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USA AUF ERFOLGSKURS

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ALLE GEGEN MESSI

ALLE GEGEN MESSI

Nie zuvor kamen so viele TopTalente aus den USA: RB Leipzigs neuer Trainer

Jesse Marsch, AkademieLeiter Sean McCafferty und Spieler Tyler Adams über das Talentwunder ihres Landes, das seinen Erfolg wie einen Börsengang plant.

DIE USA WERDEN WELTMEISTER DAS FUSSBALL-START-UP

Text: Jürgen Schmieder

Die USA können die Weltmeisterschaft 2026 gewinnen.

Das klingt verrückt, klar. Vor allem, wenn so eine Ansage aus einem Land kommt, das noch nie übers Viertelfnale einer Weltmeisterschaft hinausgekommen ist, dessen Nationalelf die Qualifkation fürs letzte WM-Turnier auf blamable Weise verpasst hat und dessen U23 in der Olympia-Quali gerade an Honduras gescheitert ist. Dazu kommt, dass die Profliga Major League Soccer (MLS) im Vergleich zu europäischen Topligen noch immer als zweitklassig gilt. Obwohl: Sind nicht Leute, die verrückt genug sind zu glauben, sie könnten die Welt aus den Angeln heben, genau die, denen es am Ende gelingt? Das war im Übrigen auch die Botschaft der Apple-Werbung aus dem Jahr 1997, der Slogan dazu lautete Think different – denke anders. Und genau das tun sie nun endlich in den USA.

Deshalb, nur so ein Gedanke: Wie wäre es, würde man den amerikanischen Fußball einmal nicht als Verband betrachten, die MLS nicht als Liga und einen Klub wie die New York Red Bulls nicht bloß als Verein; sondern als riesiges Start-up? Und die Weltmeisterschaft in fünf Jahren als Börsengang? Welchen Prospekt würde dieses Fußball-Start-up derzeit den Investoren vorlegen? „Wir hatten noch nie so viele talentierte Spieler wie jetzt“, sagt Nationaltrainer Gregg Berhalter. „Der Kader ist extrem jung, viele werden bei der HeimWM auf dem Höhepunkt ihrer Karriere sein.“ Berhalter redet von Christian Pulisic (22 Jahre, Chelsea FC), Giovanni Reyna (18, Borussia Dortmund), Weston McKennie (22, Juventus Turin), Sergiño Dest (20, FC Barcelona), Yunus Musah (18, Valencia CF), Brenden Aaronson (20, Red Bull Salzburg), und natürlich spricht er von Tyler Adams. Der 22 Jahre alte Mittelfeldspieler von RB Leipzig ist das beste Beispiel dafür, wie es diesem Fußball-Start-up gerade geht. „Ich habe mich erst richtig auf Fußball konzentriert, als ich im Alter von zwölf Jahren an der Red Bulls Academy aufgenommen worden bin“, sagt Adams, und diese Beobachtung ist bedeutsamer, als es zunächst scheint. Er stammt aus der Kleinstadt Wappinger, etwa eineinhalb Autostunden nördlich von New York City; hätte er 15 Jahre früher das Licht der Welt erblickt, dann wäre er heute vielleicht Basketballprof (seine zweitliebste Sportart als Kind), weil so jemand damals ganz einfach nicht für den Fußball entdeckt worden wäre. Die MLS füllte die Kader der Vereine damals mit alternden Stars aus Europa statt mit heimischen Talenten.

Das lag daran, dass die Ausbildung junger Sportler in den Vereinigen Staaten völlig anders funktioniert als in Europa.

Das US-Fußball-Nationalteam beim Training in Bradenton, Florida

Proftruppen wie der Basketballverein Los Angeles Lakers kümmern sich nicht um Nachwuchs, das übernehmen zuerst Organisationen wie die Amateur Athletic Union (AAU) und später Schulen und Universitäten; die Klubs bedienen sich beim jährlichen Draft (der Rekrutierung von Nachwuchsspielern) aus dem Talentepool. Basketball-Superstar Kobe Bryant etwa, aufgewachsen in Philadelphia, hätte seine Karriere gemäß dem europäischen System bei den Philadelphia 76ers begonnen. In der US-Sportkultur wählten ihn die L.A. Lakers und gewannen mit ihm fünf Meisterschaften. Drei Millionen potenzielle Stars

Das Wachstum, das jedes Start-up in der Anfangsphase dringend braucht, war ohne Zweifel da: Derzeit spielen in den USA knapp drei Millionen Kinder zwischen sechs und zwölf Jahren Fußball. Was bis jetzt fehlte, war ein Weg, zum gelobten Fußball-Land zu werden – das sind immer noch Europa und Südamerika. Auch das ärgerte die Amerikaner. Schließlich sind sie es gewohnt, in allen Sportarten selbstverständlich zu den Besten zu gehören; den besten Ligen eine Heimat zu bieten und damit die bedeutendsten Titel zu vergeben (interessiert irgendwen die WM in Football oder Baseball?). Es war ungeheuerlich, was Vereine wie die New York Red Bulls da für eine Kultur importiert haben – doch genau das ist der Grund, warum die Amerikaner bei der Fußball-WM 2026 wettbewerbsfähig sein werden. „Es war die perfekte Umgebung, um Fußballprof zu werden“, sagt Tyler Adams über die Red Bulls Academy, die 2005 gegründet wurde, kurz vor der Übernahme des Vereins durch Red Bull.

Dass dieses Engagement erst Jahre später Früchte zu tragen beginnt, fügt sich in den Start-up-Gedanken. In der Akademie werden Fußballer ab zwölf Jahren ausgebildet, sie muss sich nicht hinter der Jugendarbeit großer europäischer Vereine verstecken. „Etwa 40.000 junge Leute kommen pro Jahr mit unserem Projekt in Berührung“,

Amerikanische Fans im Stadion in San José, Kalifornien: Bei der Heim-WM 2026 wird die USA den begabtesten Kader ihrer Geschichte aufbieten können.

sagt Akademie-Leiter Sean McCafferty. „Wir suchen wirklich überall nach Talenten, wir fördern Trainer, und ich glaube, dass es kein Zufall mehr ist, dass wir nun US-Profs sehen, die auch taktisch besser ausgebildet sind.“ Wie Tyler Adams, der auf vielen Positionen eingesetzt werden kann. Im Alter von 16 Jahren musste er eine schwerwiegende Entscheidung treffen – eine, die die meisten Amerikaner so nicht kennen.

Die Red Bulls boten ihm im März 2015 einen Profvertrag an – in Europa völlig normal, in den USA ein Problem: Wer als Teenager mit Sport Geld verdient, darf kein Stipendium an einer Uni annehmen. Das allerdings ist das Ziel vieler junger Leute: sich über Sport das in den USA sündhaft teure Studium (an Elite-Unis kosten vier Jahre inklusive aller Gebühren, die die Sportfakultät bei Talenten komplett übernimmt, schon mal 300.000 Dollar) zu fnanzieren. Den Profvertrag zu unterschreiben war für Adams ein Risiko: „Meine Mutter wollte eigentlich, dass ich eine Uni besuche, aber sie hat verstanden, dass dies der richtige Weg für mich ist.“

Ausbildungsliga? Unerhört!

Das ist ein weiterer Aspekt, den US-Fußballvereine mittlerweile verinnerlicht haben: Sie müssen den Talenten, die sie ausbilden, eine Perspektive bieten, und an Adams wird das Alleinstellungsmerkmal der Red Bulls sichtbar. „Mein Mentor Jesse Marsch hat mir einen Weg aufgezeigt, wie das klappen könnte mit dem Proffußball“, sagt Adams. Der Plan sah so aus: Spielzeit bei Red Bulls II, Training mit den Profs – also genau das, was zum Beispiel Thomas Müller beim FC Bayern durchlaufen hat. Adams musste nicht, wie es etwa bei Christian Pulisic der Fall war, als Teenager nach Europa übersiedeln; er konnte sich Zeit lassen: „Ich konnte hier reifen, auch als Mensch; ich konnte meinen Schulabschluss machen – und war dennoch Prof.“ 2016, mit siebzehn, gab er sein MLSDebüt, zwei Jahre später gewann er mit den Red Bulls den Grunddurchgang der Saison, und im Jänner 2019 trat ein, was ihm New York als Schlagobers-Häubchen obendrauf bieten konnte: die Brücke nach Europa aufgrund der Verbindungen nach Salzburg und Leipzig. Er folgte seinem Mentor Marsch, damals Co-Trainer in Leipzig, in die Bundesliga. Bemerkenswert ist, was Akademie-Leiter McCafferty über den Transfer sagt: „Wir haben von ihm proftiert, er hat von uns proftiert – und nun proftieren Leipzig und die USNationalelf davon. Für uns ist das ein gewaltiger Erfolg.“ So eine Aussage klingt für einen Europäer, McCafferty ist Ire, völlig normal – in den USA ist so etwas unerhört. Es ist unvorstellbar, dass die Lakers über einen Spieler sagen würden: „Den haben wir jahrelang gefördert, jetzt rockt er eine andere Liga und hilft dem Dream Team: gewaltiger Erfolg für uns.“ Doch genau das mussten die Amerikaner akzeptieren: dass die MLS derzeit eine Ausbildungsliga für die ganz großen Talente ist. „In 20 Jahren können wir vielleicht versuchen, einen wie Adams ein bisschen länger zu halten“, sagt McCafferty. „Die Realität derzeit ist eine andere, aber wir sehen die ersten Früchte unserer Arbeit. Das ist nur der Anfang.“

„Wir wollen in den USA immer sofort die Besten sein und nicht über den langwierigen Prozess bis hin zum Erfolg nachdenken.“

Jesse Marsch, 47, Coach Red Bull Salzburg, ab Sommer RB Leipzig Geduld muss noch geübt werden

Es ist erstaunlich, wie sie umgedacht haben im US-Fußball, und keiner könnte das besser beurteilen als Jesse Marsch. Als Spieler absolvierte er die traditionelle amerikanische Sportlerkarriere: CollegeStipendium an der Princeton University in New Jersey, 14 Jahre MLS-Prof. Dann Trainer beim US-Verband und in Princeton, gefolgt von Jobs auf der Trainerbank der New York Red Bulls, RB Leipzig, Red Bull Salzburg und ab Sommer wieder RB Leipzig – als Nachfolger von Julian Nagelsmann. „Wir wollen in den USA

Talentepool: Ein Nachwuchs-Team der New York Red Bulls schwört sich auf das Spiel ein. Bis man die besten Spieler in der US-Liga halten kann, wird es wohl noch eine Weile dauern.

Das Gesicht des US-Nationalteams: Christian Pulisic, 22, hier mit der Nummer 10 in einem Freundschaftsspiel gegen Italien

immer sofort die Besten sein und nicht darüber nachdenken, dass diesem Erfolg oftmals ein langwieriger Prozess vorausgeht“, sagt er. „Wir sehen jetzt die ersten Produkte eines Systems, das wir vor mehr als 15 Jahren eingeführt haben.“

Es sei nun leichter, Talente (und vor allem deren Eltern, die ein anderes Sportsystem gewohnt sind) von den Fußball-Akademien zu überzeugen, wenn es Vorbilder wie Tyler Adams gibt und die heimische MLS keine Rentner-, sondern eine Talente-Liga ist: „Junge Leute dürfen nun davon träumen, internationale Stars zu werden. Das hat sich verändert, aber wir dürfen nicht vergessen, dass wir noch einen weiten Weg vor uns haben.“

Bei aller Freude über den Erfolg: Alle wissen, dass sie bloß die ersten Kilometer eines Marathons absolviert haben. „Der nächste wichtige Schritt: „Wir brauchen qualifzierte Jugendtrainer, die Grundschulkindern die Basics beibringen: nicht nur Technik, sondern auch Spielfreude, Taktik, Psychologie – was eben im jeweiligen Alter notwendig ist“, sagt Marsch. „Wir dürfen Talente nicht erst in den Akademien fördern, sondern müssen schon auf Bolzplätzen dafür sorgen, dass sie diese Kultur verinnerlichen.“ Oder, in aller Deutlichkeit: dass ein Talent nicht zu einer Sportart wie Basketball oder Baseball wechselt, weil der Fußballtrainer ahnungslos ist und der Coach der konkurrierenden Disziplin ein Ex-Prof oder ein bestens ausgebildeter Trainer. Kinder merken so was.

Was noch fehlt: eine adäquate Ausbildung außerhalb der MLS-Akademien; eine Ligenstruktur wie in Europa, vielleicht sogar mit Auf- und Abstieg, sowie und sie mit der amerikanischen Kultur verbunden. Profvereine sichten Talente selbst und bilden sie aus. Sie akzeptieren, den besten Spielern vorerst nur als Sprungbrett nach Europa zu dienen – diese Sorte Bescheidenheit ist keine amerikanische Tugend. Dazu: Geduld bei der Entwicklung des Systems – auch das keine typisch amerikanische Eigenschaft. Ziel ist es, mit den etablierten USSportarten um Talente zu konkurrieren. Sie müssen nicht mehr David Beckham oder Zlatan Ibrahimović holen, amerikanische Kinder haben nun Tyler Adams als Poster im Zimmer hängen. Das Trikot von Christian Pulisic ist nach dem von Lionel Messi Topseller im Land.

„Ich konnte Profi sein, aber gleichzeitig die Schule abschließen und als Mensch wachsen.“

Tyler Adams, 22, Mittelfeldspieler RB Leipzig

semiprofessionelle Teams in ländlichen Gebieten, was noch engmaschigeres Scouting erlauben würde. Die Option, als Teenager bei den Profs zu unterschreiben – und dann, sollte es nicht klappen mit der Karriere, doch ein Stipendium an einer Uni annehmen zu dürfen: Prof Adams, Trainer Marsch und AkademieLeiter McCafferty haben all das erkannt.

Sie haben im US-Fußball das getan, was auch Tech-Start-ups tun: Sie haben eine Branche aufgewirbelt, in diesem Fall den US-Jugendsport. Wie ein junges Unternehmen haben sie sich umgesehen in der Welt, ein paar Ideen übernommen

„Etwa 40.000 junge Leute kommen pro Jahr mit unserem AkademieProjekt in Berührung.“

Sean McCafferty, 42, Leiter der New York Red Bulls Academy

Heim-WM als Brandbeschleuniger

Der Erfolg bei einer WM lässt sich nur bis zu einem gewissen Grad planen; die Deutschen vergessen etwa bei den verklärten Erinnerungen an den Weltmeistertitel 2014 oft, dass ihre Nationalelf im Achtelfnale gegen Algerien dem Scheitern gefährlich nahe war. Was die Amerikaner allerdings wissen: Sie haben 2026 zur WM den begabtesten Kader ihrer Geschichte, und vielleicht ist die Heim-WM (bei der Gastgeber oft weiter kommen, als es die Qualität des Kaders vermuten lassen würde) auch das, was sie 2006 für Deutschland gewesen ist: die Grundlage für spätere Erfolge.

Die US-Fans sind nicht mehr verrückt, wenn sie glauben, dass ihre Nationalelf weit kommen kann bei der WM 2026 im eigenen Land. Sie werden ihren Schlachtruf brüllen, nur wird dahinter eher gesundes Selbstbewusstsein als Größenwahn stehen: „I believe that we will win!“

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