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Stadtrundgang mit
GESCHICHTE IN ALLEN GASSEN
Kinder gebärende Nonnen, aus Afrika verschleppte Hausmädchen und im Rhein versenkte Hexen – an einem Frauenstadtrundgang erfährt man Erstaunliches, Kurioses und Spannendes über das Leben und den Alltag in Basel zu früheren Zeiten. Ein geschichtsträchtiger Spaziergang durch die Stadt.
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Text & Bilder: Janine Wagner
Sie sind meist weiblich, immer historisch versiert. Die Stadtführerinnen des Vereins Frauenstadtrundgang, die seit 30 Jahren die Basler Stadtgeschichte aus neuer Perspektive erzählen. Lange Zeit durften dem Verein nur Frauen beitreten, 2015 hat er sich für alle Geschlechter geöffnet. Auch der Besuch der Rundgänge, die Namen tragen wie «Hexenwerk und Teufelspakt», «Unsichtbar und unterbezahlt» oder «Brennpunkt St. Johann», ist für Männer interessant. Die beiden jungen Historikerinnen Tamara und Linda nehmen dich mit auf einen Spaziergang und geben dir ein paar Einblicke in die Basler Geschichte.
Vom Marktplatz aus gehts in Richtung Gerbergasse, mit dabei haben die beiden eine Tasche mit Requisiten und einen Hexenbesen, der im Gewühl der Stadt für belustigte Blicke sorgt. Beim Lohnhof beginnt offiziell der Rundgang zum Thema Hexen. «Der ist immer super besucht», grinst Linda, «wegen Mord und Totschlag!» Es geht aber nicht nur reisserisch zu und her bei den Führungen. Auch Themen wie Sterberituale, Alterspflege oder Frauenpolitik finden Gehör. Tamara erinnert sich an die triste Geschichte schwarzer Haushälterinnen, die im Zuge der Missionen im 19. Jahrhundert von Afrika nach Europa gebracht wurden. «Sie mussten sich um die reichen Basler Familien kümmern, um sie hat sich jedoch keiner gekümmert. Eines der Mädchen war erst 12, als es nach Basel kam.»
Alte Quelle, neue Blickwinkel
Linda erzählt von einer eindrücklichen Begebenheit zu Zeiten der Schwarzenbach-Initiative 1970. Diese sehr umstrittene Abstimmung wollte den Ausländeranteil in der Schweiz auf maximal zehn Prozent reduzieren. «An der Messe fand damals eine Veranstaltung der ‹Nationalen Aktion›, der Partei von James Schwarzenbach, statt. Das Ganze ist aber ziemlich eskaliert. Es gab aufgeheizte Zwischenrufe, die Jungen beschimpften die Alten, die Alten die Jungen. Eine ältere Dame haute einem Typen sogar ihren Schirm um den Kopf – sowas wäre heute unvorstellbar!»
Wie kommt man zu solchen Geschichten? «Recherche!», schmunzelt Linda. «Man muss sich ins Thema eingraben und dann, irgendwo in einem Buch im Keller der Bibliothek oder im Staatsarchiv, findet man etwas Spannendes», ergänzt Tamara. «Wir unterscheiden uns von anderen nicht durch die Art der Quellen, aber wir richten einen anderen Blick darauf, stellen andere Fragen», so Linda. Der Spaziergang geht weiter in Richtung Kohlenberg. Vor dem Gymnasium Leonhard präsentieren die beiden eine kleine Szene, für die sie sich Halstuch und Häubchen anziehen, denn: Ein Frauenstadtrundgang ist alles andere als trockene Wissensvermittlung! Hier werden teils auch kleine Szenen mit Requisiten vorgetragen. Was auch den Besen erklärt.
Geschlechtergeschichte im Fokus
Voraussetzung für aktives Mitwirken im Verein Frauenstadtrundgang ist ein Studium, welches die Themenwahl und Perspektiven bei der Erarbeitung der Rundgänge bereichert. «Oft stossen wir während des Studiums auf Themen, die wir einbauen können», erzählt Tamara. Der Verein wurde im Zusammenhang mit dem schweizweiten Frauenstreik von 1991 gegründet. Bis heute wird ein besonderes Augenmerk auf die Geschlechtergeschichte gelegt.
Dabei muss nicht zwingend das weibliche Geschlecht im Fokus stehen. «Wir wählen Themen, die uns interessieren – die können auch mit Umwelt oder Migration zu tun haben – und schauen dann, wie genau das mit den Frauen war. Es gibt aber auch Stationen zu Männlichkeit und wir versuchen zudem, queer-feministische Ansätze zu finden. Allerdings ist das eine echte Herausforderung, da in den Quellen meist nur von Männern und Frauen die Rede ist und wir zur Quellenanalyse neue Ansätze benötigen», so Linda.
Weiter gehts in Richtung Barfi, die Streitgasse hoch, die Freie Strasse hinunter. Tamara berichtet von der kuriosen Geschichte des ehemaligen Frauenklosters Klingental. «Die Nonnen lebten hier im Mittelalter nicht etwa fromm und bescheiden, sondern in Saus und Braus. Sie hatten Dienstmägde, badeten im Rhein, schwatzten während der Messe und eine Nonne soll sogar ein Kind geboren haben. Das gefiel den Baslerinnen und Baslern gar nicht, die sündigen Nonnen sollten vertrieben werden. Dagegen setzten die sich jedoch mit Prügel und Kochtöpfen zur Wehr – erfolgreich, bis zum Tod der letzten Äbtissin.»
Zum Abschluss unseres Spaziergangs haben wir bei der Alten Universität noch einen besonderen Ort des Grauens im Visier – das Käppelijoch. «Hier wurden zum Tod durch Ertränken verurteilte Frauen früher in den Rhein geworfen», berichtet Linda. «Die als Hexen bezichtigten Frauen trieben den Rhein hinunter, wo sie im St. Johann von Fischern herausgezogen wurden. In den Quellen steht, dass sie das Wasser aus ihnen rausgeschüttelt haben. Das kann man als Wiederbelebungsversuch verstehen – wir wissen es aber nicht genau. Vermutlich hat es Überlebende gegeben. Die wurden dann aus der Stadt gejagt.» Heute erinnert eine Gedenktafel auf der Mittleren Brücke an die Verbrechen.
Nein, es sind durchaus nicht nur fröhliche, wohlriechende Bilder, die dir der Verein Frauenstadtrundgang auf seinen Rundgängen vermittelt. Dafür kannst du Einsamkeit, Verzweiflung, Kampfeslust und Abenteuergeist vergangener Tage fühlen und gehst danach garantiert mit offeneren Augen und wacherem Geist durch deine Stadt.
Der Verein Frauenstadtrundgang Basel bietet aktuell 12 Rundgänge in verschiedenen Quartieren zu unterschiedlichen Themen an.
Tickets können online gebucht werden. frauenstadtrundgang-basel.ch
HISTORICAL TALES IN EVERY ALLEY
Nuns who gave birth, housemaids kidnapped from Africa and witches submerged in the Rhine – if you take a women’s city tour you will discover all manner of amazing, strange and exciting stories about life and daily routines in Basel in days gone by. A stroll through a city steeped in history.
They are usually women and always well-versed in history: the city tour guides of the “Frauenstadtrundgang” association, who have been recounting Basel’s history from a different perspective for 30 years now. For a long time only women were allowed to become members of the association, but in 2015 it opened its doors to people of every gender. And the tours, with subjects such as “Sorcery and a Pact with the Devil”, “Unseen and Underpaid” and “St. Johann – the Hotspot” are interesting for men too. The two young historians Tamara and Linda will take you off on a walking tour and give you some insights into Basel’s history.
The starting point is the Marktplatz in the direction of the Gerbergasse, the two of them have a bag of props with them as well as a witch’s broomstick, which draws some amused looks from the crowds in the city centre. The official start of the tour about witches is at the Lohnhof. “This tour is always very well attended”, Linda grins, “because of all the bloodletting and murder!” But the tours don’t concentrate exclusively on lurid details. They also touch on topics such as rituals for the dying, care of the elderly and women’s politics. Tamara recalls the tragic fate of black housekeepers who were brought from Africa to Europe in the wake of the missionary work there in the 19th century. “They had to look after the wealthy families of Basel, but no-one took care of them. One of the girls was just 12 years old when she came to Basel…”
Old sources, new points of view Linda tells the story of a memorable incident which occurred during the period of the Schwarzenbach initiative in 1970. This highly controversial ballot was aimed at reducing the proportion of foreigners residing in Switzerland to a maximum of ten percent. “An event was organised at Basel’s Exhibition Hall by ‘National Action’, James Schwarzenbach’s party. But the whole thing escalated quite badly. There was a lot of heated heckling, young people were berating old people, and the old people scolding the young. One elderly lady even whacked a guy over the head with her umbrella – completely unimaginable these days!” How on earth do you come up with this kind of story? “Research!” Linda smiles. “You have to delve into the subject and then, somewhere or other in a book in a cellar of the library, or in the city archives, you will stumble on something quite fascinating”, adds Tamara. “We don’t differ from the historians in the kind of source material we use, but we consider it from a different perspective, ask different questions.” explains Linda. The walk continues in the direction of the Kohlenberg. The two of them don a kerchief and a bonnet and perform a brief sketch in front of the Leonhard High School – the women’s city tour is far from being a dry transfer of knowledge! Some small scenes are even re-enacted, with props. Which also explains the broom.
A focus on gender history The precondition for actively participating in the Frauenstadtrundgang Association is to be studying for a degree that can enrich the range of topics and perspectives in the preparation of the tours. “During our studies, we often come across topics that we can integrate in the tours”, Tamara tells us. The association was founded in the context of the Swiss National Women’s Strike in 1991. And the tours still pay special attention to gender history these days.
But that does not mean that the focus is necessarily on the female gender. “We choose topics that interest us – but they can also be about the environment or migration – and then we look at how it was for the women involved. But we have stops where we address the question of masculinity too and we do try to find queer feminist approaches. Mind you, that is quite a challenge, because our source material usually only refers to men or women and we need new approaches to analysing our source material”, explains Linda.
We continue in the direction of the Barfüsserplatz, up the Streitgasse, down the Freie Strasse. Tamara tells us about the bizarre history of the old Klingental convent. “In the Middle Ages, the nuns here did not lead lives of piety and modesty, on the contrary they lived it up, in the lap of luxury. They had their own maids, bathed in the Rhine, chatted during Mass and one nun apparently even gave birth to a child. The people of Basel were most displeased about all this and wanted to banish the sinful nuns. However, the nuns put up a good fight, lashing out and banging on cooking pots – successfully in the end, because they were allowed to remain in the convent till the death of the last abbess.”
At the end of our tour, we have our sights set on a place of particular horror, near the old University – the small bridge chapel, the “Käppelijoch”. “It was here that women who had been condemned to death by drowning were thrown into the Rhine in those earlier times”, Linda tells us. “The women who were accused of being witches drifted down the Rhine where they were pulled out of the water by the fishermen in St. Johann. In the sources it says that they shook the water out of them. We could consider that an attempt at resuscitation – but we don’t really know for sure. Some of them probably did survive. But they were then chased out of the city.” There is now a memorial plaque on the Mittlere Brücke to commemorate the victims of these crimes.
No, it is certainly not just bright, charming images that the women’s tours convey on their city tours. But you will get a sense of the loneliness, despair, pugnacity and spirit of adventure of days gone by and afterwards you will walk the city with your gaze sharpened and in a spirit of awareness.
The “Frauenstadtrundgang Basel” Association currently has 12 city tours on offer in various districts and with a variety of topics.