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Zusammen ist man weniger allein
DIE FAMILIE SANTER UND IHR PERSÖNLICHER LOCKDOWN Zusammen ist man weniger allein
In diesen Tagen müssen wir alle als Gesellschaft näher zusammenrücken - und dabei Abstand voneinander nehmen. Bis vor Kurzem für die meisten noch völlig undenkbar, sind wir doch eine völlig auf Individualismus aufgebaute Gesellschaft. Matthias Santer, seine Frau Michi und Söhnchen Felix haben lange vor Corona erlebt, was es heißt, in einer gewissen Isolation leben zu müssen.
Abstand halten. Die Oma nicht besuchen. Kein schneller Espresso in der Bar. Kein Sportmatch am Nachmittag. Die Auswirkungen der Corona-Krise haben innerhalb kurzer Zeit unser soziales Leben auf den Kopf gestellt. Für die meisten von uns sind solche Einschränkungen im Alltag völlig neu. Für Matthias Santer und seine kleine Familie ist die Isolation im häuslichen Umfeld hingegen nichts Neues. Vor fünf Jahren kommt ihr Sohn Felix zur Welt. Stunden später erfahren die frischgebackenen Eltern, dass ihr Kleiner das Downsyndrom hat und Leukämie. Für die Familie beginnt ein Therapiemarathon im Krankenhaus von Padua. Nach einem halben Jahr kehren die drei nach Toblach zurück - mit einem gesunden Kind mit unbändigem Lebenswillen und geschwächtem Immunsystem.
VON DER AUSSENWELT ABSCHIRMEN „Wir mussten Felix von der Außenwelt abschirmen, damit er sich nicht ansteckt”, erzählt Papa Matthias. Die Großeltern sieht der Kleine bis zu seinem 2. Geburtstag nur durch eine Scheibe. Es gibt keine Treffen mit Freunden, kein gemeinsames Pizzaessen. Als Felix drei Jahre ist (und damit eigentlich reif für den Kindergarten), versuchen Michi und Matthias eine Kindergartengruppe zu finden, in der alle Kinder geimpft sind. Wegen der anhaltenden Immunsupprimierung wäre die Ansteckungsgefahr für Felix zu groß gewesen. Sie merken, dass das Verständnis der anderen groß ist - aber eben auch nur bis zu dem Punkt, wo sie selbst nicht davon betroffen sind. Felix bleibt also ein weiteres Jahr zuhause. Erst in diesem Herbst ist er soweit fit, endlich seinen kleinen Rucksack packen zu können und wie alle anderen Kinder auch in den Kindergarten zu gehen. Ein Stück Normalität. Aber nicht für lange: Nur kurze Zeit später wird bei Mama Michi, 34, Brustkrebs diagnostiziert. Wieder gehen die Therapien von vorne los. Die Sorgen, die Ängste. . .
Nun ist die kleine Familie in den vier Wänden wieder in eine vergangene Zeit zurückversetzt. Mit dem einzigen Unterschied, dass sie dieses Mal nicht damit alleine ist. Denn nun ist eine ganze Gesellschaft von dem Lockdown betroffen.
PZ: Matthias, wie ist es für euch, erneut daheim isoliert zu sein? Matthias Santer: Felix hat sich endlich im Kindergarten eingelebt, er hat riesige Schritte gemacht, sich toll entwickelt. Meine Frau war durch die Therapien in den vergangenen Monaten ja ohnehin schon eingeschränkt. Ein Spaziergang oder ein Kaffee mit meiner Schwester war eine willkommene Abwechslung. Vor vier Wochen sind wir mal zusammen zum Tanken gefahren. Das war für uns wie ein kleiner Ausflug. Das geht jetzt natürlich nicht mehr. Und dann ist da die Sorge, wie lange unser Gesundheitssystem aufrecht bleibt. . . Deshalb: Es ist alles andere als angenehm, da hilft es auch nicht, dass man schon weiß, was auf einen zukommt.
Du hast früh einen Mundschutz angezogen, wenn du zum Einkaufen bist. Im Geschäft sagte jemand im Scherz, ob ich einen Überfall plane. Mittlerweile ist das Tragen eines Mundschutzes fast normal geworden. Für uns ist es ein bisschen wie einen Schalter im Kopf umzulegen. Wenn ich vom Einkaufen komme, ziehe ich die Schuhe aus, wechsle die Hose. Das ist vielleicht extrem. Aber wir müssen eben besonders aufpassen. Einmal wegen Michi und dann, weil auch Felix durch eine Muskelerkrankung, die zusätzlich bei ihm diagnostiziert wurde, gefährdet ist.
Wie geht Felix mit der Situation um? Es ist heute viel schwieriger als damals. Felix kann noch nicht reden, er drückt sich aber mit Gestik und Mimik sehr gut aus. Und da gibt er uns zu verstehen, warum er nicht zur Tante nach oben darf, wo er so gerne spielt. Oder zur Oma fahren. Dass die MaMatthias Santer mit Söhnchen Felix.
ma einen Katheter am Arm hat, beschäftigt ihn auch sehr. Er zeigt oft darauf. Wir denken, dass er weiß, dass er auch einmal einen solchen hatte.
Macht es für euch einen Unterschied, dass nun alle daheim bleiben müssen? Ehrlich gesagt schon. Für uns ist die Welt in den vergangenen Jahren mehr als einmal für eine Zeit stehengeblieben. Da steht deine Welt still, aber draußen geht alles weiter. Die Leute trinken ihren Kaffee, im Internet regt sich jemand darüber auf, dass das schöne Ferienhäuschen schon ausgebucht ist. Und wir konnten nicht arbeiten oder unsere Freunde treffen. Da hat man auch das Gefühl, etwas zu verpassen oder nicht mehr ganz mithalten zu können. Jetzt geht es allen gleich, und wir fühlen uns nicht so abgehängt. Viele Kleinigkeiten verlieren an Bedeutung. Es zählt, gesund zu bleiben. Und gemeinsam an einem Strang zu ziehen.
// Interview: Verena Duregger