The Red Bulletin DE 04/22

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DEUTSCHLAND APRIL 2022 € 2,50

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ABSEITS DES ALLTÄGLICHEN

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n die Fragen a 1 neue Nr.

WER IST MAX? Formel-1-Champion

MAX VERSTAPPEN über Kindheitsidole, Tempolimits und seine Karriere als E-Gamer

PLUS PENÉLOPE CRUZ MIRIAM HÖLLER SEAN PAUL JOCHEN RINDT

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Elegance Elegance is an is an attitude attitude Marco Marco Odermatt Odermatt


Longines Longines Spirit Spirit


E DI TO R I A L

WILLKOMMEN

IN DER REALITÄT llustrator Dan Leydon aus Irland hat für uns Max Verstappen auf seine Essenz re­duziert. Auf dem Cover und ab Seite 38.

1980

beginnt die offizielle Geschichtsschreibung des Breaking. Foto­ grafin Martha Cooper entdeckt tanzende Teenager ab Seite 20.

Gute Unterhaltung mit der neuen Ausgabe von The Red Bulletin! Die Redaktion

CHRISTOPH VOY

Als wir Weltmeister ­Jason Paul baten, ­unserem Autor Parkour beizubringen, war der Frankfurter sofort be­ geistert. Ob er das nach dem Treffen noch im­ mer ist? Die Auflösung gibt’s ab Seite 54.

IRE GUT!

DAN LEYDON (COVER), SASCHA BIERL

UNSER COACH

„Für die Menschen in meinem Umfeld, meine Familie und meine Freunde, bin ich nicht die berühmte Schauspielerin. Da werden die Dinge ehrlich beim Namen genannt“, sagt Hollywood-Ikone ­Penélope Cruz. Dinge ehrlich beim Namen zu nennen ist eine feine Sache. In dieser Ausgabe machen das u. a. die Radfahrerin Louise Vardeman, Pop-Heldin Self Esteem („Meine Fans sind ebenso dick und deprimiert und verrückt wie ich. Zusammen sind wir unheimlich groß“) und die neue Nummer eins der Formel 1, Max Verstappen. Auf die Frage, welche Verkehrsregel er abschaffen würde, sagte der Red Bull Racing-Pilot: „Keine. Ich fahre sowieso nicht allzu viel, und ich verstehe natürlich, dass du ein Limit auf normalen Straßen hast.“ Dort ist halt auch er nicht der berühmte Formel-1-Fahrer, sondern ein Mensch wie wir.

SO GEHT DAS

Besser leben dank Biohacking. Unser Experte Andreas Breitfeld teilt ab dieser Ausgabe sein Wissen. Folge eins: Besser schlafen, auf Seite 86.

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THE RED BULLETIN


KISKA.COM Foto: P.Platzer

DIE EVOLUTION DES BEASTS Das BEAST entwickelt sich ständig weiter, um an der Spitze zu bleiben. Die neue KTM 1290 SUPER DUKE R EVO verfügt über ein semiaktives Fahrwerk vom Typ WP APEX, mit dem du die Power des leistungsstarken V-Twins voll ausschöpfen kannst und der Konkurrenz immer einen Schritt voraus bist.

ERFAHRE MEHR AUF KTM.COM Gezeigte Fahrszenen bitte nicht nachahmen, Schutzkleidung tragen und die anwendbaren Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung beachten! Die abgebildeten Fahrzeuge können in einzelnen Details vom Serienmodell abweichen und zeigen teilweise Sonderausstattung gegen Mehrpreis.


I N H A LT The Red Bulletin im April 2022

PARKOUR

54 Y ES, YOU CAN

Parkour-Ass Jason Paul trieb unseren Autor die Wände hoch. Na ja, er versuchte es.

COVERSTORY

38 SUPERMAX

Die neue Nummer eins der Formel 1: 33 Fragen und Antworten zu Max Verstappen – exklusiv zum Saisonstart.

5-MINUTEN-COACH

62 DEIN BESTER START

Ironman Sven Riederer erklärt, wie du Bewegung dauer­ haft in dein Leben bringst.

64 WETTERLAGE Bergsteiger in Not freuen sich über diesen Anblick: Flugretter Marc Ziegler

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FLUGRETTUNG

PORTFOLIO

20 HIP, HOP, HURRA

Fotografin Martha Cooper war in den 80ern bei der Geburtsstunde des Breaking dabei.

FILM

32 PENÉLOPE CRUZ­

Die Hollywood-Actrice über gewalttätige Rollen, Filmpreise und den Sinn des Lebens.

Graffiti-Artist Fabian „Bane“ Florin besiegte die Sucht und lebt heute von seiner Kunst.

RADFAHREN

36 ROLLENDE REVOLUTION

Louise Vardeman kämpfte ­gegen die Benachteiligung von Frauen bei der Tour de France.

MUSIK

Danke, dass es dich gibt: die Pop-Heldin, auf die wir ­gewartet haben.

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GUIDE

Tipps für ein Leben abseits des Alltäglichen

80 GAMING. Werde mit dem „Football Manager 2022“ zum Talentscout.

SCHRÄGLAGE Parkour-Profi Jason Paul hebt die Gesetze der Schwerkraft auf.

81 P LAYLIST. Sean Paul verrät, welche Songs seine Karriere prägten.

TERO REPO, CHRISTOPH VOY, MARTHA COOPER, PHILIPP MUELLER

34 M UT ZUM TRÄUMEN

8 GALLERY 14 ZAHLEN, BITTE! 16 FUNDSTÜCK

Immer einsatzbereit: Marc Ziegler rettet Menschen aus der Eigernordwand.

75 REISEN. Sportklettern auf der ­griechischen Insel Kalymnos

KUNST

46 SELF ESTEEM

64 H ELFER IN DER NOT

82 L ESESTOFF. Philippe Djian ­verwandelt Alltag in Poesie. 84 TIPPS & TRENDS. Unsere ­Favo­riten zum Frühlingsbeginn 86 BIOHACKING. Warum wir im Bett die Socken anlassen sollten 88 MOTORRÄDER. Bikes, auf die wir jetzt gerne aufsteigen 92 B OULEVARD DER HELDEN. Wie Einzi Stolz Leben rettete

17 DAS PHILOSOPHEN-INTERVIEW 18 MEIN ERSTES MAL

96 IMPRESSUM 98 CARTOON

20 BODENLAGE US-Fotografin Martha Cooper nimmt uns mit zu den Anfängen des Breaking.

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STIMMLAGE Self Esteem – warum die britische Sängerin so vielen Frauen mit i­ hrer ­Musik Kraft schenkt

THE RED BULLETIN

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DUBAI, VEREINIGTE ARABISCHE EMIRATE

Wheelie unter Haien Der britische Motocrosser Sam Sunderland fühlt sich in der Wüste zu Hause: Im Januar hat er die Rallye Dakar gewonnen, bereits zum zweiten Mal, nach 2017. Längst ist ihm Dubai zur Wahlheimat ­geworden. Ehrensache, dass er jetzt ein bisschen Werbung für sein Bike und Dubai machte. So erklomm er mit dem Motorrad den Burj Khalifa, das mit 829 Metern höchste Gebäude der Welt, besuchte aber auch andere Wahrzeichen – wie etwa dieses in einem Einkaufs­zentrum gelegene Aquarium. QR-Code scannen und Sunderlands Fahrt an die Spitze des Wolkenkratzers Burj Khalifa auf der Website von Red Bull anschauen


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NAIM CHIDIAC

DAVYDD CHONG


RIGA, LETTLAND

Wachtraum Aus der Abteilung „Wenn Skateboarder sich was ­wünschen dürfen“. Der Lette Arturs Bogdanovics skatet über eine völlig leergefegte Prachtstraße in den Sonnenaufgang. Ein Traum auch für seinen Landsmann, den Fotografen Volodya Voronin, der die Szene vom Dach ­ eines Hauses festhielt. volodyavoronin.com


UTAH, USA

Der Rest vom Fest

VOLODYA VORONIN/RED BULL ILLUME, BOB PLUMB/RED BULL ILLUME

DAVYDD CHONG

Nein, auf so einem traurigen Fleckchen Schnee ist sinn­ volles Snowboarden natürlich nicht möglich, nicht ein­ mal für einen Könner wie Griffin Siebert. Was soll das dann? Fotograf Bob Plumb wollte mit der ungewöhn­ lichen ­Inszenierung subtil auf das Problem des Klima­ wandels hinweisen. Das ist ihm zweifellos gelungen. bobplumbphotography.com

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DISENTIS, SCHWEIZ

Klar, so viele Paragleiter auf einem Fleck sind eine nicht ganz ungefährliche Herausforderung für die Piloten. Aber wir können davon ausgehen, dass in diesem Fall kein großes Risiko bestand, handelte es sich doch um den Start des WeltcupSuperfinales 2021, bei dem die Piloten elf Tage lang um den Sieg kämpften. Für den Schweizer ­Fotografen Andreas Busslinger war die Aus­nahme­ situation am Himmel jedenfalls ein echter Glücksfall: Seine Aufnahme schaffte es ins Semifinale von Red Bull Illume, dem größten ­Abenteuerund Action-Fotowettbewerb der Welt. andreasbusslinger.ch

ANDREAS BUSSLINGER/RED BULL ILLUME DAVYDD CHONG

Da muss wo ein Nest sein


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Z AHL EN, BI T T E!

OSCAR-VERLEIHUNG

Wer will mich? Am 27. März werden in Los Angeles zum 94. Mal die Academy Awards vergeben. Warum der Oscar nur einen Dollar kostet und welcher Film gleich fünf davon gewann.

Filmschaffende gründeten 1927 die Academy of Motion Picture Arts and Sciences. Heute hat sie mehr als 10.000 Mitglieder.

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2010

Auslands-Oscars gingen nach Italien. Deutsche Filme gewannen dreimal, ­österreichische und ­Schweizer je zweimal.

gewann Kathryn Bigelow als erste Frau die Kategorie „­ Beste Regie“ („Tödliches Kommando“).

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Filme gewannen alle fünf ­Haupt­­kategorien: Bester Film, Regie, Hauptdarsteller, Hauptdarstellerin und D ­ rehbuch, ­zuletzt 1991 „Das Schweigen der Lämmer“.

Mal wurde Ellen DeGeneres’ ikonisches All-Star-OscarSelfie 2014 binnen einer Stunde via Twitter geteilt.

Mal in Serie gewann Walt Disney die Kategorie „Bester animierter Kurzfilm“.

Nominierungen gab es für „Am Wendepunkt“ (1977) und „Die Farbe Lila“ (1986) – aber keinen Oscar.

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12.500

Mal wurden Tom & Jerry für ­einen Oscar nominiert, öfter als alle anderen Trickfiguren.

Dollar (11.000 Euro) kostet es, einen Film für den Nominierungsprozess einzureichen. 14

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CLAUDIA MEITERT

1.400.000

HANNES KROPIK

Jahre lagen zwischen ­ Katharine Hepburns erster Nominierung 1934 und ihrer letzten 1982.

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1500

Dankesreden von ­Preisträgern kann man auf oscars.org nachlesen.

GETTY IMAGES (2), PICTUREDESK.COM

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Dollar zahlt die Academy via ­Vorkaufsrecht, sollte ein Gewinner seine Trophäe verkaufen wollen.


UNSCHLAGBAR VIELSEITIG. 7 TAGE DIE WOCHE. DEINE NEUE

FĒNIX 7

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®

#BeatYesterday GARMIN.COM


F U ND ST Ü CK

SAMMLUNG ERICH WALITSCH/FOTO: KLAUS PICHLER, GETTY IMAGES

SABRINA LUTTENBERGER

Formel-1-Star Jochen Rindt verunglückte am 5. September 1970 beim Training in Monza. Als einziger Pilot bisher wurde er posthum Weltmeister.

JOCHEN RINDT

Shorts Story Die Lieblings-Badehose der Formel-1-Legende Auch abseits der Strecke liebte Jochen Rindt die Geschwindigkeit. Bis zu seinem tragischen Unfalltod im Abschlusstraining in Monza für den Großen Preis von Italien 1970 wohnte der R ­ enn­ fahrer am Genfer See, wo er leidenschaftlich Wasserski fuhr. „Dabei trug er fast immer diese Badehose“, erzählt Erich Walitsch. Der Sammler ist ein Bekannter von Rindts Witwe Nina, die die Badehose vor drei Jahren zufällig wiederfand und Walitsch vermachte. Mehr Erinnerungs­ stücke zu Jochen Rindt kann man bis 24. April im Graz Museum bewundern. grazmuseum.at

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DAS F IK T IVE PHILO S O PHEN -IN T ERV IE W

LOU ANDREAS-SALOMÉ SAGT:

„Lass ruhig alle wissen, dass du was Besonderes bist!“ Ob in sozialen Medien oder im wirklichen Leben: Auffallen ist en vogue. Wer Aufmerksamkeit auf sich zieht, steigert seinen Marktwert. Doch: Ist das nicht furchtbar selbstbezogen? Die russisch-deutsche Philosophin, Psychotherapeutin und Schriftstellerin Lou Andreas-Salomé erklärt im fiktiven Interview mit Christoph Quarch, warum ein bisschen Narzissmus dann und wann nicht schadet.

the red bulletin: Frau Andreas-Salomé, wie wichtig ist es, dass man seinen eigenen Stil findet? lou andreas-salomé: Schauen Sie mich an!

DR. CHRISTOPH QUARCH

BENE ROHLMANN

Okay, dass Sie Ihren eigenen Stil gefunden haben, wird niemand bestreiten. Aber meinen Sie, dass wir alle gut daran täten, sich diesbezüglich Sie zum Vorbild zu nehmen? Ja, ich denke es liegt in der Natur des Menschen, etwas Besonderes sein zu wollen – nicht nur intellektuell, sondern auch körperlich. Und dieser Drang drückt sich eben im persön­ lichen Stil eines Menschen aus.

Sie meinen wohl Sigmund Freud. Der war ja nicht Ihr einziger prominenter Freund. Da waren noch Friedrich Nietzsche und Rainer ­Maria Rilke. Waren das die ­Spiegel, in denen Sie sich persönlich erkannt haben? Auf jeden Fall! Ich habe diese Männer geliebt. Ich habe überhaupt viele Männer geliebt. Und je mehr ich geliebt habe, desto mehr wurde ich die Lou, die ich heute bin: eine unver­ gleichliche, liebenswerte Frau. Finde ich jedenfalls. Und ich finde das gut. Ohne dass ich irgendeine Idee davon hatte, wie ich sein müsste, um unvergleichlich und liebenswert zu sein, bin ich es einfach geworden, indem ich meiner Liebe freien Lauf gelassen habe.

„Gesund ist Narzissmus, wenn er Selbstliebe und Liebe zur Welt verbindet.“

Aber es gibt doch auch ziemlich viele Menschen, die lieber unauf­ fällig bleiben. Beide Sehnsüchte stecken in uns. Schauen Sie, wir werden als individuelle Wesen ge­ boren – mit einem Körper, der uns von allen anderen unterscheidet. Gleichzeitig sind wir aber auch mit allen anderen Wesen verbunden. Als kleine Kinder fühlen wir uns noch allem zugehörig. Erst mit der sogenannten Individuation fangen wir an, uns bewusst von der Welt zu unterscheiden. Einerseits begeistert uns das, und wir wollen uns der Welt als etwas Besonderes zeigen, andererseits ängstigt es uns, und wir sehnen uns zu­ rück nach der Ureinheit. Diesen Konflikt aufzulösen ist eine Aufgabe, die wir uns alle stellen müssen. Wie können wir diesen Spagat zwischen Sich-­ zeigen-Wollen und Unsichtbar-sein-Wollen hin­bekommen? Indem wir konsequent unseren eigenen Weg gehen und dabei doch nie die Verbindung zu anderen Men­ schen, zur Welt oder sagen wir: zum Großen und Ganzen verlieren. Kennen Sie den antiken Mythos von Narziss, von dem das Wort „Narzissmus“ abgeleitet ist?

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Narziss war ein Jüngling, der sich in sein eigenes Spiegelbild verliebte und dafür von den Göttern bestraft wurde. Warum fragen Sie? An dieser Geschichte interessiert mich ein oft über­ sehenes Detail: Sein Spiegelbild sah Narziss auf der Oberfläche eines stillen Sees – nicht in einem von Menschen gemachten Spiegel. Man könnte auch sagen: Er spiegelte sich in der Natur. Das ist faszinie­ rend. Er verliebt sich in sich selbst – ja, aber er sieht sich dabei als Teil des Großen und Ganzen. Das ist eine Haltung, die ich einen „gesun­ den Narzissmus“ nennen möchte. Einen Narzissmus, der Selbstliebe und Liebe zur Welt verbindet und die beiden Sehnsüchte nach Individualität und Zugehörigkeit zum Ausgleich bringt. Das ist etwas ganz anderes als der krankhafte Narzissmus, den mein Freund Sigmund als Pa­ thologie des modernen Menschen beschrieben hat.

LOU ANDREAS-SALOMÉ (1861  – 1937) war eine der schillerndsten Frauen des späten 19. Jahrhunderts. Geboren als Tochter ­eines russischen Aristokraten, zog sie als junge Frau mit ihrer Mutter nach Zürich, wo sie Vorlesungen in Philosophie und Theologie hörte. Sie lernte Friedrich Nietzsche kennen, dessen Heiratsantrag sie aber ablehnte. Fortan verkehrte sie in den wichtigsten intellektuellen Zirkeln Europas und entwickelte eine eigene Philosophie. CHRISTOPH QUARCH, 57, ist deutscher Philosoph, Gründer der Neuen Platonischen Akademie (akademie-3.org) und Autor zahlreicher philosophischer Bücher, zuletzt: „Kann ich? Darf ich? Soll ich? Philosophische Antworten auf alltägliche Fragen“, legenda Q, 2021.

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M EIN ERST ES M A L

MIRIAM HÖLLER

„Barbiepuppen? Ich spielte mit Ninja Turtles.“

Viele kennen ihr Gesicht aus dem Fernsehen: als Kan‑ keine Chance. Mein Karriere­traum war wieder ge‑ didatin bei „Germany’s Next Topmodel“ (ProSieben) platzt. Ich saß dann eines Abends, ich muss etwa sech‑ zehn gewesen sein, sehr betrübt mit meinen Eltern oder Moderatorin von „GRIP – Das Motormagazin“ vor dem Fern­seher. In der Sendung hing eine Frau an (RTL Zwei). Doch Miriam Höller stand lange Zeit auch einem Seil von einem Helikopter. ­inkognito vor der Kamera. Als Ich sprang vom Sofa auf: ‚Mama, Stuntfrau übernahm sie in Serien Papa, das will ich auch machen!‘ wie „Alarm für Cobra 11“ (RTL) Und meine Mama sagte: ‚Dann jene Jobs, die Schauspielerinnen musst du Stuntfrau werden!‘ zu riskant waren: von Häusern Ich hatte natürlich keine Ahnung, springen, sich aus Hubschrau‑ bern stürzen, in Flammen ­stehen. was eine Stuntfrau ist, also er‑ klärte sie es mir: ‚Das sind Frauen, Obendrein leitete Höller ein die gefährliche Dinge tun, sich 24‑köpfiges Stuntteam und spiel‑ te Hauptrollen in den Action-­ dabei aber nicht verletzen, weil Live-Shows des Europa-Parks in sie die Gefahr und das Risiko ­Baden-Württemberg, Deutsch‑ kon­trollieren können.‘ Sie sagte, lands größtem Freizeitpark. ich solle einfach in den Freizeit‑ park gehen und mir eine Stunt‑ Seit einem schweren Arbeits‑ unfall 2016 ist die 34-Jährige als show anschauen. Sportbotschafterin und KeynoteIch fuhr dann echt nach der 0:00 –37:40 Speakerin aktiv – um anderen Schule mit meinem Mofa hin Miriam Höller Menschen Mut zu einem auf­ und guckte mir eine solche Mein erstes Mal – der Podcast regenden Leben zu machen. Hier Stuntshow an. Und wow! Ich spricht Höller über das erste war sofort Feuer und Flamme. Mal, als ihr klar wurde, dass sie Mein Kindheitstraum, Action­ Actionheldin werden wollte – heldin zu werden, wurde plötz‑ „Am Seil von einem lich wieder greifbar. und wie sie ihren Traum ver­ wirklichte. Helikopter hängen. Rückblick war es mein größ‑ Das wollte ich auch!“ Im tes Glück, dass aus dem Moment, „Barbiepuppen hatte ich als Kind in dem mein Ballerina-Traum nie. Ich spielte lieber mit Match‑ Die spätere Stuntfrau Miriam Höller box-Autos und Ninja-­Turtlesfand ihre Berufung schon als Kind. ­geplatzt ist, etwas Großartiges Figuren. Als kleines Mädchen entstand. Ich wäre weiterhin träumte ich davon, Superkräfte zu haben, fliegen zu beim Tanzen geblieben, wenn ich nicht die Diagnose können und Actionheldin zu werden. Aber das war bekommen hätte, großwüchsig zu sein – und hätte natürlich kein realistischer Berufswunsch. Nichts, was gar nie zurück zu meinem Traumberuf gefunden.“ man lernen konnte. Außerdem sagten alle Erwach­ senen: ‚Nee, nee, mach mal lieber etwas Vernünftiges.‘ Deshalb geriet mein Kindheitstraum immer mehr in Vergessenheit, je älter ich wurde. Stattdessen stieg ich in die Fußstapfen meiner Tante und Mama und wurde Ballerina. Ich stand „MEIN ERSTES MAL“ IST DIE RED BULLETIN-PODCAST-SERIE, in der auf der Bühne, liebte das Tanzen. Bis der Wachstums‑ ­Heldinnen und Helden über ihre Anfänge sprechen. Die Folge mit Miriam schub einsetzte – und zwar ordentlich. Mit fünfzehn Höller, in der sie auch erzählt, wie man von einem Haus springt, ohne sich maß ich schon über eins achtzig. Diagnose: groß‑ zu verletzen, gibt’s im Podcast-Kanal von The Red Bulletin. Zu finden auf allen ­gän­gigen Plattformen wie Spotify und auf redbulletin.com/podcast wüchsig. Als Ballerina hast du mit so einer Größe

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WOLFGANG LIENBACHER

Sie war Deutschlands bekannteste Stuntfrau, sprang von Hausdächern und ging am Filmset in Flammen auf: Hier erzählt die 34-Jährige, wie sie durch einen geplatzten Kindheitstraum ihren Traumberuf fand.


RED BULL MIT DEM GESCHMACK VON KAKTUSFRUCHT. HIER, UM ZU . BLEIBEN

BELEBT GEIST UND KÖRPER.


P O RT FO L IO

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Breaking Good Martha Cooper hat die New Yorker Hip-Hop-Kultur vierzig Jahre lang mit ihrer Kamera dokumentiert. Dabei fing sie die Geburtsstunde eines globalen TanzPhänomens ein: Breaking. Text WOLFGANG WIESER

Street Style

Upper West Side, 1982 Ein Stück Karton, ein Ghettoblaster: Mehr braucht dieser junge B-Boy nicht, um seine Moves auf die Straße zu zaubern. Breaking, ursprünglich B-Boying genannt, entstand in den 1970er-Jahren in den New Yorker Armenvierteln. Der Tanz sollte die Spannungen zwischen Gangs ausdrücken.

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P O RT FO L IO

„Der ‚StraßenAufstand‘, den ich fotografieren sollte, war in Wirklichkeit ein Tanz-Battle.“ Martha Cooper über jene Verwechslung, die 1980 zu ihrer ersten Begegnung mit Breaking führte.

Brückenbauer Queens, 1982

Zwei Breaker tanzen auf einer Straße in Queens – die Zuseher sind begeistert, wie an ihren Mienen zu erkennen ist. Martha Cooper hielt mit ihren Fotos die rasante Entwicklung der Hip-Hop- und Graffiti-Kultur in Manhattan, Brooklyn, Queens und der Bronx fest.

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Kens Kampf-Grimasse Riverside Park, 1982

Wohlüberlegte Grimassen waren von Anfang an ein wichtiger Teil des Breaking, sie sollten die Gegner in Battles einschüchtern. Hier sehen wir Urgestein Ken Swift und sein „mad mugsy“-Gesicht, inspiriert von Kampfkünstler Bruce Lee. Swift tanzte später im Filmhit „Flashdance“. Heute ist er Präsident der Hip-Hop-Organisation Breaklife.

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Ein Mann hebt ab

Lincoln Center, 1981

Treffen sich zwei Breaking-Partien: So beginnt kein Witz, sondern ein Battle, wie die Wettkämpfe der B-Boys genannt werden. Hier sehen wir Frosty Freeze von der Rock Steady Crew in Aktion. Er zeigt seinen Signature-Move, den „Dead Man Drop“. Wie das Kräftemessen gegen die Dynamic Rockers ausging, konnte mangels Jury nicht geklärt werden.

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Open-Air-Training

Upper West Side, 1981 B-Boy Doze Green als Wirbelwind auf Pappe. Die Rock Steady Crew pflegte ihre Moves auf dem Happy Warrior Playground, Ecke 98. Straße West und Amsterdam Avenue, zu üben. Im Volksmund wird der Spielplatz heute Rock Steady Park genannt.

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Jetzt wird’s wild

Riverside Park, 1983

Doze Green, Frosty Freeze, Ken Swift (vorne von links), Fab 5 Freddy (hinten Mitte) und Patti Astor (hinten links) waren alle bei „Wild Style“ dabei – dem Film, der als erster Hip-Hop-Streifen in die Geschichte einging. Hier tanzen sie vor dem ikonischen „Wild Style“-Mural, das heute leider nicht mehr existiert.

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Dancefloor aus Karton Upper West Side, 1982

In einem Hinterhof nahe Martha Coopers Wohnung trainieren zwei B-Boys ihre Moves. Ab den Achtzigern verbreitete sich die New Yorker Subkultur explo­sions­­artig über die ganze Welt.

Drunter & drüber East Village, 1982

B-Boy-Legende Ken Swift mitten im Getümmel. Hier purzeln seine Kollegen der Rock Steady Crew durchs Bild, die sich an diesem Tag einen Battle mit der Floor Masters Crew liefern. Schauplatz ist der Club Negril im East Village, Manhattan.

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P O RT FO L IO

Mit diesem Bild fing alles an

Washington Heights, 1980

Dieses Foto, aufgenommen am 21. Januar 1980 in Washington Heights, einem Stadtteil im äußersten Norden von Manhattan, gilt heute als das erste Bild, das einen damals verstörend neuen Tanz dokumentiert: Breaking. Eine Jugendkultur, die sich, parallel zu Graffiti und Hip-Hop, auf der Straße entwickelte.

„Die Cops staunten: ‚Diese Kids drehen sich auf dem Kopf!‘“ Martha Cooper über die ersten Reaktionen der New Yorker Polizei auf die Breakdancer

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Fotografin Martha Cooper vor einem Graffiti, das sie zeigt: In der Hip-Hop-Szene gilt die heute 79-jährige US‑­ Amerikanerin als Legende.

DIE FOTOGRAFIN

MARTHA COOPER Martha Cooper, Jahrgang 1943, war ab 1973 als Fotografin bei der „New York Post“ beschäftigt. Im Januar 1980 wurde sie von der Redaktion nach Washington Heights im Norden Manhattans geschickt – dort seien Ausschreitungen im Gange. Die entpuppten sich dann als Breaking-­Battle: keine Story für die „Post“, aber lebensverändernd für Cooper. Abgesehen davon, dass Breaking mit ihrem Foto (siehe linke Seite) erst das Licht der Welt erblickte, spezialisierte sie sich in der Folge auf die Dokumentation der New Yorker Hip-Hop-Szene: Graffiti, Breaking. Jugendkultur, die in

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dem Spannungsfeld von Armut, Gangs und Überlebenskampf wuchs – bis heute hat sie mehr als zehn Bücher zum Thema ver­ öffentlicht. Sie hielt die legendären Battles der Rock Steady Crew oder der Dynamic Rockers fest, die sich auf den Straßen New Yorks erbitterte Tanzduelle lieferten, indem sie ihre Körper grotesk verrenkten, Pirouetten auf ihren Köpfen d ­ rehten und Salti schlugen. Es war der Beginn einer Bewegung, die Hip-HopBeats in unwider­stehliche Moves verwandelte und in den folgenden Jahren die Welt eroberte. Instagram: @marthacoopergram, kodakgirl.com

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Film

hat Europas Kino geprägt und gleichzeitig Hollywood erobert. Warum die Oscar-Gewinnerin auf Filmpreise pfeift und lieber ihre Mutter feiert, erzählt sie hier. Interview RÜDIGER STURM

Nach neun Jahren klassischem ­Ballettunterricht weiß Penélope Cruz genau, wie man einen per­ fekten Spagat hinlegt. Die spani­ sche Schauspielerin und zweifache ­Mutter wechselte in ihrer Film­ karriere immer wieder zwischen europäi­schem Autorenkino und ­großen Hollywood-Blockbustern – und überzeugte an beiden Enden des Spektrums mit enormer Intensität. In der Liste ihrer Auszeichnungen glänzt neben drei spanischen Film­ preisen, den „Goyas“, auch ein Oscar für ihre Rolle in „Vicky Cristina Barcelona“ (2009). Aktuell ist Cruz in Pedro Almodóvars faszinierender Identitätssuche „Parallele Mütter“ und dem feministischen Actionfilm „The 355“ zu sehen. the red bulletin: Frau Cruz, in „The 355“ treten Geheimagen­ tinnen in Actionszenen auf und lassen es ordentlich krachen. Sie hingegen haben sich die Figur der Psychologin Graciela ausgesucht, die vor Gewalt Angst hat. Warum? penélope cruz: Nicht jeder Mensch will mit Fäusten und Waffen kämpfen. Ich persönlich jedenfalls nicht. Man kann seine Stärke auch auf andere Art beweisen – und genau das tut sie, und zwar mit Mitteln der Psychologie. Das ist ihre Stärke, darin ist sie gut. Natürlich fühlt sie sich im Kreis der Superagentinnen wie ein Fisch auf dem Trockenen. Aber deshalb können sich die Zu­ schauer auch viel besser mit ihr

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identifizieren. Gleichzeitig sorgt sie mit ihrem Verhalten für Komik. Für mich war diese Rolle von Anfang an viel interessanter als die einer reinen Actionheldin. Wie haben Sie selbst – also im richtigen Leben – Stärke g ­ elernt? Von meinen Eltern. Meine Mutter ist sehr stark, eine geborene Feministin. Meine Eltern haben mich gelehrt, dass ich mir selbst treu bleiben muss. Deshalb hatte ich auch nie Bedenken oder Probleme, meinen Standpunkt zu behaupten. Ganz wichtig war, dass sie Gleichberech­ tigung perfekt vorgelebt und in der Erziehung zwischen meiner Schwes­ ter, meinem Bruder und mir keinen Unterschied gemacht haben. Ist das der beste Weg, Gleich­ berechtigung zu lernen? Meines Erachtens ja. Das muss vom ersten Tag an präsent sein. Wenn du das als ganz natürlich erlebst, muss man es dir nicht mehr erklären. Gleichberechtigung wird Teil deiner DNA, und auf diese Weise vermittelst du das automatisch deinen eigenen Kinder weiter. Sie sind seit dreißig Jahren im Filmgeschäft erfolgreich. Welche Faktoren sind sonst noch hilfreich, damit man sein ganzes Potenzial entfalten kann? Du musst dich mit den richtigen Leuten umgeben. Für die Menschen in meinem Umfeld, meine Familie und meine Freunde, bin ich nicht die berühmte Schauspielerin. Da wer­ den die Dinge ehrlich beim ­Namen

Wie wichtig ist es für Sie, dass Sie sich auch in künstlerisch ­anspruchsvollen Rollen, etwa in den Filmen Pedro Almodóvars, verwirklichen? Es geht mir einfach darum, die ver­ schiedensten Arten von Projekten zu drehen – kleine, unabhängige Produktionen ebenso wie große Blockbuster. Und mit Pedro fühle ich mich einfach wohl, weil wir uns schon so lange kennen. Er gehört dem engen Kreis von Menschen an, die für mich wichtig sind. Die Filme Almodóvars bescheren Ihnen freilich auch Preise und Auszeichnungen. Welche Rolle spielen die für Sie? Meine Haltung zu solchen Dingen ist: Erwarte nichts. Wenn du einen Preis gewinnst, ist es aufregend, aber es ist viel gesünder, wenn du dich einfach überraschen lässt. Was wäre eigentlich, wenn man Ihnen die Statussymbole Ihres ­Erfolgs wegnehmen würde? Das würde nicht großartig etwas am Kern meines Lebens ändern. Ob erfolgreich oder nicht, letztendlich musst du dich immer mit dir selbst konfrontieren und versuchen, mit dir klarzukommen. Letztlich möchte ich eben nur die Antwort auf das große Rätsel finden: Warum sind wir hier? Und diese Suche nach Wahrheit kann mir niemand weg­ nehmen. „The 355“ gibt’s demnächst auf DVD/Blu-ray; „Parallele Mütter“ läuft ab 10. März im Kino.

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KENT NISHIMURA/LOS ANGELES TIMES/CONTOUR RA

Penélope Cruz

genannt, da gibt’s keinen Bull­shit. Diese Dosis Realität ist für mich ­extrem wichtig. Und wenn du Kinder hast, fördert das deine Entwicklung natürlich auch. Wenn du deine ganze­ Aufmerksamkeit auf diese kleinen Menschen richtest, kannst du dir keinen Egoismus leisten.


„Ich möchte das große Rätsel lösen: Warum sind wir hier?“ Film-Ikone Penélope Cruz, 47, findet Philosophie wichtiger als Statussymbole.

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Kunst

Fabian „Bane“ Florin

prägt als Graffiti-Künstler Städte auf der ganzen Welt mit seiner Street-Art. Wie er das schaffte? Mit einem Traum, der ihn aus vierzehn Jahren Sucht rettete. Text STEFANIA TELESCA

Foto LUKAS MAEDER

„Das Gefängnis war für mich wie ein Dreisternehotel. Ich hatte etwas zu essen, es war warm, und ich hatte eine Pause von der Straße.“ Fabian Florin, 39, sitzt an einem frühen Samstagmorgen in seinem Atelier in Chur in der Schweiz und erzählt seine Geschichte. Seit der Haft vor mehr als zehn Jahren hat sich sein Leben grundlegend verändert. Seine Erinnerungen hingegen teilt er gern, auch wenn er dabei immer wieder innehalten muss. „Es ist eine Art Präventionsarbeit, die ich mache. Und wenn sie nur hilft, ein einziges Leben zu retten.“ Kurz und schmerzhaft: Mit vier­ zehn rutscht der Schweizer in die Drogensucht ab. Er konsumiert alles, was es auf der Straße gibt. Dann: Beschaffungskriminalität, Dealen, Überleben. „Bane“, wie sich der Künst­ ler heute nennt, schläft r­ egelmäßig in Tiefgaragen. Vierzehn Jahre lang ist die Sucht sein einziger Lebensinhalt. Ungezählte Versuche eines Ent­ zugs scheitern, immer wieder bringt ihn sein „Lifestyle“ hinter Gitter. Mit Ende zwanzig der Tiefpunkt: „Ich hatte wirklich keine Lust mehr auf dieses Leben. Dazu drohte mir eine Haftstrafe von dreieinhalb Jahren.“ Er entscheidet sich für eine Lang­ zeittherapie. Zwei Monate dauert der harte Entzug, zwei Jahre die Therapie. Während dieser Zeit be­ ginnt Fabian zu sprayen.

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Eine kleine Flamme brennt

Die Wende glückt, als er an einem Graffiti-Contest teilnimmt und ihn gewinnt. „Ich erinnere mich gut an diesen Tag. Ich habe einen Fisch gesprayt“, sagt er lächelnd. Er wisse nicht einmal mehr, was der Preis war. „Der eigentliche Gewinn lag ganz woanders. Dieser Contest gab mir einen Lebensinhalt, eine Per­ spektive, ein Ziel.“ Er habe plötzlich daran geglaubt, etwas Großartiges erreichen zu können. Schon als Teenager hatte er in ­einem Hip-Hop-Magazin die Welt der Graffitis entdeckt. „Das war das erste Mal in meinem Leben, dass mich etwas so faszinierte.“ Er sei schon immer ein Träumer gewesen. „Ich träumte davon, außerordent­ liche Sachen zu machen. Irgendwo in mir drin kannte ich schon das ­Leben, das ich heute führe.“ Auch während der Jahre der Sucht habe in ihm ein kleines „Flämm­ chen“ gebrannt, das nie erloschen sei: „Nenn es Hoffnung, nenn es Überlebenswille. Aber dieses Flämmchen hat es in diesem Mo­ ment geschafft, etwas auszulösen.“ Das Wichtigste im Leben sei es, Träume zu haben. „Ich habe einen für morgen, einen für nächste Wo­ che, ich habe viele kleine und große Träume und hole mir auch immer neue.“ Seine Träume ersetzten die Leere, die nach dem Entzug entstand. „Ich fragte mich damals: Wer bin ich überhaupt?“ Die innere Leere zu füllen sei für alle Menschen

wichtig. Gerade wenn man in einer schwierigen Lebenssituation steckt: „Wichtig ist, dass man Neues aus­ probiert.“ Dafür müsse man zwin­ gend raus aus der Komfortzone. Bane hat vor drei Jahren das Street Art Festival Chur ins Leben gerufen und auch einen Verein für Analogfotografie gegründet. Inzwischen gehört er zu den er­ folgreichsten Street-Art-Künstlern der Schweiz. Seit elf Jahren ist er selbständig und sprayt auf der gan­ zen Welt. U ­ msetzen kann er etwa zwanzig Prozent der Anfragen, die ihn er­reichen. Bekommt er einen großen Auftrag, arbeitet er gerne mit anderen Künstlern zusammen: „Wir teilen uns die Gage und sind füreinander da.“

Bane verändert eine Stadt

Und was bedeutet der Künstler­ name „Bane“? Das, sagt Fabian, heißt „Fluch“. Er will niemals zu seinem früheren Leben zurück, aber auch niemals vergessen, woher er gekommen ist. Regelmäßig besucht er Schulen und erzählt von seinem Weg. Für die Drogenprävention – aber auch, um den Jungen zu zeigen, dass sie alles erreichen können. Als wir mit Bane durch Chur ­spazieren, um seine Kunstwerke an­ zuschauen, wird er von allen Seiten angesprochen und angelächelt. Manche sagen Danke. Dafür, dass er der Stadt Chur Farbe gibt. Ver­ mutlich aber auch, weil er mit seiner ­Geschichte viele berührt. „Damit habe ich nicht gerechnet. Ich wollte doch nur große Wände anmalen.“ Fabian „Bane“ Florins Murals zieren Wände in Europa, Asien und Nordafrika. Instagram: @fabian_bane_florin Weitere Infos unter: fabianflorin.ch

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„Ich sprayte einen Fisch. Und mein Leben bekam wieder Sinn.“ Künstler Fabian „Bane“ Florin, 39, hier vor einem seiner Werke in Chur, über den Gra∞ti-Contest, der sein Leben veränderte.

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Radfahren

Louise Vardeman hat gemeinsam mit anderen Frauen den Radsport ver­ ändert. Eine Aktion der Britin hat dazu geführt, dass die Tour de France jetzt nicht mehr nur Männersache ist. Interview JESS HOLLAND

Foto JOSEPH O’CONNELL-DANES

Als Louise Vardeman vor sechs ­Jahren mit dem Radsport begann, war ihr Leben auf einem Tiefpunkt angelangt: Ihre Ehe war am Ende, sie hatte zwei Kinder, eine Depres­ sion, und sie musste ihre Leiden­ schaft, den Langstreckenlauf, in­ folge einer Verletzung aufgeben. Die heute 44-jährige Britin rea­gierte ihren Schmerz auf dem Fahrrad ab. Zwei Jahre später vertrat sie Groß­ britannien bei einem Radmarathon für Hobbyradsportlerinnen. Zur gleichen Zeit stieß Vardeman auf eine Gruppe von Französinnen, die bereits seit vier Jahren die Route der Tour de France fuhren – immer einen Tag vor dem männlichen Teil­ nehmer­feld. Ihr Ziel: Bewusstsein dafür zu schaffen, dass die Tour de France nicht ausschließlich Männer­ sache sein dürfe. Für Frauen war im Rahmen des berühmtesten Rad­ rennens der Welt nämlich gerade einmal ein eintägiger Wettbewerb vorgesehen, das Preisgeld betrug ein Hundertstel des „richtigen“ Rennens. Vardeman nahm Kontakt mit der Gruppe auf und hob sie unter dem Namen „The InternationElles“ kom­ munikativ auf eine globale Ebene. 2019 trafen sie sich erstmals in Brüs­ sel, dem damaligen Startpunkt der Tour de France, und radelten los.

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Die 3500 Kilometer lange Reise war strapaziös, aber die Frauen hiel­ ten durch und erregten die Aufmerk­ samkeit einer breiten Öffentlichkeit in der ganzen Welt. Zwar hinderte die Pandemie die InternationElles daran, ihre Aktion 2020 zu wiederholen. Trotzdem war der Erfolg nachhaltig: Die Veranstal­ ter der Tour de France kündigten an, dass es im Juli 2022 eine offizielle, achttägige Tour de France für Frauen geben werde. Als Amateursportlerin mit einem Job im Eventmanagement geht Vardeman nicht davon aus, dass sie selbst mitfahren wird. Die Tour-de-France-Kampagne sei aber ohnehin nie zu ihrem eigenen Nutzen gedacht gewesen, sagt sie. Es sei immer nur darum gegangen, nachfolgende Generationen von Rad­ sportlerinnen zu inspirieren: „Es ­widerstrebt mir, wenn junge Frauen denken: ‚Ich bin ein Mädchen, also kann ich das nicht.‘“ the red bulletin: Sind Sie ­während der Tour de France ein­ mal an Ihre Grenzen gestoßen? louise vardeman: Nach knapp drei Wochen haben mich starke Zweifel befallen. Ich hatte schlecht geschlafen und brach am Ende einer Bergstrecke in Tränen aus. Um die Stimmen in meinem Kopf zu über­ tönen, die mir ständig zuflüsterten, ich solle einfach aufgeben und nach Hause fahren, musste ich laut Musik aufdrehen. Kurz vor dem Aufstieg zum Galibier war ich komplett über­

fordert: Ich musste aufs Klo, mir war viel zu heiß, aber ich bin weiter in die Pedale getreten, bis ich buch­ stäblich einfach zur Seite auf den Boden gefallen bin. Ich habe gedacht: „Das war’s jetzt!“ Aber mir wurde zugleich klar, dass ich es mir nie ver­ zeihen würde können, wenn ich auf der 18. Etappe von insgesamt 21 auf­ gäbe. Als wir am Fuße des Galibier an­kamen, spürte ich mit einem Mal Rückenwind. Ich fühlte mich stark und fuhr ohne Probleme hinauf. Oben sind wir auf das Schild auf der Passhöhe geklettert und haben Fotos gemacht. Es war unglaublich: Ich hatte diesen Berg bezwungen. Zeigen Sie die gleiche Entschlos­ senheit, wenn es darum geht, die mangelnde Gleichstellung im ­Radsport zu bekämpfen? Ja. Der Radsport ist wahnsinnig ­traditionsbewusst. Er ist weiß und männlich dominiert. Da ist es natür­ lich nicht hilfreich, dass die Räder mittlerweile so teuer und die Clubs nicht gerade inklusiv sind. Es gibt so viele Hürden. Das spornt mich an. Stärken die Erfahrungen mit dem Rad auch in anderen Lebens­ bereichen Ihr Selbstvertrauen? Schön wär’s. Mir fehlt in allem das Selbstvertrauen. Wettkämpfe fallen mir verdammt schwer, aber das Durchhalten lohnt sich total. Was raten Sie anderen, die etwas verändern möchten? Man kann natürlich darüber nach­ denken, gleich die ganze Welt auf den Kopf zu stellen, aber auch viele kleine Veränderungen können etwas auslösen. Man glaubt gar nicht, wie viel man allmählich bewirken kann. Selbst wenn man nur das Leben einer einzigen Person ein bisschen ver­ ändert, ist das von großer Bedeutung. loukew.co.uk

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„Es widerstrebt mir, wenn junge Frauen denken: Ich bin ein Mädchen, also kann ich das nicht.“ Louise Vardeman, 44, über Frauen im Radsport

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Formel 1

33 FRAGEN AN DIE NEUE NUMMER EINS

Formel-1-Weltmeister Max Verstappen über Helden, Bargeld, Handy-Apps und Hollywood.

Text GERALD ENZINGER Illustrationen DAN LEYDON 38


JETZT SCHON LEGENDÄR: DAS WELTMEISTERLICHE ÜBERHOLMANÖVER In der letzten Runde im letzten Rennen der Saison 2021 sicherte sich Verstappen (re.) gegen Lewis Hamilton in Abu Dhabi seinen ersten WM-Titel.

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U MAX VERSTAPPEN, DER TITELVERTEIDIGER

Ein selbstbewusster Rennfahrer, 24 Jahre jung, viersprachig und ­tiefenentspannt. Er sagt: „Nach den meisten Rennen schlafe ich gut.“ THE RED BULLETIN

m einen fliegenden Holländer zu treffen, ist der Flugplatz Zell am See kein schlechter Ort. Diese Gegend ist seit jeher Startrampe so mancher VollgasKarriere: Der Innsbrucker Otto Mathé hat hier beim Eisrennen in den Vierziger- und Fünfzigerjahren mit einem selbst gebauten Porsche Geschichte geschrieben. Harald Ertl, einer von Niki Laudas Lebensrettern bei dessen Feuerunfall 1976 am Nürburgring, wurde in Zell geboren. Und Nico Rosberg ist ums Eck in den Kindergarten gegangen – also jener Rennfahrer, der es 2016 geschafft hatte, Lewis Hamilton in einem Formel-1-WM-Finale zu besiegen. Als Letzter bis zu dem denkwürdigen Sonntag im Dezember 2021, als es Max Verstappen in der aller­letzten Runde des letzten Rennens einer 6409 Kilometer langen

Saison gelang, mit dem letzten Überholmanöver gegen Hamilton diesen als Weltmeister zu entthronen. Und genau hier in Zell treffen wir Max, die neue Nummer 1 der Formel 1, nun zu seinem ersten Interview im Jahr 2022. In 33 Fragen versuchen wir, den puren Max aus dem maximal begnadeten Rennfahrer zu destillieren. Wir treffen auf einen in sich ruhenden Wirbelwind, der die kalte Jahreszeit nach e­ iner überhitzten Saison dazu genutzt hat, neue Energie zu laden. Das aber, typisch für ihn, mit einem klaren Blick nach vorne. Der verschmierte Rückspiegel der Sentimentalität ist seine Sache nicht. Denn er ist erst 24 Jahre alt und somit um fast 13 Jahre jünger als Hamilton, der ihm – wie Michael Schumacher – noch sechs WM-Titel voraushat. Es gibt niemanden im Fahrer­ lager, der es Verstappen nicht zutraut, der erfolgreichste Rennfahrer in der Geschichte der Formel 1 zu werden.

1 Wie oft bist du diese berühmte letzte Runde in Abu Dhabi im Kopf noch einmal gefahren? Gar nicht so oft. Ich habe mir natürlich die Bilder an­ geschaut, aber dann hatte ich Ferien – und da habe ich nicht so viel über die Formel 1 geredet. Am Ende dieser langen Saison war ich einfach nur eines: müde.

2 Deine letzte Runde aus deiner Perspektive? Ich hatte plötzlich Krämpfe im Gasfuß (in der rechten Wade; Anm). Aber in so einem Moment vergisst du alles. Es war der Moment, auf den ich mein ganzes Leben hingearbeitet hatte. Mein Vater und ich haben immer davon geträumt. Aber ich hoffe, das war erst der Anfang.

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Formel 1

6 3 Rallye-Star Sébastien Ogier hat am Anfang seiner Karriere gesagt: „ Lieber werde ich einmal gegen Sébastien Loeb Weltmeister als drei­ mal ohne ihn.“ Ist es für dich ähnlich wichtig, Lewis Hamilton in einem direkten Duell der Giganten noch am Höhepunkt seines Schaffens besiegt zu haben? Nein, dieser Umstand allein ist es nicht für mich. Das Ziel ist immer: die Weltmeister­ schaft zu gewinnen! Dafür muss man so viele gute Fahrer­ besiegen, jeden für sich. Da geht es nicht nur darum, ­Lewis zu schlagen.

Wer ist für dich der größte Sportler aller Zeiten? „ONKEL“ MICHAEL

Mit Formel-1-Legende Michael Schumacher (hier 1996 mit Ehefrau Corinna) fuhr Max als Kind in die Ferien.

5 Michael Schumacher, ein ­e nger Freund deines ­Vaters, war für dich als Kind so etwas wie ein Onkel. Wie fühlte sich das an?

Da sind schon viele schöne Erinnerungen. Wir waren gemeinsam in den Ferien, im Sommer in Frankreich, aber auch im Winter. Im Nachhinein ist das etwas sehr Schönes und ganz Besonderes, obwohl mir damals natür­ lich nicht so bewusst war, mit wem ich da spiele.

4 Dein Verhältnis zu Lewis Hamilton? Wir hatten unsere Kämpfe, aber da ist auch ganz viel Respekt. Er ist einer der größten Rennfahrer, die es je gab. 40

Ich finde es immer schwierig, so etwas zu sagen, es hat in der Formel 1 so viele große Rennfahrer gegeben. Und was Sportler insgesamt betrifft, gilt für mich erst recht:

keine Ahnung.

7+8 Wie erklärst du einem plötzlich auftauchenden Marsmenschen die Formel 1? Als Erstes hoffe ich, dass wir dieselbe Sprache haben, das ist das Wichtigste, sonst geht gar nichts (lacht). Aber wie würdest du dem Außer­ irdischen ­deinen Sport erklären? Die coolsten Momente in der Formel 1 würde ich jedenfalls so erklären: schnell auf der Geraden, gut auf der Bremse zu sein – und natürlich auch die Fliehkräfte zu spüren, die in der Kurve wirken.

SCHULTERSCHLUSS – TROTZ HEFTIGER ZWEIKÄMPFE:

Lewis Hamilton und Max nach dem WM-Finale 2021 THE RED BULLETIN


9 Deine klare Entscheidung war, als Weltmeister künftig mit der Nummer 1 zu fahren – von diesem Vorrecht hat Lewis Hamilton nie Gebrauch gemacht: Warum wechselst du die Startnummer? Das ist ganz einfach. Die Eins ist die schönste Nummer in der Formel 1, und die Chance, sie zu wählen, hast du in nicht so vielen Saisonen. Daher ist es für mich selbstverständlich, dass ich sie nehme. Meine bisherige Nummer 33 war ur­ sprünglich auch nicht meine Lieblingsnummer, das wäre die Drei gewesen. Die hatte aber schon Daniel Ricciardo, als ich in die Formel 1 kam. Zeit, um den Sportler Max Verstappen langsam hinter sich zu lassen – und sich dem Menschen anzu­ nähern. Vielleicht, indem man über sein liebstes Werk­ zeug redet: Autos.

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10 Du bist der erste Formel-1-­ Weltmeister, der seine Kindheit im neuen Jahrtausend erlebt hat. Welches Auto war das erste, das dich ­g eprägt hat? Das erste, an das ich mich erinnern kann, ist der Arrows­ (oben rechts; Anm.), mit dem Vater in der Formel 1 gefahren ist, Anfang der Nullerjahre. Das war ein oranger Renn­ wagen – ein schönes Auto!

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PFEILSCHNELL: DAS ERSTE AUTO, DAS MAX GEPRÄGT HAT

Der orangefarbene Arrows, mit dem sein Vater Jos in der Formel 1 gefahren ist (hier bei einem Rennen im kanadischen Montréal im Juni 2000)

11 Wie viele Autos stehen in deiner Garage? Genug. Max ist kein Protz, er definiert sich nicht über seinen Besitz, würde nie damit angeben. Man weiß aber, dass er einen Porsche GT3 RS sehr schätzt, den er jüngst auch auf einer Rennstrecke in Portugal für eine schnelle Spritzfahrt verwendet hat. Auch mit Sportwagen der Marken Aston Martin (DB 11), Ferrari (488 Pista) und Honda (NSX) wurde er schon gesichtet.

12 Du bist der erste Mensch, der einen Vertrag als Formel-1-Pilot unterschrieben hat (mit sechzehn in Graz; Anm.) – und der erst danach den Führerschein gemacht hat. Wie hat sich das denn angefühlt?

Ich war natürlich nervös bei der Prüfung, denn ich hatte nur eine Chance. Da­ nach wäre ich nämlich zwei Monate nicht zu Hause ge­ wesen, und da wollte ich un­ bedingt davor noch meinen Führerschein bekommen. Da war ordentlich Druck drauf. Der Fahrlehrer war streng und hat mich natürlich so behandelt wie alle anderen auch. Aber es hat geklappt.

13 Welche Verkehrsregel würdest du abschaffen? Keine. Ich denke, das passt schon. Ich fahre sowieso nicht allzu viel, und ich verstehe natürlich auch, dass du ein Limit hast auf normalen Straßen. Für mich passt alles. Es ist okay, so wie es ist. 41


Formel 1

So manch Vierundzwanzigjähriger hat schon (zu) viel Geld in Autos investiert, Max dagegen verdient mit Autos Millionen. Reden wir also mal kurz übers Business.

14 Wie viel Bargeld hast du bei dir? Nicht viel. Manchmal habe ich auch kein Bargeld mit, keinen Cent. Nur die Kreditkarte ist immer dabei. Kein Bargeld mitzuhaben hat in Formel-1-Fahrerkreisen Tradition. Berühmt ist die Geschichte, die Niki Laudas einstige PR-Chefin Agnes Carlier erzählt. Sie war nach dem WM-Finale 1984 mehrere Wochen mit Lauda und seinem Teamkollegen Alain Prost auf Promo-Tour für Marlboro. Sparfuchs Lauda wettete am Anfang der Reise mit Prost, dass er keinen einzigen Dollar ausgeben würde. Er gewann und bekam von Prost noch den Wetteinsatz, 100 Dollar oder so.

15 Investierst du eher in Aktien oder in Krypto­ währungen? Keine Krypto bis jetzt! 42

MAX, GANZ OBEN

Mit dem Pokal in der rechten Hand jubelt der Niederländer nach seinem Titelgewinn in Abu Dhabi.

16 Was war deine erste Siegesprämie? Das war ganz früh, vielleicht 100 Euro. Oder 200? Es könnte aber auch so etwas wie ein Satz Reifen gewesen sein.

17 Wie hast du dich für den Titel belohnt? Etwa mit einem Luxusgeschenk? Eigentlich gar nicht. Erst war ich ein paar Wochen nicht daheim, und dann bin ich wieder auf den Simulator gegangen, wie ich das immer mache. Ich habe trainiert, mir aber nichts gekauft. THE RED BULLETIN


22+23 Sein Teamchef Christian Horner erzählt, dass Max allein beim USA-Grand-Prix 2021 rund 14 Stunden lang „FIFA“ spielte. Es ist seine Art, sich von der knallharten Formel‑1-­ Realität zu lösen. Und das macht der Ehrgeizling wieder mit dem, was er braucht und liebt: dem Wettkampf.

IN DEN ARMEN VON KELLY PIQUET, 33,

der Tochter des dreifachen Formel-1-Weltmeisters Nelson Piquet (BRA). Max und Kelly sind seit Oktober 2020 ein Paar.

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Ein aufwendiger Lebensstil liegt Max nicht besonders. Er lebt zwar in Monaco, dies aber recht zurückgezogen und vor allem aus logistischen Gründen. Man kann dort gut trainieren. Das Jet-Set-Leben seines Rivalen Lewis Hamilton ist Max’ Sache nicht. Seine Freundin Kelly Piquet, die Tochter des dreifachen Formel‑1-Weltmeisters Nelson Piquet, und die Familie – Vater Jos fuhr 107 Grands Prix, Mutter Sophie Kumpen war eine der schnellsten Kart-Fahrerinnen der Welt, sie besiegte sogar Jenson Button in einigen Rennen, und Schwester Victoria, die eben ihr zweites Baby bekommen hat – haben bei ihm Vorrang gegenüber Partys.

18 Wie schläfst du nach einem Rennen? Manchmal gut, manchmal schlecht. Das hängt natürlich auch vom Resultat ab. Aber meistens gut.

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Im Internet erzählt man sich, dass du auch im Computerspiel „ FIFA“ Welt­ klasse seist – Nummer 21 des weltweiten Rankings des Spielmodus „ FIFA Ultimate Team“ im Januar 2019. Kannst du das bestätigen? Auf „FIFA“ geht es schon ganz gut. Ich bin kein Pro, aber es macht Spaß.

Wie würdest du dich selbst bewerten? Gut. Nicht schlecht. Nein, doch: gut!

Kochst du manchmal selbst? Nein.

20 Wie kommst du wieder in deine Mitte, wenn du mal nicht gut drauf bist? Dann mache ich etwas ganz anderes. Zum Beispiel fahre ich dann mit dem Simulator. Oder ich rede mit meinen Freunden oder der Familie.

21 Hast du eine Lieblingsserie im Fernsehen? Aktuell gar keine, als Kind jedes Jahr eine andere.

FREIZEITVERGNÜGEN UND TOP FÜR DEN JOB Max beim konzentrierten Fahrtraining am Simulator

24 Wenn man von Beruf Renn­ fahrer ist, kann man sich ja kaum eine Freizeitbeschäf­ tigung vorstellen, die einen ähnlichen Adrenalinkick bringt als der eigene Job. Was machst du denn in der Freizeit am liebsten?

Mein liebstes Hobby ist eigentlich Simulator­ fahren.

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Formel 1

25 Wir gehen davon aus, dass dein Leben eines Tages verfilmt wird – und auch dein episches Duell gegen Lewis Hamilton 2021. Wer soll dich spielen? Ich hoffe erst mal, dass das nie passiert. Das brauche ich nicht! Aber wenn doch und jetzt, dann könnte mich Leonardo DiCaprio spielen. Das wäre schön. Für Max gilt die alte Weisheit: „Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir.“ Wie sonst wäre er technisch so kom­ petent und so sprachgewandt. Er spricht Limburgisch (seine Muttersprache, verbreitet im deutsch-holländisch-belgischen Grenzgebiet), Niederländisch, Deutsch und Englisch fließend, auch Italienisch, Französisch und Portugiesisch beherrscht er in gewissem Umfang.

26 Schule war nie so dein Ding? Die mochte ich überhaupt nicht, gar kein Fach. Am ehesten noch Geschichte.

27 Welche Sprache würdest du noch gerne lernen? Chinesisch. 44

HOLLYWOODSTAR LEONARDO DiCAPRIO

Sollte sein Leben je verfilmt werden, wünscht sich Max, dass der 47-jährige Oscar-Preisträger den Titelhelden darstellt.

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Deine liebste App? WhatsApp.

Noch Fragen, die der Reporter Verstappen dem Weltmeister Verstappen stellen würde? Nein, ich denke, es passt und es ist genug gesagt.

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MAX VERSTAPPEN MIT ZWEI SEINER WICHTIGSTEN LEBENSBEGLEITER

Red Bull Racing-Motorsportchef Dr. Helmut Marko …

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GETTY IMAGES, RED BULL CONTENT POOL

Okay, dann aber noch je eine Frage, zwei deiner wichtigsten Mentoren betreffend – die Österreicher Helmut Marko und Franz Tost. Was fällt dir zu ihnen ein? Das Jahr mit Franz als Team­ chef bei Toro Rosso war ein super Jahr. Franz hat sehr viel Erfahrung in der Formel 1, wir haben bei jedem Rennen viel geredet – und tun das ­immer noch, auch wenn ich jetzt in einem anderen Team bin, haben wir Kontakt.

31 Und Helmut Marko? Und mit Helmut Marko, der mir meinen ersten Vertrag in der Formel 1 gegeben hat, habe ich sehr viele coole Sachen erlebt – und mein Wunsch ist es, dass das noch viele Jahre so bleibt.

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Zeit für eine kleine Zwischenfrage, die wir von Max an seinen Mentor weiterreichen.

32 Herr Dr. Marko, wie hat sich Max in diesen bislang sieben gemeinsamen Jahren verändert? Er ist erst 24, hat einen statt­ lichen Reifeprozess hinter sich. Das ist von außen gar nicht so sichtbar. Früher ist er immer explodiert, wenn wir im Training technische Pro­ bleme hatten. Heute bleibt er ruhig. Und er ist auch in den Jahren zum Team gestanden, als klar war, dass wir keine Chance auf den Weltmeister­ titel haben. Was ihn aber, wie andere Champions auch, aus­ zeichnet, das ist diese totale Fokussierung, man kann es auch Rücksichtslosigkeit nennen. Es gibt für ihn nichts anders als: „Ich will gewinnen und mache alles dafür!“

… und Franz Tost, Teamchef der Scuderia AlphaTauri, mit dem Max nach wie vor in engem Kontakt steht.

33 Max, deine Lehren aus der bereits legendären Saison 2021 fürs echte Leben? Dass man dranbleiben und bis zur letzten Runde an seine Chance glauben muss.

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Rebecca Lucy Taylor alias Self Esteem beim Fotoshooting für The Red Bulletin in England. Hier persifliert sie einen Fotobrauch aus Hollywood: Jeder junge, heiße männliche Star muss sich einmal im Anzug in den Pool schmeißen.


Musik

SELF ESTEEM

EIN POPSTAR SCHWIMMT SICH FREI Text LOU BOYD Fotos PHILIPP MUELLER

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In so einem Korbsessel haben schon Legionen von Stars Platz genommen, um sich würdig zu inszenieren. Jetzt ist auch Self Esteem dran: „Sieht aus, als wäre ich eine große Nummer.“

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THE RED BULLETIN


Musik

Die britische Sängerin Rebecca Lucy Taylor, 35, kennt das Musikgeschäft, seit sie 17 ist. Doch erst seit sie sich als SELF ESTEEM neu erfand, fühlt sie sich wirklich wohl in ihrer Haut. Und ist jetzt die stärkste Stimme einer neuen, streitbaren Weiblichkeit.

G

egen Ende des Songs „I’m Fine“, der ersten Nummer auf Rebecca Lucy Taylors aktuellem Album „Prioritise Pleasure“, hört man Gesprächsfetzen ­einer Gruppe von Frauen, die über ­Sicherheit an öffentlichen Plätzen reden. „Ich gehe immer mit den Schlüsseln in der Hand nach Hause“, sagt die eine über die Geheimwaffe in ihrer Faust. „Es hört sich dumm an“, erwidert eine andere, „aber meine Freundinnen und ich beginnen wie Hunde zu bellen, sobald eine Gruppe von Männern auf uns zukommt. Nichts jagt Männern mehr Angst ein als eine offenbar geistesgestörte Frau.“ Die Musik schwillt an, und wir hören eine weibliche Stimme wie einen Hund bellen und wie einen Wolf heulen; kein Zweifel, im Schrank dieser Frau fehlen ein paar Tassen. Dann setzt ein ohrwurm­verdächtiger Beat ein, das Album erwacht explosiv zum Leben. Willkommen in der Welt von Self Esteem (zu Deutsch: Selbstwertgefühl), einem kampflustigen Pop-Projekt, hinter dem die 35-jährige Künstlerin Rebecca Lucy Taylor steckt. Mit ihren zu einem Künstlernamen kondensierten Ängsten schreibt sie Lieder, die das patriarchalische Narrativ zerfetzen und von allen Aspekten weiblicher Erfahrungen erzählen – von der nächtlichen Angst auf dem Heimweg über die Scham, wenn die Rede aufs Kinderkriegen kommt, bis hin zur Präsenz im eigenen Körper. Alles von einem sexy griffigen Pop in Szene gesetzt, der dir Tanzbeine macht.

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Ihr aktuelles Album löste im Netz geradezu überschäumende Zustimmung aus. Sinngemäß zusammengefasst: endlich eine Künstlerin, die sich ohne Umschweife mit sexueller Identität und männlicher Gewalt befasst. „Das ist der Popstar, auf den ich mein ganzes Leben lang gewartet habe“, postete ­Autorin Bryony Gordon, 41. „Mit Self Esteem im Ohr hab ich das Gefühl, dass ich durch Mauern rennen kann“, ergänzte ein weiblicher Fan auf Twitter. Auf das „Daumen hoch“ der Fans folgte die Be­ stätigung der Kritiker: Vom „Rolling Stone“ bis hin zur „New York Times“ setzte es Lobeshymnen für das A ­ lbum, das auch in den einschlägigen Musikcharts konstant nach oben kroch. „BBC Introducing“ kürte Taylor zum „Artist of the Year 2021“; anlässlich der Attitude Awards holte sie sich den „Best New Artist 2021“ ab. Weitere Trophäen: „Album of The Year 2021“ („The Sunday Times“), „Song of The Year 2021“ („The Guardian“), und unlängst kam die ­prestigeträchtige Brit-Award-Nominierung für die Wahl zum „Best New Artist 2022“ dazu. „Sieht so aus, als wäre ich jetzt eine große Nummer“, sagt T ­ aylor im Gespräch mit The Red Bulletin und lacht. „Ich meine, ich hab ja immer gewusst, dass ich super bin, aber es ist nett, dass es jetzt auch andere Leute sagen.“ Wir haben uns anlässlich ihrer UK-Tour getroffen, ein Kalender voller Termine wartet auf sie. „Wegen der Pandemie hieß es i­ mmer: Werden wir jemals wieder auftreten? Also kann ich jetzt nicht darüber jammern; aber es sind verdammt

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Musik

„Ich liebe schwere Beats, großes Kino und weitflächige Sounds.“ viele Gigs.“ Die Tickets zu ihren Shows gehen weg wie warme Semmeln, im Netz ­raufen sich Fans ge­ radezu darum. Manche flehen Taylor sogar per Private Message um Hilfe an. „Ich kenne in dieser Beziehung tat­ sächlich keine Grenzen. Als altru­istische Waage ist meine erste Reaktion immer: O Gott, kann ich ­irgendwie helfen?“, sagt sie lachend. „Wenn Leute mir eine Nachricht schicken und es traurig genug ­rüberkommt, antworte ich letztlich mit so was wie: Ich setz dich auf die Gästeliste. Jetzt ist meine ­Gästeliste randvoll mit Leuten, die ich noch nie ­gesehen habe!“

Von erlebter Gewalt zum explosiven Album

Als Taylor vor fünf Jahren ihre Solokarriere begann, hatte sie keine soziale Agenda, sie wollte einfach nur sexy Popmusik machen. Ihr erstes Album, „Com­ pliments Please“, machte aber schnell klar, dass hier keine Schaumschlägerin am Werk war. Schon die erste Single, „Your Wife“, zeigte ihre beeindrucken­ den Qualitäten als Texterin, mit dem zweiten Hit, „Girl Crush“, schaffte sie es als eine wichtige Stimme der queeren Community (sie outete sich 2013 als ­bi­sexuell) in den Mainstream. „Ich war ein totaler Fan des ­Albums ‚Anti‘ von Rihanna, also dachte ich: Hey, das stehle ich ganz einfach“, scherzt sie. „Doch dann kam der Punkt, als mir klar wurde, wozu ich selbst fähig bin, und meine Musik wuchs wie von selbst in eine andere Richtung.“ Der herausragende Song des neuen Albums – „I Do This All the Time“ – ist eine Mischung aus ­gesprochenen Versen, unterbrochen von Chören, die eine eingängige Melodie intonieren. „Es ist die mutigste Nummer, die ich je gemacht habe, und ein echter Gamechanger für mich“, sagt Taylor. „Ich wollte nie Hintergrundmusik für Dinnerpartys machen. Das interessiert mich einfach nicht. Hinzu kommt, dass ich schwere Beats liebe und fetten Bass, ich liebe großes Kino, weitflächige Sounds. Wirf das alles in einen Topf, und du kriegst letzt­ lich …“, sie kichert, „… dieses Chaos.“ Energie und Intensität werden das ganze Album hindurch im Überfluss gereicht. Schon mit dem Ein­ stiegslied „I’m Fine“, das sich mit erlebter sexueller Gewalt befasst, ist die Absicht klar. „Verstehst du 50

Rebecca Lucy Taylor erhebt in ihren Songs Einspruch – gegen Stereotype, Gewalt und Bodyshaming.



In der Tat scheint es eine ganze Menge Girls zu geben, die bereit sind, Rebecca Lucy Taylor zuzu­ hören. „Es ist so nett, wenn sich jemand die Zeit für eine Nachricht nimmt und mir mitteilt, dass meine Musik geholfen hat“, erzählt sie. „Neulich habe ich mit einem Mann geplaudert, der Teenie-Töchter und welche in den Zwanzigern hat. Er war super emotio­ nal drauf und sagte, wie froh er sei, dass ich mache, was ich tue, und dass ich etwas für seine Töchter ge­ schaffen habe.“ Einen Augenblick wird Taylor ernst. „Es ist eine Art Macht – ich darf gar nicht zu lange darüber nachdenken, das bringt mich nur durch­ einander.“ Aber dann kichert sie wieder und gesteht: „Ich liebe es, wenn alte Männer weinen.“

Differenzen beenden ihre Lebenslüge

Rebecca Lucy Taylors Karriere spiegelt ihre Wandlung wider – vom sexy Bandmädchen zu einer wortgewaltigen Kämpferin mit sozialer Agenda.

„Ich weiß jetzt, dass du verrückt wirst, wenn du eine Lüge lebst.“ den Schmerz, den du verursachst, wenn ein Körper für dich nur Sport ist?“, singt sie. Herausragend auch das augenzwinkernde „Moody“ („launisch“, Anm.), ein Einspruch gegen die stereotype Beschrei­ bung weiblicher Charakterzüge. Die Songs riefen im Publikum ein Echo hervor, das Taylor nicht vorhergesehen hatte. „Es ist inter­ essant, wie viele Menschen damit etwas an­fangen konnten“, sagt sie. „Für mich – als Teenager und in meinen Zwanzigern – war das alles so verdammt hart. Ich konnte nicht verstehen, was mit mir nicht stimmte. Wenn ich es jetzt schaffe, all das in halb­ wegs eloquenter Weise zu verknüpfen, damit ein ­anderes Girl wie ich, das sein Leben hasst, zu den­ ken beginnt: Moment mal, vielleicht bin ich okay, vielleicht sollte ich versuchen, zu mir selbst zu ­stehen … das ist mir wirklich wichtig.“ 52

Self Esteem ist keineswegs Taylors erstes Projekt in der Musikindustrie. Die Indie-Szene kennt ihr Gesicht seit über einem Jahrzehnt. Sie war eine Hälfte des Soul-Rock-Duos Slow Club, das sie zusammen mit dem Gitarristen Charles Watson 2006 in Sheffield ­gegründet hatte. Die Band war recht erfolgreich, während ihrer elfjährigen Existenz spielten sie fünf hoch gelobte Alben ein, das brachte eine solide Fan­ gemeinde (u. a. Harry-Potter-Darsteller Daniel Rad­ cliffe). Hinter den Kulissen jedoch funk­tionierte die Partnerschaft nicht so gut, 2017 hatte Taylor von der Gruppe genug. „Ich war schon mit siebzehn in der Band, und im Lauf der Jahre wurde klar, dass ich mich veränderte, eine Art Monster des Selbst­ vertrauens wurde“, sagt sie. „Ich hatte das Gefühl, dass ich den Räumen, die ich betrat, die Luft nahm, dass ich für meine Umgebung zur Bürde wurde.“ Sie hatte zunehmend Probleme, die Rolle des „bescheidenen, hübschen Mädchens in der Band“ zu spielen, um die Wünsche einer männlich dominierten Industrie zu erfüllen. „Es ist nichts Schreckliches passiert“, sagt sie, „es gab keinen Bösewicht, es pas­ sierte allmählich. Ich hatte ständig das Gefühl, dass irgendwas nicht stimmt. Ich war nicht glücklich.“ Ihre Erfahrungen mit der Band inspirierten zum Teil ihre erste Single „I Do This All the Time“ – die Texte sind voll mit Sachen, die der Tourmanager von Slow Club gesagt hatte. „Zieh dieses kurze Kleid an, D ­ arling, das ist alles, was du tun musst“, heißt es emotionslos im Lied, und „wenn du das nicht machst, landest du bei McDonald’s“. Und auch: „Du bist ein gutes Mädchen, ein gutes dralles Mädchen.“ Dazu kam, dass „ich ständig das Gefühl hatte, Ehrgeiz und Erfolg seien etwas Schlechtes“, erklärt sie. „Im Zuge unseres dritten Albums kamen wir ins Fernsehen, dort blühte ich so richtig auf, aber der Rest der Band hasste das.“ Kunstpause. Rebecca Lucy Taylor überlegt sich den nächsten Satz genau. „Es war, als ob die Dinge, die ich wollte, irgendwie widerlich waren; das machte mich fertig. Wir k ­ amen ins Fernsehen, und ich genoss das so richtig, es war genau meine Kragenweite, aber für die Band war es THE RED BULLETIN


Musik

schlecht.“ Sie macht wieder eine kleine Pause. „Das hört sich jetzt so lächerlich an! Kein Wunder, dass ich so eine verdammt miese Laune hatte. Aber ich dachte wirklich, hm, vielleicht bin ich ein Arschloch, vielleicht bin ich keine echte Musikerin, weil ich das so sehr mag.“ Als Self Esteem kann Taylor ihren Pop-Ambi­tio­ nen freien Lauf lassen. Ihre neue Musik ist das Gegenteil des sanften Liedermachens Marke Indie, nämlich großer, dramatischer, donnernder Pop, der voll ins Ohr geht. „Ich weiß jetzt, dass du verrückt wirst, wenn du eine Lüge lebst. Und ich lebte eine Lüge“, erinnert sie sich mit Schrecken an ihre Zeit mit Slow Club. „Wenn ich heute vor der Kamera stehe, wünsche ich mir manchmal, dass ich das schon vor zehn Jahren gemacht hätte. Ich glaube, ich hätte mich wohler in meiner Haut gefühlt! Aber ich muss mich daran erinnern, dass so was nichts für Menschen unter 25 Jahren ist. Die Reise ist es, die dich zu dir bringt.“ Jetzt ist sie ironischerweise mit Mitte dreißig eine der ältesten Künstlerinnen, die für die „Best New Artist“-Kategorie der Brit Awards nominiert wurden. „Was immer auch passiert, als 35-jährige Frau für die Brit Awards nominiert zu werden macht mich stolz“, twitterte Taylor nach ihrer Nominierung. „In einer Industrie, die von jungen Frauen besessen ist, gibt mir das Berge.“

Eine Drag-Queen-Show als Wendepunkt

Den ersten Schritt der Reise in Richtung ihrer Verwandlung machte Rebecca Lucy Taylor bereits vor zehn Jahren, damals überschlugen sich die Ereignisse: das Ende einer Beziehung, ein Nervenzusammenbruch, und im Fernsehen lief die amerikanische ­Reality-Show „RuPaul’s Drag Race“, ein Wettkampf der Drag Queens. „2012 hatte ich einen wirklich schrecklichen, klassisch missbräuchlichen Boyfriend und verbrachte praktisch das ganze folgende Jahr damit, Diäten zu machen und ‚Drag Race‘ zu schauen“, sagt sie und lacht bitter. In diesem Jahr lebte sie bei ihren Eltern im eng­ lischen Norden. „Es war eine bizarre Zeit in meinem Leben, in der ich offenbar meinen Verstand verloren hatte und nicht mehr wusste, wer ich war“, sagt sie. „Dann begann ich ‚Drag Race‘ zu schauen, eine Show, wo du gewinnst, wenn du am besten posierst.“ Mit all den affektierten Phrasen und dem ­eit­len Hochglanz traf die Show bei Taylor einen Nerv. „In meinem ganzen Leben, Boyfriend inklusive, hieß es: ‚Halt die Klappe, sei ruhig, benimm dich!‘, verstehst du?“, erklärt Taylor. „Sowohl privat als auch beruflich wurde es negativ bewertet, wenn ich versuchte, so großartig wie möglich zu sein. ‚Drag Race‘ servierte die gegenteilige Botschaft, und das machte etwas mit mir.“ Das Zelebrieren der prallen Weiblichkeit in der Show weckte die wahre Taylor. „Ich hab große Titten und einen riesigen Arsch, und ich hab mich THE RED BULLETIN

„Es fühlt sich so verdammt gut an, diese normative Weiblichkeit zu verarschen.“ dafür mein Leben lang geschämt“, sagt sie, „aber in ‚Drag Race‘ wurde das verherrlicht. Eine große, üppige Frau zu sein, darum geht es eigentlich in der Show. Endlich erlaubte ich mir zu denken: Warum um­arme ich ihn eigentlich nicht, diesen Körper, für den ich mich immer geschämt habe?“ Auch jetzt, zehn Jahre danach, verrät ein Blick auf Taylors Bühnenpräsenz noch immer den Einfluss von „Drag Race“. In einer Show tritt sie als satin­ pinke Popsirene auf, in der Nacht darauf erscheint sie in einem komisch überzeichneten LeopardenOutfit, dann wieder in einem androgynen schwarzen Anzug. „‚Drag Race‘ hat enthüllt, wie grotesk klassische Weiblichkeit ist – dieses Konzept, von dem sie uns lehrten, dass es erstrebenswert sei“, sagt Taylor und lacht. „Es fühlt sich so verdammt gut an, diese normative Weiblichkeit zu verarschen und das, was von dir erwartet wird.“ Hat sie also jetzt Frieden mit ihrem Körper geschlossen? „Ich ringe noch immer damit, aber manchmal sag ich mir: Das geb ich mir jetzt, und ich setze Dinge, für die ich mich eigentlich schäme, zu meinem Vorteil ein, um die Botschaft zu ver­ mitteln“, erklärt sie. „Das Video zu ‚How Can I Help You‘ zeigt nur meine pralle Oberweite, während ich Schlagzeug spiele. Ich wusste, das würde eine ­Menge Zugriffe bringen, aber das Lied selbst ist eine verdammt feministische Predigt.“ Wenn Rebecca Lucy Taylor bei ihrer „Prioritise Pleasure“-Tour die Bühne betritt und die Unter­ haltung der anfangs zitierten Frauengruppe aus den Lautsprechern tönt, ist es nicht mehr nur eine Frau, die wie ein Hund bellt und wie ein Wolf heult – jede einzelne Frau im Publikum macht mit. „Die Self-Esteem-Fans sind an meiner Seite“, sagt Taylor. „Bei Slow Club gab es nur Trennung, nicht nur zwischen mir und der Band, sondern auch zwischen uns und dem Publikum. Daran war keiner schuld, es war nur ich, die da versuchte, irgendwo reinzupassen, wo ich nie reinpassen würde.“ Sie macht wieder eine Pause. „Aber jetzt habe ich das Gefühl, meine Leute gefunden zu haben. Diese Leute sind ebenso dick und deprimiert und verrückt wie ich. Zusammen sind wir unheimlich groß. Das schafft eine schöne Feedback-Schleife der Liebe. Das ­ver­ändert das Leben.“ Instagram: @selfesteemselfesteem

Styling TAFF WILLIAMSON Gilet: Hugo Boss Hut: Thora Grüner Anzug: Sleeper Body: Florentina Leitner Mantel: Landeros Ohrringe: Lage Haare und Make-up GABRIELLA FLOYD mit Produkten von Fenty Skin, Charlotte Tilbury und Windle London Location DEERHOUSE ROAD SHOOT LOCATION, LONDON SW16

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DER PROFI

Jason Paul ist einer von 100 Parkour-Läufern in Frankfurt. Ein be­liebter Spot für sie: U-Bahn-Eingänge.


Parkour

Parkour-Champions erkennt man an den Fingern. Autor Marc Baumann (re.) bestaunt die kräftigen Hände von Weltmeister Jason Paul.

D ER R ED B U LLE TIN SELBSTV ERS U C H

MEIN TAG MIT

SPIDER-MAN Parkour-Athleten überwinden urbane Hindernisse mit möglichst eleganten Moves. Wir schickten unseren Autor, einen Bewegungsmuffel, bei Welt­ meister JASON PAUL, 30, in die Lehre. Text MARC BAUMANN

Fotos CHRISTOPH VOY

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MAUERSEGLER

Andere nutzen Wände zum Ansprühen. Jason Paul kann sie auch nach oben laufen oder (wie hier) einen Backflip an ihnen machen.


Parkour

D

er Satz, den ich an diesem Tag in Frank­ furt am häufigsten sage: „Bitte tu dir nicht weh!“ Gefolgt von: „Bist du sicher, dass das klappt?“ So geht es einem also, wenn man mit Jason Paul durch Frankfurt läuft – man ist ständig besorgt um ihn. Sein Beruf ist es, an schwindelerregenden Abgründen entlangzubalancieren oder mit Anlauf auf ein dünnes Brücken­ geländer zu springen, hinter dem es viel zu tief runtergeht. Ein falscher Schritt und – vorbei. Jason ist ein supernetter Typ, außerdem Vater eines kleinen ­Kindes. Wäre also echt schön, wenn er noch ein paar Jahre älter werden würde. Solche Gedanken hat man. Ursprünglich dachte ich, bei einem Parkour-Selbstversuch geht es um Be­ weglichkeit und Sprungkraft, aber am Ende lerne ich eine Menge über die ei­gene Ängstlichkeit. Und über die Frage, welche Risiken man im Leben eigentlich ein­ gehen sollte. Als ich frühmorgens in München aufbreche, sagt meine Freun­ din zweimal „Pass auf dich auf“ und schreibt es noch einmal als WhatsApp hinterher. In meiner Reisetasche sind ein Rückenprotektor und Knieschützer und Handgelenkschoner – alles, was ich im Keller bei den alten Skateboardsachen so finden konnte. Keine Ahnung, was man für Parkour anzieht, ich kannte diese Sportart vorher kaum, aber sie sah nach Abschürfungen und Sprunggelenks­ verletzungen aus. All die Sprünge von

THE RED BULLETIN

STARTKLAR. Ausrüstung braucht Profi Jason beim Parkour nicht, bloß bequeme Kleidung – und wenn es kalt ist, vielleicht eine Mütze.

DIE TORTUR BEGINNT. Kurz in den Liegestütz zum Aufwärmen. Bis dahin konnte unser Autor (re.) gerade noch mit Jason (li.) mithalten.

hohen Mauern, das Abrollen am Boden, das Wändehochgehen. Frage: Wo kriege ich Montagmorgen auf die Schnelle eine radio­aktive Spinne her, die mich beißt – oder kann man auch ohne Spider-ManKräfte die Schwerkraft besiegen lernen? Kurze ehrliche Selbsteinschätzung: Ich bin zu dick und zu ungelenk für so was. 1,90 Meter groß und zu nah an 100 Kilo. Ich spiele öfter Fußball, fahre etwas Rennrad, manchmal Skateboard, gehe surfen, wenn ich ein Meer mit Wel­ len finde. Am schlimmsten war für mich früher Boden- und Geräteturnen in der Schule – und Parkour wirkt wie eine Mi­ schung daraus. Bin ich nicht der denkbar ungeeignetste Mensch für diesen Selbst­ versuch? „Parkour ist in unseren Genen,

„AM SCHLIMMSTEN WAR FÜR MICH FRÜHER BODEN- UND GERÄTETURNEN. PARKOUR WIRKT WIE EINE MISCHUNG DARAUS.“

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Parkour

BALANCE, BABY! Jason Paul (re.) zeigt unserem Autor Marc im Osthafen-Skatepark am Mainufer, wie man das Gleichgewicht hält.

wir sind alle mal als Affen auf die Bäume geklettert“, sagt Jason Paul. Okay, aber sein Affe war ein junger Schimpanse und meiner einer dieser dicken Orang-Utans, die im Zoo immer nur an eine Scheibe gelehnt rumsitzen. Unser Aufwärmen hat auch was von Urmensch: Jason lässt seine Arme baumeln, dann schwingt er sie in Kreisen, knetet seine Hände. Meine Knöchel knacken, seine nicht. Überhaupt: diese Hände! Auf den ersten Blick sieht man Jason seinen Parkour-Weltmeister­ titel gar nicht an – er kommt im BossHerrenhemd mit Schnürschuhen. Aber beim Umziehen (Pulli, Baggyhose, Turnschuhe, Mütze) erahnt man die Kraft im Oberkörper und dann eben: die Hände! Etwa doppelt so dick wie meine, voller Hornhaut und Schwielen. Wenn man je an der Fassade eines Hochhauses in tödlicher Höhe hängen möchte – dann bitte mit diesen Fingern.

„BEI DEM SPORT GEHT ES UM DIE FRAGE: WELCHE RISIKEN SOLLTE MAN IM LEBEN EINGEHEN?“

Eleganz? Na ja …

Rauf auf die Mauer

Wir gehen vom Skatepark zu einem Fußballhartplatz. Der Zaun außenrum ist etwa fünf Meter hoch. „Kommst du da rauf?“, fragt der Fotograf. Zack, und schon ist Jason oben. Ich schaffe zwei Meter fünfzig, dann tun mir die Finger zu sehr weh vom Drahtzaun. Er balanciert oben und springt dann auf einen nahen zweiten Zaun und lässt sich herunter­ gleiten. Das ist also Aufwärmen. Meine erste Übung: eine kaum hüfthohe Mauer hoch- und dann wieder runter­springen, Parkour-Style, also etwas 58

schneller, eleganter und besser abfedern, als man das sonst machen würde. Kriegt man so halbwegs hin. Dann weiter … Moment, drei Jungs aus dem Skatepark wollen noch ein Selfie. Es bleibt nicht die einzige „Äh, Entschuldigung, sind Sie der Red Bull-Parkour-Mann?“-Frage mit anschließender Fotobitte an diesem Tag. Jason hat 2004 mit dem Sport angefangen, da war er dreizehn. Auf das große Talent deutete damals nichts hin. „Ich habe nie geturnt oder so. Nur Handball gespielt, und da meistens im Tor“, sagt er. Aber er mochte Jackie-Chan-Filme. Was in ihm schließlich die Leidenschaft entzündete, war eine vierminütige Dokumentation über Jugendliche in einem ­Pariser Vorort, die Parkour machten. Ihr Anführer war David Belle, dessen ­Vater Feuerwehrmann und Soldat war. Der wiederum nutzte seine Turnübungen zuerst im Krieg, dann bei der Rettung von Menschen aus brennenden Häusern. Der Sohn machte daraus einen Sport. Die In­ spirationsquelle von Davids Vaters reicht hingegen weit zurück: bis zur „Méthode naturelle“ des Marineoffiziers Georges Hébert um das Jahr 1900 herum. Im ursprünglichen Parkour gibt nur eine echte Regel: Keine Hilfsmittel – allein der Körper bezwingt die Hindernisse.

ENDE GELÄNDE. Hier sollte Marc einen eleganten „360 Wall Spin“ hinlegen. Note: 3 minus

Ohne Hilfsmittel zur nächsten Übung, „Lazy Vault“ genannt. Die Mauer ist diesmal bauchnabelhoch. Das Ganze geht ungefähr so: schräg anlaufen, eine Hand abstützen, mit Schwungbein und Standbein über das Hindernis, die zweite Hand auf der Mauer absetzen, leicht abstoßen und dann direkt weiterlaufen. Eine flüssige, schnelle Bewegung. Bei ihm. Bei mir versucht der Fotograf, vorteilhafte Fotowinkel zu finden. Wie doof stelle ich mich gerade an? „Ich habe sechs Monate gebraucht, um auf Beton richtig abrollen zu können“, sagt Jason. Beim ersten Mal von einem Meter Höhe habe er sich den Kopf dermaßen angeschlagen, dass er Sternchen gesehen habe. THE RED BULLETIN


LIEBER NICHT!

Dieser Trick ist unserem Autor zu hoch: ParkourAthlet Jason fliegt über den Fahr­kartenautomaten.


Parkour

„MIR FEHLEN SCHWUNG, DREHUNG, ELEGANZ. JASON ZEIGT INZWISCHEN EINEN RÜCKWÄRTSSALTO.“

AUF DER FLUCHT. Parkour wurde ursprünglich erfunden, um in Notsituationen Hindernisse schneller überwinden zu können.

Ortswechsel. Eine stark befahrene Brücke über den Main. Neben einer Unter­führung eine abfallende Mauer. Dar­ über macht Jason einen „Reverse Vault“, also eine Art 360-Grad-Drehung. Man läuft mit Schwung an, setzt beide Hände gleichzeitig auf und schwingt dann – ­Rücken nach unten – mit einer ganzen Körperdrehung drüber. Wichtig: beide Füße hoch genug in die Luft kriegen, sonst bleibt man hängen und knallt mit dem Rücken auf den Boden. Mit Hilfe­ stellung geht es so halbwegs. Dann noch mal ohne. Das lassen wir zählen.

Die Sache mit der Biene

Weiter zum Brückenpfeiler neben der Fahrbahn, dort jetzt bitte einen „Wall Spin“ an der schräg aufragenden Brücken­ wand. Was das genau ist, kann ich nicht erklären, weil ich den ganzen Trick nicht verstanden habe – beziehungs­weise mein Körper nicht. Alles fehlt: Schwung, Dre­ hung, Eleganz sowieso. Als es grad so ein Hängen und Würgen wird, nutzt Jason eine Diskussionspause zwischen mir und 60

dem Fotografen, nimmt vier Schritte ­Anlauf und springt von der schrägen Wand bestimmt vier Meter weit auf das Brückengeländer. Dahinter geht es gut fünfzehn Meter runter auf den Beton. Das Geländer ist handbreit. Der Fotograf will den Sprung noch mal. Wieder Anlauf, Sprung, millimetergenaues Landen und zack – ausbalanciert. Dann versuche ich es – und sterbe. Nein, ich probiere es ­natürlich nicht. Ich will nicht mal, dass Jason es noch öfter macht. „Was, wenn du ausrutscht?“, frage ich. „Ich rutsche nicht aus“, sagt Jason. Überzeugt mich nicht. „Und wenn doch?“ – „In dem Sprung stecken 18 Jahre Par­ kour-Erfahrung, deshalb habe ich nicht dasselbe Risiko wie du“, sagt er. So wie ich mir sicher sei, sagt er, dass ich auf ­einen Bordstein springen kann und dabei nicht hinfalle, so sicher sei er, dass er auf das Geländer springt und nicht aus­ rutscht. Zu 100 Prozent. Gut, bis auf die Sache mit der Biene. Einmal wurde Jason im Sprung von einer Biene gestochen. Die Konzentration war

weg, die Landung ging daneben. Zum Glück war es nichts richtig Riskantes. Und, okay, einmal hatte er einen Ast x-mal auf Stabilität geprüft – beim eigent­lichen Trick brach der dann ab. „Das war ein Reminder für mich: Du kannst das Risiko nicht ganz ausschalten.“ Etwa 100 Parkour-Sportler sind in Frankfurt in einer WhatsApp-Gruppe, vom Anfänger bis zum Profi. Mit denen verabredet er sich. „Am liebsten mit e­ iner kleinen Gruppe von Freunden, die mit­ denken. Nicht die Dudes, die sagen: ‚Los mach das!‘ Die kennen mich gar nicht, die wissen gar nicht, wo die Grenzen meines Körpers liegen.“ Die neue, junge Generation riskiere für Social-­MediaLikes Dinge, die außerhalb ihres sicheren Bereichs lägen. Auf Instagram über­ biete man sich täglich mit noch ärgeren Sprüngen. Jason geht es inzwischen mehr um den Rhythmus von aufeinander­ folgenden Übungen, um das Ineinander­ fließen. Er hat in der Pan­demie das ­Breaking für sich entdeckt, er verbindet jetzt das Tanzen mit Parkour. THE RED BULLETIN


Das klappt selbst bei Anfängern, wie man hier sieht. Der Profi erkennt hier einen „Reverse Vault“ – oder auch nicht …

Ein Spiel gegen sich selbst

Wir brauchen noch ein paar schöne ­Motive, sagt der Fotograf, die Sonne geht allmählich unter. Jason macht einen Backflip, einen Rückwärtssalto, an einer kunstvoll besprühten Hauswand. Dass ich längst raus bin, finden alle unaus­ gesprochen okay. Noch ein Salto von ­einem Fahrkartenautomaten in einer U‑Bahn-Station – bis ein netter Hand­ werker meint: „Äh, Jungs, Folgendes: Ich muss jetzt echt mein Ticket kaufen, die Bahn kommt in einer Minute.“ Wir gehen weiter zum Hochhaus der Euro­ päischen Zentralbank, davor liegt eine Brücke. Jason klettert hoch und läuft auf dem Brückensims entlang. Fallhöhe zehn Meter. „Jetzt sprinte ich mal, okay?“, ruft er. Jason läuft los. Parkour ist ein Spiel, in dem man gegen sich selbst kämpft: Was traust du dich? Was kannst du kon­ trollieren? Und wie schaffst du den einen Meter mehr, weiter oder höher? „In jeder Session probiere ich eine Sache, die mir Angst macht“, sagt Paul. „Das Schwierige ist, zu unterscheiden, wovor habe ich THE RED BULLETIN

Angst – aber kann es. Und wovor habe ich Angst – und kann es nicht.“ Er sei „verdammt vorsichtig“, findet er. Also auf die Art, auf die vorsichtige Menschen in Actionsportarten dreimal Weltmeister werden können. Seine Arztbesuche sprechen aber für ihn: bisher nur ein gebrochener Arm und drei Bänderrisse in 18 Jahren. Und mit der zweijährigen Tochter hat er ein neues wichtiges Argument gegen ­Verletzungen: „Sonst könnte ich sie nicht mehr hochheben beim Spielen.“ Als es zu dunkel wird, verabschieden wir uns. Und wie ich so am Mainufer entlanggehe, merke ich, wie sich mein Blick verändert hat. Wie man die Balkone der Neubauwohnungen abcheckt. Ob man da nicht bis aufs Hausdach hochklettern könnte? Locker. Die Stadt kriegt eine ­Dimension mehr, man denkt nicht mehr nur in Länge und Breite, sondern auch in Höhe und Tiefe. Being Spider-Man. Ich kriege Lust, eine Fußgängerabsperrung mit einem Lazy Vault zu überqueren. Humpelnd steige ich in den ICE. Folge Jason Paul auf Instagram: @thejasonpaul

Action-Achterbahn So macht’s der Meister: Jason Pauls jüngstes Videoprojekt.

Für seinen neuen Parkour-Film war Jason Paul mit zwei Freunden im Freizeitpark Trips­drill – er hat kurzerhand die Achterbahn „Mammut“ in ein Klettergerüst verwandelt. Dabei stellen sich die drei völlig verrückte Challenges. Das ganze Video gibt’s ab Mitte März zu s­ ehen – auf Red Bull TV.

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5-M IN U TE N-C OACH

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SO FÄNGST DU MIT DEM L AUFEN AN

Auf los geht’s los! Aller Anfang ist … ganz einfach

Dein Körper spricht mit dir

Das Schöne am Laufen: Es ist das Natür­ lichste auf der Welt. Und du kannst es überall tun. Du brauchst dafür kaum Equipment. Es ist egal, ob du arm oder reich bist, alt oder jung. Laufen kann jeder. Der Anfang ist ganz einfach. Selbst wo du läufst, ist mehr oder weni­ ger egal. Natürlich ist es angenehmer, im Wald auf weichem Untergrund unter­wegs zu sein, aber auch Asphalt in der Stadt ist okay. Je härter der Boden, desto wichtiger sind die richtigen Schuhe. Es lohnt sich auf jeden Fall, sich dafür zu einem Fachhändler zu begeben – dort be­ kommst du die Schuhe, die perfekt zu deinen Bedürfnissen passen. Probier einfach verschiedene Modelle aus. Es reicht beim Probieren nicht, auf und ab zu gehen. Du musst schon ein paar hundert Meter darin laufen, um ein echtes Gefühl dafür zu entwickeln – in einem coolen Running Shop wird das nie ein Problem sein. Übrigens: Es ist nicht immer der Schuh der ge­ eignetste, der am schönsten aussieht.

Wenn du bei jedem Wetter laufen willst, ist es vielleicht nicht die beste aller Ideen, in eine alte Trainingsjacke zu schlüpfen. Möglich ist es schon, weil grundsätzlich fast alles geht, aber die angenehmste Lösung ist es sicher nicht. Mit passender Kleidung – einem Windstopper, Handschuhen und Stirn­ band – macht Laufen jedenfalls be­ deutend mehr Spaß. Achte auf die Signale deines ­Körpers – nicht nur bei der Kleidung, ­sondern überhaupt. Du wirst schnell spüren, wenn du es übertreibst. Tat­ sächlich ist das Laufen, wenn man es mit den beiden anderen Triathlon-­ Disziplinen Radfahren und Schwim­ men vergleicht, die Sportart mit dem höchsten Verletzungsrisiko. Bei Einsteigern ist die größte ­Gefahr, dass sie zu schnell oder zu ­lange laufen, obwohl sich Sehnen und Muskulatur noch nicht so daran „ge­ wöhnt“ haben, wie es sein sollte. Ich empfehle deshalb, ganz bewusst lang­ sam zu starten.

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Ein kleiner Trick in Sachen Speed Ich war mehr als 15 Jahre professio­ neller Leistungssportler. Bereits mit 12, 13 Jahren habe ich mit dem Tri­ athlon begonnen. Für mich war das die perfekte Sportart. Ich wäre nie ein Top-­ Schwimmer, ein Top-Läufer oder ein Top-Radfahrer geworden – es war die Kombination, die es ausgemacht hat. Was du dir von einem Profi wie mir abschauen solltest, ist die Regel­ mäßigkeit. Trainingstechnisch und für die Motivation ist es gut, wenn du weißt, dass du beispielsweise am Diens­ tag und Samstag deine Lauftrainings hast – und dann auch rausgehst, wenn es stürmt oder schneit. Wenn du regelmäßig trainierst, baust du deinen Körper auf, deine ­Fitness wird besser – Laufen wird dir so mit jedem Tag mehr Spaß machen. 30 Minuten zweimal in der Woche ­reichen für den Anfang. Steigere dich langsam. Mehr als eine Stunde für ­einen Einsteiger empfehle ich nicht. Wenn dich das Laufen zu sehr an­ strengt, darfst du ruhig zwischendurch auch gehen. Um dein Tempo zu ­finden, ist es gut, anfangs allein zu laufen. Falls du lieber mit einer Freundin oder einem Freund unterwegs bist, hilft dir eine bekannte Faustregel: Solange du dich während des Laufens gut unter­ halten kannst, liegst du richtig.

03:27 THE RED BULLETIN

WOLFGANG WIESER

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EGELMAIR.CH

Triathlet, Ironman, absoluter Top-Athlet: Sven Riederer erklärt, wie du dein Training so gestaltest, dass du für immer Bewegung in dein Leben bringst.


03:28

Wenn die Natur Musik macht: Hör auf sie!

Hier läuft dein Coach

„Achte auf die Signale deines Körpers – du wirst spüren, wenn du es übertreibst.“ Sven Riederer

THE RED BULLETIN

Sven Riederer, Jahrgang 1981, ist mehr­facher Olympia-Teilnehmer und Schweizer Meister im Triathlon sowie Vize-Europameister. 2019 hat er seine erfolgreiche Karriere beendet. Heute organisiert er mit seiner Firma MooveMee Sport-Events wie den Internationalen Walliseller Triathlon in der Schweiz (am 10. April 2022) und vertreibt Triathlon-­ Kleidung. Info: moovemee.ch

Laufen ist eine sehr individuelle ­An­gelegenheit. Manche laufen zum Beispiel lieber mit Musik als ohne. Ich war immer der Ohne-Typ, weil ich die Natur wahrnehmen wollte, in der Stadt kann es aber cool sein, mit seinen Lieblingsliedern im Ohr zu laufen. Falls du irgendwann doch Lust auf Wettbewerbe bekommst, denk bitte nicht gleich an einen Marathon, auch wenn das viele tun. Beginn mit einem Volkslauf. Wenn du daran Freude hast, kannst du dich auf mehr vorbereiten, indem du einem Laufverein beitrittst, einen Trainer organisierst oder Trainingspläne online entdeckst. Ich war am Schluss meiner Karriere so müde, dass ich die Schnauze voll hatte vom Training. Nach eineinhalb Monaten habe ich aber festgestellt, dass es ohne nicht geht. Ich bin produktiver, wenn ich laufen gehe, habe mehr Energie. Ich fühle mich einfach besser – geistig und körperlich. Wir Menschen sind einfach für die Bewegung gemacht. Und darum geht es am Ende: Bewegung ins Leben zu bringen.

05:00 Lust aufs Laufen bekommen? Am 8. Mai startet der Wings for Life World Run zugunsten der Rückenmarksforschung. Info: wingsforlifeworldrun.com

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Flugrettung

Alles Gute kommt von oben Der Schweizer MARC ZIEGLER, 56, rettet Bergsteiger mit dem Helikopter aus der Eigernordwand. Hier erzählt er, wie man einen Job meistert, der keine Routine erlaubt. Text DIETER LIECHTI

Fotos TERO REPO


Flugretter Ziegler lässt sich bei ihm Zuhause in den Berner Alpen vom Helikopter herab. Die „Long Line“ kann im Extremfall auf 225 Meter Länge ausgefahren werden.

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Flugrettung

Flugretter Marc ­Ziegler zu Hause in Grindelwald, Kanton Bern. Hier schleppt er seinen Rucksack an Bord des Helikopters.

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THE RED BULLETIN


M

arc Ziegler legt den Pager auf den Tisch, setzt sich auf einen Stuhl und g ­ enießt den Blick von seinem Balkon in Grindel­ wald auf die impo­sante Berner Ober­ länder Bergwelt: Wetterhorn, Metten­ berg, Fiescherhorn und – natürlich – den Eiger. Diese steingewordene, 3970 Meter hohe Trutzburg, deren Nordseite sich lange gegen ihre Besteigung gewehrt hat. Mehr als 70 Menschen verloren im Duell mit der Eigernordwand ihr Leben – 2019 etwa der Schweizer Profi-Bergsteiger ­Julian Zanker, 28. Ausgerutscht. Ab­ gestürzt. Geborgen von Marc Ziegler, dem Rettungschef der Alpinen Rettung Grindelwald. „Leben und Tod liegen in den Bergen nahe beieinander“, sagt Ziegler. Er hat in seiner mittlerweile zwanzig Jahre dauernden Karriere als freiwilliger Berg­ retter und Helikopter-­Rettungsspezialist Dutzende Bergsteiger aus der Nordwand geborgen. „Leider auch Tote.“ Seit der Erstbesteigung der bis dahin als unbezwingbar geltenden „Mord­ wand“ am 24. Juli 1938 durch die Öster­ reicher Fritz Kasparek und Heinrich Har­ rer sowie die beiden Deutschen Andreas Heckmair und Ludwig Vörg (siehe Seite 73) wurden an der 1800 Meter hohen ­Eigernordwand immer neue Routen aus­ getüftelt, immer schneller ging’s nach oben: 2015 stellte der Schweizer Extrem­ bergsteiger Ueli Steck mit 2 Stunden und 22 Minuten über die Heckmair-Route den aktuellen Rekord auf. Eineinhalb Jahre später, am 30. April 2017, kam er bei einem U ­ nfall am Nuptse, nahe dem Mount ­Everest, ums Leben.

Wird der Alarm ausgelöst, bleiben Ziegler sechs, sieben Minuten. Dann landet der Heli im Garten hinter seinem Haus. THE RED BULLETIN

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Flugrettung

Marc Ziegler steht auch auf Tempo. Aber nicht beim Klettern, sondern auf seinem Motorrad, auf Skiern oder dem Mountainbike – und wenn er über den ­Pager alarmiert wird. „Dann bleiben mir nur sechs, sieben Minuten, bis mich der Helikopter der Rega hinter dem Haus oder beim Arbeitsplatz abholt.“ In dieser kurzen Zeit muss er sich umziehen, das benötigte Material packen und sich mental auf den Einsatz vorbereiten. „Das klingt einfacher, als es ist“, erklärt der Vater von zwei erwachsenen Söhnen. „Zehn Minuten nach dem Alarm hängst du auf fast 4000 Meter Höhe unter einem Helikopter an der 90-Meter-Winde – oder im Extremfall an der bis zu 225 Meter langen Long-Line – und versuchst, Leben zu retten. Da musst du schon sehr konzentriert sein, denn Fehler können verheerende Folgen haben.“

Menschen retten - aber nicht um jeden Preis

Hilft ihm dabei seine jahrelange Routine als Helikopter-Rettungsspezialist? „Routine? Nein, so etwas gibt es bei der Bergrettung nicht. Jeder Fall ist anders“, sagt er. „Wo müssen wir retten? Wie ist der gesundheitliche Zustand des Opfers? Was macht das Wetter? Es gibt so viele Faktoren, die wir nicht beeinflussen können, die jedoch über das Gelingen einer Rettung entscheiden. Möglicherweise über Tod oder Leben. Da kann man sich keine Routine leisten, sondern muss im Team unter schwierigsten Bedingungen im Hochgebirge funktionieren, Entscheidungen in Sekundenbruchteilen fällen.“ Stets mit dem Ziel, die Menschen um jeden Preis zu retten? „Nein, nicht um j­ eden Preis“, korrigiert der Chef der ­Alpinen Rettung Grindelwald. „Im Vordergrund stehen die eigene Sicherheit und die des Rettungsteams. Kein Unfall bei der Rettung – das ist höchstes Gebot. Ist das nicht gewährleistet, bricht man ab.“ Und lässt Menschen am Berg zurück? „Ja, wenn es gefährlich wird für das Rettungsteam. Vor allem in der Eigernordwand kann es vorkommen, dass man die Bergung wegen Steinschlags auf den frühen Morgen des nächsten Tages verschiebt – auch wenn man Menschen am Berg zurücklassen muss.“ Ist ihm das schon passiert? „Schon ein paarmal. Und es ist ein Scheißgefühl.“ Haben die zurückgelassenen Berg­ steiger überlebt? „Ja! Gottlob sind in den vergangenen Jahren nie Menschen in der Nordwand gestorben, weil wir sie über 68

„Routine? So etwas gibt es bei der Bergrettung nicht. Jeder Fall ist anders.“ Helfer am Himmel Die Schweizerische Rettungsflugwacht (Rega) in Zahlen

13.000

Einsätze fliegen die Rettungshelikopter der Rega jährlich. Am häufigsten werden sie zu Einsätzen infolge von Krankheit sowie bei Wintersport-, Verkehrs-, ­Arbeits- und Bergunfällen gerufen.

1952

wurde die Schweizerische Rettungsflugwacht Rega gegründet, um medizinische Hilfe aus der Luft zu leisten. Sie beschäftigt rund 400 Mitarbeiter. Nach den Grundsätzen des Roten Kreuzes rettet sie unabhängig vom Ansehen der Person, der finanziellen Mittel, der sozialen Stellung, der ­Nationalität, der Rasse, des Glaubens oder der politischen Überzeugung.

1414

ist die Notrufnummer, mit der man rund um die Uhr medizinische Hilfe anfordern kann.

25

Prozent der Rega-Helikopter­ einsätze finden in der Nacht statt. Als erste zivile Rettungs­ organisation setzte die Rega in den 1980er-Jahren Nachtsichtgeräte ein, damit die Piloten auch im Dunkeln fliegen können.

18

Rettungshelikopter und drei ­Ambulanzjets bringen jährlich gut 11.000 Patientinnen und Patienten medizinische Hilfe.

12

Rega-Basen in der Schweiz ermöglichen den Rega-Crews, ihren Einsatzort innerhalb weniger Flugminuten zu erreichen.

3,6

Millionen Gönnerinnen und Gönner unterstützen die Rega mit einem jährlichen Beitrag.

1

App. Schon Tausenden von Menschen hat die Rega-App in der Not geholfen. Sie übermittelt bei einer Alarmierung ­automatisch den Standort des Alarmierenden an die Rega-Einsatzzentrale. rega.ch


HILFE IM ANFLUG

Rettungschef Marc Ziegler an der „Long Line“ des Flugwacht-Helikopters vor der Bergkulisse der Berner Alpen


Teamgeist: Marc Ziegler (2. v. li.) mit der Besatzung eines Rettungs­hubschraubers. Sie besteht aus drei Crew­mitgliedern und wird bei Bedarf durch einen Heli-Rettungsspezialisten ergänzt.

Blitzschnell einsatzbereit Wie 3000 Freiwillige ein Rettungsnetz formen.

Nacht zurücklassen mussten. Dafür bin ich wirklich dankbar.“ Trotzdem spielt der Tod eine wich­tige Rolle in Marc Zieglers Leben. Und er, der längst aus der Kirche ausgetreten ist, hat über die Jahre gelernt, damit umzugehen. „Am Anfang meiner Karriere habe ich die Einsätze in allen Details meiner Frau geschildert“, sagt er. „Das war keine gute Idee – ich hatte zwar meinen Ballast abgeladen und schlief wie ein Baby, aber meine Frau machte kein Auge mehr zu.“

Der Dorfpfarrer ist Teil des Teams

An den Tod will er sich zwar bis heute nicht gewöhnen, aber er weiß, wie man so etwas mental verarbeitet. Und im Notfall können die Bergretter auf ein professionelles Careteam, den Dorfpfarrer oder den Sozial- und Betreuungsdienst der Rega zurückgreifen. „Das sind gute Werkzeuge“, hat ihn die Erfahrung ­gelehrt. „Aber auch Gespräche unter ­Kollegen und im Team helfen – oder das Vorträgehalten. Denn je mehr man über die Schicksale und Einsätze spricht, ­desto besser und schneller kann man sie verarbeiten.“ Klingt logisch und funktioniert fast ­immer. „Wenn ich die Opfer einer ­Bergung nicht kenne, dann ist es für mich Arbeit. Ein Auftrag, den ich nach bestem Wissen und Gewissen erledige.“ Ganz anders sieht es aus, wenn Ziegler Opfer bergen muss, die er persönlich 70

Die Alpine Rettung Schweiz (ARS) ­leistet Einsätze für in Not geratene und hilfsbedürftige Menschen im alpi­ nen, voralpinen und schwer zugäng­ lichen Gebiet der Schweiz und dem an­ grenzenden Ausland. Die ARS ist eine selbständige gemeinnützige Stiftung, die durch die Rega und den Schweizer Alpen-Club SAC getragen wird. Die 86 Rettungsstationen der sieben Regionalvereine sind so über Voralpen/ Alpen und Jura verteilt, dass die in ­diesem Gebiet organisierten rund 3000 freiwilligen Retterinnen und ­Retter in kürzester Zeit einen Einsatz­ ort erreichen können.

kennt. Dann gerät auch er aus dem Gleichgewicht. „Oder Kinder“, Marc Ziegler schüttelt den Kopf. „Das ist das Schlimmste. Ein Horror! Auf das kann man sich nicht vorbereiten.“ Sind Sie ein Held, Herr Ziegler? Den Heldenstatus suche er nicht, sagt der Retter. Geld für die Rettung gibt’s nur wenig. Warum also begibt sich Ziegler in Gefahr, um anderen, meist fremden Menschen zu helfen? Ein Helfersyndrom? „Ganz ehrlich: Ich weiß es nicht. Ich habe keine schlüssige Antwort darauf. Aber natürlich ist es ein zutiefst befrie­ digendes Gefühl, wenn man Menschen aus einer miss­lichen oder gefährlichen Situation retten kann. Ob das ein Helfersyndrom ist? Möglicherweise.“ Feiert man erfolgreiche Rettungseinsätze?

Jetzt wird’s ernst: Marc Ziegler wirft ­einen prüfenden Blick nach unten, bevor er aus dem Heli ­abgeseilt wird.

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Flugrettung

REGA

„Je mehr man über die Schicksale und Einsätze spricht, desto besser und schneller kann man sie verarbeiten.“

THE RED BULLETIN

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Ziegler hoch­ konzentriert: In 4000 Meter Höhe können Fehler verheerende Folgen haben.


Flugrettung

Rettungschef Ziegler in Grindelwald, im Hintergrund der Eiger: „Das sind Einsätze, die man nie wieder vergisst.“

Mythos Eiger Wie ein deutsch-österreichisches Quartett erst­mals die Eiger­nord­wand bezwang. „Halb erfroren, zerschlagen und zer­ schunden erreichten wir endlich die höchste Spitze.“ So beschrieb Fritz ­Kasparek den historischen Moment am 24. Juli 1938: Er und sein öster­ reichischer Landsmann Heinrich Harrer sowie die beiden Deutschen Andreas Heckmair und Ludwig Vörg waren am Gipfel ihrer Bergsteiger-Träume an­ gekommen – als erste Menschen hatten sie nach drei Tagen die bis dahin als ­unbesiegbar geltende Eigernordwand bezwungen. Dutzende Seilschaften aus ganz Europa waren zuvor gescheitert. Viele Berg­ steiger bezahlten mit ihrem Leben. „Die Wand ist eine Besessenheit für Geistesgestörte“, warnte das britische „Alpine Journal“ – bis es dem Quartett gelang, den Mythos der un­besiegbaren Nordwand zu brechen. THE RED BULLETIN

„Das ist das Berner Oberland und nicht Hollywood“, sagt Ziegler und lacht. „Doch wenn alles bestens geklappt hat und die Hilfesuchenden gerettet wurden, dann setze ich mich gerne hin und rauche eine Zigarette. Und das, obwohl ich ­eigentlich Nichtraucher bin. Die ominöse ‚Zigarette danach‘ hat es in sich.“ Bleibt er mit den Geretteten in Kontakt? „Selten. Die meisten Menschen wollen ja mit dem Unfall abschließen und das Erlebte vergessen.“

Hauptsache versichert

Welchen Einsatz wird er nie vergessen? „Eine BASE-Jumperin aus den USA ist an einem Felsvorsprung der Nordwand hängen geblieben“, erinnert sich Ziegler. „Sie hing hilflos an der Wand, beide ­Beine gebrochen. Als ich sie befreit und gesichert hatte und dem Heli das Signal zum Hochziehen gab, fragte sie mich ganz ängstlich: ‚Is this safe?‘“ Aber auch die Koreaner, die er mit der Long-Line aus der Wand geholt hat, haben sich in seinem Gedächtnis verewigt: „Kaum h ­ atten sie wieder festen Boden unter den Füßen, zückten sie die Rega-Gönnerkarte und

BASE-Jumper aus den USA, Touristen aus Korea: Ziegler rettete die halbe Welt. freuten sich: ‚We have insurance …‘“ Der Pager, den Marc Ziegler während elf Wochen Bereitschaftsdienst pro Jahr mit sich trägt, bleibt heute still. Sein Dienst dauert nur noch bis Ende dieser Woche. Dann ist mehr Büroarbeit angesagt. Theo­ rie statt Praxis. Und am Abend schraubt er an seinem Motorrad. Nach zwei erfolglosen Versuchen soll die Maschine endlich den Lärmtest beim Straßenverkehrsamt bestehen. „Das ist eines meiner ­aktu­ellen Ziele“, erklärt Ziegler. „Denn ohne Ziele funktioniere ich nicht.“ Wie wär’s mit einer Besteigung der Eigernordwand? „Nein, danke. Als Retter kenne ich ­ohnehin fast jede Ecke“, meint Ziegler schmunzelnd. „Aber als Kletterer bin ich nie in die Nordwand gestiegen. Dazu bin ich aktuell zu wenig gut trainiert.“ 73


ANZ EIGE

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Das Inflationsgespenst geisterte von Beginn an durch die Geldgeschichte, jetzt ist es zurück. In seinem neuen Buch erklärt Ökonom und Finanz­ experte Thomas Mayer, wie über­ mäßige Geldschaffung immer wieder zu Krisen, Zusammenbrüchen von Volkswirtschaften und Neuordnungen der Geldsysteme geführt hat. Und er zeigt, womit in Zukunft zu rechnen ist, nämlich auch mit dem Guten. beneventobooks.com

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GUIDE Tipps für ein Leben abseits des Alltäglichen JETZT GEHT’S NACH OBEN!

GLORIA RAMIREZ PHOTOGRAPHY @GLORIAPATTYPHOTO AND MATT RAY

MATT RAY

Sportklettern auf Kalymnos in der ­griechischen Ägäis

Schwindelfrei: ReiseAutor Matt Ray auf der Kletter­route Axium (6c+) auf Kalymnos

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Im Abendlicht: Das Dorf Masouri ist das Herz der Kletter­ szene auf Kalymnos.

„Wir klettern einen Felsen namens ‚Ghost Kitchen‘. 30 Meter hoch. Ich vergesse fast zu atmen.“ Matt Ray, Sportkletterer und Reiseautor

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eine kreideweiße Hand tastet über orangefarbenen Kalkstein und greift einen Vorsprung. Die Milchsäure brennt in ­meinem Unterarm. Unter mir ­klaffen 30 Meter Tiefe. Körperspannung!, ermahne ich mich. Ich spanne meine Rumpfmuskulatur so stark an, dass ich fast vergesse zu atmen. Wir klettern die Axium-Route auf einem Felsen mit dem gespenstischen Namen Ghost Kitchen, klassifiziert als 6c+, das bedeutet mittlere bis hohe Schwierigkeit. Ghost Kitchen ist einer von vielen ideal zum Klettern geeigneten Kalkfelsen auf der griechischen Insel Kalymnos. Ich atme scharf ein und kralle meine Finger in eine Vertiefung im Felsen. Nun sollte ich eigentlich meinen rechten Fuß gegen einen winzigen schrägen Vorsprung stemmen und mich nach oben schwingen. Aber mein Körper verkrampft sich. Meine Arme werden taub. Meine Finger können mich nicht länger halten. „Ich falle!“, höre ich mich schreien. Mein Körper stürzt einen Augenblick lang ins Leere. Dann spannt sich das an meinem Gurt befestigte Seil, fängt sich im Karabiner am Felsen. Ein Ruck, und ich baumle hilflos in der Luft, der Wind lässt mich sanft hin und her schwingen. Dabei ­bietet sich mir eine unglaubliche Aussicht: Es sieht aus wie ein orange­ farbenes Dach über einer Schüssel aus Stein, geformt von einem Titanen aus der antiken Mythologie. Dazu felsige Wiesen voll mit wildem Thymian. Tief unter mir glitzert das azurblaue Wasser des Ägäischen Meeres. Schöner können Abstürze nicht enden. 76

Insel der 3400 Klettersteige Kalymnos ist ein relativ neuer Treffpunkt der Kletterszene. Erst in den 1990er-­ Jahren entdeckten Sportkletterer diesen Teil der Inselgruppe mit ihrer unglaublichen Vielfalt an Kalksteinformationen. Im aktuellen Kletterführer von 2019 sind 3400 Sportklettersteige gelistet – in der Ausgabe von 2015 waren es noch 2700. Ständig kommen weitere hinzu. Für mich ist Kalymnos eine Chance, meine eigenen Fähigkeiten auf die Probe zu stellen. Dank der in der Wand fixierten Haken aus Edelstahl, in die man das Seil einhängt, ist Sportklettern die sicherste aller Kletterarten. Kalymnos bietet Routen der Schwierigkeitsstufen 4 bis 9. Für mich, als erfahreneren Sportkletterer, stellt die Ghost Kitchen mit der Stufe 6c+ eine schöne Herausforderung dar, nachdem ich in den vergangenen beiden Jahren nur in Hallen klettern konnte. Die 8er- und 9er-Routen auf der Insel hingegen sind so anspruchsvoll, dass die

Ideal für den Badestopp nach der Klettertour: der Masouri-Strand auf Kalymnos

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GUIDE Reisen

Anreise Hinkommen: Mit dem Flugzeug auf die ­ achbarinsel Kos, dann weiter zum Hafen N von Mastichari (mit dem Bus oder Taxi vom Flug­hafen), von dort mit der Fähre nach ­Kalymnos (Fahrtzeit: 30 bis 45 Minuten). Übernachten: Vom MasouriBlu Boutique ­ otel bis hin zu größeren Unterkünften wie H dem Elena Village Hotel und zahlreichen Bergsteiger-Appartements – Unterkünfte gibt es sowohl im Dorf Masouri als auch in anderen Orten in der Nähe der Felsen. greece-moments.com/kalymnos-highlights

Griechenland

Athen

Unser Autor auf der 7b-Route Omiros im Sektor Odyssey: Im aktuellen Kalymnos-Kletterführer sind Felsen für alle Könnensstufen gelistet.

Masouri KALYMNOS Pothia

internationale Kletterelite sie für ihr ­Training benutzt.

Mastichari KOS

MATT RAY (2), GLORIA RAMIREZ , GETTY PREMIUM

MATT RAY

Tipps vom Weltcupsieger

THE RED BULLETIN

Der Italiener Stefano Ghisolfi, aktueller IFSC-Weltcupsieger im Vorstiegsklettern (auch: Lead, Klettern mit Seilsicherung; Anm.), gilt als einer der weltbesten Klet­ terer. Ghisolfi klettert auf Kalymnos den Sektor Odyssey, einen etwas abgelege­ neren Felsen, der von Anfängerrouten bis zum 8b-Aufstieg alles bietet. Bevor der 28-Jährige richtig anfängt, klettert er noch eine Runde mit mir. Er gibt mir Tipps, wie ich die Angst vor Stürzen überwinden kann. „Ich setze mir immer Zwischen­ ziele“, erklärt er. „Sie helfen mir, mich zu fokussieren, und brechen große Herausforderungen auf kleinere, erreichbare ­herunter. Sobald du dich auf ein Ziel konzentrierst, vergisst du deine Angst und gibst deiner Motivation einen Schub.“ Am Sektor Odyssey gibt mir Klettertrainer Loukas Dourdourekas (er ist

Gut zu wissen Fünf Insider-Tipps für Kalymnos 1. FORTBEWEGUNG Miete dir ein Moped. Alle Kletterfelsen sind damit und über kurze ­Fußwege zu erreichen. 2. AUSRÜSTUNG In Masouri gibt es mehrere Fachgeschäfte für Kletterausrüstung. 3. GUIDE Der Kletterführer „Kalymnos Climbing Guidebook“ (2019) enthält die meisten Klettergebiete der Insel und einen kostenlosen Topo-Download von der Vertical-Life-App. 4. BLEIBE Sollten die Quartiere in Masouri ausgebucht sein, gibt es viele andere Möglichkeiten ganz in der Nähe der Felsen, etwa in den Ortschaften Arginonta und Panormos. 5. KLEIDUNG Du solltest eine Fleecejacke oder etwas Ähnliches dabeihaben. Im Frühjahr und Herbst können die Temperaturen abends und am frühen Morgen empfindlich kühl sein.

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GUIDE Reisen

Entdeckung der Langsamkeit Ich suche also nach Möglichkeiten, die ich davor gar nicht in Erwägung gezogen hätte. Und tatsächlich, es klappt: Mit ­einer einzigen Zehe stehe ich auf einem winzigen Felsvorsprung und kann mein ganzes Körpergewicht tragen. Nachdem ich versucht habe, eine 30 Meter lange Strecke ohne Pause zu klettern, weist mich Dourdourekas auf einen weiteren klassischen Fehler hin: „Du musst dich auf großen Felsvorsprüngen kurz aus­ ruhen, deine Arme ausschütteln – du musst langsamer werden.“ 78

„Mit einer einzigen Zehe kann ich mein ganzes Gewicht tragen.“ Autor Matt Ray lernte neue Klettertricks.

Von erfahreneren Kletterern zu lernen ist eine uralte Tradition des Sports. Bei meinem nächsten Versuch auf Axium erinnere ich mich wieder daran, was Loukas sagte. Diesmal suche ich nach einer Stelle, an der ich eine Pause einlegen kann. Auf 35 Meter Höhe drehe ich mich seitlich zur Wand, halte meine Arme so gerade wie möglich und schüttle sie aus. Als ich wieder an der Schlüsselstelle ankomme, an der ich das letzte Mal gescheitert bin, habe ich nun genug Kraft und Ausdauer. Einen Triumphschrei ausstoßend, ­erreiche ich den Gipfel. Mein Körper wird von Endorphinen überflutet. Ich drehe mich um und sehe das Meer tief unter mir verführerisch glitzern. Von oben betrachtet ist es noch viel schöner. Matt Ray ist ein auf Action-Sportarten spezialisierter Autor und Fotograf. Er ist schon überall geklettert: von den Sandsteinfelsen des Peak District in England bis zu den Wüstenwänden im jordanischen Wadi Rum. adventurefella.com THE RED BULLETIN

GLORIA RAMIREZ

der erste Grieche, der eine 8c+-Route ­geschafft hat) Ratschläge. Er erklärt, wie sich das, was man in einer Kletterhalle gelernt hat, auf einen natürlichen Felsen übertragen lässt. „Indoor sind die meisten Tritte ziemlich ähnlich und relativ groß“, erklärt Dourdourekas. „Draußen ist die Herausforderung eine ganz andere. Vor allem musst du lernen, kleineren ­Tritten zu vertrauen.“

MATT RAY

Weltklasse-Kletterer Stefano Ghisolfi in der Atena Wall (6b+). Sein Tipp: „Setz dir Zwischenziele.“


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MICHAEL KÖHLMEIERS Kolumne Boulevard der Helden als Podcast-Serie


GUIDE Gaming Einander überschneidende Innenverteidiger, Weih­ nachtsbaumformationen – wenn du diese Fach­ begriffe verstanden hast, dann ist „Football Mana­ ger“ das richtige Spiel für dich.

Der ehemalige Chelsea-Manager André Villas-Boas zog das Spiel als Grundlage für seine Entscheidungen heran, und Alex McLeish, Ex-Trainer der Glasgow Rangers, gab einst zu, einen Tipp seines Sohnes ignoriert zu haben. Der hatte auf ‚FM‘ einen jungen Spieler in der B-Mannschaft des FC Barcelona entdeckt – einen gewis­sen Lionel Messi.“

Lektionen fürs Leben

Der Boss am Ball Mit dem Video-Game „Football Manager“ führst du nicht nur dein Team zum Sieg – vielleicht entdeckst du sogar den nächsten Messi. Sie sind überall, die unentdeckten Pep Guardiolas: auf den Stehplätzen im Stadion oder vorm Fernseher. Acht Millionen Menschen kaufen jedes Jahr die neue Ausgabe des Videospiels „Football Manager“ („FM“), um ihre Fußball-Expertise zu testen. Der durchschnittliche „FM“-Spieler verbringt mehr als 250 Stunden im Jahr mit dem Spiel, das in mindestens zwei Dokumenten als o∞zi­ eller Scheidungsgrund angeführt ist. Aber was ist schon eine Ehe gegen Ruhm und Reichtum? Wie der Videospiel­ kritiker Simon Parkin erklärt, könnten diese Spieler das Geheimnis des nächsten Pokalsiegs in Händen halten. 80

Manager-Wahnsinn „‚FM‘ ist mitunter mehr ExcelTabelle als Fußballrasen. Man wählt seine Startaufstellung und gibt die Taktik fürs Match vor, aber es geht auch darum, Transfers zu verhandeln, ja sogar PR-Desaster zu mana-

gen.“ Der Brite Paul Collyer entwickelte noch als Schüler mit seinem Bruder Oliver das allererste Spiel, es kam 1992 unter dem Namen ,Championship Manager‘ heraus. „Wir wollten eine funktionierende Fußballwelt“, sagt Collyer. „Bei ‚FM 2022‘ bedeutet das: Videobeweise studieren, Ballverluste analysieren und die Erwartungen des Vorstands erfüllen.“

Daten, Daten, Daten Simon Parkin ist Gaming-Kritiker bei der britischen Zeitung „The Ob­ server“. Vor kurzem erschien sein Roman „The Island of Extraordi­ nary Captives“; simonparkin.com

„Ähnlich wie die Vereine ar­beitet auch ‚FM‘ mit Scouts: Zu Tausenden durchkämmen sie die Welt nach Talenten für die 650.000 Spieler umfassende Datenbank, jeweils an­hand von 250 Datenpunkten.

Spiel vs. Realität „Manche Dramen aus dem Spiel überschneiden sich auch mit der Wirklichkeit. Andros Townsend von FC Everton erhielt einmal eine SMS von seiner Freundin: Warum er denn ein Strafgeld wegen ­verpassten Trainings zahlen müsse? Angehängt war ein Artikel aus einer vermeint­ lichen Boulevardzeitung. ­Townsend erkannte das ‚FM‘-Design und postete die Nachricht auf Twitter mit dem Kommentar: ‚Okay, wer sagt es ihr?‘“ „Football Manager 2022“ gibt’s für Xbox, Switch, Windows, MacOS, iOS and Android; footballmanager.com THE RED BULLETIN

SIMON PARKIN

COACH

Miles Jacobson, Leiter des Entwicklungsstudios Sports Interactive in London, wo ‚FM‘ entsteht, vermutet, dass alle Führungskräfte von dem Spiel etwas lernen können, nicht nur jene im Sport. „Wenn man sein Budget mit Mega-Gagen für einen Star verpulvert, bringt man seine Leute nicht durch. Wenn man eine Firma leitet, ist das genauso: Talente müssen immer gut verteilt sein!“


GUIDE Playlist SEAN PAUL

Dancehall-Sänger Sean Paul ist Musik-Nerd und Grammy-Gewinner. allseanpaul.com

„Tanz den Riddim!“ Der Hitfabrikant aus Jamaika verrät, welche vier Dancehall-Nummern seine Pop-Karriere prägten.

CHARLOTTE RUTHERFORD

WILL LAVIN

Dancehall-Musik entstand im Jamaika der späten Siebzigerjahre. Doch erst in den Achtzigern und ­frühen Neunzigern hob das Reggae-­ Subgenre richtig ab. Damals revolu­ tionierten die Möglichkeiten des digitalen Produzierens den Sound: Die Rhythmen wurden schneller, und die Instrumentalstücke, die so­genannten „Riddims“, rückten in den Vordergrund. Einer der größten DancehallStars der Neuzeit ist der Singer-Songwriter und Produzent Sean Paul Ryan Francis Henriques, kurz: Sean Paul, der 2002 mit seinem Grammy-prämierten Album „Dutty Rock“ den Durchbruch schaffte. Der 49-jährige Jamaikaner hat nicht nur den Dancehall-Sound erneuert, sondern das Genre weltweit populär gemacht – auch dank aufwendiger Musikvideos und Kooperationen mit Popstars wie Beyoncé, Sia und Nicki Minaj. Hier verrät Sean Paul, welche vier Dancehall-Nummern ihn am meisten inspiriert haben.

LITTLE TWITCH

BUJU BANTON

LOUIE CULTURE

BEENIE MAN

RESPECT DUE (1987)

BOGLE (1992)

GANGA LEE (1994)

OLD DOG (1996)

„‚Respect Due‘ kam ein paar Jahre vor der goldenen Zeit des Dancehall raus. Der Riddim, also der Instrumental­ teil des Songs, enthält eine schwere Bassline mit irren Phrasen darüber. Das Stück handelt davon, wie wichtig Respekt, Höflichkeit und Ehre sind. Als ich auf die Highschool ging, war das ein großes Thema. Ich habe immer versucht, ein respektvoller Mensch zu sein. Und dieser Song sagte: Du bist auf dem richtigen Weg!“

„Tanzbewegungen spielen eine wich­ tige Rolle in der Dancehall-Kultur, und dieser Song erzählt davon. Der Bogle-Tanzstil ist benannt nach ­seinem Erfinder Gerald Levy, genannt ‚Bogle‘. Und er geht so: Du führst eine Wellenbewegung mit deinem ganzen Körper aus und wirfst dabei beide Ar­ me in die Luft. Der Bogle hat unser Genre stark beeinflusst. Ich war zu­ erst befremdet davon, dann ging er durch die Decke.“

„1994 waren Dancehall-Nummern hauptsächlich zum Partymachen da. Dieser Song war deshalb so be­ sonders, weil er auch eine Botschaft vermittelte. Louie Culture sprach da­ von, sich von allen Einschränkungen frei zu machen. Wir Kinder wussten damals nicht genau, was ein ‚Ganga Lee‘ war, nämlich ein Freiheitskämp­ fer, aber die Message war klar: Geh deinen eigenen Weg. Die Nummer hat noch immer große Kraft.“

„Die Riddim-Abschnitte sind für mich das eigentlich Spannende im Dance­ hall. Dieser Song hat es besonders in sich. Er ist witzig. Er macht sich über Leute lustig, die ein Problem mit Män­ nern haben, die viele Frauen treffen: ‚Old dog like we, we haffi have dem ­inna two’s and three’s.‘ Einmal war ich bei einem Dance, bei dem die DJs zu diesem Song auf allen vieren rum­ gekrabbelt sind wie Hunde. Ein irrer Song eben.“

THE RED BULLETIN

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GUIDE Lesestoff

SPRACHKUNST

Besoffen vom Leben Der französische Kultautor Philippe Djian ist ein Magier des Trivialen, seine Romane verwandeln den Alltag in Poesie. Alles eine Frage des Stils.

D

ie Symptome sind vielfältig: Bei manchen kann man beobachten, wie sich ihr Gang verändert; dass sie plötzlich verspielter, tänzerischer daherkommen. Andere­ fangen an, fremden Menschen aus heiterem Himmel direkt in die Augen zu schauen. Und wieder andere blinzeln in einen wunderschönen Sonnenuntergang und sagen nicht: „Oh, was für ein wunderschöner Sonnenuntergang“,

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sondern reißen eine Dose Bier auf und schweigen. Alles typische Anzeichen für den Konsum eines Romans von Philippe Djian. Alles in allem: eine wilde Entschlossenheit, das Leben zu spüren. Oft auch ­eine fast vergessene Sehnsucht. Wer damit nichts anfangen kann oder will, tut gut daran, Djian auch weiterhin für eine Senfsorte zu halten. Denn der 1949 in Paris geborene Autor ist ein Magier des Trivialen. Ein Alchemist,

der den Alltag in Poesie verwandelt. Und ein literarischer Flaneur, der genau weiß, dass die Schönheit des Flanierens darin liegt, kein Ziel zu haben. Das zeigt sich auch in der Auswahl der Figuren und Genres, die Philippe Djian in seinen bisher über dreißig, meist recht kompakt gehaltenen Romanen und Erzählungen verarbeitet hat – da ist vom Künstler bis zum Kriminellen, von der saftigen Amour fou bis zur brackigen Midlife-­ THE RED BULLETIN

VINZ SCHWARZBAUER

Text JAKOB HÜBNER


„Die Ruchlosen“, erster Absatz: Aber er wollte, dass sie ihre Hände wegnahm, dass sie auf­ hörte, ihn anzufassen, dass sie beiseiteging, verschwand, er versuchte, ihr zu sagen, dass sie abhauen, nach Hause gehen sollte, aber sein Mund war voll Blut, und sie weigerte sich, ihn loszulassen. Nimm mein Taschentuch, sagte sie.

Crisis alles drin, was das ­Leben zum Brodeln bringt. Los ging’s im Jahr 1984. „Erogene Zone“ war zwar nicht Djians erster Roman, aber jener, mit dem der Franzose zu seinem einzigartigen Stil fand. Nur ein Jahr später erschien „Betty Blue – 37,2 Grad am Morgen“, das Mittelund Kernstück der sogenannten „Zorg-Trilogie“ (benannt nach dem Protagonisten der Reihe), die Djian 1986 mit „Verraten und verkauft“ virtuos abschloss. Im selben Jahr kam auch die legendäre Verfilmung von „Betty Blue“ in die Kinos, die (dem in diesem Januar verstorbenen) Regisseur Jean-Jacques Beineix ­eine Oscar-Nominierung, der Zahnlücke von Béatrice Dalle animalischen Sexappeal und Philippe Djian den Titel Kultautor bescherte. Sex, Drugs and Rock ’n’ Roll in Buchform. Pulsierend, schnell, rhythmisch. Gespickt mit knisternden, nackten ­Dialogen, ohne Anführungszeichen, ohne Vorwarnung. Das französische Feuilleton schnappte nach Luft, Djian legte nach: „Rückgrat“, „Pas de deux“, „Matador“, „Heißer Herbst“, „Schwarze Tage, weiße Nächte“. Unverschnittener Lesestoff, besoffen vom Leben. Literatur-Rebell Philippe Djian avancierte zu einem der meistgelesenen Autoren seiner Generation. Und das, obwohl er uns – vermutlich nicht ganz ohne Koketterie – wissen ließ, dass ihm der Überbau seiner Geschichten ziemlich schnurz THE RED BULLETIN

ist: „Mir geht es nur um Stil und Sprache, weil ich keine Message habe, die ich weitergeben will.“ Tatsächlich ist ­jeder einzelne Roman aus ­dieser Schaffensphase ein kleines Meisterwerk ohne ­Ablaufdatum. Aber auch Rebellen werden älter. Mitte der 2000erJahre wurde es zunehmend ruhiger um Philippe Djian. Der geballten Faust, mit der er das Leben so zärtlich streichelte, fehlte plötzlich der letzte Punch. Mit „Marlène“ (2017) und „Morgengrauen“ (2018) fand Djian jedoch zurück in die Spur, und spätestens mit dem zuletzt auf Deutsch erschienenen Roman „Die Ruch­ losen“ (2021) ist auch diese magische Unmittelbarkeit wieder da. Da haut Djian wieder Sätze und Dialoge raus, deren simple Intensität so schön ist, dass man dazu tanzen möchte. Inhaltlich ist „Die Ruchlosen“ eine Art ThrillerFragment, stilistisch ist es ein „echter Djian“. Und etwas Besseres kann man über ein Buch eigentlich kaum sagen.

PHILIPPE DJIAN „Die Ruchlosen“ Deutsch von Norma Cassau (Diogenes)

BUCHTIPPS

Agents Provocateurs Vier französische Literaturgrößen, die weder Tabu noch Pardon kennen.

MICHEL HOUELLEBECQ Obwohl hierzulande kaum jemand seinen Namen unfallfrei aussprechen kann, gilt er als der Skandalautor schlechthin. Übersehen wird bei all der intellektuellen Auf­ regung oft, dass Houellebecq es nicht nur meisterhaft ver­ steht, die Schmerzgrenzen unserer Gesellschaft mit der Empfindsamkeit eines Seismografen auszuloten, sondern auch sprachlich zu den Allergrößten zählt. „Vernichten“ (Dumont)

VIRGINIE DESPENTES In den 1990er-Jahren sorgte Despentes mit extrem harten und explizit nicht jugend­ freien Romanen wie „Baisemoi“ oder „Die Unberührte“ für heftige Kontroversen. Ganz anders sah die Sache aus, als 2015 Teil 1 ihrer „Vernon Subutex“-Trilogie erschien – ein furios gezeich­ netes Sittenbild unserer Zeit, für das Despentes als „weib­ licher Balzac des 21. Jahr­ hunderts“ gefeiert wurde. „Das Leben des Vernon Subutex“ (KiWi)

EMMA BECKER Für ihren dritten Roman hat die französische Autorin Emma Becker, 33, zwei Jahre lang „Feldforschung“ be­ trieben – als Prostituierte in einem Berliner Bordell. Die daraus entstandene Auto­ fiktion, auf Deutsch 2020 erschienen, ist naturgemäß ebenso delikat wie ernüch­ ternd, schamlos und dras­ tisch – das Erstaunlichste dar­ an ist aber, dass sie mitunter auch sagenhaft komisch ist. „La Maison“ (Rowohlt)

FRÉDÉRIC BEIGBEDER „39,90“, die böse Insider-Ab­ rechnung mit der Dekadenz und dem Zynismus der Werbe­ branche, machte Beigbeder berühmt. Zwanzig Jahre spä­ ter peitscht er sein „negati­ ves Double“ Octave Parango durch eine scharfsichtige, beißende Satire, die das gras­ sierende Diktat des Lachens genüsslich ausweidet. Wie kann eine derart traurige Gesellschaftsanalyse nur so unglaublich lustig sein? „Der Mann, der vor Lachen weinte“ (Piper)

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GUIDE Tipps & Trends BLICK IN DIE ZUKUNFT ANDY WOLF OMEGA Es war einmal ein Zeitreisender, der in einer Sci-Fi-Serie Hunderte von Folgen über die Bildschirme trampte. Das Brillenunter­nehmen Andy Wolf aus Österreich hat sich von Dr. Who für seine neue Kollektion inspirieren lassen – zu zeitlosen Modellen ­so­zusagen. andy-wolf.com

SEITENBLICKE Ein „Blinder“ am äußeren Brillenrand schützt vor ­lästigem Lichteinfall.

Richtig gutes Zeug Eine verrückte Blumen-Geschichte, eine Brille für Zeitreisende und Farbtupfer für die Füße. SOMMERFRISCHE LEVI’S SANDALEN Es gibt von Levi’s nicht nur Jeans, sondern seit diesem Jahr auch Sneaker, die von der legendären 501er inspiriert sind. Wir stehen aber ganz besonders auf diese ­Sandalen – so bunt, so frech, so Wann-wird’s-denn-endlichwieder-Sommer? levi.com

EINE IRRE STORY „THE PETUNIA CARNAGE“ Eine orangefarbene Petunie hat die Natur nicht vorgesehen. Als der finnische Wissenschaftler Teemu ­Teeri doch eine entdeckt, nimmt eine Geschichte Fahrt auf, die in die große „Petunien-Krise“ mündet. Nicht lachen – dahinter steckt eine irre Story, die der Wiener Fotograf Klaus Pichler, Jahrgang 1977, dokumentiert hat. Sie werden staunen, versprochen! klauspichler.net

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RUTSCH-PARTIE SERVUS HOCKEY NIGHT POWERED BY MAGENTA SPORT

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Die Deutsche Eishockey Liga ist zurück bei ServusTV! Der Fernsehsender zeigt im Rahmen der „Servus Hockey Night“ jeweils das Topspiel am Sonntag live. Ab April gibt’s dann eine Begegnung pro Playoff-Spieltag zu sehen – sowie die Spiele 1 bis 3 vom Finale. Das Ganze natürlich auch im Livestream unter: servustv.com/sport

LEUCHTKRAFT THE NORTH FACE PHLEGO 2L DRYVENT JACKET Wer diese Jacke trägt, muss keine Angst haben, verloren zu gehen. Oder nicht gesehen zu werden. Krimskrams verschwindet in einer ihrer fünf Taschen, und eine feste Kapuze schützt bei Schlechtwetter. thenorthface.de

FUSSFREI Ein Farbspektakel für die Füße. Oder anders gesagt: So geht bunt.

SCHÖNE SCHWESTER TAG HEUER AQUARACER ­PROFESSIONAL 200 „Sie ist die Begleiterin eines spannenden, unvergesslichen Lebens ­voller Abenteuer, Höchstleistungen und überwundener Grenzen“, sagt TAG-Heuer-CEO Frédéric Arnault. Vor allem aber ist die kleine Schwester des 300er-Modells eine echte Schönheit. tagheuer.com

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GUIDE Biohacking BESSER SCHLAFEN

Von Socken und Hormonen Profi-Biohacker Andreas Breitfeld verrät uns jeden Monat einen Trick, der dein Leben verbessert. Dieses Mal: wieso du mit Socken besser schläfst.

Kalte Füße schaden dem Schlaf Je weniger Blut in die Extremitäten fließt, desto mehr bleibt im Rumpf – und hält ihn zu warm. Je wärmer (= je besser durchblutet) die Extremitäten sind, desto besser für unseren Schlaf.

Melatonin Zirbeldrüse

Melatonin macht uns müde

Das liegt an unserer Körpertemperatur, insbesondere im Rumpf. Sinkt diese Temperatur ab, im Idealfall um 0,2 bis 0,5 Grad, fördert das den Schlaf. Dazu können wir uns hochtechnologischer Hilfsmittel bedienen (es gibt ziemlich kostspielige Gadgets, die die Temperatur unter der Bettdecke senken) oder sehr 86

ANDREAS BREITFELD, 49, ist Deutschlands bekanntester Bio­hacker. Er forscht in seinem speziellen Lab in München. BIOHACKING umfasst, ver­einfacht gesagt, alles, was Menschen eigenverantwortlich tun können, um Gesundheit, Lebensqualität und Langlebigkeit zu verbessern.

DIE BIOHACKING-PRAXIS Der Performance-Lifestyle-Podast für alle, die mehr über Biohacking (und sich selbst) erfahren wollen. QR-Code scannen und reinhören. THE RED BULLETIN

ANDREAS BREITFELD

Wieso denn das?

einfacher – wie eben Socken. Denn wenn wir die Extremitäten erwärmen, dehnen sich dort die Blutgefäße aus, was die lokale Durchblutung fördert und das warme Blut sozusagen aus dem Rumpf „ab­zieht“. Die Folge: Die Körperkern­ tempe­ratur sinkt. Und, richtig mitgedacht, die positive Wirkung lässt sich durch das zusätzliche Tragen von Handschuhen oder Pulswärmern verstärken. Aber ganz ehrlich: Ich selbst lass das mit den Hand­ schuhen sein – alles hat seine Grenzen.

PRIVAT

S

ocken im Bett haben nicht ge­rade den allerbesten Ruf, aus der Per­ spektive arterhaltender Paarungs­ rituale wohl auch zu Recht. Aus der Per­ spektive der Schlaf­qualität allerdings definitiv zu Unrecht. Denn Socken anzu­ ziehen lässt uns leichter einschlafen und tiefer durchschlafen.

SASCHA BIERL

In der Zirbeldrüse wird das Schlafhormon Melatonin ­gebildet, das für unseren Schlaf und seine Qualität entscheidend ist. Eine der nachgewiesenen ­Wirkungen von Melatonin ist das Ab­senken der Körper­ kerntemperatur. Und das ­er­leichtert das Ein­schlafen und das Durchschlafen.


R H U 3 1 – 2 2 8. MAI 20 KÖNNEN

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SEI DABEI


Helm auf!

Von wild bis smart, von Wüste bis Stadt, von wunderschön bis superpraktisch: Hier reiten die spannendsten Bikes des aktuellen Jahrgangs ein. Text WERNER JESSNER

UNIKAT Einen längs ein­ gebauten V-Motor hat nur Moto Guzzi. Neu: wassergekühlt!

DIE SCHÖNE VOM COMER SEE MOTO GUZZI V100 MANDELLO Der italienische Kult-Hersteller beginnt das zweite Jahrhundert seines Bestehens mit einem nach seinem Heimatort benannten Crossover-Modell, das handlich wie ein Roadster ist, dabei aber den Windschutz ­eines Tourers bietet. Je nach Geschwindig­ keit und Fahrmodus ändert sich dabei die Position der seitlichen Deflektoren. Moto Guzzi spricht hier von „aktiver Aero­ dynamik“. Der neu entwickelte wasser­ gekühlte V-Motor sorgt mit seinen 115 PS ­jedenfalls für ausreichend Fahrtwind. Preis noch nicht bekannt; motoguzzi.de

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GUIDE Motorräder

LUCKY EXPLORER So hieß einst das Modell der Konzernschwester Cagiva, das die DesertX zitiert.

Geist der Wüste Ducati DesertX

Optisch stark an die Cagiva angelehnt, die um das Jahr 1990 die Rallye Paris–Dakar bereichert hat, zeigt Ducati mit der DesertX eine zeitgemäße Interpretation des Klassikers und führt die Marke ins harte Gelände. Kompetentes Offroad-Fahrwerk, 110 PS starker Testastretta-Motor, schlanke 202 Kilo Trockengewicht, verschiedene Fahrmodi, LED-Licht, TFT-Display und volle Konnektivität weisen dabei den Weg. € 18.395; ducati.com

Big Boxer BMW R 18 B

Eine Ikone vom ersten Moment an: Die große BMW zitiert die Vergangenheit der Marke und spielt technisch auf dem ganz neuen Klavier. 91 PS sind fürs Gefühl der großen Freiheit dabei weniger entscheidend als die beeindruckenden 150 Newtonmeter. Als Bagger (s. Erklärung rechts) mit Frontverkleidung, tropfen­ förmigem Tank und flach abfallendem Heck mit Koffern kommt die Form besonders gut zur Geltung. Ab € 32.800; bmw-motorrad.de

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BÄGGER, NICHT BAGGER Bagger (sprich: Bägger) haben ihren Namen vom flachen Heck mit ­ihren Seitentaschen, den „bags“.

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Kremser Klassik

Brixton Cromwell 1200 Sieht aus wie ein traditioneller britischer Roadster, ist aber aus Österreich: Brixton ist die Eigenmarke der Kremser KSR Group, wobei die Bikes in Österreich entwickelt und in China gefertigt werden. Das brandneue Flaggschiff Cromwell 1200 überzeugt außer mit seiner gelungenen Optik mit seinem großvolumigen, 82 PS starken Zweizylinder, hochwertigen Komponenten und drei gediegenen Farbvarianten. Preis noch nicht bekannt; brixton-motorcycles.com

YACHT AUF RÄDERN BMW K 1600 GT Sechs Zylinder, 160 PS, 343 Kilo. Unglaub­ liche 64 Liter Stauvolumen und eine Spitze, die BMW nobel mit „über 200 km/h“ angibt. Viel luxuriöser und komfortabler kann man auf zwei Rädern nicht Kilometer machen. Und dann gibt es noch die lange Liste an ­Zusatzausstattungen: Vom Sound-System über ein riesiges TFT-Farbdisplay, von der ­Bodenbeleuchtung (!) bis zu Schmiede­ rädern ist alles möglich. Ab € 30.700; bmw-motorrad.de

Stadtkind

Piaggio Beverly 400 Kombiniert die Vorzüge eines Rollers mit den Fahreigenschaften eines Motorrads: Die Beverly kennt – vor allem in ihrer 35 PS starken 400-Kubik-Variante – innerhalb der Stadt kaum Gegner. Viele werden nur ihren Auspuff sehen, wenn sie durch die Kolonnen wedelt, mit Platz für zwei Jet-Helme unter der Sitzbank und einem Tank in der Mitte für noch besser ausbalanciertes Fahrverhalten. Ab € 6.899; piaggio.de

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STATTLICHE GRÖSSE Das 16-Zoll-Vorderrad verhilft der 135 km/h schnellen Beverly zu Stabilität.

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GUIDE Motorräder

Keine Gefangenen!

KTM 1290 Super Duke R Evo Sie trägt ihren Nom de Guerre „The Beast“ nicht von ungefähr, jetzt wurde die schärfste nackte KTM noch einmal zugespitzt. Alles ist auf Performance ausgelegt, die Technik spricht noch in den kleinsten Details Renn-Sprache. Der 180 PS starke Motor hat Titan-Ventile, das Fahrwerk ist semiaktiv. Alle elektronischen Hilfssysteme dienen nur einem Zweck: der Schnellste zu sein. Immer. Und unter allen Umständen. Ab € 24.099; ktm.com

WIE IN DER MOTOGP Um zwei Kilo leichter – auch wegen des Stahlrahmens mit ­breiteren Rohren von geringerer Wandstärke.

PERFEKTE WIEDERBELEBUNG MALAGUTI DRAKON 125 Seit die KSR Group bei Krems im Jahr 2018 den italienischen Traditionshersteller Malaguti übernommen hat, geht es mit der 1930 bei ­Bologna gegründeten Marke wieder bergauf. Dabei konzentriert man sich auf EinsteigerMotorräder (plus E-Bikes). Die wunderbar klar gezeichnete Drakon ist ein quirliges Bike für Stadt und Überland mit 14 PS, einer Spitze von 99 km/h und digitalem Cockpit. Ab € 3.999; malaguti.bike

Auf die feine Tour Honda NT1100

Geräumig genug für die große Reise zu zweit, bequem dank üppigen Feder­ wegen und durchdachtem Windschutz mit verstellbarer Scheibe. Aber auch sportlich genug für den flotten Trip ins Hinterland dank dem 102 PS starken Zweizylinder mit viel Drehmoment. Der 6,5 Zoll große Touchscreen ist auch mit Handschuhen gut zu bedienen. Außerdem gibt’s die NT1100 auch mit dem Sechsgang-Doppelkupplungsgetriebe. Ab € 15.590; honda.de THE RED BULLETIN

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B O U L E VARD DER HEL DEN

YVONNE LOUISE STOLZ

DER EINZI-FALL

Serie: MICHAEL KÖHLMEIER erzählt die außergewöhnlichen Geschichten inspirierender Figuren – faktentreu, aber mit literarischer Freiheit. Folge 11: Wie Einzi, Frau des Komponisten Robert Stolz, in schweren Zeiten Mut bewies.

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BENE ROHLMANN, CLAUDIA MEITERT MICHAEL KÖHLMEIER

W

GETTY IMAGES (2), PICTUREDESK.COM (4)

A

m 21. Juni 1962 – ich war ge­ das Flaggschiff der Festspiele. Das war rade noch für vier Monate zwölf dann ein Drängen und Jammern in un­ Jahre alt – begegnete ich Robert serer Familie: Wer darf heuer nicht mit­ Stolz und seiner Frau Einzi. Es gehen? Wir wollten nämlich alle nicht. war der Tag der Premiere der Zum Spiel auf dem See schon gar nicht, Operette „Trauminsel“ auf der Seebühne da fand die Jahreshauptversammlung der Bregenzer Festspiele. Ich brauche aller stechbereiten Insekten statt. Außer­ dem Operette … Mein Vater besuchte mich nicht anzustrengen, um mich zu MICHAEL KÖHLMEIER Der Vorarlberger jede Veranstaltung, aus Loyalität; die ­erinnern; die Szene steht vor mir, als Bestsellerautor gilt ­jeweils zweite Karte dienten meine wäre keine Zeit vergangen – außerdem als bester Erzähler ­Mutter, meine Schwester und ich ab­ habe ich die Geschichte schon ungefähr deutscher Zunge. wechselnd ab, manchmal wurden Ver­ hundertmal erzählt … Zuletzt erschienen: wandte eingeladen. Mein Vater war auf eine gewisse Art der Roman „Matou“, Am 21. Juni 1962 war ich dran. befreundet mit dem damaligen Festspiel­ 960 Seiten, direktor Dr. Beer. Die „gewisse Art“ will Hanser Verlag. Heute sind die Seeveranstaltungen ich erklären, ohne die ganze tragische Riesenevents, siebentausend Besucher Geschichte zu erzählen. Mein Vater war um einiges pro Abend; damals waren die Aufführungen über­ schaubar. Sie waren tatsächlich überschaubar, das ­jünger als Dr. Beer, und sie hätten einander wahr­ scheinlich im Leben nicht kennengelernt, wäre nicht heißt, ich konnte von meinem Platz aus – wir hatten der Krieg gewesen. Mein Vater war Anfang zwanzig, immer Karten für die besten Plätze – nicht nur das aber bereits ein alter „Landser“, da wurden im letzten Geschehen auf der Bühne nahe verfolgen; wenn Aufgebot halbe Kinder und ältere Herren eingezogen. ich mich reckte, konnte ich auch in den Orchester­ graben schauen, zuvorderst auf den Rücken des Einer der Letzteren war Dr. Beer. Gemeinsam er­ Dirigenten. Der fuchtelte wunderschön, war ich lebten sie irgendwo in Russland einen entsetzlichen der Meinung. Beim Applaus, wie es sich gehörte, Angriff. Während meinem Vater bereits jedes Zittern drehte er sich zum Publikum. Sein Gesicht prägte abhandengekommen war, hatte Dr. Beer Todes­angst. ich mir ein. Ein zufriedenes Gesicht. Die beiden Vorarlberger klammerten sich anein­ ander, der Jüngere tröstete den Älteren, verkehrte ir waren zur Premierenfeier geladen. Das Welt. Dr. Beer vergaß meinem Vater nie, dass er war meinem Vater sehr unangenehm, er ihn in diesen finsteren und demütigenden Stunden fürchtete, er werde dort um ein Gespräch mit nicht im Stich gelassen hatte. Er wollte nicht mit Dr. Beer nicht herumkommen. Aber Dr. Beer dachte ihm darüber sprechen, zu viel Scham, nach dem wohl wie er. Die beiden grüßten einander aus der Krieg gingen die beiden einander aus dem Weg; Ferne, das war alles. Damit nicht mehr daraus würde,­ aber jedes Jahr im Sommer brachte die Post ein suchte mein Vater das Gespräch mit anderen; er ­dickes Kuvert, darin waren je zwei Karten für alle meinte, wenn er allein irgendwo am Rand steht, Veranstaltungen der Bregenzer Festspiele, Theater, bliebe Dr. Beer nichts anderes übrig, als sich doch Konzerte, Liederabende, Lesungen und eben auch noch um ihn zu kümmern. zwei Karten für das berühmte Spiel auf dem See,


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B OU L EVAR D DE R HE L D E N

Ich war es schließlich, der allein irgendwo am Rand stand. Und dann kümmerte sich jemand um mich. ­Nämlich eine Dame mittleren Alters. Sie brachte mir ein Tellerchen mit geschnittenen belegten Broten und ein Glas Orangensaft. Ich war der Jüngste im Saal. Das gefiel ihr. Sie fragte mich, ob ich aus freien Stücken hier sei. Ich verstand die Frage nicht. Was sollten freie Stücke mit meiner Anwesenheit zu tun haben, und überhaupt, was waren freie Stücke? Meine Mutter hatte mir eingeschärft, alles zu unter­ lassen, was meinen Vater blamieren könnte – nicht in der Nase bohren, nicht furzen und Antwort geben, wenn mich jemand etwas fragt. Ich sagte: „Ja, ich bin aus freien Stücken hier.“ Wie alt ich sei. „In vier Monaten dreizehn.“ Die Dame war entzückt von mir. Das war ich ­gewohnt. Ich sah niedlich aus. Zu meinem Ärger. Sie sah auch niedlich aus, klein und in ein rosa Kleid gehüllt. Sie lachte laut und rief nach hinten, man möge mir ein Stück von der Premierentorte bringen und für sie noch ein Glas Sekt. Schon waren viele Leute um uns herum. Ich schaute nach meinem Vater, sah ihn aber nicht. Auf einmal war ich, jeden­ falls in diesem Winkel des Saals, die Hauptperson. In der einen Hand hielt ich einen Teller mit einem Stück Torte, grünliches Marzipan, in der anderen­ einen zweiten Teller mit einem angebissenen Schinkenbrötchen.

D

ie Dame fragte mich: „Wie hat dir das Stück ge­ fallen?“ Ich sagte wahrheitsgetreu: „Die ­Musik hat mir gut gefallen und der Dirigent auch, leider habe ich den Text nicht verstanden, also weiß ich nicht, was für eine Geschichte dort oben erzählt werden sollte.“ Einige lachten, andere nicht. Einer von den ande­ ren sagte: „Du musst dir eben die Ohren ausputzen!“ Ich wurde zornig und sagte: „Meine Ohren sind gewaschen“, und betonte das „meine“. Beinahe hätte ich eine gefangen. Die Dame aber sagte: „Ich habe den Text auch nicht verstanden, das ist bei so etwas immer so.“ Sie hat mich rausgehauen. Die Dame war Yvonne Louise Stolz, die Frau von Robert Stolz, dem Komponisten und Dirigenten der Operette. Alle nannten sie „Einzi“. Alle meinten, den Spitznamen oder Kosenamen habe ihr der dreißig Jahre ältere Robert Stolz ge­ geben, eben weil sie, seine fünfte Ehefrau, nun end­ gültig die Einzige für ihn sei. Das stimmte aber nicht.

Ihr Mann entschied sich zwischen Karriere und Anstand für den Anstand.

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Den Namen hat ihr der jüdische Komponist Paul Abraham gegeben. Sie sei die „Einzige“, die sich um die Flüchtlinge aus dem Nazireich – zu dem damals auch das gehörte, was früher Österreich genannt wurde – kümmerte, die fast ihr ganzes Geld ausgab, um Menschenleben zu retten und den Überlebenden ein bisschen Würde zu geben. Yvonne Ulrich, wie sie damals noch hieß, war Jüdin, verheiratet mit einem sehr reichen Engländer. In Paris in Emigrantenkreisen lernte sie Robert Stolz kennen, und die beiden ver­ liebten sich ineinander. Yvonne war sechsundzwanzig Jahre alt, Juristin, hatte einen entscheidungs­ freudigen Charakter und, wie alle, die sie kannten, bestätigten, ein gütiges und sehr weites Herz.

Y

vonne Louise war in Warschau geboren, sie stammte aus einer wohlhabenden Familie; man hatte überall, wo es vornehm zuging, ein Domizil, die meiste Zeit ihrer Jugend verbrachte sie in der Schweiz. Als Paris von den Nazis besetzt wurde, floh sie mit Robert Stolz in die USA. Sie hatte Geld und Beziehungen, organisierte die Flucht vieler­ anderer Künstler. Sie und ihr Mann ließen sich scheiden, einvernehmlich, ihre gemeinsame Tochter blieb vorerst in England, sie war zwei Jahre alt. In Amerika machten sich Einzi und Robert stracks auf den Weg nach Reno; dort heirateten sie. So viel moderne Romantik müsse sein, meinten beide. Warum Robert Stolz den Nazis aus dem Weg ging und Österreich nach der Besetzung durch die deut­ schen Truppen verließ, hatte keinen anderen Grund als den, dass er Hitler und dessen Weltanschauung­ und Menschenbild zutiefst verachtete. Er wäre nicht verfolgt worden, im Gegenteil: Die Nazis, allen voran Goebbels, hatten ihn hofiert, sie wollten sich schmücken mit einem so bekannten Komponisten, jedes Kind auf der Straße wusste mindestens einen­ Schlager, den dieser Mann geschrieben hatte. Nicht einen Augenblick war er in Versuchung, eines der vielen sehr lukrativen Angebote anzunehmen.

E

r wusste nicht, was in Paris auf ihn zukam, erst recht nicht später, was ihn in Amerika erwartete. Viele, die vor den Nazis in Deutschland Stars gewesen waren, gingen im Meer der amerikanischen ­Unterhaltungsindustrie unter, Bertold Brecht zum Beispiel oder Carl Zuckmayer oder Heinrich Mann, dessen Roman „Professor Unrat“, verfilmt als „Der blaue Engel“ mit Marlene Dietrich in der Hauptrolle,­ immerhin ein Welterfolg war. Robert Stolz, der Meister der leichten Musik, entschied sich zwischen Karriere und Anstand für den Anstand. Und er fand in seiner Frau Einzi eine tapfere Partnerin. Als Hitler in Deutschland an die Macht gekommen war, hatte Robert Stolz jüdische Freunde über die Grenze nach Österreich gebracht, sie versteckten sich im Fond seines Autos, er steckte am Kühler ein Hakenkreuz­ fähnchen auf, die Grenzpolizisten erkannten den überaus populären Komponisten, sie salutierten und

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Sie war die „Einzige“, die Überlebenden ihre Würde zurückgab. brachten ihm ein Ständchen dar – „Im Prater blüh’n wieder die Bäume …“. Vielen Künstlern hatte Einzi im Pariser Exil geholfen. Sie hat nie eine große Sache daraus ge­ macht. Was sei schon Geld im Vergleich zu einem Leben, soll sie einmal gesagt haben, außerdem habe sie nur getan, was jeder andere anständige Mensch auch getan hätte, wenn er im Besitz aus­ reichender Mittel gewesen wäre. Ihrer Mutter und ihren Geschwistern, die in Warschau lebten, konnte sie nicht helfen. Sie wurden in das Konzentrations­ lager Treblinka verschleppt und dort ermordet.

I

n dem kleinen Saal, in dem in Bregenz die Pre­ mierenfeier nach der Aufführung von „Traum­ insel“ stattfand, bat mich Frau Stolz zu warten, sie wolle mir etwas mitgeben. Ich drückte mich in den Winkel, suchte weiter mit den Augen nach

meinem Vater, fand ihn, winkte ihm, und er kam schnellen Schritts auf mich zu. „Ich verstehe“, sagte er, „es geht dir alles hier auf die Nerven. Mir auch. Also ab!“ Ich wollte noch sagen, dass eine Dame, nämlich die Gattin des Komponisten und Dirigenten, mir etwas mitgeben wolle und ich deshalb noch ein paar Minuten warten müsse. Aber er hatte mich schon an der Hand genommen und schritt mit gesenktem Kopf voraus. Als ob man unsichtbar wäre, wenn man den Kopf senkt … So habe ich nicht erfahren, was Einzi Stolz mir schenken wollte. Ich schätze, es war das Libretto zur Operette, geschrieben von Robert Gilbert – auch einer, dem Einzi geholfen hat. Damit ich verstehe, worum es in „Trauminsel“ geht.

Michael Köhlmeiers Geschichten gibt es, von ihm selbst gelesen, auch zum Anhören im Podcast-Kanal von The Red Bulletin. Zu finden auf allen gängigen Plattformen wie Spotify und auf redbulletin.com/podcast. Oder einfach den QR-Code scannen.

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Gesamtleitung Alexander Müller-Macheck, Sara Car-Varming (Stv.) Chefredaktion Andreas Rottenschlager, Andreas Wollinger (Stv.) Creative Direction Erik Turek, Kasimir Reimann (Stv.) Art Direction Marion Bernert-Thomann, Miles English, Tara Thompson Grafik Martina de Carvalho-Hutter, Kevin Faustmann-Goll, Cornelia Gleichweit Fotoredaktion Eva Kerschbaum (Ltg.), Marion Batty (Stv.), Susie Forman, Tahira Mirza, Rudi Übelhör Digitalredaktion Christian Eberle-Abasolo (Ltg.), Marie-Maxime Dricot, Melissa Gordon, Lisa Hechenberger, Elena Rodríguez Angelina Head of Audio Florian Obkircher Chefin vom Dienst Marion Lukas-Wildmann Managing Editor Ulrich Corazza Publishing Management Ivona Glibusic, Bernhard Schmied, Melissa Stutz, Anna Wilczek Head of Media Sales & Partnerships Lukas Scharmbacher Head of Co-Publishing Susanne Degn-Pfleger Projektmanagement Co-Publishing, B2B-Marketing & Communication Katrin Sigl (Ltg.), Katrin Dollenz, Thomas Hammerschmied, Teresa Kronreif (B2B), Eva Pech, Valentina Pierer, Stefan Portenkirchner (Communication), ­Jennifer Silberschneider, Sophia Wahl Creative Services Verena Schörkhuber-Zöhrer (Ltg.), Sara Wonka, Tanja Zimmermann, Julia Bianca Zmek, Edith Zöchling-Marchart Commercial Management Co-Publishing Alexandra Ita Editorial Co-Publishing Raffael Fritz (Ltg.), Gundi Bittermann, Michael Hufnagl, Irene Olorode, Mariella Reithoffer, Wolfgang Wieser Executive Creative Director Markus Kietreiber Senior Manager Creative Elisabeth Kopanz Art Direction Commercial & Co-Publishing Peter Knehtl (Ltg.), Luana Baumann-Fonseca, Silvia Druml, Erwin Edtmayer, Simone Fischer, Andreea Gschwandtner, Lisa Jeschko, Araksya Manukjan, Carina Schaittenberger, Julia Schinzel, Florian Solly, Dominik Uhl, Sophie Weidinger, Stephan Zenz Head of Direct to Consumer Business Peter Schiffer Direct to Consumer Business Marija Althajm, Victoria Schwärzler, Yoldaş Yarar (Abo) Retail & Special Projects Manager Klaus Pleninger Anzeigenservice Manuela Brandstätter, Monika Spitaler Herstellung & Produktion Veronika Felder (Ltg.), Martin Brandhofer, Walter O. Sádaba, Sabine Wessig Lithografie Clemens Ragotzky (Ltg.), Claudia Heis, Nenad Isailović, Sandra Maiko Krutz, Josef Mühlbacher Finanzen Mariia Gerutska (Ltg.), Simone Kratochwill MIT Christoph Kocsisek, Michael Thaler IT Service Desk Maximilian Auerbach Operations Alice Gafitanu, Melanie Grasserbauer, Alexander Peham, Thomas Platzer Projekt Management Dominik Debriacher, Gabriela-Teresa Humer Assistant to General Management Sandra Artacker Geschäftsführer Red Bull Media House Publishing Andreas Kornhofer, Stefan Ebner Verlagsanschrift Am Grünen Prater 3, A-1020 Wien Telefon +43 1 90221-0 Fax +43 1 90221-28809 Web redbulletin.com Medieninhaber, Verlag & Herausgeber Red Bull Media House GmbH, Oberst-LepperdingerStraße 11–15, A-5071 Wals bei Salzburg, FN 297115i, Landesgericht Salzburg, ATU63611700 Geschäftsführer Dkfm. Dietrich Mateschitz, Dietmar Otti, Christopher Reindl, Marcus Weber

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NICOLAS MAHLER

N IC OL AS M A HL ERS SPI T ZF ED ERL ICHES CHA R A K T ER-K A BINE T T

Die nächste Ausgabe des RED BULLETIN erscheint am 12. April 2022.

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Ausgabe 4/2022

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