G 3777 FACHZEITSCHRIFT DES BDP ZEITSCHRIFT DES BERUFSVERBANDES DEUTSCHER P S YC H O LO G I N N E N U N D P S YC H O LO G E N E .V. 37. JAHRGANG MAI 2012
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WOGE
F체hrungsmotivation: Eine Expertenperspektive zum Konstrukt und seiner Bedeutung
Wie aktuell ist Peter Br체ckner heute? PiA wollen bessere Repr채sentanz in Kammern
Zur Aktualität Peter Brückners Bericht vom Kongress der Neuen Gesellschaft für Psychologie in Berlin
Weniger eine Krise des Staates als seiner Kritiker Nach den Worten Klaus-Jürgen Bruders, erster Vorsitzender der NGfP, zeige sich die Aktualität der Sozialpsychologie Peter Brückners gerade in der gegenwärtigen Situation der Krise – weniger einer Krise des Staates oder der Ökonomie als einer Krise der Kritiker der gegenwärtigen Zustände von Staat und Ökonomie. Die ökonomische Erklärung der gegenwärtigen Krise sei zwar der psychologischen Gier der Zocker und der ideologischen Verbohrtheit der politischen Klasse sicher überlegen, aber auch sie helfe nicht weiter, und das so lange nicht, »solange wir nicht verstehen […] weshalb die Mehrheit der Bevölkerung, dieser unübersehbar und ungehemmt gegen ihre Interessen sich richtenden Politik regungslos, widerstandslos, apathisch gegenübersteht«. In dieser »Loyalität« der Mehrheit der Bevölkerung sah Peter Brückner die entscheidende Ergänzung der Machtbasis des Staates. Während er zu sei194
ner Zeit eine Lockerung der »Massenloyalität« diagnostizierte, scheine – so Bruder – heute das Gegenteil der Fall zu sein (siehe Auszug aus dem Vortrag Klaus Jürgen Bruders auf Seite 197). Um Subjektivität in der Selbstverwirklichungsgesellschaft ging es im Vortrag von Stefan Thomas. Nach seinen Worten kommt es in der Gesellschaft zu einer strukturellen Neukonfiguration des Integrationsmodus. Die Frage nach der Individualintegration rücke in Abgrenzung zur System- und Sozialintegration ins konzeptuelle Zentrum eines Beitrags der Psychologie zur Ausleuchtung der auf Individualisierung drängenden Entwicklungstendenzen. Thomas sprach von narzisstischer Kränkung, die sich aus konfligierenden Anforderungsstrukturen ergebe: aus dem Versprechen auf grenzenlose Selbstverwirklichung, ungeachtet der Tatsache, dass Bedürfnisbefriedigung und Interessenentfaltung mehr dem ökonomischen Verwertungsbedürfnis als einer kollektiven Gestaltung der sozialen Lebenswelt folgen. Die Hypothese, so Thomas, bestehe also darin, dass gesellschaftliche Anforderungsstrukturen einen Subjektivitätstypus erfordern, der einerseits zur individualisierten Selbstverwirklichung befähigt ist, andererseits jedoch stets eine Kränkung angesichts der relativen Eingeschränktheit aufgreifbarer Realisationsangebote erfahren und zu akzeptieren lernen muss. Prof. Dr. Klaus Weber würdigte Brückner als Intellektuellen und Psychologen, der unbeugsam gegenüber Unterdrückung, aufrecht in Zeiten der Verfolgung und selbstkritisch in Bezug auf seine eigene Biografie gewesen sei. »An Brückner zu erinnern, ist in Zeiten der ›Anschmiegung‹ vieler Psychologen an den neoliberalen Staat und die kapitalistischen Verhältnisse bzw. das Einrichten in postmodernen Diskurstheorien ohne Herrschaftskritik notwendiger denn je.« Psychologisierung von sozialer Ungleichheit und Armut Mit Thesen, wonach Arme deshalb arm seien, weil sie bildungsunwillig, phlegmatisch und immobil seien, setzte sich Prof. Dr. Hans-Peter Michels auseinander. Die Initiatoren dieser Kampagne gegen eine angeblich vom Sozialstaat einladend ausgebreitete soziale Hängematte, wie der Historiker Paul Nolte oder der »Stern«-Autor Walter Wüllenweber, griffen dabei Parolen auf, die in den USA bereits seit ca. 30 Jahren zur Diffamierung von Gruppen verwendet würden, die ökonomisch wie politisch zu den schwächsten in der Gesellschaft zählten. »Es handelt sich um Stigmatisierungspraktiken, die Arme und Benachteiligte noch weiter marginalisieren, so z.B. der Diskurs über die ›urban underclass‹, über den ›white trash‹ oder über die ›welfare queen‹. Alle versuchen, Zerrbilder von Menschen zu erzeugen, die sich nicht dagegen wehren können, indem negative Persönlichkeitseigenschaften ausgewählt werden, denen Potenzial zur Bildung von Ressentiments zukommt.« Vor allem
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Im März fand im Seminarzentrum der Freien Universität Berlin der Kongress der Neuen Gesellschaft für Psychologie unter dem Titel »Sozialpsychologie des Kapitalismus – heute« statt. 150 Teilnehmer waren gekommen, hörten zu, diskutierten lebendig und hatten es zum Teil schwer, sich zwischen parallel laufenden Panels zu entscheiden. Anlässlich des 30. Todestages von Peter Brückner wurde die Frage gestellt: »Wie aktuell ist Brückner heute?« Anhand vieler Themen – von der Finanz- und Wirtschaftskrise über Bildung und gesellschaftliche Teilhabe, die Occupy-Bewegung und Rechtspopulismus bis hin zu Esoterik und Identitätsbildung bei Fußball-Fangruppierungen – gingen die Teilnehmer dieser Frage im Sinne eines diskursiven, kritischen und reflexiven Wissenschaftsverständnisses nach. Die Referate spiegelten das Anliegen wider, Gegenwartsprobleme zu benennen, kritisch zu erörtern und eingreifend zu handeln – aus dem Wissen und der Überzeugung, dass Geschichte von Menschen gemacht und damit veränderbar ist. Prof. Dr. Josef Berghold kam in seinem Eröffnungsvortrag zu der Einschätzung, dass der zentrale Anreiz kapitalistischen Wirtschaftens, aus Geld möglichst schnell und möglichst viel mehr Geld zu machen, entscheidend zu einer Reihe von Entwicklungen beiträgt, die das Überleben unserer Zivilisation bedrohen: Raubbau an natürlichen Ressourcen, materiell zermürbende Lebensbedingungen vieler Menschen trotz wachsender Produktivität, massive Verarmung menschlicher Kreativität unter der Diktatur des Konkurrenzdenkens, Untergrabung von Solidarität, Gewalt und Ausgrenzung. Der globale Vormarsch des Neoliberalismus in den vergangenen Jahren habe diese Entwicklungen beschleunigt, wobei sich die Schwergewichte der Profitmaximierung von der Realwirtschaft ins virtuelle Reich der Finanzalchemie verschoben hätten.
r e p o r t fokus ziele man auf die Emotionen von Menschen aus der Mittelschicht, die sich dadurch auszeichneten, dass sie hart arbeiten, früh aufstehen und ihre Bedürfnisse aufschieben. Mit diesem Konzept, so Michels, werde eine Psychologisierung von sozialer Ungleichheit bzw. Armut mit weitreichenden Konsequenzen betrieben: Die Transformationen im Kapitalismus seit den 1970er-Jahren würden verschleiert (z.B. die zunehmend unsicheren Arbeitsverhältnisse für abhängig Beschäftigte und die Ausbreitung von sozialer Ungleichheit und Armut); der Um- und Abbau des Sozialstaates lasse sich auf diese Weise begründen und leichter durchsetzen; der Diskurs habe nicht nur Eingang in die Politik, sondern auch in die soziale Arbeit gefunden.
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Bildungsprozesse sind dem Primat der Ökonomie unterworfen Mit der konsumistischen Grundstruktur der modernen Gesellschaft setzte sich Prof. Dr. Burkhard Bierhoff auseinander. Im Zeitalter der Globalisierung sei der Konsumismus nicht nur ein bestimmendes Merkmal der Lebensstile, sondern wirke weltweit als Destruktionskraft, indem er die Kulturen der sogenannten Dritten Welt zerstöre und eine extreme Nivellierung kultureller Alternativen nach sich ziehe. Der für heutige Lebensstile typische Konsumismus gilt nach Bierhoff als eine Grundlage für die Formierung und Disziplinierung der Menschen unter Bedingungen repressiver Sozialisation im neoliberalen Kapitalismus. Gleichwohl sei der alltägliche Konsum ein soziales Oberflächenphänomen, dessen Tiefenstrukturen auszuloten sind. Bierhoff hinterfragte daher zunächst das Wohlstandsideal, das zunehmend konsumistisch umgestaltet worden sei. Bildungsprozesse, so seine Kritik, seien weitgehend dem Primat der Ökonomie unterworfen und nicht per se »befreiend«. Er untersuchte Potenziale in den Lebensstilen, die eine Alternative jenseits konsumistischer Fixiertheit sichtbar machen, die einen Bruch mit dem vorauseilenden Systemgehorsam sowie Bedingungen für Selbstbefreiungen in der Entwicklung reflexiver Sozialformen im Gemeinwesen bedeuten können. Inklusion heute muss Überwindung ausgrenzender Verhältnisse einschließen Für Peter Brückner stellte die Geschichte der sozialen Integration der Arbeiterklasse im Wesentlichen eine Geschichte der äußeren und inneren Durchsetzung von Konformität dar. Seine Kritik bleibe gültig, und dennoch müsse man 30 Jahre später Inklusion anders betrachten, so Prof. Dr. Martin Kronauer. Die aktuelle Krise offenbare Probleme, wie sie vor drei Jahrzehnten nicht vorstellbar gewesen seien. Die stabilisierende Funktion von Nationalstaaten gebe es nicht mehr, sie versagten angesichts einer globalisierten Wirtschaft. An die Stelle der Verantwortung der Gesellschaft für das Individuum sei die Verantwortung des Individuums für sich selbst und für die Gesellschaft gerückt. Bis in die Mittelschicht hinein gehe die Gestaltungsmacht über die engeren Lebensverhältnisse verloren. Das mache Menschen kaputt. »Es bedarf gesellschaftlicher Sorge, damit Individuen sich um sich selbst sorgen können.« Inklusion
Foto: Archiv
heute, so Kronauer, müsse die Überwindung ausgrenzender gesellschaftlicher Verhältnisse einschließen. Sie dürfe nicht bei Randgruppen ansetzen, sondern bei den vielen, die derzeit getrennt – jeder für sich – kämpften und sich einspannen ließen in Konkurrenzverhältnisse. »Wer sichert, dass nicht wieder Auswege in totalitären Systemen gesucht werden«, so fragte Kronauer, wenn Solidarität zwischen den vielen nicht wieder gelinge. Rechtsextremismus-Prävention braucht Konfliktsensibilität und wissenschaftliche Begleitung Kerstin Sischka vertrat die These, dass eine nachhaltige Rechtsextremismus-Prävention ohne ein Mehr an Konfliktbearbeitung nicht zu haben ist. Sie thematisierte Risiken und Nebenwirkungen einer auf öffentliche Harmonie, umfassende Toleranz und reibungslose Vielfalt ausgerichteten Projekt- und Programmarbeit. Der internationale Standard der »Konfliktsensibilität« von Interventionsmaßnahmen in Konfliktkontexten ist aus ihrer Sicht in der bundesdeutschen Fachpraxis bisher nicht explizit vorzufinden. Kritisch ging sie auf weitverbreitete »Sozialtechniken« der Projektplanung und -evaluation ein, die von der falschen Grundannahme kausaler Wirkmechanismen ausgingen und dabei Subjektivität und Konfliktverhältnisse ignorierten. Sie betonte die Notwendigkeit einer veränderten Zusammenarbeit zwischen Projekten und ihrer wissenschaftlichen Begleitung und berichtete in diesem Zusammenhang von eigenen Erfahrungen in der Arbeit mit rechtsextremistisch gefährdeten Jugendlichen. Durch die wissenschaftliche Begleitung von Modellprojekten sei es gelungen, das 195
Mit esoterischer Selbsttherapie gegen die Entfremdung Dr. Claudia Barth beschrieb in Ihrem Vortrag »Esoterik – Ecstasy des Bürgers«, wie sich nicht nur viele der ehemaligen Mitstreiter von Brückner seit 1990 von einer realen Veränderung der Welt ab- und einer neuen Innerlichkeit zugewandt haben. Religionen erhielten weltweit breiten Zulauf. Hierzulande sei es die esoterische Variante, in welcher der Zeitgeist und die subjektiven Gefühle und Bedürfnisse ihren passendsten religiösen Ausdruck finden. »Was vordergründig nach Weltabkehr aussieht, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als politische Variante moderner Subjektstrukturierung. Ziel esotherischer Selbsttherapeutisierung ist es, Leiden an Kälte und Entfremdung zu beenden, innere Widerstände abzubauen, aktuell gefragte Kompetenzen der Authentizität, Kommunikationsfähigkeit, Flexibilität und Entgrenzung aufzubauen, um im Hier und Jetzt erfolgreich zu sein.« Die derzeit geforderte innere Mobilisierung der Subjekte, sich mit all ihrem inneren Potenzial in den Verwertungsprozess einzubringen, fremdgesteckte Ziele mit authentischem Einsatz zu erfüllen, erschöpfe die Menschen in zunehmendem Maße. »Die bürgerliche Forderung an das Subjekt, einen zeitüberdauernden, konstanten Kern des Ichs herauszubilden, […] wird mit dem Glauben an ein vor- wie nachgeburtlich existentes persönliches ›Karma‹ metaphysisch abgesichert. Dieses ›wahre Ich‹ ist es, das mit esoterischen Techniken gesucht und freigelegt werden soll. Im Kern der eigenen Existenz derart religiös versichert, kann die permanente Selbstent-/empowerung und Entgrenzung in der Arbeitswelt bestanden werden. Die Anforderungen des Alltags, vorher als bedrohlich und sinnentleert gefürchtet, bekommen schicksalhafte Bedeutung und sind nun freudig anzunehmen als weltliche Bewährungsprobe der überirdischen Existenz.« Kritische Wissenschaften in Zeiten knapper Kassen nicht gefragt Dass dieser Kongress tatsächlich nicht nur die Interpretation der Verhältnisse, sondern auch ihre Veränderung im Auge hatte, wurde besonders deutlich in dem Vortrag von Politikwissenschaftler Thomas Rudek, der den 196
Volksentscheid zur Offenlegung der Berliner Wasserverträge entscheidend befördert hat und darüber ebenso wie über andere für direkte Demokratie geeignete Themen referierte. Zudem sprach Rudek den Wandel in der Wissenschaftsgesellschaft an. »Der Sparzwang wie die Dominanz neoliberaler Organisationsstrukturen – mit fatalen Auswirkungen auf die sozialpsychologische Konstitution von Studierenden und Beschäftigten – gehen vor allem zulasten sozialkritischer wie geisteswissenschaftlicher Disziplinen, während sich naturwissenschaftliche Fächer durch Aninstitute und die faktische Abhängigkeit von Drittmittelgebern längst dem Diktat kapitalistischer Verwertungsinteressen unterworfen haben. Kritische Wissenschaften, die in Zeiten behaupteter Alternativlosigkeit andere Modelle und Konzepte entwickeln und strategische Realisierungskonzepte anbieten, scheinen vom Aussterben bedroht, zumindest werden sie und ihre Vertreter marginalisiert und kriminalisiert. Rudek würdigte die breite Unterstüzung für den Stadtteilsoziologen Andrej Holms durch prominente Wissenschaftler in der Tradition Peter Brückners. Dennoch stelle sich kritisch die Frage, wie es unabhängig von der solidarischen Unterstützung im Fall von Repressionen gegenüber einzelnen Personen vor allem um die Mobilisierungsfähigkeit des »Homo academicus« (Bourdieu) bestellt sei, wenn es darum gehe, z.B. Alternativen in Form der direkten Demokratie (Volksbegehren und Volksentscheide) durchzusetzen. Christa Schaffmann
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Spannungsfeld zwischen Rechtsextremismus, Jugendlichen, Demokratie und Familie besser zu reflektieren. Es gelang ihr, Grundannahmen von Interventionen zu hinterfragen und damit die Diskussion über deren Wirksamkeit sowohl auf Praxis- als auch auf Wissenschaftsseite anzuregen. Über Fußball als kompensatorisches Ventil innerhalb einer sich selbst stabilisierenden Gesellschaft sprach Gerd Dembrowski. Seines Erachtens sind der Wunsch nach Identifikation, dessen Aufgang in der Masse und das damit verknüpfte Emotionserleben zentrale Antriebsmittel in der Konstituierung einer Ultragruppe. Es ist, als würden verdrängte Gefühle, die im als fremdbestimmt empfundenen Alltag verkümmern, in einem Identitätsgebaren, in dem Wunsch nach Identität kompensiert. Es offenbare sich eine Form von Abreaktion aus der anonymen Masse heraus.
Gwen Elprana, Magdalena Gatzka, Sibylle Stiehl & Jörg Felfe Helmut-Schmidt-Universität – Universität der Bundeswehr Hamburg
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Führungsmotivation: Eine Expertenperspektive zum Konstrukt und seiner Bedeutung
r e p o r t fachwissenschaftlicherteil Ausblick Die Klarheit über das eigene Motivationsprofil, ungeachtet der Tatsache, ob es eher eine Passung mit einer Führungs- oder eher einer Fachkarriere vermuten lässt, erleichtert die Karriereplanung junger Frauen und Männer, die noch am Berufsanfang stehen. Potenzieller Führungsnachwuchs kann so einfacher Berufsentscheidungen treffen, die für das Erreichen ihrer beruflichen Ziele erforderlich sind. Darüber hinaus unterstützt die differenzierte Diagnose von Führungsmotivation auch bereits berufserfahrene Menschen, die eine berufliche Neuorientierung anstreben. Je früher potenzielle Nach-
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In der Führungsforschung wurde das Konstrukt der Führungsmotivation als zentrale Komponente für die Erreichung von Führungspositionen bislang wenig beachtet. Um die Funktion und Bedeutung der Führungsmotivation besser zu verstehen und eine qualitative Grundlage für die Entwicklung eines differenzierten Modells der Führungsmotivation zu erhalten, wurde eine Interviewstudie mit 50 männlichen und weiblichen Führungsexperten durchgeführt. Sie unterstrichen die Bedeutsamkeit einer hohen Führungsmotivation für das Erreichen von Führungspositionen. Die konzeptionellen Annahmen zur Unterscheidung verschiedener Komponenten der Führungsmotivation von Chan und Drasgow (2001) sowie von McClelland und Boyatzis (1982) spiegelten sich in den Aussagen der Experten wider. Darüber hinaus wurden Hinweise auf zwei antagonistische Motivationskomponenten gefunden sowie sechs führungsspezifische Interessenfelder: Gestalten, Autonomie, Verantwortung, Bestätigung, Mentoring und Wachstum. Letztlich wurden als Motivationshindernisse vor allem der emotionale Druck und der häufige Work-Life-Conflict von Führungskräften hervorgehoben. Die Interviewstudie lieferte wichtige Impulse für die Entwicklung eines integrativen Modells der Führungsmotivation (Haus der Führungsmotivation), das die Grundlage des Hamburger Führungsmotivationsinventars (FÜMO) darstellt. Das Inventar erlaubt eine differenzierte Erfassung der motivationalen Chancen und Risiken in Bezug auf das Erlangen von Führungspositionen.
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L I T E R A T U R Chan, K. & Drasgow, F. (2001). Toward a theory of individual differences and leadership: Understanding the motivation to lead. Journal of Applied Psychology, 86 (3), 481-198. Deci, E. L. & Ryan, R. M. (1985). Intrinsic motivation and self-determination in human behavior. New York: Plenum Publishing Co. Eagly, A. H., Johannesen-Schmidt, M. C. & Van Engen, M. L. (2003). Transformational, Transactional, and Laissez-Faire Leadership Styles: A Meta-Analysis Comparing Women and Men. Psychological Bulletin, 129 (4), 569-591. Elprana, G., Stiehl, S., Gatzka, M. & Felfe, J. (2012). Gender Differences in Motivation to Lead in Germany. In: C. Quaiser-Pohl & M. Endepohls-Ulpe (Hrsg.), Women’s Choices in Europe – Influence of Gender on Education, Occupational Career and Family Development. Münster, New York, München, Berlin: Waxmann Verlag. Felfe, J. (2006). Transformationale und charismatische Führung – Stand der Forschung und aktuelle Entwicklungen. Zeitschrift für Personalpsychologie, 5, 163–176. Felfe, J. (2008). Mitarbeiterbindung. Göttingen: Hogrefe. Felfe, J. (2009). Mitarbeiterführung. Göttingen: Hogrefe. Felfe, J., Elprana, G., Gatzka, M. & Stiehl, S. (2012). Hamburger Führungsmotivationsinventar (FÜMO). Göttingen: Hogrefe. Felfe, J. & Gatzka, M. (2012). Führungsmotivation. In: W. Sarges (Hrsg.), Managementdiagnostik. Göttingen: Hogrefe. Hull, C. (1943). Principles of behavior. New York: Appleton-Century-Crofts.
wuchsführungskräfte sich über ihre motivationalen Chancen und Risiken bewusst werden, desto eher können sie Maßnahmen ergreifen, die einen Abbau von Bedenken und negativen Erwartungen herbeiführen können. Dafür kommen z.B. Trainings, Mentoring und individuelle Coachings in Frage. Dies dürfte insbesondere im Fall von Frauen eine hilfreiche Unterstützung darin sein, berufliche Chancen aktiv zu nutzen und sie als positive Herausforderung zu erleben.
A B S T R A C T
In the prediction of leadership careers leadership research has given the concept of Motivation to Lead little attention so far. In order to deepen the understanding of the function and the relevance of Motivation to Lead, and in order to develop a differentiated model of Motivation to Lead, an interview study was conducted with 50 male and female leadership experts. The experts underlined the relevance of a high Motivation to Lead in order to reach leadership positions. The results also indicated that leaders still find the different conceptual assumptions about Motivation to Lead made by Chan and Drasgow (2001) and McClelland and Boyatzis (1982) to be relevant. The interview results also initiated further investigation of two antagonist components of Motivation to Lead, as well as six leadership specific interests: Creating, Autonomy, Responsibility, Acknowledgement, Mentoring and Growth. Finally, motivational barriers were seen first and foremost in the emotional pressure and the work-life-conflict in leadership positions. The results gave impulse to the development of a new model called the House of Motivation to Lead, which serves as the theoretical foundation of the Hamburg Motivation to Lead Inventory. It allows for a differentiated measurement of the motivational chances and risks regarding the assumption of leadership positions.
Judge, T. A., Bono, J. E., Ilies, R., & Gerhardt, M. W. (2002). Personality and Leadership: A qualitative and quantitative review. Journal of Applied Psychology, 87 (4), 765-780. Kehr, H. M. & Bles, P. (1999). Der Stellenwert der Motivation von Führungskräften bei Personalverantwortlichen. Personal, 51, 571-575. Kohaut, S. & Möller, I. (2010). Frauen kommen auf den Chefetagen nicht voran. In IAB Kurzbericht. Online unter: http://doku.iab.de/kurzber/2010/ kb0610.pdf [heruntergeladen am 11.11.2011]. McClelland, D. C. (1975). Power: The inner experience. Oxford: Irvington. McClelland, D. C. & Boyatzis, R. (1982). Leadership motive pattern and long-term success in management. Journal of Applied Psychology, 67 (6), 737–743. Peus, C. & Welpe, I. (2011). Frauen auf dem Weg zur Spitze: Barrieren und organisationale Interventionsmöglichkeiten. Organisationsentwicklung, 2, 47-55. Ryan, M. K. & Haslam, S. A. (2007). The glass cliff: Exploring the dynamics surrounding the appointment of women to precarious leadership positions. Academy of Management Review, 32, 549-572. Strunk, G. & Steyrer, J. (2005). Dem Tüchtigen ist die Welt nicht stumm. Es ist alles eine Frage der Persönlichkeit. In W. Mayrhofer, M. Meyer & J. Steyrer (Hrsg.), Macht? Erfolg? Reich? Glücklich? Einflussfaktoren auf Karrieren (S. 51-77). Wien: Linde. von Rosenstiel, L., Kehr, H. M. & Maier, G. W. (2000). Motivation and volition in pursuing personal work goals. In: Heckhausen, J. (Hrsg.), Motivational psychology of human development: Developing motivation and motivating development (pp 287-305). New York Elsevier Science.
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Mobil in jeder Hinsicht: Ursula Reichwald
Arbeitstage »open end« Sie wusste immer, dass sie auch nach dem Ausscheiden aus dem Angestellten-Dasein nicht aufhören würde, 212
Gutachten zu schreiben, vor allem im strafrechtlichen Bereich und bei Berufsunfähigkeit, sowie den einen oder anderen Patienten zu behandeln, und sich sehr gern auch Fällen widmen würde, deren sich andere nur ungern annehmen. Gleichzeitig möchte sie nur von der Arbeit mit Patienten nicht leben. Sie fürchtet, dass Patienten dann irgendwann »durchliefen« und eine gründliche Diagnostik auf der Strecke bliebe. Ursula Reichwald liebt Herausforderungen, wie sie z.B. komplexe Fälle posttraumatischer Belastungsstörung darstellen oder Ängste bei Männern nach einer Hodenresektion. Was sie macht, macht sie gründlich, und sie erregt sich auch schon mal über schlampig erstellte Gutachten, wenn sie ihr begegnen, oder über ganz offensichtlich lustlos arbeitende Kolleginnen und Kollegen ohne echtes Interesse an Menschen und ohne Feuer für dieses fantastisch vielseitige Fach – die Psychologie. In einem Flyer für einen Workshop, den sie vor einiger Zeit angeboten hat, hieß es denn auch schon mal: »Beginn: 9 Uhr – open end«. In der Zusammenarbeit mit Künstlern entstehen Klienten und ihr Umfeld Mit dieser Arbeitseinstellung passt sie gut zu den Besessenen, denen sie seit 2002 besondere Aufmerksamkeit widmet: Schauspielern, Drehbuchautoren, Regisseuren und Produzenten. Angefangen hat diese Beziehung, als sie sich irgendwann über eine TV-Serie bei RTL sehr geärgert hatte und danach so lange herumtelefonierte, bis
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Der DHL-gelbe Kleinbus, mit dem sie mich von Bahnhof in Tübingen abholt, steht kurz vor einer Verwandlung. Seine Besitzerin wird ihn ausbauen zu einem Quartier zum Arbeiten und Schlafen, wie sie es mit einem ähnlichen Fahrzeug schon einmal gemacht hat. »Das schafft ein Stück Freiheit. Ich bin mobil, kann verreisen, trotzdem arbeiten und überliste so ein wenig die Zeit.« Das klingt nicht nach Familie. Und tatsächlich haben ihr Ehemann und sie sich vor Jahren getrennt, als die beiden Söhne erwachsen waren. Sie wirkt ausgeglichen und ausgesprochen unternehmungslustig. Die gelben Overnees, passend zum gleichfarbigen Pullover, unterstreichen das. Ursula Reichwald ist ein gutes Beispiel dafür, dass Arbeit nicht mit 65 enden muss, dass selbstbestimmtes Arbeiten sogar zu einem Kreativitätsschub führen und sehr viel Spaß machen kann. Die gebürtige Rheinländerin hat es durch das Psychologie- und Soziologiestudium vor Jahren nach Tübingen verschlagen, nachdem sie »vor gefühlten 100 Jahren« mal eine Ausbildung zur Krankenschwester absolviert hat. Bierbaumer war einer ihrer Lehrer, von dem sie noch heute mit Hochachtung spricht. Nach dem Studium ist sie an der Uni geblieben und hat in der Abteilung Klinische Psychologie gearbeitet.
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r e p o r t spektrum
Psychologie für Nachtschwärmer
Wer an sich glaubt, versetzt Berge
PHB bei der Langen Nacht der Wissenschaften Berlin/Potsdam 2012
gut bewältigen zu können, ist freiwillig bereit, mehr zu arbei-
Die Psychologische Hochschule Berlin (PHB) nimmt am Samstag, 2. Juni 2012, das zweite Jahr in Folge an der Langen Nacht der Wissenschaften in Berlin teil. Auf dem Programm stehen Vorträge zu bildungspolitischen und gesellschaftlichen Themen rund um die Psychologie für die Öffentlichkeit. Die Lange Nacht der Wissenschaften findet bereits seit über zehn Jahren statt. Auch dieses Jahr werden wieder mehr als 30 000 Besucher erwartet. Das Programm beginnt um 17 Uhr und endet um ein Uhr nachts. Prof. Kirsten von Sydow widmet sich in einem Abendvortrag an der Psychologischen Hochschule Berlin den Auswirkungen der Präsenz von Vätern im Kreißsaal. Über Jahrhunderte waren Geburten Frauensache. In den westlichen Industrienationen ist das inzwischen ganz anders geworden: Fast alle Väter sind bei den Geburten ihrer Kinder dabei. Doch bisher wurde kaum erforscht, wie die betroffenen Männer und Frauen das erleben. Funktioniert die Unterstützung durch den Partner immer so optimal wie gewünscht? Kirsten von Sydow berichtet über den internationalen Forschungsstand zum Thema »Väter bei der Geburt« und eigene Befunde aus dem Projekt »Elternschaft und Paarbeziehung«. Welche Auswirkungen hat die Präsenz des Partners auf den Geburtsverlauf, das psychische Befinden von Mann und Frau sowie ihre Partnerschaft und Sexualität? PHB-Rektor Prof. Siegfried Preiser wird in seinem Vortrag zu hochbegabten Schulversagern der Fragestellung folgen: Wie kann es sein, dass der Erfolg in der Schule ausbleibt, obwohl Fähigkeiten und Begabungen des Schülers vielversprechend sind? Gibt es ein »zu intelligent« für das System Schule? Manchmal haben Schülerinnen und Schüler in der Schule deutlich weniger Erfolge, als ihre Fähigkeiten und Begabungen erwarten lassen. Dann fragt die Ursachenforschung nach Motivationsproblemen. Es soll dabei zum einen darum gehen, die Ursache von Motivationsproblemen zu finden, zum an-
Bierhoff. In der Untersuchung stellte sich heraus, dass Mitar-
deren aber auch um konkrete Anregungen zur Vermeidung dieses Phänomens. Sein Vortrag richtet sich u.a. an Lehrkräfte. Unter dem Vortragstitel »Psychische Störungen im Wandel der Zeit: Werden wir psychisch kränker, oder ändert sich unser Verständnis von Gesundheit und Krankheit?« lädt Prof. Frank Jacobi im Verlauf des Abends zur Diskussion über das Verständnis von Gesundheit und Krankheit ein. In den letzten Jahren wurden laut der Statistiken von Kostenträgern psychische Störungen deutlich häufiger diagnostiziert als früher. Eine Zunahme von »Burnout« ist ständiges Diskussionsthema in den Medien. Etwa jeder dritte Erwachsene erfüllte im vergangenen Jahr die Kriterien für eine psychische Störungsdiagnose, und die direkten und vor allem indirekten Kosten aller psychischen und neurologischen Störungen zusammen werden höher geschätzt als die von Krebs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes zusammen. Sind wir bald alle »psychisch krank« – oder gehören psychische Störungen ebenso wie körperliche Erkrankungen auch ganz einfach zum Leben dazu? Sind die hohen Fallzahlen Fehldiagnosen geschuldet und somit eigentlich eine Übertreibung, die gezielt von der Pharmaindustrie oder anderen möglichen »Profiteuren« einer solchen Entwicklung geschürt wird? Oder hat sich unser Gesundheitsbegriff gewandelt, sodass in unserem sogenannten biopsycho-sozialen Verständnis die psychosozialen Komponenten der Gesundheit an Bedeutung gewinnen? Antworten gibt es an der PHB bei der Langen Nacht der Wissenschaften Berlin/Potsdam am 2. Juni 2012 An der Psychologischen Hochschule Berlin und über 70 weiteren Wissenschaftseinrichtungen in Berlin und Potsdam. Tickets im VVK für 11 Euro/9 Euro (ermäßigt) oder an der Abendkasse 13 Euro/11 Euro (ermäßigt) Zum Programm: www.psychologische-hochschule.de www.langenachtderwissenschaften.de Katrin Eitner
(cs) Wer an sich glaubt und sicher ist, bestimmte Aufgaben ten. Zu diesem Ergebnis kommt ein Team von Bochumer Sozialpsychologen unter der Leitung von Prof. Dr. Hans-Werner beiter, die bestärkt werden im Glauben an die eigenen Fähigkeiten, stärker motiviert sind, sich für ihre Arbeit zusätzlich zu engagieren. Ein gutes Beispiel ist für Prof. Bierhoff der Fußball: »Es ist interessant, wie Sportpsychologen Fußballmannschaften der ersten oder zweiten Bundesliga beraten. Dabei wird versucht, die Selbstwirksamkeit der Spieler zu steigern, eine sehr sinnvolle Intervention.« Im Fokus ihrer Analyse standen vier Motivationsfaktoren: »Selbstwirksamkeit«, »Kontrolleinschätzung«, »Veränderungsorientierung«und schließlich »flexible Rollenorientierung«. Dabei zeigte die »Selbstwirksamkeit« eine herausragende Rolle im Kontext von Eigenverantwortung und freiwilligem Arbeitsengagement. Daraus schließen die Sozialpsychologen: »Wenn man den proaktiven Motivationsprozess mit der Erkenntnis über die günstige Wirkung positiver Arbeitsatmosphäre und hoher Partizipation kombiniert, kann das freiwillige Arbeitsengagement umfassender gefördert werden.«
Aggression in Pflegeeinrichtungen (cs) In einer Studie des Zentrums für Empirische Pädagogische Forschung (zepf) der Universität Koblenz-Landau wurde der Zusammenhang zwischen Aggression der Bewohner und Arbeitsfähigkeit des Personals in geriatrischen, nicht psychiatrischen und nicht klinischen Einrichtungen untersucht. Die Arbeit ergänzt Untersuchungen zu den Auswirkungen von Aggression, die sich gegen im Gesundheitswesen oder in anderen Bereichen der Pflege tätige Menschen richtet. Es wurden 141 Personen im Rahmen einer Querschnittstudie befragt, die in einer entsprechenden Pflegeeinrichtungen tätig sind. Die Ergebnisse zeigen, dass der überwiegende Anteil der in der Pflege Tätigen von Aggression in ihrem Pflegeberuf mehrfach betroffen war. Etwa die Hälfte der Befragten weist schlechte Werte bezüglich der subjektiv berichteten Arbeitsfähigkeit auf. Von sexueller Aggression ist etwa ein Viertel der Studienteilnehmer betroffen; die Betroffenen berichten statistisch bedeutsam über mehr Erkrankungen als Nichtbetroffene. Die Ergebnisse der vorliegenden Studie weisen auf die Notwendigkeit von Maßnahmen zur Nachsorge nach einem Aggressionsereignis sowie der Prävention hin, die sowohl verhältnis- als auch verhaltensbezogen erfolgen sollten. Weitere Informationen:
http://goo.gl/ipD8x
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