Terra Mater Ausgabe 5/17

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AUSGABE 05 / 2017 SEPTEMBER / OKTOBER AT/DE/IT   EUR 7,00 CH   SFR 9,00 BE/LUX   EUR 8,00

DAS WUNDER GALAPAGOS

Auf einer kleinen Inselgruppe im Pazifik erschuf die Evolution eine andere Art von Leben

LAUNE DER NATUR Was rothaarige Menschen so besonders macht COOLES AFRIKA Johannesburg erblüht zur Szene-Metropole des Kontinents GROSSE KATZEN Das überraschend kluge Verhalten von Tansanias Löwen


INHALT TERRA MATER September / Oktober 2017

126 WELTBILD 10 MOMENTAUFNAHMEN VON MUTTER ERDE Von der Welthauptstadt des Spielzeugs, der Erde bei Toledo und einem Revierkampf in Florida. 20 EIN MENSCH IN PATAN Der nepalesische Schweißer Dhan Bahadur Bishwokarma über den Gewinn, den ihm die Krise seines Landes gebracht hat. 22 EIN WUNDER NAMENS PLATTBAUCH-LIBELLE Was das Insekt zur Herrscherin der Lüfte macht.

MENSCHEN 48

HOFFNUNG FÜR JOHANNESBURG Lange Zeit war das Zentrum der südafrikanischen Metropole ein Hort von Hoffnungslosigkeit und Kriminalität. Jetzt bringen smarte Investoren Kultur, Sicherheit und Spaß ins Zentrum. Und der Bezirk blüht auf.

80 IM KOPF EINES PSYCHOPATHEN James Fallon entdeckte durch Zufall, dass sein Gehirn nicht in der Lage ist, Mitgefühl zu entwickeln. Im Interview erzählt er, wie sehr ihm das bis heute zu denken gibt. 108 VOR DER FLUT Ein Damm in der Türkei soll einen Abschnitt des Tigris in einen Stausee verwandeln – und damit das Leben zehntausender Flussanrainer verändern. Immerhin wurde jetzt wertvolles Kulturgut ins Trockene gebracht.

Coverfotos: Tui de Roy, Helmut Mitter

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Fotos: Tui De Roy, Per Anders Pettersson, Helmut Mitter, Hans Hochstöger, Marc Moll, Babirad Picture, Rethink

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32 NATUR

WISSEN 24 EIN TAG, DER DIE WELT VERÄNDERTE Als die Bilder flimmern lernten: Am 7. September 1927 präsentierte Philo Farnsworth elektronisches Fernsehen. 28

MEILENSTEINE DER ZEITMESSUNG Die Bulgari Octo Finissimo ist die derzeit dünnste Automatik-Armbanduhr der Welt.

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REICHER ALS DIE SCHEICHS Während der britischen Vorherrschaft in Indien ver­ trieben sich viele Maharadschas die Zeit damit, märchen­ hafte Summen für Luxus und Prunk auszugeben. Wir blinzeln auf ihr funkelndes Vermächtnis.

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DIE AUSSERGEWÖHNLICHEN Lange litten Menschen mit roten Haaren unter Vor­ urteilen und Verfolgung. Jetzt ergründen Forscher, was diese auffällige Minderheit wirklich besonders macht.

97 DAS TERRA MATER JOURNAL Neues aus Wissenschaft und Forschung

32 DIE RUDEL VON RUAHA Seit Jahren folgt Owen Prümm Löwen in Tansania. Jetzt hat er die Tiere bei Verhaltensweisen gefilmt, die so gar nicht in unser Bild von den Großkatzen passen. Wir suchen nach einer Erklärung. 126

DAS WUNDER GALAPAGOS Auf der abgeschiedenen Inselgruppe im Pazifik ­entwickelte sich das Leben anders als im Rest der Welt. Ein Lokalaugenschein in einem einzigartigen Parallel­universum.

STANDARDS 3 6 8 140 142 144 146

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AM NABEL DER PLASTIKWELT YIWU, CHINA. Die Industriestadt

250 Kilometer südwestlich von Shanghai ist der weltweit wichtigste Umschlagplatz für Kurzwaren made in China. Die Dame hier wartet allerdings nicht auf einheimische Passanten, sondern auf Zwischenhändler aus aller Welt. Insgesamt gibt es in der Stadt rund 50.000 solcher Läden, in jedem werden drei bis fünf Produkte angeboten. So finden hier Duftbäume, elektronisch düdelnde Kerzen, Schnuller oder eben auch Plastik-Schmetter­ linge ihre Abnehmer. Derzeit ­bereits besonders gefragt sind üb­ rigens Weihnachtsdekorationen. Foto: Raffaele Petralla

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WELTBILD

Foto: prospektphoto.net/Raffaele Petralla

Beeindruckende Momentaufnahmen von Mutter Erde

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KAMPFKUNST KGALAGADI TRANSFRONTIER NATIONAL PARK, BOTSWANA. Der Fotograf vermutet, dass diese Afri­

kanischen Borstenhörnchen ausgelassen spielen und dabei ihre Kampfkünste perfektionieren. Möglich wäre aber auch, dass die beiden einen ernsten Revierstreit ­austragen. Borstenhörnchen leben in unterirdischen ­Bauen, die sich auf über 2.000 Quadratmeter erstrecken können. Hier hausen mehrere Weibchen mit ihren Jung­ tieren. Die Damen des Hauses kümmern sich auch um die Abwehr vorwitziger Eindringlinge. Männchen schau­ en nur gelegentlich vorbei, sie leben die meiste Zeit des Jahres als Einzelgänger. Foto: Robert Goodell

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Foto: Caters News Agency/Robert Goodell

WELTBILD

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RAUBTIERE

DIE RUDEL

VON RUAHA Viele Monate verbrachte der Dokumentarfilmer Owen Prümm im Ruaha-Nationalpark in Tansania, um Löwen zu begleiten. Dabei entdeckte er Verhaltensweisen, die selbst für Experten unerklärlich sind. TEXT: PATRICK WITTE FOTOS: MARC MOL

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STADTENTWICKLUNG

HOFFNUNG FÜR

JOHANNESBURG Jahrzehntelang verfiel das Stadtzentrum der südafrikanischen Metropole und galt als lebensgefährlich für Besucher und Bewohner. Nun bringen junge Investoren Geld, Kultur, Sicherheit und Jobs in die Stadt – und schon beginnen hippe Lifestyle-Oasen zu blühen. TEXT: PATRICIA ENGELHORN FOTOS: PER-ANDERS PETTERSSON

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GESCHICHTE

E Thron des Maharadschas Ranjit Singh Der mit geprägtem Gold überzogene Holzstuhl diente dem letzten von Großbritannien unabhängigen Herrscher. Und vermittelt bis heute einen Eindruck vom einstigen Reichtum der Region.

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S IST EIN PRÄCHTIGER TAG IM NORDEN INDIENS der Zwischen­

kriegszeit. Alles ist vorbereitet für das glanzvolle Fest, das mit sei­ nem Prunk in die Annalen ein­ gehen soll. Denn heute wird eine Hochzeit gefeiert, die Mahabat Khan III., dem Herrscher des Staates Junagadh, sehr am Herzen liegt. Gold, Silber und Edelsteine zieren die Braut. Doch nicht etwa eine Tochter des Herrschers heiratet, nein – es ist der Hochzeitstag seiner Lieblingshündin Roshanara. Sie ehelicht den flotten Golden Retriever Bobby. Hunde sind für Mahabat Khan III. der Sinn des Lebens. 800 Tiere zählt seine Zucht. Jedes hat ein eigenes Zimmer im Palast, mit eigenem Tele­ fon und eigenem Diener, der dem Vierbeiner ins elegante Gewand hilft. So auch bei der Hochzeit von Roshanara. Sie wird, mit Juwelen behangen, in einer silbernen Sänfte zum Fest getragen. 250 in Brokat gekleide­ te Hunde erwarten mit Ehrengarde und Militär­ musik am Bahnhof die Ankunft des Bräutigams. Das anschließende Fest dauert drei Tage, wie es bei Hochzeiten Tradition ist. Natürlich sind auch

menschliche Gäste eingeladen, Tausende strömen zum gesellschaftlichen Ereignis des Jahres herbei. Nur einer verweigert, trotz Einladung, seine Reve­ renz: Lord Irwin, der britische Vizekönig. Die Hunde-Sause illustriert die teils bizar­ ren Folgen der britischen Vorherrschaft in Indien. Dank der Bevormundung durch die Europäer wa­ ren die Maharadschas praktisch arbeitslos – aber weiterhin extrem wohlhabend. Sie sind die höchste Instanz in ihren 600 kleinen bis sehr großen Staa­ ten, die sie absolut beherrschen – Maharajadhiraj ist Sanskrit und steht für „König der Könige“. Sie dürfen leiten und verwalten, Steuern einheben und wieder investieren, Bildung und Kunst fördern so­ wie Verbrechen bestrafen, gesellschaftliche Werte reformieren und Traditionen bewahren. Was sie je­ doch nicht dürfen, ist Außenpolitik betreiben. Kein Maharadscha kann die Grenzen seines Reiches er­ weitern, alle müssen sie mit ihren Nachbarstaaten auskommen. Keine kostspieligen Kriege, keine teu­ ren, stehenden Heere. Da bleibt viel Zeit und Geld. Für richtig teure Hobbys. Es beginnt alles mit der im Jahr 1600 in England gegründeten East India Company. Sie sollte am lukra­ tiven Gewürzhandel mit Ostindien und Indonesien mitnaschen. Um gegen die Konkurrenz aus Portu­ gal, Frankreich und den Niederlanden zu bestehen, wird sie von Königin Elisabeth I. mit umfassen­ den Rechten ausgestattet. Eines hat die Krone ur­ sprünglich nicht im Sinn: Indien zu unterwerfen. Bald beginnt zwischen den europäischen Handelsgesellschaften ein Wirtschaftskrieg um Indien, und die East India Company wählt eine besonders aggressive Expansionsstrategie: Nieder­ lassungen der Konkurrenz werden attackiert, Al­ lianzen mit indischen Herrschern geschmiedet. Agenten der Company stürzen unkooperative Machthaber und hieven an deren Stelle gefügige Marionetten an die Spitze. Schon bald unterhält das Unternehmen eine mächtige firmeneigene Armee mit lokalen Söldnern. Sukzessive übernimmt die East India Com­ pany die Herrschaft am Subkontinent, bis ihr der Mogulkaiser in Delhi das Recht einräumt, in be­ stimmten Regionen Steuern zu erheben – ein ver­ zweifelter Versuch, sein kollabierendes Reich zu bewahren. So wird ein Handelsunternehmen zum Herrscher über mehrere Millionen Inder. Selbst die Regierung in London hat wenig mitzureden. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts rächt sich die Gier: Die Ausgaben für die Söldner belasten die Kasse, das Eintreiben der Steuern


Fotos: Babirad Picture, Interfoto

Maharadscha Yadavindra Singh von Patiala Das Collier umfasst 2.930 Diamanten, dar­ unter den siebentgrößten der Welt. Die Steine ­stammen aus Indien, zu einem Schmuckstück verarbeitet wurden sie von Cartier in Europa.

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DIE GANZ

BESONDEREN Lange hatten Menschen mit roten Haaren unter Vorurteilen, Ausgrenzung und sogar Verfolgung zu leiden. Jetzt ergründen Forscher, was die Mitglieder dieser auffälligen Minderheit wirklich außergewöhnlich macht. TEXT: IRENE HABICH FOTOS: HELMUT MITTER

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WISSENSCHAFT

Sophia, 12

„Mir geht es gut mit meinen roten Haaren. In der Volksschule wollten mich meine Mitschüler immer bürsten.“

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TERRA MATER

JOURNAL

Neues und Erstaunliches aus der Welt der Wissenschaft. In dieser Ausgabe: Veränderungen des Erdmagnetfelds, ein neuartiger Elektroantrieb und die wahre Kraft des Spinats. Mit Schwerpunkt zum Europäischen Forum Alpbach.

Foto: Rethink

TEXT: RAFFAEL FRITZ & VALENTIN LADSTÄTTER

Konflikt oder Kooperation? Roboter werden zusehends intelli­ genter. Dadurch steigt der Moder­ nisierungsdruck für Unternehmen, und viele Jobs sind durch künstli­ che Intelligenz bedroht. Doch der

Einsatz von klugen Maschinen birgt auch Chancen: In einigen Industrie­ zweigen werden bereits Cobots – kollaborative Roboter – eingesetzt. Diese mechanischen Kollegen unterstützen den Menschen, anstatt

ihn zu ersetzen. Sie übernehmen anstrengende und gefährliche Tätig­ keiten oder assistieren in der Logis­ tik. Konflikt und Kooperation – das ist auch das übergreifende Thema beim Europäischen Forum Alpbach

von 16. August bis 1. September 2017. Die Chancen und Herausfor­ derungen von künstlicher Intelligenz und revolutionären Technologien bilden einen der Schwerpunkte des mehrwöchigen Programms.

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DIE MATHEMATIK DER EVOLUTION

Martin Nowak errechnet, was Charles Darwin noch nicht wissen konnte: dass Kooperation eine wesentliche Rolle bei der Entwicklung des Lebens spielt.

Martin Nowak wuchs in Niederösterreich auf und studierte Biochemie und Mathematik an der Univer­ sität Wien. Nach Aufenthal­ ten an den Universitäten Ox­ ford und Princeton wechselte Nowak 2003 nach Harvard. Dort ist er als Professor und Direktor des Programms für Evolutionsdynamik tätig. Beim diesjährigen Europäi­ schen Forum Alpbach hält Martin Nowak die Eröff­ nungsrede.

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TERRA MATER: Sie bezeichnen die Kooperation als Chefarchitektin der Biologie. Wie ist das zu verstehen? MARTIN NOWAK: Die großen Schritte der Evolution bauen auf Kooperation auf: Die Entstehung des Lebens selbst, also die erste Zelle, dann die höheren Zellen mit Kern und Organellen, die ersten viel­ zelligen Organismen, aber auch staaten­ bildende Insekten und selbst der Mensch mit seiner Kultur – all diese großen Er­ rungenschaften wurden durch Koopera­ tion erst möglich.

− Wie wichtig ist Kooperation im Vergleich zu Mutation und Selektion, wie wir sie seit Darwin kennen? Mutation und Selektion sind die funda­ mentalen Prinzipien der Evolution. Die Mutation erzeugt zuerst durch zufällige Veränderungen die genetische Vielfalt. Darauf baut dann die Selektion auf, also das Konzept, nach dem sich unterschied­ liche Genome unterschiedlich schnell ausbreiten. Das ist die Welt des klassi­ schen Darwinismus, also die Welt des Wettbewerbs. Dort heißt es, jeder gegen


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