutzleisten aus lackiertem Plastik oder wulstige Seitenteile – kosmetische Massnahmen, die an die Herkunft dieser Fahrzeuggattung erinnern und Solidität ausstrahlen sollen. 072 VECTURA #4

Das neue Buzzword lautet jedoch «SUV-Crossover-Coupé», und da kommen zum Teil ganz scharfe Typen auf uns zu. Der Mini Paceman, die zweitürige Ausführung des Countryman, ist einer von ihnen und bereits startklar. Aber auch von Audi werden Coupé-Versionen des Audi A3 Sportback und Q5 erwartet. Und während BMW an X2- und X4-Coupés arbeitet, bereitet VW einen Tiguan-Zweitürer vor. Renault hat sich vorgenommen, 2014 eine frankophile Version des überraschend erfolgreichen Nissan Juke zu lancieren. Selbst Land Rover plant einen dreitürigen Range Rover Sport; das Topmodell der Baureihe dürfte Ende 2014 auf den Markt kommen. Dieses High-End-Spielmobil orientiert sich optisch am nagelneuen Range Rover (siehe S. 062) und dem Erfolgsmodell Evoque, soll aber viel aggressiver und weniger kantig daherkommen. Grosse SUV wird es natürlich auch weiterhin geben. Audi erweitert sein wachsendes SUV-Portfolio nicht nur nach unten, sondern mit Q6 und Q8 auch nach oben. Sogar von einem Q9 ist die Rede; dieser King-Size-Gozilla wäre allerdings nur für die Vereinigten Staaten, Asien und künftige Mars-Expeditionen gedacht. Alfa will in den USA einen Crossover auf Jeep-LibertyPlattform realisieren und Maserati hat dem Kubang nach langem Hin und Her endlich grünes Licht gegeben. Aston Martin sucht noch einen Entwicklungspartner für den angedachten Wald-und-Wiesen-Lagonda, während Lamborghini nach zwei Dekaden Gelände-Abstinenz in wenigen Jahren wieder dabei


Stilblüten

sein dürfte. Selbst Ferrari will der verehrten Kundschaft ein Angebot mit vier Einzelsitzen machen, das wie der begeistert aufgenommene FF von Pininfarina entworfen wird: Die Premiere des ersten SUV der Scuderia soll 2013 in Genf stattfinden. Dort fiel das Bentley-Concept EXP 9F letztes Frühjahr einstimmig durch, doch es gilt als beschlossene Sache, dass die Briten einen zweiten Anlauf unternehmen wollen: In der US-amerikanischen Musik- und TV-Branche ist das Auto bereits zum nächsten Hip-Hop-Mobil erkoren worden; ein Caddy Escalade ist dagegen kalter Kaffee. Die genannten Luxuslabel orientieren sich dabei am vorexerzierten Erfolg von Range Rover, Porsche und Co., zumal sich auch Retortenmarken wie Infiniti und Lexus wachsender Beliebtheit erfreuen. Fehlen eigentlich nur noch Bugatti und Rolls-Royce… Wenn es nur um das SUV-Design geht, spielen Marke oder Grösse selbstverständlich eine Rolle. In erster Linie geht es aber um Glaubwürdigkeit, Alltagsnutzen und Coolness. Ich möchte deshalb über Autos sprechen, die bereits heute aus der Masse herausragen. Und da fallen mir konkret sieben Modelle ein.

Fast perfekt Für mich ist der Audi Q5 momentan einer der bestdesignten Audis überhaupt. Die Grösse stimmt, die Räder stehen proportional richtig, der Frontgrill schmunzelt freundlich, die Linienführung ist gediegen und dennoch kraftvoll. Auch das dezente Interieur mit seinem nicht überladenen Armaturenbrett, dem griffigem Lenkrad und straffen Sitzen kann sich sehen lassen. Leider hapert’s am viel zu breiten Heck; die aussen absackenden Rückleuchten sehen einfach nur trist aus. Dennoch steht das Auto insgesamt für lässige Fortbewegung. Wer es noch sportlicher will, kann ab 2013 zum technisch nahezu baugleichen Porsche Macan greifen.

Würg Der BMW X6 dagegen ist die Antwort auf eine Frage, die niemand gestellt hat. Trotz Coupé-haftem Styling wirkt das Auto viel zu gross und wuchtig, ja brutal. Man erwartet, dass eine Bande übler Schläger in ihm sitzt. Speziell die Heckansicht mit ihren viel zu kleinen Fenstern fällt bei mir durch. Man sieht dem X6 an, dass er hastig auf den US-Markt geworfen wurde, um Honda mit dem Crosstour Coupé die Suppe zu versalzen: Die Japaner hatten schon lange vor den Europäern mit allerlei SUV-Varianten experimentiert. Fazit: Anders als beim rundum gelungenen X5 hat BMW hier eine Chance vertan.

Unverwechselbar Der amerikanische Cousin des Opel Antara heisst Cadillac SRX und verkörpert eine ganz eigene Formsprache: Messerscharfe Linien und gemeisselte Ecken sind konsequent und polarisieren – hier ist ein Auto, das man entweder hasst oder liebt. Bei mir liegt der SRX dieser zweiten Modellgeneration voll drin, weil er Charakter hat und stilistisch keine Kompromisse eingeht. Vielleicht könnte das Auto eine Spur breiter sein für seine Höhe, was auch der Präsenz zugute käme. Andererseits soll es sich deutlich von den Full-Size-SUV mit ihrem «Gangsta»-Image distanzieren. Innen gibt es trotzdem viel Platz und Technologie; der SRX ist längst der Bestseller des Hauses und mit dem diesjährigen Refreshing sollte man das Momentum beibehalten können. Selbst in 20 Jahren wird das Teil noch gut aussehen, wetten?

Wegweisend Der erste Infiniti FX von 2003 war in Bezug auf das SUV-Styling ein echter Hammer und schlug entsprechend positiv ein. So hätte damals eigentlich der Porsche Cayenne aussehen müssen – dynamisch, schwungvoll, mit einem hinten abfallenden Dach und knackigem Hintern. Dazu kamen grosse Räder und ein passender Radstand, die hohe Gürtellinie und kleine Seitenfenster. Insgesamt zeigte der Japaner also klare, fast deutsche Linien. Optisch fuhr der FX schon im Stand – während der zweite Cayenne mit seiner aufrechten Kabine auch heute noch steht, selbst wenn er längst schon fährt. Sicher, die Infiniti-Front hätte mehr Fläche im Grill und in den Lampen vertragen können; beides war angesichts der Körpermasse des Wagens unterdimensioniert. Die zweite FX-Generation kam 2009 mit einem stechenden Blick, und obwohl sich die Baureihe immer noch bestens verkauft, gefällt sie mir persönlich nicht mehr ganz so gut. Meine Bitte nach Tokio: Möge der dritte FX doch so geil und markant daherkommen wie der erste! American Idol Wenn es ein Referenzmodell für den Wandel vom robusten, harten Geländewagen der 90er Jahre hin zu den geschmeidig-weichen 4x4-Luxusschlitten von heute gibt, ist das der Jeep Grand Cherokee. Die Baureihe traf damals genau den richtigen Ton für viele Amerikaner, die sich sofort verliebten und ihre öden Limos und Minivans am Strassenrand stehen liessen. Auch die neuste Ausgabe hat alle Zutaten zum Erfolg: Sie ist nicht übergross und kommt mit unaufdringlichem Look, hat aber einen ausreichend langen Radstand mit Wow!-Radkästen, die markentypisch winklig sind und Offroad-Kompetenz ausstrahlen. Innen gefällt die Auswahl an Farben und Materialien inklusive echtem Holz. Gut gemacht, Jungs!

You’ve come a long way, baby Aus dem hässlichen Entlein Kia Sportage ist in der dritten Generation ein schöner Schwan geworden. Ich könnte auch sagen: Der Softroader hat sich in 15 Jahren von einem Pavian über einen Neandertaler zu George Clooney entwickelt! Zu verdanken haben wir das der koreanischen Weitsichtigkeit und dem deutschen Designchef Peter Schreyer. Der Sportage verkörpert fast alles, was ich von einem SUV verlange: eine vernünftig-praktische Grösse, dazu sauberes Design mit hoher Gürtellinie, die Robustheit und Schutz verspricht. Riesige Räder schreien 4x4-Power, nur die Front des Sportage wirkt zweideutig: Der obere Grill lächelt, der untere heult wie ein trotziges Kind im Supermarkt. Das Interieur ist organisch gestaltet und qualitativ okay. Der Verbrauch könnte besser sein, dafür bekommt man aber viel Auto für wenig Geld. Mein Fazit: mega, mehr davon!

Fashion-Victim Der Range Rover Evoque ist sicher nicht der praktischste SUV auf Erden, hat dafür aber eine Menge Stil. Dazu glänzt er mit raffiniertem Fahrverhalten und den traditionellen Land-Rover-Offroad-Talenten, auch das gefällt mir. Ja, ich weiss, das Dach ist viel zu niedrig. Aber das Auto ist genau für diesen Look gemacht, hat die passenden Proportionen! Ein Evoque ist nicht billig, aber begehrenswert: Mit ihm fährt man nicht nur, sondern «kommt an», und wer ein lupenreines Style-Statement fahren möchte, wird nicht enttäuscht sein. Kurz: Wenn es im Himmel keine Evoque gibt, dann will ich nicht dorthin! herbst 2012 073


Autofreie

Traumstrassen

Alpen, Alpen und nochmals Alpen: Eine bemerkenswerte Publikation beschäftigt sich mit Asphalt in den Bergen. Und weil die aktuelle Ausgabe vorrangig durch die Schweiz führt, drucken wir einige Motive exklusiv ab Text Helena Sukova · Fotos Stefan Bogner

Sustenpass

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Fernweh

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E

ine Kurve ist die sinnlichste Verbindung zwischen zwei Punkten – und in gewisser Weise auch die realistischste. Wer sich ein Ziel steckt, wird dieses fast nie auf dem kürzesten Weg erreichen. Würden unsere Wünsche alle auf einen Schlag wahr werden – wir würden uns um den Weg dorthin betrogen fühlen. Fahren lehrt uns, gegenwärtig zu sein. Und wer gegenwärtig ist, ist glücklich. Machen Sie sich auf die Jagd nach dem Flow, jener zeitlosen Hochebene des Seins, wo Ursache und Wirkung mal keine Rolle spielen, sondern nur der Moment zählt. So steht es im Vorwort des aktuellen «Curves», eines alljährlich verlegten Magazins, das sich mit alpinen Strassen beschäftigt – ohne dabei ein einziges Auto zu zeigen. Es gibt auch kein richtiges Inhaltsverzeichnis – dieses Werk will wie ein Reiseführer gelesen werden. Nach der Erstausgabe 2011 bewegt sich Jahrgang 2012 (www.curves-magazin.com) «entlang der schweizerisch-italienischen Grenze»: Von Südtirol aus geht es über die spektakulärsten Alpenpässe Richtung Tessin, Engadin und Wallis. Zu den optischen Highlights zählen das Stilfser Joch und hierzulande die Pässe Albula, Flüela, Maloja, der alte Gotthardpass, die «Tremola» und die Pässe nördlich von Italien wie der Simplon- und der SanBernardino-Pass. Auch Klassiker wie Klausen, Susten, Grimsel und Furkapass sind vertreten. In fünf ausgearbeiteten Tagesetappen voller Berg- und Talfahrten wird der geneigte Leser von Schluderns nach Zuoz, weiter nach Andermatt, über den Gotthard, den Gornergrat und den Grossen Sankt Bernhard geführt. 076 VECTURA #4

Stilfser Joch Das Layout ist grosszügig bis zeitlos – und ein weiterer Grund, weshalb «Curves» bei uns vorgestellt wird. Serviceseiten mit grafisch schön aufbereiteten Höhenangaben, einigen Übernachtungstipps und Sehenswürdigkeiten entlang der Strecke (zum Beispiel das HR Giger-Museum in Gruyères) runden das gelungene Werk ab. Kritik? Die Anordnung der Bilder und Strecken wirkt stellenweise etwas willkürlich. Und auf fast allen Fotoaufnahmen liegt ein grauer Schleier, schieben sich düstere Wolken über Bergspitzen, wirken die Alpen fast depressiv und endzeitmässig. Ein sattes, im Sonnenlicht badendes Sommergrün findet sich in diesem «Curves» nur selten. Man muss dem Fotografen Stefan Bogner freilich zugute halten, dass er alle Aufnahmen selbst gemacht und in zwei Trips à sieben Tagen nebenberuflich produziert hat. Mit diesem Wissen erscheint der von Dunlop sowie Mercedes-AMG gesponserte, ansonsten werbefreie, 232 Seiten starke und 20 Franken teure Band noch spektakulärer. Zu den Protagonisten der begleitenden und oktanhaltigen Reiseberichte zählen ein Mercedes 190 2.5-16 Evo II, ein original RallyeMonte-Carlo-Mini Cooper S und ein Lamborghini Miura. Zu sehen sind die Autos allerdings nie: Die konsequente Abwesenheit jeglicher Motorfahrzeuge – einige, verrät uns Bogner, mussten natürlich aus den Fotos herausretuschiert werden – macht interessanterweise umso mehr Lust darauf, die abgebildeten Strassen unter die eigenen Räder zu nehmen. Vor allem die erstmals vom Helikopter aus geschossenen Aufnahmen glatter Asphaltbänder durch die steinig-schroffen Berglandschaften sind spektakulär.


Fernweh

Albulapass

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rennsport

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Fernweh

nochmal Stilfser Joch

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rennsport

Gotthard-Passhรถhe

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Fernweh

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rennsport

Susten, zum zweiten

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Fernweh

Blick aus der Eigernordwand – nur erreichbar mit der 100 Jahre alten Jungfraubahn

herbst 2012 083


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