VECTURA #8

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www.vecturamag.ch

[ lat.: das Fahren]

#8 | Herbst 2013

Frisch aus Schweden

Volvo Concept Coupé

INNOVATIONSTRÄGER // MERCEDES S-KLASSE Mehr Punch // Nissan Nismo Asphalt ahoi // boote mit Auto-genen Spezial // Aerodynamik

DESIGN-EDITION www.prestigemedia.ch | CHF 10.–

03

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Classic Fusion Aero Chronograph. Skelettiertes, automatisches Chronographenwerk. Geh채use aus einer neuen, einzigartigen Rotgold-Legierung: King Gold. Armband aus Kautschuk und schwarzem Alligatorleder.


RUBRIKEN

Das motion-magazin aus der schweiz

Herbst 2013 001


Athletischer Auftritt, sportlicher Preis. Die C-Klasse «Athletic Edition» ab CHF 45 200.–* Das Sondermodell «Athletic Edition» sorgt dank dem AMG Stylingpaket und dem Kühlergrill mit schwarzen Lamellen für einen sportlichen Auftritt. Für den perfekten Überblick auf der Strasse unterstützen Sie dabei die Bi-Xenon-Scheinwerfer des Intelligent Light System und das Navigationssystem COMAND Online. Profitieren Sie jetzt von sensationellen Preisen. Ihr Mercedes-Benz Partner freut sich auf Ihren Besuch.

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* C 180 Kombi «Athletic Edition», 1595 cm3, 156 PS (115 kW), Barkaufpreis CHF 45 200.– (Listenpreis CHF 60 570.– abzüglich 25 % Preisvorteil). Verbrauch: 6,4 l/100 km, CO2-Emission: 150 g/km (Durchschnitt aller verkauften Neuwagen: 153 g/km), Energieeffizienz-Kategorie: D.


editorial

Matthias Pfannmüller, Chefredaktor

Vectura #8

D E S I G N

edition

D

as windschlüpfigste Auto hat die Form eines Wassertropfens – vorne rund und hinten spitz auslaufend. So will es die Physik, doch mit der verkauft man keine Autos: Diese Formgebung ist offenbar nicht gesellschaftsfähig. Das war schon beim Alfa Romeo 40-60 HP Aerodinamica von 1914 so, beim 1923er Rumpler Tropfenwagen, dem 1933 lancierten Buckminster Fuller Dymaxion, beim 1939er Schlörwagen oder dem 1940er Tatra Typ 87. In puncto Luftwiderstand waren sie alle top, aber beim Händler – sofern sie überhaupt je dorthin kamen – ein Flop. Allein auf der Rundstrecke bleiben kühne Verrenkungen ungestraft – Formel-1-Boliden sind heute mehr Flügel denn Auto.

Effizientere Formen werden auch auf öffentliche Strassen kommen. Verbrauchs- und CO2-Reduktion üben einen immer stärkeren Einfluss auf die Automobilgestaltung aus. Damit ändern sich auch unsere Seh- und Fahrgewohnheiten. Fliessheckmodelle wie der Toyota Prius sind mehr der Funktion denn der Schönheit verpflichtet; glattflächigen Karosserien gehört die Zukunft. Wer das nicht wahrhaben will, muss den Aufpreis bereits heute an der Tankstelle bezahlen. Die eingangs erwähnten Beispiele belegen, wie alt das Thema ist. Doch erst jetzt wird aus dem Streben einzelner Visionäre ein Mainstream, kommt dem cW-Wert ein Prestige-Faktor zu. Selbst bei wuchtigen Geländewagen werden die Frontpartien flacher, setzen Entwickler immer mehr aerodynamische Hilfsmittel ein. Spritsparmodelle wie der radikale VW XL1 zeigen, wo es optisch langgeht. Wenn wir also über Design sprechen, sind heute andere Faktoren stilbildend als noch vor 20 Jahren, als noch Image und Unverwechselbarkeit im Vordergrund standen. Inzwischen wird intensiv nach dem besten Kompromiss zwischen nutzbarem Raum und geringer Stirnfläche gesucht. In diesem Zielkonflikt wird Identität immer wichtiger, das macht Markendesign heute so spannend. Versenkte Scheibenwischer, adaptive Spoiler und variabel öffnende Kühleröffnungen gibt es längst, bald werden Rückspiegel durch Kameras ersetzt. Dazu kommen neue Materialien, die leichter sind als Blech und andere Karosserielösungen erlauben. Das neue Elektroauto BMW i3 ist ein gutes Beispiel dafür, wird vor dem Verkaufserfolg aber erst tradierte Sehgewohnheiten aufbrechen müssen. Es bleibt folglich spannend auf unseren Strassen und wir dürfen dem Fortschritt ganz entspannt entgegensehen. Der funktioniert schliesslich nur, wenn auch Fahrspass eingebaut ist. Herbst 2013 003


inhalt #8

EDITORIAL

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PERFEKTE TARNUNG Der neue Crossover Suzuki SX4 S-Cross verkneift sich Extravaganzen. Er schmeichelt lieber mit inneren Werten und wahlweisem Allradantrieb

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GEISTERBAHN Die grössten Design-Flops der Autohersteller – Mark Stehrenberger benennt sie schonungslos

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NOBODY DOES IT BETTER Jede Mercedes S-Klasse markiert das maximal Machbare ihrer Epoche. Wir fahren die sechste Generation – und kredenzen ihre fünf Rivalen

012

KLARE VORSTELLUNGEN Kaffeegespräch mit Håkan Samuelsson: Der Volvo-CEO spricht ganz offen über chinesische Besitzer und neues Selbstbewusstsein

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GEDIEGEN DURCH DEN SMOG Dass er vorwiegend für China gemacht worden ist, stört uns nicht am Bentley Flying Spur: Der Wagen fühlt sich in Europa (fast) genauso gut an

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TITELSTORY Mit dem Concept Coupé spannt die schwedische Marke Volvo einen reizvollen Bogen zwischen Vergangenheit und Zukunft

MUCKI-BUDE Wofür Nismo steht, wissen nicht viele. Das soll sich nun ändern: Als ersten Vorboten entsenden die Japaner den Nissan Juke Nismo

034

WANDSCHMUCK MIT DREHZAHL Automobildesigner Markus Haub bringt Pferdestärken stilsicher auf die Leinwand

050

DIE FARBE DES ULURU Ende der 1960er-Jahre schaute die Autowelt auf Australien: Mit dem Holden Hurricane bewies der fünfte Kontinent, dass er mehr konnte als Pick-ups

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WENN DER REIFEN RUFT Der erste offiziell beglaubigte Winterreifentest fand in den Schweizer Bergen statt. Wir rekapitulieren

066

SIEG IN DER SCHNAPSGLASKLASSE Sie produzierten Zweitakt-Töff, Weltrekorde und unglaubliche Geschichten: Garelli und Zündapp dröhnten einst mit nur 50 Kubik über die Pisten

068

ÜBER DUNKLE KANÄLE Aus der Luftfahrt auf die Strasse: Der NACA-Duct kühlt gut – und sieht dabei noch cool aus

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SPOILER UND FLÜGEL Wie der neue Porsche 911 Turbo mit der Luft spielt

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DESIGN

E d i t i o n

004 VECTURA #8

AUTOS IM BAHNHOF 048102 Die Volvo Art Session ist eine Schweizer Idee und hat sich in nur drei Jahren etabliert. Die Vielfalt ist gross; wir zeigen unsere Favoriten KREATIVE VERFORMUNG Pierre-Alain Münger ist Künstler und nennt sich Pamcrash. Der Name ist Programm

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GERÖLL-ATHLET Hurra, der neue Range Rover Sport ist da!

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DER SCHÖNE SCHEIN Oldtimer sind Spekulationsobjekte geworden, findet Urs P. Ramseier. Und das bedauert er

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VIVA LA CURVA Lancias Rennhistorie ist reich an Heldentaten. Mit dem Lancia Delta by Momodesign wollen die Italiener daran erinnern – aber nicht nur

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BESUCH BEIM ZAHNARZT Jürg Bärtschi und sein Colani GT

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FÜR JÄGER UND SAMMLER Exklusive Drucke würdigen Erdmann & Rossi

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PRÄZISER DENN JE Neue Uhren von WRC-Zeitnehmer Certina

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STAPELLAUF Sportwagen beflügeln die Phantasie von Bootsbauern. Die Ergebnisse variieren, beinhalten aber immer Auto-Power auf hoher See

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IMPRESSUM

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Das Chamäleon Suzuki, Herrscher über markante wie kompakt-patente Geländewagen, geht beim neuen SX4 S-Cross kein Risiko ein. Der Softroader ist ein wichtiges Volumenmodell und soll möglichst jedem potentiellen Käufer gefallen. Und so ist er etwas – hmm – unauffällig ausgefallen. Doch das macht nichts, wie unsere erste Ausfahrt ergab Text Hubertus Hoslin · Fotos map

006 VECTURA #8


FAhrtermin

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D

ie 1909 gegründete Suzuki Corporation stellte 1937 ihr erstes Auto vor und ist bis heute ein relativ kleiner Hersteller – schliesslich baut man auch Motorräder oder Bootsmotoren. Umso bemerkenswerter war und ist, was die Marke aus Hamamatsu seit Jahrzehnten so auf die Räder stellt – kleine, agile und sehr geländefähige Fahrzeuge nämlich, die nicht nur mit geringen Anschaffungskosten und Zuverlässigkeit punkten, sondern auch noch originell aussehen. So war es auch beim ab 2006 angebotenen SX4, der in Kooperation mit Fiat entstand und sich bis heute grosser Beliebtheit erfreut – weshalb diese Baureihe auch noch im Programm bleibt. Dennoch war es Zeit für einen Wechsel: Während die Italiener künftig mehrere Crossover-Modelle mit Cinquecento-Look und -Technik anbieten wollen, hat Suzuki seinen nächsten Mini-SUV eigenständig entwickelt und wird ihn weltweit verkaufen. Die Zusatzbezeichnung S-Cross platziert ihn geschickt oberhalb des alten SX4; in der Schweiz ist das Modell ab sofort verfügbar.

Wenn man es jedem recht machen will in einem zunehmend hart umkämpften Segment, ist Fusion-Design angesagt, das nirgends aneckt – weder beim Kunden noch bei etwaigen nationalen Geschmacksnerven. Bei so viel Vorsicht bleibt aber auch Charakter auf der Strecke. Denn während sich die erste SX4-Generation noch mit bulligen Proportionen einen Namen machte, ist der S-Cross recht zivil geraten: Die Abmessungen (15 cm länger, über 4 cm flacher und nur einen Zentimeter breiter; siehe technische Daten) ähneln denen eines hochbeinigen Kompaktwagens. Und weil sich der zweite SX4 fast jeden stilistischen Gag verkneift, nimmt er sich im Strassenbild optisch sehr zurück. Immerhin: Die bescheiden verchromte Bugpartie zitiert den Suzuki Kizashi, während wir beim Heck gewisse Ähnlichkeiten mit dem populären Mitsubishi ASX ausgemacht haben. Dazwischen befinden sich vier gefällig geformte Türen, fertig. Gähnende Langeweile also? Gemach. Mit den Schönen und Reichen, die aus Kotflügelkanten gerne mal eine Lebensphilosophie ableiten, hat Suzuki nichts zu tun. Kenner wissen: Bei den Japanern geht Nutzwert traditionell über Äusserlichkeiten. Und so waren wir auf ein paar erste Runden sehr gespannt. 008 VECTURA #8

Erster Eindruck: solide wie eh, praktisch dazu und dabei auf das Wesentliche reduziert. Dieser Wagen braucht keine Bedienungsanleitung, denn alles findet sich dort, wo man es erwartet. Die Bedienung gibt null Rätsel auf, die Armaturen informieren tadellos und dazu sitzt es sich angenehm erhöht. Der serienmässig verstellbare Ladeboden erlaubt eine situativ passende Konfiguration. Am neuen SX4 findet sich dagegen nichts, was es nicht unbedingt braucht, das merkt man sofort. Wozu eine verschiebbare Rückbank, wenn doch die Platzverhältnisse in alle Richtungen ausreichend sind? Allein der variable Kofferraum schluckt schon in der Grundstellung 150 Liter mehr als beim Vorgänger. Solche Fakten wecken Sympathie – hier steht ein GanzjahresAlltagsauto, das dir dienen will! Zumal es – abgesehen von den rein frontgetriebenen Basismodellen – mit komfortablen Zutaten wie einem schlüssellosen Zugangs- und Startsystem, Zweizonen-Klimaanlage oder Bluetooth-Verbindung ausgeliefert wird. Wer dagegen in Blech gepresste Eitelkeit sucht, kann spätestens jetzt weiterblättern. Man ist also gleich per «Du» mit dem jüngsten Suzuki und stellt auch im Fahrbetrieb keinerlei Unannehmlichkeiten fest. Um die Rundumsicht ist es gut bestellt, die Lenkung ist nicht zu hart und nicht zu weich, der Schalthebel flutscht mühelos durch die Gänge und das Fahrwerk bietet einen guten Kompromiss zwischen Straffheit und Komfort, bleibt dabei immer auf der sicheren Seite. Traktion ist ebenfalls kein Thema: Mittels vierstufigem 4x4-System, das Suzuki «Allgrip» nennt, kommt das Auto fast überall durch. Regulär fährt es mit Frontantrieb; im Auto-Modus schalten sich die Hinterräder situativ zu. Dazu kommen Sport-, Winteroder Lock-Programme, wobei Letzteres die volle Kraft nach hinten leitet. Der Fahrer muss dazu nur einen Drehregler justieren, mehr nicht. Wer SX4 fährt, will sich keinen Kopf machen, auch nicht bei der Bodenfreiheit. Die ist klassenüblich auf Feld-undWiesen-Niveau, was bei normalem Gebrauch völlig ausreicht. Fahrdynamisch sind vom SX4 freilich keine Wunder zu erwarten, speziell die Benzin-Version grenzt bei voller Zuladung an Untermotorisierung. Das liegt nicht nur am Verhältnis Leistung/Leergewicht, sondern auch an der offenbar CO2-orientierten, mageren


Fahrtermin

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Fahrtermin

Abstimmung des Aggregats: Pro Kilometer emittiert der neue SX4 maximal 130 Gramm, da kann man nicht meckern. Die Kraftübertragung übernimmt ein Fünfganggetriebe, wahlweise gibt es den Vierzylinder aber auch mit stufenloser CVT-Automatik. Die bietet nicht unbedingt mehr Fahrspass, macht den S-Cross aber endgültig zur tiefenentspannten Bewegungszone. Deutlich agiler gibt sich der parallel angebotene Turbodiesel: Dank genügend Drehmoment spurtet er wacker los, ist auch lärmmässig gut erträglich und natürlich sparsamer. Den 3000 Franken höheren Grundpreis würden wir dafür jederzeit in Kauf nehmen, zumal der Selbstzünder ab Werk mit einem Sechsgang-Schaltgetriebe ausgestattet ist. Kurz: Ob Stadt, Autobahn oder Wald, ob Einkauf, Hundeschule, Möbeltransport oder Skiferien mit Familie – der neue Crossover versteht es, sich allen Bedürfnissen und Gegebenheiten anzupassen. Wer mit diesem Auto nicht klarkommt, möge doch bitte den Fahrausweis abgeben. Und so bleibt uns nicht mehr viel zu sagen zum Suzuki, was ja auch mal ganz erfrischend ist: Er ist die richtige Wahl für alle, die ganzjährig sorglos und frei von jeglichem SUV-Dünkel unterwegs sein möchten – bloss nicht auffallen! Schade fänden wir nur, wenn jetzt jemand den gut getarnten SX4 S-Cross beim allfälligen Autokauf übersehen würde.

Mehr zum Thema

Technische Daten suzuki sx4 s-cross Konzept

Neue Generation eines Kompakt-SUV mit fünf Türen und fünf Sitzplätzen. Zahnstangenlenkung mit el. Servounterstützung, Scheibenbremsen rundum (vorne innenbelüftet). McPherson-Federbeine vorne, Mehrlenkerachse hinten. Wahlweise Front-oder Allradantrieb

Motor

Vierzylinder-Benziner oder -Common-Rail-Diesel. Vier Ventile pro Zylinder, zwei oben liegende Nockenwellen (Kette), Selbstzünder mit variablem Turbolader und Partikelfilter

Hubraum in cm3 Bohrung x Hub in mm Verdichtung Leistung in PS (kW) @ U/min Max. Drehmoment in Nm @ U/min Kraftübertragung

1.6i 2WD / 4x4

1.6 TD 4x4

1586 78,0 x 83,0 11:1 120 (88) @ 6000 156 @ 4400 M5/CVT

1598 79,3 x 80,5 16,5:1 120 (88) @ 3750 320 @ 1750 M6 430/176,5/158 260 153,5/150,5 205/60 R16

Abmessungen (L/B/H) in cm Radstand in cm Spur vorne/hinten in cm Reifen und Räder Tankinhalt in L Kofferraumvolumen in L Leergewicht (ohne Fahrer) in kg Zulässiges Gesamtgewicht in kg Leistungsgewicht in kg/PS

1085/1125 1730 9,0/9,4

0 – 100 km/h in Sek. Höchstgeschwindigkeit in km/h

11,0/12,4 180/170

13,0 180

Durchschnittsverbrauch** in L/100 km CO2-Emission in g/km Energieeffizienzkategorie Preis ab CHF

5,4/5,7 125/130 C/D 19 990.– / 26 990.–

4,4 114 A 29 990.–

* gemessen nach NEFZ: Neuer Europäischer Fahrzyklus

010 VECTURA #8

50 430–1270

1305 1870 10,9


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In Betrieb entstehen keine CO2-Emissionen. Bei durchschnittlicher Fahrweise gemäss NEDC (New European Driving Cycle) ist mit einer vollen Batterieladung eine Reichweite von 210 km möglich (195 km mit 17-Zoll-Felgen). Die Reichweite ist abhängig von der Geschwindigkeit, der Aussentemperatur, der Topographie und dem Fahrstil. 2 Renault ZOE LIFE, 88 PS (65 kW), Katalogpreis Fr. 24 100.– inkl. Wallbox (Fr. 1300.–). Energieverbrauch 16,3 kWh/100 km (Benzinäquivalent 1,8 l/100 km), CO 2-Emissionen aus der Stromproduktion 18 g/km (Durchschnitt aller verkauften Neuwagen 153 g/km), Energieeffizienz-Kategorie A. Preis abgebildetes Modell (inkl. zusätzlicher Ausstattungen) Fr. 26 700.–


Fahrtermin

012 VECTURA #8


Magic

Carpet

Ride

Welches ist das beste Auto der Welt? F端r die Manager bei Mercedes-Benz ist die Frage schnell beantwortet: die neue S-Klasse! Ob sie diesen unbescheidenen wie ehrgeizigen Anspruch erf端llen kann, zeigt eine erste Probefahrt

Text Stefan L端scher 揃 Fotos Dirk Weyhenmeyer, Werk

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Fahrtermin

I

hr optischer Auftritt ist beeindruckend und verblüffend zugleich. Eine messerscharf präzise Linienführung signalisiert Kompetenz und eine zukunftsweisende Formsprache. Trotzdem wirkt die neue S-Klasse vertraut, ist als solche sofort identifizierbar. Während die Bodengruppe auf bewährten Elementen des Vorgängers aufbaut, ist alles Sichtbare völlig neu: die Proportionen, die Linien, der Charakter. Das Design folgt keiner Modeströmung, alles wirkt sehr erhaben, elitär und trotzdem nicht aufdringlich. In den Dimensionen hat die jüngste Generation leicht zugelegt. Der Radstand streckt sich von 2,96 m auf nun 3,04 m, bei der Langversion bleibt er mit 3,17 m konstant. In der Gesamtlänge legt die neue Generation von 5,10 m auf 5,12 m zu, die Langversion wächst von 5,23 m auf 5,25 m. Insgesamt wirkt die nunmehr sechste Generation aber deutlich kompakter und harmonischer. Der Trick dabei: Die Kühlermaske ist deutlich grösser und etwas schräger platziert, das lässt den Rest des Wagens automatisch zierlicher erscheinen. Der aufgesetzte Stern wanderte minimal nach hinten, was die Silhouette der S-Klasse zusätzlich streckt. Die Radausbuchtungen wurden dezenter, so wie das ganze Design klassischer, fliessender wirkt und weniger auf modische Effekte setzt. Statt einer Keilform fallen die nach hinten leicht abfallende «Dropping Line» und die sich verjüngende Heckpartie auf. Das verleiht der Limousine souveräne Eleganz und unterstreicht die mit einem cW-Wert von 0,24 mustergültig gute Aerodynamik. Die offensichtliche Harmonie der Proportionen rührt auch vom Designansatz her. Während man bei den früheren S-Klassen mit dem kurzen Modell begann und später eine Stretchversion mit einem Verlängerungselement hinter der B-Säule auflegte, ging man beim intern W222 genannten Super-Benz diesmal umgekehrt vor. Als Erstes entstand der Lange, anschliessend wurde verkürzt. Der Hintergrund ist die Nachfrage der Langversion im asiatischen Raum. Dazu kommt, dass Mercedes speziell für 014 VECTURA #8


Asien an einer längeren «Pullman»-Version arbeitet. Selbst eine extrem gestretchte vierte S-Klasse-Variante, als Ersatz für den wegen Erfolglosigkeit gestrichenen Maybach, ist derzeit nicht ausgeschlossen. Genauso überzeugend wie das Aussendesign ist das Interieur. Das Streben nach Perfektion oder die Jagd nach immer neuen Superlativen werden hier offensichtlich. Man hat sich auf möglichst wenig sichtbare Bedienelemente fokussiert und präsentiert ein Innenraumambiente mit modernster Technologie und gleichzeitig traditioneller Anmutung. Hochwertige Materialien und perfekte Verarbeitung strahlen bestmögliche Qualität aus. Ein schönes Element ist der handschriftliche im unteren Lenkradteil eingelassene Mercedes-Benz-Schriftzug – sozusagen als neuartige Signatur der Marke. Dominierend sind aber zwei im Sichtfeld des Fahrers nebeneinander platzierte, hochauflösende TFT-Farbdisplays mit jeweils über 30 Zentimeter Bildschirmdiagonale! Das linke übernimmt die stark erweiterte Funktion des bisherigen Kombiinstruments, das rechte dient zur Steuerung von Infotainment, Komfortfeatures und Navigation. Wo man in dem mit über 100 kleinen Elektromotörchen gespickten Interieur der neuen S-Klasse am bequemsten und am liebsten sitzt, ist schwieriger denn je zu beantworten. Die Stuttgarter haben der neuen Generation eine geballte Ladung hochstehender Technik und faszinierender Assistenzsysteme, also auch viel Temperament und Fahrspass mit auf den Weg gegeben. Andererseits lockt auch der Fond zum Verweilen: Er ist eine Wellness-Oase, wie sie nicht einmal die First Class im Flugzeug zu bieten hat. Kunden – und da sind wieder jene Asiaten im Fokus, die sich gerne einen Chauffeur leisten – können zwischen fünf unterschiedlichen Fondsitz-Varianten wählen. Der Superlativ ist der Executive-Sessel mit über 40 Grad Lehnenneigung und einer Wadenauflage, die nahe am Liegebett ist. Dazu kommen eine «Hot-Stone»-Massagefunktion mit 14 Luftkissen, eine Sitzbelüftung, ein ausklappbarer Arbeitstisch, kühl- und heizbare Cupholder und ein Tablet-artiger

Bildschirm. Die Innenluft kann zudem mit vier ausgesuchten Parfumnoten nach Mass veredelt werden. Zudem wird einströmende Luft gefiltert und ionisiert. Das eliminiert gewisse Viren, Bakterien sowie Sporen und soll durch eine erhöhte Konzentration negativ aufgeladener Sauerstoff-Ionen entspannend wirken. Ach ja, die Armauflage in der Türe ist ebenfalls beheizt. Es wäre ja eklig, wenn diese für unterkühlte Ellenbogen sorgen würde. Wer dagegen dynamisch zum Fahrersitz strebt, wird auch dies nicht bereuen. Sitzposition, Ergonomie, Übersichtlichkeit oder Bedien-Logik – alles ist mustergültig. Einen der so in Mode gekommenen Startknöpfe sucht man vergebens. Bei Mercedes muss nach wie vor ein Schlüssel eingesteckt und gedreht werden. Der Getriebewählhebel rechts der Lenksäule ist so filigran wie bisher. Bei Mercedes geht man aber davon aus, dass man diesen pro Fahrt ohnehin nur einmal betätigt. Sollte der Fahrer dennoch auf die Idee kommen, die sieben seidenweich schaltenden Gänge selbst verwalten zu wollen, kann er das mittels Lenkrad-Schaltwippen tun. Der erste Fahreindruck ist – Schweben. Die neue S-Klasse wurde nochmals wesentlich leiser, beinahe flüsternd, ohne dabei den Antrieb zu verleugnen: Unser Testwagen wurde von einem überarbeiteten, gleichermassen stärkeren und sparsameren V8Direkteinspritzer befeuert, dessen Leistung gegenüber dem Vorgängermodell von 435 auf 455 PS gestiegen ist. Dank stattlichem Hubraum und Doppelturbo-Aufladung mobilisiert der Achtender schon aus tiefen Drehzahlen ein überzeugendes Drehmoment von 700 Nm, das entscheidend zum souveränen Gesamteindruck der Luxuslimousine beiträgt. Eine sportliche Gangart, die der grosse Benz mit gelassener Selbstverständlichkeit goutiert, quittiert er mit wohligem Knurren. Wie schnell man dabei unterwegs sein kann, offenbart nur der Blick auf den virtuellen Tacho. Das in jedem Detail verbesserte Gesamtpaket mit präziser, elektrischer Servolenkung, neuerdings sogar vorausschauender Luftfederung sowie vielen elektronischen Assistenzsystemen trägt zu einem überraschend Herbst 2013 015


Technische Daten Technische Daten Mercedes S 500 Mercedes Langversion S 500 Langversion Konzept Viertürige Stufenhecklimousine der Oberklasse. Selbsttra- gende Stahlkarosserie, Einzelradaufhängungen und Schei- benbremsen rundum. Siebenstufenautomat mit wahlweise manueller Bedienung per Lenkradwippen. Heckantrieb Motor

V8-Zylinder-Benziner, 2x2 oben liegende Nockenwellen (Kette), Bi-Vanos-Ventilsteuerung, 4 Ventile pro Zylinder, Direkteinspritzung, je zwei Turbolader und Ladeluftkühler, Stopp-Start-System mit Bremsenergierückgewinnung

Hubraum in cm3 Bohrung x Hub in mm Verdichtung Leistung in PS (kW) @ U/min Max. Drehmoment in Nm @ U/min Kraftübertragung

4663 92,9 x 86,0 10,5:1 455 (335) @ 5250–5500 700 @ 1800–3500 A7

Abmessungen (L/B/H) in cm Radstand in cm Spur vorne/hinten in cm Reifen und Räder

525/190/149 316,5 162/164 245/50 R 18 auf 8,0J

Tankinhalt in L Kofferraumvolumen in L Leergewicht (ohne Fahrer) in kg Zulässiges Gesamtgewicht in kg Leistungsgewicht in kg/PS

80 530 2015 2730 6,17

0 – 100 km/h in Sek. Höchstgeschwindigkeit in km/h

4,6 250

Durchschnittsverbrauch* in L/100 km CO2-Emission in g/km Energieeffizienzkategorie Preis ab CHF

9,1 213 D 145 000.–

* gemessen nach NEFZ: Neuer Europäischer Fahrzyklus

016 VECTURA #8


Fahrtermin

Der erste Eindruck ist – Schweben. Die neue S-Klasse ist nochmals deutlich leiser, beinahe flüsternd, ohne den Antrieb zu verleugnen

handlichen und agilen Fahrgefühl bei. Auch auf kurvenreichen Schwarzwald-Strassen verweigert sich der Chef-Mercedes keineswegs. Das Getriebe sortiert die Gänge bei entsprechendem Gaspedaleinsatz auch ohne manuelles Eingreifen blitzschnell, lässt das stattliche Gefährt überraschend leichtfüssig nach vorne schiessen. Ebenso dezidiert wird vor Kurven verzögert: Die Bremsen sind gut dosierbar und schwächeln auch nach rasanter Talfahrt nicht. Grossen Anteil am handlichen Fahrgefühl und am spontanen Einlenken hat die ausgewogene Balance der neuen S-Klasse: Ihre Luftfederung mit stufenloser Dämpfungsregelung verhindert eine zu starke Seitenneigung der grossen Fuhre. Nur in ganz engen Kehren lässt sich das stattliche Gewicht nicht verleugnen – da ist angemessene Geduld gefragt.

Kaum auf dem Markt und schon getunt Die Brabus-Version der neuen S-Klasse trumpft im V8-Modell mit bis zu 730 PS und 1065 Nm (!) auf. Die Top Speed liegt dann bei verbrecherischen 325 km/h und natürlich gibt es auch optische Unterschiede zur profanen S-Serie: 21-Zoll-Felgen sind ebenso im Angebot wie ein Aerodynamik-Paket oder Innenraum-Veredelungen. Wenn die Bottroper so etwas machen, ist das kein billiges Pimpen, sondern professionelles Handwerk: Seit 1977 individualisiert man den Stern aus Stuttgart; in der Schweiz wird Brabus exklusiv von Sahli & Frei in Effretikon vertreten.

Als Alternativen stehen ein 3,5-Liter-V6-Benziner (306 PS), der im S 400 Hybrid von einem 20 kW starken Elektromotor unterstützt wird, sowie ein Dreiliter-V6-Turbodiesel mit 258 PS (Verbrauch ab 5,5 L/100 km) zur Verfügung; Letzteren gibt es auch als Hybrid-Version mit 204 PS (Verbrauch 4,4 L/100 km). Alle Triebwerke verfügen über eine Stopp-Start-Funktion; weitere Motoren sollen folgen. Der Allradantrieb 4matic wird bereits Ende Jahr verfügbar sein. Entwicklungsvorstand Thomas Weber gestattet einen Blick in die Zukunft: «Die aktuellen Triebwerke sind erst der Anfang unserer Green-Leadership-Offensive. Schon bald folgt mit dem S 500 Plug-in-Hybrid die erste S-Klasse, die beim Verbrauch eine 3 vor dem Komma tragen wird.»

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Herbst 2013 017


S-Klasse-Chronik Für das Topmodell hat sich Mercedes schon immer mächtig ins Zeug gelegt; die Historie dieser Baureihe ist mit Innovationen gepflastert. Schliesslich verfolgte man stets die Maxime, das beste Auto der Welt herzustellen – als Visitenkarte, Flaggschiff und Statussymbol Ein erster Superlativ der Automobil-Geschichte war der Mercedes Simplex. Er wurde von 1903 bis 1905 gebaut. Sein Vierzylinder leistete 60 PS. 1928 bis 1933 folgte der Mercedes-Benz Nürburg mit Pullman-Karosserie und dem ersten Achtzylinder des Hauses. Der Mercedes-Benz 770 (W07 und W150) von 1930 bis 1943 besass den ersten Kompressor-Achtzylinder, zwei Zündkerzen pro Zylinder und eine De-Dion-Hinterachse. Der aerodynamische Mercedes-Benz 320 (W142) von 1937 bis 1942 verfügte als erster über ein vollsynchronisiertes Vierganggetriebe. Nach dem Zweiten Weltkrieg erhielten die Limousinen-Spitzenversionen jeweils ein S in der Modellbezeichnung. Der 220 S (W187) von 1954 bis 1959 verfügte über eine selbsttragende Karosserie, eine getrennt regelbare Heizung mit Lüftung, Brems-

Generation S-Klasse W116, 1972 bis 1980. Länge/Breite/Höhe: 4,96/1,87/1,43 m, Gewicht ab 1610 kg, Motoren mit 160 bis 286 PS, ABS-Bremsen (ab 1978 als Option), Tempomat, Automatikgetriebe, erster Dieselmotor ab 1978, Preis ab CHF 34 600.– (1973)

Generation S-Klasse W126, 1979 bis 1991. Länge/Breite/Höhe: 5,00/ 1,82/1,43 m, Gewicht ab 1560 kg, Motoren mit 160 bis 286 PS, neue V8-Aluminium-Motoren, Luftwiderstandsbeiwert cW = 0,37, Katalysator als Option ab 1985, Fahrer-Airbag als Option ab 1981, Antischlupf-Regelung als Option ab 1985, Preis ab CHF 39 950.– (1980)

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trommeln mit Turbokühlung und ab 1958 erstmals eine Benzineinspritzung. Der 300 SE (W111 und W112) von 1959 bis 1965 kam mit Sicherheits-Fahrgastzelle, Scheibenbremsen, ZweikreisBremsanlage, Vierstufenautomatik, Zentralverriegelung und Luftfederung. Die spektakuläre Staatslimousine 600 (W100) von 1963 bis 1981 galt als Superlativ des Automobilbaus. Der 6,3-Liter-V8 leistete 250 PS. Die Fahrzeuglänge betrug 5,54 m, der Pullman mass stolze 6,24 m. Zum Kundenkreis gehörten Papst Paul VI., John Lennon, Elvis Presley und Herbert von Karajan. Mit dem Mercedes-Benz 250 S bis 300 SEL (W108/W109) von 1965 bis 1972 wurde eine neue Sicherheitslenkung eingeführt und im Spitzenmodell der 6,3-Liter-V8 des 600 montiert, welcher für Fahrleistungen auf Sportwagen-Niveau sorgte. sl


rückspiegel

Generation S-Klasse W140, 1991 bis 1998. Länge/Breite/Höhe: 5,11/1,89/1,49 m, Gewicht ab 1890 kg, Motoren mit 150 bis 408 PS, Vierventiltechnik, verstellbare Einlassnockenwellen, Fünfstufenautomatik, Parameterlenkung, Doppelverglasung, höhenverstellbare Sicherheitsgurte, Klimaautomatik, adaptive Stossdämpfer, ESP, Parktronic, Navigationssystem, Xenonlicht, Preis ab CHF 97 880.– (1992)

Generation S-Klasse W220, 1998 bis 2005. Länge/Breite/Höhe: 5,04/1,86/1,44 m, Gewicht ab 1695 kg, Motoren mit 197 bis 612 PS, Leichtbaukarosserie, Luftwiderstandsbeiwert cW = 0,27, automatische Zylinderabschaltung, Siebenstufenautomatik, Sitzbelüftung, Distronic, Bi-Xenonlicht, Pre-Safe, Allradantrieb als Option, Preis ab CHF 97 700.– (1999)

Generation S-Klasse W221, 2005 bis 2013. Länge/Breite/Höhe: 5,08/1,87/1,47 m, Gewicht ab 1735 kg, Motoren mit 204 bis 630 PS, Luftwiderstandsbeiwert cW = 0,26, Aktive Fahrwerksregelung, Nachtsicht-Assistent, Totwinkel-Assistent, Spurhalte-Assistent, erster 4-Zylinder der S-Klasse, Preis ab CHF 98 300.– (2005)

Herbst 2013 019


technik

Besuch aus der Zukunft Die Mercedes S-Klasse ist traditionell als technologischer Vorreiter zu verstehen: Einige ihrer Zutaten werden sukzessive auch in kleineren Baureihen des Hauses zu finden sein. die sechste S-Klasse-Generation beinhaltet natürlich wieder eine Vielzahl faszinierender Systeme – hier sind die interessantesten Text Stefan Lüscher

Distronic Plus mit Lenkassistent und Stopp&Go-Pilot Dieser Tempomat mit Radar-basierter Abstandsregelung zum Vordermann ist um einen Lenkassistenten und eine Stop-and-Go-Funktion erweitert worden. Mittels Kameras kann sich das System an Fahrbahnlinien oder am Vordermann orientieren und dabei in StauSituationen selbständig anhalten, anfahren und über die elektromechanische Direktlenkung die Spur halten. Es ist ein weiterer Schritt zum autonom fahrenden Automobil. Vorrangig entlastet das aktive System im heute so häufigen Kolonnenverkehr und hilft Auffahrunfälle zu vermeiden. BAS Plus mit Kreuzungsassistent Während der Bremsassistent bisher nur vorausfahrende Hindernisse auf dem Radar hatte, sind die unter dem Begriff «Intelligent Drive» zusammengefassten Stereokameras und Radarsensoren nun auch vor Querverkehr auf der Hut: Das System registriert Autos, Fussgänger, Velos oder Tiere – und das Tag und Nacht. Droht ein Kreuzungsunfall, wird der Fahrer durch optische und akustische Warnung zur Notbremsung aufgefordert. Bei zu zaghaftem Bremsen unterstützt es den Fahrer notfalls bis zur Vollbremsung. Der Kreuzungsassistent arbeitet bis zu einem Tempo von 72 km/h. LED-Licht-Konzept Die neue S-Klasse kommt als erstes Serienfahrzeug komplett ohne Glühlampen aus. Stattdessen übernehmen knapp 500 LED die Beleuchtung von Strasse und Fahrzeug inklusive Kofferraum. Je 56 LED bilden eine Scheinwerfereinheit, die auf Wunsch mit dem adaptiven Fernlichtassistenten gekoppelt ist. Der ermöglicht das Fahren mit Dauerfernlicht, weil erkannte Verkehrsteilnehmer (Vorausfahrende und Gegenverkehr) im Lichtkegel automatisch «umleuchtet» und damit nicht geblendet werden. Die Rückleuchten setzen sich aus je 35 LED zusammen und können je nach Umgebungslicht und Tempo unterschiedlich hell leuchten. Rund 300 LED übernehmen die Innenraumbeleuchtung inklusive Ambiente-Licht. Die kompakte Technologie verschafft den Designern bessere Gestaltungsmöglichkeiten; LED sind zudem wesentlich langlebiger und sparsamer. Allein die LED-Scheinwerfer reduzieren den Verbrauch gegenüber Halogen-Lichtern um immerhin 0,05 L/100 km. Aktiver Spurhalteassistent Das bekannte System ist durch wichtige Funktionen erweitert worden: Es erfasst nicht mehr nur die Spur und warnt beim Verlassen durch Lenkradvibrationen. Neu überwacht dieser Assistent mittels Kameras, ob beim Verlassen der Spur Gegenverkehr naht – und checkt mittels zusätzlicher Heckkamera, ob man sich mit Parallelverkehr auf Kollisionskurs befindet. Im Gefahrenfall korrigiert das System mittels ESP mit ei020 VECTURA #8

nem dosierten, einseitigen Bremseingriff. Ähnlich funktioniert der Seitenwind-Assistent: Luftströmungseinflüsse werden mit einseitigem Bremseingriff korrigiert; bei Fahrzeugen mit adaptiv-automatischem Fahrwerk geschieht das primär über eine gezielte Radlastveränderung durch Verstellung der Dämpfer. Pre Safe Plus mit Heckaufprallschutz Die neue S-Klasse ist vorne und hinten mit insgesamt sechs Radarsensoren abgesichert. Dazu kommen vier Kameras, eine neuartige Stereokamera mit zwei Objektiven und zwölf Ultraschallsensoren. «Damit hat die neue S-Klasse nicht nur vorne Augen, sondern auch hinten», präzisiert Entwicklungs-Vorstand Thomas Weber: «Das erweiterte Pre Safe Plus kann damit auch einen drohenden Auffahrunfall erkennen, den Auffahrenden mit Warnblinken in hoher Frequenz und Leuchtkraft warnen und den Aufprall mit diversen präventiven Massnahmen wie starkes Bremsen entschärfen, damit eine Folgekollision verhindern und das Risiko eines Schleudertraumas reduzieren.» Beltbag für Fondsitze Es handelt sich um einen in den Sicherheitsgurten der Rücksitze integrierten Airbag. Er verbreitert die Auflagefläche bei einem Frontalaufprall um fast das Dreifache, reduziert so die auf Passagiere wirkenden Kräfte und damit deren Verletzungsrisiko. Burmester High-End 3D-Surround-Sound Gegen Aufpreis kann die S-Klasse mit einem Stereosystem der Extraklasse bestückt werden. Die Klangqualität ist auch in Wohnungen kaum zu übertreffen. 24 perfekt abgestimmte Lautsprecher mit einer Gesamtleistung von 1540 Watt, ein 24-Kanal-Verstärker und eine Fahrzeuggeräusche-Kompensation sorgen für makellosen 3DSurround-Sound und ein bisher unerreichtes Hörvergnügen. Magic Body Control Die neue S-Klasse kann als erstes Fahrzeug Bodenwellen erkennen: Eine 3D-Stereokamera scannt die Strassenoberfläche und interagiert mit der kürzlich preisgekrönten 6D-Vision-Technologie, die auch von anderen Systemen der S-Klasse genutzt wird. Das MBC (siehe VECTURA #5) kann so tatsächlich manche Strassenunebenheiten neutralisieren, bevor sie zu den Passagieren durchschlagen. Möglich wird dies im Zusammenspiel mit dem adaptiven Dämpfersystem und der Luftfederung: Noch bevor die Vorderräder auf eine Unebenheit treffen, wird die Druckstufe der Stossdämpfer pro-aktiv weich gestellt. Scharfkantige Kanaldeckel und Schlaglöcher kann das neue System zwar noch nicht ausbügeln. Lästige Schwellen und Bahnübergänge passiert es aber beinahe schwebend.


Fahrtermin

Silberpfeil fürS Handgelenk.

Ingenieur Chronograph Silberpfeil.

treibt das Manufakturkaliber 89361 die Zeiger auf

Ref. 3785: Der Silberpfeil. Eine kompressorauf­

dem mit Perlage geschmückten Zifferblatt an. Die

geladene Legende, welche die Herzen von Renn­

Bodengravur eines Silberpfeil­Rennwagens vervoll­

sportenthusiasten höher schlagen lässt. So wie der

ständigt den Tribut.

i wc . e n g i n e e r e d fo r m e n .

Silberpfeil die Grossen Preise der 1930er­Jahre prägte, trug die Ingenieur massgeblich zu unserem heutigen Ansehen bei. Unsere auf 1’000 Stück limi­ tierte Hommage an die Boliden ist also kein Zufall: Im Edelstahlgehäuse der Chronograph Silberpfeil

Limitierte Auflage von jeweils 1’000 Exemplaren, Mecha­ nisches IWC­Manufakturchronographenwerk, Auto­ matischer IWC­Doppelklinkenaufzug, Datumsanzeige, Flybackfunktion, Entspiegeltes Saphirglas, Wasserdicht 12 bar, Gehäusehöhe 14,5 mm, Durchmesser 45 mm

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Gleiche Gene: IWC und Silberpfeil

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Herbst 2013 021


Länge läuft Die neue S-Klasse tritt gegen fünf Konkurrenten an. und die sind auch nicht von schlechten Eltern Text Stefan Lüscher · Fotos Werk

Luxuriöser Leichtbau: Audi A8 Das Flaggschiff von Audi verfügt über eine sogenannte SpaceFrame-Vollaluminium-Karosserie und -Bodengruppe. Damit ist die dritte Generation der Luxus-Limousine in der Basisversion gerade mal 1830 kg schwer. Allerdings ist der A8 gegenüber der neuen Mercedes S-Klasse auch kompakter: Bei einem Radstand von 2,99 Meter misst der Audi in der Länge 5,14 m, in der Breite 1,95 m und in der Höhe 1,46 m. Der Laderaum fasst 510 Liter. Die Langversion verfügt über einen Radstand von 3,12 m, die Gesamtlänge misst 5,27 m. Zum Herbst erfährt der grosse Audi eine umfassende Aufwertung inklusive Matrix-LED-Scheinwerfern, neuen Assistenzsystemen oder stärkeren wie sparsameren Motoren. Die Benziner verfügen nach wie vor über 4, 6, 8 und 12 Zylinder, leisten jetzt ab 258 bis zu 520 PS beim Topmodell S8. Die Leistungsspanne der Turbodiesel reicht von 258 (V6) bis 385 PS (V8). Ausser dem 2.0 TFSI Hybrid (Systemleistung 245 PS) und dem Diesel-Basismodell (Vorderradantrieb) verfügen alle Modelle über das Allradsystem Quattro; als Getriebe dient generell eine Achtgangautomatik. Die Preise standen bei Redaktionsschluss noch nicht fest, sollen sich aber zwischen rund 95 000 (3.0 TDI) und 175 000 Franken für den V12 bewegen.

Bayerischer Löwe: BMW 7er Die fünfte Auflage des klassischen S-Klasse-Gegenspielers wurde bereits 2005 präsentiert und geht damit dem Ende ihres Lebenszyklus entgegen. Dank intelligentem Leichtbau begnügt sich der Basis-7er sogar mit einem Gewicht ab 1825 kg. Bei einem Radstand von 3,07 m misst das Flaggschiff in der Länge 5,08 m; die Breite beträgt 1,90 m und die Höhe 1,47 m. Der Laderaum fasst exakt 500 Liter. Auch vom BMW gibt es eine Langversion mit einem Radstand von 3,12 m, die 5,22 m lang ist. Als Antriebe setzt BMW auf drehmomentstarke Turbomotoren. Die Benziner verfügen über 6, 8 und 12 Zylinder. Der mit einem generellen Facelift 2012 nachgeschobene ActiveHybrid (3.0 V6) hat eine Systemleistung von 354 PS, der 4,4-Liter-V8 bringt 450 PS und der 6.0-LiterV12 satte 544 PS. Die Power der Dreiliter-V6-Turbodiesel reicht von 258 bis 381 PS. Alle Modelle verfügen über den Achtstufenautomaten von ZF, sämtliche Diesel und der V8-Benziner weisen Allradantrieb auf. Die 7er-Preise starten bei CHF 106 200.– (730d xDrive) und das Topmodell, die nur mit Hinterradantrieb erhältliche Langversion 760i V12, steht mit CHF 210 500.– in der Preisliste.

022 VECTURA #8


Showroom

Feiner Brite: Jaguar XJ Der in dritter Generation seit 2009 und seit 2013 auch mit Allradantrieb erhältliche Jaguar XJ verfügt wie der Audi über eine Vollaluminium-Karosserie. Sein Gewicht wird mit mindestens 1775 kg angegeben. Bei einem Radstand von 3,03 m misst der elegante Engländer in der Länge 5,12 m, in der Breite 1,90 m und in der Höhe 1,45 m. Die Langversion verfügt über einen Radstand von 3,16 m und eine Gesamtlänge von 5,25 m. Der Laderaum fasst bei beiden Modellen 520 Liter. Die zum Teil neue Motorenpalette startet auch beim Jaguar mit einem Vierzylinder-Aggregat (2,0 L, 240 PS). Des Weiteren stehen bei den Benzinern der mit Allradantrieb kombinierte Dreiliter-Kompressor-V6 (340 PS) und ein Fünfliter-V8-Kompressor (510 PS) im Angebot. Der Dreiliter-Turbodiesel leistet 275 PS. Alle Triebwerke bringen die Kraft via Achtstufenautomatik auf die Strasse. Preislich beginnt die sportlich geschwungene Luxus-Limousine aus England bei CHF 109 500.– (2.0), das Topmodell (5.0) kostet in der Langversion CHF 196 300.–.

Fernost-Flair: Lexus LS Die Edelmarke aus dem Hause Toyota startete 1988 mit der Luxuslimousine LS. Die 2013 facegeliftete dritte Generation der japanischen Oberklasse LS hat sich in erster Linie als Hybridmodell und mit ihrem seidenweichen Lauf einen Namen gemacht. Die Länge beträgt 5,09 m, die Breite 1,88 m und die Höhe 1,47 m; der Radstand misst 2,97 m. Die ausschliesslich als Hybridmodell mit Topausstattung erhältliche Langversion ist 5,21 m lang, dies bei einem Radstand von 3,09 m. Beide Modelle verfügen über eine Laderaumkapazität von stattlichen 560 Liter. Das Gewicht beginnt bei 1940 kg. Der LS 460 verfügt über einen 4,6-Liter-V8-Benziner. In Verbindung mit Hinterradantrieb leistet er 388 PS, bei den Allradversionen sind es 270 PS. Das Hybrid-Modell LS 600h ist ausschliesslich mit Allradantrieb erhältlich; unterstützt von einem Elektromotor kommt der Fünfliter-V8-Benziner auf eine Systemleistung von 445 PS. Während der LS 460 ebenfalls über eine Achtstufenautomatik verfügt, setzt das Hybridmodell auf ein stufenloses Getriebe. Die Preise beginnen für den LS 460 bei CHF 113 600.–; das Topmodell kostet als Langversion CHF 177 200.–.

Italo-Express: Maserati Quattroporte Der Anfang 2013 in Detroit in sechster Generation präsentierte Viertürer hat in seinen Dimensionen deutlich zugelegt und orientiert sich jetzt an den direkten Konkurrenten im Luxussegment. Bei einem Radstand von stolzen 3,17 m misst er in der Länge 5,26 m, in der Breite 1,95 m und in der Höhe 1,46 m. Sein Laderaum fasst mit 530 Liter nun 80 L mehr als beim Vorgänger. Trotzdem konnte das Gewicht um rund 100 kg gesenkt werden und wird jetzt ab 1860 kg beziffert. Neu sind auch die Aggregate, ein Dreiliter-Twin-Turbo-V6 mit 410 PS und ein kompakter 3,8-Liter-Twin-Turbo-V8 mit 530 PS. Dazu soll später ein Turbodiesel-Aggregat kommen. Erstmals gibt es den von Pininfarina gezeichneten Italiener auch mit Allradantrieb. Als Kraftübertragung steht allen Modellen die schon bei der Konkurrenz eingesetzte Achtstufenautomatik von ZF zur Verfügung. Die Schweizer Preise starten bei 126 900 Franken für den S Q4 (V6 und Allradantrieb); das V8-Modell kostet ab CHF 171 900.–. Herbst 2013 023


RUBRIKEN

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RUBRIKEN

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Fahrtermin

Fliegender Spurwechsel Die neue «kleine» Bentley-Limousine soll nicht nur etwas schöner, grösser, stärker und sparsamer sein als ihr Vorgänger, sondern auch den Absatz ankurbeln – vor allem im Reich der Mitte. Deswegen gibt sich der zweite Bentley Flying Spur hauptsächlich luxuriöser und weicher als zuvor. Folgerichtig absolvierten wir die Erstfahrt in Peking Text Roland Löwisch · Fotos Max Eary, Jamie Lipman, Charlie Magee

V

ermutlich wäre es falsch, Chinas Hunger nach Luxus, das Streben nach Reichtum und das extreme Wirtschaftswachstum des Riesenreiches auf eine Aussage Deng Xiaopings Anfang der 80er-Jahre zu reduzieren. Doch immerhin fabulierte der damalige Staatschef sinngemäss von einem «Sozialismus chinesischer Prägung, bei dem es prachtvoll sein könnte, reich zu werden…» Viele Chinesen haben sich danach gerichtet: Heute gibt es nach einer Studie der Managementberatung A.C. Kearney rund 1,2 Millionen Chinesen mit einem Vermögen von etwa je 1,2 Millionen Euro – und 63 000

026 VECTURA #8


Menschen mit einem Vermögen von etwa je zwölf Millionen Euro. In den nächsten Jahren sollen diese Zahlen um acht bis 30 Prozent wachsen. Ein schlechter Luxusautohersteller wäre, wer sich nicht mit Nachdruck dieser Klientel anbieten würde. Kearney rät, dafür lokal angepasste Produkte für die besonderen Geschmäcker der JungMillionäre zu entwickeln. Dabei seien marktführende Technik und Fahrdynamik weniger erheblich. Dem Chinesen an sich ist Komfort, Platz und sichtbarer Luxus viel wichtiger.

Das ist die perfekte Spielwiese für einen neuen Bentley Flying Spur, den uns der britische Hersteller in deutscher Hand auch gleich in China testen liess, um ganz deutlich zu machen, für welchen Markt dieses Auto vorrangig gedacht ist. Auch wenn der Vorgänger seit 2005 insgesamt rund 20 000 Mal verkauft wurde und von den 2012 verkauften 2100 Stück genau 1164 Stück (55 Prozent) nach China gingen, war es Zeit für eine Auffrischung. Schliesslich sollen künftig sogar 60 Prozent der Flying-SpurProduktion ins weiterhin aufstrebende Reich der Mitte exportiert werden.

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Fahrtermin

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Peking ist heute ein Neun-Millionen-Moloch. Bentley-Kunden gehÜren zur Wirtschafts-Elite – und durchqueren den Smog in luftgefilterten Kabinen

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FAHRTERMIN

Erster Schritt: Bentley streicht beim neuen Flying Spur das «GT» aus der bisherigen Namenskombination, um der Limousine schon mal mehr Eigenständigkeit zu verleihen. Der zweite Schritt ist ein neues Design: Wirkte der Vorgänger immer ein bisschen wie ein Continental GT mit zu spät erdachtem und deshalb etwas lieblos angeklebtem Limousinen-Heck, verlaufen die Linien nun wesentlich harmonischer. Die Karosserieelemente sind stärker ausgeformt, der Body wirkt schlanker, der jetzt breitere Radstand und die stärker betonten hinteren Radhäuser vermitteln Dynamik. Besonders der neu geformte und längere Heckdeckel sowie die nun horizontal angeordneten Rückleuchten mit grossen Ellipsen tragen zum wesentlich eleganteren Eindruck bei. Vorne sind die äusseren Leuchten jetzt grösser als die innen liegenden, was den Flying Spur noch deutlicher vom GT-Coupé unterscheidet. Innen sollen rund 600 Teile neu sein, versichert Bentley, nur Dinge wie Sonnenblenden, Türgriffe, Armlehnen und ein paar Schalter am Armaturenbrett sind übernommen worden. Bestens verarbeitetes Leder oder Holz dominieren nach wie vor und der aufstrebende Chinese kann nun auch per Fernbedienung vom Fond aus diverse Systeme steuern wie die (optionale) 1100-Watt-Naim-forBentley-Anlage. Überhaupt wird er sich hinten nicht langweilen, falls die Multimedia-Spezifikation an Bord ist: Zehn-Zoll-LCDBildschirme, WLAN-Hotspot, 64-GB-Festplatte, USB-Anschlüsse, DVD-Einschub und noch mehr sollen ihm die Fahrten zu seinen Fabriken verkürzen. Luxus eben. Dabei wird es ihn eher weniger interessieren, dass der neue Flying Spur um 50 Kilo gegenüber seinem Vorgänger abgespeckt hat, mit 322 km/h Spitze auch schnellste Bentley-Limousine aller Zeiten genannt werden darf, seine Karosserie um vier Prozent steifer ist und der Motor trotz zwölf Prozent mehr Leistung nun 13,5 Prozent weniger Kraftstoff konsumiert. Ihm werden die Eckdaten reichen, um des Nachbars neidisches Gesicht zu geniessen: 625 PS, Achtganggetriebe, permanenter Allradantrieb, der Sprint von 0 auf 100 km/h in 4,6 Sekunden. Schade, dass wir das alles nicht so richtig ausprobieren können – dazu sind die chinesischen Städte wie Peking, wo wird starten, zu voll und die chinesischen Gefängnisse, die uns bei Verkehrsübertretungen jeder Art drohen, zu ungemütlich. Was aber sofort auffällt, ist die Ruhe in dem grossen Wagen – eine Eigenart, die der gemeine Chinese eigentlich nur geniessen kann, wenn er in einem Auto sitzt. Mit grossem Aufwand hat Bentley Geräuschdämmung betrieben: Die Auspuffanlage erhielt ein neues Layout, die Endschalldämpfer glänzen jetzt mit 18 Liter

Volumen, der Unterboden wurde neu eingekleidet, neue Komfortreifen wurden aufgezogen. Serienmässig sind 19 Zoll, machbar sind 21. Dazu hat Bentley Akustikglas verwendet, die Fensterdichtungen doppelt ausgelegt, die Motoraufhängung optimiert. Das Ergebnis ist ein um 40 Prozent reduzierter Lärmpegel im Innenraum, wobei man schon beim Vorgänger nicht gerade von einer Lärmschüssel reden konnte. Auffällig ebenso die neue Fahrwerksabstimmung, die den scheinbar äusserst sensiblen verlängerten Rücken der Chinesen angepasst wurde. Denn die mögen es weich. Also verringerte Bentley die Federraten der Dämpfung vorne um zehn und hinten um 13 Prozent, legte die Querstabilisatoren um 13 bis 15 Prozent softer aus, ebenso die Lagerbuchsen – um sogar 25 bis 38 Prozent. Herausgekommen ist eine luftgefederte Sänfte, die man selbst mit der extremsten der vier möglichen, per Touchscreen einstellbaren Fahrwerksabstufungen nicht wirklich hart bekommt. Gut für den chinesischen Cruiser, nicht voll befriedigend für den Schweizer Geschäftsmann, der sich auch gerne mal selber ans Steuer setzt und die 625 PS über deutsche Autobahnen fliegen lassen will. Dafür wird nur er bemerken, dass sich die Fahrwerkshöhe aus aerodynamischen Gründen bei hohen Tempi ändert, denn in China sind 120 km/h auf Autobahnen das Maximum: Ab 195 km/h senkt sich die Limousine vorne um fünf und hinten um zehn Millimeter ab, bei 240 km/h sind es dann acht und 13 mm. Insgesamt glänzt der neue Flying Spur mit einem cW-Wert von nur 0,29 – das ist ein gutes Ergebnis für so ein 2,5-Tonnen-Schiff. Ist der chinesische Kunde im Durchschnitt fünf bis zehn Jahre jünger als der westliche Käufer, den Bentley zwischen 40 und 50 Jahren einordnet, muss er wesentlich tiefer in die Tasche greifen, wenn er sich diesen Luxusschlitten gönnen will. Für einen Flying Spur in Basisausführung sind nicht zuletzt aufgrund diverser Luxussteuern 4 058 000 Renminbi Yuan hinzublättern, das wären umgerechnet gut 600 000 Franken. Der glückliche Schweizer zahlt nur 271 300 Franken inklusive Steuern – und für die Edelversion Mulliner einen Aufschlag von humanen 16 000 Franken. Irgendeinen Vorteil muss es ja noch haben, in Europa zu leben…

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fahrtermin

Technische Daten Bentley Flying Spur Konzept Zweite Generation der «kleinen» viertürigen Bentley-Limousi- ne mit vier Türen, luxuriöser Ausstattung und grossem Kofferraum. Permanenter Allradantrieb (40:60 hecklastig), ZF-Automat mit Quickshift und Lenkrad-Schaltwippen Motor

Zwölfzylinder in W-Form, vier obenliegende Nockenwellen, vier Ventile pro Zylinder, Zahnriemen, zwei Turbolader, zwei Ladeluftkühler, Superbenzin bis E20 konsumfähig

Hubraum in cm3 Bohrung x Hub in mm Verdichtung Leistung in PS/kW @ U/min Max. Drehmoment in Nm @ U/min Kraftübertragung

5998 84 x 90,2 9,0:1 625/460 @ 6000 800 @ 2000 A8

Abmessungen (L/B/H) in cm Radstand in cm Spur vorne/hinten in cm Reifen und Räder

529,5/197,5/149 306,5 164,5 / 164 275/45 ZR 19 auf 9.5J

Tankinhalt in L Kofferraumvolumen in L Leergewicht (ohne Fahrer) in kg Zulässiges Gesamtgewicht in kg Leistungsgewicht in kg/PS

90 475 2475 2972 3,96

0 – 100 km/h in Sek. Höchstgeschwindigkeit in km/h

4,6 322

Durchschnittsverbrauch* in L/100 km CO2-Emission in g/km Energieeffizienzkategorie Preis ab CHF

14,7 343 G 271 300.–

* gemessen nach NEFZ: Neuer Europäischer Fahrzyklus

032 VECTURA #8


RUBRIKEN

Designed f체r den Bodyguard in dir. Der neue Volvo XC60 mit Velofahrerund Fussg채nger-Erkennung.

Herbst 2013 033


RUBRIKEN

Sieg und Serie Nismo ist nicht viel jünger als AMG oder die M GmbH. Seit wenigen Monaten verkauft die japanische Tuningschmiede auch in Europa. Höchste Zeit also, die Geschichte und Zukunft der Nissan-Tochter zu beleuchten Text Simon Baumann · Fotos Werk

I

m März 1964, als der Tunnel unter dem Grossen Sankt Bernhard eröffnet wird, die ersten Ford Mustang von den Bändern laufen und die Beatles die Plätze 1 bis 5 der USamerikanischen Hitparade belegen, wird im fernen japanischen Murayama unter grossem Zeitdruck ein Fahrzeug entwickelt, das Automobilgeschichte schreiben wird. Am 1. Mai erhält der Skyline 2000 GT S54 seine Homologation – nur zwei Tage vor seiner Premiere bei einem Tourenwagen-Rennen in Suzuka. Dort fährt er prompt auf die Plätze 2 bis 6, nur geschlagen von einem Porsche 904 GTS. Bei dem von der Prince Motor Company entwickelten BasisSkyline Typ S50 handelt es sich um die zweite Modellgeneration einer kompakten Mittelklasse-Limousine. Die Ingenieure sehen jedoch Chancen im Motorsport – und statten den Viertürer nach Feierabend mit einem 105 PS starken Zweiliter-Reihensechszylinder aus, der dem grösseren Prince Gloria Super 6 entnommen ist. Um den Motor unterbringen zu können, muss der SkylineVorderwagen um 20 Zentimeter verlängert werden. 100 Exemplare werden entstehen; sie sind leicht und gehören zu den ersten Power-Limousinen der Welt.

Rückblickend markiert der S54 die Geburtsstunde der «Nissan Motorsports International Co. Ltd», kurz: Nismo. Nissan wird Prince zwar erst 1966 übernehmen und die eigene Renn-Division weitere 18 Jahre später gründen, um die Aktivitäten zu bündeln und sowohl die Werksteams als auch die steigende Zahl von 034 VECTURA #8

Kundenautos fachgerecht betreuen zu können. Doch Nismo steht gleichwohl für den Hochleistungs-Anspruch und die stolze Motorsport-Historie, deren Anfänge bald 50 Jahre zurückliegen. Die dem ersten Skyline folgenden Evolutionsstufen fahren in der japanischen Meisterschaft fast alles in Grund und Boden. Der 1967 eingesetzte, 88 PS leistende Skyline S57 verfügt dann über den stärksten 1,5-LMotor seiner Epoche. Zwei Jahre später führt Nissan das Kürzel GT-R ein, welches zum Mythos werden wird: Zunächst bezeichnet es eine Skyline-Limousine, 1971 folgt ein rassiges Coupé mit dem internen Code KPGC-10. Der Erfolg des Duos im japanischen Motorsport sucht bis heute seinesgleichen: Die Limo siegt in 33 Rennen, der Zweitürer baut diese Erfolgsserie auf 50 Siege aus – und das in nicht einmal drei Jahren. 1986 nimmt Nissan unter Federführung von Nismo erstmals am 24-Stunden-Rennen von Le Mans teil. Es ist der Beginn eines langfristigen Engagements, das in den folgenden Jahren zum Einsatz zahlreicher von Nismo präparierter GT und Prototypen auf dem berühmten Kurs im Departement Sarthé führt. 1988 debütiert dann der erste reinrassige Nissan-Rennwagen – ein offener Einsitzer auf Basis der Roadster-Studie Saurus, konzipiert für einen Markenpokal und später von Rennfahrerschulen gern genutzt. Gleichzeitig wird in England die Nismo Motorsports Europe (NME) gegründet, um gemeinsam mit Lola einen LM-Prototypen aufzubauen. Das folgende Jahr sieht dann die Enthüllung eines Tourenwagens von Nissan, der nicht nur die japanische, sondern auch die weltweite Gemeinde der Motorsportfans aufhorchen


Markenkunde

Nismo-Keimzelle: Prince Skyline 2000 GT R54 von 1964

lässt: der Nissan Skyline GT-R R32. Mit Allradantrieb und Allradlenkung trägt dieses Auto von Beginn an eine totale Dominanz zur Schau. R32-GT-R-Modelle nach Gruppe-A-Reglement gewinnen auf nationaler Ebene 29 Rennen in Folge und haben zwischen 1990 und 1993 ein Dauer-Abonnement auf die japanische GT-Meisterschaft.

Beim berühmten Bathurst 1000 in Australien tritt der R32 gegen die mächtigen Holden- und Ford-V8 an – und besiegt sie zweimal. Auch die australische Tourenwagen-Meisterschaft steht zwischen 1990 und 93 ganz im Zeichen des GT-R R32. Ob dieser Überlegenheit ersinnt ein australischer Journalist in Anspielung auf das grausame Trickfilm-Monster aus Japan den ehrfürchtigen Spitznamen Godzilla. Auch in Europa hinterlässt das Ungeheuer riesige Fussabdrücke: 1991 eilt es bei den 24 Stunden von SpaFrancorchamps zum Gesamtsieg; im gleichen Jahr streicht der R32 bei den 24 Stunden auf dem Nürburgring den Klassensieg in der Gruppe N ein. Für Fans gibt es daraufhin eine strassenzugelassene Nismo-Version. Dazu kommt ein virtueller Einsatz auf der Sony-Playstation: Im populären Spiel «Gran Turismo» avancieren Nismo-Modelle schnell zu globalen Superstars. 1995 umrundet der neue Skyline GT-R R33 als erstes Produktionsauto die Nürburgring-Nordschleife in unter acht Minuten. Mit dem R34 folgt der erste Renntourenwagen, den Nismo komplett in Eigenregie baut: Dessen 2,8-Liter-Biturbo-Sechszylinder leistet in der V-Spec-Version satte 500 PS; für begeisterte Kunden

Nachfolger: der Skyline 2000 GT-R von 1969

1972 bringt Nissan ein neues Coupé namens Skyline HT 2000 GT-R

Herbst 2013 035


Markenkunde

Erstmals mit Allradantrieb und Allradlenkung: Der GT-R R32 sorgte 1989 auch in Europa für Aufsehen

baut man 20 Strassenautos. Gesamtsiege in Spa und Le Mans folgen und machen Nismo auch in der europäischen Szene bekannt. In der Heimat beteiligt sich Nissan mit dem R34 zwischen 1999 und 2003 an der Super-GT-Meisterschaft und erringt zweimal den Titel – sowohl bei den Fahrern als auch den Teams. Einer der beiden siegreichen Piloten ist der Deutsche Michael Krumm. 2004 kommt es dann zur Wachablösung durch den Nissan 350Z, der gleich bei seinem ersten Einsatz triumphiert und Nissan die Fahrer- und Teamwertung sichert; 2005 reicht es dann noch einmal zum Gewinn der Mannschaftswertung. Auch abseits der Rennstrecken zahlt sich die Nismo-Expertise aus. Ein Höhepunkt ist zweifellos die Rallye Dakar 2004, bei der der Schotte Colin McRae auf einem Nissan-Pick-up zwei Etappensiege erringen kann. Parallel schliesst Nismo die Lücke zwischen Renn- und Strassensportwagen: Nach dem Vorbild von Firmen wie AMG entsteht ein Sortiment hochwertiger Tuningteile mit Werksgarantie für all jene, die ihr Fahrzeug mit Technik aus den Nissan-Rennwagen verbessern wollen. In der Folge tauchen verstärkt leistungsgesteigerte und optisch veredelte Nismo-Modelle auf Japans Strassen auf. Die Präsentation des neuen Nissan GT-R R35 lenkt den Blick ab 2008 wieder verstärkt auf den Motorsport: In der Super-GT-Serie schafft Nissan mit dem Nachfolger des 350Z auf Anhieb die Meisterschaft – und wiederholt dieses Kunststück 2011 und 12. 036 VECTURA #8

Auch in Le Mans werden neue Erfolge gefeiert: 2011 holt sich Nissan die beiden ersten Plätze in der LMP2-Klasse. Zu den drei Piloten des zweitplatzierten Autos gehört Lucas Ordoñez, erster Sieger der GT Academy für die schnellsten Piloten auf der SonyPlaystation. Damit stellt Nissan quasi nebenbei die Richtigkeit des Förderprogramms unter Beweis, das aus virtuellen Top-Piloten echte Siegrennfahrer schmiedet. 2012 dominieren Nissan und Nismo dann zum zweiten Mal in Folge die japanische SuperGT, während der neue GT-T Nismo GT3 erste Testrennen absolviert und anschliessend sein erstes Rennen gewinnt. Bei Demonstrationsfahrten mit dem Leaf Nismo RC – unter anderen im Vorfeld der 24 Stunden von Le Mans – beweist die Renndivision, dass Motorsport auch ohne Emissionen funktioniert. So weit die eindrucksvollsten Ergebnisse einer stolzen Siegesbilanz, auf die Nismo mittlerweile verweisen kann. Es war also nur eine Frage der Zeit, bis man die Sportmodelle der hauseigenen Rennabteilung auch ausserhalb Japans anbieten würde. Ende Februar 2013 hat man im Yokohama-Stadtteil Tsurumi eine neue Unternehmenszentrale samt angegliedertem Entwicklungszentrum eröffnet; 180 Mitarbeiter sind hier tätig. Sie werden jährlich mindestens ein Nismo-Modell vorbereiten; den Auftakt bilden der Juke Nismo (siehe S. 040) und der 370Z Nismo. Jedem Strassensportwagen «engineered by Nismo» liegt laut Nissan eine klar definierte DNA zugrunde: Neben Qualität und Effizienz sind das typische Designfeatures, sportliches Handling und überlegene Leistung.


Made for Le Mans: Rennausführung des GT-R R33

Er löste vor allem in England Begehrlichkeiten aus: 1999er Skyline GT-R, hier die V-Spec-Ausführung

Setzt das Erbe seit 2007 fort: Nissan GT-R, hier der Modelljahrgang 2014

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Vollelektrisch: der aktuelle Nissan Leaf Nismo RC

Neues Kapitel: Der Nismo Zeod RC (Zero Emission On Demand Racing Car) soll 2014 in Le Mans starten

038 VECTURA #8


Markenkunde

Der Super GT500 der japanischen Rennserie bildet die Basis für den kommenden GT-R Nismo mit über 600 PS

In seiner neuen Rolle wird Nismo auch die künftigen MotorsportAktivitäten des Unternehmens noch intensiver vorantreiben. Dazu gehören unter anderen die australische V8-Supercar-Serie und die japanische Super-GT. In der neu aufgelegten FIA-GTSerie ist Nissan mit zwei GT-R Nismo GT3 dabei, dazu kommen nationale Serien in England, Frankreich und Deutschland. In Le Mans fuhren 2013 nicht weniger als 17 Fahrzeuge der LMP2-

Klasse mit einem von Nismo entwickelten 4,5 Liter grossen V8Saugmotor – das entspricht einem Drittel des Starterfeldes und ist das stärkste Engagement eines Motorenherstellers beim Langstrecken-Klassiker seit 15 Jahren. Zugleich kündigte das Unternehmen sein Comeback bei den berühmten 24 Stunden an: «Wir werden 2014 mit einem Fahrzeug zurückkommen, das unter den härtesten Bedingungen zukünftige Elektroantriebe für unsere Strassen- und Rennsportwagen erprobt», sagt Nissan-CEO Carlos Ghosn. Der Prototyp wird aus der Experimental-Fahrzeugen vorbehaltenen «Garage 56» starten und soll die Elektrifizierung von Rennwagen vorantreiben. Weitere Nismo-Superlative dürften also nicht lange auf sich warten lassen. Und auch das nächste Strassenmodell ist schon terminiert – für 2014, wenn die Nissan-Tochter ihren 30. Geburtstag feiert.

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Die Kunst einer perfekten Folierung steckt im Detail Herbst 2013 039

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King Kong junior Nissan hat seinen Crossover Juke nochmals gekreuzt – und mit Nismo-Genen angereichert. Das Ergebnis ist ebenso überraschend wie enttäuschend Text Hubertus Hoslin · Fotos Ian G. C. White

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ie Idee war völlig neu, das Medieninteresse entsprechend gross: 2011 präsentierte Nissan einen Spoilerübersäten und mit Testosteron vollgepumpten Juke-R. Angetrieben wurde der Monster-SUV von einem auf 545 PS gebrachten 3,8-L-V6-Twin-Turbo aus der Killer-Application Nissan GT-R – und knallte in nur 3,7 Sekunden auf Tempo 100. Das Basismodell, der 2010 eingeführte, knuffige Kompakt-SUV selbst, hatte da bereits die Grossstadt-Dschungel erobert: Bisher verkauften die Japaner international 350 000 Einheiten; allein in der Schweiz hat man bisher 5400 Juke absetzen können – beachtliche Zahlen, die beweisen, dass Nissan mit dieser Baureihe absolut im Trend liegt. So sehr, dass die Konzernschwester Renault inzwischen ein ähnliches Modell namens Captur lanciert hat – wenn auch nur als Fronttriebler. Der in England konzipierte Juke-R dagegen war zunächst als nicht ganz ernst gemeinter Joke gedacht: Man wollte die Reaktion der jungen «Need for Speed»-Generation testen – und die war total begeistert. Nachdem der Prototyp (es gab drei Exemplare) 040 VECTURA #8

2012 die Vollgas-Events dieser Welt beehrt hatte und dort jeweils von Menschentrauben umringt worden war, beschloss Nissan, eine strassentaugliche Serienvariante zu bauen. Der Umstand, dass man parallel eine sportive Serie unter dem im Motorsport traditionsreichen Nismo-Label lancieren wollte (siehe S. 034), gab dem Vorhaben zusätzlichen Schub. Der im englischen Nissan-Werk Sunderland gebaute Sport-Juke ist der erste Nismo für Europa und seit Sommer auch hierzulande verfügbar. Als dynamische Speerspitze der Baureihe geht es bei ihr vorrangig um den Image-Faktor und weniger um Stückzahlen. Mit seiner tiefer gelegten Karosserie, dem Sportfahrwerk und Aerodynamikpaket, dunkel lackierten 18-Zöllern mit Breitreifen und sportivem Interieur ähnelt das Serienmodell der Ende 2011 in Tokio präsentierten Juke-Nismo-Studie. Oder einem aus MangaComics entsprungenen Fantasiewesen. Oder, je nach Blickwinkel, einem muskulösen Gorilla. Als zusätzliche Erkennungsmerkmale gibt es rote Zierstreifen und Aussenspiegel – und natürlich Nismo-Logos auf dem Frontgrill, den Sitzlehnen und Einstiegsleis-


Fahrtermin RUBRIKEN

ten. Die Verarbeitung ist rundum in Ordnung; platztechnisch entspricht der Nismo allen anderen Juke-Varianten: Vier Erwachsene sitzen bequem, bei fünf wird´s eng. Auch der Kofferraum ist limitiert und wird durch die schräg stehende Heckscheibe zusätzlich eingeschränkt. Die Serienausstattung ist allerdings recht komplett und beinhaltet auch ein «Nissan Connect» genanntes Touchscreen-Multimediasystem inklusive Rückfahrkamera, iPodund USB-Anschlüssen, Bluetooth, dynamischer Navigation sowie Google-Übertragung: Mit ihr lassen sich Routen schon zu Hause planen und vor der Abfahrt ins Auto überspielen; ausserdem können Wetterberichte oder Benzinpreise an Tankstellen abgerufen werden. Ein Zusatz-Display zeigt fahrzeugrelevante Informationen wie das aktuelle Drehmoment, den Ladedruck oder die G-Kräfte in Kurven. Einmal eingestiegen, fühlt man sich als Fahrer sofort wohl. Die Rundumsicht nach vorne ist dank SUV-Aufbau und der damit verbundenen, etwas erhöhten Perspektiven souverän; allein der Rückblick nach schräg hinten wird von massiven C-Säulen und

der flachen Heckverglasung begrenzt. Die Schalensitze geben besten Halt; durch das Alcantara-Lederlenkrad mit Neutralstellungsmarkierung fällt der Blick auf einen rot beleuchteten Drehzahlmesser. Ausserdem wurde das Interieur farblich abgedunkelt, um den Blick aufs Wesentliche zu schärfen. So weit, so gut. Starten wir also den Motor. Der aufgeladene 1,6-L-Direkteinspritzer leistet jeweils zehn Pferdestärken und Newtonmeter mehr als das bisherige Juke-Topmodell 1.6 DIG-T. Die Nismo-Version klingt allerdings deutlich kerniger; das Ohr fährt schliesslich mit. Die Japaner bieten zwei Konfigurationen an – den reinen Frontantrieb mit manuellem Sechsganggetriebe oder einen variablen 4x4 mit CVT-Kraftübertragung. Letztere teilt dem eigentlich stufenlosen Automatikgetriebe sieben künstlich gesetzte Gänge zu. Die Allrad-Version verteilt die Antriebsmomente zwischen den Achsen situativ; ein zusätzliches «Torque Vectoring»-System variiert den Kraftschluss zwischen den Hinterrädern bis maximal 100 Prozent und wirkt auf diese Weise einem möglichen Untersteuern entgegen. Traktion ist also kein Thema beim Allrad-Nismo,

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Der Juke Nismo ist als Ouvertüre zu begreifen, die Lust auf mehr machen soll – den erst kürzlich eingeführten, 344 PS starken 370Z Nismo beispielsweise

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denn schon der von uns getestete FWD-Zwilling kommt mit aller Leistung auf den Vorderrädern erstaunlich gut klar. Beiden Versionen gemein sind die drei wählbaren Fahrprogramme Normal, Eco und Sport. Gut gefallen hat uns die Wendigkeit des bulligen Kompakt-Softroaders: Seine servo-reduzierte Lenkung ist feinfühlig genug, um das 1450 Kilo schwere Auto leichtfüssig und flott durch die Kurven zu dirigieren. Dabei erstaunt, wie gut es Nissan verstanden hat, die Federung des immer noch hochbeinigen Autos abzustimmen: Der Juke Nismo schwimmt nie, sondern vermittelt ein Gefühl von satter Strassenlage. Positiv empfunden werden auch Abrollkomfort und Bremsverhalten – Verzögerungen jedweder Intensität erfolgen allzeit zuverlässig. Ein Test-Durchschnittsverbrauch von rund neun Liter auf 100 km ist angesichts der Leistung noch okay. Worauf man dagegen vergeblich wartet, ist jene

Technische Daten Technische Daten nissan juke nismo Mercedes 2wd S 500 Langversion Konzept Neues Topmodell des populären Crossover-SUV. Fünf Türen und Sitze. Zahnstangenlenkung mit Servo, Scheiben- bremsen rundum (v. innenbelüftet). Vorne Einzelradaufhäng- ung (McPherson), hinten Verbundlenkerachse. Wahlweise mit Front- oder Allradantrieb Motor

Code MR16DDT. Vierzylinder-Benziner, 4 Ventile pro Zylinder, zwei oben liegende Nockenwellen (Kette), Direkteinspritzung, Turbolader und Ladeluftkühler

Hubraum in cm3 Bohrung x Hub in mm Leistung in PS (kW) @ U/min Max. Drehmoment in Nm @ U/min Kraftübertragung

1618 79,7 x 81,1 200 (147) @ 6000 250 @ 2400–4800 M6

Abmessungen (L/B/H) in cm Radstand in cm Spur vorne/hinten in cm Reifen und Räder

416,5/177/156,5 253 je 152,5 225/45 R18 auf 7J

Tankinhalt in L Kofferraumvolumen in L Leergewicht (ohne Fahrer) in kg Zulässiges Gesamtgewicht in kg Leistungsgewicht in kg/PS

46 250–830 1290 1720 6,45

0 – 100 km/h in Sek. Höchstgeschwindigkeit in km/h

7,8 215

Durchschnittsverbrauch* in L/100 km CO2-Emission in g/km Energieeffizienzkategorie Preis ab CHF

6,9 159 E 37 400.–

* gemessen nach NEFZ: Neuer Europäischer Fahrzyklus

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Fahrtermin

Leistungs-Vehemenz, die einem der optisch wuchtige Auftritt suggeriert: Der Power-Juke geht gut und hat auch genug Punch für zügige Überholmanöver, keine Frage. Doch oberhalb von 3000 Touren passiert einfach nicht genug, um besonders sportliche Gefühle aufkommen zu lassen. So ist er in der Nismo-Liga als Ouvertüre zu begreifen, die Lust auf mehr machen soll – den erst kürzlich eingeführten, 344 PS starken 370Z Nismo beispielsweise. Und Nissan hat bereits bestätigt, als Dritten im Bunde einen GT-R Nismo anbieten zu wollen. Mit mindestens 17 700 Franken über der Juke-Basis oder 6500 Franken oberhalb des 1.6 DIG-T sind die Nismo-Versionen selbstbewusst eingepreist. Sie richten sich an zornige junge Männer, die keinen tiefer gelegten Subaru WRX STi fahren wollen. Und alle anderen, die bereit sind, für eine Extraportion viel mehr zu bezahlen. Man muss den Juke Nismo sowieso hassen

oder lieben – dazwischen gibt es nichts. Und es ist vielleicht seine grösste Stärke, kein weich gespültes «Me too»-Produkt zu sein, sondern ein höchst eigenständiges Automobil. Gerade bei Nissan, wo in den letzten Jahrzehnten doch viele Banalitäten in Blech gepresst wurden, ist er als weiterer Hinweis darauf zu verstehen, dass der asiatische Hersteller in puncto Design eine Führungsrolle anstrebt. Der visuellen Vielfalt auf unseren Strassen kann das nur guttun.

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VORGLÜHEN IN FERNOST Selbstzünder aus Japan sind selten. Hondas neuer Dieselmotor 1.6 i-DTEC punktet mit Sparsamkeit und geringem Gewicht, doch das ist noch nicht alles Text Christian Bartsch

D

en Motorradfahrern braucht niemand zu erzählen, dass Honda in Japan zu den innovativsten (und grössten) Motorenherstellern der Welt gehört. Sie wissen das. Die ingeniös stets anspruchsvolle Marke wagte von jeher auch motorische Experimente und Entwicklungen wie kein anderer Hersteller. Drehstab- statt Schraubenfedern für die Ventile, Arenakolben (die keine Ovalkolben waren, wie sie bei VW versucht wurden), Spalträder zur Beruhigung von Zahnradkaskaden an extrem hochdrehenden kleinen Viertaktmotoren, die von der japanischen Gesetzgebung erzwungen wurden – die Liste technischer Spezialitäten liesse sich hier endlos fortführen. Nicht selten gebührte Honda mit seinen hochinteressanten Lösungen weltweit ein Spitzenplatz unter den Besten. Unvergessen ist etwa ein Zweitaktmotor mit homogener Verbrennung dank Zündung ohne Zündkerze, der seine Bewährungsprobe bei der klassischen Rallye Paris−Dakar bestand und später in einem Motorroller verwendet wurde. Als Eckehard Rapelius und ich 1963 das letzte Motorrad-Langstreckenrennen über 24 Stunden auf der Avus in Berlin mit einer BMW R27 bestritten, konnten wir nur neidisch Koichi Shimada hinterherblicken, der uns mit seiner serienmässigen CB 72 (eine Zweizylinder-Honda mit 250 Kubikzentimetern Hubraum) um Klassen überlegen war. Wo wir uns bei Gegenwind und Regen gerade mal mit 70 bis 80 Sachen die leichte Steigung zur Nordkurve hochquälten, rauschte die Honda mit 130 km/h an uns vorbei. Um Gerüchten und Missdeutungen vorzubeugen, muss ich betonen, dass Honda nicht für den Zusammenbruch der europäischen Motorradindustrie verantwortlich war. Der hatte bereits 1955 begonnen, weil die Menschen lieber mit einem Dach über dem Kopf fahren wollten. Sie zogen den Käfer einer NSU Max oder Zündapp 600 vor. Sehr wohl aber hat Honda in Europa etwas später dem dynamischen Motorrad den Weg geebnet – Sport statt Transport.

Auf dem Automobilsektor gab es bei der japanischen Marke ebenfalls Experimente, wenn auch nicht immer mit glücklichem Ausgang. So mit einem Schichtlademotor, der sich als Flop entpuppte und schnell wieder in der Versenkung verschwand. Viel bekannter wurde dagegen der kleine S600 mit seinem leistungsfähigen und für Automobile winzigen Vierzylinder. Der wurde in einen sehr hübschen kleinen Sportwagen gepackt, der nur den einzigen Nachteil hatte: Viele Mitteleuropäer passten einfach nicht hinein; Japaner sind nun mal in der Regel etwas kleiner als wir. Damals spielte das Auto bei Honda noch eine untergeordnete Rolle: Das Töff dominierte, und Honda hatte sich zum grössten Motorradhersteller der Welt entwickelt, um 046 VECTURA #8

das bis heute zu bleiben. Parallel ist aber auch ein international geachteter Automobilhersteller mit ausgezeichneten, konkurrenzfähigen Produkten entstanden. Als der erste Dieselmotor im Jahr 1897 von der Technischen Hochschule in München abgenommen wurde, ahnte nur Rudolf Diesel, dass der eines Tages auch Automobile antreiben würde. Das waren zunächst Lastwagen, bis Mercedes 1936 den ersten Diesel-Pw präsentierte. Übrigens dicht gefolgt von Hanomag, deren Serienproduktion erst später begann. Verbrauch und Langlebigkeit standen im Vordergrund, über die Fahrbarkeit schweigen wir lieber. Der Mercedes 260 D von 1937 erreichte mit seinen 45 PS eine Höchstgeschwindigkeit von 100 Stundenkilometer und verbrauchte bei konstant 70 km/h neun Liter Dieseltreibstoff auf 100 Kilometer. Etwa den gleichen Verbrauch hat der aktuelle Honda Civic mit dem neuen 1,6-L-Diesel bei 200 km/h. Doch der Reihe nach: Ein 1938er-Maybach Zeppelin lief mit seinem 200 PS starken Achtliter-V12 maximal 160. Er verbrauchte bei konstant 70 Sachen noch 22 Liter Benzin auf 100 Kilometer, bei 100 km/h liefen 29 Liter durch die Vergaser. War früher wirklich alles besser?


downsizing

Nach dem Zweiten Weltkrieg nahmen viele Automobilhersteller die Diesel-Entwicklung auf. Neben Mercedes sind hier vorrangig Fiat, Peugeot und Renault zu nennen. VW folgte erst 1976 mit einem kleinen Selbstzünder im Golf. Alle diese Motoren arbeiteten noch mit Vor- oder Wirbelkammern, also nicht mit der direkten Einspritzung in den Brennraum, wie sie heute üblich ist. Die trat erst 1989 mit einem Audi-Fünfzylinder auf den Plan, der alle Eigenschaften moderner Diesel aufwies – nämlich nicht nur die direkte Einspritzung, sondern auch Abgasturbolader und Ladeluftkühlung. Gegenüber den bisherigen Kammerdiesel brachte die direkte Einspritzung einen Verbrauchsvorteil von rund zehn Prozent – und gegenüber den Benzinern einen solchen von mindestens 30 Prozent. Da Treibstoffe in Europa schon immer teuer waren, setzte sich der Diesel hier auf breiter Front durch. Abhängig von der Verkehrsinfrastruktur verlief die Entwicklung in Japan völlig anders. Hier blieb der Benziner bis heute dominant. Dagegen konnten sich Hybridtechnik und stufenlose Vollautomatik früher als in Europa durchsetzen, um den Verbrauch bei den üblichen Kurzstrecken mit niedriger Geschwindigkeit und den zahllosen Staus zu senken. Langstreckenfahrten wie in Europa mit höheren Geschwindigkeiten finden in Japan praktisch nicht statt; sie werden mit Bahn oder Flugzeug absolviert. Erst mit der Expansion nach Europa begann auch in Japan die Diesel-Entwicklung. Toyota und Mitsubishi waren die ersten, die hier Autos mit Dieselmotoren anboten. Honda folgte erst später. Langsam entdecken auch die USA den Dieselmotor, vorangetrieben durch Mercedes und VW, die dort mit grossem Aufwand für den Selbstzünder werben. Fritz Indra, lange Zeit Motorenguru bei General Motors, erzählt dazu eine hübsche Geschichte: Ein von GM entwickelter V8-Diesel für gewaltige SUV wird einem ausgewählten Fahrer in die Hand gedrückt. Nach annähernd 2000 Kilometern kehrt der Mann zurück und berichtet begeistert: «Der braucht ja fast nichts!» Auf die Frage, ob er sich ein Dieselauto kaufen würde, wird er ganz verlegen – nein, er wolle doch lieber beim Benziner bleiben: Der Sprit sei doch viel billiger! Das hat sich mittlerweile geändert, und auch die Infrastruktur ist flächendeckend, doch es muss noch viel Überzeugungsarbeit geleistet werden. Die Qualität des US-Diesel ist nach wie vor nicht mit derjenigen in Europa vergleichbar, was die Motorenentwickler vor schwierige Probleme stellt. Aber immerhin ist ein Anfang gemacht und damit auch für die japanischen Automobilhersteller ein zusätzlicher Anreiz, sich dem Diesel zu widmen. Ganz nebenbei setzt sich die Erkenntnis durch, dass ein Hybrid auf langen Highway-Fahrten mit Geschwindigkeitsbegrenzung überhaupt nichts bringt – man spart dort nicht einen einzigen Fingerhut voll Treibstoff! Da ist der Diesel die eindeutig bessere Wahl. Seinen ersten Diesel stellte Honda vor gerade mal zehn Jahren vor. Er hatte bei einem Hubraum von 2,2 Liter eine Leistung von 150 PS. Damit blieb Honda wohlweislich auf der sicheren Seite

und wollte mit dem Erstling nichts riskieren, sondern Erfahrungen im Alltag sammeln. Der neue Diesel hat nur noch 1,6 Liter Hubraum, wird mit 120 PS angeboten und entwickelt bei 2000 Umdrehungen pro Minute ein maximales Drehmoment von 300 Nm. Das Aggregat ist um 47 Kilogramm leichter als der grössere Bruder und passt besser zum Civic, der das Mindergewicht – zusammen mit einem um sieben Kilogramm leichteren Getriebe – gut gebrauchen kann. Die Entlastung der Vorderachse spürt man bei flotter Fahrt auf kurvenreicher Strecke durch nur noch geringes Untersteuern deutlich – da schob der 2,2-Liter noch erbarmungslos nach aussen. Aber das ist eine Zweitbeobachtung. Zunächst starten wir den Motor, der gut gedämpft, aber dieseltypisch anläuft. So ganz unschuldig ist der Aluminium-Zylinderblock daran nicht – Gusseisen dämpft besser, doch das stand bei Honda aus Gewichtsgründen nie zur Debatte. Ausgerüstet mit einem neuen Sechsgangschaltgetriebe wird der ganze Geschwindigkeitsbereich bis zur Vmax von 207 km/h harmonisch abgedeckt. Das Auto lässt sich mit diesem Motor ausgezeichnet fahren, und man hat nie das Gefühl, zu wenig Leistung zur Verfügung zu haben. Bis auf den Start läuft der Motor sehr leise und ist bei höheren Geschwindigkeiten kaum noch zu hören; die von Honda entwickelte Gegenschallanlage hilft dabei natürlich mit. Entwickelt wurde der Motor zwar in Japan, doch gebaut wird er in England. So finden sich denn auch in und um den Motor zahlreiche europäische Komponenten. Die Einspritzung mit Magnetinjektoren stammt von Bosch, eingespritzt wird mit 1800 bar. Den Abgasturbolader mit verstellbarer Geometrie steuert Garrett aus dem Elsass bei. Zur Schadstoffreduzierung verwendet Honda Hoch- und Niederdruck-Abgasrückführung, wie das heute üblich ist. Derzeit ist der Motor für die Schadstoffgrenzwerte der EU5 ausgelegt, hat aber das Potential, um die EU6 zu erreichen. Mit einem Durchschnittsverbrauch von 3,6 L/100 km bewegt er sich im Spitzenfeld dieser Motorengrösse. In der Praxis pendelt sich der Konsum bei normaler Fahrweise um die fünf Liter ein, und das kann sich sehen lassen – der Wettbewerb macht es auch nicht besser. Wer freilich auf offene Autobahnen wechselt und dem Motor die Sporen gibt, muss Eilzuschlag bezahlen. Fazit nach unserer ersten Testfahrt: Wer den Honda Civic mit diesem kleinen Diesel erwirbt, ist bestens bedient. Den gleichen Motor wird Honda ab Herbst auch im CR-V anbieten. Allerdings braucht er dort mehr – höheres Wagengewicht und grössere Stirnfläche fordern ihren Tribut. Untermotorisiert ist das Auto nicht, es beschleunigt flott und ist ebenso gut zu fahren wie der Civic. Beide Modelle sind freilich keine Rennwagen: Sie sollen den Alltag mit hoher Zuverlässigkeit bewältigen. Und genau das tun sie mit Bravour. Herbst 2013 047


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Fieber Alle paar Jahre taucht in der Szene ein Automobilmaler auf, der in Erinnerung bleibt. Markus Haub gehört zu denen, die das Zeug dazu haben Text map

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r ist 41 Jahre alt und lebt in Barcelona. Als Automobildesigner hat er zwischen 1997 und 2007 für VW und davon sieben Jahre für Renault gearbeitet. War an der Formfindung des Seat Formula Concept, Renault Twingo, Mégane III oder dem ersten Dacia Sandero beteiligt. Dazu kamen strategische Projekte über die Mobilität der Zukunft oder den Elektroflitzer Twizy, welcher in Barcelona entstanden ist. Doch in den letzten Jahren hat sich das Berufsbild des Designers stark gewandelt. Die Digitalisierung der Prozesse beschleunigt die Entwicklung, gleichzeitig explodierte die Modellvielfalt einzelner Hersteller. Die Designabteilungen sind zwar gewachsen (Renault hat über 100 Stylisten), dennoch ist immer mehr Arbeit in weniger Zeit zu schaffen. Meist sind es mehrere Projekte gleichzeitig, die in verschiedenen Phasen zu betreuen sind. Die Romantik geht dabei etwas verloren und auch die Kreativität bleibt manchmal auf der Strecke. Gleichzeitig scheinen die Formen ausgereizt, nur wenige Firmen trauen sich, radikal neue Lösungen vorzustellen. Heute geht es eher um das Arrangieren altbekannter Strickmuster, um die Kombination längst definierter Stilmittel. Dazu kommen internationale Normen, welche jedwede Gestaltungsfreiheit immer weiter einschränken: Schärferer Fussgängerschutz zwingt zu höheren Motorhauben, dazu gibt es strengere Crashnormen, verbesserte Aerodynamik, eine Berücksichtigung der Versicherungseinstufungen oder die Vorgaben des Marketings: So vieles ist präzise festgeschrieben und schränkt die Gestaltungsfreiheit enorm ein. Herbst 2013 051


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Markus Haub reizte das alles immer weniger. Als er 2007 wieder von Barcelona zum Mutterkonzern nach Paris wechseln sollte, schlug er das Angebot aus und machte sich selbstständig. Seine Freiheit war ihm wichtiger. Das Auto ist seine grosse Liebe geblieben, und auch vom Zeichnen möchte er nicht lassen. Neben seiner Arbeit als Freelance-Designer ist die Malerei vom Hobby zum Beruf geworden. Er entwickelte seine eigene Technik, eine Kombination aus digitaler Fotografie und Malerei. So sind zahlreiche leidenschaftliche Arbeiten entstanden, die über Galerien in Spanien, Frankreich und Deutschland verkauft werden. Inzwischen hat er auch einen Agenten in der Schweiz (www.speedstar-gallery.com). Meist haben sie klassische Sportwagen zum Thema. Die schönsten dieser Gattung stammen ohnehin aus den 50er bis 70er Jahren des letzten Jahrhunderts und damit aus einer Zeit, als das Automobil noch allgemeinhin aufregend und unschuldig gewesen ist. Haub arbeitet wie besessen und ist ständig unterwegs. Seine Motive findet er auf Rennstrecken und Oldtimerveranstaltungen – Nürburgring, Barcelona, Le Mans, Hockenheim. Aber auch in Goodwood, Pebble Beach, Villa d´Este, Bensberg oder Schloss Dyck. Gerne fährt er auch selbst mit einem seiner eigenen Klassiker bei Oldtimerrallyes. Dort trifft er die Objekte seiner Begierde, aber auch Gleichgesinnte. Einige Szenekenner wissen von ihm, nicht wenige kaufen seine Werke spontan. Im Angebot sind kleine, Ikonen-artige Leinwände, aber auch grossformatige Detailstudien. Bei Letzteren muss der Betrachter das Auto kennen, um ein Motiv zuordnen zu können. Doch immer handelt es sich um die ausdrucksstärksten Partien, die Haub gekonnt und mit kraftvollen Farben herausgearbeitet hat. Seine Kunst ist lebendig und zeigt die Bewegung auch im Stand. In diesem Sinne ist er ganz Automobildesigner geblieben.

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PUSCHL AV ( SCHWE IZ ), 2005

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Down Under Dream Machine Vor bald 45 Jahren entstand ein Prototyp, wie es noch keinen zuvor gegeben hatte: Der Holden Hurricane änderte das Verständnis von einem Supersportwagen für immer – nicht nur in Australien Text Peter Robinson · Fotos Michael Brewer, Christian Brunelli, Werk

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eute kann man sich den Schock und die Ehrfurcht, welche der Hurricane Anfang März 1969 auf der Melbourne Motor Show auslöste, kaum noch vorstellen: Niemand hatte zuvor etwas derart Radikales gesehen. Und obwohl es die Automarke Holden erst seit 20 Jahren gab, war sie dem ähnlich gestalteten Mercedes C-111 um sechs Monate und dem von Bertone entworfenen Lancia Stratos Zero sogar um ein Jahr voraus. Der Hurricane war so extrem, dass niemand in- oder ausserhalb von Holden auch nur daran zu denken wagte, dieses Raumschiff je in Serie gehen zu sehen, obwohl es auf den Titelseiten fast aller australischen Zeitungen abgedruckt wurde. Schon auf den ersten Blick konnte man erkennen, dass es keine derartigen Absichten gegeben hatte, doch das einzigartige Konzept verkörperte ein sehr konkretes Fenster in die Zukunft. Am offensichtlichsten war das beim Antrieb – einem 4,2-L-V8, der nur wenige Monate später in den Baureihen HT Kingswood und Premier auf den Markt kam und es bis 1984 blieb (die Fünfliter-Variante überlebte gar bis 2000). Alles andere schien reine Science-Fiction zu sein – das Bildschirm-Navigationssystem, die Heckkamera anstelle der Rückscheibe, Digitalinstrumente, Klimaautomatik, ölgekühlte Scheibenbremsen vorne, eine schwenkbare Lenksäule, justierbare Pedale und – höchst dramatisch – fehlende Türen. An ihrer

statt hatten die Designer ein hydraulisch aufgehängtes, einteiliges und muschelförmiges Dach vorgesehen, um das Ein- und Aussteigen bei dem nur knapp einen Meter hohen Fahrzeug zu erleichtern. Es war sicherlich auch kein Zufall, dass die GM-Tochter damit den Le-Mans-Sieger GT40 des Erzrivalen Ford unterbot… Der Hurricane war der erste öffentliche Beleg für die Fähigkeiten der noch jungen Holden-Entwicklungsabteilung (folglich trug er den Codenamen RD-001). Dort wollte man der Erholung von Ford Australien unbedingt etwas entgegensetzen. Parallel plante das Marketing eine Image-Aufwertung und hatte vor, den kommenden Achtzylinder publikumswirksam zu bewerben. Beeindruckt vom Medieninteresse, welches ein importiertes CamaroMesseauto 1968 ausgelöst hatte, erkannten beide Ressorts die Vorteile eines Holden Concept Car. Daneben ging es den Verantwortlichen auch darum, ihre Ingenieure über das fade Familienauto-Image der Marke hinaus zu motivieren. Die Frage, wer den Hurricane eigentlich gezeichnet hat, wurde noch bis vor Kurzem kontrovers diskutiert. Das mag merkwürdig klingen bei einem Auto, das vor bereits 45 Jahren entworfen wurde. Und doch konnte bis vor einiger Zeit keiner mit Bestimmtheit sagen, ob das Auto lokal oder im amerikanischen GM-DesignCenter Warren entstanden war.

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Wenn sich das Dach inklusive der riesigen Frontscheibe öffnet, werden gleichzeitig die Sitze elektrisch angehoben

Mit der Unterstützung des legendären US-Designers Leo Pruneau, der Mitte 1969 als Styling-Assistent zu Holden gekommen war und von 1974 bis 83 dessen Design-Direktor wurde, gelang es mir 2012, in den GM-Archiven eine Reihe von Modellfotos zu finden, die im Juli 1968 gemacht worden waren und ein HoldenLogo aufwiesen. Es besteht kein Zweifel, dass dieser Entwurf als Hurricane-Inspiration gedient haben muss. Bei näherer Untersuchung einiger ebenfalls vorhandenen technischen Zeichnungen fand sich die Signatur «Genest 5-14-86». Von dieser Entdeckung alarmiert, gelang es GMs leitendem Archivisten Christo Datini, den früheren General-Motors-Designer Ken Genest ausfindig zu machen, der inzwischen 80-jährig am St-Clair-See in Michigan wohnte. Erstaunlicherweise war sich Genest weder bewusst, dass es je ein Massstab-Modell seiner Zeichnungen gegeben, noch dass Holden daraus ein Concept Car gemacht hatte. «Ja, ich habe diese 1:1-Skizzen angefertigt», bestätigte er, «und übergab sie dem Advanced Studio 2 unter Dick Finegan. Es war damals üblich, dass man meine Entwürfe über Nacht in die Produktionsstudios brachte, ohne mich darüber zu informieren. Ich bin damals eine Art Kreativ-Generator gewesen, und man schätzte meine Arbeit in den Chevrolet- und Buick-Abteilungen. So ähnlich muss es auch mit dem Hurricane gelaufen sein und mir gefällt das Ergebnis: Es sieht besser aus als auf meinen Plänen.» Vergrösserungen der Heckansicht zeigen auf dem Nummernschild den Namen «Taipan», der offenbar zuerst gewählt und dann verworfen worden war. Don DaHarsh, ein anderer US-Designer, der seinerzeit bei Holden arbeitete, übernahm dann die stilistische Verantwortung für das Auto. Er empfand den Entwurf jedoch als «zu grob» und nahm wesentliche Änderungen vor. Während die generellen Proportionen des Mittelmotor-Boliden unangetastet blieben, modifizierte DaHarsh die Seitenfenster, entfernte die Heckscheibe und fügte vertikale B-Säulen hinzu. Er war es auch, der die Flanken retuschierte und das superdünne, horizontale Heckleuchtenband sowie das Kanzel-artige Klappdach integrierte – der Original-Entwurf sah noch konventionelle Türen vor. In jener Ära der Can-Am-Rennwagen, der Ford GT40, Lamborghini Miura oder Dino 206/246 garantierte das MittelmotorKonzept höchstmögliche Glaubwürdigkeit. Dazu kam die atemberaubende Formgebung mit nahezu keinem hinteren Überhang und knappen Proportionen – der Hurricane war nur 4,09 m lang, 1,80 m breit und wies dabei einen Radstand von 2,44 m auf. Über dem tragenden Kastenrahmen aus Stahl sass eine Epoxy-Karosserie. Der Motor war in Längsrichtung vor der Hinterachse verbaut; die Leistung betrug 260 PS bei 6000 und 352 Nm bei 3800 Touren und damit mehr als die 060 VECTURA #8


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185 PS des folgenden Serienaggregats. Die Vorderachse war handgefertigt, während man hinten auf Komponenten der damals aktuellen Corvette C2 zurückgegriffen hatte. Das US-Teileregal wurde auch bei dem Viergang-Transaxle-Getriebe aus dem 1961er Pontiac Tempest bemüht, das nur geringfügig modifiziert werden musste. Und die erwähnt nass gekühlten Frontbremsen stammten aus einem Detroiter Omnibus. Wenn das Hurricane-Dach inklusive der riesigen Frontscheibe, den Scheibenwischern und Fensterrahmen geöffnet wird, werden gleichzeitig die Sitze elektrisch angehoben. Niemand weiss mehr so recht, wer diese Idee dazu gehabt hat, doch Pruneau glaubt sich an ein ähnliches System zu erinnern, das etwa zeitgleich bei einem dreirädrigen GM-Konzept verwendet worden war. Auch die Dachlösung kam bereits 1968 und in fast identischer Form beim XP800 zum Einsatz, der 1969 als Chevrolet Astro 111 Concept der Öffentlichkeit präsentiert wurde. Nach so langer Zeit ist nicht mehr klar, ob die Konstruktion zuerst für Holden oder Chevrolet erfunden wurde, doch wahrscheinlich wurde sie simultan für beide entwickelt. Nach mehreren Auftritten an verschiedenen Salons 1969 und Windtunnel-Tests verlieh man den Hurricane an einige HoldenHändler, bis irgendwann die Windschutzscheibe brach. Das Unikat wurde daraufhin in eine Holzkiste gepackt, die in irgendeiner Holden-Garage verschwand. 1985 gab es dann erstmals ein paar kleinere Reparaturen, bevor Holden-Auszubildende das Einzelstück 1991 «restaurierten». Anschliessend stand der Hurricane im Holden National Motor Museum in Echuca und dem Powerhouse Museum in Sydney, bevor 2005 beschlossen wurde, ihn fachmännisch wieder aufzubauen. Die Wiedergeburt wurde von mehreren GM-Vorständen begleitet; besonders GMs weltweiter Design-Direktor Ed Welburn unterstützte das Projekt begeistert: «Als ich 18-jährig studierte, sah ich erstmals ein Foto dieses Autos. Es ist mit verantwortlich dafür, dass ich ins Automobil-Design gegangen bin.» Die Restaurierung war alles andere als einfach: Viele Teile waren mit den Jahren verschwunden und mussten – mithilfe damals zuständiger Ingenieure – rekonstruiert werden. Umso stolzer sind alle Beteiligten heute auf den wieder fahrbereiten Hurricane. Und obwohl seine Ursprünge in den USA liegen, ist er das sensationellste Automobil, das Australien je hervorgebracht hat. 1969 schrieb ich: «Es ist zu bezweifeln, dass jemals jemand ausserhalb von GMH dieses Auto fahren darf.» Über vier Jahrzehnte später war es dann doch so weit, ging mein Jugendtraum in Erfüllung – wenn auch nur für ein paar Minuten. Sie zählen zu den unvergesslichsten meiner Journalistenkarriere. 064 VECTURA #8


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o einen Auftrag hatte Franz Muheim, öffentlicher Notar des Kantons Uri, bislang noch nie bekommen: Der am 1. Februar 1923 in Flüelen geborene Jurist und spätere Politiker sollte nichts anderes tun, als einen Autokorso begleiten und sehen, was passiert. Aber es war kein normaler Konvoi: Es sollte der erste von einem unabhängigen Beobachter beglaubigte Winterreifentest der Geschichte werden. Den hatte Pneu-Produzent Continental für den 17. November 1953 angesetzt mit dem Ziel, den verschneiten, 2212 Meter hohen St.-Gotthard-Pass mit verschiedenen Autos zu bewältigen – ohne sich dabei festzufahren, versteht sich. Auf den Felgen montiert waren die erst ein Jahr zuvor entwickelten, ersten M&S-Reifen (Matsch und Schnee). Das Besondere an dem Pneu war sein zahnradartiges, grobstolliges Profil. Letztlich war seine Entwicklung die Folge der aufkeimenden Reiselust einer zunehmend individuell mobilisierten Gesellschaft, die nicht zuletzt dem Wintersport frönte und auf eigener Achse anzureisen gedachte. Damals geschah das meist noch ohne Klimaanlage oder Heizung; mit schwachen Motoren zuckelten sie geologisch bedingt über die Alpen oder die Dolomiten. Pässe waren damals kaum vom Schnee befreit oder gar gestreut. Ein neuer Reifentyp musste also her, und der sollte dann auch öffentlichkeitswirksam vermarktet werden. Der Notar notierte: «An dieser Fahrt nahmen teil: ein VW 1953, ein Opel Rekord 1953, ein Plymouth 1953, ein Chevrolet 1953, ein

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Vor 60 Jahren liess Continental zum ersten Mal einen Reifentest notariell beglaubigen: Die Fahrt jener sieben Autos mit den ersten M+S-Reifen über die Passhöhe ist legendär Text Roland Löwisch · Fotos/Illustration Werk

Willys Station Wagon, ein Ford Taunus 1953 und ein VW-Kombiwagen 1952. Jedes Fahrzeug war mit mindestens zwei Pneus Continental M&S bereift. Die Fahrt begann in Wassen, führte über Göschenen, Andermatt, St.-Gotthard-Passhöhe, St. GotthardHospiz, hinunter nach Motto-Bartola und dann auf der gleichen Route zurück nach Wassen. Die Verhältnisse dieser Passstrasse sind an sich schon schwierig. Es lagen zudem noch folgende Schneeverhältnisse vor: dünne Schneelage auf 1444 m, Schnee von 30 bis 50 cm auf der Gotthard-Passhöhe. Die Strasse vom Gotthard durch die Tremola nach Motto-Bartola war sehr stark vereist. Die Fahrt wurde von Leuten aus der ganzen Schweiz bestanden. Es befand sich darunter kein Berufschauffeur, lediglich zwei Reparaturspezialisten. Die Fahrt wickelte sich ohne jede Schwierigkeit ab, kein Wagen war je auf die Hilfe eines andern angewiesen. In der steilen Abfahrt durch die Tremola machte der Unterzeichnende selbst auf eisbedeckter Strasse mehrere scharfe Bremsproben, die ausgezeichnet ausfielen. Zu bemerken ist, dass der Gotthard im fraglichen Zeitpunkt durch die kantonalen Bauämter Uri und Tessin für Motorfahrzeuge gesperrt war.» Die Aktion war also ein voller Erfolg – und tatsächlich zog die Nachfrage nach M&S-Reifen spürbar an: Bald produzierte Continental zehn Dimensionen in Super-Ballon- oder Ballonreifen, natürlich handelte es sich jeweils um Diagonalsysteme. Franz Muheim schaffte es übrigens lange nach dem besagten Winterreifentest noch einmal hoch hinaus: Der 2009 gestorbene Jurist war von 1981 bis 91 Präsident der Eidgenössischen Konsultativkommission für Weltraumfragen.


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Der schmale Grat Die Idee war vielversprechend: Um Weltrekorde zu erzielen, steckte Zündapp vor bald 50 Jahren ein leichtes Moped in eine glattflächige Karosserie. Doch genau das wäre dem Projekt beinahe zum Verhängnis geworden Text Simon Baumann · Fotos Nikolaus Kopf, Günter Sengfelder


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Überraschungs-Ei: Die spezielle Zündapp KS 50 war sehr seitenwindempfindlich. Die Fahrer riskierten ihr Leben

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er italienische Frühling war ungewöhnlich kühl in jenem Mai 1965. Trotzdem kam eine Delegation aus dem Norden über die Alpen zur Rennstrecke nach Monza, um auf dem Hochgeschwindigkeits-Oval ein paar Bestmarken in den Beton zu glühen.

Das Unterfangen war weniger dem sportlichen Ehrgeiz geschuldet, sondern vielmehr dem knallharten Wettbewerb, der damals bei den europäischen Zweirad-Händlern stattfand: Auch die deutschen Töff-Hersteller Zündapp und Kreidler gönnten sich gegenseitig nicht das Schwarze unter den Fingernägeln. Das lag an der angespannten Situation, in der sich die beiden einst so erfolgsverwöhnten Marktführer (Hercules mit Sachs-Motor war die Nummer 3) damals befanden: Junge Leute verlangten zunehmend nach grösseren, komfortableren Maschinen – oder kauften gleich ein Auto «sponsored by Oma». Infolge dieser Entwicklung sollte das Zweiradangebot entsprechend um 80er-, 125er- und 350er-Maschinen erweitert werden. Mitte der 1960er standen aber noch die 50er-Mopeds im Zentrum. Allerdings hielt sich Kreidler nicht an die definierte 50-Kubik-Leistungsvorgabe der Zweiradindustrie, die zuletzt schon stolze 5,2 PS betrug – zumal der Hersteller nicht einmal Mitglied war. Um bei Kaufinteressierten zu punkten, unternahm Kreidler gewagte Rekordfahrten mit speziell entwickelten Maschinen, die mit Serienfahrzeugen kaum noch etwas zu tun hatten. Als 1965 das neue Modell Florett TS erschien, schob der Hersteller eine vollverkleidete, zigarrenförmige Version auf den Salzsee nach Utah/USA und erreichte dort sagenhafte 210,634 km/h. Das wohlgemerkt mit einer 15 PS starken 50-cm3-Maschine, deren Literleistung also bei 300 PS lag – und Kreidler den Weltrekord einbrachte. Mit weiteren Aktionen – der spätere 50-Kubik-Weltmeister Hans-Georg Anscheidt fügte den acht Markenrekorden Anfang 1965 mit über 110 km/h drei weitere hinzu – wollte das schwäbische Unternehmen aus Kornwestheim die mögliche Höchstgeschwindigkeit seiner Produkte betonen. Beim Rivalen Zündapp sah man die Schlagzeilen mit wachsendem Unbehagen, obwohl man einen ganz anderen Ansatz verfolgte: Langlebigkeit stand bei dem seit 1922 produzierenden bayrischen Zweiradhersteller im Vordergrund, und die galt es 070 VECTURA #8

nun verstärkt zu demonstrieren. Bereits im Frühjahr 1963 hatte man bewusst Journalisten zu Langstreckentests mit normalen Serienmodellen nach Monza geladen. Die dort erzielten Ergebnisse – über 10 000 absolvierte Kilometer in 144 Stunden – waren trotz eisiger Witterung gut genug, um neue Ziele ins Auge zu fassen: Was wäre wohl möglich, fragten sich die Verantwortlichen, wenn man für die «Schnapsglasklasse» eine Rekordmaschine mit Vollverkleidung bauen würde? 1964 begann das Unternehmen in aller Stille mit der Entwicklung einer besonderen KS 50 – diese Modellbezeichnung bezog sich natürlich auf die populäre Serienmaschine des Hauses. Das Projekt war dabei so geheim, dass nicht einmal die involvierten Abteilungen davon wussten. «Genau darin lag die Herausforderung», erinnert sich Günter Sengfelder: Der heute 76-Jährige war damals Zündapp-Werksfahrer, sollte für seine Marke zwischen 1961 und 68 siebenmal die deutsche Trail-Meisterschaft gewinnen – und gemeinsam mit fünf weiteren Piloten auch die Rekordmaschine steuern. «Die verwirklichten Detaillösungen waren jeweils hervorragend», erklärt er, «aber nie im Zusammenspiel erprobt worden. Es lag nun an uns Fahrern, die fehlende Erfahrung mit Enthusiasmus, höchster Risikobereitschaft und Improvisation auszugleichen. Dazu bin ich der einzige fest angestellte Zündapp-Mitarbeiter gewesen.» Im Mai 1965 ging es also wieder zum Autodromo nach Monza. Zündapp nahm zwei verschiedene Motoren mit, um sowohl auf der Lang- als auch der Kurzstrecke neue Bestmarken zu setzen. Der Rahmen der rund elf Pferdestärken starken Rekordmaschine bestand aus ultraleichtem Chrom-Molybdän. Die gerade mal 40 Zentimeter breite, eierschalenartige GFK-Verschalung war ebenfalls einzigartig: Eingekeilt zwischen Front- und Heckteil, stand den Piloten so gut wie keine Bewegungsfreiheit zur Verfügung – sie konnten nicht mal selbstständig ein- oder absteigen, sondern brauchten dazu die Hilfe ihrer Mechaniker. In der Kapsel ging es ausserdem sehr heiss und laut zu. Um die Aerodynamik zu verbessern, wurde dem jeweiligen Fahrer zudem ein glattflächiges Schaumstoffteil auf den Rücken geschnallt… «Wir kamen ja vom Geländesport, waren also recht gelenkig und haben uns relativ schnell mit dieser Situation abgefunden», lächelt Sengfelder: «Die Spannung und das Adrenalin machten es möglich.»


spezial

Kurzstrecken-Version mit wassergekühltem Motor

Auch die Manövrierfähigkeit des Prototyps erforderte Gewöhnung: Bedingt durch den eingeschränkten Lenkeinschlag betrug der Wendekreis etwa 30 Meter. Selbst der Start verlangte besondere Massnahmen: Weil bei Rekordversuchen nicht angeschoben werden durfte, hatte Zündapp eine Rampe mit Elektromotor ersonnen, um den nötigen Schwung zu erzeugen. Zum Anhalten allerdings musste das 86 Kilo schwere Moped von Helfern eingefangen werden. So weit zur geplanten Handhabung, doch es gab Probleme. Schon im April war bei von Sengfelder durchgeführten Vorversuchen der Alutank leckgeschlagen und Sprit in die Heckverschalung gelaufen – nur wenige Zentimeter über dem glühenden Auspuff. Unser Mann bemerkte den Umstand nur, weil für die Rekordfahrten vorgesehene Lederkombis noch nicht fertig waren und er einen Baumwoll-Overall trug: «Ich spürte, dass es an meinen Beinen merkwürdig kühl wurde, sah das Malheur und kehrte unverzüglich an die Boxen zurück. Sonst hätte es mich wahrscheinlich abgefackelt – es war reines Glück.» Bei dieser Gelegenheit begegnete der Zündapp-Pilot dem damaligen Ferrari-Fahrer John Surtees, der sich in Monza auf Le Mans vorbereitete – und seinem Zweirad-Kollegen erklärte, wie man am besten durch die Steilkurven kommt, denn «das hatte ich noch nie gemacht».

Bei den eigentlichen Rekordversuchen sah sich die Zündapp-Mannschaft dann mit einer äusserst ungünstigen Witterung konfrontiert: Böen drückten die extrem seitenwindempfindliche Maschine immer wieder von der Ideallinie, und es bedurfte guter Reflexe, diese Beeinträchtigung zu parieren. «Die Gefahr zu stürzen war gross, doch

Opfer des Fortschritts: Sechs Hasen liessen in der Nacht ihr Leben

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Elvis lässt grüssen: KS 50-Pilot Volker Kramer mit der Rekordtafel. Die Lufteinlässe im Bug waren für die Kurzstreckenfahrten zugespachtelt worden

ans Aufgeben dachte niemand», erinnert sich Sengfelder. Um Wartezeit zu sparen, entschloss man sich, nachts zu fahren, weil dann mit weniger Wind gerechnet wurde: «Um halb elf fingen wir an, und es funktionierte auch ganz gut. Jeder von uns fuhr anderthalb Stunden, dann musste getankt und die Batterie gewechselt werden, weil es keinen Generator an Bord gab.» Um die Sicht durch das enge Visier und mit nur einem Scheinwerfer zu verbessern, hatte man am Fahrbahnrand vorab Windlichter aufgestellt. Was nichts daran änderte, dass im vermeidlichen Schutz der Dunkelheit immer mehr Hasen über die Strecke hoppelten: «Die rannten dort hin und her – möglicherweise wurden sie auch von unserem bis 11 000 Touren kreischenden, nicht schallgedämpften Motor angelockt. Ein Ausweichen war so gut wie unmöglich. Nach einer kurzen Lagebesprechung beschlossen wir deshalb, gänzlich darauf zu verzichten, so traurig das für die Kaninchen auch war. Sechs hat es erwischt; ein Streckenwart sammelte sie anschliessend ein.» Im Morgengrauen – Zündapp hatte da bereits ein paar erste offiziell bestätigte Rekorde in der Tasche – nahm der Wind wieder zu: «Es wurde so schlimm, dass uns die anwesenden FIM-Kommissare empfohlen, die Übung abzubrechen.» In der Garage packte man daraufhin zusammen, bis Sengfelder vorschlug, es trotzdem zu versuchen: «Der Zwölfstundenrekord lag zum Greifen nahe, und man liess mich noch einmal starten.» Es gelang ihm dann tatsächlich, die bestehende Garelli-Bestmarke (siehe Seite 074) zu unterbieten: Zündapp erreichte hier ein Mittel von 137,039 km/h. Der Angriff auf den Garelli-24h-Rekord musste aus den genannten Gründen allerdings ausfallen. Bei den anschliessenden Kurzstreckenfahrten mit dem wasser- und eisgekühlten Motor er072 VECTURA #8

reichte Zündapp eine Vmax von über 160 Stundenkilometern – und kehrte nach sechs Einsätzen mit insgesamt 14 Titeln nach Hause zurück. Diese Anzahl erklärt sich aus dem Umstand, dass die erzielten Durchschnitte auch in den nächsthöheren Hubraumklassen gewertet wurden. Neben den Distanzen auf 10, 100 und 1000 Kilometer hatte man auch in der Ein- und Sechs-StundenKategorie neue Bestzeiten eingefahren. «Unsere Langstreckenrekorde stehen heute noch», sagt Sengfelder – «einfach deshalb, weil später niemand mehr den Versuch unternahm, mit 50er-Maschinen solche Ergebnisse zu erzielen.» Ob sich die Anstrengungen anschliessend auch bei den ZündappHändlern bemerkbar machten – Sengfelder weiss es nicht. Sein Arbeitgeber jedenfalls engagierte sich etwa 15 Jahre später im Strassenrennsport und sollte 1984 gar Strassenweltmeister in der 80er-Klasse werden – wenn auch unter der Teambezeichnung Krauser, weil sich die Marke Zündapp da bereits im Vergleich befand: Ende 1984 kam der Konkurs. «Kleinkrafträder wurden einfach nicht mehr stark nachgefragt», bemerkt ein abgeklärter Sengfelder. Höhere Versicherungsprämien und Helmpflicht taten ein Übriges. Geblieben ist die Erinnerung an ein waghalsiges Manöver, das auch ganz anders hätte ausgehen können.

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Vergessene Zweitakt-Queen: Garelli Fotos Bonhams, Marco Vitali

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icht nur Zündapp, sondern auch die italienische MopedMarke Garelli hatte sich dem Zweitaktprinzip verschrieben. 1919 von Adalberto Garelli in Mailand gegründet, machte sich das Unternehmen mit Zweikolben-Zweitaktmotoren schnell einen Namen. Der ideenreiche Ingenieur hatte da bereits ein Zweitaktaggregat für Fiat entwickelt oder die Motorrad-Fussschaltung erfunden, welche zuerst bei Bianchi in Lizenz hergestellt worden war.

Auch das ab 1913 verwirklichte Zweikolbenprinzip mit insgesamt 350 Kubikzentimeter Hubraum war Garellis Erfindung und bot relativ viel Leistung bei geringem Verbrauch. Mit diesen Eigenschaften sicherte man sich auch im Motorsport den nötigen Vorsprung, um zahlreiche Langstrecken- und Grand-Prix-Rennen zu gewinnen – zum Beispiel den allerersten Zweirad-GP, welcher 1922 in Strassburg ausgetragen wurde: Garelli siegte souverän und belegte die Plätze 1 bis 3. Auch beim Auftaktrennen auf dem ganz neu eröffneten Monza-Rundkurs stand Garelli-Pilot Ernesto Gnesa ganz oben auf dem Treppchen und hatte dabei sogar die Bestzeit des englischen Siegers Douglas in der 500-cm3-Klasse um 48 Sekunden unterboten. Ebenfalls interessant ist, dass die späteren Autorennfahrer Tazio Nuvolari und Archille Varzi ihre Rennsportkarrieren auf Garelli begonnen hatten: Nuvolari siegte 1923 erstmals in Parma, und im gleichen Jahr sicherte sich der damals 18-jährige Varzi die italienische Meisterschaft. Darüber hinaus fuhr die Marke in jener Dekade über 200 Weltrekorde ein. 1928 drosselte Garelli die Serienproduktion und konzentrierte sich auf Militär-Aufträge; die letzten Motorräder entstanden 1935. Nach dem Zweiten Weltkrieg begann seine Marke mit der Fertigung von Hilfsmotoren mit 38,5 cm3, die an jedes Fahrrad geschraubt werden konnten und sehr genügsam waren. Diese erneut clevere Geschäftsidee Adalbertos sorgte unter dem Eigennamen Mosquito für frischen Schwung mit bis zu 30 km/h

Comeback in den 1980ern: Garelli-125er im Renntrimm

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Rekordmaschine von 1963. Hubraum: 50 cm3

und verkaufte sich weltweit über zwei Millionen Mal. 1953 gab es dann das erste komplette Mosquito-Töff mit Pressstahlrahmen und Kurzarmschwinge; weitere Modelle mit 50 cm3 und 70 km/h Spitze sollten folgen. Etwa zeitgleiche Kontakte zum Zulieferer Agrati mündeten in einer Kooperation; beide Häuser boten anschliessend eigene Modelle mit Garelli-Motoren an, die nun bis 125 cm3 aufwiesen. 1961 fusionierte man und nannte sich fortan Agrati-Garelli. 1963 kehrte Garelli dann mit einem Paukenschlag in den Motorsport zurück. In der 50-cm3-Klasse holten zwei aerodynamisch verschalte Maschinen auf der Monza-Strecke acht Weltrekorde, die auch für die 70-, 100- und 125-cm3-Klassen galten. Die 24-Stunden-Marke von 108,834 km/h ist bis heute ungeschlagen. Adalberto hat das Rundstrecken-Comeback seiner Marke noch erlebt: Er zog sich erst Ende 1967 zurück und starb Anfang 1968. Mit den Rekordschlagzeilen stieg auch der Serienmoped-Absatz; Garellis galten im Heimatland als besonders sportlich und standen damals an jeder Ecke. Von 1982 bis 87 gelang es Garelli zudem, sechsmal die Weltmeisterschaft bis 125 cm3 sowie fünf Konstrukteurstitel (einen davon in der Klasse bis 50 cm3) zu gewinnen. Noch Mitte der 1980er-Jahre zählte man zu den grössten Fahrzeugherstellern Italiens und fertigte neben Strassenversionen auch Motocross- und Enduro-Maschinen. Die Blütezeit der Zweitaktmotoren war da allerdings schon vorbei: Viertaktmodelle mit mehr Hubraum, nicht selten aus Japan, verdrängten sie zunehmend. Diesem Trend fielen auch andere Töff-Hersteller zum Opfer; Kreidler etwa ging 1982 in Konkurs. Danach wurden GarelliModelle mit Kreidler-Aufkleber eine Zeit lang auch über die deutsche Versandhauskette Neckermann vertrieben, was aber wenig half: 1992 gingen in Mailand die Lichter aus. 2006 kaufte Paolo Berlusconi, der Bruder des damaligen italienischen Ministerpräsidenten, die Namensrechte. Neue Scooter-Modelle wurden anschliessend in China gebaut. map


dav_tbf_nicaragua_210x148mm_schweiz_dt 27.08.13 18:14 Seite 1 Adalberto Garelli 1913 auf der ersten von ihm konstruierten Zweitaktmaschine mit 350 cm3

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Die Rampe Vor rund 60 Jahren tauchte die seltsam geschwungene Öffnung erstmals an Strassensportwagen auf: Der NACA-Duct stammte aus der Aeronautik und versprach mehr Luftzufuhr bei verringerter Reibung. Doch das war nicht immer der Fall Text Jörg Grieshaber, map · Fotos NASA/Ames, CEN, John Lamm, Mustang Monthly, John Tylor, Werk

Die erste North American XF-93 A wies versuchsweise zwei NACA-Ducts auf

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eine Frage: Das glatt in die Karosserieoberfläche integrierte Teil sieht spacig aus. In gewisser Weise ist es das auch, denn es kam erstmals im Flugzeugbau zum Einsatz. Der sogenannte NACA-Duct ist eine Entwicklung der gleichnamigen, 1915 gegründeten US-amerikanischen Luftfahrtbehörde NACA (National Advisory Committee for Aeronautics), aus der 1958 die NASA (National Aeronautics and Space Administration) hervorging. Neben den seit Anfang der 30er-Jahre mithilfe von Windkanalversuchen entwickelten NACA-Profilfamilien für Tragflügel, deren Konturverläufe erstmals im Umfeld der Aerodynamik durch mathematische Formeln berechnet und für den Nutzer in Koordinatentabellen beschrieben waren, nahmen sich die Ingenieure auch vieler anderer Problemstellungen an. So entstand zirka 1945 der erste NACA-Duct: Es handelte sich um einen Lufteinlauf, der sich aerodynamisch günstig, also flach in eine Oberfläche integrieren lässt, ohne den Strömungswiderstand merklich zu erhöhen.

Ähnlich wie die erwähnten Tragflügelprofile ist die Form des NACA-Duct in Aufsicht und Tiefenverlauf durch mathematische Formeln genau beschrieben (Interessierte finden relativ einfache Tabellenkalkulationsprogramme dazu im Internet). Aber wie funktioniert er? Dazu muss man sich vergegenwärtigen, dass die Luftströmung immer den Weg des geringsten Widerstands gehen möchte. Wenn also irgendwo weniger Luftdruck herrscht, werden Luftteilchen automatisch dorthin gespült – und diesen Effekt macht sich das Konstruktionsprinzip des NACA-Duct zunutze: In einer glatten Oberfläche befindet sich eine Öffnung, die sich in Breite und Tiefe entsprechend dem berechneten Konturverlauf vergrössert. Scharfkantig ausgeführt, wird die Grenzschicht der anliegenden Luftströmung aufgebrochen, was zur kontrollierten Verwirbelung entlang dieser Kanten führt. Im Längsverlauf des Duct ergibt sich mit zunehmendem Querschnitt ein verstärkender Unterdruck – Luft strömt nach.

Nach enttäuschenden Ergebnissen baute man ein zweites Exemplar mit konventionellen Lufteinlässen

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SPEZIAL

Wird nun das Ganze hinten glatt abgeschnitten, kann der gewonnene Luftstrom an dieser Stelle abgezweigt werden. Die Oberflächenverwirbelungen führen zwar zu einer minimalen Erhöhung des äusseren Luftwiderstands, der jedoch gegenüber konventionellen, aufgesetzten Lufthutzen geringer ausfällt. Eine der ersten Anwendungen fand sich am Kampfjet-Prototypen North American XF-93 A, der 1951 versuchsweise mit NACA-Ducts anstelle weit ausgestellter Einlässe zur reichhaltigen Luftversorgung der Strahltriebwerke ausgestattet wurde. Ziel der Modifikation: Stirnfläche verringern, Reichweite erhöhen. Es stellte sich allerdings schnell heraus, dass die Form der neuartigen Turbinenzufuhr keinen Gewinn darstellte, im Gegenteil: Die aus der NACA-Anströmung resultierenden Verwirbelungen reduzierten bei zunehmender Geschwindigkeit das Luftvolumen – die Leistung sank. Nach vorne geöffnete Lufteinlässe erweisen sich durch den direkt aufprallenden Luftstrom bei zunehmender Geschwindigkeit als deutlich effizienter und haben sich deshalb bei Düsenflugzeugen durchgesetzt. Das bedeutete allerdings nicht das Ende des Duct. Vielmehr war nun klar, dass er sich zum gezielten Anströmen solcher Aggregate und Komponenten eignete, die nur eine relativ kleine Luftmenge benötigten. In der Folge tauchte der auch «Niederdruck-Luftzuführung» genannte NACA-Duct an immer mehr Flugzeugen auf. Bis heute ist er vorwiegend an Rümpfen von Militär- und Passagiermaschinen zu sehen.

Die automobile Karriere des nicht zuletzt optisch elegant wirkenden Lufteinlasses begann Mitte der 1950er-Jahre. Auch hier ging es vorrangig darum, thermische Probleme in den Griff zu bekommen. Und wie so oft im Fahrzeugbau waren es auch hier Flugzeug- und Aerodynamik-Ingenieure, die das Konzept auf die Strasse übertrugen und sich davon Vorteile versprachen. Mit Erfolg: Der für den Verkauf als auch für die 24 Stunden von Le Mans konzipierte Lotus Elite (1959–63) wies serienmässig nur eine kleine Kühleröffnung auf, die bei hohen Aussentemperaturen und langsamer Geschwindigkeit nicht in der Lage war, den Coventry-Climax-Vierzylinder ausreichend zu kühlen. Mehr noch: Unter der sich im engen Motorraum anstauenden Hitze – es gab eben auch keine anständige Entlüftung – neigte das Benzin zu Blasenbildung, was Zündaussetzer zur Folge haben konnte. Um die zu vermeiden, ordnete der frühere De-Havilland-Ingenieur und Lotus-Mitarbeiter Frank Costin (er war der Bruder des späteren Cosworth-Mitgründers Mike Costin) einen NACA-Duct auf der Motorhaube direkt vor den Vergasern an, womit das beschriebene Problem gelöst wurde. Erstmals eingesetzt hatte Costin dieses Design übrigens bei der 1956er-Version des Formel-1-Boliden Vanwall VW 1, zudem tragen viele seiner späteren Rennwagen-Konstruktionen mindestens einen NACA-Duct. Noch heute wird der im Motorsport verwendet. Bis hin zu den aktuellen, mithilfe hochmoderner Computer-Simulationsprogramme ausgelegten Formel-1-Boliden findet sich sein Prinzip

Zwischen der ersten Countach-Studie (oben) und dem Serienmodell (Mitte) fügte Lamborghini zwei NACA-Ducts hinzu

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Drei frühe NACA-Autos: Lotus Elite Type 14, 1959–63…

…Ford Shelby GT, 1969–71…

…und Alfa Romeo Montreal, 1970­­–77

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SPEZIAL

überall und in allen Grössen wieder. Selbst an Motorradverkleidungen hat sich der NACA-Duct als sehr probates Mittel für gezielte Luftzufuhr erwiesen. Beim zuvor genannten Lotus streiten sich die Gelehrten bis heute, ob ein passend angeordneter Luftkanal zwischen der Kühleröffnung und den Vergasern den gleichen heilsamen Effekt gehabt hätte – nicht wenige im historischen Motorsport eingesetzte Elite sind heute so modifiziert. Sehen kann man die zuletzt beschriebene Lösung allerdings kaum, und so war es der NACA-Duct, der neben seiner Wirkungsweise auch optisch etwas hermachte. In der Folge bestellten viele Elite-Käufer die entsprechende Motorhaube, weil ihr Techno-Look die Gesamterscheinung aufwertete. Diesem Beispiel folgend wurde der einfache wie geniale Duct in den nun kommenden Jahrzehnten auch von anderen Strassenautoherstellern für verschiedene Zwecke eingesetzt – zur Kühler-, Bremsen-, Getriebe- und Innenraumbelüftung. Oder tatsächlich für die Frischluftzufuhr eines Motors. Nicht selten befanden sich Ducts an der Unterseite des Fahrzeugs. Das wohl prominenteste Auto mit gleich zwei solchen, an den Flanken platzierten Lufteinlässen ist der von Bertone-Designer Marcello Gandini gezeichnete und ab 1974 gebaute Lamborghini Countach, dessen Prototyp von 1971 noch ohne NACAs auskommen musste. Bei Vorserientestfahrten zeigte sich aber schnell, dass der Zwölfzylinder mehr Luft zum Atmen benötigte. Verschiedene

Experimente führten schliesslich zur Serienlösung, die sich über die Scherentüren und hinteren Radhäuser erstreckte. Bis 1990 entstanden knapp 2000 Fahrzeuge, und es ist kaum übertrieben zu sagen, dass diese NACAs, in denen sich auch die Türöffner verbargen, der Countach-Erscheinung das gewisse Etwas verliehen. Der futuristisch gestylte Zweisitzer war allerdings nicht der erste NACA-Lambo: Schon beim ab 1968 gebauten Espada und dem 1970 folgenden Jarama zierten zwei solche, wenn auch wesentlich kleinere Inlets die Motorhauben. Diese Anordnung galt und gilt auch für zwei andere Sportwagen – den ab 1969 angebotenen Shelby Mustang GT und den 1970 eingeführten Alfa Romeo Montreal. Bei Letzterem war unter der Haube nicht genug Bauraum vorhanden, weshalb die Oberfläche um den Duct etwas angehoben wurde, was dessen Vorteile natürlich relativierte. Und vielleicht erklärt, warum sich das Teil auch im Zubehörkatalog diverser Tuningunternehmen wiederfand – und später an tiefer gelegten Polo, Corsa oder Fiesta. Bei modernen, Windkanal-optimierten Supersportwagen ist eine derartige Effekthascherei natürlich verpönt: «Form follows function», lautet hier die Devise – das erzielte Ergebnis muss vorteilhaft und messbar sein. Zu den bekanntesten NACA-Trägern der Neuzeit gehören der 1979 lancierte Porsche 924 Turbo, der 1987 präsentierte Ferrari F40, der ab 1992 verkaufte Dodge Viper oder der seit 2007 angebotene Nissan GT-R (siehe Seite 037). Und es darf davon ausgegangen werden, dass weitere Modelle folgen werden.

Ferrari F40, 1987-92

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Spezial

die balance zwischen

Auf- und Abtrieb Porsche bringt mit dem neuen 911 Turbo Ende September den weltweit ersten Sportwagen mit adaptiver Aerodynamik auf den Markt. Während sich das neue System je nach Geschwindigkeit automatisch auf maximale Bodenfreiheit oder minimalen Luftwiderstand einstellt, genügt ein Knopfdruck des Fahrers – und der neue Top-Elfer mutiert zum echten Rennwagen Text Nicole Schwerdtmann · Fotos Werk

I

n seinem Performance-Modus erreicht der 911 Turbo Abtriebswerte, die nahe an die von reinrassigen Renn-Elfern reichen. Porsche untermauert damit einmal mehr, dass die Wurzeln des Unternehmens im Motorsport zu suchen sind. Rundstreckenboliden wie der Porsche 917 aus den frühen 1970er-Jahren, den es mit verschiedenen aerodynamisch optimierten Karosserien gab, gelten heute als Meilensteine im intelligenten Umgang mit der Luftströmung. Und immer flossen die Erkenntnisse auch in Serienfahrzeuge ein. So trug bereits der erste Prototyp des 911 Turbo, der vor nunmehr 40 Jahren für Furore sorgte, neben seiner speziellen Bugpartie einen ausla082 VECTURA #8

denden Heckspoiler – Modifikationen, die dem neuen Spitzensportler überragende Stabilität bei sehr hohen Geschwindigkeiten verliehen. Nun stellt das klassische Elfer-Design mit seinem flach abfallenden Heck ja aerodynamisch keine Offenbarung dar. Umso erstaunlicher ist es, wie Porsche diesem archaischen Layout immer wieder neue Höchstleistungen entlockt. Mit jeder 911er-Generation, mit jedem Renneinsatz wurde am Styling gefeilt; auch andere Baureihen profitierten davon. Ende der 1980er-Jahre erfanden Ingenieure und Designer die Synthese zwischen unverfälschter


Elfer-Form und aerodynamischer Optimierung in Form eines variabel ausfahrbaren Heckspoilers für den Typ 964. Heute verfügen alle 911, Panamera, Boxster und Cayman über aktive Spoiler oder Heckflügel; Letztere fahren bei höheren Geschwindigkeiten aus und verbessern so den Luftwiderstand sowie die Performance. Der nunmehr siebte 911 Turbo (Modellcode 991) verfügt als erster Sportwagen der Welt über einen aktiven Bugspoiler. Und obwohl es sich scheinbar nur um eine kleine, maximal 4,5 Zentimeter ausfahrbare Lippe handelt, ist sie in der Lage, neue Bestwerte für Alltagstauglichkeit, Effizienz und Fahrdynamik zu setzen. Je nach Geschwindigkeit wird der Bug so optimal umströmt, lassen sich ungewünscht Verwirbelungen reduzieren. Aerodynamik ist für Sportwagen Fluch und Segen zugleich. Einerseits hat Luft eine bremsende Wirkung, kostet dadurch Kraftstoff und begrenzt die Höchstgeschwindigkeit. Andererseits ist die Grundform des Porsche 911 ein Paradebeispiel für aerodynamische Möglichkeiten, wenn man das Profil und damit den Wiedererkennungswert beibehalten möchte. Die Kontur des Porsche 911 ist eng mit der des 356 verwandt und damit noch ein Erbe aus den 1940er-Jahren. Vorbild war ein tropfenförmiges Profil, wie es Flugzeugtragflächen aufwiesen. Mit relativ niedriger Motorleistung konnten so höhere Fahrleistungen erzielt werden. Allerdings verursacht die 911-Umströmung auch Kräfte, die unvorteilhaft sind. Ein grundsätzlicher Nachteil stromlinienförmiger Sportwagen ist der Auftrieb (Abheb-Effekt) an Vorder- und Hinterachse. Diese Kräfte nehmen mit steigender Geschwindigkeit im quadratischen Verhältnis zu – doppeltes Tempo bedeutet vierfache Luftkraft. Ab etwa 80 km/h ist die Luft der dominierende Widerstand bei der Beschleunigung und muss mit Motorkraft überwunden werden.

Die Fahrleistungen des 911 sind unterdessen von Generation zu Generation gestiegen – bei gleichzeitig sinkendem Kraftstoffverbrauch. Das ging nur mithilfe effizienterer Aerodynamik. So wurde beispielsweise der Unterboden zunehmend glattflächig verkleidet. Auch alle Luftführungen zur Kühlung von Bremsen und Aggregaten hat man im Laufe der Zeit optimiert. Inzwischen setzt Porsche dabei auf modernste Entwicklungswerkzeuge: Relevante Karosseriedetails werden zunächst per Simulation auf ihre Wirkung hinsichtlich Durch- und Umströmung des Fahrzeuges überprüft. Kühlungsanforderungen und Wärmequellen wie Motor, Getriebe, Abgasanlage oder Bremsen bezieht man bei den Berechnungen mit ein. Des Weiteren greifen die Ingenieure auf einen hochmodernen Windkanal zurück, der mit einer hochgenauen Waage und einer Laufband-Bodensimulation ausgestattet ist. Per Gewichtsmessung lassen sich Auf- oder Abtrieb abhängig von Geschwindigkeit und Achslasten genau ermitteln. Das Laufband wiederum simuliert die Strasse und kann sich mit bis zu 300 km/h unter dem Fahrzeug bewegen (!). Doch zurück zum 911 Turbo: Mit dem Jahrgang 2000 (Typ 996) wurde der bisher feststehende Heckspoiler durch einen ausfahrbaren Spaltflügel ersetzt; es war der erste in einem Porsche-Serienfahrzeug. Kleiner, aber feiner Unterschied: Ein Spoiler wird ausschliesslich überströmt, während man bei oben und unten im Wind stehenden Hilfen von Flügel spricht. Analog zum Carrera besass der 911 Turbo damit ein aktives Karosserieelement zur Herbst 2013 083


SPEZIAL

Ausgangssituation: Ur-Elfer Baujahr 1965

Entenbürzel: 911 Carrera 2.7 RS aus dem Jahr 1972

Mächtiges Flügelwerk: 911 Carrera RSR Turbo 2,1 von 1974

Beeinflussung aerodynamischer Beiwerte, welche letztlich auch die Fahrstabilität tangieren. Der aktuelle 911 Carrera setzt bereits ein neuartiges, variables Spoiler-Konzept ein, das die Grundlagen für die adaptive Aerodynamik des neuen 911 Turbo schafft. Der Carrera-Heckspoiler stellt sich je nach Fahrzeugkonfiguration und Schiebedachöffnung in verschiedenen Höhen und Winkeln an. Ergänzend wird an der Vorderkante über eine spezielle Gelenkkinematik ein Schliessteil angesteuert, das die optimale Überströmung des Spoilerblattes sicherstellt. Im ausgefahrenen Zustand unterstützt es zusätzlich zu seiner aerodynamischen Funktion sowohl die Prozessluft-Ansaugung des Triebwerks als auch die Motorraumkühlung, weil sich vor dem Spoiler ein sogenannter Staudruck bildet und gezielt eingeführt werden kann. Der Turbo hat dieses Schliessteil nicht, weil hier die Luftführung anders verläuft. Heute verfügen alle Porsche-Baureihen mit Ausnahme des Cayenne über eine aktive Aerodynamik mit individuellen Positionen und Aktivierungen. So fährt beispielsweise der Spoiler des Panamera Turbo bei 90 km/h in seine Basisposition und nimmt bei 160 km/h und 205 km/h höhere Stellungen ein. Damit wird über einen breiten Geschwindigkeitsbereich für optimalen Auftrieb und geringstmöglichen Verbrauch gesorgt. Zudem erlauben die verschiedenen Positionierungen auch während des Bewegungsablaufes eine Verbesserung der Fahrzeugbalance unter Berücksichtigung der aerodynamischen Effizienz. Damit stellen sie bereits eine Vorstufe zur adaptiven Aerodynamik dar. Durch die innovative Kombination von mehrstufig ausfahrbarem Bugspoiler und in Höhe sowie Neigung verstellbarem Heckspaltflügel ist der 911 Turbo in der Lage, seine aerodynamische Gestalt auf Knopfdruck gleich mehrfach an die aktuelle Fahrsituation und die Wünsche des Fahrers anzupassen. Damit ist er auch das erste Fahrzeug, das unter Beibehaltung der Auftriebsbalance von Vorder- und Hinterachse zwischen verschiedenen aerodynamischen Modi hin- und herwechseln kann. Nicht zuletzt bewahrt die adaptive Aerodynamik die traditionelle optische Erscheinung des 911 Turbo.

Heckspoiler ab Werk: der erste 911 Turbo (930) Jahrgang 1974

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Gesteuert werden Fontspoiler und Heckflügel von einer PAA (Porsche Active Aerodynamics) genannten Elektronik, die drei Modi kennt: In der Grundstellung Start sind beide Strömungshilfen vollständig eingefahren, was optische und praktische Vorteile mit sich bringt: Das klassische Turbo-Design präsentiert sich so in seiner ganzen Ästhetik. Ausserdem erlaubt der nach hinten eingeklappte Bugspoiler einen deutlich grösseren Böschungswinkel als beim Vorgängermodell – statt 7,8 sind es jetzt 10,3 Grad. Auch die Bodenfreiheit wuchs von zuletzt 13,9 auf 15,6 Zentimeter; in Kombination verringert sich also die Gefahr des «Aufsitzens» auf steilen Parkhausrampen oder Bordsteinen. Diesen Grundmodus behält das PAA bis zu einer Geschwindigkeit von 120 km/h bei, sofern der Pilot nicht manuell über entsprechende Aerodynamik- oder Sport-Plus-Tasten eingreift. Danach wird der Speed-Modus angesteuert; jetzt fahren auch die beiden äusseren Segmente des dreiteiligen Frontspoilers aus. Die Luft wird dadurch verstärkt um die Karosserie herumgeleitet, der Auftrieb an der Vorderachse weiter verringert. Gleichzeitig schiebt sich der Heckflügel um 25 Millimeter nach oben und wird nun zum Spaltflügel. Das bedeutet, dass die Luft zum einen über dessen Oberfläche geleitet wird. Zum anderen strömt sie durch den Spalt zwischen der Unterseite und dem feststehenden, ausgeformten Flügelbett. Diese Konstruktion hat den Vorteil, dass der Flügel jetzt mehr aerodynamisch wirksame Fläche aufweist, ohne der Luft dennoch mehr Widerstand entgegenzusetzen. Gleichzeitig ist der Flügelboden konvex gewölbt, sodass ein Unterdruck und damit Abtriebskraft entsteht. Insgesamt ist der Luftwiderstand des neuen 911 Turbo in dieser Konfiguration besonders niedrig, was den Kraftstoffverbrauch positiv beeinflusst und in einer Höchstgeschwindigkeit von 315 km/h gipfelt. Beim Unterschreiten von Tempo 80 wechselt das PAA automatisch wieder in die Grundstellung. In der Speed-Stellung bietet der neue 911 Turbo die identischen aerodynamischen Beiwerte wie das Vorgängermodell. Der dritte Modus heisst Performance und erschliesst dem Top-Elfer eine bisher ungekannte aerodynamische Dimension. Besonders

Aerodynamischer Feinschliff am 964er-Turbo, hier das Modell 1990

Weiterentwicklung am 993er-Turbo (1994–98)

Komplett neu: 911 Turbo der Baureihe 996 (ab 1997)

Der letzte Turbo kam 2006 in Form der Modellreihe 997

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SPEZIAL

deutlich zeigen dies die Auftriebskräfte: Bei 300 km/h generiert der Sportwagen im Speed-Modus insgesamt neun Kilogramm Abtrieb. Im Performance-Modus steigt dieser Wert auf 132 Kilogramm – mit höherem Anpressdruck auf Vorder- und Hinterachse. In der Konsequenz steigt die maximal mögliche Querbeschleunigung bei diesem Tempo um zehn Prozent – allein durch die Luftkräfte. Die aerodynamische Bandbreite des jüngsten 911 Turbo erreicht damit Bereiche, die bisher nur Porsche-GT-Sportwagen vorbehalten waren und auf der Rennstrecke hinreichend erprobt wurden. Allein das Umschalten vom Speed auf Performance verbessert das fahrdynamische Potenzial derart, dass sich die Rundenzeit auf der Nordschleife um zwei Sekunden verkürzen lässt – am Nürburgring sind das Welten. Die Steuerung beider Luftführungselemente erfolgt unterhalb von 120 km/h synchron. Damit fahren beide Systeme gleichzeitig in eine der drei beschriebenen Stellungen. Bei höherem Tempo werden die aerodynamischen Wirkungsflächen zwar simultan vergrössert, beim Einfahren folgt der Heckflügel allerdings mit einer zeitlichen Verzögerung von rund vier Sekunden, um eine Instabilität zu verhindern. Bei über 270 km/h sind aus demselben Grund keine Änderungen der eingestellten Spoiler- und Flügelposition mehr möglich. Darüber hinaus wird wie beim 911 Carrera die Stellung des über die Dachhaut öffnenden Schiebedachs berücksichtigt: Auch der Turbo-Heckflügel kompensiert die veränderte Umströmung durch einen anderen Anstellwinkel. 086 VECTURA #8

Mit diesen Massnahmen hat Porsche das scheinbare Maximum erreicht, doch in Weissach wird bereits an neuen Lösungen gearbeitet. Man darf also gespannt sein, wie es mit dem Elfer aerodynamisch weitergeht.

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Stilblüten So stellt sich der Autor einen neuen Fiat Multipla vor

EIN HERZ FÜR MINDERHEITEN Text und Illustration Mark Stehrenberger

D

ie kulturelle Herkunft eines Autos sollte man sofort erkennen, auch wenn es weltweit verkauft wird. Zum Beispiel US-Modelle: Früher eher überproportioniert, wich das «Geh-mir-aus-dem-Weg»-Styling inzwischen einer gezähmten, sprich kompakteren Formsprache. Oder deutsche Wagen, deren klare Gestaltung stark auf der Bauhaus-Architektur basiert. Die Franzosen, deren Formgebung mehr verträumt, innovativ und individuell ausfällt. Italienisches Design, das eher künstlerisch geprägt ist und vom Designer ein tiefes Verständnis für eine spezifische Marke verlangt. Last but not least die Engländer, die schon wegen des Auf-der-falschen-Seite-Fahrens anders denken. Deren Designsprache ist eher einfach und understated, eben britisch. Was bedeutet, dass einem wohnlichen, sprich komfortablen Interieur viel Aufmerksamkeit gewidmet wird. Sprung nach Asien: Japaner und Koreaner passen sich tendenziell eher internationalen Geschmäckern an, da über 80 Prozent ihrer Kunden mittlerweile gar keine Asiaten mehr sind. Ford dagegen setzt neuerdings auf eine globale Designsprache, die in allen Teilen der Welt gut funktionieren soll. Anderseits fördert man aber auch Ikonen wie den Mustang mit seinem charakteristischen Styling. Eines haben alle Hersteller gemeinsam: Sie leisteten sich zwischendurch mal echte Schnitzer! Einige davon entwickelten sich zu regelrechten Kultfahrzeugen, andere möchte man am liebsten vergessen. Hier sind meine sechs ganz persönlichen FreakshowKandidaten: VOLKSWAGEN 411/412 Jede gute Idee hat ihre Zeit an der Sonne, aber der Trick ist, rechtzeitig aus dem Licht zu gehen, bevor Hautkrebs einsetzt! Die Heckmotor-Idee war einst eine Sensation, vor allem beim revolutionären und windschlüpfigen Tatra 77 von 1934. Ferdinand Porsche übernahm die Idee später für seine verschiedenen VW-Prototypen, die 1938 zum bahnbrechenden Käfer führte. Aber während der 60er-Jahre änderte sich das Interesse

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europäischer Kunden – Frontantrieb war angesagt! Nur nicht bei VW. Leicht verloren und verwirrt inmitten all der Aufregung – und immer gefährlicher konservativ – entwickelte und baute Wolfsburg ein Auto, das zum endgültigen Blowout der Heckmotor-Limousine werden sollte: den hässlichen Typ 411 und seinen Nachfolger 412, welche es beide sicher nie auf einen Concours d´Élégance schaffen werden – Volkswagen hatte seinen eigenen Edsel! Erstmals bei VW waren der 411 (1968–72) und 412 (1972–74) als zwei- oder viertürige Limousine sowie zweitüriger Kombi zu haben. Unter der Leitung von Heinrich Nordhoff entwickelt und von der Carrozzeria Pininfarina gestylt (!), wurde der 411 auf dem Mondial von Paris 1968 vorgestellt. Luftgekühlter Boxermotor und Heckantrieb kamen vom Super-Käfer 1500, dazu gab es eine UnibodyKonstruktion, McPherson-Federbeine vorne, Schraubenfedern, hintere Querlenker oder eine hydraulische Kupplung zum manuellen Schaltgetriebe. Optisch zeichnete sich der 411er durch seine einzigartigen, ovalen Scheinwerferabdeckungen aus. Der 412 ersetzte dann den 411, und Designer Brooks Stevens gestaltete eine neue, oben hervorstehende Nase mit vier runden Halogenleuchten à la BMW 2002. Gott sei Dank war dies auch die letzte luftgekühlte VW-Limousine. Während der sechs Produktionsjahre gingen knapp 370 000 an den Mann; das Auto gilt heute als Randstein-Klassiker. G.r.a.u.e.n.h.a.f.t. SUZUKI X-90 Die Antwort auf eine Frage, welche niemand gestellt hatte. Der X-90 entzog sich jeder Kategorisierung: weder Fisch noch Fleisch. Das Auto war ein zweisitziges Mini-SUV mit Targa-Dach und hatte weder den Nutzen eines SUV noch das Handling eines Sportwagens. Der X-90 war mehr als flüssig – er war überflüssig. Zunächst als Concept Car auf der Tokyo Motor Show 1993 ausgestellt, erhielt er grosses Lob von der japanischen Presse und Öffentlichkeit. Das Serienfahrzeug kam zwei Jahre später, aber trotz aller überwiegend positiven Kritik zum erfrischenden «Anderssein»


verstaubte es dann in den Showrooms: Die Produktion wurde schon 1997 eingestellt. Ein Fullsize-Ersatzrad im Kofferraum und ein wenig Platz hinter den beiden Sitzen liessen eine mickrige Ladefläche übrig, gerade gross genug für meine volle Einkaufstasche. Kurz: Der X-90 war ein teures, total unpraktisches Barbie-Spielzeug, ich jedoch wasche lieber King Kongs Unterwäsche von Hand, als in diesem Gefährt gesehen zu werden. Das Auto fand seine Daseinsberechtigung erst später: Als rollende Red-Bull-Werbung zirkulierten Hunderte von X-90, mit riesigen Getränkedosen auf dem Heck, um die ganze Welt. RENAULT AVANTIME Der Name verbindet das französische Wort «Avantgarde» und das englische Wort für «Zeit». Clever! Als Crossover war das Auto seiner Zeit nämlich weit voraus, sollte es doch den Raum und die Gestaltung eines MPV mit dem Styling eines 2+2-Coupés kombinieren. Das One-Box-Design bestand aus einer Struktur aus Stahl und Aluminium, B-Säulen wurden eliminiert, um den Passagieren das Gefühl zu geben, in einem vierplätzigen Coupé zu sitzen. So sagte Renault. Der Innenraum kam mit vier feudalen Sesseln, die eingebaute Sicherheitsgurte aufwiesen und mit Edelleder überzogen waren. Um mir den Zugang zu den Rücksitzen zu erleichtern, hatte der Wagen zwei lange Schiebetüren, die mit einem doppelkinematischen Scharniersystem einfachen Zugang mit minimalem Überhang der Türen erlaubten. Die beiden hinteren Sitze waren höher angeordnet als die vorderen, sodass ich mich als Mitfahrer wie im Kino fühlte. Fehlte nur noch das Popcorn! Kombiniert mit einem super-coolen Soundsystem gab mir das riesige offene Panorama-Schiebedach das Gefühl, an einem Open-Air-Konzert von Jimmy Hendrix teilzunehmen. Der Avantime wurde 1999 erstmals auf dem Genfer Salon in Konzeptform gezeigt und ging zwei Jahre später bei Matra in Produktion. Kurz darauf ging dann die grosse Limousine Vel Satis an den Start. Das hatte Renault marketingtechnisch völlig falsch gemacht, denn potentielle Käufer waren nun total verwirrt, behielten ihr Portemonnaie in der Tasche – und zwei ungewöhnliche Autos wurden so zu hartnäckigen Ladenhütern. Zum Glück zog Renault kurz darauf den Stecker. Schade, dass der extrem eigenständige, dabei schöne wie innovative Avantime nie sein Potential ausspielen konnte. In 20 Jahren vielleicht mal auf dem Rasen der Villa d´Este? JAGUAR X-TYPE Peinlich, peinlich, dieser Jag! Unter dem Dach der damaligen Muttergesellschaft Ford sollte ein kompaktes, vergleichsweise erschwingliches Einstiegsmodell lanciert werden, das dann 2002 auf den Markt kam. Doch die Entscheidung, eine modifizierte Ford-Mondeo-Plattform zu verwenden, kam bei den Enthusiasten der Marke gar nicht gut an. Allradantrieb sollte den «Neuling» von seinen deutschen und japanischen Konkurrenten unterscheiden. Leider war der X-Type under-engineered und fahrdynamisch kaum erwähnenswert. Auch das Interieur war ein unglücklicher Mischmasch traditioneller Jaguar-Elemente: Holzfurnier, geschmeidige Lederpolsterung und ein paar Chromleisten existierten hier in direkter Nachbarschaft zu banalen Kunststoffteilen auf Mietwagen-Niveau. Der unvermeidliche Gnadenschuss kam 2009 und keine Minute zu früh: Der X-Type war schon bei seiner Einführung ein Blindgänger und wird als eines jener Modelle in Erinnerung bleiben, das die ehrwürdige britische Luxusmarke fast in den Abgrund fuhr.

FORD SCORPIO MK2 Diese Fehlgeburt beendete ein für alle Mal die Diskussion, welches aller Autos wohl das hässlichste sei. Der Engländer Quentin Willson sagte 1997 in einer Fernsehsendung, dass der Scorpio so heldenhaft unschön aussehe, dass man meinen könne, Ray Charles oder Stevie Wonder hätten ihn entworfen… Die Front des Wagens konnte am besten mit einer breitmauligen Kröte verglichen werden und passte überhaupt nicht zum Rest des Geschwürs. Das wunderschöne, revolutionäre Design des Vorgängers Sierra, das noch aus der Feder des kürzlich verstorbenen Chefdesigners Uwe Bahnsen stammte, wurde beim Scorpio völlig banalisiert. Es erreichte nur einen einzigartigen Höhepunkt – den des Scheiterns, ähnlich einem Kamel, das von einem Komitee als Pferd deklariert wurde. Nicht überliefert ist, ob Fords damalige Konkurrenten kistenweise Blumen und Champagner nach Dearborn geschickt haben. FIAT MULTIPLA Die Modellbezeichnung hat eine altehrwürdige Geschichte, produzierte man doch unter diesem Namen in den 1950er- und 60er-Jahren einen geilen Microvan, der auf dem 600er basierte. Der neue Multipla erschien 1998, war optisch aber – speziell. Verspottet für eine ganze Reihe todlangweiliger Autos in den 80er- und frühen 90er-Jahren hatte es Fiat gewagt, ausserhalb der Box zu denken. In diesem Falle montierte man einfach vier Räder an einer Box… Mit drei Reihen seltsamer FernlichtObjektive unter einer riesigen wie flachen Windschutzscheibe sah der Multipla aus, als ob er – wie eine bestrahlte Kaulquappe – mehrere Augenpaare besässe. Dazu kamen noch dieser gewagte Rüssel von Motorhaube, eine Goldfischglas-artige Kabine dahinter oder ein Pagodendach. Das ganze Unikum sass zudem auf vier zwergenhaften Rädern. Das Multipla-Interieur wurde von Journalisten bei der Lancierung noch für seine Flexibilität gelobt. Tatsächlich ermöglichte die vielseitige Sitzkonfiguration – zwei Reihen mit je drei einzeln demontierbaren Sesseln – in Verbindung mit dem glatten Boden ein Höchstmass an Variabilität. Sehr schräg war dagegen wieder ein Armaturenbrettdesign, dessen zentral angeordneter Instrumentencluster mich an eine Gruppe mutierender, ausserirdischer Seifenblasen erinnerte: Grüsse von H.R. Giger! Der freaky gestylte Multipla verkaufte sich gut in Italien, aber andernorts blieb die Nachfrage bescheiden. 2000 bis 2004 wurde der Minivan in England mit dem geschätzten Best-Family-CarAward ausgezeichnet, was den Absatz dort leicht erhöhte. Nach einem Facelift, das den Multipla leider in die Belanglosigkeit führte, wurde die Produktion 2010 eingestellt. Und dann das: Während eines Besuchs in meiner alten Heimat zwinkerte mich 2004 ein silbergrauer Multipla 1.9 JTD «Racing» – tiefer gelegt, Breitreifen, Spoilerpaket – mit seinen sechs Augen bei einem Fiat-Händler in Arth-Goldau verzweifelt an. Wie beim Betrachten eines hässlichen Babys wurde mein Herz weich: Ich hatte Erbarmen und nahm die Karre spontan mit nach Hause. Der Fiat steht seither immer fahrbereit in meiner Schweizer Garage und ist eines der zuverlässigsten Autos, die ich je besessen habe. Alles am Multipla ist total unkonventionell und damit genau so, wie ich´s gerne haben möchte. Du kennst bestimmt diesen Teil deiner Psyche, der Verlangen auslöst und bestimmte Dinge haben will? Mein Multipla durchbohrt ihn wie ein Stahlpfeil. Twock! Verdammt, ist das eine hervorragend geformte Kiste! Beim morgendlichen Einsteigen freue ich mich jedes Mal über den Besuch der grünen Männchen auf dem Armaturenbrett. Und wenn ich zurück in Kalifornien bin, vermisse ich meinen Italo-Alien – das ist echt schlimm. Herbst 2013 089


KLARTEXT

Neulich in göteborg Wir wollten am Privathafen eigentlich nur Kuchen essen – und trafen volvo-chef Håkan Samuelsson Fotos Ian G. C. White

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Hallo Herr Samuelsson – schön sie zu sehen! wie gehts?

Hallo Herr Pfannmüller, ganz gut. und selbst? was machen sie denn hier?

der schokoladenkuchen ist besonders gut. auch ein stück? ich lade sie ein. sehr gerne, danke. Habe sie etwas zeit? ich nehme sie mir. wollen wir uns reinsetzen? ist etwas windig hier draussen.

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KLARTEXT

Sie sind nun seit knapp einem Jahr Volvo-CEO und waren vorher Chef beim Nutzfahrzeughersteller MAN. Wie empfinden Sie die Unterschiede zwischen einer Truck- und einer Personenwagen-Marke? Mit Trucks habe ich tatsächlich lange gearbeitet. Bei MAN haben wir sogar Druckmaschinen und solche Dinge produziert. Ich muss aber sagen: Es gibt mehr Gemeinsamkeiten zwischen Pws und Trucks als Unterschiede. Der industrielle Teil mit Produktion, Zulieferer-Beziehungen, der ganzen Betriebsführung, dem Controlling und so weiter ist ähnlich. Das Produkt Auto ist natürlich deutlich emotionaler. Ein Truck ist eine Maschine, da geht es um den Nutzwert und die ökonomische Rechtfertigung. Auch die Stückzahlen sind eine ganz andere Dimension. Autos gehen schneller in Serie, da dürfen keine Probleme auftauchen. Qualitativ muss sehr disziplinarisch gearbeitet werden, mit viel mehr Kontrollinstanzen. Ein Auto kauft man eher, um damit auch einen bestimmten Lifestyle auszudrücken. Es gefällt einem und dann kauft man es. Design also ist hier viel wichtiger und wir beschäftigen uns sehr intensiv damit. Wie sieht ein Auto aus, wie attraktiv ist es? Das spielt heute eine grössere Rolle denn je; für Volvo wird Design vielleicht sogar zum wichtigsten Bereich.

Die skandinavische Formsprache… Ja. Wir haben eine sehr starke Basis mit Sicherheit. Wenn man jemanden auf der Strasse nach Volvo fragt, kommt Sicherheit zuerst. Unsere Fahrzeuge sollen aber auch einen dynamischen Auftritt haben. Das können sie bei unserer 60er-Baureihe bereits erkennen. Als Käufer will man ein sicheres, funktionelles Auto, aber es soll auch schön aussehen. Man möchte stolz sein auf sein Auto, wenn es vor der Garage steht. Dies ist nicht zuletzt auch für den verlangten Preis sehr wichtig. Der Truck ist da ganz anders – das ist eine Kiste (lacht), mit Fahrerhaus und fertig. Volvo hat zuletzt den Lifestyle betont – vielleicht etwas zu stark? Nein, ich glaube nicht. Man muss natürlich aufpassen: Wir werden unsere Kernwerte nicht ändern. Das ist unsere Basis, gepaart mit cleveren Lösungen für den Alltag und High-Tech. Wir wollen kein Sportwagenhersteller sein. Das schliesst aber attraktives Styling nicht aus: Niemand will ein langweiliges Auto haben. Wir werden immer auch dynamische Topmodelle anbieten. Und können diese Balance darstellen, ohne dabei die Markenposition zu verschieben. 092 VECTURA #8

Volvo baut seinen Sicherheitsanspruch weiter aus und lanciert schon bald neue Systeme. Sie haben in diesem Zusammenhang angekündigt, dass bis 2020 niemand mehr in einem Volvo ums Leben kommen soll. Ist das nicht etwas zu optimistisch? Nein, ich denke, das ist möglich. Wenn wir kein Standing in Sachen Sicherheit hätten, wäre das sicher naiv. Aber ich glaube, Volvo hat die Glaubwürdigkeit für eine solche Aussage. Es geht ja auch darum, klare Ziele zu formulieren, eine Vision zu haben. Ein Volvo soll so sicher sein, dass man bei einem Autounfall nicht sterben muss. Damit stärken wir nicht zuletzt unseren Anspruch, auch künftig die Nummer 1 bei der Sicherheit zu sein. Die Aussendarstellung spielt eine Rolle, aber auch die Nachricht nach innen, an unsere Entwickler: Sie müssen diese Position verteidigen. Es gibt in Schweden sehr interessante, umfangreiche Unfallstatistiken. Wenn man da die Anzahl der tödlich verunglückten Menschen in einem Volvo mit jenen aller anderen Hersteller über die letzten Jahrzehnte vergleicht, so liegt der Unterschied bei Faktor 2. Das Risiko, in einem Volvo umzukommen, ist also 50 Prozent geringer. Schweden weist ohnehin die weltweit tiefsten Werte auf, und das ist sicher kein Zufall. Die Volvo-Dichte ist hier am höchsten. Vielleicht sind unsere Kunden auch sicherheitsbewusster, aber das spielt letztlich keine Rolle. Am Ende gibt es einen Unterschied. Unsere aktiven Sicherheitssysteme sind dabei besonders wichtig – City Safety war eine Weltneuheit, um Auffahrunfälle im Stop-and-go-Verkehr zu verhindern. Heute bieten wir das serienmässig in allen Baureihen. Das Nächste war eine Fussgänger-Erkennung mit automatischer Abbremsung, die jetzt sogar bis Tempo 50 aktiv ist. In Kürze erkennt ein Volvo auch Fahrräder und Tiere, darunter Elche – dann können wir den ultimativen Elchtest machen (lacht). Die Situation in den Städten ist auf Dauer vielleicht spannender: Autofahrer verbringen dort Stunden im Stau, und es entsteht eine gefährliche Kombination. Dann werden SMS-Nachrichten geschrieben oder man telefoniert. So sieht´s aus, und es ist unmöglich, das zu vermeiden. Wir müssen darauf reagieren; in unserem nächsten Modell wird es einen Stau-Assistenten geben, der den Stop-and-go-Verkehr automatisch übernehmen kann. Und das ermahnt den Fahrer, sich nicht mit anderen Dingen zu beschäftigen? Nein. Aber man muss die Hände schon noch am Steuer haben. Unser Stauassistent kommt mit Lenkunterstützung. Diese Technik hält das Fahrzeug in der Spur und lässt es im Verkehr mitschwimmen, indem es automatisch dem vorausfahrenden Wagen folgt. Vor einer völligen Automatisierung müssten Sie sich als Hersteller ohnehin erst mit dem Gesetzgeber unterhalten… Genau. Aber die angesprochenen Systeme werden kommen. In Stau-Situationen wird Kaffee getrunken oder Zeitung gelesen – das ist lebensgefährlich. Und alltäglich. Das kommende System ist eine Supersache. Wir verbringen heute mehr Zeit im dichten Stadtoder Berufsverkehr als auf jenen traumhaften Landstrassen, die man in der Werbung sieht. Wenn wir den Stau sicherer und komfortabler machen, ist das ein gutes Beispiel für clevere Lösungen von Volvo. Und ein weiterer Schritt in Richtung null Tote. Es bedeutet aber auch: Das Auto übernimmt mehr Verantwortung, der Mensch hinter dem Steuer gibt sie ab. Dann ist autonomes Fahren nicht mehr allzu fern… Der Fahrer behält jederzeit die Kontrolle. Es wird bei uns keinen Autopiloten geben, bei dem man sich schlafen legen kann.


lem mit der schwedischen Währung: Vor wenigen Jahren waren wir noch bei zehn Kronen pro Euro, heute sind wir bei 8,60. China wird helfen, weil wir dort deutlich wachsen wollen und durch die Produktion vor Ort Transport- und Importkosten einsparen können. Auch dies wird sich positiv auf unsere globalen Verkäufe auswirken. Aber Europa bleibt schwach, und es zeigen sich keine Anzeichen einer Verbesserung. Es gibt noch einen dritten Grund: Dieses Jahr erfolgt ja ein Update aller unserer Fahrzeuge, und einige Kunden haben sicher darauf gewartet.

Es geht also darum, vorhandene Komponenten noch besser zu vernetzen. Absolut. Unsere Fahrzeuge sind ja schon mit Kameras und Radar ausgerüstet. Die kann man mit den Bremsen oder der Lenkung kombinieren. Das ist letztlich eine Frage der Software-Programmierung. Aber wie gesagt denken wir nicht nur an die Passagiere, sondern auch an andere Verkehrsteilnehmer. So können wir zum Beispiel den Fronthauben-Fussgänger-Airbag des V40, eine weitere Volvo-Weltneuheit, auch in anderen, künftigen Baureihen einbauen. Manche Modelle wie SUVs brauchen den nicht; es hängt mit der Fahrzeughöhe zusammen. Volvo verfügt heute über mehr Modellreihen denn je. Gibt es ein Modell, das Sie sich noch wünschen würden? Okay, wir haben eine breite Palette, werden aber niemals ein Vollsortiment-Anbieter mit Cabrios oder Schrägheck-Limousinen sein. Volvo verfügt über drei Grundtypen von Fahrzeugen: zuerst die SUVs, die sehr praktisch, immer gefragter und deshalb für uns am wichtigsten sind. SUVs eignen sich vielleicht nicht für Autobahntempo 250, aber wer einmal damit gefahren ist, hat Schwierigkeiten, zu einer niedrigeren Sitzposition zurückzukehren. Diese Pw-Gattung hat den Kombi grossteils ersetzt – vor allem in Amerika, aber auch immer mehr in Europa oder China. Dann kommt der klassische Kombi vor der Limousine. Bei uns heissen diese Baureihen XC, V und S. Ich kann mir einen kleineren SUV vorstellen, der das Angebot von XC90 und XC60 nach unten abrundet. Der Markt kennt ja mittlerweile drei SUV-Grössen und eines Tages werden wir etwas Entsprechendes zu bieten haben. Zumindest wünsche ich es mir; das könnte eine gute Kombination sein (lacht).

Ihr Vorgänger Stefan Jacoby favorisierte ja ein langsames, aber stetiges Wachstum, während der chinesische Volvo-Eigner Geely aufs Tempo drückte. Haben Sie da mittlerweile eine gemeinsame Strategie finden können? Na ja, wir wollen alle wachsen. Und dabei muss man sich auf das Wie konzentrieren. In China zum Beispiel braucht man ein Vertriebsnetz mit motivierten Händlern. Die müssen gut geschult sein; Volvo ist nicht nur ein Auto, das gut fährt. Man muss alles wissen, zum Beispiel über die Sicherheitssysteme. Das geschieht nicht über Nacht. Diese Kompetenz bauen wir gerade auf; vor einem Jahr war das noch ein Schwachpunkt. Und ein Engpass: Man kann nicht nur Gas geben und versuchen, Fahrzeuge zu rabattieren – das wollen wir nicht. Jetzt haben wir einen Neuanfang gemacht, uns es läuft gut für uns in China. Wir sind jetzt im Fahrplan, um in Zukunft jährlich weltweit rund 800 000 Einheiten abzusetzen. Das entspricht etwa dem doppelten Volumen dessen, was Volvo heute produziert. An welchen Zeithorizont denken Sie dabei? Wir sprechen von 2020. Aber ich betone immer: Um grösser zu sein, müssen wir ein chinesisches Vertriebsnetz aufbauen. Wir brauchen noch bessere Produkte und ein noch stärkeres Image. Volvo muss sich deutlicher im Markt positionieren. Das versuchen wir so schnell wie möglich umzusetzen. Wir legden den Fokus dabei auf Markenkommunikation und Werbung. Ich gebe Ihnen ein interessantes Beispiel zu China: Man denkt ja oft, jetzt kommen wir dahin und müssen uns anpassen an die neuen Kundenwünsche. Aber so ist es nicht: Wir haben gelernt, dass wir unseren eigenen Markenwerten gegenüber treu und authentisch bleiben müssen. Und nicht versuchen sollten, ein ganz anderes, sportliches oder luxuriöses Auto zu bauen. Nein, auch in China steht Volvo für

Volvo will natürlich wachsen, doch 2012 hat man Marktanteile verloren. Lag das an der Neuausrichtung des Hauses – man produziert jetzt auch in China? Und wie empfindlich reagiert ein Hersteller Ihrer Grösse auf regionalwirtschaftliche Schwankungen? Das Ergebnis von 2012 hatte nicht mit internen Faktoren zu tun. Es gab zwei Gründe dafür. Der erste ist Nordamerika. Dort haben wir unsere Palette verkleinert und neben der 60er-Baureihe nur noch den XC90 im Angebot, der ja schon älter ist und 2014 komplett neu kommt. Deshalb haben wir in den USA Marktanteile verloren. Der andere Grund war die Wirtschaft; der Markt ist vielerorts rückläufig. Vor allem in Europa war und bleibt die Situation schwierig: Es gibt viel Konkurrenz und eine Rabatt-Schlacht, an der wir uns nicht beteiligen wollen und können. Dazu haben wir natürlich ein ProbHerbst 2013 093


«Sowohl die Motoren als auch die Plattformen bauen wir jetzt modular und in Eigenregie»

Sicherheit, skandinavisches Design und clevere Detaillösungen. Bleibt man sich da treu, entstehen plötzlich spannende Geschichten: Die Luftqualität im Fahrzeug ist mittlerweile zu einem der wichtigsten Verkaufsargumente in China geworden. Und es wurde bekannt, dass Volvo messbar das beste Innenraum-Klima anbietet. Schon lange verbauen wir aus Rücksicht auf Allergiker sehr effektive Pollenfilter. Unser neuer chinesischer Claim lautete dann: ‹Erleben Sie die nordische Luftqualität in Ihrem Volvo S60!› – und dies mitten in Peking! Die Kunden-Reaktionen waren sehr gut und Volvo war mit diesem Thema sogar im nationalen Fernsehen. Dennoch gibt es andere Kundenerwartungen in China. Wird es spezielle Volvo-Modelle geben, die nur dort angeboten werden? Wir denken eher an eine homogene, globale Modellpalette. Aber es gibt natürlich Ausnahmen wie den längeren Radstand – wer sich in China einen Volvo leisten kann, der kann sich auch einen Fahrer leisten und hinten sitzen. Nun haben wir allen Komfort vorne im Fahrzeug, das ist natürlich Verschwendung. Also müssen wir den auch in den Fond bringen. Ab diesem Herbst bauen wir zusätzlich zum langen S80, den es bereits vor der Geely-Übernahme gab, im neuen Werk Chengdu ein S60 mit long wheel base. Diese Modelle könnte es eines Tages auch auf anderen Märkten geben. Umgekehrt wollen wir in China mehr Modelle anbieten, als dort hergestellt werden. Werden chinesische Volvo auch nach Europa kommen? Nein, das ist nicht geplant. Es gäbe auch keinen Grund dazu, denn das würde wieder erhebliche Kosten verursachen. Die europäischen Volvo kommen weiterhin aus Schweden oder Belgien. Aber auf anderen regionalen Märkten wie Taiwan oder Thailand machen Volvo aus chinesischer Produktion natürlich Sinn. Sie haben neue Sicherheitssysteme und Baureihen angesprochen. All das kostet sehr viel Geld. Braucht Volvo einen Entwicklungspartner? Wir brauchen Partner für die diversen Sicherheitssysteme, für Elektronik oder Getriebe. Mit Autoliv, Conti oder Bosch arbeiten wir schon lange eng zusammen; die Rollenverteilung zwischen uns und den Zulieferern ist klar definiert. Die neuen Motoren jedoch bauen wir in Eigenregie modular auf. Wir haben da in der Vergangenheit viele Erfahrungen gesammelt, auch gemeinsam mit Ford. Aktuell gibt es noch einen komplexen Motorenbaukasten mit jeweils acht unterschiedlichen Aggregaten und Einbauarten. Jetzt stellen wir um auf unsere neue, modulare Motorenfamilie, die wir intern VEA nennen, was für «Volvo Environmental Architecture» steht. Nach aussen kommunizieren wir sie als «Drive-E»-Motoren. Es wird bei Volvo bald auch keine Sechszylindermotoren mehr geben, das ist nicht mehr zeitgemäss. Wir setzen für die ganze Modellpalette auf maximal vier Zylinder – später auch drei für kleinere Autos – , zwei Liter Hubraum und Aufladung. Es sind kompakte, intelligente Triebwerke, die so viel Leistung und Fahrspass bieten wie Motoren mit mehr Zylindern – aber mit viel besseren Verbrauchs- und CO2-Werten als bisher. Wir werden diese Drive-EAggregate auch mit Elektroantrieb an der Hinterachse kombinieren 094 VECTURA #8

können und so Leistungen von bis 400 PS und ein Drehmoment von über 600 Nm erreichen – das sind Leistungswerte eines V8! Alle Verbrenner werden vorne east-west, also quer, eingebaut und kommen als Diesel und Benziner. Diese Triebwerke werden unsere gesamte Palette abdecken und sowohl die Komplexität als auch Kompromisse vermeiden. Die ersten neuen Motoren werden jetzt in unseren Modellen eingebaut. Diese Strategie passt auch zu unserer neuen, skalierbaren Plattform-Architektur SPA – Scalable Product Architecture. Sie weist viele Gleichteile auf, was unsere Entwicklungskosten massiv reduzieren wird. Der nächste XC90 wird unser erstes Auto aus dem SPA-Baukasten sein. Alle kommenden, grösseren Modelle werden ebenfalls diese Architektur aufweisen, die vorwiegend aus hochfesten Stählen und Aluminium besteht. Zuletzt steht ein neues C-Segment-Fahrzeug: Das haben wir ja mit dem V40 eigentlich ganz neu am Markt, aber eines Tages braucht auch der einen Nachfolger. Für den werden wir dann zusammen mit unserem Eigentümer Geely eine Plattform entwickeln. Es wird den nächsten kleinen Volvo also auch in einer GeelyVersion geben… Ja. Die nächste C-Segment-Architektur wird mit Geely entstehen. Zu diesem Zweck haben wir im Frühling ein gemeinsames Entwicklungszentrum in Göteborg-Lindholmen gestartet, in dem bald 200 Ingenieure tätig sein werden, die Hälfte davon aus China. Das ist ein sehr interessantes Projekt, bei dem wir nur ganz wenige Kompromisse eingehen müssen. Andere Partnerschaften hatten wir zuvor geprüft, aber die wären immer auch kompliziert gewesen. Jetzt können wir einen hundertprozentigen Volvo zu sehr wettbewerbsfähigen Kosten bauen, weil auf chinesische Zulieferer und Komponenten zurückgegriffen werden kann. In Schweden werden wir dann das Volvo-Premium-Modell der 40er-Reihe bauen, während Geely in China ein eigenes neues Auto herstellt. Wie wollen Sie die Qualität sicherstellen? Die Qualität wird noch besser sein als heute, auch da wird es keine Kompromisse geben. Gleichzeitig komplettiert diese Zusammenarbeit unsere Strategie, als eigenständige Marke erfolgreich zu sein und gleichzeitig grössere Stückzahlen zu erreichen. Weitere Kooperationen schliessen Sie aus? Der ehemalige Jaguar-Land-Rover-Chef Carl-Peter Forster sitzt ja mittlerweile auch im Geely-Vorstand… Ich würde nichts ausschliessen, aber es entspricht nicht unseren heutigen Planungen. Zudem bin ich überzeugt, dass man Dinge nicht zu komplex machen sollte. Zu viele Köche… Sie wissen schon. Welche neuen Märkte neben China haben Ihrer Meinung nach das grösste Potential für Volvo – Südamerika vielleicht? In Südamerika ist es ganz schwierig, Fuss zu fassen. Wir verkaufen dort nur sehr wenige Autos, vielleicht 5000 oder 6000 Einheiten in Brasilien. Die Import-Einschränkungen sind jedoch enorm, und wer mehr will, muss dort fertigen. Irgendwann könnte es so weit sein. Unser Hauptziel bleibt China, ein Markt mit jährlich 15 Millionen Neuzulassungen. Selbst ein bescheidener Marktanteil bringt dort 200 000 Einheiten, deshalb werden wir dort den Bau neuer Werke intensiv vorantreiben. In Nordamerika müssen wir auf das Niveau von vor der Finanzkrise und damit auf weit über 100 000 Autos zurück; momentan sind wir bei rund 70 000. Wir sind seit 1958 in den USA vertreten und wollen dort wieder stark sein; mit der Entwicklung der letzten Jahre bin ich absolut nicht zufrieden. Und schliesslich Europa, hier kommt man an


KLARTEXT

Deutschland nicht vorbei. Auch dort sollte es uns künftig gelingen, Anteile zu gewinnen. Das wäre ein deutlicher Sprung; aktuell liegen wir bei unter einem Prozent, aber unsere Marke ist viel stärker. Klar, es gibt da drei heimische Premiummarken. Ich glaube aber auch, dass dort Menschen leben, die etwas Individuelleres fahren wollen. Das ist Volvo – nicht wie alle anderen, und doch werden die Ansprüche erfüllt. Denn: Vorsprung durch Technik – besetzt. Freude am Fahren – besetzt. Alles oder nichts – besetzt. Unsere Signale sind Sicherheit und Umweltbewusstsein. Damit zeigen unsere Käufer Verantwortung, aber auch Stil. Es gibt definitiv Luft für ein paar Prozente mehr, und die wären ja genug, um unser Volumen in Deutschland zu verdoppeln. In Belgien, England oder Holland haben wir Anteile von jeweils drei Prozent… Die Schweiz ist ein erfolgreicher Volvo-Markt… Ja, mit rund drei Prozent haben wir dort eine starke Position. Premium läuft natürlich auch über den Preis. Gegenüber einem Audi A6 Allroad ist der XC70… …billiger, ich weiss. Aber das will ich nicht hören (lacht). Wir wollen diese Lücke schliessen und werden die Attraktivität unserer Modelle weiter steigern. Und das werden wir tun, zuerst mit dem Flaggschiff XC90 und weiteren 90er-Modellen. Zum Beispiel einem V90 auf Basis des XC90? Die grosse Baureihe kommt als XC, V und S. Dann folgen auch die neuen 60er auf der SPA-Plattform. Das ist ein Riesenprogramm.

Steigt Volvo auch in die Oberklasse ein? Es gab in den letzten Jahren ein paar entsprechende Volvo-Studien… Nein. In dieser Grössenordnung werden wir keinen Volvo anbieten. Ganz oben steht bei uns die 90er-Baureihe, und das genügt auch. Fragt man heute nach Premiummarken, werden meist Audi, BMW, Mercedes genannt. Aber es gibt auch andere und da werden wir unseren Platz einnehmen. 2012 hat Volvo mehr Autos abgesetzt als Lexus. Man sollte nicht sagen, wir wären hoffnungslos klein. Es geht ja nicht darum, sich mit VW vergleichen zu wollen. Aber in der Premiumklasse, da sind wir im Rennen. Wichtig ist die Attraktivität, dann kann man auch mit 800 000 Autos erfolgreich sein, davon bin ich überzeugt. Wir haben auch nicht vor, anderen nachzueifern. Volvo ist eine eigene Form von Premium. Unsere Autos sind von Ingenieuren gebaut, nicht für Ingenieure. Und wenn man versucht, begrenzte Attraktivität mit Grösse zu kompensieren, ist das auch nicht gut. Dann muss man sich plötzlich mit Renault vergleichen oder Mazda, und das wollen wir doch gar nicht. (Samuelsson schaut auf die Uhr) Oh, ich muss zurück nach Torslanda. Ja, wir wollen auch los. Vielen Dank für das interessante Gespräch und den Kaffee! Und wohin reisen Sie jetzt? Zurück in die Schweiz. Mit einem Volvo, hoffe ich.

Håkan Samuelsson (62) wurde im schwedischen Motala geboren. Nach einem Technologie-Studium in Stockholm, das er als Mechanik-Ingenieur abschloss, arbeitete er ab 1977 zunächst als Bremssystem-Entwickler bei Scania. Nach mehreren Funktionen im technischen Management wurde Samuelsson 1988 zum Direktor der Antriebsentwicklung ernannt. 1993 ging er als Technischer Direktor nach Lateinamerika und kehrte 1996 als Vorstandsmitglied für Entwicklung und Produktion ins Mutterhaus zurück. Im Sommer 2000 übernahm Samuelsson den Vorstandsvorsitz der MAN Nutzfahrzeuge AG in München und trat gleichzeitig dem MAN-Vorstand bei, den er ab 2005 führte. Ende 2009 verliess er MAN; seit Oktober 2012 ist er Volvo-Chef.

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vorstellung

Nordische Perspektiven Mit der muskulösen Konzeptstudie eines möglichen Coupés gewährt Volvo einen konkreten Ausblick auf künftige Modellreihen aus Schweden Text map · Renderings Werk

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Titelstory

Aufger채umt und modern: Dieses Cockpit wirkt sehr seriennah

Auch die Instrumente weisen klar auf kommende Volvo hin

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vorstellung

D

as Zweibox-Design schien lange die favorisierte Formsprache von Volvo zu sein: Keine andere Automarke hat die derart simple Linienführung so geprägt – und dank ihr äusserst praktische Kombi-Modelle hervorgebracht, hinter deren steilen Heckscheiben mehr Platz vorhanden war als bei allen anderen Fünftürern. Glücklicherweise ist das bis heute so geblieben, allerdings hatten und haben die Schweden auch andere Baureihen im Programm. Und die dürfen durchaus etwas sportlicher, ja dynamischer aussehen als die patenten Familienkutschen aus Göteborg.

ben das zurückhaltende Markenimage mit Vanille-Geschmack», sagt er – «angenehm, aber nicht gerade aufregend. Ich darf Ihnen versichern, dass die Vanille-Tage vorbei sind!»

Das ist kein neues Denken, sondern Teil der Marken-DNA, auch wenn das bisher nicht jeder wahrgenommen hat. Belege aus der Vergangenheit gibt es genug. Den 1961 präsentierten und ab 1963 in Schweden produzierten P1800 zum Beispiel – ein formvollendetes wie eigenständiges Sportcoupé, welches so schön war, dass es zum Begleiter des Helden der englischen Fernsehserie «The Saint» auserkoren wurde – und das, obwohl es auf der Insel damals den E-Type und andere Traumautos gegeben hat. Auch ein Volvo 262 C Bertone (1976–82) oder der fast schon radikale 480 (1986–95) zeugen – neben der Bewahrung von Bewährtem – von der Bereitschaft, andere Ansätze nicht nur zu denken, sondern auch umzusetzen.

verkörpern, wohin die Reise geht. Laut Ingenlath ist der Zweitürer kein realitätsfremdes Traumauto, sondern «entworfen worden, um die Fähigkeiten dieser neuen Architektur zu demonstrieren – mit selbstbewusstem Auftritt, starken Proportionen und unverwechselbaren Markenelementen in der typisch skandinavischen DesignSprache». Es gehe ihm nicht um reine Äusserlichkeiten, sondern darum, der Marke einen emotionalen Mehrwert zu verschaffen.

Nun ist Design heute wichtiger denn je, das hat man auch bei Volvo verstanden. Aktuelle Modelle wie der XC60 oder V40 tragen diesem Trend Rechnung, ohne dabei die markentypischen Eigenschaften Sicherheit und Verarbeitungsqualität zu vernachlässigen. Das Modellprogramm präsentiert sich also gewohnt eigenständig und doch – Volvo will und muss sich weiterentwickeln. Neue Technologien wie LED-Scheinwerfer erlauben dabei stilistische Änderungen, die vor Jahren noch nicht möglich gewesen sind. Unter dem neuen Chefdesigner Thomas Ingenlath, der Mitte 2012 zu Volvo kam und zuvor für Audi, Volkswagen und Skoda tätig war, ist in nur zwölf Monaten die Volvo-Formsprache der Zukunft entstanden, welche sich 2014 mit der kommenden, zweiten XC90-Generation erstmals materialisieren wird. Ingenlath ist kein Freund von exaltiertem Design, beschreibt sich selbst als «nachdenklich und rücksichtsvoll». Die neue Aufgabe sei deshalb ideal für ihn. Er empfindet Volvo als Autorität im Premium-Segment, sieht aber Nachholbedarf im formalen Auftritt und hat anfänglich viel Zeit damit verbracht, die öffentliche Meinung mit seiner eigenen zu vergleichen. «Manche beschrie-

Um den Kunden und aller Welt zu zeigen, was darunter zu verstehen ist, hat der zum chinesischen Geely-Konzern zählende Hersteller ein Auto zur Frankfurter IAA gebracht, das kommende Charakteristika in sich trägt – das Volvo Concept Coupé. Es ist das erste von insgesamt drei geplanten Stilstudien, die auf der neuen, selbst entwickelten SPA-Plattform basieren (siehe Interview auf S. 090) und

Die Ausdruckskraft der 4,50 Meter langen, 1,93 m breiten und 1,34 m hohen Stilstudie steckt derweil in ihren Proportionen: Ingenlath hat den Bereich zwischen Vorderachse und Armaturenbrett bewusst auseinandergezogen und die Dachpartie sowohl in der Höhe reduziert als auch etwas nach hinten verschoben, was dem Wagen eine längere Motorhaube verschafft und schon im Stand eine insgesamt vorwärtsgerichtete Dynamik verleiht. Der Deutsche zieht den Vergleich zu einem Löwen, der nicht brüllen muss, um Respekt zu erhalten, sondern dies kraft seiner Erscheinung schon im

Volvo-Chefdesigner seit Mitte 2012: Thomas Ingenlath

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Vorstellung

entspannten Liegen tut. 21-Zoll-Felgen sind bei Concept Cars heute üblich, um den Karosseriekörper zierlicher wirken zu lassen und ihm mehr Erdverbundenheit zu verleihen. Der scheinbar frei schwebende Kühlergrill und T-förmige Tagfahrlichter, deren Anordnung sich auch bei den Rückleuchten wiederfindet, sind dagegen als konkrete Hinweise auf kommende Serienmodelle zu verstehen. Parallel ist die bewusst gesetzte Stufe in der Seitenlinie auf Höhe der Türgriffe eine direkte Verbeugung vor dem besagten Volvo-Klassiker P1800. Weitere Stil-Zitate gibt es auch im klar gegliederten Innenraum – sei es die tiefe Sitzposition, die Anordnung der Hauptinstrumente oder die Aufteilung der minimalistisch-strengen Türtafeln. Neben vielen natürlichen Materialien – Leder, gealtertes Holz und Wollteppiche – hat Ingenlath als Hinweis auf die nordische Herkunft des Concept Coupés auch handgefertigtes Kristallglas verwendet: Das findet sich in Form eines Schalthebels, der kurz und knackig aus einem wuchtigen Mitteltunnel ragt – Letzterer visualisiert Solidität. Knöpfe und Schalter gibt es dagegen so gut wie gar keine mehr: Wie es heute angesagt ist, weist auch das Concept Coupé einen grossen, zentral angeordneten Touchscreen auf, über den sich Zusatz- und Infotainment-Funktionen steuern lassen; ausserdem findet sich ein Head-up-Display für den Fahrer. Diese Bedienarchitektur ermöglicht nicht zuletzt die Integration neuer Systeme auf dem Weg zum autonomen Autofahren: Die Schweden wollen die selbsttätige Stop-and-go-Lenkung schon nächstes Jahr in Serie anbieten; bis 2020 soll ein Volvo auf bestimmten Strecken alles alleine machen können (hands-off-the-wheel). Doch was wäre eine fortschrittliche Studie ohne modernste Kraftquelle? Das nicht voll funktionstüchtige Concept Coupé verfügt über einen kombinierten Benzin-Elektro-Antrieb, der maximal 400 PS und 600 Nm wahlweise auf alle vier Räder überträgt – Volvo spricht angesichts der üppigen Leistung von «V8-Territorium». Das emissionsarme Plug-in-Hybridsystem besteht aus einem Zweiliter-Vierzylinder mit Turbo- und Kompressor-Aufladung sowie einem Elektromotor an der Hinterachse. Und was für einige Design-Details der Studie gilt, trifft auch auf deren modular aufgebauten Antriebsstrang zu: Volvo wird ihn im nächsten XC90 anbieten. Ob der elegante IAA-Zweitürer je in Serie geht, bleibt abzuwarten: Derzeit denkt man in Schweden über eine exklusive Kleinserie nach.

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Street art

IM NAMEN DER

KUNST Art Cars sind eigentlich nichts Neues: BMW machte sie in den 70erJahren populär, Ford und andere zogen später nach. Volvo greift die Idee nur scheinbar auf: Die Art Session der Schweden verfolgt ihr ganz eigenes Konzept Text Hubertus Hoslin · Fotos Michel Comte, Francesco Carrozzini

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RUBRIKEN

F

ette Bässe wummern durch die Halle des Zürcher Hauptbahnhofs. Die Ballettkompanie des Zürcher Opernhauses wirbelt über die Bühne, trägt Melanie Winiger nach vorne, bewirft sie mit Silberstaub: Die Eröffnung der diesjährigen Volvo Art Session geriet einmal mehr zum Spektakel; viele Schweizer Prominente feierten mit. Dann wurde es ruhiger, gingen die Künstler drei Tage lang ans Werk: Es galt, den vor einer 10 mal 4,2 Meter grossen Leinwand geparkten Volvo XC60 in ein Kunstwerk zu integrieren – oder, wie in einigen Fällen, ganz darin verschwinden zu lassen. Die Besonderheit der Art Session liegt nicht zuletzt darin, dass es sich um vergängliche Arbeiten handelt, die vom nächsten Team übermalt werden. Bei den geladenen Akteuren handelt es sich um kreative Köpfe, die im und mit dem urbanen Raum arbeiten – sogenannte Street-Artisten, was ja auch bestens zum Thema Auto passt. Spielverderber rümpfen jetzt die Nase: Kunst und Kommerz – verträgt sich das? Die Frage ist so überflüssig wie die Antwort – ja, verträgt sich, wird seit Ewigkeiten von den grössten Museen der Welt praktiziert. Wo würden die bleiben, könnten sie nicht mit Spenden von Förderern oder Unternehmen rechnen? Und es

darf einem mündigen Publikum zugemutet werden, die Grenze zur Werbung selbst zu erkennen. Volvo macht da eine feine Trennung und kommuniziert die auch ganz offen. Ja, natürlich will man die aktuellen Autos zeigen – und tut das auch auf einer eigenen Standfläche hinter der Bühne. Letztere ist aber klar der Kunst und ihren Akteuren gewidmet; sechs Performer waren es allein dieses Jahr. Es sind namhafte Leute darunter, aber auch aufstrebende Kreative, denen hier eine Möglichkeit geboten wird, sich vor grossem Publikum zu präsentieren: Im Schnitt, rechnet Volvo vor, laufen in vier Tagen rund 500 000 Menschen an der Volvo-Bühne vorbei. Viele bleiben mindestens einmal stehen und sehen den Kreativen bei der Arbeit zu. Die Volvo Art Session geht auf eine Initiative der kunstbegeisterten Volvo-Schweiz-Chefin Anouk Poelmann zurück (siehe S. 109), und sie musste einige interne Bedenkenträger überzeugen, um ihre Vorstellung Wirklichkeit wer den zu lassen. 2011 fand das Event zum ersten Mal statt und war sofort in aller Munde. Dass die Art Session gute Laune macht und auch Nicht-Auto-Fans begeistert, sieht man auf diesen Seiten. Und deshalb gibt es 2014 eine Fortsetzung. Herbst 2013 103


Gastspiel in der Heimat: die in New York lebende Schweizerin Blanda Eggenschwiler bei der Arbeit

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Street art

Es geht darum, einen Volvo in das Kunstwerk zu integrieren – oder ganz darin verschwinden zu lassen

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Jungfr채ulich weiss beklebt pr채sentiert sich das Auto vor der Session. Dann kommt Farbe ins Spiel

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Street art

Als Location hat Volvo Schweiz den Z체rcher Hauptbahnhof gew채hlt. W채hrend vier Tagen laufen hier eine halbe Million Menschen vorbei

Traditionelle Elemente: Der Chinese Liu Qing alias Left stellte den Volvo V60 ins Zentrum seiner Inszenierung

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Street art

Gemeinschaftswerk: Shan Jiang aus Shanghai arbeitete 2013 mit Illustrator Ollie Munden alias Megamunden zusammen

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RUBRIKEN INTERVIEW

«Design und Kunst liegen nahe beieinander» Volvo-Schweiz-Chefin Anouk Poelmann zu den Hintergründen der Volvo Art Session

Vectura: Frau Poelmann, wie wurde die Idee der Art Session geboren? Wir bauen Automobile, die natürlich auch Teil des Strassenbildes sind. Doch lange prägten wir die öffentliche Wahrnehmung vor allem mit unserem kantigen Design. Auch in der Schweiz ist Volvo eine etablierte Marke mit sehr positivem Image, aber wir haben uns in den letzten Jahren stark verändert und stehen für mehr als nur für Sicherheit. In einem modernen Volvo stecken viel Innovation, Individualität und skandinavischer Stil. Autos sind ja heute sehr komplex und eine Art Gesamtkunstwerk. Wie wäre es also, wenn unsere neuesten Modelle zur Leinwand und Inspirationsquelle für die besten Schweizer Street-Artisten werden? Unser Gedanke war der Startschuss zu dieser ungewöhnlichen Form einer Kunstaktion, die dann 2011 zum ersten Mal stattfand. Für uns als Automobilhersteller war das nicht alltäglich und auch ein gewisses Risiko; für die Planung und Durchführung brauchte es Mut und Leidenschaft. Ich glaube, genau das hat viele Menschen positiv überrascht: Wow, ist das Volvo? Ja, das ist Volvo! Die bei der Art Session gezeigte Eigenständigkeit und Kreativität steht auch für unsere Marke. Warum gerade in der Schweiz und dann im Hauptbahnhof von Zürich? Die Volvo Art Session ist eine Idee von Volvo Car Switzerland. Und das Kunst-Happening sollte bewusst nicht in einer Kunstgalerie stattfinden, sondern der breiten Öffentlichkeit zugänglich sein. Der Hauptbahnhof gehört zu den meistfrequentierten Plätzen Europas. Ausserdem ist er ein eindrucksvolles, historisches Zentrum in Zürich und somit eine ausgezeichnete Location, um Street-Art vorzuführen. Es war uns wichtig, dass das Publikum die Entstehung der Kunst so nah wie möglich miterleben kann, es geht ja um Authentizität, und das spüren die Zuschauer. Andere Länder überlegen sich bereits, ebenfalls eine Art Session durchzuführen. Welches Mitspracherecht hatten die Künstler bei den Motiven? Den Künstlern wurde diesmal das Thema «Designed Around You» vorgegeben, das sie frei interpretieren konnten. Während neun Stunden setzte dann jeder Künstler sein Motiv auf der dreidimensionalen Fläche um. Ziel war und ist es, den Volvo im Gesamtkunstwerk «verschwinden» zu lassen. Die gestalterische Umsetzung wird parallel von einer zentrierten HD-Kamera aufgezeichnet und zu einem Zeitrafferfilm zusammengeschnitten. So entstehen letztlich keine einzelnen, isolierten Kunstobjekte, sondern ein kreativer Prozess, der von seiner Vergänglichkeit lebt.

Wo genau sehen Sie die Parallelen von Kunst und Volvo? Wir stellen den Menschen ins Zentrum unserer Überlegungen. Und wir finden es wichtig, dass jeder seine Individualität und Kreativität ausleben kann. Dieses Denken ist auch unser Zugang zur Kunst: Design und Kunst liegen nahe beieinander. An der Art Session ist beides frei zugänglich und findet nicht in geschlossenen, elitären Räumen statt. Wir bieten Künstlern eine Plattform für ihre Kreativität, und durch ihre Inspiration gelingt es, beide Elemente miteinander zu verschmelzen. Die Zuschauer sind Teil dieses künstlerischen Prozesses. 2013 fand die Session zum dritten Mal statt – wie reagiert das Publikum? Die Energie, die an der Art Session im Hauptbahnhof Zürich jeweils entsteht, ist wirklich einzigartig. Wir erschaffen ja ein öffentliches Atelier, und die grosse Mehrheit der Zuschauer ist fasziniert davon. Es wird viel über Kunst gesprochen, gefilmt und fotografiert. Diese Beteiligung beeindruckt mich jedes Jahr aufs Neue. Interessant finde ich auch, dass ich über das Jahr hinweg von verschiedenen Personen auf die Art Session angesprochen werde. Darunter sind viele Menschen, die sich sonst wohl nicht mit unserer Marke auseinandergesetzt hätten. Ich denke, wir konnten über drei Jahre auch beweisen, dass wir es ernst meinen mit «Urban Art». Die künstlerische Leistung und Qualität war schon immer beeindruckend und konnte bei der dritten Auflage nochmals erheblich gesteigert werden. Wir sahen auch, dass sich das Publikum über diverse Social-Media-Kanäle aktiv austauschte und engagierte. Dieses Jahr hatte diese Kommunikationsform grosse Auswirkungen auf Reichweite und Resonanz der Volvo Art Session. Nicht zuletzt sind die Art Cars sehr beliebt: Das erste Modell wurde von einem Kunstliebhaber ersteigert, das zweite steht in einem chinesischen Museum. An der Auto Zürich stellen wir Anfang November deshalb auch eine Art-Session-Edition vor. Wir gehen dieses Jahr also einen Schritt weiter; inzwischen gibt es auch eine «Art Session for Kids» – für die Street-Art-Künstler von morgen. Wie sieht die Zukunft der Volvo Art Session aus? Wir möchten auf dem Erreichten aufbauen und planen, Künstler über ein ganzes Jahr hinweg vermehrt in unsere Tätigkeiten einzubinden, um unsere Affinität zu kreativem Handeln zu unterstreichen. Und selbstverständlich möchten wir die Session auch dazu nutzen, unsere neuesten Modelle vorzustellen: Das Publikum soll unsere Marke in einem speziellen Umfeld erleben. Die Daten für die Volvo Art Session 2014 stehen bereits fest; sie wird vom 15. bis 18. Mai 2014 an gewohnter Stelle stattfinden. Und natürlich wird das Event wieder mit einer spektakulären Show eröffnet werden. map Herbst 2013 109


street art

Ob BlackYard aus Bern (oben), Céline Quadri alias C-Line (rechts oben) oder Donovan Gregory & Onur (re. unten): Volvo bietet jungen Künstlern eine Bühne. Und hat mit Melanie Winiger ein bekanntes Schweizer Gesicht verpflichtet

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Letzte Ausfahrt IN DIE GALERIE Es ist der finale Kampf Auto gegen Wand. Am Ende gewinnt die Wand – und jeder Kunstsammler mit Benzin im Blut. Besuch eines Happenings der ungewöhnlichen Art Text Christoph Schmutz · Fotos Simon Kneubühl

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F

ast lautlos nimmt der 1973er Cadillac DeVille an Fahrt auf. Zu hören sind nur das Abrollgeräusch der Reifen auf Beton und das Surren der Drahtseilkonstruktion, die den Koloss beschleunigt. Drei Tonnen Stahl, verteilt auf sieben Meter, steuern auf die 100-km/h-Marke zu. Mattweiss lackiert – inklusive aller Chromteile. Dies damit auf den Bildern der Hochgeschwindigkeitskamera, in deren Blickfeld der ausrangierte Leichenwagen gleich schiessen wird, nichts reflektiert oder blendet. Schliesslich ist die Szenerie in gleissend helles Licht getaucht. Dann die letzte Sekunde im Leben des DeVille: ungebremster, frontaler Aufprall in eine Betonwand. Der Knall ist typisch. Laut, aber nicht scharf. Glas explodiert. Die vorderen drei Meter des Wagens werden so stark zusammengestaucht, als hätte es sie nie gegeben. Karosserieteile wirbeln durch die Luft. Das Heck bäumt sich mannshoch auf, sackt dann ächzend und lethargisch auf dem Boden zusammen. In Echtzeit dauert das Ganze nur Sekunden, doch die wirkliche «Schönheit» des Ereignisses offenbart sich erst nachträglich auf dem in Zeitlupe abgespielten Film: die geradezu majestätische Wirkung des Wagens kurz vor dem Einschlag. Die Schockwellen, die kurz danach durchs Blech wandern. Das fast schon ästhetische «Eintauchen» des Caddy in die Mauer. Es sind Bilder, die faszinieren, die aber auch nachdenklich stimmen: Vergänglichkeit; so schnell kann es gehen… Dabei gibt es keinen Grund für Melancholie – wir wohnen der Entstehung eines Kunstwerkes bei, und der Künstler sitzt nicht im Wagen. Nach dem Crash herrscht wieder Stille, wenn auch nur kurz. Während sich die Staubwolke der Zerstörung langsam verflüchtigt, ertönt Applaus: Das Ende des stattlichen Friedhof-Shuttle wurde beobachtet. Aus der Gruppe der sichtlich erfreuten Zuschauer löst sich einer in orangem Overall. Sein Grinsen könnte nicht breiter sein. So zufrieden muss Leonardo da Vinci seinerzeit nach der Fertigstellung der «Mona Lisa» dreingeschaut haben. Hier ist der Performer PierreAlain Münger aus Solothurn, kurz «Pamcrash». Er hat soeben ein neues Kunstwerk geschaffen, und das ist absolut fälschungssicher. Der 35-jährige Münger ist kein Autoverwerter, sondern von Beruf eigentlich gelernter Grafiker mit Ausbildung an der Kunstgewerbeschule. An seine aktuelle Crash-Kunst hat er sich über die Jahre hin herangetastet. Und er hat früh damit angefangen: «Schon als Kind faszinierten mich die kaputten Spielzeugautos am meisten.» Pamcrash sagt das nicht mit entschuldigendem Lächeln, sondern meint 114 VECTURA #8

es genau so, und man merkt, dass da einer zu seiner wahren Leidenschaft gefunden hat. Seine Faszination für Autos und die Spuren, welche rohe Gewalt in Materialien hinterlassen können, wurde immer stärker. Parallel dazu wuchs der Drang, diese Kräfte und deren Wirkung darzustellen. Münger begann zu experimentieren. Grossflächige realistische Gemälde und filigrane Tuschzeichnungen von Unfallwracks – ebenfalls im Grossformat – wirken noch wie gesittete Umsetzungen empirischer Crash-Forschung. Leinwand und Papier sind zwar gute Freunde von Pamcrash, aber offenbar nicht solche, mit denen man schon mal eine Nacht lang um die Häuser zieht. Dann schon eher Stahlblech als Leinwand und darauf einwirkende Energie als Pinsel. Es ist eine Kombination, die dreidimensionale und absolut bleibende Eindrücke hinterlässt. In der Konsequenz schweisste der Künstler mannshohe Stelen aus Stahlblech zusammen, lackierte sie feuerrot und legte sie unter Industriepressen, um sie zum Kollabieren zu bringen – oder fuhr mit einem Auto rein. Der Weg war geebnet, doch es gab Hindernisse, denn die Sache begann, gesundheitsschädigend zu werden. Um noch spektakulärere Resultate zu erhalten, fuhr Pamcrash mit Schrottautos jetzt auch selbst in starre Hindernisse hinein: «10 bis 15 Stundenkilometer waren für mich noch machbar. Angefragte Stuntmen wollten maximal bis Tempo 30 gehen. Das war mir aber zu wenig.» So kam´s zur Zusammenarbeit mit dem DTC (Dynamic Test Center) im bernischen Vauffelin. Dort lassen sich Autos unter Laborbedingungen an die Wand fahren – und zwar mit einer Geschwindigkeit von bis zu 120 km/h –, sofern man die dortigen Ingenieure von der Notwendigkeit einer solchen Massnahme überzeugt. Crashtests im Dienste der Kunst war man beim DTC bislang nicht gewohnt. «Ich musste meine Argumente schon recht seriös vorbringen, damit die Skepsis wich und man bereit war, meine Aufträge anzunehmen», so Pamcrash: «Mittlerweile ist die Zusammenarbeit sehr gut, und ich denke, dass die DTC-Ingenieure froh sind, hin und wieder auch einen Crash auszuführen, bei dem nicht das hinterste und letzte Detail ausgewertet werden muss.» Fünf Autos hat Pierre-Alain Münger mittlerweile im DTC gecrasht. Die Ehre, Kunstgeschichte geschrieben zu haben, gebührt bisher


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folgenden Modellen: 94er Ford Fiesta, 97er Opel Omega Caravan, 89er Jaguar XJ, 73er Cadillac DeVille Hearse und 89er Chevrolet Blazer. Das Endprodukt dieser Kunstfälle sind allerdings nicht die jeweiligen Autowracks, sondern deren finaler Abdruck: Um den einzufangen, bringt Pamcrash vor dem Aufprallpunkt ein schwarz lackiertes Stahlblech an. Die Wucht des Aufpralls presst die Frontpartien der jeweiligen Crash-Opfer so deutlich in diese «Leinwand», dass Autokenner das Modell oder zumindest die Automarke erkennen können. «Faces» nennt Pierre-Alain Münger die so entstandenen Bilder: Es ist die absolut authentische Darstellung einer besonderen Kraftwirkung auf einen Gegenstand. Das schafft kein Foto, kein Gemälde, keine mathematische Formel. In die Nähe der FaceCharakteristik kommt vielleicht noch der Bluterguss unter dem Auge eines Boxers. Der vergeht aber wieder. Ein Face dagegen bleibt. Wer einen Original-Pamcrash ersteht, kann sicher sein, dass es den nur einmal gibt; der materielle und finanzielle Aufwand wäre für Fälscher eine viel zu hohe Hürde. Diesbezüglich lässt sich Pamcrash zwar keine konkreten Zahlen entlocken. Man kann aber davon ausgehen, dass die Herstellung eines solchen Unikats in die Tausende von Franken geht. Münger kauft die verwendeten Autos auf dem freien Markt. Seine «Pinsel» müssen noch fahrbar sein, um sicherzugehen, dass ein möglichst authentisches Aufprallbild resultiert. Das Cadillac-Ungetüm hat er in Genf gefunden und einige Tausend Franken dafür hingelegt. Dazu kommen nochmal nicht unerhebliche Transportkosten, ausserdem muss Pamcrash pro Kunstwerk Personal und Infrastruktur des DTC bezahlen. Dementsprechend ist eines seiner Faces nicht für 1000 Franken zu haben.

an die Wand fährt, um ein Bild zu erhalten, verstehen nicht alle. Internetfotos realer Autobahn-Unfälle dagegen werden vergnüglich «geschlürft» … Mit Unverständnis des Publikums gegenüber seiner Happening-Kunst kann Pamcrash gut leben. Mühe hat er mit Kommentaren wie «Ein Auto an die Wand fahren kann ja jeder». Solchen Äusserungen entgegnet er: «Gut möglich, dass das jeder kann – ich aber habe es getan!» Die Tonlage, mit der er das ausspricht, verraten Stolz und die Überzeugung, dass gemacht wurde, was gemacht werden musste. So wie sich das seinerzeit die Künstler Bill Drummond und Jimmy Cauty gesagt haben mussten, als sie 1994 vor laufender Kamera eine Million britische Pfund verbrannten.

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Pamcrash schauen und treffen Die Crashkunst des Solothurner Künstlers Pamcrash hinterlässt nicht nur Spuren in Stahlblech. Auch das Internet reagiert mittlerweile recht stark auf den Suchbegriff «pamcrash». Videos mit eindrücklichen Zeitlupenaufnahmen von Crashes zur Herstellung der im Text erwähnten Faces, gefilmt mit Hochgeschwindigkeitskameras, finden sich etwa auf Youtube, Vimeo und Facebook. Eine gute Gelegenheit zur Annäherung an die Kunst des Pierre-Alain Münger besteht vom 4. bis 26. Oktober 2013 während einer Ausstellung in der Berner Soon-Galerie (www.soon-art.ch). Aktuell ruht die Pro-

Reden wir also lieber über Ruhm und Ehre. Beide sind Pamcrash gewiss; die Kunstwelt begegnet dem Solothurner Crash-Künstler bereits mit Respekt. Galerie-Ausstellungen in London, Strassburg und Zürich zeugen von Akzeptanz und Neugier gegenüber dieser neuen künstlerischen Ausdrucksform. Im Publikum wird Pamcrash zuweilen kontrovers diskutiert, wie man Leserkommentaren zu Presseartikeln entnehmen kann: Dass jemand einen Leichenwagen

duktion neuer Faces, aber bei Pamcrash weiss man nie. Wenn er plötzlich irgendwo ein ausgeschriebenes Auto entdeckt, von dem er sich ein sensationelles Ergebnis verspricht, kann es ganz schnell gehen. Der regelmässige Besuch seiner Homepage www.pamcrash.ch lohnt sich deshalb – auch um Termine zu erfahren und vielleicht mal live dabei zu sein. Dort finden sich auch viele weitere Internetlinks mit Pamcrash-Inhalten sowie zahlreiche Infos zum künstlerischen Schaffen des 35-jährigen Solothurners.

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Fahrtermin

Und ewig singen die Wälder Mit Sturm und Drang präsentierte Land Rover 2004 eine erste Range-Rover-Sport-Studie namens Stormer. Das Serienmodell kam 2005, basierte auf dem Discovery – und wurde weltweit zum Shooting Star. Mitte September kommt die zweite Generation und die will noch mehr Sport und auch mehr Range Rover sein. Operation gelungen? Wir haben es in walisischen Wäldern und auf Strassen erster bis dritter Ordnung ausprobiert Text Jo Clahsen · Fotos James Arbuckle, Nick Dimbleby

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wie Direkt. Oder Drive. Oder Dampf. Oder gleich alles versammelt in einem Aggregatzustand. Und zwar nicht aus dem edlen Drehsteller, der leise aus der Mittelkonsole hochfährt, sondern mit einem Schaltstock! Es ist der nochmals überarbeitete V8, der im Hause Land Rover Supercharged heisst. Ein echt kräftiges Kerlchen, zwangsbeatmet durch einen Kompressor. Er zerrt mit 510 PS an der Kette wie ein angeleinter, mürrischer Hofhund. Wer dann noch eine Gedenksekunde zu lang auf dem Fahrpedal steht, ist innerorts schnell auf 80 oder mehr. Und weil es zwar der «Sport» ist, die Cocoonisierung und Geräuschdämmung aber wieder Höchstmass erreichen, sind es gefühlte 50 Sachen, die man da draufhat – und das mit 2,3 Tonnen Lebendgewicht, also Obacht, ihr Eidgenossen! Das Triebwerk strengt sich dabei nicht sonderlich an, weil bereits bei 2500 Touren die vollen 625 Newtonmeter drücken. Lernen muss der Fahrer dazu lediglich, dass sich – im Gegensatz zum Vorgänger – hinten am Wahlhebel eine Entriegelung befindet, die den Knüppel arretiert, mühsam zu bedienen ist und bestenfalls mit dem Mittelfinger entsperrt werden will, bevor es losgeht. 116 VECTURA #8


Fahrtermin

Noblesse oblige. Die Erwartungen der verwöhnten RangeKundschaft sind hoch. Also musste Land Rover wieder dieses extreme Muskelpaket anbieten. Auch wenn er in seinem Lebenszyklus höchst selten die Geröll-und-Schlamm-Abteilung aufsuchen wird, obwohl er das locker könnte. Der RRS – die erste Auflage wurde 415 000-mal verkauft, die neue Generation basiert erstmals auf dem Range Rover – bleibt in erster Linie ein Berserker für Business, Bank und Investmentfonds. Wird das Fahrpedal ganz bis in die hochflorige Teppichware gedrückt, reisst es dir den Kopf in den Nacken. Die acht Gänge des sehr geschmeidigen Automaten spielen dazu zwar nicht das Lied vom Tod, aber das an Vorsicht gemahnende Arafwch Nawr. Das ist walisisch und bedeutet: Reduce Speed Now! Schliesslich hat der Fünflitermotor ordentlich weniger zu schleppen: Bis zu 400 Kilo sollen Leichtbau und die grosszügige Verwendung von Aluminium erspart haben. Fahrwerk und Monocoque sind ebenfalls davon betroffen, die Heckklappe besteht aus einem Verbundstoff, der sich Sheet Molding Compound nennt; das ist ein in Schichten aufgebautes Faser-Kunststoff-Gemisch. Bei den Türen oder Armaturenbrettträgern kommt gar Magnesium zum Einsatz. Auf den kleinen, engen walisischen Landstrassen fühlt sich der Range Sport erstaunlich leicht an, und dafür gibt es weitere Gründe. So sitzt man wesentlich niedriger als beim grossen Luxus-Bruder. Auch das Auto ist flacher als der Range Rover – und ganze 15 Zentimeter kürzer. Nicht zuletzt kommt im Sport erstmalig «Torque Vectoring» zum Einsatz: Dabei wird dem kurveninneren Rad weniger Kraft zugeführt als dem äusseren, was auf kleinen Landstrassen für Freudenjuchzer gut ist – der Sport dreht quasi in die Kurven ein, als würde die Hinterachse mitlenken. Auf losem Schotter sorgt das zudem für recht spektakuläre Drifts, während der permanente Vierradantrieb und das Sperrdifferential dafür sorgen, dass es nicht zu arg kommt. Wir wechseln auf den zweiten Antrieb, den ebenfalls ab September verfügbaren V6-Diesel. Der Dreiliter kommt wahlweise mit 258 (TDV6) oder 292 PS (SDV6), stemmt aber in beiden Fällen satte 600 Newtonmeter auf die Wellen, und zwar kurz oberhalb der Leerlaufdrehzahl. Da PS gerade noch gut genug für den Altherren-Stammtisch sind, auf der Strasse und im Alltag aber die Meter des Herrn Newton zählen, geht es wieder auf die «long and winding road» und in der Tat: Dort ist der Ölbrenner vielleicht ein wenig hartleibiger als der Power-Benziner. Dabei spielt die klug agierende Achtgang-Automatik eine entscheidende Rolle: Bei Bedarf waltet und schaltet sie kurz und knackig. Bei gemächlicher Fahrt jedoch und vor allem im groben Geläuf ist diese Kombination unschlagbar: Während der Supercharged abseits jeglicher Befestigung wie ein junges Fohlen wild und ungestüm losstürmt, gräbt der Diesel kernig-ruhig mit den Sportsocken. Sucht nach Halt. Und findet ihn. Natürlich auch, weil diverse elektronische Helfer an Bord sind. Das beruhigt Fahrer und Passagiere gleichermassen und lässt den Ausflug zum leicht zu handhabenden Parcours werden. Bis zu 85 Zentimeter tiefe Pfützen sind ebenfalls kein Problem. Womit wir wieder beim Sport wären. Wie gesagt soll der seine bekannten Qualitäten ja nicht nur im Gelände durchdeklinieren und manchen Fahrgast dabei bis an den Rand der Verzweiflung treiben. Auch wenn das bei Land Rover seit Jahrzehnten in der DNA begründet liegt. Der «all-new» Range Rover Sport ist für Asphalt und Autobahnen gebaut, wo die V8-Version bis in den herbst 2013 117


Begrenzer erstmals auf 250 km/h kommen kann. Die Selbstzünder schaffen immerhin 210 km/h, und wem das immer noch zu durstig ist, kann ab 2014 eine Diesel-Hybrid-Variante ausführen. Deren Verbrauch soll dann auf schlanke sechs Liter sinken. Info für Drehmoment-Fetischisten: Auch ein V8-Diesel ist in Vorbereitung. Selbst innen setzt sich der Sport deutlich vom Ober-Range ab. Die Armaturentafel wirkt weniger wuchtig, sitzt näher am Fahrer und ist somit engagierter arrangiert. Statt edler Hölzer kommt mehr gebürstetes oder poliertes Aluminium zum Einsatz. Und weil der aktuelle Range Rover Sport nicht nur bei der Länge, sondern auch beim Radstand ordentlich zugelegt hat (plus 18 cm), fällt auch der Fond geräumiger aus. Selbst Erwachsene jenseits der 1,90 Meter können hier nun kommod reisen und sich auch ein wenig räkeln. Auf der im Boden versenkten dritten Reihe des Konzepts 5+2 geht das natürlich nicht mehr. Selbst «fünf» ist ein wenig optimistisch, denn wer mittig in der zweiten Reihe sitzen soll, muss leidensfähig sein. Auf den Notsitzen ganz hinten kommen ohnehin nur Kinder unter. Für Muttis Grosseinkauf im Supermarkt reicht der Stauraum aber allemal. Was im neuen Cockpit auffällt, sind die wohltuende Reduzierung der Knöpfe, eine bes-

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sere Übersichtlichkeit sowie ein hoch auflösendes TFT-Display für die wichtigsten Informationen. Auch ein Acht-Zoll-Touchscreen inklusive geteilter Darstellung ist verfügbar – mit Navigationsansagen für den Fahrer, während sich der Co und die Fondpassagiere mit TV oder DVD-Filmen vergnügen können. Was zu wünschen bleibt, ist ein Return-Knopf für den Bildschirm, damit man nicht immer auf ihm herumfingern muss. Im neuen Range Sport hält zudem eine verbesserte WWW-Anbindung Einzug: Dank WiFi-Hotspot, der über ein Smartphone generiert wird, ist man «always on». Das funktioniert ganz ordentlich und Erreichbarkeit wird zum obersten Ziel, solange das dem Nutzer erstrebenswert erscheint. Auch die App-Einbindung in das «Connected Car» genannte Menü erlaubt dem Digital-Nomaden, neben dem realen auch im Internet-Dschungel unterwegs zu sein. Somit ist der ausgerufene Dynamiker auch im Bereich Lifestyle angekommen: Wer heute hip ist und Freunde im Auto mitnimmt, aber keinen Hotspot zu bieten hat, kann sich gleich wieder hinten anstellen. Ohne über Los zu gehen.Hinzu kommen Assistenzsysteme zur Erkennung von Tempolimits oder Überholverboten, welche allerdings im Vorserienexemplar nicht immer


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ganz reibungslos funktionierten. Immerhin, die Spurhaltehilfe klappt, der Fernlicht-Automat konnte tagsüber nicht überprüft werden, dafür aber «Queue Assist»: Die Paradedisziplin der Engländer – das Schlangestehen – schafft der Wagen zuverlässig bis hin zum selbstständigen Stillstand. Auch ein Head-up-Display, im feudalen Range Rover bisher weder für Geld noch gute Worte zu bekommen, kann gegen Aufpreis geordert werden. Bei aller Neuzeit – eine alte Benchmark ist in jedem Fall geblieben: Auch der Sport-Range kann 3,5 Tonnen an den (wahlweise motorisch ausschwenkenden) Haken nehmen. Und das macht ihm in dieser Fahrzeugklasse so leicht keiner nach. Ob Pferde-, Wohn- oder Bootsanhänger, der dynamischste unter den Landys nimmt die Herausforderung mit Gelassenheit an und brummelt trotz Last ganz lustig und entspannt weiter. Was unseren Eindruck eines gelungenen Modellwechsels bestärkt: Der Range Rover Sport ist das letzte grosse Novum vor den nächsten Freelander- und Defender-Generationen (beide 2015). Unter dem Strich bleibt der Eindruck, dass es sich beim Dynamik-Range um einen erwachsenen Evoque handelt, der auch

gröbere Pfade souverän zu meistern versteht. Der Diesel ist hier geeigneter als der V8, den es eher auf die Piste zieht: Sein Revier sind die feinen Wohngebiete mit Drittgaragen, die Oper oder das städtische Valet-Parking. Die Diesel können zwar auch Oper, selbstverständlich. Aber sie sind aufgrund ihres früh einsetzenden Drehmoments und der unfassbaren Kraft aus dem Drehzahlkeller eben auch echte Gelände-Spezialisten. Da darf der heimische Carport dann auch schon etwas ausserhalb der Stadt liegen oder das letzte Stück Wegstrecke zum Haus ein schneebedeckter Feldweg sein. Beiden Varianten gemein ist eine sorgfältig ausgewogene Performance, die via Adaptive Dynamics für forsches Fortkommen gut ist. Beim Benziner ist dagegen im Terrain-Response-System ein eigener Dynamik-Modus verbaut – sportlich geht mithin gut, auch weil die elektrische Servolenkung sehr fein abgestimmt ist: Die Rückmeldung ist hervorragend. Und wenn alle Stricke zu reissen drohen, hat das aktive Hinterachs-Sperrdifferential das Sagen und hält die Fuhre auf Kurs. Nur die Warnung aus Wales sollte man stets vor Augen haben, denn Diesel und Benziner gehen schon ordentlich ab. Also: Arafwch Nawr!

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Technische Daten Range Rover Sport Konzept

Dynamisch abgestimmter Geländewagen auf Basis des Range Rover. Selbsttragende Leichtmetallkarosserie, fünf Türen und Sitzplätze. Zahnstangenlenkung mit Servo. Vorne Einzelradaufhängung mit Doppelquerlenkern, hinten Mehrlenkerachse, Luftfederung und innen- belüftete Scheibenbremsen rundum. Permanenter Allradantrieb mit sechs automatischen Fahrprogrammen, Reduktionsgetriebe und Hinterachssperre (Option)

Sechs- und Achtzylinder-Leichtmetall-Aggregate. V8-Benziner mit 2x2 oben liegenden Nockenwellen (Kette/VVT), Kompressor und zwei Motor Ladeluftkühlern. Den SDV6 gibt es auch als Einstiegsversion mit 258 PS. Ein 339-PS-V8-Diesel folgt Ende 2013, Diesel-Hybrid in Vorbereitung

Hubraum in cm3 Bohrung x Hub in mm Verdichtung Leistung in PS (kW) @ U/min Max. Drehmoment in Nm @ U/min Kraftübertragung Abmessungen (L/B/H) in cm Radstand in cm Spur vorne/hinten in cm Reifen und Räder Tankinhalt in L Kofferraumvolumen in L Leergewicht (ohne Fahrer) in kg Zulässiges Gesamtgewicht in kg Leistungsgewicht in kg/PS

3.0 SDV6

3.0 V6 SC

5.0 SC

2993 84 x 90 16,1:1 292 (215) @ 4000 600 @ 2000

2995 84,5 x 89 10,5:1 340 (250) @ 6500 450 @ 3500–5000 A8

5000 92,5 x 93 9,5:1 510 (375) @ 6000–6500 625 @ 2500–5500

235/65 R19 auf 8J 80

485/198,5/178 292,5 169/168,5 255/55 R20 auf 9J

275/45 R21 auf 9,5J

2110 3000 7,2

105 785–1760 2140 2950 6,3

2235 3050 4,4

0 – 100 km/h in Sek. Höchstgeschwindigkeit in km/h

7,2 210 (Opt. 222)

7,2 210

5,3 225 (Option 250)

Durchschnittsverbrauch* in L/100 km CO2-Emission in g/km Energieeffizienzkategorie Preis ab CHF

7,5 199 E 91 600.–

10,7 249 G 81 000.–

12,8 298 G 114 900.–

* gemessen nach NEFZ: Neuer Europäischer Fahrzyklus

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FIRST CLASS ZUM ECO-TARIF.

DER NEUE OUTBACK 4x4 AB FR. 37’150.–. Nicht einmal fliegen ist schöner. Der Outback bietet Komfort, Klasse und Rasse ohne Ende. Ausstattung ohne Grenzen. Und jetzt als internationale Premiere die Kombination von Diesel-Boxermotor, Lineartronic und permanentem symmetrischem Allrad-Antrieb. Zu einem Preis, der weit unter dem Horizont des Üblichen liegt. Unser Tipp: Jetzt einchecken bei Ihrem Subaru-Vertreter. Abgebildetes Modell: Outback 2.0D AWD Limited, Lineartronic, 5-türig, Energieeffizienz-Kategorie D, CO2 166 g/km, Verbrauch gesamt 6,3 l/100 km, Benzinäquivalent 7,1 l/100 km, Fr. 48’650.–. Modell Outback 2.0D AWD Advantage, man., 5-türig, Energieeffizienz-Kategorie C, CO2 155 g/km, Verbrauch gesamt 5,9 l/100 km, Benzinäquivalent 6,6 l/100 km, Fr. 37’150.–. Durchschnitt aller in der Schweiz verkaufen Neuwagenmodelle (markenübergreifend): 153 g/km. www.subaru.ch SUBARU Schweiz AG, 5745 Safenwil, Tel. 062 788 89 00. Subaru-Vertreter: rund 200. www.multilease.ch Unverbindliche Preisempfehlung netto, inkl. 8% MWSt. Preisänderungen vorbehalten.

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Fahrtenbuch

die zwei seiten einer medaille

Die Welt der Oldtimer verändert sich – aber wohin?

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ie Saison internationaler Oldtimer-Veranstaltungen 2013 neigt sich langsam dem Ende zu. Nicht dagegen der Trend, zu jedem dieser Events auch gleich noch eine Auktion zu veranstalten. Nun gut, jede Medaille hat zwei Seiten. Nachdenklich wird man aber, wenn zum Beispiel die Event-Veranstalter, die Restaurationsunternehmen, die Broker und die Auktionshäuser diese Plattformen geschickt be- oder gar ausnutzen, um Begehrlichkeiten und mit ihnen die Preise zu steigern. Das geschieht leider sehr oft zum Nachteil der Hauptdarsteller – jener Fahrzeuge nämlich, die in hoher Zahl aus monetären Interessen überrestauriert und damit ihrer Historie und Patina (man könnte auch Seele sagen) beraubt werden. Auch deshalb hat der Weltverband FIVA (Fédération Internationale des Véhicules Anciens) mit der «Charta von Turin» im Januar 2013 Empfehlungen für den Umgang mit technischem Kulturgut publiziert. Es wird eine sehr hohe Herausforderung für alle Beteiligten sein, den Spagat zwischen dieser Charta und dem grassierenden Kommerz zu schaffen. Freuen kann man sich hingegen, wenn bei Car-Shows und Verkaufsveranstaltungen verschollen geglaubte Fahrzeuge oder solche, die man nur aus Büchern kennt, live zu sehen sind, bevor sie wieder in privaten Sammlungen verschwinden. 2013 standen erneut die weltweit bekannten Veranstaltungen mit angegliederten Auktionen im Brennpunkt des Interesses, wie die steigenden Teilnehmer- und Besucherzahlen belegen. Aber um welches Publikum handelt es sich da eigentlich? Neben Enthusiasten aus der Frühzeit des damals sogenannten «rostigsten Hobbys der Welt» springen immer mehr vermögende Menschen und Spekulanten auf den Zug, denn der «Markt» lockt mit schnellen Gewinnen, denen viele Sammler aus der Urzeit der Bewegung (noch) widerstehen können. Die Entwicklung der sogenannten Oldtimer-Szene (eine schreckliche Worthülse) ist so komplex und vielschichtig wie die Menschen, Firmen, Veranstalter und Organisationen, die sich mit unterschiedlichen Intentionen darin bewegen. Begonnen hat es einst mit viel Herzblut für die Sache, mit einer neugierigen Begeisterung für zeitgenössische Technik oder das Handwerk – und nicht zuletzt für die Schönheit des Designs. Als Pionier der Schweizer Oldtimer-Szene darf der 1957 gegründete Schweizerische Motor Veteranen Club (SMVC) gelten: Enthusiasten und Gleichgesinnte hatten damals einen Verein gegründet, der sich für Pflege und Unterhalt von historischen Fahrzeugen, aber auch Veranstaltungen und geselliges Beisammensein einsetzte. Gefahren, vor der Verschrottung gerettet und restauriert wurden vor allem Autos aus der Pionierzeit des Automobils – einen heute so gesuchten Mercedes-Benz 300SL konnte man damals neu kaufen! Im Laufe der Zeit haben sich dann aus dem SMVC neue Vereine und Clubs in der Ost- und Westschweiz oder dem Kanton Bern gebildet. 122 VECTURA #8

In dieser Rückschau drängen sich Fragen auf: Wie wird man in 30 Jahren mit den Modellen von heute umgehen? Wer mag und kann die dann noch unterhalten, geschweige denn reparieren? Welche Neuwagen stehen uns dann zur Verfügung – und mit welcher Technik? Mehr Fragen als Antworten, die mich zu den Oldtimern von heute und der eingangs beschriebenen Entwicklung zurückbringen. Unser geliebtes Hobby hat seine Unschuld verloren. Doch das ist der Lauf der Zeit; der Kunstmarkt zum Beispiel hat ähnliche Entwicklungen durchlebt. In der mittlerweile globalen OldtimerBranche mit ihren regional unterschiedlichen Kulturen verdrängen Investoren die fahrorientierten Liebhaber, Puristen und technisch Interessierten. Die sind heimatlos geworden und müssen sich neu orientieren. Wohin steuert eine Bewegung, in der Rekordpreise bei manchen Klassik-Eignern den Eindruck erwecken müssen, ihr Alltags-Oldie sei morgen mindestens auch das Doppelte wert? Ganz zu schweigen von Ersatzteilen, Automobilia etc. Und es geht noch weiter: Im aktuellen Finanz-Hype und dem vielen Geld, das angelegt sein will, können mit seltenen Autos höhere Renditen erzielt werden als mit jeder Aktie. Die ohnehin vernachlässigte kulturwissenschaftliche Komponente von historischen Fahrzeugen geht dabei vollends verloren. Es ist inzwischen eine Tatsache, dass jene Firmenzweige eines Automobilproduzenten, die sich mit der Historie sowie deren Produkten beschäftigen, in vielen Fällen von der Marketing- und VerkaufsOrganisation geführt werden – mit dem Ziel, die Absatzzahlen zu halten oder noch besser gar zu steigern. Dazu buhlen immer mehr und neue Concours d´Elégance um die Gunst der Teilnehmer, Besucher, Sponsoren und Medien. Dabei gab es historisch betrachtet nach meinem heutigen Wissensstand niemals einen Schönheitswettbewerb für historische Fahrzeuge, das waren in der Regel immer die neuesten Serienanfertigungen oder Einzelanfertigungen auf gelieferte Chassis. In beinahe allen Fällen, die aktuell mit dem Namen Concours d´Elégance veranstaltet werden, dreht sich alles um eine Perfektion, die es ab Werk meist nicht gegeben hat. Es wird vielmehr ein «Concours d´état» durchgeführt. Im Sinne der damaligen Erfinder kann das nicht sein. Fraglich ist auch, nach welchen Kriterien Fahrzeuge heute in welche Klassen eingeteilt werden sollen, um fair verglichen und bewertet werden zu können. Ähnliche Entwicklungen stellt man bei «historischen Rennen» fest. Noch so eine Erfindung der Neuzeit, um den guten Klang und den damit verbundenen Mythos in die Gegenwart hinüberzuretten und als Plattform für meist kommerzielle Zwecke zu verwenden. Früher traten ausschliesslich die neuesten Autos gegeneinander an – mit einer Ausnahme: London–Brighton. Ab 1927 wurde mit historischen Fahrzeugen gefahren, die vor 1905 entstanden waren. Dabei geht es um die Erinnerung an


RUBRIKEN

das erste Rennen von 1896, das damals aus Begeisterung um die Aufhebung des «red flag act» (ein Läufer mit einer roten Flagge musste warnend vor dem Auto herlaufen) auf just jener Strecke durchgeführt wurde. Noch gibt es ehrliche Ausnahmen. So verweisen beispielsweise «Goodwood Revival», «Monaco Historique» oder «Le Mans Classic» namentlich auf eine historische Rückschau. Allzu oft allerdings ist bei Klassik-Events nicht das drin, was draufsteht. Der Etikettenschwindel untergräbt die Seriosität. Historische Ereignisse und Fahrzeuge haben keine Anwälte, die sich für den wahrheitsgetreuen Umgang mit ihnen einsetzen. Sie können auch nichts dafür, was man heute aus und in ihrem Namen tut. Dabei ist es doch ganz einfach: Echte Fans möchten fahren und ihren Veteranen auch weiterhin im öffentlichen Stras-senverkehr bewegen können. Es liegt in unserer Verantwortung, dafür zu sorgen, dass es dabei bleibt: Ein Fahrzeug ist kein Stehzeug.

Urs P. Ramseier (56) hat die Begeisterung für das Automobil in seiner DNA.

Als Spross der Carrosseriebaufirma Fritz Ramseier & Cie., Worblaufen, verschrieb sich der gelernte Kaufmann der «Kulturpflege Automobil». Aus dem Hobby wurde schnell eine Berufung: Ramseier gründete das «Swiss Car Register», selektionierte bis 2010 die Fahrzeuge des Concorso Eleganza Villa D´Este oder initiierte die Vereinigung «Freunde der Klausenrennen». Zudem gehört er dem Komitee des Genfer Automobilsalons an und ist in verschiedenen Rollen für Verbände wie FIA, FIVA/FSVA tätig.

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Rennsport

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Der verlorene Seriensieger Nur wenige erinnern sich noch an die Rundstrecken-Historie von Lancia – ganz zu schweigen vom Formel-1-Engagement der Turiner Marke. Auch vier Rallye-Jahrzehnte geraten langsam in Vergessenheit, obwohl zehn WM-Kronen bis heute ungeschlagen sind. Blicken wir also zurück auf glorreiche Zeiten Text Adriano Cimarosti · Fotos Collection Maniago, Werk

Früher Lorbeer: Bei der Mille Miglia 1929 belegen Strazza/Varallo auf Lancia Lambda den vierten Gesamtrang

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Rennsport

Bei den 24 Stunden von Le Mans im Jahr 1951 erreichen Bracco/Lurani auf einem Aurelia B 20 der ersten Serie den zwölften Platz und siegen damit in der Zweiliterklasse Der Monegasse Louis Chiron (Mitte) und sein italienischer Beifahrer Ciro Basadonna (links) gehen bei der Rallye Monte Carlo 1954 auf einem Aurelia B 20 mit 2,5-Liter-Motor als Gesamtsieger hervor

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907 kam der erste Lancia auf den Markt. Nennenswerte Renneinsätze erfolgten jedoch erst ab 1923 mit dem damals neuen Modell Lambda, das sich bis in die frühen 1930er-Jahre bei der Mille Miglia und anderen Veranstaltungen bewähren sollte. Eine echte Lancia-Motorsporttradition entwickelte sich jedoch erst mit dem 1950 erschienenen Aurelia: 1951 das von Pininfarina eingekleidete Coupé B20 mit Zweiliter-V6-Motor, 1954 wurden es sogar 2,5 Liter. Den Werkfahrern stand 1952 gar der B20 Competizione mit noch mehr Leistung und niedrigerer Aluminiumkarosserie zur Verfügung. Lancia sammelte Pokale: Dreifachsieg bei der Targa Florio 1952, im gleichen Jahr dritter Platz bei der MM – und immerhin noch Rang 4 bei der beinharten Carrera Panamericana. 1954 erreichten Louis Chiron und Ciro Basadonna bei der Rallye Monte Carlo den ersten Platz; 1958 holten Luigi Villoresi/Ciro Basadonna bei der Rallye Akropolis den Sieg – das elegante Aurelia Coupé wurde alsbald als der Familienwagen bezeichnet, mit dem sich am Wochenende Rennen bestreiten lassen. Doch der Reihe nach. Für Lancia standen die Jahre 1953 und 1954 noch ganz im Zeichen der Rennsport-Typen D20, D23 und D24, für die Konstrukteur Vittorio Jano gesamtverantwortlich zeichnete. Bei der Mille Miglia 1953 errang ein solcher Wagen hinter Ferrari und 126 VECTURA #8

Maserati erneut den dritten Platz. Noch besser lief es bei der Targa Florio des gleichen Jahres – Umberto Maglioli holte den Gesamtsieg, was Piero Taruffi 1954 ebenfalls gelingen sollte. Für die 24 Stunden von Le Mans bereitete man eine Spezialversion mit 2,7 Liter Hubraum und Roots-Kompressor vor, allerdings sah diesmal kein Lancia (vier waren angetreten) das Ziel. Bei der Coppa Intereuropa 1953 in Monza wurden ein D20-Coupé und zwei neue Spyder vom Typ D23 mit Dreilitermotor eingesetzt, wobei Bonetto mit einem Spyder den zweiten Platz hinter Ferrari belegen konnte. Der Lancia-Pilot gewann auch den Grand Prix von Portugal. Das grosse Schlussbouquet der Saison 1953 erfolgte bei der vierten Auflage der über 3000 Kilometer langen Carrera: Die LanciaExpedition nach Mexiko umfasste drei D24 und zwei D23, dazu 20 Mechaniker sowie die Fahrer: Fangio, Bonetto, Taruffi, Bracco und Castellotti. Alsbald lieferten sich Taruffi und Bonetto ein hartes Duell um die Spitze, bis Bonetto tödlich verunglückte. Gesamtsieger wurde Juan Manuel Fangio, obwohl er keine einzige der acht Etappen gewonnen hatte, vor Taruffi und Castellotti. Im März 1954 wurde die Sportwagen-WM mit dem 12-Stunden-Rennen von Sebring eröffnet; Lancia war dabei und errang Platz 2. Dann siegte Taruffi wie erwähnt bei der Targa Florio; Zweifach-Weltmeister Ascari triumphierte bei der Mille Miglia. Neben einigen erfolgreich bestrittenen Bergrennen kamen die 3,3-L-V6-Lancia noch beim


Tourist-Trophy-Rennen in Belfast zum Einsatz; Fangio/Taruffi belegten den zweiten und Manzon/Castellotti den dritten Rang. In Turin arbeitete Vittorio Jano derweil am nächsten Projekt – dem Formel-1-Typ D50. Ursprünglich hätte das Grand-Prix-Auto schon zur WM 1954 bereitstehen sollen, aber die Vorbereitungen zogen sich in die Länge. Schliesslich traten zwei Lancia Ende Oktober beim letzten GP-Lauf in Spanien mit Alberto Ascari und Luigi Villoresi an. Ascari verblüffte gleich mit der Trainingsbestzeit, im Rennen lag er dann neun Runden lang in Führung, musste das Rennen aber wegen Kupplungsproblemen aufgeben. Der Lancia-Monoposto war eine fortschrittliche Konstruktion; sein vorne tragend eingebauter 90°-V8Motor hatte 2,5 Liter Hubraum und 250 PS; das Quergetriebe war im Heck mit dem Differential verblockt. Motor und Kardanwelle waren schräg zur Längsmittelachse eingebaut, was eine tiefere Sitzstellung für den Fahrer bedeutete. Charakteristische D50-

Merkmale waren die Seitentanks. Die WM 1955 verlief nicht befriedigend, doch immerhin: Lancia gewann zwei nicht zur Weltmeisterschaft zählende Formel-1-Rennen, nämlich die GP von Turin und Neapel – beide Male wurde Ascari Sieger. Die WM wurde am 22. Mai mit den GP von Monaco fortgesetzt, wo Lancia vier D50 mit Ascari, Villoresi, Castellotti und dem 56-jährigen Monegassen Louis Chiron einsetzte. Ascari stand in der ersten Startreihe zwischen den Mercedes von Fangio und Moss, die auch in Führung gingen, aber sie wurden von Defekten heimgesucht, sodass Ascari in der 80. Runde in Führung ging, aber in der folgenden Runde rutschte sein Lancia bei der Schikane am Hafen ins Meer. Das Rennen gewann Maurice Trintignant auf einem Ferrari 625. Vier Tage danach, am 26. Mai, trainierten die Sportwagen in Monza, Ascari war bloss als Zuschauer dabei. Man stellte ihm einen Ferrari 250 Monza zur Verfügung, rein zum Vergnügen. Nach ein paar Runden verunfallte er in der VialoneKurve und kam dabei ums Leben.

Der Lancia D 20 C mit 2,7-Liter-V6 von Umberto Maglioli bei der Mille Miglia 1953 auf der berühmten Startrampe in Brescia

Mit dem Lancia D 24 (3,1-L-V6) holt Weltmeister Juan Manuel Fangio den Gesamtsieg bei der Carrera Panamericana 1953 – und das, ohne eine einzige Etappe gewonnen zu haben!

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Nochmal Fangio auf Lancia-Ferrari w채hrend des Trainings zum GP Monaco 1956. Das Rennen f채hrt er auf dem Wagen von Collins zu Ende und wird Zweiter hinter Stirling Moss auf Maserati

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Rennsport

Der Tod Alberto Ascaris veranlasste Firmenchef Gianni Lancia (Sohn des Markengründers Vincenzo Lancia), die Renntätigkeit einzustellen. Lancia überliess daraufhin das ganze Rennmaterial der Scuderia Ferrari; die Übergabe erfolgte am 26. Juli 1955, und im Hinblick auf die WM 1956 wurden alle D50 in Maranello modifiziert. Die Seitentanks enthielten nun keinen Treibstoff mehr, vorne wurde die Querblattfeder durch Schraubenfedern ersetzt, die Leistung des V8 soll jetzt gegen 280 PS betragen haben. Die D50 hiessen nun Ferrari-Lancia oder Lancia-Ferrari. Für Ferrari starteten nun Fangio, Castellotti, Collins und Musso. In Argentinien schied Fangio aus, stieg auf das Fahrzeug seines Kollegen Musso um – und gewann. In Monaco lief es für die Lancia-Ferrari nicht nach Wunsch: Stirling Moss auf Maserati führte überlegen während des ganzen Rennens, Fangio kollidierte mit den Abschrankungen, stieg auf den Wagen von Collins um und holte den zweiten Platz. Beim GP von Belgien in Spa wurde Fangio von einem Differentialschaden eliminiert, das Rennen gewann Peter Collins auf Lancia-Ferrari vor dem belgischen Fachjournalisten Paul Frère, ebenfalls auf Lancia-Ferrari. Maserati-Fahrer Moss führte nun in der WM. Beim GP des ACF in Reims fiel Fangio wegen eines Treibstofflecks zurück, Peter Collins siegte vor Castellotti, Fangio wurde noch Vierter, aber in der WM führte nun Collins. Beim GP von England in Silverstone kam Fangio mit seinem Lancia-Ferrari wieder zum Sieg, Collins schied aus und fuhr das Rennen auf dem Lancia-Ferrari des Spaniers Alfonso

De Portago zu Ende. Den WM-Abschluss bildete der GP von Italien und Europa in Monza: Fangio schied mit seinem Wagen aus, worauf ihm Peter Collins seinen Lancia-Ferrari überliess. Moss auf Maserati ging als Sieger durchs Ziel, Zweite wurden Collins/ Fangio. Damit hatte Juan Manuel Fangio seinen vierten WM-Titel in der Tasche, doch mit dem Ende der Rennsaison 1956 war auch die Karriere der Lancia-Ferrari vorbei. Wie eingangs gesagt hatte Lancia die ersten bedeutenden Zeichen im Rallyesport 1954 mit einem Gesamtsieg bei der Rallye Monte Carlo gesetzt. 1963 gründeten Cesare Fiorio, Dante Marengo und Luciano Misoni einen privaten Rennstall, der das Flaminia Coupé oder den Flavia Zagato bei Läufen der Tourenwagen-Europameisterschaft einsetzte. 1964 gründete das Werk die Squadra HF Corse, welche auf Flavia Sport 1800 und Flavia Zagato antrat. Bei der Tour de Corse 1965 debütierte dann das neue Fulvia Coupé, dessen potentere Schwester in Form des Fulvia HF mit 88 PS starkem 1,2-L-Motor im Januar 1966 folgte; im Werkteam wog das Auto nur 780 kg und leistete 101 PS. Im gleichen Jahr gewannen Cella/Lombardini mit dem HF die italienische Blumenrallye, 1968 gewann eine 1,6-L-Version mit 130 PS die Rallye Korsika, 1969 wurde der Schwede Harry Källström damit Rallye-Europameister. Källström gewann 1969 und ʼ70 auch die englische RAC-Rallye. Und der Fulvia HF dominierte weitere Rallyes – den Höhepunkt markierte der Sieg Sandro Munaris bei der Monte im Jahr 1972.

Monza 1956: Beim Grand Prix von Italien tritt Ferrari mit allen diesen sechs modifizierten Lancia-Ferrari an

Die Turiner ziehen sich aus der Formel 1 zurück: Am 26. Juli 1955 überlässt Lancia seine sechs D 50 der Scuderia Ferrari

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Rennsport

Mit diesem zum Spider umfunktionierten Fulvia belegen Munari und Aaltonen bei der Targa Florio 1969 den neunten Gesamtrang

Munari/Mannucci auf Fulvia 1.6 HF anl채sslich der Elba-Rallye 1973

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Dieser bis zu 480 PS starke Stratos Turbo mit Langheck-Karosserie wird 1974 von Facetti/Brambilla beim Giro d´Italia pilotiert

Bei Lancia wurde da bereits eine neue Rallyewaffe vorbereitet – der von einem quer eingebauten 2,4-L-Dino-V6-Mittelmotor angetriebene Stratos. Bei der Tour de France 1973 debütierte diese «absolute» Rallyemaschine noch als Prototyp – und siegte mit Munari/Mannucci. Anfang Oktober 1974 war die Stratos-Homologation dann perfekt – es folgte eine einzigartige Erfolgsserie des in Rennausführung bis zu 380 PS starken Zweisitzers. Munari/Mannucci gewannen die Rallye Monte Carlo 1975 und 1976; 1977 setzte sich Munari mit Maiga durch, 1979 holten sich Darniche/Mahé den begehrten Erfolg für die Farben des französischen Lancia-Importeurs. 1976 wurde für den Giro d´Italia sogar ein 480 PS starker Stratos mit Turboaufladung vorbereitet, auf dem Facetti/Sodano triumphierten. Mit dem Stratos gewann Lancia 1974, 1975 und 1976 zudem die Markenweltmeisterschaft. Nachfolger des schier unschlagbaren Stratos wurde dann der 1982 vorgestellte Tipo 037. Das niedrige Mittelmotorcoupé mit Heckantrieb wies einen Zweiliter-16V-Vierzylinder auf und kam dank Volumex-Kompressor auf 350 PS. Nach Siegen der finnischen Kombination Alen/Kivimaki bei der Tour de Corse und der Rallye Sanremo sowie von Röhrl/Geistdörfer anlässlich der Akropolis-Rallye sicherte sich Lancia 1983 die Markenweltmeisterschaft, während Biasion/Siviero den Europa-Titel einheimsten. Etwas magerer fiel die WM-Ausbeute 1984 aus. Lancia musste sich mit einem Sieg bei der Korsika-Rallye begnügen, die mit einem tragischen Unfall verbunden war: Der junge Lancia-Fahrer Attilio Bettega fand auf der Mittelmeerinsel den Unfalltod.

East African Safari 1976: Vic Preston auf Stratos im Kampf mit den Elementen

Die PS-Zahlen stiegen bei den führenden Rallye-Akteuren mittlerweile ins Unermessliche – Turbomotor und Vierradantrieb wurden immer selbstverständlicher. Ab 1983 arbeitete man bei Lancia am Projekt S4. Dieses in der schärfsten Ausbaustufe über 640 PS starke Auto erinnerte optisch an den Serien-Delta, wies aber einen Rohrrahmen sowie Vierradantrieb mit zentralem Getriebe auf. Sein 1,8-L-Vierzylinder wurde sowohl von einem KKK-Turbolader als auch von einem volumetrischen Kompressor aufgeladen. Anfang November 1985 erfolgte die Homologation und noch im gleichen Monat verzeichneten die S4 bei der englischen RAC-Rallye einen Doppelsieg mit Toivonen/Wilson und Alen/Kivimaki. 1986 liess Lancia auch bei der Rallye Monte Carlo nichts anbrennen, doch während der Tour de Corse gab es einen bösen Rückschlag: Bei einem tragischen Unfall verloren Toivonen und Cresto ihr Leben, und man musste einsehen, dass die Gruppe-B-Boliden einfach viel zu stark und schnell geworden waren. Ab 1987 wurden diese superpotenten Autos aus den Rallyes verbannt. Herbst 2013 131


Holt sich den siebten Rang: der Lancia LC2 mit Dreiliter-V8-Turbomotor, gefahren von Pescarolo/Baldi/Cesario, anlässlich der 24 Stunden von Le Mans 1985

Riccardo Patrese 1980 auf dem Beta Montecarlo Turbo mit 1,4-Liter-Motor, der in der Zweiliterklasse unschlagbar ist

Parallel zu den Rallye-Aktivitäten konzentrierte sich Lancia von 1979 bis 85 auf Langstreckenrennen. Zuerst wurde zwischen 1979 bis 81 der Lancia Beta Montecarlo nach der damaligen Gruppe 5 eingesetzt. In der ersten Saison bestritt man elf WMLäufe; als Fahrer fungierten Riccardo Patrese, Walter Röhrl, Eddie Cheever, Michele Alboreto, Carlo Facetti oder Piercarlo Ghinzani. Hans Heyer fuhr den Beta Montecarlo auch in der DTM. 1980 gingen Patrese/Cheever bei den 6 Stunden von Mugello als Gesamtsieger hervor. Dank der vielen Klassensiege gewann Lancia 1980 die Markenweltmeisterschaft – und Heyer den DTMTitel. 1981 gab es auch eine Version mit 1773 cm³ Inhalt und Doppelturbo, die auf 490 PS kam, allerdings musste diese Version direkt gegen die Porsche antreten. Es gab einen Gesamtsieg bei den 6 Stunden von Watkins Glen, ebenso reichten die in der Zweiliterklasse geholten Punkte für den zweiten WM-Titel aus. Am 16. Mai 1982 debütierte dann in Silverstone der 640 Kilo schwere Spyder Endurance nach Gruppe 6. Das Auto bot spektakuläre Einlagen und fuhr drei Siege ein. Lancia arbeitete da bereits am LC 2-83 mit 2,6-L-V8-Triebwerk, das von Ferrari kam und mittels zweier KKK-Turbolader auf 650 PS gebracht worden 132 VECTURA #8

war. Später mit Dreiliter-Motor eingesetzt, wurde der LC oft von Defekten zurückgeworfen, aber 1983 gewann dieser Lancia das 6-Stunden-Rennen von Imola. Das beste Le-Mans-Ergebnis erzielten die Lancia-Achtzylinder 1985 mit dem sechsten Rang von Wollek/Nannini und einem siebten Platz von Baldi/Cesario. In den nun folgenden Jahren konzentrierte sich Lancia wieder auf den Rallyesport. Anlässlich der Korsika-Rallye 1987 setzten die Italiener erstmals den Delta 4WD mit 260-PS-Turbomotor ein. Die Erfolgsserie dieses allradgetriebenen Modells reichte bis 1992: Lancia gewann sechsmal die Markenweltmeisterschaft, viermal wurden DeltaFahrer auch Weltmeister. Herausragend war auch die Erfolgsserie bei der Rallye Monte Carlo: 1987 siegten Balas/Laine, 1988 Saby/Fauchille, 1989 Biasion/Siviero, 1990 und 1992 Auriol/ Occelli. Ende 1992 zog sich das Werk aus dem Rallyesport zurück, weil die Kosten zu hoch geworden waren – 1993 wurden die Lancia Delta 4WD noch vom Jolly Club eingesetzt. Während die Rundstrecken-Erfolge von Lancia heute eher durchschnittlich anmuten mögen, dürfte die Rallye-Bilanz der seit 1969 zu Fiat zählenden Marke nur schwer zu toppen sein.


Rennsport

Rallye Argentina 1986: wuchtiger Auftritt des Delta S 4 Gruppe B mit aufgeladenem 1,8-Liter-Mittelmotor und Allradantrieb

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Grosse Freude herrscht bei Kankkunen/Piironen auf Delta HF der Gruppe A 4x4 nach dem Sieg der England-Rally 1987

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134 VECTURA #8


FAHRTERMIN

Unbekannter

H E RO Zwischen Ypsilon und Thema steht bei Lancia der Delta: Wer ihn einmal fuhr, steigt gerne wieder ein. Jetzt gibt es den geräumigen Hatchback auch mit Momodesign – doch wie vertragen sich Grandezza-Stil und Sport-Appeal? Text Simon Baumann · Fotos Ian G. C. White

G

eschichte kann eine Bürde sein: Die glorreichen Zeiten, in denen Lancia von Sieg zu Sieg raste (siehe S. 124), sind lange vorbei – und dennoch gegenwärtig: Nur zu oft wird das aktuelle Portfolio mit jenen knackigen Roadstern, Coupés oder Allrad-Helden verglichen, deren gierige Motoren ein so schönes Echo auf die Hänge an den Uferstrassen der Amalfi-Küste warfen. Der Gestern-Heute-Vergleich ist ebenso ernüchternd wie unfair: Tatsächlich ist Lancia eine der wandlungsfähigsten Automarken der Welt. Beispiel gefällig? In den 1970er-Jahren wagte man es, einige der optisch schrägsten Limousinen zu bauen, die Italien je hervorgebracht hat. Design hat seit jeher einen hohen Stellenwert bei Lancia; Modelle wie Gamma Berlina oder Beta HPE geniessen unter Kennern längst Kultstatus. Mit dem Stadtfloh Y10 (aka Autobianchi) eroberte man Mitte der 1980er-Jahre nicht nur Juppies, sondern kreierte gleichzeitig das Segment luxuriöser Kleinstwagen; andere Hersteller zogen schnell nach. Okay, der 1999 eingeführte und technisch auf dem Fiat Bravo/Brava basierende Lybra war keine Heldentat und auch der aktuelle Flavia auf Chrysler-200-Basis ist… – nun ja. Doch solche Ausreisser kommen in den besten Familien vor. Stärker wurde das LanciaImage durch eine zeitweise zweifelhafte Zuverlässigkeit beschädigt. Heute leidet die Marke vorrangig unter einem fehlenden Bekenntnis zur Zukunft. Dazu kommt, dass Mutter Fiat der Tochter so gut wie kein Budget zugesteht, mit dem sie ihren Ruf rehabilitieren könnte. Immerhin engagiert sich Lancia bei gesellschaftlichen Anlässen wie dem ältesten Filmfestival Italiens im sizilianischen Taormina, chauffiert Stars sowie VIP-Gäste zum Event und knüpft so an ruhmreichere Zeiten an. Die Lancia-Gegenwart ist also vielschichtig. Und dann – peng! – steht dieser geheimnisvoll dunkel abgetönte Delta vor uns. Er kommt nicht vom Tuner, sondern direkt aus dem Werk: Lancia hat mit Momodesign zusammengearbeitet, das 1981 aus dem vom italienischen Rennfahrer Giampiero Moretti (1944–2012) in den 1960er-Jahren in Monza gegründeten Lenkrad- und Felgenproduzenten hervorgegangen ist. Momodesign entwirft Uhren, Schuhe, Motorradhelme oder Möbel – und veredelt jetzt ein ganzes Auto. Der dem Lancia sonst eigene (und etwas retro wirkende) Chromschmuck reduziert sich beim exklusiven, weil seltenen Momo-Modell auf ein angenehmes Mass; nur die Herbst 2013 135


FAHRTERMIN

Zierleisten oberhalb der Seitenfenster glitzern noch. Andere Anbauteile inklusive Kühlergrill – schwarz. Oder metallisch schillernd schwarz, was in der Kombination mit abgetönten Fondscheiben und der (optionalen) Bicolor-Lackierung unseres Testwagens besondere Akzente setzt. Dazu gibt es spezielle Momo-Alufelgen sowie Sitzpolster mit geprägter Textur und belederten Flanken – eigentlich sind das nur wenige Zutaten, doch sie machen viel aus. Momo spricht von «Aufmerksamkeit bis ins Detail». Den «Lancia Delta S by Momodesign», wie er offiziell heisst, gibt es derzeit nur in Kombination mit dem 190 PS starken BiturboDiesel. Dieser Motor wäre ohnehin unsere Wahl gewesen, denn in Sachen Selbstzünder ist man im Fiat-Konzern bestens aufgestellt. Der Delta macht da keine Ausnahme; er geht dynamisch nach vorne und erreicht seinen Drehmoment-Peak bereits bei 2000 Touren. Weil die Kraft über ein fein sortiertes Sechsgang-

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Schaltgetriebe weitergereicht wird, ist immer genug Schub vorhanden. Dazu kommt eine Sporttaste, welche die elektronische Federung (Aufpreis) strafft, die Lenkung versteift und auch die Gasannahme ein wenig schärfer kalibriert. Brauchen tut man das nicht, aber es würzt die Darbietung, zumal der stärkste DieselDelta erstaunlich gut isoliert ist und recht leise zu Werke geht. Beeindruckend in diesem Segment ist auch die Fahrkultur des mit 4,52 Meter Länge gerade noch kompakten Italieners. Gegenüber anderen Vertretern der Golf-Klasse punktet der Lancia mit seinem stattlichen Radstand von 2,7 Meter, der nicht nur für mehr Abrollkomfort sorgt, sondern in erster Linie dem Innenraum zugute kommt. Der Delta hat hier schon Mittelklasse-Niveau, vor allem hinten sind die Platzverhältnisse feudal; die Rückbank lässt sich verschieben und bietet neigbare Rückenlehnen. Wird der Fond zum Laderaum, passen sogar zwei Töff hinein – wir haben es ausprobiert!


RUBRIKEN

Technische Daten Technische Daten Lancia DeltaMercedes S by Momodesign S 500 Langversion Konzept Sportlich veredelte Version der italienischen Kompakt limousine. Fünf Türen, fünf Sitzplätze, variabler Kofferraum. Frontantrieb Motor

Reihenvierzylinder-Diesel mit Common-Rail-Einspritzung, vorne quer eingebaut. Zwei Turbolader, ein Ladeluftkühler

Hubraum in cm3 Bohrung x Hub in mm Leistung in PS (kW) @ U/min Max. Drehmoment in Nm @ U/min Kraftübertragung

1910 82 x 90,4 190 (140) @ 4000 400 @ 2000 M6

Abmessungen (L/B/H) in cm Radstand in cm Spur vorne/hinten in cm Reifen und Räder

452/180/150 270 154/153 205/55 R16 auf 7J

Tankinhalt in L Kofferraumvolumen in L Leergewicht (ohne Fahrer) in kg Zulässiges Gesamtgewicht in kg Leistungsgewicht in kg/PS

58 380–1190 1430 2000 7,5

0 – 100 km/h in Sek. Höchstgeschwindigkeit in km/h

7,9 222

Durchschnittsverbrauch* in L/100 km CO2-Emission in g/km Energieeffizienzkategorie Preis ab CHF

5,7 149 C 34 990.–

* gemessen nach NEFZ: Neuer Europäischer Fahrzyklus

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FAHRTERMIN

Beeindruckend in diesem Segment ist auch die Fahrkultur des mit 4,52 Meter Länge gerade noch kompakten Italieners

Ein verstellbarer Ladeboden macht die Variabilität komplett. Auch vorne sitzt es sich bequem, kann der Fahrer fast alles passend justieren. Die stark reflektierende Instrumentenverglasung mag zu der geäusserten Detailliebe allerdings nicht so recht passen. Dafür kann Momo nichts, doch ist es unser mit Abstand grösster Kritikpunkt bei diesem ansonsten gut gemachten Auto. Auch das überteuerte Infotainmentsystem mag nicht recht überzeugen – jedes Smartphone kann das heute besser. Im Klang allerdings – die Lautsprecheranlage stammt wahlweise von Bose – ist der Lancia wieder top. Dazu gibt es weitere Extras wie den Spurhalteassistenten oder die automatische Einparkhilfe – Rückwärtsgang einlegen und loslassen, alles andere macht der Wagen. Gefallen hat uns auch die Verarbeitung der nunmehr dritten Delta-Generation, die beim Euro NCAP fünf Sterne erreicht. Technik, Komfort und dynamisches Design – der Momo-Delta bietet viel von allem und bleibt dabei preiswert. Den HinguckFaktor gibt es obendrauf. Wer es eine Nummer kleiner mag, könnte sich mit dem Ypsilon anfreunden, den es jetzt ebenfalls in einer Momodesign-Version gibt. Das doppelt sportive LanciaBekenntnis darf also durchaus beklatscht werden – und das nicht nur in Taormina. 138 VECTURA #8

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AUTO-BIOGRAFIE

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er Mann hat schon viele Autos besessen – die Liste umfasst nur solche, die er auch tatsächlich zugelassen hat. «Einige andere bin ich nur mit Garagen-Nummer gefahren; es waren viele.» Bestimmte Präferenzen hat Jürg Bärtschi bei seinem Fuhrpark nicht – das Bauchgefühl spielt die entscheidende Rolle. Und wie kam er an die neueren Japaner? «Die lokale Toyota-Garage ist seit 25 Jahren ein guter Kunde von mir, und ich halte ihr die Treue.» Klare Ansage.

Als wir auf seinen Colani GT kommen, lächelt der gebürtige Thunstetter wie ein kleiner Bub: «Colani-Fan war ich schon als Kind – weil er immer schon ein genialer Querdenker war und mich die Formen ansprachen – das war anders als alles andere, was sonst so auf der Strasse herumfuhr.» Mitte der 1980erJahre lernte er den Meister persönlich kennen: «Damals zog Luigi von Japan in die Schweiz; es stand in allen Zeitungen. Ich hatte mich gerade selbstständig gemacht, als ein Freund von mir, der seinerzeit beim Motorrad-Tuner Egli Racing arbeitete, vorbeikam und sagte: ‹Du musst mir ein Töff lackieren für einen Weltrekord-Versuch!› Die Vollverschalung hatte Colani entworfen; ich spritzte sie knallrot. Anschliessend rief ich bei ihm an, und er forderte mich auf: ‹Komm schnell nach Bern; ich habe viel Arbeit für dich!› So lernten wir uns schliesslich kennen.» Die Männer mochten sich auf Anhieb und es entstand eine Freundschaft, die bis heute anhält. Bärtschi arbeitete bis 1991 für den Stardesigner im Modellbau. In seiner Begeisterung begann er, ColaniProdukte zu sammeln: Einige bekam er vom Urheber geschenkt, andere kaufte er in aller Welt – und eröffnete 2008 ein Museum (www.colaniswelt.ch). Den seltenen GT hat Bärtschi bereits 2004 bei Ebay ersteigert: Der ist Anfang der 1950er-Jahre Colanis erstes tatsächlich gebautes Automobil gewesen und basiert auf dem VW Käfer. Das Internet-Exemplar gehörte einem Zahnarzt im deutschen Lemgo, war rot und kostete schliesslich 8150 Euro. Statt dem Original-1200er-Motor war ein 1600er eingebaut, dazu Porsche-Armaturen und -Tiefbettfelgen. «Auf Luigis Anraten hin habe ich das Auto matt-silber lackiert und beim Sattler im Dorf eine rote Lederausstattung bestellt», erzählt der 55-Jährige. Der GT wird nur bei schönem Wetter gefahren – nicht zuletzt, «weil es ausser der Frontscheibe keinen Regenschutz gibt – das ist Roadsterfahren pur und weckt Emotionen!» Neben dem GT besitzt Bärtschi seit 2011 noch einen zweiten Colani – den aerodynamisch optimierten Ford Ka. «250 wurden gebaut; ich habe Luigis Auto mit der Nummer 001.» map

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Fahrer

Jürg Bärtschi, Jahrgang 1958, Autolackierer aus Aarwangen

Ex-Autos Citroën 2CV, VW Käfer, Fiat 128 Coupé, Fiat 124,

Mercedes 220 CE, Fiat Topolino, Chevrolet Bel Air, Toyota Previa, Ford Taunus «Weltkugel», Toyota Picnic, Toyota Aygo, Toyota IQ

Aktuell Colani GT, Baujahr 1958

1584 cm3, 50 PS bei 4200 U/min, 107 Nm bei 2200/min, 0–100 in ca. 12 s, Leergewicht 720 kg, Vmax 160 km/h, Neupreis k. A.


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LEKTÜRE

Art-déco-Stil: viertürige, vierfenstrige Cabriolet-Karosserie auf Basis eines Hispano-Suiza-J-12-Chassis, ca. 1932. Dieser Entwurf wurde nicht realisiert. Hergestellt wurde dagegen ein ähnliches Hispano-Suiza-Unikat, das sich heute in Schweizer Besitz befindet

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PRACHT UND PRESTIGE

Der Ruhm klassischer Schweizer Karossiers wie Beutler oder Graber ist ein weltweiter. Dazu kennt man allgemein britische, französische und italienische Raritäten – aber germanische? Eine Kassette aufwendig reproduzierter Drucke und Dokumente lässt die Blütezeit der Berliner Manufaktur Erdmann & Rossi wieder aufleben Text Dermo S. Kane

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Lektüre

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ie Jahre zwischen 1910 und 1940 – das war die Epoche der Karosseriebaufirmen. Während dieser drei Dekaden orderten Autokäufer, die es sich leisten konnten und kein uniformes Serienfahrzeug haben wollten, ein Chassis der grossen Automobilfirmen wie Daimler, Maybach, Horch, Rolls-Royce oder Bentley. Und anschliessend liessen sie sich eine individuelle Karosse dafür bauen. Berlin galt als das Zentrum des deutschen Karosseriehandwerks. Das wichtigste Unternehmen – neben Jos. Neuss, Alexis Kellner und Voll & Ruhrbeck – war die Firma Erdmann & Rossi in Berlin-Halensee. Im Rückblick müssen als die erfolgreichste Zeit des Unternehmens die 30er-Jahre gelten, in denen Erdmann & Rossi zum Spitzenproduzenten aufstieg. In den Jahren 1938 und ʼ39 produzierte das Werk jeweils rund 100 Automobile mit individuell gestalteten Aufbauten.

zugänglich macht. Es handelt sich um sechs herausragende Erdmann & Rossi-Entwürfe von Modellen der Marken MercedesBenz, Maybach, Rolls-Royce und Hispano-Suiza, die nach Originalzeichnungen aus dem Werk sowie einem Ölbild von 1912 angefertigt wurden. Nicht nur die grossformatigen Motive und das kompetent-informative Booklet, in dem die einzigartige Geschichte der Fahrzeuge rekapituliert wird, sondern auch die Qualität der auf 200 Exemplare limitierten sowie nummerierten Reproduktionen überzeugen: Der Druck erfolgte Siebdruck mit bis zu zwölf Farben pro Motiv, ausgeführt auf Büttenpapier von Hahnemühle – der Aufwand eines solchen, heute nur noch selten angewandten Verfahrens wird in der Detailzeichnung eines jeden Motivs deutlich. Dass die Produzenten auch in der Konzeption und Gestaltung der Mappe selbst mit kompromisslosen Qualitätsansprüchen zu Werke gingen, macht das Werk umso überzeugender. Man fühlt man sich nicht nur thematisch, sondern auch optisch und haptisch in eine Ära zurückversetzt, in der das Auto noch ein bestauntes Wunderwerk gewesen ist. Was uns jetzt noch fehlt, sind die passenden Bilderrahmen…

Aus den Produktionsräumen in Berlin-Halensee stammende Exemplare gehören heute zu den gesuchtesten Pretiosen der Klassik-Szene. Nicht selten führen sie die Siegerlisten der internationalen Concours an. Daneben existieren einige wenige Originaldokumente aus dem Studio von Erdmann & Rossi, Schriftstücke, aber auch eine Reihe feinst ausgeführter Zeichnungen und Bilder. Der in Berlin lebende Automobil-Historiker und Sammler Rupert Stuhlemmer verfügt über eine weltweit einzigartige Kollektion solcher Zeichnungen und Bilder, die er nun im Rahmen eines Gemeinschaftsprojekts mit dem Frankfurter KAC (Kaiserlicher Automobil-Club) allen interessierten Sammlern so

Kaiserlicher Automobil-Club, Traditionsclub des AvD: Erdmann & Rossi –

Messe-Star 1933: Zweitürige Stromlinien-Coupés waren damals sehr en vogue. Dieses hier ruht auf dem Chassis eines Mercedes-Benz 170

Reine Handarbeit: das Konstruktionsbüro von Erdmann & Rossi nach Übernahme der Konkurrenzfirma Jos. Neuss im Jahr 1933

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6 car documents. Kunstdrucke im Format 67 x 34,5 cm plus 36-seitigem Booklet (englisch/deutsch) und Kassette, auf 200 Exemplare limitierte Auflage, CHF 1200.–. Bestellungen können per Post beim KAC, Lyoner Strasse 16, D-60528 Frankfurt oder via E-Mail bei info@kaiserlicher-automobil-club.de platziert werden.


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swiss made

Wenn es um jede

Die Uhrenmarke Certina ist offizieller

sekunde

auch offizieller Zeitnehmer der FIA-WRC-

Tausendstel-

Partner des Sauber-F1-Teams und seit 2013

geht

Rallye-Weltmeisterschaft. Präzision steht

W

er an Schweizer Zeitmesser denkt, kommt vielleicht nicht sofort auf Certina. Kenner schnalzen dagegen mit der Zunge, denn die 1888 in Grenchen gegründete Manufaktur bietet viel Technik, Design und hochwertige Verarbeitung für relativ kleines Geld.

Die ersten Armbanduhren kamen 1906 auf den Markt – und waren Damenmodelle: Herren pflegten damals noch eine Taschenuhr zu tragen; so gesehen war Certina dem Zeitgeist weit voraus. 1918 fertigte die Firma ihre ersten eigenen Werke an – und präsentierte 1936 mit der ersten digitalen Uhr eine Weltneuheit: Ein Standarduhrwerk mit mechanischer Feder brachte mit Ziffern bedruckte Scheiben zum Drehen. 1955 arbeiteten bereits 500 Angestellte für Certina; die Tagesproduktion betrug 1000 Uhren. 1959 debütierte schliesslich die Uhrenserie DS-Serie: Das Kürzel stand für doppelte Sicherheit («Double Security») des Uhrwerks, weil es in ein besonders robustes Gehäuse eingebaut wurde. Bisher hielten Uhren mit automatischem Aufzug nur Stürzen vom Fallbären bis maximal 2,2 Meter stand. Die innovative Certina DS vertrug dagegen bis Stösse bis zu sechs Meter, dazu war sie bis zu 20 Bar (200 m) wasserdicht, womit sie sich eine Vor146 VECTURA #8

bei dem Schweizer Traditionsunternehmen an erster Stelle. Das gilt auch für das neueste Modell, den DS-2-Chronographen mit Eta-Precidrive-Werk Text sb · Fotos Werk

reiterrolle in der Uhrenindustrie verdiente. Auch schwankende Temperaturunterschiede konnten ihr nichts anhaben. Mit ihren Konstruktionsmerkmalen und Nehmerqualitäten empfahl sich die Certina DS schnell für extreme Einsätze. 1960 war sie erstmals im Himalaya bei der Erstbesteigung des 8222 Meter hohen Dhaulagiri dabei; 1968 begleitete sie die US-amerikanische Marine bei der Erforschung der Delfine. Certina gab sich mit diesem Erfolg nicht zufrieden und entwickelte 1971 ein Modell namens Biostar, das den körperlichen, geistigen und emotionalen Biorhythmus ihres Trägers anzeigen konnte. Weitere Spezialitäten folgen, zum Beispiel der Regatten-Chronograph Chronolympic. Inzwischen gehörte Certina zur ersten Wahl von Spitzensportlern: Der Belgier Roger de Coster, dreifacher Weltmeister in der 500-cm3-MotocrossKlasse, gehörte ebenso zu den zufriedenen Trägern wie Muhammed Ali alias Cassius Clay oder der spanische Motorradrennfahrer und zweifacher Weltmeister Àlex Crivillé. 1983 trat Certina der SMH-Gruppe bei (heute Swatch Group), wurde 1995 deren Sportmarke und stellte die


«Cascadeur»-Modelle vor, deren Armbänder einer Motorradkette nachempfunden waren. Gleichzeitig wurde der Hersteller zum offiziellen Zeitnehmer der Motorrad-Weltmeisterschaften ernannt und sponserte den amtierenden Champion Mike Doohan. Inzwischen waren neue DS-Versionen entstanden. 2002 kooperierte man mit Rallye-Ass Colin McRae, 2003 mit Sete Gibernau, einem der ernsthaften Anwärter auf den Weltmeistertitel in der MotoGP-Klasse, und Thomas Lüthi, dem äusserst talentierten Schweizer Fahrer in der 125-cm3-Klasse und späteren Weltmeister. 2005 ging man eine strategische Partnerschaft mit dem Sauber F1 Team ein und seit 2009 arbeitet Certina mit Ole Einar Bjørndalen, dem erfolgreichsten Biathleten der Geschichte, zusammen. Pünktlich zum 125-jährigen Firmenbestehen erhält Cerina eine überarbeitete Identität und kehrt mit neuem Logo zu den Wurzeln zurück. Motorsport ist und bleibt ein Thema: Seit Anfang Jahr ist man auch Zeitnehmer der FIA-WRC-Rallye-Weltmeisterschaft. Parallel legt man ein dynamisch-maskulines Modell auf, das höchste Ansprüche befriedigen kann – den DS-2-Chronographen. Dessen Herzstück bildet das neue Swiss-Made-Eta-Precidrive-Quarzwerk mit 1/100stel-Sekunden-Genauigkeit, 12-Stunden-, 30-Minuten- und 60-SekundenFunktionen sowie Datum. Das Spitzenwerk liefert ChronometerPräzision in einer sportlichen und schönen Uhr, die in mehreren Versionen ab 775 Franken erhältlich ist. Neben der bereits sehr attraktiven Standardversion gibt es auch eine auf 1888 Exemplare limitierte Auflage mit COSC-Zertifikat: Die Stückzahl ist ein schöner Bezug auf die Anfänge – und ein begehrtes Sammlerstück dazu.

Die Uhrenserie DS debütierte 1959. Das Kürzel stand und steht bis heute für «Doppelte Sicherheit» (Double Security)

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RUBRIKEN

einmal die

WELLE machen PS-starke Powerboote sind mondäne Partylöwen zur See. Längst haben auch Autohersteller den maritimen VIP-Faktor entdeckt; die Liste entsprechender Prototypen und Projekte ist lang. Doch nur wenige Häuser lichten tatsächlich Anker – und trauen sich hinaus auf die offene See Text Thomas Imhof · Fotos/Illustrationen Umberto Guizzardi, Franco Zagari, Werk

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ährlich ziehen sie vor Monte Carlo, Cap Ferrat, Saint-Tropez oder Sardinien die grosse Leistungsshow ab. Dann dümpeln die teuersten und grössten Yachten der Welt wie schwimmende Städte im Mittelmeer. Neben der reinen Faszination sind es auch demonstrierter Reichtum und technologischer Overkill – elitäre Zutaten, die man bei Strassenfahrzeugen höchstens in einer gut sortierten Sammlung erlesener Rennund Sportwagen finden kann. Da Eigner teurer Yachten in der Regel auch gleich mehrere Superautos vom Kaliber Bentley, Ferrari, Lamborghini, Porsche oder Rolls-Royce in der Garage haben, gibt es als «dernier cri» schon erste Luxusboote mit integrierter Garage für den vierrädrigen Untersatz. Aktuelles Beispiel ist der vom monegassischen Yachtbauer Ultra Luxum präsentierte Segel-Trimaran CLX. Das zusammen mit McLaren Applied Technologies entworfene Boot bietet neben Luxus-Features wie Spa-Bereich, Lounge und Speisesaal eben auch einen abgeschlossenen Carport für den McLaren MP4-12 C. Die seitlichen Rümpfe des 150 Tonnen schweren Schiffes sind ausklappbar, was dem 48 Meter langen und dann 23 Meter breiten CLX auf hoher See mehr Stabilität verschaffen soll. Falls einmal Flaute herrscht, muss der ultraschnelle Segler übrigens nicht vor sich hindümpeln – ein Hybrid-Antrieb mit Lithium-Ionen-Batterien sorgt dafür, dass zumindest die nächste Küste erreicht wird. Veranschlagter Preis für das bislang nur im Computer existierende dreistöckige Traumschiff: 25 Millionen Euro. Spektakuläre Konzepte Über das Stadium einer Animation ist auch der 2011 vorgestellte Audi-Trimaran bisher nicht hinausgekommen. Er basiert auf einer Diplomarbeit von Stefanie Behringer von der FH Pforzheim und wurde im Audi Konzept Design

Ein Quattro fürs Wasser: Entwurf eines Audi-Trimarans mit Auslegern für zwei elektrische Jetski

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Noch ein Trimaran, diesmal von McLaren und Ultra Luxum mit eingebauter Garage

Studio in München weiterentwickelt. Clou des Modells: Neben zwei im Hautrumpf installierten Audi-TDI-Dieselmotoren finden sich zwei Ausleger, an denen elektrisch betriebene Jet-Boote andocken können. Mit deren zusätzlichem Antrieb ist es möglich, mit bis zu acht Knoten (15 km/h) emissionsfrei und nahezu geräuschlos Häfen und Buchten zu durchkreuzen. Audi und McLaren sind nicht die einzigen Autohersteller, die es virtuell aufs Wasser zieht: Im Markt der teuren und schnellen Luxusyachten herrscht aktuell Goldgräberstimmung. «Das Segment für anspruchsvolle Sport- und Luxusboote wird bis 2016 allein in China von heute 20 000 auf 100 000 Schiffe pro Jahr anwachsen», weiss der ehemalige Automobil-Stardesigner Patrick Le Quément. «Das ist speziell für Autobauer der Oberklasse lukrativ, weil die Chinesen sehr markenbewusst sind.» Der Franzose ist fasziniert von diesem Markt – und verliess nach einer langen Karriere mit Top-Positionen bei Ford, VolkswagenAudi und zuletzt Renault vor fünf Jahren die Auto-Szene. Laut eigener Aussage geniesst er heute mehr stilistische Freiheiten als früher und ist offenbar sehr erfolgreich: Zwei seiner Entwürfe sind inzwischen schon zum «Europäischen Boot des Jahres» gewählt worden. Aktuell arbeitet der 68-Jährige bereits an seinem 15. Bootsprojekt – einem über 50 Meter langen, ultramodernen Katamaran. Die von Le Quément beschworenen rosigen Zeiten für gutes Boot-Design scheinen vor allem Mercedes und die Daimler-Tochter AMG längst erkannt zu haben. Die Schwaben legen sich von allen Autobauern momentan am kräftigsten ins Zeug, wenn es gilt, im boomenden Sportboot-Segment ordentlich Strömung unter den Kiel zu bekommen. Stapellauf im 19. Jahrhundert Boote mit Stern haben ohnehin eine lange Tradition. Bereits im August 1886 unternahmen Gottlieb Daimler und Wilhelm Maybach mit ihrem von einem Einzylinder-Gasmotor angetriebenen Boot erste Probefahrten auf dem Neckar. 1888 schenkte Daimler ein Exemplar an den Deutschen Reichskanzler Otto von Bismarck, der es auf den


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Namen seiner Tochter taufen liess. 1922 gelangte die 1,3 PS starke «Marie» zurück in Daimler-Besitz – und ist heute im Mercedes-Museum zu bewundern.Vom Kaiserreich in die Neuzeit: Auf der Monaco Yacht Show wird Ende September eine von Mercedes-Benz Style und der neu gegründeten Silver-ArrowsWerft entwickelte Luxus-Motoryacht namens «Granturismo» vorgestellt. Der «Silberpfeil für die Meere» ist wendige 14 Meter lang, 3,70 Meter breit und hat nur 80 Zentimeter Tiefgang. Für Schub sorgen zunächst zwei Dieselmotoren mit jeweils 480 PS; auch ein Hybridantrieb wird für später angedacht. «Ein Boot zu entwerfen, war für uns Automobildesigner eine sehr reizvolle Herausforderung», bekennt Mercedes-Designchef Gorden Wagener. «Es galt, die Mercedes-Benz-Designsprache auf die besonderen Proportionen und spezifischen Anforderungen eines Boots zu übertragen.» Das Exterieur sei Ausdruck «sinnlicher Klarheit» – und die Gestaltung der Oberflächen, die klare Linienführung, aber auch die Proportionen der Yacht seien

eindeutig vom Auto inspiriert. «Beim Interieur haben wir den typischen Mercedes-Benz-Wrap-around-Charakter umgesetzt», betont Wagener in bestem Marketing-Sprech. «Die Flächen entwickeln sich fliessend und dreidimensional um die Fahrgäste herum. Auch die verwendeten Materialien wie das Holz oder Leder ähneln denen unserer aktuellen Showcars.» Aha. Die als «Crossover» konzipierte Yacht soll durch eine hohe Variabilität und intelligente Raumnutzung trumpfen und ist laut Hersteller für Tagesausflüge ebenso geeignet wie für grössere Törns. Am Oberdeck hat sie eine Glaskuppel, die bei voller Fahrt von rund 30 Knoten (55 km/h) geschlossen werden kann. Ist der Anker ausgeworfen, kann man am Heck eine Badeplattform («Terrace by the pool» genannt) ausfahren. Der auf ersten Bildern leicht klobig wirkende Bootrumpf sei eine völlige Neukonstruktion, betonen die Macher: Neben GFK und Kohlefaser sollen erstmals im Bootsbau völlig neuartige Materialien zum Einsatz kommen.

Design von Ex-Renault-Designchef Patrick Le Quément: der zum «European Power Boat of the Year 2013» gewählte, hochseetaugliche Trawler «Garcia GT-54»

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LEinen los

Eine S-Klasse für die Meere: Die mithilfe der Daimler-Designer in Sindelfingen gestylte Luxus-Yacht «Granturismo» versucht, Elemente des aktuellen Mercedes-Designs auf eine Luxus-Yacht zu übertragen. Die Weltpremiere findet auf der Monaco Yacht Show Ende September statt

Daimler-Tochter AMG sorgt dank einer Kooperation mit dem legendären Rennboot-Hersteller Cigarette Racing aus Miami bereits seit 2007 für Aufmerksamkeit am Strand. Beim «46 Rider inspired by AMG» stand 2010 beispielsweise der Flügeltürer SLS Pate, was sich allein schon bei der Leistung zeigt: Das Boot wird von 1750 PS aus fünf in Reihe geschalteten MercuryAussenbordern über die Wellen gepeitscht. Die «AMG Black Series 50 Marauder» von 2012 zitierte in Farbe und InterieurDesign die C63 AMG Black Series – dank 2700 PS ist dieses Geschoss 190 km/h schnell. Auf der diesjährigen Miami Boat Show kam schliesslich die «42 Huntress» – die Zahlenangabe steht für die Bootslänge in Fuss – dazu. Das wiederum 1750 PS starke Schiff soll an den Geländewagen AMG G63 erinnern und solvente Skipper animieren, sich zwischen Offshore und Offroad zu bewegen. Als bislang letzte Cigarette mit AMG-Branding lief – ebenfalls in Florida und trotz sperriger Bezeichnung – die «Concept Cigarette AMG Electric Drive» vom Stapel. Das laut Werk «stärkste elektrisch angetriebene Boot der Welt» pflügt mit 3000 Newtonmeter und 1656 Kilowatt durchs Wasser und ist bis zu 160 km/h schnell. Die zwölf flüssigkeitsgekühlten Permanentmagnet-Synchron-E-Motoren – je sechs pro Schraube – stammen 1:1 aus dem SLS AMG, generieren aber dreimal mehr Drehmoment als im Asphalt-Pendant. Um den Techniktransfer auch optisch zu illustrieren, ist das Zero-Emission-Rennboot im gleichen grellgelben Mattlack lackiert wie der Sportwagen. Es gibt natürlich auch eine Benzin-Variante, doch der 6,2-Liter-V8 des SLS war den Amis mit 571 PS schlicht zu schwach für ein Powerboot. Sie griffen lieber zu zwei Mercury-Achtzylindern, jeder für sich neun Liter gross und zusammen 2700 PS stark. 220 km/h sind mit diesem Kraftpaket drin, aber nur bei spiegelglatter Wasserober152 VECTURA #8

fläche. Cigarette-Chef Skip Braer warnt: «Ein Rennbootpilot muss das Meer lesen wie ein Rennfahrer den Asphalt. Sonst kann die nächste Welle wirklich die letzte sein…» Das musste auf tragische Weise unter anderen Stefano Casiraghi erfahren, der 1990 mit seinem Offshore-Racer vor Cap Ferrat bei Monaco tödlich verunglückte. Drei Jahre zuvor hatte Ex-Formel-1-Fahrer Didier Pironi beim Needles Trophy Race vor der Isle of Wight das gleiche Schicksal ereilt – Offshore-Sport ist lebensgefährlich. Lamborghini-Dominanz Die Mischung aus Triumph und Tragödie lockt nicht nur die Schönen und Reichen, sondern auch Motorproduzenten magisch an. Für die Offshore-Rennen der Klasse 1 galten die V60-Grad-Zwölfzylinder von Lamborghini lange Jahre als Fahrkarte zum Sieg. Im Doppelpack erreichten diese Triebwerke locker 1500 bis 2000 PS und flogen – nur noch mit den Schrauben im Wasser – regelrecht über die Wellen. Es ist ein Ritt auf der Kanonenkugel, bei dem die von zwei Piloten gesteuerten Ungetüme in anderthalb Stunden rund 2000 Liter Treibstoff verbrennen. 2008 endete nach acht WM- und sechs EM-Titeln die «Motori Marini»-Ära von Lamborghini; bereits 2005 wurde die Sparte verkauft. Der Flirt mit dem Wasser hatte bereits Ende der 1960er-Jahre begonnen, als Ferruccio Lamborghini eine «Aquarama» seines Freundes Carlo Riva orderte – und diese «Mutter» aller Luxus-Motorboote mit zwei Vierliter-V12 seiner Sportwagen bestückte. Höchstpersönlich bestritt Ferruccio damit das erste Offshore-Rennen an der Adria. Aus seinem Privatvergnügen machten Patrick und Jean-Claude Mimran in den 1980er-Jahren ein lukratives Geschäft: Die Schweizer Brüder hatten Automobili Lamborghini 1980 übernommen und 1983 ein echtes Powerboot auf Kiel legen lassen – die «Quetzal» des Designers


Renn-Zigarren: Ob mit Verbrennungsmotoren via Mercury-Aussenborder (oben) oder als nautische Spielart des elektrischen SLS Electric Drive (unten): Die Kooperation zwischen AMG und den Powerboat-Experten von Cigarette Racing aus Miami schl채gt schon seit 2007 m채chtige Wellen

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Exklusiv: Diese klassische «Riva Super Aquarama» wurde von zwei Lamborghini-V12-Motoren angetrieben

Aldo Cicero. Als Antrieb dienten zwei auf jeweils acht Liter Hubraum aufgebohrte V12 aus dem Geländewagen LM002, die es gemeinsam auf gut 1100 PS brachten und das rund elf Meter lange Boot auf über 120 Stundenkilometer beschleunigten. Patrick Mimran erinnert sich schmunzelnd: «Rund um Saint-Tropez kreuzten damals viele Cigarettes. Wenn wir sie überholten und uns die ganzen Playboys nicht mehr folgen konnten, wurden sie grün vor Wut!» Die «Quetzal» war ein typisches Spassboot ihrer Zeit und verfügte über Lounge, Bar und Schlafzimmer, auch über Küche, Klimaanlage, Hi-Fi-System, Telefon, Radio und TV. Die kurz darauf präsentierte «Quetzal 2» gab sich dagegen im Stil eines waschechten Rennboots: Dank Hubraumerweiterung auf je 8,2 Liter plus Benzineinspritzung über 1400 PS stark und mit einem geschweissten Aluminiumrumpf schwang sich dieser nur fünf Tonnen leichte Stier der Wogen zu mehr als 160 km/h Topspeed auf. Damit war die Basis für eine Dominanz geschaffen worden, die Lamborghini im Gegensatz zum missglückten

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Vollgas: Nur noch auf ihren Antriebsschrauben tanzend, leitete die «Quetzal» ab 1983 die Dominanz von Lamborghini in der Class-1-Offshore-WM ein

Formel-1-Abenteuer nun auf dem Wasser erreichte. Neben dem 8,2-Liter-Rennmotor (L804) mit in finaler Tuningstufe 940 PS bot man auch einen entspannten 9,3-Liter mit Vergaser (L900, 630 PS) für Privatcruiser an. Wenn von Bootsmotoren die Rede ist, darf Volvo Penta nicht fehlen, weil die Schweden seit über 100 Jahren Schiffsmotoren produzieren. Allerdings – diese Triebwerke haben nichts mit dem gleichnamigen Autohersteller zu tun. Anders bei VW, wo seit 2001 und unter der Bezeichnung Volkswagen Marine modifizierte Pw-Dieselmotoren angeboten werden: Seit 2012 vertreibt Mercury Marine diese Vier-, Sechs- und Achtzylinder-TDI. An dieser Stelle seien auch die Aussenborder-Motoren von Honda, Kawasaki oder Suzuki genannt, zumal sie seit Jahrzehnten ebenso etabliert wie verbreitet sind – und ein wenig


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Was Lamborghini in der Formel 1 nicht gelang, schafften die Italiener auf dem Wasser: ein Dauer-Abonnement auf Gesamtsiege

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RUBRIKEN

Roter Baron: 1953 sicherte sich die «Arno XI» dank der Power des aus einem Formel-1-Ferrari Typ 375 transplantierten Zwölfzylinders zahlreiche Weltrekorde auf dem Lago d´Iseo

Abenteuer-Feeling auf die Autos und Motorräder abstrahlen. Andere Zweiradproduzenten zeigen inzwischen ebenfalls Begehrlichkeiten: So gibt es seit 2011 ein kleines Rennboot mit eingebautem Harley-Davidson-Motor. Nachkriegs-Akteure Zurück zu den Autoherstellern: Lamborghinis Erzkonkurrent Ferrari konzentrierte sich stets mehr auf die Formel 1 und die 24 Stunden von Le Mans – trug aber immerhin zu einem spektakulären Weltrekord bei. Am 15. Oktober 1953 raste der Timossi-Ferrari «Arno XI» mit 242 km/h über den Iseo-See – und holte den Geschwindigkeits-Weltrekord in der 800-Kilo-Klasse. Der rot lackierte Hydroplane war geschnitten wie ein Katamaran, hob sich bei Vollgas aber wie ein Tragflügelboot aus dem Wasser. Sein Rahmen bestand aus solidem Holz, dazu kamen eine Aussenhülle aus Mahagoni und ein Hilfsrahmen aus Stahl. Die Krönung des Ganzen war freilich der Motor: Konstrukteur Achille Castodi unterhielt über seine Rennfahrerkumpels Alberto Ascari und Luigi Villoresi einen heissen Draht nach Maranello. Enzo Ferrari liess sich nicht lange bitten

und verkaufte Castodi einen aus dem Ferrari 375 stammenden Zwölfender – identisch mit jenem Triebwerk, das der noch jungen Marke 1951 die ersten Formel-1-Siege beschert hatte. Betankt mit Methanol und von zwei Kompressoren zwangsbeatmet, erstarkte der 4,5-Liter von 385 auf über 500 PS bei 6000 Umdrehungen. Das Rekordboot wurde in den 90er-Jahren in einem Lagerschuppen an der Peripherie Mailands wiederentdeckt und mit Hilfe von Ferrari fachmännisch restauriert. 2012 kam es bei einer Auktion von RM Auctions für 868 000 Euro unter den Hammer. Ähnlich wie Ferrari nahm auch Maserati erfolgreich Herzverpflanzungen zwischen Rennautos und -booten vor. Die Sportwagenschmiede aus Modena vergrösserte jenen für den Rennsportwagen 450S konzipierten V8 auf zunächst 5,6 und später 6,4 Liter Hubraum, was in einer Leistung von 580 PS gipfelte. Die mit dem Dreizack-Motor bestückten Boote gewannen zwischen 1959 und 1969 in den damals sehr populären 800- und 900-Kilo-Klassen elf WM-Titel in Folge. Zuletzt machte Maserati Schlagzeilen mit

Aus derselben Epoche stammt die 1950 gebaute «Berlin III» mit Sechszylinder-Reihenmotor aus dem legendären BMW 328. Das Boot wird am 11. Oktober von Bonhams versteigert

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Der Abarth 695 Tributo Ferrari stand Pate für ein knallrotes Gummiboot von Sacs

einem 110 Fuss (33,5 Meter) langen Hochleistungssegelboot, das im Januar 2013 die «Goldrausch»-Route von New York nach Kap Hoorn in der neuen Rekordzeit von 21 Tagen, 23 Stunden und 14 Minuten durchmass (siehe VECTURA #2). Auch Lancia blickt auf eine maritime Tradition zurück, welche in den 1960er-Jahren mit den Flaminia-Rennbooten eine Blütezeit erfuhr. Bei den Filmfestspielen in Venedig 2009 trumpfte die Fiat-Tochter mit einem von Christian Grande gezeichneten Boot auf, das den Filmstars als persönliches «Vaporetto» diente. Mit flachem Aufbau, schwungvollen Linien und keck geformten Seitenfenstern unterstrich Grande trefflich den sportlichen Charakter seiner Schaluppe – das Heckfenster erinnerte sogar an klassische Vorbilder aus dem Autodesign. Auch bei aufgesetztem «Cabrio-Verdeck» konnten Biennale-Gäste auf der «Lancia di Lancia» noch aufrecht stehen. Bei schönem Wetter gab es zudem am Bug wie achtern Liegewiesen zum Sonnenbaden. Der in Schwarz und den Farben des langjährigen Motorsport-Sponsors Martini lackierte Cruiser von Luxus-Schlauchboot-Hersteller Sacs ist unsinkbar und bot Platz für bis zu elf Celebrities. Die beiden je 6,7 Liter grossen Reihensechszylinder-Diesel steuerte Fiat Powertrain bei. Zusammen schickten die Common-RailSelbstzünder 1120 PS auf die Schrauben. Damit war der stärkste Lancia aller Zeiten bei Bedarf bis zu 100 km/h schnell; der geringe Tiefgang von nur 80 Zentimeter vermied in den seichten Seitenkanälen der Lagunenstadt jeglichen Bodenkontakt.

aufgelegt wird: Die auf 199 Exemplare limitierte Serie ist ein 3,30 Meter langes Dingi aus Fiberglas und strapazierfähigem Hypalon-Neopren. Für rund 40 000 Franken erhalten (bevorzugt Ferrari-Eigner) einen 75 km/h schnellen kleinen Flitzer, wendig wie ein Jet-Ski und mit einem an Formel-1-Wagen erinnernden Überrollbügel. Das knallrote Schlauchboot bietet Platz für maximal vier Personen – und ist auch als optimales Dingi für die vor der Bucht ankernde XL-Yacht zu verstehen. Auch wenn Patrick Le Quément wenig davon hält, ein bestimmtes Autodesign auf Schiffe zu übertragen, gibt es schon seit fast 100 Jahren immer wieder Versuche – auch in anderer Richtung. Es begann in den 1920er- und 30er-Jahren mit den berühmten «boat tails» klassischer Rolls-Royce oder Auburn – und setztesich bei späteren Modellen wie dem 1971er Buick Riviera mit seinem spitz zulaufenden Bootsheck fort. VIP-Shuttle: «Lancia di Lancia» des Designers Christian Grande

Badge-Engineering Der Image-Gewinn war garantiert, doch leider blieb auch dieses wohlproportionierte und mit einem Rumpf aus Fiberglas ausgestattete Powerboot ein Einzelstück. Ganz anders der «Ferrari zum Aufblasen», welcher ebenfalls von der Sacs-Werft in Anlehnung an den Abarth 695 Tributo Ferrari Entwurf im Stil der 1963er Corvette «split window»

Vette zieht Vette – ein Werk vom US-Bootsbauer Malibu

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Zur Präsentation des XF Sportbrake stellte Jaguar ein Rennboot vor – mit viel Teakholz und D-Type-artiger Heckfinne

Bei der virtuellen «Voyage» orientierte sich Yacht-Designer Luiz de Basto an aktuellen Aston-Martin-Modellen

Ein ewig fesselndes Thema scheint auch die Transfusion von Stilelementen der US-Sportwagenlegende Chevrolet Corvette auf ein Powerboot zu sein. Ob es am Modellnamen liegt, der ja aus dem Bootsbau stammt? Der schwedische Designer Bo Zollan jedenfalls kopiert das «Split-Window»-Dach des Sting Ray Modelljahrgang 1963 und ordnet den Boots-V8 schön sichtbar unter einem zweigeteilten Glasdom an – den Zugang verschaffen zwei Flügeltüren. Auch der nordamerikanische Bootsbauer Malibu nimmt optische Anleihen vom Kultauto: Skipper und Sozius sitzen auf Original-Sitzen aus der C6 Z06; dazu finden sich am Heck vier typische Corvette-Rückleuchten, Original-Embleme und passend verchromte Auspuffrohre. 158 VECTURA #8

Scott Sjogren von der US-Werft Pier 57 trieb das Thema 2011 auf die Spitze: Sein extrem flaches Karbon-Boot MIT ZR48 übernimmt nicht nur Scheinwerfer und Rückleuchten vom Auto-Original, sondern auch weite Teile des Cockpits. Lenkrad, Uhren, Schaltknauf – alles ist wie im Auto und natürlich auch voll funktionsfähig. Allerdings wird der Schaltknüppel hier nicht zum Wechseln der Gänge, sondern als Gashebel genutzt. Die jeweils 1350 PS mächtigen Twin-turbo-V8-Motoren kommen jedoch nicht von Chevy, sondern von Mercury Racing. Rund 1,6 Millionen Franken wollen die Amerikaner für diese 14 Meter lange Aqua-Vette haben – inklusive passendem Anhänger, immerhin. Darauf kann das wie ein Batmobil mattschwarz lackierte


leinen los

Projektil seitlich stehen – und benötigt so keine Transport-Sondergenehmigung wegen Überbreite. Eindeutige Serienauto-Elemente vermittelte auch eine 2012 im Rahmen der Fahrvorstellung des neuen XF Sportbrake gezeigte Speedboot-Studie von Jaguar. Damit wollten die Briten laut Designchef Ian Callum «unsere Design-DNA in die Welt der Powerboote übertragen – mit jenen fliessenden und schnellen Elementen, die man von einem Jaguar erwartet». Spektakulärstes Feature war ein Deck aus Teakholz, das in Längsrichtung von einer Kohlefaser-Finne im Stil der Le-Mans-Siegerwagen D-Type geteilt wurde. Der Bug des Rennbootes ging nahtlos in die Windschutzscheibe und weiter bis in die rot ausgekleidete Kabine über. Auch die war mit ihrer 2+1-Sitzanordnung als Reminiszenz an historische Jaguar-Modelle gedacht; dazu kamen weitere Details wie die Tank-Einfüllkappen im Stil des Jaguar XJ Series 1. Alles very british und sehr authentisch – immerhin gibt es vom Jaguar-Boot – im Gegensatz zu vielen Computer-Entwürfen – ein voll funktionstüchtiges Unikat. Was auch auf die famose Idee eines Bugatti-Bootes aus dem Jahr 2009 zutrifft. Zum 100. Geburtstag von Bugatti hatte sich Ben Walsh, Absolvent des Londoner Royal College of Art, vom Sondermodell Veyron Grand Sport «Sang Bleu» zu einem futuristischen Entwurf inspirieren lassen. Das über neun Meter lange Powerboot sollte wie der Strassen-Veyron die Zweifarbigkeit nicht über unterschiedlich lackierte Oberflächen, sondern durch die Kombination aus Aluminium und Kohlefaser herstellen. Obwohl nur am Bildschirm realisiert, machte das Opus des heute im Interieur-Design von Peugeot Citroën tätigen Briten Furore im Internet und in allen einschlägigen Auto-Blogs. «Ein Boot von Bugatti könnte ich mir sehr gut vorstellen», sagt auch Patrick Le Quément. «Ebenso wie etwas Neues von Lamborghini, gerade aufgrund der grossen Vergangenheit der Marke im Offshore-Rennsport.» Ettore und Jean Bugatti, die in den 1930er-Jahren selbst an Rennbooten arbeiteten, hätte der Entwurf von Ben Walsh sicher gefallen. Bis auf diesen Stilbruch: Es gibt nur eine einzige und eher mickrige Schiffsschraube für den über 1000 PS starken W16-Motor.

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