R10
12 euro 978-3-940029-71-3
PROJEKT ZEITSCHRIFT AM FACHBEREICH DESIGN | FH MÜNSTER | WS 09/10
LITERATURANGABEN
DANKE
Klaus Limberg, Siegfried Maser: »Design-Wissenschaft oder philosophische Grundlegung des Designs?« gefunden in: Form 91/1980, S.10-14 Norbert Bolz: „Design unterwegs von der Kunst zur Wissenschaft.“ Erschienen: Susanne Anna (Hg): Global Fun, Kunst und Design von Mondrian, Gehry, Versace, und Friends, Stuttgart 1998, S.72-81 Prof. Birgit Mager: »Service entscheidet — Design als Dienstleistung« entnommen aus: Form 146/1994, S.8f Kurt Weidemann: »Ein Designer ohne Vision ist kein Realist.« entdeckt in: Profile Artwork Denkprozesse 2001 Wolfgang Welsch: »Die ästhetische Verfassung der Gegenwart. Vom Sein zum Design.« aus: Form 140/1992, S.6-8 Gaetano Pesce: »Design ist unsichtbar« erschienen in: Hg. Lucius Burckhardt, Stuttgart 1980, S.13ff Jochen Gros: »Halbfertigdesign — auf der Suche nach Modellen und Beispielen für mehr Eigenarbeit« aus: Design ist unsichtbar S.581-586 Löcker Verlag, Wien 1981 Wolfgang Welsch: »Elektronische Welten — künstliche Paradiese?« mystifiziert: Unbekannte Quelle 1995 Feng Hou Sheu: »Die Botschaft der Form« kopiert aus: Form 159/1997, S.18f Wolfgang Welsch: »Design ohne Grenzen« aus: Form 158/1997, S.16f
Martina Radlbeck, Andreas Henning, Manuela Russ, Jan P. Pajak, Mundschenk Druck+Medien, Liv Raab, Onkel & Onkel Verlag, Reinhold Happel, Moritz Nüßing, Heinrich Wällering, Stefan Sagmeister für die Inspiration
ALTERNATIVE TITEL
Lena Vansteenkiste
Eva Röhren
Conny Sommer
Philipp Jensen
Daniel Buchholz
Stefan Sagmeister
Arthur Diener
Zafar Hadafmand
Johannes Stache
Ariane Niehoff
Jan Wagner-v. d. Straten
Daniel B. / Jan W.v.d.S.
00’00”
04’12”
04’50”
05’05”
05’15”
09’54”
11’02”
16’18”
17’00”
18’34”
19’49”
21’11”
22’23”
24’57”
DAS FRAGEN LERNEN UND FINDEN TRAINIEREN DESIGN UNTERWEGS VON DER KUNST ZUR WISSENSCHAFT TEXT: NORBERT BOLZ
24’57”
DIE GRENZEN DES KÖRPERS, SONDERN DIE GRENZEN MEINER GERÄTE SIND DIE GRENZEN MEINER WELT. DIE ERSTE DESIGNBEWEGUNG BILDETE SICH IM KAMPF GEGEN DREI MÄCHTE: ERSTENS GEGEN DEN STIL DES EMPIRE, DAS HEISST DAS BLOSS DEKORATIVE, DIE DRAPERIE, DIE ENTWERTUNG DES ORNAMENTS DURCH SEINE INFLATIONIERUNG, DIE AUFLÖSUNG DES RAUMES DURCH SICH VERSELBSTÄNDIGENDE MÖBEL; ZWEITENS GEGEN DIE TECHNIKEN DER MECHANISIERUNG WIE ZUM BEISPIEL DEN JACQUARD-WEBSTUHL, DIE ZU EINER SCHWÄCHUNG DES MATERIAL-BEWUSSTSEINS GEFÜHRT HATTEN; DRITTENS GEGEN DAS AUFTRETEN DER MASSEN UND DER MASSENPRODUKTE AUF DEM SCHAUPLATZ DER GESCHICHTE. 25’48”
In diesem Kontext müssen Henry Cole und sein Journal of Design begriffen werden; er proklamiert eine Moral der reinen Formen durch eine Anwendung des Schönen auf die mechanische Produktion »select pure forms« lautet die Parole. Man könnte sagen: Cole erfindet den modernen Kunsthandwerker. Im gleichen Geist predigt dann William Morris künstlerische Moral. Material und Bearbeitung sollen wieder ästhetischer Wert gewürdigt werden, und Handarbeit erscheint als Remedium gegen den Qualitätsverfall. 1861 gründet er die Kunstgewerblichen Werkstätten - und Werkstatt heißt eben: nicht Fabrik! In seinem Roman News from Nowhere fordert Morris dann die Produktion von Gegenständen für den Nächsten – das heißt eben: nicht für den unbestimmten Markt! Design formiert sich also zunächst scheinbar in polemischer Gegenstellung zur Modernisierung der Gesellschaft. Doch der Kunsthistoriker Alfred Gotthold Meyer bemerkt schon 1907, dem Jahr der Gründung des Deutschen Werkbundes: »Die Fermente, welche die Stellung des 19. Jahrhunderts in der Stilgeschichte bedingen, sind die Errungenschaften der modernen Technik.« Aber die technischen Formforderungen werden zunächst vom Kostüm- und Maskenzauber des Historismus verdeckt. Daraus erklärt sich das Faszinosum des Jugendstils. Um es auf eine einfache Formel zu bringen: Im Kampf des akademischen Künstlers und seiner Stilformen gegen den Ingenieur und seine konstruktiven Formeln suggeriert der Jugendstil erstmals eine Synthese. Erst im historischen Rückblick wurde der Jugendstil selbst als Endphase des Historismus, das heißt als dessen rein formalistische Kritik erkennbar. Und dennoch: Es war der Augenblick des Take-off. Design wird zur freien Formung. Der Jugendstil steht für den Ausbruch des Gestalters aus dem Elfenbeinturm der Kunst. Henry van de Velde gibt das Malen auf. Die Gründung des Deutschen Werkbundes markiert dann deutlich sichtbar den Anschluss der Gestaltung an die Industrie man könnte von einer Geburtsstunde des Industrial Design sprechen. Kunst orientiert sich neu in der Welt der Maschinen. In der expressionistischen Frühphase des Bauhauses herrschte noch das Maß des Menschen; dafür steht Johannes Itten ein. Mit dem Erscheinen von Moholy-Nagy tritt die Industrienorm an die Stelle des Humanum. Das Lebensgefühl der Handwerkergemeinschaft weicht der Präzision von DIN und Designwissenschaft. Was das Bauhaus mit dem Futurismus und Konstruktivismus verbindet, ist das hohe Bewusstsein von 23 Gustav Klinit, VerSacrum, 1898 maschineller Funktion, industrieller Konstruktion und neuen Materialen. Diese technische Ästhetik räumt mit allen kraftlosen Humanismen auf und entfaltet die Spielräume der technologischen Antiphysis. Statt im Namen einer beschädigten Natur Abstinenz von der Technik zu predigen, übt sie eine Mensch-Maschine-Synergie unter neuen Medienbedingungen ein. Ästhetik orientiert sich weg von der Kunst und hin zu den Kommunikationsmedien. Konkret zeigt sich das in der multimedialen Gestaltung von Werbung. Grafikdesign entsteht genau in dem Augenblick, da Reklame zum Objekt von Wissenschaft wird. Und überhaupt soll an die Stelle der traditionellen ästhetischen Theorie eine Designwissenschaft treten. DIE AKTUALITÄT OTL AICHERS Max Bill, Gründungsmitglied und bis 1956 Leiter der Hochschule für Gestaltung Ulm, verkündet zunächst folgendes Programm: »Wir betrachten die Kunst als höchste Ausdrucksstufe des Lebens und erstreben, das Leben als ein Kunstwerk einzurichten. Wir wollen, ähnlich wie es seinerzeit Henry van de Velde proklamierte, gegen das Hässliche ankämpfen mit Hilfe des Schönen, Guten, Praktischen. So soll neben dem Natur- und Kunstschönen eine neue Schnöheit gepflegt werden: Das Technikschöne, — dessen Formen sich in den Konfinien zwischen Kunst und Technik« (Max Bense) bilden.
25’48”
29’31”
29’31”
Max Bill sieht die HfG Ulm also in klarer Kontinuität zum Bauhaus, und in der Tat haben einige Bauhäusler Gastvorlesungen in Ulm gegeben. Aber schon der Rektor der frühen 60er Jahre, Otl Aicher, grenzt das Ulmer Design klar von der Kunst ab. Aus einem Bericht über die Entwicklungsstufen der Hochschule für Gestaltung spricht ein ganz anderer Ton, den Max Bill mißbilligt hat. Wie in der Geschichte des Bauhauses wird das traditionalistische, kunstnahe Gründungsprogramm rasch verabschiedet. Aicher verkündet »ein auf Technik und Wissenschaft abgesetztes Modell des Designs. Der Designer ist nicht mehr übergeordneter Künstler, sondern gleichwertiger Partner im Entscheidungsprozess der industriellen Produktion. Die letzten Relikte eines Werkbundkunstgewerbes werden preisgegeben.« Design wird kybernetisch verstanden als Gestaltungsprozess mit Feedback-Schleifen − charakteristische Stichworte sind: Systemdesign und Modularanordnung. Otl Aicher fordert eine Industriearchäologie, die dem Design eine theoretische und geschichtliche Grundlage gibt, und das heißt eben: einen »Theoretiker der technischen Artefakte« analog zum Kunstwissenschaftler. Neben dem schönen Schein soll die technische »Designschönheit« treten. Die fundamentale Unterscheidung in Aichers Designtheorie ist also die zwischen Design und Kunst. Design verhält sich zur Kunst wie Wissen zum Glauben. Insofern ist Design theoriepflichtig und hat eine eigene Form der Schönheit: das Technikschöne. Und umgekehrt gilt: »Das Kunst-Schöne als das autonom Schöne hat in der Technik keinen Platz.« Der zweckgerichteten Entwurfsarbeit des Designers kann Kunst nur störend dazwischenkommen. »Die Nahtstelle von Artefakt und Hand ist mit Kunstvorstellungen nicht lösbar« – und Nahtstelle heißt natürlich Interface, Benutzeroberfläche. Es gibt also keine ästhetische Logik der Evolution technischer Formen. Aber umgekehrt kann man sagen: Die Technik setzte eine Fülle neuer Ästhetiken frei. In dieser Frage war auch das technisch orientierte Bauhaus noch nicht radikal genug; denn wer die Technik als Formenrepertoire begreift, steht noch unter der Herrschaft der Kunst.
Für Otl Aicher ist der moderne Mensch in eine Welt geworfen, die ihm immer unbekannter wird. Vergangene Generationen konnten sich leichter in ihrem Leben orientieren als wir. Heute gibt es keine vorgegebenen Antworten mehr. Deshalb ist es entscheidend, das Fragen zu lernen und das Finden zu trainieren. Mit Heidegger zu sprechen: Entwerfend-Sein zu einem Seinkönnen; wir entwerfen uns auf ungewisse Möglichkeiten. Design formt das Leben, das heißt, es ist eine Balanceleistung zwischen Dingen, Menschen und Umwelt. Aicher spricht ausdrücklich von Lebensdesign, von einer »Optimierung der Lebensform«. Das Design richtet sich also nicht mehr auf Einzelobjekte, sondern auf Systeme. Struktur, Raster, Pattern, Netzwerk – das sind Schlüsselbegriffe eines nicht-linearen Designprozesses, der den modernen Lebensbedingungen entspricht. Formulieren wir die implizite Anthropologie dieses Designkonzepts etwas deutlicher: Nicht die Grenzen des Körpers, sondern die Grenzen meiner Gerte sind die Grenzen meiner Welt. Der Mensch ist kein Naturwesen, und deshalb vollzieht sich die Menschwerdung des Menschen in der Innervation seiner Techniken. Aicher begreift den Menschen also nicht biologisch, sondern systemisch: »Er ist nicht, er richtet sich ein.« In dem Essay Erweiterungen des Ich heißt es hierzu sehr klar: »Erst Geräte, solche des Machens oder solche der Kommunikation, vervollständigen uns und setzen uns in unsere Menschlichkeit ein. Der Mensch, jeder einzelne, entfaltet sich nach Maßgabe seiner richtigen Gerte. Um aber Geräte, also technische, organisierte Gegenstände zu verstehen, muss man sie im Gebrauch studieren. Aicher überträgt hier den berühmten Satz Wittgensteins »Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache« auf das Design. Der Designer hat es nicht mit künstlerischen Formen, sondern mit Lebensformen zu tun. Man könnte auch sagen: Design ist die Hermeneutik der Technik. Die Aufmerksamkeit auf den Gebrauch soll die Sprache der Sache selbst vernehmlich machen. »Design ist Umgang mit Dingen, bevor es Wissen sein kann. Design verzichtet auf den ästhetischen Absolutismus der Kunst und sucht die Ästhetik des Gebrauchs.«
Der Grundgedanke lautet: Gerade das Bekannte, Gebräuchliche ist uns unbekannt. Es geht für den DesignerPhilosophen nicht darum, in die Tiefe vorzudringen, sondern die Oberfläche zu entdecken. Diese Designer-Logik der Oberfläche operiert nicht kausal, sondern spielerisch in einer Art Darwinismus der Formen. Gerade für das Design gilt das »survival of the fittest«: Zweckmäßig ist, was im Spiel der Gebrauchsformen übrigbleibt, was passt. Das ist das Selektionsprinzip der Bewährung im Gebrauch; das heißt aber: Die Wirkungen sind die Ursachen der Formevolution. Hier wird die Designtheorie kybernetisch: An die Stelle der Ursache-Wirkungs-Verkettung tritt der Regelkreis. »Feedback ist Lernen aus dem Machen«.
DENKENDE DINGE Von Technisierung spricht man immer dann, wenn man reflexionsfreie Vollzüge charakterisieren will. Hier herrscht der Geist der Mathematik, denn diese ist weitgehend prozedural, das heißt sie denkt für sich selbst. Und in eben diesem Geist arbeitet man heute an intelligenten Technologien, die im Jargon amerikanischer High-TechInstitute »things that think« heißen.
THINGS THA 35’11”
HAT THINK 35’11”
as, was immer mehr gedacht werden muss, wird von Dingen gedacht. Technik funktioniert ohne Konsens, und funktionierende Technik kann man nicht irritieren. Das klingt zunächst bedrohlich, ist aber im Gegenteil die Überlebensbedingung fortgeschrittener Zivilisationen. Diese können nur funktionieren, wenn es die Menschen so genau gar nicht wissen wollen und
ihnen zu denken erspart, bringt den zivilisatorischen Fortschritt. Der Philosoph A. N. Whitehead hat das schon vor Jahrzehnten klar gesehen: »Civilization advances in proportion to the number of operations its people can do without thinking about them«. Das Soziale setzt also Technisierung voraus – gegen die Natur. Aber diese Technik verbirgt sich im Vertrauen der User. Man könnte es auch so sagen: Technik ermöglicht unschädliche Ignoranz. Die Welt des Designs war noch in Ordnung, solange sich das Gestalten am selbstverständlichen Gebrauchen und die Form an der erkennbaren Funktion orientieren konnte. Doch im Zeitalter der Mikroelektronik sehen wir uns von Black Boxes umstellt, zu denen es keinen intuitiven Zugang mehr gibt; jeder Haushalt kennt die alltägliche Verzweiflung über die Fremdsprache der Gebrauchsanwei-
sich damit begnügen, die Schlussfolgerungen aus schon Gedachtem zu ziehen. Gemeint ist der in Techniken und Institutionen geronnene Geist. Nur er macht uns in einer Welt, in der nur gewiss ist, dass die Zukunft ungewiss ist, überlebensfähig. »Uncertainty absorption« nennen das Soziologen. Unsere Zivilisation könnte also zur Not auf intelligente Menschen verzichten, aber nicht auf denkende Dinge. Nicht das, was Menschen denken, sondern das, was man
sungen. Schon lange haben wir Abschied genommen von dem Objekt-, nein: Weltverhältnis, das Heidegger mit wunderbarer Präzision »Zuhandenheit« nannte. Zuhanden war, was in seinem Gebrauch aufging und eben deshalb niemals als Gegenstand auffällig wurde. Man vergleiche dagegen den Videorecorder. Die Gadgets der Postmoderne sind, mit Hermann Sturms präzisem Wort: »Prothesen des nicht mehr Begriffenen«, fröhliche Kapitulationserklärungen der Sachlich-
keit. Das Gebrauchen ist also längst nicht mehr souverän und selbstverständlich. Wir alle leben in der freiwilligen Knechtschaft der User. Weniger poetisch formuliert: Man unterwirft sich dem, was man nicht versteht, um es zu gebrauchen. Wie in den Welten von Wirtschaft und Politik muss man heute auch in der technischen Gegenständlichkeit Verstehen durch Einverständnis ersetzen. Gnädig verbirgt uns die Benutzeroberfläche die logische Tiefe der Geräte. Design ist heute nicht mehr das Gewissen der Dinge, sondern »user friendliness.« Benutzerfreundlichkeit heißt ja im Klartext: funktionelle Einfachheit bei struktureller Komplexität also leicht zu bedienen, aber schwer zu verstehen. Die Intelligenz der Produkte besteht gerade darin, den Abgrund des Nichtverstehens, die logische Tiefe zu verdecken. So emanzipiert
genau das kompensiert die Rhetorik (im schlimmsten Fall qua Gebrauchsanweisung). Im Horizont unserer Zeiterfahrung heißt das: Technik beschleunigt, Rhetorik verzögert. So sorgt das Interface-Design als Rhetorik der Technik für die menschlichen Umständlichkeiten, die den Umgang mit den Black Boxes entängstigen sollen. Doch die Angst bleibt immer im Hintergrund. Technik funktioniert nämlich nicht nur sprachlos, sie macht auch sprachlos und deshalb wird sie dämonisiert. Das ist rasch erklärt. Jede Technik klammert den Sinn ein im Namen der Funktion. Wie gemacht wird, was machbar ist, ist begründet, was läuft. Hinzu kommt, da dieses Funktionieren immer opaker wird. Seit der Elektrifizierung der Welt steigert die Technik unaufhörlich die Zeichenwerte. Auslöser, Sensor, Knopf drücken, Mausklick das sind unspezifische Handlungen, die
sich das Gebrauchen vom Verstehen. Wer heute von intelligentem Design spricht, meint, da der Gebrauch eines Artefakts selbsterklärend ist. Doch diese Erklärung führt nicht zum Verständnis, sondern zum reibungslosen Funktionieren. Benutzerfreundlichkeit ist die Rhetorik der Technik, die unsere Ignoranz heiligt. Und diese designspezifische Rhetorik verschafft uns heute die »user illusion« der Welt. Technik funktioniert sprachlos oder doch zumindest sprachunbedürftig; und
überhaupt keinen Rückschluss mehr auf das erlauben, was sie in Gang setzen. In der Welt der neuen Medien geht es um die Entfaltung von Dialogzonen (A. Neumeister) zwischen Mensch und Maschine. Das ist die Aufgabenstellung des Software-Designs. Die neue Zauberformel Virtual Reality bezeichnet einen Grenzwert der ästhetischen Optimierung im Design von Benutzeroberflächen. Es geht hier also um die bestmögliche Zusammenarbeit von Menschenhirn und Rechen-
IM ZEITALTE MIKROELEK SEHEN WIR BLACK BOX ZU DENEN E INTUITIVEN
maschine. Zunächst mute man ja alphanumerische Codes eingeben eine neue Geheimwissenschaft. Douglas Engelbarts Maus und Apples Macintosh machten es dann möglich, Programme durch schlichtes Anklicken von Icons zu bedienen. Im Cyberspace können wir den Computer schließlich mit natürlichen Gesten bedienen wir müssen keine Programme mehr schreiben, sondern bewegen uns in einem anschaulichen Datenraum. Es genügt jetzt, mit dem Finger zu zeigen.
41’46”
TER DER EKTRONIK R UNS VON OXES UMSTELLT, N ES KEINEN N ZUGANG MEHR GIBT
DIE WISSENSCHAFT VOM KÜNSTLICHEN Es ist heute wohl unstrittig, dass das Design der Schnittstelle von Telekommunikation, Neuen Medien und Computertechnologien die wichtigste gestalterische Aufgabe der Zukunft ist. Wir brauchen dazu eine neue Designwissenschaft, die die Probleme eines kommunikationszentrierten Technologie-Einsatzes untersucht. Ist es ein Punkt, eine Fläche, ein Raum, wo der User auf sein Gadget, der Mensch auf die Maschine stößt? Wo uns Design mit einem Zauberschlag die Angst vor den opaken Artefakten nehmen soll? Interface-Design muss das Problem der Black Box und Sinn-Design das Folgeproblem des reinen Funktionierens lösen. Wir können daraus schließen: Design ist die Einheit der Differenz von Form und Funktion. Und diese Definition markiert auch deutlich, was eine Designwissenschaft von Kunst- und Naturwissenschaften trennt. Als Wissenschaft des Artifiziellen besiedelt die Designwissenschaft eine noch unerforschte Mitte zwischen Analyse und Ästhetik; ihre Maßstäbe bezieht sie bis auf weiteres von Technik und Rhetorik. Design hat es also längst nicht mehr nur mit Gegenständlichem, sondern immer mehr mit Medialem, vor allem mit der Welt computergestützter Kommunikation zu tun. Gerade auch fr Designer gilt: Der Weg führt weg von der Hardware, hin zur Software. Natürlich gilt auch weiterhin, da Design die Lesbarkeit der Welt
41’46”
steigert. Doch das erreicht man heute nicht mehr, indem man sachlich versucht, Formen an Funktionen abzulesen. Es war das Genie Nicholas Hayeks, mit der Swatch ein reines Gefühlsprodukt auf den Markt zu bringen, als durch die Quarz-Technologie alte Sachlichkeits- und Funktionalismusstandards hinfällig wurden. Und ganz in diesem Sinne löst sich die Aufgabe, des Designers immer mehr von konkreter Gegenständlichkeit ab. Natürlich haben die Menschen schon immer die Welt entworfen, in der sie leben konnten. Doch erst seit dies als Problem bewusst geworden ist, gibt es Design im eigentlichen Sinn. Designer wollen entwerfend Welt erschließen — sie besorgen Sinn. Und wenn wir heute Abschied vom Ding-Design nehmen, dann rückt diese Orientierungsfunktion des Designs nur um so deutlicher ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Sinn-Design ist mit dem Seinsollen befasst. Deshalb tritt an die Stelle von Objekt-Design zunehmend das Design von Wahrnehmung und Lebensstil. Paul Virilio hat in diesem Zusammenhang Kant ironisch entstellt und von einem Metadesign der Sitten gesprochen. Und tatsächlich: So wie Wissenschaft heute nicht mehr am Subjekt ansetzt, sondern an Beziehungen, so setzt das postmoderne Design nicht mehr am Objekt, sondern an einer Beziehung an. (…)
43’27”
WIR LEBEN IN EINEM VAKUUM DER GROSSEN GEFÜHLE
EMOTIONAL DESIGN Vorbei sind die seligen Zeiten der Neuen Sachlichkeit, da die Form einer Sache ihrer Funktion folgte. Denn diese Funktion lässt sich im Zeitalter der Mikroelektronik kaum mehr anschaulich machen man denke nur an den Computer. Die postmoderne Welt besteht in exponential wachsendem Ausmaße aus Black Boxes, hochkomplexen schwarzen Schachteln, von denen nur noch Spezialisten sagen können, wie sie funktionieren. Design zielt deshalb heute nicht mehr auf funktionalistisch-sachliche Transparenz, sondern auf Sicherheit und Weltvertrauen. Je komplexer unsere Welt wird, desto dringlicher wird die Gestaltung der Schnittstelle von Menschen und Systemen. Deshalb setzt die erfolgreiche Gestaltung von Gebrauchsgegenständen nicht mehr an den Objekten, sondern an den Subjekten an. Die Form folgt dem Gefühl des Konsumenten, nicht der Funktion der Sache. Hinzu kommt, da die großen Gefühle, die Passionen und Leidenschaften in unserer Kultur heimatlos geworden sind und nach Schauplätzen der Selbstinszenierung verlangen. Gefühle gelten nicht den Menschen, sondern den Dingen. In der sachlichen Welt der modernen Zivilisation gehen Emotionen ins Leere. Man könnte sagen: Wir leben in einem Vakuum der großen Gefühle. Und hier springt der postmoderne Konsum ein. Emotional Design besorgt den Transfer der zwischenmenschlichen Werte in die Dingwelt. Deshalb gehen Marketing und Werbung dazu über, Gefühlsmuster anzubieten. Und hier heißt es: Lernen von Hollywood! Seit der Revolution der Pop Art kann man wissen: Gefühle haben ihre wahre Intensität nicht im Leben, sondern in den Medien und im Konsum. So bieten uns heute sogenannten Themenwelten eine surreale Verdichtung des Erlebnisses: wirklicher als die Wirklichkeit. Wer wirklich etwas erleben will, sucht dieses Erlebnis eben nicht mehr in der empirischen, sondern in der virtuellen Realität; sie ist formbar und weniger störanfällig.
43’27”
Emotional Design operiert nun genauso wie die Medien: Es präsentiert das Produkt als erotisches Ereignis. Damit können Menschenreize nicht mehr konkurrieren. Medien und Erlebniskonsum tauchen uns in eine Welt der virtuellen Ereignisse alles andere, nämlich das Reale, ist zu gefährlich. Dieses Emotional Design hat also zwei mächtige negative Kraftquellen: die Undurchdringlichkeit unserer technischen Welt und das Vakuum der großen Gefühle. Kommunikationsdesign zielt heute also nicht mehr auf das Bewusstsein, sondern auf dessen Immunsystem: die Gefühle. Emotionen entsprechen Verhaltensmustern und werden in gewisser Weise erlernt. Deshalb ist es möglich, Gefühle zu modellieren. Emotional Design gestaltet Gefühlsmuster. Hier können Marketing-Manager etwas Entscheidendes von Kulturhistorikern lernen. In der archaischen Welt, an der Schwelle der abendländischen Zivilisation entstanden die Gefühle nicht spontan im Menschen, sondern wurden ihm von den Göttern aufgeprägt. Heute könnten wir ganz analog sagen: Die Gefühle werden uns vom Design und den Medien aufgeprägt. Emotional Design verschafft den objektlosen Emotionen einen Aussenhalt; es bietet Gefühlsformeln an. Und in diesem Sinne war schon die deutsche Romantik eine Art Emotional Design. Man kann seine Aufgabe nicht prägnanter formulieren als mit den Worten Wackenroders: »Verdichten der im wirklichen Leben verloren umherirrenden Gefühle«. Emotional Design bietet Patterns an, mit denen die Konsumenten ihre Gefühle modellieren können und genau das tun ja eben auch Hollywood-Filme seit Jahr und Tag. Kommunikationsdesign formt die Erlebnisse im Medium des Konsums. Gestaltet werden nicht mehr Gebrauchsgegenstände, sondern Beziehungsmuster. (…)
46’’29 46 46’29” 29” ”
ein Designer ohne Vision ist Kein realist
[Kurt Weidemann]
DAS BERUFSBILD DES DESIGNERS IN ALLEN DIMENSIONEN LÖST SICH VEHEMENT AUS SEINEN HERKÖMMLICHEN VORSTELLUNGEN: DAS INDUSTRIELLE UND KONSUMORIENTIERTE FORMGEBEN
WIRD ZU EINEM EHER ZWEITRANGIGEN DURCHSPIELEN MIT ELEKTRONISCH GESTEUERTER INTELLIGENZ ODER GANZ ÜBERFLÜSSIG. (»WIE GESTALTE ICH EINEN CHIP?«) WEM AUCH IMMER DABEI DIE FORM FOLGEN WIRD: »FUNCTION«, »FUN«, »FICTION«, »FANTASY«, ODER »PHILOSOPHY«, DAS UNTERLIEGT EHER ABRUFBAREN TAGESGESCHÄFTLICHEN ÜBERLEGUNGEN. r d hinterhe ystem! Un S rig e w b d Ü u as L örper. bscheut d erlichen K h ra c e V lä ! ie re n d u fe , E nd kau fikern apparate u Werbegra mut eure Foto d der Kom chäbigen rf s n e u w n n e dem Stiefig d , s e s e u ziel nalism ie dem D ornbaum fs ig h d , S ru A n e n B fe m e e s d ru d a e t d laß end B aus-Mystik dass tet vor der Kaufh ir wissen, nkte n dem Dutz n. Ihr errö w e e rä s n h d is e c n s n n s u s e rf ü im g e e m in h ihn nen, n Gesetze fe Ge er une nikation die pation od thaft Eure noch . Doch tie s zi n n e lls rn a h e fa nm rc n n rfi e E a E lle tt a m ü m iduelle ürde be die elingt nicht indiv griffen. W nn. Das g lten, er ha influß, e a a E k b rh ir r in vo w ih e s s t n b le e g ha hm erik irklichun erufen ne ßte man P ren, .« Selbstverw re unseren B en, so mü der verfüh lg o In . n fo verhindert rn re e h rs eine ande tl fü s to n ir o enzinm esprochen lieren, w llieren. B g u e einigen Kü s iv ip e e n n n h d n r a c a e g k m ra d n r p o u d ilden dere S ebnisse ieren ode setzt euen, wir b ird eine an rmel-1- Erl s tr o n w wir inform F rs e r hlt . ie ü ze lt ta r H m e s e d t e d n nd G . Es is bgeha trieren o Denkens u simulieren hauung a rische c s n e wir konzen s e h n r n d a e A ild g b rb B a n lt te u . e t h lt s W er Ac vorau . Es is ame Ha twortung nicht auf d rgänzt diskutieren n e n Eine wirks ra , e n zu e b e re t V e it h s e n n le d k u a d n ig m Grun ber K nkfäh ollen u esignern ü ingen mplexe De demischen D a o Wissen, W zw k k it a g h m te n r rc n u , e u e h d m d c m a s s ele ur in eherr werden kleine Bau an nicht n rp Formb Qualitäten en roskopisch ut, wenn m e Form. d Hans A ik h g n c u M is i t. en erkenn m s s u o rb lö c n a e n o ei Bra nstler: ine erg Monet F b ü e oder abg K e in d rn zu in r u e e h d ie la r e n s e C o m ta d s uys — je ers und ie Phan on nicht ns seit Be ard, der tte lernt, d die Funkti i Josef Alb h ri e te c g s b daa lo te t, n M ä C e rn p é r s s le n e t— nd Re er müs r und d Natürlich is ax Ernst u Außennstverwert irmmache M e u h i h K c e ielu S b p d ra s r n d k e u n ie n d u r d um ünstle afft De echter, gebraucht, miseraen. Nur K Kunst sch der Korbfl h s . ie c e n s ht u t e c ta ra u ib n rd b g ra a e e b h h w g halten natürlic seine P . Design esigner inanderge izen. Und träumend unden, ein e e D tib s h k e e u u u a ig fz d kg i rt u c e ro a a e b ß p s r etwa später gt sie, zw , ) und gro n e e h e h c B n lic ru e ig n p s rk s e e e temperatu n h osc unst lbsta handw räume, D m eine erl lichung. K er (mit Se errschte, Beispiel, u ble Künstl ie Verwirk Der Desierfekt beh d m . p r rt zu Sehh fü ts r e e d k te n k n e s fi e u g s -Gra Ideen ertigkeit Und um r F h ). e ic n d e s e h h c lt in c o is u (Gebrauch h ß n Die gebra esign en, da onstech esign eher. hnung zu aber wiss e nicht. D rufsbezeic ironisiert D ch sollte digerweis paar Risit h: n s ru e in n p lic e u s h tw , n K o ic n n t. ra e re s e h ünstl der Kun ign sind s hr herrsc s le e e u e a D g m n d n s e n e e gner mit K g u n rk stä d daß Kunst ragsgeanregu paar Wind zwischen gehen. Un ign ist auft r s re u z e a n n a D t ta p h . s a tz ic b Kunst ein a d n u s ie S bjektivin und Willen Gegen äher an d rer selbst reichlich O ser umfalle fs u ih t ä h ru c e H m u u B o ken hautn ra t r w b is ih ibt, esign kompleKunst önnen rdbeben g eistung. D , telligente, tl Künstler k tt in s . o n t p ln ß ie e S k D lie r n gentlich E h e e u c n h sc sign s auf das bunde lagen. D n gruselig bjektiv. De Design ist n, hwer eink u . c s te s s t u rn a is ft e a t ein bißche h ie s h s n c ic ells uß betät. Ku legentl chließt ieser Ges . Design m e. Kunst s n ihnen ge ie s p vo is r to m e U ro risiko in d rb f p e u W unst a von etaxe Kom signer und sign geht : erichtet, K e g t« s D s u n t. a u h K den die De ic re r n a t Kuns Machb nken zu st fertigt örbar. dlich sein. em »Geda ßt sie. Kun d n ä n in rl u tä e s n rs ve e t in ist unüberh ve s g t n r lo a u r macht. greifb viel ge aus. K s schreib will, was e genheiten ie r Kunst so o r d e fl e Günter Bru , d p n s e n b ig e o s G n e m n a S D N Stil Der blierte wurde im n Serien. endlich die »Nie zuvor t die Kapiale, Desig h in c Schmeißt g la . ri , te O n u e e rz h He ie aus Euren gelogen w ralismus uchamps en des Plu D m d a n N u s im ia Picab he Namen r aus, welc telsammle
I
60’30”
ner
sig r De
l, wil
was
. cht a m er
»De Der Künstler macht, was er will.«
Der Künstler macht, was er will. Die Kreativität des KünstKreativität des Künstwill. Die er s wa , cht ma lers vagabundiert, die Kreativität des Designers ist diszipliler nst Der Kü lides Designers ist diszip Kreativität diert, die niert. Viele Designer bedienen sich der Kunst allenfalls als abun lers vag als lls nfa alle h der Kunst dienen sic beEinfälle. Einstiegsdroge fürner ihre Sie betätigen sichh als Wieniert. Viele Desig betätigen sic als WieSie e. fäll Ein ihre für e deraufbereitungsanlage. Instinktsichere Triebtäter sind da rog gsd Einstie e Triebtäter sind da tsicher tink Ins e. lag san ung eher eine Ausnahme. Gottfried Benn fand es richtig und eine reit deraufbe e nn fand es richtig und ein e. Gottfried Be»daß snahmGrundgefühls, Bestätigung Kunst außerhalb der eher eine Auseines r de alb erh auß s, »daß Kunststeht ühlGesellschaft undgef Zusammenhänge vonGrStaat und und daß Bestätigung seines ß da und ht sellschaft ste at und StaWelt e vondie ihre Ablehnung durch zu Ge ihr gehört«. menhäng Zusam gehört«. ihr zu lt We durch die sollte einmal Unter diesen ein Werbekünstler nung Prämissen Ableh ihre mal ein Werbekünstler ein lte sol missen oder Un Designkünstler seine Schöpfungenenzuzuverter diesen Präversuchen, verSchöpfung seine hen,frei sucklar, nstleristver markten. wovon jetzt wozu lautet die Frage. signkü oder DeFrei ge. Fra die tet frei wozu lau i wovon ist jetzt klar,werden Die sich auf WestenFreBürokommunikation rkten.der maMittel nste We auf h n werden sic rokommunikatio taschenformate zurückziehen. Für die OberflächenkosmetiDie Mittel der Bü etiosm enk äch Oberfl Für die en.nicht ehda te zurückzi kertas unter Designern wird mehr viel Gestaltungsforma chenden hr viel Gestaltungs me ht nic da d n wir ker unter den Designer
62’28”
spielraum bleiben. Das einzig Klobige, was noch zurückbleibt, sind unsere Finger. Dennoch werden sie durch Berühren von Benutzeroberflächen zu etwas, was man früher unter einem Zauberstab verstand. Das unsichtbare Design wird anstrengender: Der Kopf muß die Qualitäten sublimieren. Er muß bereits im frühestmöglichen Stadium, das zu einem Produkt führt, dabeisein. Vorausschauendes lineares Fortschreiben von Designaufgaben wird seltener, Verwerfungen, die morgen den heutigen Weg woanders fortsetzen, werden häufiger. Der analoge, gleichartige Denkprozeß, der stets nur »das Entsprechende« sucht, steht gegen eine dialoge, abwechselnde, digitale Denkkategorie, die heutigen Kindern weniger Probleme bereitet als die Rechtschreibung oder die Ansammlung eines ausdrucksfähigen Wortschatzes.
Der Designerberuf in einer modernen Auffassung befreit sich aus der Enge des nur Schönermachens, Wohlgestaltens und Verkaufsförderns. Sozialverantwortung, Verträglichkeit, Sinngebung sind Schlagworte, die vor allem auf Kongressen und Versammlungen die Runde machen und »chic« sind. Nun haben aber Postulate den Nachteil, ebenso andächtig angehört zu werden, wie sie weitgehend unbeachtet bleiben. Wege aufzuzeigen verpflichtet niemanden, sie auch zu gehen. Das Bequemere ist, kein Ziel zu haben. Nach dem Grundsatz: »W
o kein Ziel
ist, ist jede r
Weg richtig .«
Oder, um es etwas seriöser zu sagen: »Es ist einfacher, für ein Prinzip zu kämpfen, als ihm gerecht zu werden« (Adlai
Stevenson). Designer sind nicht die Alibifunktionäre der Vertriebschefs und Verkaufsförderer. Designer zu sein, ist ein so moralisch und gesellschaftlich verantwortlicher Beruf, wie es der des Arztes oder Seelsorgers ist oder erklärtermaßen sein sollte. Daß er es hier wie da nicht immer ist, mag in einer Kaufmannsrepublik, die zwangsläufig Krämerseelen züchtet, nicht verwundern. Kunstgewerbliches Verschönerungsdenken und Dienstleisten am Zeitgeschmack verstellen aber den Blick für ein klares Berufsfeld. Der vielzitierten »Sinnkrise« mit »Lifestyle« beikommen zu wollen, ist ein kollapsgefährdeter kosmetischer Irrtum. Die Lifestyle - Gurus entpuppen sich gelegentlich als Zweitligisten mit aufgesetztem Imponiergehabe. Auf den Putz zu hauen sollte man sich nur leisten, wenn man auf die Kraft zur Erneuerung, den Mut, Risiko zu tragen und die Vision neuer
64’28”
. darauf versteht d sich selbst un t au rtr da ve n Müsse Lebensinhalte ckiger gehen? zu dreckig /dre da s geschnitun ab es en m uß M n den Bäu vo n te at m ge de Gelder ist noch mehr Hän ern über fehlen m m Ja as D die Versenkten werden? ch nicht einmal no ch si an m en noch kein sinnlos, wenn istet. Die kost le ns ke en hd notwendig zeiten des Nac el, so viel wie eg nr er au B te erarbeiten, Geld. Die gu am Entwurf zu h lic ög m ie w egenwart eiund so wenig erufe. In der G B en nd te al st Angebotesgilt für alle ge überquellenden n ne Zo n re als vorwärts: nes in unse in die Breite r eh m s le al ert ab, imitiert marktes geht urrenten, kupf nk Ko n de f au chieden vorMan schaut endigkeit, ents w ot N ie D rt. lschen Weg und lamentie e Angst, den fa di h rc du ird w und Entwickanzugehen, . Denn Trends st em br ge n, berechnen einzuschlage nn je vorauszu de er ig en w meinen imlungen sind . Unternehmer en an pl zu g lti lität ihr Anund sorgfä nktion und Qua Fu s, ei Pr ß da s attraktive mer noch, ist und daß da t uk od Pr m sei. Das teil an eine r anzuvertrauen ne ig es D m esigners umÄußere eine ändnis des D st er tv bs el S d Qualität berufliche die Funktion un ch au st ng lä Preis nicht faßt aber rliert auch den ve d un s te uk eines Prod nikat im Glases nicht ein U n en w , en ug Wer sich aus den A bleiben soll. s m eu us M s bigen Meskasten eine en oder kurzle lg rfo ne so ai S ein scharfer nicht mit uß beginnen, m , bt gi ab n guten engliseschlager n. Nach dem de er w zu er ik Selbstkrit satz: esitzer-Grund schen Gartenb
das Design jeder Einkäufe r - und Vertret mungslos opfe ermeinung he rn. Von Raymon md Loewy stam sonders tiefgre mt die nicht be ifende Erkenn tnis:
»Von Zwei ProDUKte n, Die in Preis, FUn Ktion UnD QUalitÄt nichts Un terscheiD e t, wirD Das mit De m attraKt iV eren ÄUsseren Das renne n machen.«
Das kann man nicht nur von Produkten sa auch von Zwer gen, sondern gpudeln oder Mädchen auf markt. Manch dem Heiratsmal werden so gar die wicht gegenüber de ig eren Werte r Attraktivität zurückgestellt. nach Attraktion D er Wunsch — nach Anziehu ngskraft — und schönheit ist na ch Gestaltdem Mensche n angeboren. heit hat auch m G es taltschönit Begehren zu tun. Darüber w sehr viel. Der uß te Loewy »unwahrscheinl ich weibliche Coca-Cola-Flas Ap pe al« der che, die man — sicher um die fend — zum Mun H üf te greide führt, hat hi er seine Faszin Geheimrezept ation. Das des Saftes un d sicher auch milliarden, die die Werbein diesen Mar kenartikel per gepumpt wurde excellence n, taten ein üb riges zur Wel lung. In vielen tmachtstelProdukten hat Loewy sich au lus - Symbolik ch der Phalbedient: Loko motiven, Autom Selbst sein Ble ob ile . istiftanspitzer sieht noch so ob er 240 km aus, als / h schafft. Wen n man dann no darstellung un lieBt, ch Selbstd Marketing be n garten e in e s D herrscht, kann r n e U zu Z »w m r e — du h rc s man es e ha us nicht beneid in hart eten — Designe br BraUcht e in ge r n. W (N .« eltruhm e ichts ist so erfo Fe sÄg lgreich wie de Barbie - Puppe. eine schar r Er fo lg : siehe ) zwar Die Japaner si itengrade sind re B r re nd se ni un cht deshalb so e sie viel mehr Die Menschen weit vorn, wei ses, aber kein arbeiten als w l r des Überflus lle te hs in ir, sondern wei uc t pr ch ni bi Ans t, s rn zw le an ge l sie zehn zig n Ja be hr ha e ie lä S ng er warten könn n. n Konsumidiote Idee zur vollen en, bis eine gu stolpern, habe te Reife kommt, eitslücken zu gk di ür er wohlgemerkt: w zu ub la ue G Id tre ee tz . sa W eine gute en nd ru n G al so an ni er ch kt t die Großen di n gelernt, Chara cken werden, e Kleinen schl kige Aussage sondern die S un gelernt, wol be ha , chnellen die La ha en n, nn ne ke rd da uo nn nz ha ei ngsamen, t en da ng s ni nu ch ei ts ch rs m it Tempo zu tu n. bei Himmelse dem Vornesei n, sondern mit zu unterscheide n im Denken ge agen und Tun S t, rn ele D gen die Langsa ge s n te be gu G ei st ch si e, rt di men im e geistigen Ka mentie ltstarter. Der Deshalb doku In den . ng pä tu is al of ch H fe e d ne Markt wird un euroharakter un s da noch eini nd sign auch an C nisse vermittel ge Aha - Erleber Produkte si tig er w ch n. ei gl W er in dieser Situ Warenströmen wohnten Gang ation dem ge kennen, wenn der Dinge nach rakter nur zu er ha C d nun l so ofi geht, geht rück lt, Pr ol w Es ge r ge nu nü t gt ch w ni ni är ch ts er . t kt m ra eh ha r, Ansichten zu Profil und C vertreten, wen ihnen keine Ei n nsichten vora n. anden sind. rh de in vo hw ch sc au usgegangen si rn ile te de an kt Ei ar ns M ic n ht nd: die en en w , in st ei er ne st n ei unbelasteten hsen m Neuanfang im Wahrnehmen, echenden ProEinsichten wac Erkennen und es — bei entspr en ar w m er üh de Gestalten. Die Fr e di , fü re hr eu un kt g auf das Notw Rückdie Konstru endige in eine dukten — meist voll-naturgemäß r rücksichtsmachten. Heute er hw sc uf er en B Lebenswelt is Designer den t der Weg. führt zu einer die auf jeden Er Neubelebung arketingleiter, ks verhärteter un ac sind es die M m ch st es um G n pf d de te ab je r , S ge in iß ne om . pr und Verkaufskom Wer weiß, daß it eingehen ke lig äl ef G er etwas für den M trend, jede enschen macht wird ihm auch , menschlich be gegnen müsse fiktiven Marktvo n, nicht rstellungen na chrennen, nich t mit
70’24”
erksamkeitsschnörkeln, mit Design- und Stil-Zitaten und Aufm n. Die engstirnigen Geische erhe eitlen Individualismen Beachtung Wort vom Designer böse das schmacksmustermacher haben erer« provoziert. Die kreative als »Strichjungen der Verkaufsförd nicht nur gefällige Formspiesie Dienstleistung ist teuer, wenn . Ganzheitliches Denken lerei als einzigen Mehrwert anbietet Köpfen der Auftraggeber den an setzt viel Arbeit vor Ort voraus, mfeld einer neuen Proamtu Ges bis in die Produktion und das duktentwicklung. sibilität und FolgenabDafür braucht man die Geduld, Sen Zur Qualität eines neuen schätzung eines Mikado-Spielers. schwer zu vereinenden Berufsbildes gehört eine Anzahl von : Wer über Höhenaften nsch oder selten vorzufindenden Eige Ideen verfügt, wird e end dier bun flüge der Phantasie und vaga it und vorgeplante arbe Team sich schwerlich in disziplinierte er eigenständigen sein sich Wer Produktionsprozesse fügen. higkeit bewußt ksfä druc Aus Begabung und künstlerischen st, von sich Kun der mit leme ist, hat im Dienstleisten Prob kreativen Iner sein in Wer en. selbst einmal absehen zu könn er Markttern nüch t leich so t nenwelt Exoten pflegt, wird nich kt im Mar den nur Wer . sein r analytiker und Trendforsche ann. äftsm Auge hat, ist ein me-too-Gesch dieses Berufsbild hinDie Freiheit, die die Elektronik in tellung, zu neuen Dars llen idue eingetragen hat: frei zur indiv andlungen, diese FreiStilauffassungen, variationsreichen Abw kfehler, BegabungsDen hen, heit macht Haltungsschwäc zenten zwanghafJahr den in als mängel viel offensichtlicher enheit, als Design bund nsge uktio ter Konstruktions - und Prod barer Gegebending unab ung nur die intelligente Ausform nleistung. Eige eine allem heiten war. Motivation ist vor igen Dinge? richt die wir Tun e: Die selbstgestellte Frag steinschätzSelb die für ist ig? und: Tun wir die Dinge richt ken gegen Stär und hen wäc ung im Aufwiegen der Sch Leistunten. twor bean zu neu er Chancen und Risiken imm hergen igun ngst Beä und en gen, die nur über Mahnung , cher Rau . fung tump Abs zur en ausgefordert werden, führ n des Rauchens lesen, die immer wieder von den Gefahre er Winston Churchill, auch tenr das wußte der Zigarren-Ket , die den Design - und hören auf … zu lesen. Die Chancen enwart erwachsen, Geg der Kommunikationsberufen in en, sie bedürfen fass zu en sind nicht in Regeln und Norm Aber Evolution ). mus onis Akti der Evolution (ohne blinden uld wieder die Ged der en sollt ohne Vision ist ziellos. Wir sozialen Kreisere Uns n. ume Chance einer Tugend einrä an Befassen gel Man dem aus laufschwächen entstehen stößt immer rsein nelle Sch als und Verstehen. Fortschritt igkeit, die efäh ahm Aufn r liche mehr an die Grenzen sinn ögen verm ungs chau Ans das Einbildungskraft erlahmt, verblaßt.
llt ein aUsgeBlasenes ei ro es; schneller als ein gelegt er es Kommt Zwar weiter, aB es taUgt nichts. Alltägliche — verrät Der Kompromiß — und das ist das Designer an den den re: meist eine Seite an die ande
n. keit an das Desig k, die Verkaufbar en M e ein ar Konsumgeschmac mer, zw , wie vom Unterneh ei. Vom Designer wird Hellseher rlangt, aber keine lege Voraussicht ve ch nicht, die Prob no ißt he kennen e wi , nig Die Tendenzen er we nn man so zu lösen. Das ka , nt pla ge t eil me von morgen er . Wo üb rrat rasieren kann rve d un t man sich auf Vo ier ig produz hieden, schlamp n kein halbherzig entsc lt auch das Desig ho da lliert wird, . Aus us ra he schleppend kontro n olvenze dem Zirkel der Ins folgsEr d un Unternehmen aus nken sen Wachstumsde Blick n de r dem bedingungslo de wahn«, ein »Machbarkeits was t ch Ni t. denken entsteht ck « ersti reiatmen der Seele ern nd so n, verengt und das »F ge anstren soll unser Denken hat e ar hb ac alles machbar ist, M . Das tig, was töricht ist unell rst tvo er was alles nicht nö t und W cht, wo es Qualitä en M n de dort sein volles Re aß gt uns, »d Saint-Exupéry sa hlic ög M hr gen verbessert. me sind, Güter zahlreicher n schen dort, wo die Natur Ihrer Freude die er üb rden, sich en ng Di n de keiten geboten we n r Tat vo se scheinen in de euzu irren; denn die in Wahrheit ihre Fr n he sc end die Men «. en hm ne an herzurühren, währ e se Ding nn erlangen, den die s da , lle rie Se de nur durch den Si se will das gesichtslo Das neue Design falsch verstanist Es . en nd wi lösen, über besAustauschbare ab so heizen ll. Es ist umbedürfnisse an ne ge an eg ng den, wenn es Kons ra ukte vo wenn neue Prod sie il we r, nu ser verstanden, ht sind, nic , weil sie überholt sProdukte ablösen diesem Aktionismu In n. ufe gut verka rVe r be lie sich nicht mehr so on enerati e neue Designerg strudel möchte ein Stilmissionar sein. trauensstifter als t sie das Empfinund Ausdenken ha tion Neben das Denken ng in der Produk stellt. Die Umstellu n en W r. he frü den und Fühlen ge stiger als ch und kostengün on kti tru ns Ko ist schneller mögli kten die von Industrieprodu trie in der Fertigung t, dieser eine Isome gib r ute den Comp nn da rt, füh einen Datensatz in eil m Fertigt ein Fräsmodell zu germ Fo en bt zeichnet, die über dhauerisch bega bil s de hr me ht dann bedarf es nic Formbilden muß die Fähigkeit zum sein, rm Fo er bers; größer als ualität ein Beurteilung der Q die Fähigkeit zur Urteilskraft«. n die »anschauende n innen nach auße immer seltener vo au n vo Leben wird heute es rd wi um so leichter d un hr me so wegt gestaltet. Um se Verformung be verformt und die Aust mi r be ßen nach innen rü gen da rflachung. Unbeha nasig re d un sich in Richtung Ve d selbsttäuschen ist n re sie en mp ß man steigen zu ko zu erkennen, mu und sich selbst nicht ch au n tiv. Um die Welt he Mensc i sollte man den Vern Ei n. llte handeln. Und dabe so t tun s sie besser selbs m de s au t ide bei dem helfen, wa he rteilt, sc r Hängematten ve sorgungsstaat, de kte. Nationen und Mär und Wettbewerb der tisch enträtselten ma ste sy ig und ioVis ch In einer vollständ na h sc r Wun wächst wieder de n, he rsc Fo am abgebildeten Welt n behage hließbarem. Das Un die t hr nä d nen, nach Unersc un wächst haftsgläubigkeit hysik. an der Wissensc nach der Metap , nis eim eh G m de ch , das Sehnsucht na ierbar, erklärbar ist llziehbar, multipliz Was nicht nachvo it fasziniert. ig Wittgenstein, »m kalt«, sagte Ludw e wi , en ing »Alle Weisheit ist br ng Ordnu Leben so wenig in en. ihr kann man das ir brauchen Vision W .« nn ka en ied hm sc lt man Eisen ka Realist. en glaubt, ist kein Wer nicht an Vision
76’15”
GIBST DU DEN DINGEN EINEN SINN ALLES WAS EGAL IN IST DESIGN, MENSCH SIEHT AUF SEINE WEISE, SO ZU SEHEN
EXISTIERT, WELCHER FORM UND JEDER DIESE DINGE EIGENE GANZ SPEZIELLE WIE SIE KEIN ANDERER VERMAG.
»COINTREAu MIT EIS, ORANGENSAFT ODER EINEM DEZENTEN AuGENAuFSCHLAG«
Ich will über eine Voraussetzung sprechen, die zu kennen für alle mit dem Design Be faßten von Vorteil sein könnte – für Produ zenten und Rezipienten, Erfinder und Be nutzer gleichermaßen. Meine These lautet, daß unser heutiges Denken, Wahrnehmen und Empfinden in einem sehr elementaren Sinn ästhetisch geprägt ist. Die gegenwär tigen Weltbilder und Welthaltungen – die wissenschaftlichen wie die alltäglichen, die kognitiven und die emotionalen sind alle samt durch ästhetische Prämissen be stimmt. Für das Design hat dies gewichti ge Konsequenzen. Es ist nicht mehr auf alltägliche Dimensionen der Nützlichkeit oder auch abgehobene Dimensionen der Schönheit beschränkt, sondern es hat mit elementaren Strukturen unserer Existenz und Welt zu tun. Angesichts einer ästheti schen Wirklichkeit vermag das Design die Conditio humana und mundana in diesem zu Ende gehenden Jahrhundert zur An schauung zu bringen. Gewiss hat das De sign stets den Geist seiner Zeit nicht nur widergespiegelt, sondern auch mitgestal tet. HEuTE AbER IST
ES MIT
DIESEM
GEIST
ANDERS ALS FRüHER, DA halben Beauty Farms. Selbst für die Ökono DER GEIST ZuNäCHST mie ist die Ästhetik in den Vordergrund AbSTRAKT wAR uND ERST gerückt.Die Werbung proklamiert ein »Recht NACHTRäGLICH EINE SINN- auf Ästhetik«; und zunehmend sind es die LICHE KONKRETION »sensiblen« Manager, die eine gute Presse SuCHTE – von Grund auf im Bund. Als haben; und manchmal scheint geradezu ästhetisch geprägter ist der Geist unserer Zeit von vornherein dem Design zugetan. Darin sehe ich den eigentlichen Grund da für, daß das Design in den letzten Jahren von einer peripheren zu einer zentralen Ka tegorie aufgerückt ist. Beginnen wir an der Oberfläche. Daß wir in einer Zeit der Äs thetisierung leben, pfeifen heute die Spat zen von den Dächern, seit es die Publizis ten durch die Feuilletons geträllert haben. Ein ÄsthetikBoom herrscht vom Konsum verhalten über das individuelle Styling bis zu dem urbanen Facelifting. In Lifestyle Magazinen wird die anscheinend erregen de Frage aufgeworfen, ob Cointreau mit Eis, Orangensaft oder einem dezenten Au genaufschlag (alternativ auch, ob mit oder ohne Wassermann) zu trinken sei; die Ein kaufszonen unserer Städte werden seit Jahren chic aufgemöbelt, und noch außer halb unserer Metropolen erblühen allent
ein direkter Zusammenschluß von der Wirt schaft und der Kunst bevorzustehen. Ohne Umschweife erklären einige ZeitgeistExper ten die Wirtschaft zur eigentlichen Kunst und avancierten Kultur. Die bisherige Kunst war ihnen zufolge avantgardistisch einzig in dem Sinn, daß sie Formen fortgeschrittenen Wirtschaftens vorweggenommen habe. An der Inseratenserie der Deutschen Bundes bank zu der Einführung der neuen Hundert markscheine mit dem Porträt Clara Schu manns war das Schema abzulesen. Man verkündete, selbst das einst auf die Klavier virtuosin gemünzte Wort »Die Kenner Europas waren vereint in der Verehrung ihres Spiels« treffe heute auch auf das internatio nale Zusammenspiel der Notenbanken, ins besondere der europäischen, zu – auch dieses verlange sensible Virtuosität. Ästhe tik boomt, wie man sieht, allerorten immer einträglich, manchmal überzeugend, oft
77’40”
EINS PLuS EINS GLEICH KEINS.
auch nur lächerlich. Diese vordergründig feststellbare Konjunktur des Ästhetischen rührt, so meine These, aus einem Wandel der Wirklichkeitsvorstellung her. Unsere heutige Auffassung von Wirklichkeit ist ihren Basisannahmen nach ästhetisch. Man kann geradezu von einem Paradig menwechsel sprechen. Während man frü her (in der Antike) alle Fragen durch den Rückgang auf das Sein, dann (in der neu zeitlichen Moderne) auf das Bewußtsein, schließlich (in der Spätmoderne) auf die Sprache beantwortet hat, kommt es heute zu einer ästhetischen Wende: Wir greifen, wenn wir die ersten und letzten, die weit esten und tiefsten Fragen zu beantworten suchen, zu vornehmlich ästhetischen Aus künften. Ein erster Grund dafür liegt in der neuen Einsicht, daß Wirklichkeit stets ein auf ästhetischen Prämissen und Vollzügen beruhendes Konstrukt ist. Wirklichkeitser kenntnis als Konstruktion von Wirklichkeit: Unter Wissenschaftlern besteht heute Ei nigkeit, daß unser Erkennen die Wirklich keit nicht einfach wiedergibt, sondern er zeugt. Das gilt von den Axiomen bis zu den Fakten. »Fakten« – auf diese treffende For
mel hat man das gebracht, sind tatsächlich Fakten, sind gemacht. Auf deutsch: Tat sachen sind Tatsachen. Diese Einsicht hat eine lange, eine 200jährige Vorgeschichte. Schon Immanuel Kant hatte festgestellt, daß unsere Erkenntnis sich nicht auf eine Wirklichkeit an sich, sondern auf Erschei nungen bezieht und daß diese Erschein ungen grundlegend durch Vorgaben uns eres Erkenntnisapparats bestimmt sind, und zwar näherhin durch ästhetische Vor gaben, nämlich durch unsere Anschau ungsformen von Raum und Zeit. Kants »Revolution der Denkart« von 1781 be stand, wie er selbst sagte, just in der Ein sicht, daß wir »von den Dingen nur das a priori erkennen, was wir selbst in sie legen«. Und das sind zunächst einmal unsere ästhetischen Anschauungsformen. Kant sagt sogar, DASS NOCH DIE
MATHEMATIK EIN PRODuKT uNSERER ANSCHAuuNGSwEISE uND EINbILDuNGSKRAFT, MITHIN NICHTS ANDERES ALS » REINE DICHTuNG« SEI. Seitdem ahnte man in
Europa, daß auch die scheinbar »harte« Erkenntnis der Naturwissenschaften im Grunde ästhetisch fundiert ist. Nicht zufäl lig entstand damals die Ästhetik als eine neue Disziplin mit einer fulminanten Karrie re. Noch vor Ende des Jahrhunderts hieß es im ältesten Systemprogramm des deut schen Idealismus, daß »der höchste Akt der Vernunft« ein »ästhetischer Akt« und die Philosophie des Geistes eine »ästheti sche Philosophie« sei. Im 19. Jahrhundert hat dann vor allem Nietzsche den Gedan ken weiter ausgearbeitet, daß die Wirklich keit unser Produkt ist, das wir mit ästheti schen und fiktionalen Mitteln erzeugen. Im 20. Jahrhundert wurde die ästhetische Grundierung all unseres Erkennens selbst der »harten« Wissenschaft, der Naturwis senschaft, zunehmend bewußt. Die neuere Wissenschaftstheorie hat dies respektiert, und Paul Feyerabend brachte es auf die griffige Formel von der Wissenschaft als Kunst. Die Wissenschaft wie die Kunst ar beiten jeweils gemäß einem bestimmten Stil (Kunststil im einen, Erkenntnisstil im anderen Fall); daher ist die wissenschaftli che Auffassung von der Wirklichkeit und
80’03”
IM PRINZIP bLEIbT ALLES IMMER DASSELbE.
Wahrheit ebenso stilrelativ wie die der Kunst: Untersucht man nämlich, was ein bestimmter Denkstil unter diesen Dingen versteht, dann trifft man nicht auf etwas, was jenseits des Denkstils liegt, sondern auf seine eigenen grundlegenden Annahmen: Wahrheit ist, was der Denkstil sagt, daß Wahrheit sei. Zusammengefaßt lautet eine der schlagendsten Einsichten der heutigen Erkenntnistheorie: Die Wirklich keit ist von den elementarsten Bedingun gen an nicht einfach gegeben, sondern gemacht. Ihre Erzeugung geschieht vor al lem mit ästhetischen Mitteln: durch An schauungsformen, Metaphern, Stile, Phan tasmen und Projektionen. Wirklichkeit ist ein ästhetisches Konstrukt. Die Rede vom Weltbild ist im Recht. Man kann diese neue Gesamtsituation auch durch das Stichwort »NonFundamentalismus« cha rakterisieren. Zur ästhetischen Verfassung gehören ein Pluralismus in den Grundla gen und eine instabile, schwebende Ver faßtheit der Fundamente. Fortan gilt es, auf schwankenden Fundamenten etwas Rech tes zustande zu bringen. Dazu zwei Zitate. Das erste stammt von Nietzsche. Er hat
den Menschen als »Baugenie« beschrie ben, »dem auf beweglichen Fundamenten und gleichsam auf fließendem Wasser das Aufthürmen eines unendlich complicirten Begriffsdomes gelingt; freilich, um auf solchen Fundamenten Halt zu finden, muss es ein Bau, wIE AuS
SPINNEFäDEN SEIN, SO ZART, uM vON DER wELLE MIT FORTGETRAGEN, SO FEST, uM NICHT vON DEM wINDE AuSEINANDER GEbLASEN Zu wERDEN« Und beinahe gleichlautend heißt es bei Otto Neurath (der nicht, wie Nietzsche »artistisch« gesonnen war sondern einer der härtesten wissenschaftstheoretischen Schulen, dem »Wiener Kreis«, angehörte): »Wie Schiffer sind wir, die ihr Schiff auf offener See umbauen müssen, ohne es jemals in einem Dock zerlegen und aus besten Bestandteilen neu errichten zu können.« Das zeigt: Die ästhetische Ver fassung unserer Wirklichkeit ist eine Ein sicht nicht nur der Ästhetiker, sondern aller reflektierten Wirklichkeits– und Wissen
schaftstheoretiker dieses Jahrhunderts. Sie ist eine fällige Einsicht. Was ist das ange messene Verhalten gegenüber dieser äs thetischen, fundamentalistischen Wirklich keit? Nietzsche bestimmte als wünschens werteste Haltung des künftigen Menschen das »freie, furchtlose Schweben über Menschen, Sitten, Gesetzen und den herkömmlichen Schätzungen der Dinge«, und er pries die Fähigkeit, sich »inmitten dieser rerum concordia discors und der ganzen wundervollen Ungewissheit und Vieldeutigkeit des Daseins« zu bewegen. Eine ästhetische Wirklichkeit verlangt ein ästhe tisches Weltverhalten. Es gilt, sich auf diesen NonFundamentalismus einzulas sen, in die Mäander der ästhetisch verfaß ten Wirklichkeit einzutreten und mit ihnen (nicht gegen sie) zu leben. Die neue Unsi cherheit, Unübersichtlichkeit und Gemen gelage ist nicht zu beklagen. Eher gälte es, sie zu begrüßen und zu nützen. Insgesamt ist diese neue Wirklichkeitssicht für das Design eminent bedeutsam. Denn natür lich kommt dieses ästhetisch geprägte Weltbild dem Design entgegen; im glei chen Maße, wie das Ästhetische, das ehe
82’53”
DAS TRäGT MAN HEuTE SO.
dem als sekundär galt, in Primärfunktionen vorrückt, wird auch der DesignBegriff fundamental und umfassend. So erleben wir heute eine Erweiterung des Des igns über den traditionellen Bereich der Produktgestaltung hinaus. MAN
SPRICHT vON DESIGN AuCH IN bEZuG AuF INSTITuTIONEN, KÖRPERSCHAFTEN, LEbENSFORMEN. Die Soziologen beispielsweise reden vom Design von Gesellschaften, und bis in den Alltag des einzelnen, bis ins individuelle Styling hinein ist uns Design wichtig ge worden. Das hängt damit zusammen, daß zur Moderne eine immense Pluralisierungs– und Individualisierungsdynamik gehört; es entstanden neue Lebensphasen und Le bensformen, für die kein fester Habitus vorgegeben ist, sondern die ihren Stil erst finden und entwickeln mußten; so wurde Design auch sozial zu einer schier univer sellen Tätigkeit (so daß ein DesignExperte, der sich auf diesen sozial erweiterten DesignBegriff verstünde, geradezu ein genereller Experte der Gegenwart und der
Zukunft sein könnte). Ebenso hat die Bedeutung des Designs in dessen her kömmlichem Bereich, in der Sphäre der Produktgestaltung, immens zugenommen. Adolf Loos hatte zu Beginn des Jahrhun derts noch gemeint, man habe in der Befreiung der Wissenschaft von der Kunst die entscheidende Leistung des 18. Jahr hunderts und in der reinlichen Scheidung von Kunst und Gewerbe die wichtigste Er rungenschaft des 19. Jahrhunderts zu se hen. Von da aus stellte er dem 20. Jahrhun dert die Aufgabe, diese Trennungen zu schärfen und vollends rein zu etablieren. Aber das Jahrhundert mochte sich an die se Empfehlung nicht halten, sondern hat neue Synthesen von industrieller Produkti on und künstlerischer Gestaltung erprobt. Am Ende des Jahrhunderts werden nicht nur neue Verknüpfungen von Wissen schaft und Kunst propagiert (Paul Feyer abend beispielsweise plädiert für »Wissenschaft als Kunst«), sondern dem Design als der exponiertesten Verbindung von in dustrieller Produktion und künstlerischer Gestaltung wächst eine zuvor nie gekann te Bedeutung zu. Dies könnte sogar zu der
Vermutung Anlaß geben, daß das kom mende Jahrhundert eines des Designs werden könnte. Zudem sind wir in unseren »postmodernen« Zeiten nicht nur mental vom unilinearen Fortschrittskonzept abge rückt, das hinter Loosens Kulturdiagnose stand, sondern die technische Entwick lung selbst (der Loos vorbehaltlos zu willfahren gedachte) hat seine Prognose falsifiziert und sein Trennungskonzept so mit unmöglich gemacht. So hat die elekt ronische Miniaturisierung die Situation nun völlig verändert. Außenerscheinung und Hardware eines elektronischen Gerä tes können nicht mehr in einem Ausdrucks verhältnis stehen. Die Funktion eines Mik rochips läßt sich makroskopisch nicht ausdrücken. »Form follows Funktion« – die ses klassische Motto einer traditionellen Maschinenästhetik – wäre, selbst wenn man wollte, nicht mehr befolgbar. Elektro nisch ist heute das Innenleben eines Ra dios und einer Heimorgel gleich. Differ enzierung kann allein noch durch die Oberflächengestaltung erfolgen. Daraus ergibt sich eine beträchtliche Steigerung der Aufgaben des Designs. Es geht nicht
85’16”
ICH wAS ES uND MIR wAS mehr nur um ästhetische Funktionen, um »Schönheit« oder »gute Form«, sondern fortan fällt die gesamte Semantik und Sym bolik in die Kompetenz des Designs. So wird das Design ganz zu dem, was sein Name ausdrückt: zu einer Tätigkeit des designare, des Bezeichnens. Und diese Tä tigkeit ist von größter Bedeutung. DER
DESIGNER ERZEuGT ERST DIE KENNTLICHKEIT DER GEGENSTäNDE, uND ER LEGT DAbEI ZuGLEICH IHRE SOZIALEN FuNKTIONEN, IHRE SYNTAKTISCHE vERKNüPFuNGEN SOwIE IHRE EMOTIONALEN uND IKONISCHEN wERTE FEST. Durch das Freiwerden der Makro ebene wird die Tätigkeit des Designers komplex und verantwortungsvoll. Für die Implementierung der syntaktischen und semantischen Funktionen steht jeweils eine Vielfalt von Zeichen, Codes und Optionen zur Verfügung. Diese können emanzipato risch oder manipulatorisch, restriktiv oder produktiv, verengend oder befreiend, ein
seitig oder vielseitig eingesetzt werden. Soziale und ethische Fragen rücken daher ins Zentrum der Fragestellungen des De signs. Zusammengefaßt: Die Bedeutung des Designs hat sich erweitert und auch intensiviert. Design wurde zu mehr als Pro duktgestaltung, es wurde zu Rahmenge staltung, Lebensgestaltung, sozialer Ge staltung. Im Grunde genommen war es das zwar immer schon, aber früher konnte man dies leichter übersehen; erst das mik roelektronisch bedingte Freiwerden der Makroebene hat uns dafür vollends die Au gen geöffnet. Eine Küche zu entwerfen heißt nicht bloß Gebrauchsgegenstände zu gestalten, sondern einen Lebensraum zu strukturieren: eine häusliche Gemein schaft, Arbeits und Beziehungsverhältnis se von Mann und Frau, Möglichkeiten des Alltagsvollzugs. Die Objektwelt prägt die Arbeits und Lebenswelt allenthalben mit. Daher besteht eine nahtlose Verbindung zwischen Design im engen Sinn — Produktgestaltung — und Design im weiten Sinn — Lebensgestaltung. Design kommt nicht erst am Ende, Sein ist Design. Zu dieser gleichsam horizontalen Expansion
SAG DIR IST Du SAGST Du FüHLST.
kommt eine vertikale Universalisierung des Designs hinzu. Wir erkennen heute allent halben, daß Design nicht erst eine nach trägliche, äußerliche und bloß die Oberflä che betreffende Tätigkeit ist, sondern daß die Dinge bis in ihren Kern und Grund hin ein schon Produkte eines Designs sind. Die alte Vorstellung von einer primären Ma terie, die erst sekundär geformt werde (eine Vorstellung, die das Abendland seit Aristoteles beherrschte), erweist sich als unzutreffend. Design ist ein primäres und universelles Phänomen. Reine, Designlose Fundamente hingegen sind Illusionen. Da mit ist ein ebenso wichtiges wie irritieren des Thema angesprochen: die Auflösung des Primären. Die Eigenschaften neuer Werkstoffe werden heute synthetisch desi gnt und von der Skizze bis zum Endpro dukt rein simulatorisch erprobt. Wie wollte man da noch von Stoff oder Materie spre chen, wo diese selbst schon Ergebnisse von Design sind? Ebenso im Sozialen: Auch hier hat sich gezeigt, daß nicht etwa Personen oder Individuen die konstituie renden Elemente der Gesellschaft sind, sondern daß diese Funktion vorallen den
87’39”
»SEIN IST DESIGN«
Kommunikationen zukommt; diese prägen die Personen und Individuen, so daß die scheinbaren Akteure in Wahrheit zugleich Pro du kt e ihrer Handlungen sind. Oder man denke an die Biologie: DER
CODE DES LEbENDIGEN – DIE DNS – IST NICHTS ANDERES ALS EINE DESIGNMATRIX FüR DAS INDIvIDuELLE Auch hier erweist sich, daß LEbEN. bereits das materiell Elementarste durch einen hoch entwickelten Formensatz be stimmt ist. Design kommt nicht erst am Ende. Design steht am Anfang. Dies ist die neuere Erfahrung und Einsicht: daß wir al lenthalben im Rückgang von der Ober fläche zum Kern nicht von einer Zone des Geformten zu einer Zone des Ungeformten, nicht von einem Abgeleiteten zu einem schlechthin ersten kommen, sondern daß wir von späteren zu früheren Formungen, von sichtbarer zu unsichtbarer Gestaltung, von MakroKomplexität zu MikroKomplexi tät gelangen – nie aber zu so etwas wie »Elementarem«. Dies wird gerade von der Mikrophysik bestätigt. Hinter dem einst für
elementar Gehaltenen »dem Atom« tut sich ein MikroDesign von Elementarteil chen auf, und inzwischen erweisen auch diese sich nicht als elementar, sondern als »Zustände« komplexerer Konstellationen. Die alte Ontologie von Substanz und Akzi denz, Sein und Erscheinung gilt nicht mehr. Schon die innersten Zonen sind solche von Design. Anders gewendet: »Sein« ist selbst schon durch und durch »Design«. »Vom Sein zum Design« so könnte man den Wandel unserer auch Denkformen be schreiben. Neuere wissenschaftliche An sätze wie die ChaosTheorie oder das Selbstorganisationsparadigma bestätigen dies, indem sie den Rekurs auf erste Gege benheiten oder Gründe für unmöglich er klären. Es gibt kein Designloses Wesen hinter den Erscheinungen. – Wenn schon Montaigne gesagt hatte, wir würden immer nur Anmerkungen über Anmerkungen ma chen, so wird uns heute die generelle Wahrheit dieses Satzes deutlich. Auch un sere Gestaltung vollzieht sich immer an schon Gestaltetem. Wie Anmerkung das Wesen des Textes ausmacht, so Design das der Wirklichkeit. Leitgesichtspunkte
für das Design der Zukunft. Welche Leit sätze lassen sich aus der ästhetisch ge wordenen Wirklichkeitsverfassung für das Design ableiten? Die neue Sinnverfas sung: Als erstes wirkte sich die genannte Struktur – es gibt kein erstes, sondern nur offene Reihen von Verschiebungen, Über lagerungen, Kreuzungen – auf die Verfas sung des Sinns und damit auch auf die designerischen Strategien der Sinnbe zeichnung und der Sinnerzeugung aus. Den vollen, absoluten, von Augenblick zu Augenblick und in alle Ewigkeit gültigen Sinn, wie die Tradition ihn erträumte, gibt es nicht, sondern jeder Sinn ist von An dersheit affiziert und mit anderen Sinn horizonten verflochten; geht man diesen Verflechtungen nach, so gerät man in an dere Konstellationen, in denen das schein bar Selbe andere Bedeutung annimmt. Verschiebungen und Verlagerungen, Zer streuungen und Umbesetzungen – nicht Endgültigkeit und Präsenz – kennzeichnen die Struktur des Sinns. Und die Materialität der Zeichen wirkt bei der Sinnkonsti tution entscheidend mit. Daher muß man das Phantasma eines absoluten, verkörper
90’02”
»vOM SEIN ZuM DESIGN«
ungsfreien Sinns verabschieden und zur Anerkennung vor Sinn als Effekt seiner Ver körperungen übergehen. Das Augenmerk hat sich nicht mehr auf eine vermeintlich endgültig gelungene Gestalt, sondern auf das Spiel von Verweisungen und Versch iebungen, von Bewegungen der Dezen trierung, Umbesetzung und Kreuzung zu richten. Solche Bewegungen bezeichnen Orientierungspunkte und Strategien aktu ellen Designs. Als zweiten Gesichtspunkt nenne ich die Pluralität und den Wider streit der Wirklichkeiten. Beides ist von ei ner ästhetischen Wirklichkeitsverfassung untrennbar. Eine Unterschiedlichkeit der Ansätze und ein Streit der Werke gehören seit jeher zum ästhetischen Gebiet par ex cellence, zur Kunst; entsprechend gibt es auch in einer ästhetischen Wirklichkeit kein General, Ober oder Hyperparadig ma, dem die anderen zu unterwerfen oder zu integrieren wären; das Ganze bleibt eher divergent, als daß es kohärent würde. Diese Pluralität mitsamt ihren Konflikten und Divergenzen darzustellen und zum Ausdruck zubringen, wird zu einer Aufgabe des Designs. Wo sie bewusst und enga
giert (nicht bloß halbherzig) in Angriff ge nommen wird, gelingen die besten Gestal tungen. Sie profitieren von dem neuen ästhetischen Weltbild nicht bloß, sondern bringen es uns vor Augen und nahe. All diese objektiven – die Wirklichkeit insge samt und die einzelnen Gegenstände be treffenden – Bestimmungen haben auch die Entsprechung auf der Seite der Sub jekte. Seit langem hat sich in der Moderne das Thema einer internen Pluralität der In dividuen angekündigt. Schon Paul Valéry diagnostizierte Ende der 20er Jahre, daß widersprüchliche Richtungen und Wahr heiten, wie sie zur modernen Gesellschaft gehören, heute »sogar in den gleichen Individuen nebeneinander bestehen und wirksam sind«. Seitdem – so Valéry – exis tieren »in allen kultivierten Köpfen die verschiedensten Ideen und die gegensätzlichsten Lebens und Erkenntnisprinzipien frei nebeneinander« ,und »die Mehrzahl un ter uns wird über denselben Gegenstand mehrere Ansichten haben, die einander in den Urteilen ohne weiteres abwechseln«. Solch eine interne Pluralität finden wir bei spielsweise auch in einer Tagebuchnotiz
Walter Benjamins: »ICH
HAbE DREI FRAuEN IM LEbEN KENNENGELERNT uND DREI vERSCHIEDENE MäNNER IN MIR«. Sie gewann wissenschaftliche Klarheit mit Freuds Entdeckungen, daß der psychische Apparat aus drei verschiedenen Instanzen besteht: aus Es, Ich, ÜberIch. Und sie ge hört mittlerweile zu den eindringlichsten Erfahrungen gegenwärtiger Subjekte. Zu nehmend werden Vielheitskompetenz und Übergangsfähigkeit wichtig. Sie stellen ge radezu eine postmoderne Tugend (im Sinn von Könnerschaft) dar. Denn zwischen ver schiedenen Sinnsysthemen, Ansprüchen und Realitätskonstellationen übergehen zu können, ist in einer Welt der Pluralität zur Bedingung gelingenden Lebens gewor den. Daher wird Subjektivität des künftigen Typs immer mehr durch Transversalität, durch Übergangsfähikeit, nicht mehr durch rigide Identität gekennzeichnet sein. Dar auf sollte das Design sich einstellen und dem sollte es zuarbeiten, indem es eine Skala unterschiedlichster ldentifikations
92’25”
» DESIGN KOMMT NICHT ERST AM ENDE. DESIGN STEHT AM ANFANG.«
möglichkeiten berücksichtigt: lokale wie soziale, nationale und universale. Vorallem sollte es auch Kristallisationspunkte für neue, querlaufende und transversale Iden titäten schaffen. Dies gelingt durch ge mischte¸ überlagerte und multivalente Ges taltungen; Irritationen, auch ein Moment von Unsicherheit und der Einbau von Auf fassungssprüngen bieten sich an. Seitdem uns diverse Forschungsansätze gelehrt ha ben, daß schon die physikalische Welt durch Pluralität und Heterogenität charak terisiert ist und das Paradoxien und Sprün ge für ihr Verständnis erschließungskräfti ger sein können als simple Deduktionen, weil die Realität insgesamt nicht homogen, sondern heterogen, nicht harmonisch, son dern dramatisch, nicht einheitlich, sondern divers verfasst ist – also kurz gesagt: ein postmodernes Design hat –, seitdem sollte auch das Design im spezifischen Sinn den Mut aufbringen, im Sinn dieser neueren Auffassungen zu gestalten, also: vielfältig und dissensbereit, zwischen Stabilität und Chaos. An die Stelle der alten Maximen der Funktionsdarstellung oder der Transparenz treten Strategien von Komplexität und Wi
derspruch, Mehrfachcodierung und Hyb ridbildung, auch solche der Fragmentie rung und einer Ästhetik kleiner Störungen mit großen Folgen. AII das trägt unserer »chaotischen« Welt und ihren Brüchen und Instabilität besser Rechnung als ein überal terter Rationalismus und Funktionalismus, der zur Öde verfiel, als er seine eigenen ikonischen und emotionalen Werte – die in einer Zeit der Ästhetisierung wieder wich tig werden – nicht mehr wahrhaben wollte. In einer ästhetischen Wirklichkeit werden Leichtigkeit, Wechsel, Vergänglichkeit und Flüchtigkeit zu positiven Prädikaten. Das Design muß nicht nach Stabilität, gar Über zeitlichkeit schielen, es darf widersprüch lich, ephemer und situativ sein. Ich meine also insgesamt, daß das Design etwas darf und etwas soll: Es darf die Gunst der Stun de, die Gunst eines ästhetischen Weltbil des nutzen und dessen Signaturen bis in die Objekte hineintragen. Man darf die Woge der Ästhetisierung guten Gewis sens mitmachen, darf auf ihr reiten. Denn die Ästhetisierung hat keineswegs bloß modische, sondern tiefe und seriöse Grün de; sie ist durch die ästhetische Wirklich
keitsverfassung legitimiert, ja diese erfor dert geradezu ein ästhetisch konturiertes Weltverhalten. »Beliebigkeit«, »Unverbind lichkeit«, »Haltlosigkeit« sind Diskreditie rungsvokabeln, die sich zunehmend ihrer seits als haltlos erweisen. Und das Design darf nicht nur, es soll diese ästhetische Verfassung mitsamt ihrer Pluralität und In stabilität bewusst aufnehmen, offensiv arti kulieren und zur Anschauung bringen. Ein Design, das sich auf die ästhetische Ver fassung, von der es lebt und durch die es blüht, einlässt, vermag uns dadurch zu gleich in diese Verfassung einzuführen. Es kann sie uns ad oculos demonstrieren, und natürlich auch ad manus und was wir sonst noch alles an Sinnen über die fünf geläufigen hinaus besitzen (die besten lie gen jenseits). Ein sOL-
ches Design würde uns mit einer Welt vertraut machen, die von Grund auf vielfältig, instabil, chaotisch – und eben deshalb lebendig ist. Text: Wolfgang Welsch
93’47”
WEIL ES SO IST.
13’36” Die suche nach identität
um sie zu finden, braucht der mensch vor allem das gefühl von einzigartigkeit und individualität. das design spielt Bei der Identitätsfindung eine entscheidene rolle. gaetano pesce, italienischer architekt und designer, verfolgt für seine objekte den Grundsatz der Individualität eines jeden Gegenstandes. in seinem folgenden text, “der kollektive schiffbruch”, erläutert gaetano pesce diese aspekte.
94’16”
Wir haben uns weit von der ursprünglichen Bedeutung des Wortes Design entfernt. Wer sich ein Bild davon machen will, wer abwägen will, wie und in welch enormen Ausmaß sich die Art und Weise geändert hat, über die Objekte, über den, der sie ent wirft und all jene, die sie benützen, nachzu denken, soll sich am besten einige ShakerArbeiten ansehen und mit dem vergleichen, was heute gemacht wird. Das Shaker-Ob jekt, dem die inzwischen längst vergange ne Zeit das Leben genommen hat, um es ohne Alternative an seinem historischen Zeitpunkt zu fixieren, ist äußerst beredt. Es ist bestens dazu geeignet, mitzuteilen, wie diese Minderheit lebte; ihre Objekte er möglichen es, uns vorzustellen, wie diese Bevölkerung war; ihre Gespenster, ihre De lirien, eine gewisse dogmatische Starrheit, ihr gutmütiger Militarismus, ihr sauberes Gehirn. Diese Objekte helfen uns zu verstehen, wie sehr sich unser heutiger Begriff Design,
der eher an gesellschaftlich-wirtschaftliche Überlegungen gebunden ist, von jener Aus drucksfähigkeit differenziert hat. Gott möge mich vor Shaker-Nostalgie bewahren, doch trotzdem bewundere ich deren Identitäts quotienten, wenn ich daran denke, wie we nig Identität in unserem heutigen Leben vorhanden ist. Wir brauchen immer noch Identität und ich frage mich also, was die verschiedenen Auffassungen über Identität damals und heute bedeuten sollen. Die Be gründungen sind zahlreich, aber als beson dere Ursache betrachte ich die Tatsache, bis zum letzten Augenblick den Stil erlebt zu haben, der die Shaker als Vorläufer von Loos im Kampf gegen die Dekoration sieht. Am Ende dieser erlebten Erfahrung wurde dieser Standard zu einem Image, das man respektieren mußte, die Reduzierung der Verschiedenheiten wurde zum Zweck, der Internationalismus wurde ein zu erreichen des Kulturmodell, die Verbreitung der logi schen Schemata wurde wünschenswert.
96’01”
Heute sind wir auf einem Tabula-Rasa-Ni veau und fühlen mehr oder minder bewußt das Fehlen dieses unseres Verschieden seins. Es ist ja bekannt, daß derjenige, der sich seiner Verschiedenheit nicht bewußt ist, auch seine Identität nicht erfassen kann, und das berührt uns unangenehm, wie man hört. Unser heutiges Suchen nach Identität erinnert vage an das Blinde kuh-Spiel; mit dem Unterschied, daß alle eine Binde tragen und in der Hoffnung um herirren, sich an irgendetwas festhalten zu können. Wenn wir es finden, betasten wir
es, um zu sehen, ob es das Bekannte ist, dem wir uns anvertrauen können, und falls dies nicht der Fall ist, lassen wir es wieder los. Es ist mit einem Wort die Nostalgie, die uns auf die Suche nach Identität treibt, und es ist wiederum die Nostalgie, die uns das suchen läßt, was uns bekannt ist. Dar in liegt aber auch eine Form des Irrtums. Denn im Gegensatz zu dem, was einige
99’42”
echte Nostalgiker behaupten, die sich be sonders auf dem Gebiet der Architektur tummeln, suchen wir nicht eine Identität, die uns in der Zeit zurückkehren läßt — dies befriedigt uns nicht. Wir suchen viel mehr eine neue Form von Identität, die uns er laubt, gemäß unserer wirklichen Zeit zu le ben. Anders ausgedrückt, bei der Suche nach Identität können wir nichts Bekanntes finden, weil es die Zeit verwischt hat, wenn aber unsere Suche nicht im Bewußtsein betrieben wird, das Neue zu entdecken, ist sie ohne Zweck und frustrierend. Wir müs sen uns also bewußt werden, daß gerade das, was wir suchen, das ist, was wir nicht für nützlich erachten, das heißt das nicht Vertraute, das Unbekannte, das, was uns Energie abfordert, um vertraut zu werden. Wozu diese lange Präambel? Weil wir ein stark ausgeprägtes Gefühl der Unbe stimmtheit haben, wenn wir das betrachten, was heutzutage auf dem Gebiet des De sign (und auch auf anderen Gebieten) ge tan wird. Weil wir den Verdacht hegen, es mit etwas zu tun zu haben, das sich auf unbestimmte Zeit hin wiederholt, ohne je aus den Wolken des Internationalismus herabzusteigen. Man nehme einen funk tionalistischen Designer wie Herrn Klaus Schultz als Beispiel. Ursprünglich waren seine Entwürfe auf der Überlegung auf gebaut, daß das Design die Probleme des Lebens nach einem programmierten Schönheitskodex lösen könnte. Was Stan dard war, war Synonym für Moderne und Evolution. In seinen besten Momenten kämpfte Schultz darum, die Überreste des Eklektizismus des vorhergehenden histo rischen Zeitabschnittes zu besiegen. Er kämpfte also darum, die Evolution der Ide en zu unterstützen und das bedeutete, den schlechten Geschmack, den er an vie len verschiedenen Orten, in verschiedenen Kulturen und Traditionen angetroffen hatte,
zu beseitigen. Für ihn handelte es sich auch darum, sein Publikum von der Univa lenz seiner Vision zu überzeugen. Für uns gab es damals keinen Grund, das nicht zu akzeptieren, was uns als Lösung für unser Bedürfnis, uns mit der Zeit in Einklang zu finden, erschien. Auch Schultz hatte an fänglich kein leichtes Leben, als seine Ent würfe noch im Bereich der missionarischen Ideologie lagen. Als sich dann aber seine Ideen auf die Realität des Design zu bezie hen begannen oder, besser gesagt, auf die Realität des Marktes, begann er klar zu se hen. Umgekehrt, als die Schultzes began nen, ihre Sprache und ihre Ausdrucksweise zu uniformieren, begann der Markt klarzu sehen. Und so gewann Schultz Macht, und diese Macht, der er diente, veränderte ihn, machte aus ihm einen Priester der Wahr heit, und wer jene Wahrheit nicht besaß oder keinen Kontakt mit ihr hatte, durfte nicht mehr mitspielen. So wurde das Design mit Hilfe der Schultzes in den verschiedenen Ländern zu einem klassischen Instrument der Pro grammierung und Uniformierung des Le bens. Das Design ignorierte aber notwendi gerweise die auf anderen Wissensgebie ten erzielten Fortschritte; es ignorierte die Probleme, die langsam auftauchten, als man das allgemeine Aufgeben der Fähig keit zur Identität bemerkte. Für Schultz, zum Beispiel, war die Identität ein falsches Problem, und im gewissen Sinn hatte er recht. Die traditionelle Identität war ein fal sches Problem. Es war ein falsches Pro blem, wieder dahin zurückkehren zu wollen. Die Nostalgie interessierte Schultz richti gerweise nicht. Und diejenigen, die das verlangten, bezeichnete er als Nostalgiker. Obwohl er aber im großen und ganzen recht hatte, hatte er in einigen wenigen Fäl len Unrecht, denn einige begannen, neue
99’47”
Formen der Identität zu fordern. Sie forder ten eine engere Beziehung zu ihrem An derssein. Sie verlangten einen direkten Bezug auf sich selbst und ihre Minderhei ten. Sie sprachen von ihrem Recht, das auszudrücken, was vom Konformismus des gängigen Image unterdrückt worden war. Statt zu versuchen das zu verstehen, rief
Schultz die Inzestgefahr aus. Er bestand heftig auf seiner Moral, die dazu verpflichtete, zu all jenem Beziehungen zu haben, was fremd, fern, international ist. Und nie zu demjenigen, was uns bekannt, nah, hei misch ist. Er behauptete, daß der Inzest im
101’24”
Design etwas ausschließlich Provinzielles sei, beschränkt auf die ästhetische Morbi dität, die apokalyptische Gespenster zeugt. Das war der Moment seines Abstiegs. Es gelang ihm nicht mehr, zwischen Reaktion und Evolution zu unterscheiden, zwischen Nostalgie und Suche nach Identität, zwi schen Konformismus und Verschiedenheit, zwischen beweglicher und unbeweglicher Zeit. Es war das Ende. Aber Schultz gab nicht auf und wenn nicht die Vernunft, so war es doch ein Rest von Irrationalität, der ihn verstehen ließ, daß irgendetwas im Gange war. Und statt es zu beobachten, betrachtete er es als ein Attentat auf seine Sicherheit und verteidigte sich, indem er sich eine Reihe von banal-wirtschaftlichpsychosozialen Theorien zurechtbastelte, um die Gültigkeit seines Moralismus zu un termauern. Heutzutage aber ist Schultz fast ebenso tot wie sein Moralismus. Wir können also Schultz als Beispiel nehmen, um zu erklären, wieso wir den Funktionalismus im Design (und in der Ar chitektur) nicht mehr verwenden können. Daß wir ihn im Design, das ja Mittel eines jetzt bekannten Ausdrucks ist, sogar ent behren können. Wer nun also besser ver stehen will, was heutzutage passiert und wie abgenützt die rationell-funktionalisti
sche Ideologie ist, dem werde ich nie müde werden, die Bekanntschaft Schultzes zu empfehlen (der in Italien Rossi oder ganz banal Bianchi, in Frankreich Durand oder Dupont, in den Vereinigten Staaten White, in Japan Kamekura … heißen mag). Ich glaube, daß es an der Zeit ist, das traditio nelle Design unter die Lupe zu nehmen, um zu sehen, wie es heute darum bestellt ist: nur (und vielleicht ist das schon viel) Ware, die sich noch einige Zeit gut verkaufen wird, die aber bar ihrer Eigenschaft ist, Trä ger von Botschaften zu sein, die anders lauten, als die des Marktes. Man muß also Schultz einfach als Geschichte des Design einstufen, als einen Klassiker vielleicht. Wahrscheinlich wird es uns nach dieser Feststellung gelingen — wenn wir auch an dere Überlegungen zum Bau des Gebäu des Design heranziehen — aus dieser Akti vität etwas zu machen, was sie dem, der sie bis jetzt als überflüssig betrachtet hat, als notwendig erscheinen läßt. Welche Überlegungen? Die, die auf uns zukommen, wenn wir über uns selbst nachdenken. Wenn wir sehen, daß die Ausdrucksweise, die von uns stammt, nicht in der Lage ist, von uns Kunde zu geben. Mitzuteilen, wer wir sind, woher wir kom men, wo wir wohnen, unsere Hoffnungen
und Erwartungen mitzuteilen, daß wir nach, einer Epoche, in der Kommunikation abstrakte Oberflächlichkeit im Namen einer Massengesellschaft war, von der wir ent deckt haben, daß sie nicht existiert, daß wir heute nach dieser Epoche, eine Art von Kommunikation vorziehen, die zwar einge schränkter, aber wirksamer ist. Das heißt, jene Kommunikation, die wir mit demjeni gen pflegen können, der auf unserer Wel lenlänge liegt, und bei der wir linguistische Mittel anwenden können, die wir verstehen, ohne daß sie uns in Verallgemeinerung und Oberflächlichkeit verfallen lassen. Besser, mit wenigen gut zu kommunizieren, als mit vielen schlecht. In der heutigen Zeit mittels des Design zu kommunizieren, bedeutet, nicht allein mit den Mitteln des traditionel len Design zu kommunizieren, sondern heißt, daß das Design danach verlangt, mit anderen Ausdrucksformen angereichert zu
103’15”
werden, die bis jetzt typisch für andere Ge biete waren. Anders ausgedrückt: wir wis sen, daß Spezialisierung heute Einsamkeit bedeutet, daß der Designer nicht allein mit Designern sein darf, der Architekt nicht al lein mit den Architekten usw. … und noch dazu, daß der Designer nicht nur für die Designer, der Architekt nicht nur für die Architekten usw. … arbeiten darf. Wir wis sen endlich, daß wir nolens volens immer eine Minderheit sein werden und im Hin blick auf diese Feststellung sehen wir heu te die Realität. Sie ist anders und vielfältig. Sie ist es und muß es sein: mit dieser Über legung können wir nutzbringend eingreifen und dem Design dienen. Wenn wir in der Minderheit sind, müssen wir das mit den Objekten des Design ausdrücken, das ist einer der Aspekte unserer Arbeit. Wie ist das Minderheitenobjekt? Ist es vielleicht jenes, das unsere geographi schen, kulturellen, politischen, gefühlsmä ßigen Unterschiede ausdrückt, unseren Kodex, unsere Religion …, das von unserer Identität erzählt? Ich kenne viele Objekte einer weit zurückliegenden Vergangenheit, die man als Minderheitenobjekte definieren konnte, aber aus der heutigen Zeit kenne ich keine, außer den touristisch-folkloris tischen Objekten, die hier jedoch nicht zählen, weil die Identität, von der ich spre che, sicher nicht jene ist, die man mit einer Ansichtskarte ausdrücken kann, auch wenn ich dazu momentan nichts Genaueres sa gen kann. In der nahen Vergangenheit war das Designobjekt ein zentralisiertes Objekt, das in den verschiedenen Kulturen der ver schiedenen Länder verbreitet war. Beispiel dafür sind die bekannten Forderungen wie: ein gleicher Sessel für alle, eine gleiche Lampe für alle, ein gleiches Auto für alle usw. Heute wären wir versucht zu sagen, daß alle einen Sessel wollen, der für jeden
107’18”
anders ist, eine Lampe, die für jeden an ders ist, ein Auto, das für jeden anders ist … Wir müssen also überprüfen, welche Möglichkeiten es für eine Produktion von Objekten mit allen technologischen, wirt schaftlichen, zeitgemäßen Charakteristika, die typisch für die traditionelle Serienpro duktion sind, gibt, die aber gleichzeitig den Objekten die Möglichkeit gibt, nicht so sehr das Kriterium der Gleichheit, sondern
der Ähnlichkeit zu beachten. Das heißt, Faktoren in den Serienprozeß einzuführen, die dem Objekt einen Spielraum für forma le Variationen lassen. Diese Faktoren kön nen beispielsweise sein: größere Freiheit bei den dynamischen Merkmalen der ver wendeten Materialien oder ein nicht pro grammiertes Eingreifen der Person, die bei der Fertigung tätig ist. Ein weiterer Aspekt, der sich meiner Meinung nach aus der heutigen Debatte über das Design ergibt, ist der Zusammen hang zwischen Land und Produktion. Wenn man heutzutage den Ursprungsort eines Objektes, das heißt, den Ort, an dem es produziert wurde, erfahren will, muß man das Etikett suchen oder den Aufdruck, der
uns sagt: made in … Wenn wir den Pro duktionsort gefunden haben, sind wir oft überrascht, weil wir uns der Beziehung zwischen dem Produkt und dem Land, in dem dieses erzeugt wurde, nicht bewußt werden. Ich frage mich, ob man heute nicht über diese Beziehung nachdenken sollte. Vielleicht könnte es uns von Nutzen sein, Gegenstände und Orte nicht nur mit den Etiketten oder den Aufdrucken in Bezug zu setzen: ein Betrieb, der in Südspanien Schreibmaschinen erzeugt, müßte eine Produktion aufweisen, die sich von der, die denselben Artikel in West- oder Ostfrank reich erzeugt, unterscheidet. Es ist klar, daß beide Gegenstände zum Schreiben verwendet werden, aber ihre Form und die verwendeten Materialien könnten vielleicht auf unterschiedliche Weise über ihren geo grafischen Ursprung berichten. Doch auch wenn sich das noch nicht so deutlich aus drückt, scheint es mir doch klar, daß sich der Herr Designer (oder Architekt) in Tokio anders ausdrücken soll als sein Kollege in Darmstadt oder in Padua, Pittsburgh, Rio, Linz, Humblebaek, Dole, Lexington usw. … Sie haben heute Bedürfnisse, die sich von denen des zeitlich bereits weit zurücklie genden Herrn Schultz unterscheiden: ihm gefiel es, im Namen jener idealen Gesell schaft von Gleichen, die seit mehreren Jahrzehnten immer dann in der Realität Schiff bruch erleidet, wenn sie ihre Theorien unter Beweis stellen wollte, auf seine eigene Identität zu verzichten. Heute wissen wir, daß wir das reale Kleine dem rhetorischen Großen vorziehen und daß wir etwas für die tun können, die uns umgeben, wenn wir zuerst einmal etwas für unsere, von dem in der vorhergehenden kollektiven Pe riode erlittenen Schiffbruch frustrierte Per son getan haben. Dann erst werden wir uns in unserer jetzigen privaten Periode wohl fühlen.
107’23”
108’53”
9’02” HALBFERTIGDESIGN DESIGNTHEORETIKER JOCHEN GROS AUF DER SUCHE NACH MODELLEN UND BEISPIELEN FÜR MEHR EIGENARBEIT
D
ie Diskussion um Zukunftsprobleme verläuft sich gegenwärtig ins Detail. Das lohnt kaum noch, solange längst gesicherte Einsichten nicht realisiert werden, nicht einmal ansatzweise. Die Grenzen des Wachstums, so scheint es, werden noch locker verdrängt. Da scheitert Erkenntnis am Interesse, Denken am Dogma der Besitzstandswahrung, guter Vorsatz an fortgeschrittener Konsumsucht. Vielleicht aber, und darin sehe ich — wenn überhaupt — noch einen Ansatzpunkt, wird die Wahrnehmung von Zukunftsproblemen auch blockiert durch einen Mangel anschaulicher Alternativen, neuer Alternativen, neuer Leitbildmöglichkeiten. Aus der Psychologie kennen wir den Mechanismus, Erkenntnis bereits vorbewußt zu verdrängen, wenn sie Situationen in Frage zu steIlen droht, zu denen es anscheinend keine Alternative gibt. Für mich läßt sich daraus das Ziel ableiten, künftige Probleme zum Beispiel nicht nur mit Methoden der Zukunftswissenschaft an-
zugehen, sondern verstärkt auch durch utopische Phantasie: nicht nur durch immer neue theoretische Analysen und Prognosen, sondern viel mehr als bisher auch durch die Entwicklung alternativer Modelle. In diesem Sinn etwa will ich hier versuchen, unter dem Stichwort Halbfertigdesign ein utopisches Modell zu skizzieren. Der Begriff Halbfertigdesign geht auf Gert Selle zurück (siehe ›form‹ 88, S. 10). Er sucht damit nach mehr Spielraum zur individuellen Aneignung von Massenprodukten im Dienst persönlicher Identitätsbildung. Das ist ein sozialpsychologisches Argument, dem die Gewißheit zugrunde liegt, daß unsere Massenproduktkultur in der Tat kein gutes Klima abgibt für persönliche Identität bzw. für Ich-starke-Individuen. Sicher ist diese Argumentation nicht falsch, sie bleibt aber halbherzig, solang Gert Selle die Massenproduktkultur selbst nicht in Frage stellt. Wer dagegen zur sozialpsychologischen die ökologische Perspektive dazunimmt, kann die Massenproduktkultur als solche nicht mehr akzeptieren. Er muß wenigstens die Dominanz der Massenproduktion bei der Herstellung von Gebrauchs- und Investitionsgütern in Frage stellen, oder anders ausgedrückt: die Massenproduktion als kultur- bzw. designprägenden Faktor. Ich mag deshalb das Konzept Halbfertigdesign nicht bloß als therapeutische Maßnahme zur Linderung inhumaner Momente der Massen-
110’16”
produktkultur begreifen, sondern als Schritt zu ihrer Überwindung. Um Mißverständnissen vorzubeugen, gilt es dabei ausdrücklich den Teil der Massenproduktion auszuklammern, in dem traditionell ohnehin Halbfertigteile hergestellt werden: Die Massenproduktion von Materialien, Halbzeugen (Rohre, Profilstäbe usw.) und Einzelteilen (Schrauben, Kugellager, Elektromotoren, Glühbirnen, Schalter, elektronische Bausteine usw. usw. bis hin zu bestimmten Baugruppen). Dagegen gibt es selbst aus ökologischer Sicht nichts Prinzipielles einzuwenden. Überwindung der Massenproduktkultur heißt nicht Überwindung der Massenproduktion. Gemeint ist allein derjenige qualitative Sprung, der sich aus einer erheblichen graduellen Reduktion der Massenherstellung von Fertigprodukten ergeben würde. Das aber kann der Konsument allein wohl kaum erreichen. Er kann Montagearbeiten übernehmen, letzte Hand an Oberflächliches legen, er kann vielleicht mehr als bisher selber machen. Um darüber hinaus zu kommen, gilt es jedoch vor allem. zwei weitere Bereiche und eine Vielfalt von Mischformen auszubauen. Ich meine damit den halbprofessionellen Bereich, in dem sich Eigenarbeit zum zweiten Beruf entwickelt und die dezentrale, kleingewerbliche Werkstattproduktion. Um einen Begriff dafür zu bilden, könnte man dieses Spektrum vom Selbermachen des Konsumenten über den zweiten Beruf bis zur Werkstattproduktion als neues Handwerk bezeichnen. Dieses ›neue Handwerk‹ hätte im Rahmen meiner Utopie den entscheidenden Anteil an der Fertigstellung von Produkten zu übernehmen, es hätte unter Ausnutzung industriell produzierter Materialien, Halbzeuge und Einzelteile dem Design seinen (wahrscheinlich vielfältigen) Stempel aufzudrücken und könnte allein damit m. E. den Rückfluß von Abfallmaterialien und weiterverwertbaren Einzelteilen im Sinne einer Recyclingwirtschaft übernehmen. Ökologisch erscheint das überlebensnotwendig. Sozialpsychologisch würde dadurch unter anderem die Identitätsproblematik weitgehend gemildert — und zwar nicht nur für den Konsumenten, sondern auch für die jeweils beteiligten Produzenten. Das halte ich für noch entscheidender, weil damit an der alten Einsicht der Marxisten festgehalten wird, daß sich im Produktbereich wenig ändern läßt ohne neue Produktionsformen und Produktionsweisen. Unter dem Fernziel, die heutige Massenproduktkultur durch eine neue Handwerksproduktkultur zu überwinden, gilt es daher parallel nach neuen Produktions- und Produktformen zu suchen, nach neuen Sinninhalten (insbesondere unserer Arbeit) und einer neuen Produktsinnlichkeit, die das ausdrückt - sei es als Spiegel realer Veränderungen, oder als symbolisches Programm zu verändernder Realität.
×42
×8
[1] Basis des Entwurfs ist eine mög-
lichst weitgehende Verwendung industriell erzeugter Materialien, standardisierter Halbzeuge und Einzelteile.
×2
[2] Alle Einzelteile sind leicht trennbar.
Damit werden nicht nur Weiter- und Wiederverwendungsmöglichkeiten geschaffen. Einzelteile können auch getrennt voneinander verkauft werden. Der Konsument kann bestimmen, welche Teile er kaufen, und welche er selbst herstellen oder variieren will.
[3] Das Fertigprodukt ist mit einfa-
ZUR PRODUKTFORM FÜR HALBFERTIGDESIGN
chen Mitteln handwerklich herstellbar.
Am einfachen Beispiel dieser Tischlampe will ich zunächst einige Grundsätze für Halbfertigdesign veranschaulichen: [1] Mit diesen Grundsätzen läßt sich potentielles Halbfertigdesign herstellen. Mehr liegt im Produkt selbst nicht drin. Nur der Konsument kann letztlich entscheiden, welchen Spielraum er nutzen will. Im einen Extrem besteht Halbfertigdesign dann allein aus einer Maßskizze. Im anderen wird es überhaupt nicht realisiert, weil der Kunde auf einer komplett montierten Lampe besteht. Dazwischen liegen die eigentlich interessanten und sinnvollen Möglichkeiten: der Kauf bestimmter Einzelteile und die Ergänzung anderer, aufgrund technischer, ökonomischer oder ästhetischer Überlegungen.
griffsmöglichkeiten fürs handwerkliche
Dadurch entstehen zusätzliche Ein-
111’48”
Selbermachen, für die halbprofessionelle bzw. professionelle Werkstattproduktion, und nicht zuletzt für handwerkliche Reparaturarbeiten.
[4] Das Designkonzept gibt le-
diglich ein variables Gestaltmuster vor. Jedes neue Produkt kann auch in anderer Form fertiggestellt, also nicht nur fertigproduziert, sondern auch fertiggestaltet werden.
112’18�
112’48”
ZUR PRODUKTIONS- UND VERKAUFSFORM FÜR HALBFERTIGDESIGN Produktions- und Verkaufsformen, die mehr Spielraum für Halbfertigdesign versprechen, müssen wir uns nach ersten Erfahrungen wohl als recht komplexe Systeme vorstellen, vor allem als vielfältige Mischung zwischen privaten, halbprofessionellen und professionellen Tätigkeiten. Ich will versuchen, das wenigstens ansatzweise durch ein Schema darzustellen. Entscheidend für die Entwicklung von Halbfertigdesign erscheint mir die parallele Entwicklung eines halbprofessionellen Produktionsbereichs. Dem würde das Ziel entsprechen, bestimmte Hobbyformen und Formen von Eigenarbeit zu einem zweiten Beruf zu machen, ohne den ersten, von dem unser Lebensunterhalt nach wie vor im wesentlichen abhängt, ganz aufzugeben. Dieser Übergang vom Hobby zum zweiten Beruf hat einen springenden Punkt. Beim Selbermachen arbeiten wir In der Regel auch nur für uns selber. Zum zweiten Beruf wird das Hobby dagegen in dem Augenblick, in dem wir zwar etwas selber, aber für andere machen. Erst dadurch kann zum Beispiel der Hobbyschreiner mehr ausrichten, als bloß die eigene Wohnung mit Möbeln vollzustopfen. Er kann seine Hobby-Arbeit ausweiten, Maschinen besser nutzen, Material günstiger einkaufen, sich durch mehr Übung besser qualifizieren usw. Dazu kommen Kontakte zu Leuten, für die er etwas herstellt, kommt Anregung und Anerkennung. Schließlich verbindet sich mit der Arbeit für andere auch ein gewisser ökonomischer Ertrag. Dieser Ertrag kann, er muß sich aber nicht in Geld ausdrücken. Am nächstliegenden erscheint der direkte Tausch (zum Beispiel selbstgeschreinerte Regale gegen Tongeschirr, Autoreparieren o. Babysitten). Bei diesem Austausch von Produkten läßt sich. wenn man will, in etwa Arbeitszeit gegen Arbeitszeit aufrechnen. Verkauft man dagegen Produkte aus dem zweiten Beruf, muß man in der Regel mit einem relativ geringen Preis für die eigene Arbeitszeit rechnen. Das kann sich bei steigenden Rohstoffpreisen ändern, oder beim Überhandnehmen bürokratischer Nebenkosten im professionellen Produktionsbereich. Gewisse Tendenzen sind gegenwärtig über die Hobby-Welle hinaus in diese Richtung eines zweiten Berufs zu beobachten. Ihr weiterer Verlauf entscheidet sicher mit über die Möglichkeit, Halbfertigdesign zu realisieren.
EINE WEITERE PRODUKTFORM FÜR EINE WEITERE PRODUKTFORM FÜR HALBFERTIGDESIGN HALBFERTIGDESIGN
×61
Im Grunde handelt es sich bei den folgenden Sofas um ein Entwurfsmuster nach den Grundsätzen des Halbfertigdesign und um drei spezielle Ausprägungen im jeweiligen Fertigdesign. Kern des Entwurfs ist ein Stahlgerüst, das in allen drei Sofas gleichermaßen verwendet wird. Dieses Gerüst kann jeder Schlosser oder Heimwerker, der ein Elektroschweißgerät besitzt, herstellen. Vorbereitungen empfehlen sich daher in Form einer technischen Zeichnung. Hauptvorteil im Sinne des Halbfertigdesign ist, daß alle weiteren Arbeiten zur Herstellung von Sofas weder besondere handwerkliche Präzision, noch spezielle Maschinen erfordern. Über die endgültige Form des jeweiligen Sofas können Zufälle, technische Gegebenheiten oder Stimmungen entscheiden. Ich bin zu dem
114’23”
Geiersofa gekommen, weil ich auch zu Hause mit der Stichsäge arbeiten kann, weil die Flickendecke als Resultat verschiedener Experimente ohnehin bei mir herumlag, weil ich einem Freund, der Tischplatten herstellt, dadurch das Verschnittholz abkaufen konnte, und weil ich mich gerade mit dem Gedanken auseinandergesetzt hatte, ob wir den Pleitegeier nicht vielleicht doch als Wappentier für unsere Zukunft akzeptieren müssen: ob das Umdenken und Umschwenken im Zeichen der Grenzen des Wachstums sozialpsychologisch überhaupt durchsetzbar erscheint — rechtzeitig und ohne größere Katastrophen, versteht sich. Die beiden anderen Sofas entstanden aufgrund anderer Zufälle und anderer Interessen.
AUSBLICK Bisher kam es mir vor allem darauf an, ein Denkmodell für konsequentes Halbfertigdesign durch konkrete Produktbeispiele zu illustrieren, anschaulich zu machen. Dafür boten sich erst einmal einfache Entwürfe wie Lampen oder Sofas an. Prinzipiell aber muß das beschriebene Modell nicht nur auf derartige Bereiche beschränkt bleiben. Auch komplexere technische Geräte könnte man nach gleichen Grundsätzen entwerfen — Motorfahrzeuge beispielsweise. Eine gewisse Logik ergäbe diese Aufgabenstellung jedoch nur, wenn ihr zugleich ökologisch vertretbare Maximalgeschwindigkeiten zugrunde gelegt würden: 40 — 80 km/h etwa. Letztlich sind Entwürfe für Halbfertigdesign bzw. für eine neue Handwerksproduktkultur nur denkbar, wenn unsere Kultur insgesamt bereit ist, in vieler Hinsicht langsamer zu fahren, kürzer zu treten. Ich vermute, daß wir trotzdem, oder gerade deswegen, sinnvoller und glücklicher leben könnten — aber mag sein, daß ich irre. [Jochen Gros]
115’55”
[ eva | schweiz | 2009 ]
[ arthur | italien | 2007 ]
[ zafar | malta | 2005 ]
[ johannes | holland | 2009 ]
[ daniel | frankreich | 2009 ]
[ philipp | d채nemark | 2009 ]
[ r端diger | s端damerika | 2007 ]
[ jan | frankreich | 2008 ]
[ conny | australien | 2004 ]
[ paul | schweden | 2008 ]
[ ariane | spanien | 2009 ]
[ lena | england | 2009 ]
117’13”
119’33”
122’39”
124’07”
124’38”
124’56”
126’04”
128’20”
8’34’’ DIE BOTSCHAFT DER FORM
BENUTZERORIENTIERTES DESIGN BEDARF KLARER STRUKTUREN. KOGNITIVE ASPEKTE DER GESTALTUNG
Feng Hou Sheu (1997)
Zweifellos: Der Übergang vom Industriezeitalter zum modernen Informationszeitalter hat auch im Design einschneidende Veränderungen bewirkt. Mit der Informationsgesellschaft entwickelt sich das Bewußtsein dafür, daß Produkte nur dann handhabbar sind, wenn sie sich einer Sprache bedienen, die verstanden wird. Die Akzeptanz von Design hängt zusammen mit den Erfahrungen und Reaktionen des Nutzers und dessen daraus resultierenden Wertungen–dies ist ein kognitiver Prozeß. Festzuhalten gilt, daß die Vorstellungen des Nutzers vielfältig sind; sie stimmen keineswegs immer mit den Konzeptionen der Designer überein. Aus diesem Grund und auch, weil man Lernprozesse effektiv gestalten möchte, um dem Nutzer einen Teil seiner mentalen Anstrengungen abzunehmen, ist die Klarheit der Form eine notwendige Voraussetzung von erfolgreichem Design. Wenn man sich mit formalen Qualitäten von Produkten und ihrer Bewertung befaßt, gibt es bestimmte Kriterien, die häufig formuliert werden: Die »Schönheit« eines Objekts etwa, sie manifestiert sich üblicherweise in seinen Proportionen, den Eigen-
131’02”
schaften der benutzten Materialien etc. Die formale Qualität eines Produktes wird jedoch gleichermaßen durch den Aufbau und die Plazierung seiner wesentlichen Teile und die Rücksichtnahme auf die Nutzerbedürfnisse bestimmt: Nur so kann sich eine einheitliche Produktgestalt ergeben. Mehr noch: Ein Produkt muß heute in der Lage sein, etwas über seine Zwecke auszusagen. Es muß Hinweise geben zu seiner Handhabung, abstrakter ausgedrückt: Es sollte die Interaktion zwischen Körper und Werkzeug problemlos ermöglichen. Gerade angesichts der Miniaturisierung der Technik, vor allen im Bereich der Mikroelektronik, ist dies ein wichtiger Aspekt. Die Gestaltung hat die Aufgabe, den Dingen zu Volumen, Aussehen und Brauchbarkeit zu verhelfen. Stringenz und Klarheit der Formen stehen dabei obenan. Ob ein Design angenommen und wirklich als »schön« empfunden wird, hängt davon ab, welche Erfahrungen es anzusprechen vermag, und nicht zuletzt davon, ob es dem Nutzer sinnvoll erscheint. Wenn der Designer dem Produkt formale Eigenschaften verleiht, dann sollte er dies in Berücksichtigung dessen tun, was dem Nut-
zer als einsichtig erscheint. Nach Coates ist »das subjektive Gefühl der Übereinstimmung am größten, wenn Reize vorgeprägte Muster ansprechen und dem Benutzer Gefühle, Werte und Ideen bewußt machen, die ihm angenehm erscheinen« (Coates 1979). Formen lösen nur dann ein Gefühl der Vertrautheit aus, wenn ein Designer Konstrukte entwickelt, die dem Nutzer im höchsten Maße plausibel erscheinen. Wenn das gelingt, vermittelt die Klarheit der Form nicht nur funktionale und informative Werte, sondern auch emotionale. Einige Gestalter haben es geschafft, mit Hilfe des Design wichtige Botschaften an die Nutzer zu formulieren. Man muß allerdings erkennen, daß Gestaltung eine flüchtige Erscheinung ist. Das heißt, was der eine zu einer bestimmten Zeit und in einem bestimmten Kontext als sinnvolle und nützliche Form betrachtet, mag einem anderen gänzlich unnütz erscheinen. Die Bedeutung der Form ist also an das geknüpft, was der Nutzer zu erkennen vermag. Formgebung sollte es dem Betrachter leicht machen, visuell zur Schau gestellte Information zu lesen.
VISUELLE INFORMATIONEN Wesentlich zum Verständnis von Design ist die Vorstellung einer Schnittstelle zwischen Nutzer und Objekt –mit allen physischen, psychologischen, sozialen und kulturellen Konsequenzen, die dies hat. Buxton diskutiert, um einen umfassenden Begriff von Nutzerschnittstellen zu gewinnen, verschiedene Muster von Interaktionen: »Wenn Schnittstellen auf den Endverbraucher zugeschnitten sein sollen, dann müssen die Designer sich an Kriterien orientieren, die brauchbarer sind als ›benutzerfreundlich‹ oder ›leicht zu bedienen‹.« Daß der funktionale Aspekt einer Form praktischen Wert für den Nutzer hat, und zwar vor allem im materiellen Kontext von Sicherheit, Handhabbarkeit und Haltbarkeit, aber auch im Kontext von Sinnlichkeit, Wahrnehmung sowie Erkenntnis, ist mittlerweile mehr oder weniger selbstverständlich. Heutzutage rückt die visuelle Botschaft der Dinge verstärkt in den Blick, sie kann den Nutzern ein unmittelbares Erfassen der beabsichtigten Zwecke ermöglichen. Vielfach greifen Designer auf Metaphern zurück, um das Verständnis von Produkten zu erleichtern und Formen Bedeutung und Unverwechselbarkeit zu geben.
METAPHORISCHE FORMEN Metaphern werden in der Regel dann eingesetzt, wenn es darum geht, abstrakte Zusammenhänge in eine vertraute Sphäre zu übertragen. Genaugenommen transferiert man einen Ausdruck aus einem Bedeutungszusammenhang in einen anderen. Ziel dabei ist stets eine gewisse Prägnanz des Ausdrucks, zugleich macht der Gebrauch von Metaphern auch Variationsmöglichkeiten deutlich, ebenso Änderungen und Verwandlungen. Wesentlich bei einem semantischen Zugang zur Produktgestaltung ist, daß formale Züge den beabsichtigten Sinn signalisieren und zugleich in Beziehung stehen zur äußeren Umgebung des Nutzers. Der über das Praktische hinausgehende Wert der Form liegt in deren symbolischem Aspekt und bezieht sich auf soziale wie kulturelle Kontexte. Der Designer muß die kontextuellen Unterschiede kennen und sorgfältig abwägen, wie weit das Metaphorische trägt, das er in die Form legt; er muß fragen, ob sie den beabsichtigten Sinn tatsächlich durch Assoziation oder Erkenntnis, manchmal auch durch einen Lerneffekt vermitteln kann. Die Vorstellung, Design kommuniziere auf signifikante Weise über die Form mit den zukünftigen Nutzern, hat zu dem Eindruck geführt, daß der Nutzer nichts weiter als ein Empfänger der Botschaft eines Produktes sei. Diesen metaphorischen Zugang haben verschiedene Designer für das nutzerbezogene Interface Design gesucht. Bei der Software-Entwicklung bedient man sich erfolgreich der Desktop-Metapher, um die Interaktionen mit dem Computer zu koordinieren: Diese Metapher hilft dem Nutzer beim Zugriff auf die Daten. Zwischen dem Programm-Manager und der Systemstruktur bestehen starke Verknüpfungen. Damit der metaphorische Zugang für die Entwicklung von Formen wirksam wird, sollte man das Prinzip der Klarheit nicht aus dem Sinn verlieren.
Die meisten Industrie-Designer sind sich dessen bewußt, wie wichtig die Klarheit der Form für die Brauchbarkeit ist und richten ihr Augenmerk vor allem auf diesen Aspekt des Design. Es steckt in der Natur der Sache, daß das Metaphorische der Form eine schwer faßbare Variable ist, vor allem wenn Designer versuchen, sie zu formalisieren. Manchmal besteht die Tendenz zu extremer formaler Innovation und dann versteht nur noch der Designer, was er geschaffen hat, und er muß den Nutzer mit detaillierten Gebrauchsanweisungen langweilen. Wenn dies der Fall ist, haben die metaphorischen Formen, die sich der Designer am Schreibtisch ausgedacht hat, nichts mit dem Erfahrungsfeld des Nutzers gemein und können so nur verworrene Assoziationen hervorrufen. Das zeigt, daß bestimmte Merkmale der metaphorischen Form manchmal im Widerspruch zu den Erfahrungen des Nutzers stehen. Auf der anderen Seite können Metaphern, wenn sie überlegt eingesetzt werden, kraftvolle Zeichen für den Nutzer sein und ihm helfen, das Produkt zu bedienen. Es ist wenig darüber bekannt, wie Metaphern im Kopf des Designers entstehen. Wenn Designer herausfinden könnten, wie metaphorische Formen entstehen, in welchem Maß sie Hinweise geben auf die kollektive Wahrnehmung und Reaktionsweisen und welche Faktoren für die Verbreitung und das Fallenlassen von Metaphern verantwortlich sind, dann könnten die von ihnen erfundenen metaphorischen Formen für zukünftige Nutzer tatsächlich bedeutungsvoll sein. Dieser metaphorische Zugang ist etwas Besonderes und wird von Designern sehr gerne eingesetzt. Aber gerade dann sind hier die detailgetreue Umsetzung der kognitiven Bedürfnisse von Nutzern und Untersuchungen zur Akzeptanz in einer ausgewählten Nutzergruppe Schlüssel und Voraussetzung
134’25”
dafür, daß Klarheit der Form im Interakionsdesign tatsächlich erreicht wird. Es wird allgemein angenommen, daß es beim Gebrauch eines bestimmten Produktes oder Systems tatsächlich verschiedene interaktive Beziehungen zwischen dem Nutzer und der Form gibt. Ergonomisch gesprochen: Designer beschäftigen sich primär mit den Interaktionen zwischen Menschen, Produkten und den Umgebungen, in denen gestalteten Produkte funktionieren; diese Interaktionen haben sowohl körperlich-materielle als auch psychologische Aspekte. Die Entwicklung von brauchbaren Formen ist eine Herausforderung. Gesucht ist eine Synthese; sie zu finden, hängt zu großen Teilen davon ab, ob man die kognitive Flexibilität der Nutzer richtig einschätzt. SCHLÜSSEL DER WAHRNEHMUNG Manchmal widerstrebt es Nutzern, sich auf ein neues Design einzulassen, vielleicht weil die intuitiv erfaßte Komplexität der notwendigen Lernprozesse die intuitiv erfaßten Vorteile nicht aufwiegt. Wenn vom Nutzer Lernprozesse gefordert werden, dann steht die damit verbundene Anstrengung
136’51”
oft nur teilweise in Beziehung zur Brauchbarkeit. Viele Studien über mentale Zufriedenheit haben gezeigt, daß grundlegende Gestaltungsmerkmale wie Farbe und Größe eines Objekts dessen Fähigkeit bestimmen, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. (Landauer, 1978; Carroll, 1991; Allport, 1989) Um die Auffassung zu erleichtern, werden vorzugsweise vorhandene Schlüssel der Wahrnehmung eingesetzt. Wenn sich Designer immer wieder eingeübte Verhaltensmuster und natürliche Feedback-Mechanismen zunutze machen, kann somit verständliches Design entstehen. Die kommunikative Absicht ist gleichbedeutend mit den expressiven Eigenschaften eines Produkts, die sich als praktische, kommunikative, symbolische sowie ästhetische Funktionen zeigen und somit die Multidimensionalität der Formgebung ausmachen. Insgesamt wird die Wahrnehmung vom Wissen und den Motivationen des Betrachters bestimmt. Der Nutzer mag auf viele verschiedene Weisen mit dem Objekt interagieren: in Echtzeit oder über ein Interface zum Beispiel. Um diese Interaktionen
effektiv zu gestalten, muß das auf Semantik zielende Design verstärkt bekannte Schlüssel nutzbar machen. Die Fähigkeit, Formbedeutungen auch in den verschiedenen Kontexten gut zu repräsentieren, verlangt von Produkt-Designern Aufmerksamkeit für die kognitive Flexibilität der Menschen. Nach Donald A. Normans mit Modellen operierender Theorie mentaler Prozesse ist es von entscheidender Bedeutung, daß eine Übereinstimmung hergestellt wird zwischen den Erfahrungsformen des intendierten Nutzers (modellhaft beschrieben) und den Erfahrungsformen, die dem Design zugrunde liegen. Gelingt das, ist Interaktion zwischen beiden möglich. Man müßte diese Theorie ausbauen und die Implikationen für eine semantisch gerichtete Formgebung entwickeln. Es kommt vor allem darauf an, ob es dem Designer gelingt, die exakte Bedeutung einer Metapher in Klarheit der Form zu übersetzen. Auch die kausale Kohärenz muß verstärkt werden, und zwar durch aktive Verbindungen zwischen dem Gehalt der mit dem Design intendierten und manifestierten Botschaft und der Botschaft, wie sie interpretiert und verstanden wird.
DAS FRAGEN LERNEN UND FINDEN TRAINIEREN
EIN DESIGNER OHNE VISION IST KEIN REALIST
DU GIBST DEN DINGEN EINEN SINN
DESIGN ALS DIENSTLEISTUNG HALBFERTIGDESIGN
THEORIE UND PRAXIS
DIE SUCHE NACH IDENTITÄT
DU WARST GUT
ELEKTRONISCHE WELTEN — KÜNSTLICHE PARADIESE?
DIE BOTSCHAFT DER FORM
DESIGN OHNE GRENZEN
URLAUB