Terra Mater

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RE PORTAGEN

18 Sechs erstaunliche Bilder

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von Mutter Erde: von Nashörnern mit Bodyguards bis zum größten Säuresee der Welt.

Als Seenomaden segelten die Bajos jahrhundertelang auf ihren Booten durch den Westpazifik. Vor ein paar Jahren schenkte ihnen die indonesische Regierung Häuser und machte sie sesshaft. Davon haben sie sich nie erholt.

28 Schaubild

Klimawandel: Wie lange haben wir noch, bis uns das Wasser bis zum Hals steht?

30 Ein Mensch in Afrika

Paty Alé verkauft Eier in den Straßen von Bangui in der Zentralafrikanischen Republik.

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Wer so einen langen Hals hat, braucht ein spezielles Kreislaufsystem zum Überleben.

36 Ein Tag, der die Welt veränderte 84

Goldrausch im wilden osten Ausgerechnet in der Mongolei, einem der ärmsten Länder Asiens, verbirgt sich ungeheurer Reichtum an Bodenschätzen. Die einheimischen Hirtennomaden hat das zu Glücksrittern gemacht: Zehntausende schürfen in illegalen Minen nach Gold – ohne Rücksicht auf Verluste.

Coverfoto: Cory Richards Mbo Tadi vom Volk der Bajo beim Fischfang

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der hexer von nairobi Dominic Wanjihia erzeugt Strom aus Kuhfladen und kriegt eine ganze Fischzucht auf ein Moped. Der Kenianer hat eine Mission: Er will mit smarten Ideen und einfacher, leistbarer Technik das Leben seiner afrikanischen Landsleute verbessern.

32 Ein Wunder namens Giraffe

5. Februar 1909: Die märchenhafte Geschichte von der Erfindung des Plastiks.

Glück ist kein Ort

fabelhafte kolibris Der kleinste Vogel der Welt ist auch der verblüffendste: Schon seine einzigartigen Flugfähigkeiten sind ein erstaunliches Wunder der Natur. Plus: eine Reportage aus der texanischen Kleinstadt Rockport, wo die Kolibris alljährlich auf ihrer Reise in den Süden Rast machen.

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Fotos: Luca Zanetti, Papilio/Alamy, Cory Richards, Siegfried Modola/Agentur Focus, Sven Zellner/Agentur Focus, Oskar Schmidt, Getty Images (2), Drew Jarrett; Illustrationen: David McCandless, Andreas Leitner

terr a mater | Dezember 2012


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Der Vater des Öls Der Neuseeländer Frank Holmes war in den 1920er-Jahren der Erste, der begriff, dass die Araber auf einem Ozean von Erdöl sitzen. Die unglaubliche Geschichte des Mannes, der die Scheichs reich machte.

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Von Menschen und Kühen Der englische Landarzt Edward Jenner veränderte Ende des 18. Jahrhunderts die Welt: Er etablierte gegen heftigen Widerstand die Pockenschutzimpfung in der Medizin. Und setzte damit einen unverrückbaren Eckstein in der Geschichte der Immunologie.

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Die zweite Sonne In Frankreich baut eine internationale Staatengemeinschaft unter EU-Führung um 16 Milliarden Euro eine Maschine, die ein Stück Sonne auf Erden erschaffen soll: Besuch auf der Baustelle des Kernfusionsreaktors ITER.

172 Eric Kandel

Der weltberühmte Gedächtnisforscher und Nobelpreisträger im Gespräch mit Herbert Völker: über seinen Lebensweg, die Bedeutung der Meeresschnecke für die Erforschung des Gehirns und die Frage, was Kunst mit Biologie zu tun hat.

180 T. C. BOyle

Windsbraut: Eine stürmische ­Liebesgeschichte auf den windumtosten Shetlandinseln, erzählt von einem der wortgewaltigsten Schriftsteller der Gegenwart. T. C. Boyle

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7 Editorial 10 Logbuch 12 Terra Mater Society Das Leser-Forum. 14 Impressum 188 Terra Mater im TV

Die Programm-Highlights aus der Produktion der Terra Mater Factual Studios bei ServusTV.

194 Noch Fragen?

Ungelöste Rätsel der Wissenschaft.

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VĂślk e rkunde

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Glück ist kein Ort Als Seenomaden segelten die Bajos jahrhundertelang durch den Westpazifik. Vor ein paar Jahren schenkte ihnen die indonesische Regierung Häuser und machte sie sesshaft. Davon haben sie sich nie erholt.

Text: Juan Moreno Fotos: Cory Richards

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„Feste Boote“ nennen die Bajos ihre Pfahlbauten. Sie müssen aufgrund der Witterung im Schnitt alle zwei Jahre neu errichtet werden.

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Bis heute haben sich die Seenomaden an ein Leben in festen Häusern nicht gewöhnt.

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Bajo-Kinder haben kein Spielzeug. Dieser Bub hat zum Geburtstag einen Greifvogel bekommen.


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Bajos können bis zu fünf Minuten unter Früher waren Tintenfische heilig. Das ist vorbei, Wasser bleiben und dabei 30 Meter tief tauchen. seit Fischhändler aus China ein Vermögen dafür zahlen.

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FOTOS: SIEGFRIED MODOLA/AGENTUR FOCUS

Dominic Wanjihia erzeugt Strom aus Kuhfladen und kriegt eine ganze Fischzucht auf ein Moped. Die Erfindungen des Kenianers mögen etwas seltsam aussehen, in der Praxis wirken sie Wunder. Der Mann hat eine Mission: Er will mit smarten Ideen und einfacher, leistbarer Technik das Leben seiner afrikanischen Landsleute verbessern.

Text: Thomas Bischof Fotos: Sieg fried Modola

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eauty ist zweifellos eine Schön-

heit. Die braungefleckte Kuh steht im Garten vor Dominic Wanjihias Büro am östlichen Rand von Kenias Hauptstadt Nairobi und frisst genüsslich Gras. Das spart den Rasenmäher, lacht Wanjihia. Von seinem Schreibtisch aus hat der Chief Executive Officer der Firma „Simply Logic“ freien Blick auf Beauty, „Wenn ich etwas sehe, die Luft riecht wie was nicht funktioniert frisch gewaschen, ein oder deutlich verbessert paar exotische Vögel werden kann, dann schreien. beginne ich zu erfinden.“ Es ist vielleicht nicht ganz die Atmosphäre, die man erwartet, wenn man mit dem Chef eines Konstruktionsbüros verabredet ist, dem in ganz Kenia der Ruf als genialer Erfinder vorauseilt. Der Schreibtisch steht auf dem überdachten Vorplatz eines spartanischen Zweizimmerhäuschens, in dem Dominic Wanjihia auch wohnt. Er braucht nicht mehr, schließlich hat er weder Frau noch Kind. Die 50-m²-Hütte ist das ehemalige Personalquartier eines größeren Hauses, das nebenan unbewohnt vor sich hin modert. Auch optisch entspricht der Erfinder nicht unbedingt dem Bild des Wissenschafters, der in der keimfreien Umgebung eines Hightechlabors an bahnbrechenden Entdeckungen arbeitet. Er trägt ein buntes Tropenhemd und Cargohosen, dazu Wanderschuhe und ein Safari-Gilet mit vielen Taschen, in denen Platz ist für Kugelschreiber und allerhand Werkzeug. Allenfalls vermitteln die um seinen Hals baumelnde Brille, der auffallend wache Blick und der vor ihm aufgeklappte Laptop einen Hauch von kreativer Kompetenz. Aber an Äußerlichkeiten liegt Dominic Wanjihia nicht viel. Was ihn interessiert, sind Lösungen für Probleme, von denen Forscher in den Studierstuben unserer Breiten keine Ahnung haben, weil sie deutlich unter ihrer Wahrnehmung stattfinden. Er tüftelt an der Beantwortung von Fragen, die sich in besser entwickelten Weltgegenden gar nicht stellen. Dafür haben sie in Afrika umso Afrika höhere Dringlichkeit: Wie könnte eine EnergieKenia quelle für Menschen aussehen, für die das öffentNairobi

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liche Stromnetz unerreichbar ist? Womit lassen sich die Hungersnöte vermeiden, die im Schnitt alle fünf Jahre, nach großen Dürren, ausbrechen? Was tun gegen die allgegenwärtige Malaria, an der in Kenia alle 30 Sekunden ein Kind stirbt? Dominic Wanjihia spricht ohne Punkt und Komma, seine Begeisterung ist ansteckend. Er wirkt jugendlich trotz seiner 47 Jahre. „Wenn ich etwas sehe, was nicht funktioniert oder deutlich verbessert werden kann, dann beginne ich zu erfinden“, sagt er. „Ich frage mich dann so


Flexible Biogasanlage Das Kraftwerk im eigenen Garten: Ein Plastiksack, täglich befüllt mit verdünntem Kuhdung, liefert genug Methan, damit für eine vierköpfige Familie gekocht oder über einen Generator Strom erzeugt werden kann.

1: Biogaskonverter vor der Hütte des Bauern Nickson Parmisa im KitengelaWildtierkorridor: Er hat mehrere Probleme auf einen Schlag gelöst. 2: Parmisas Frau Loreen beim Befüllen der Anlage. Die Idee, mit Kuhfladen oder anderem ekligen Abfall zu kochen, braucht mitunter mühsame Überzeugungsarbeit.

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FOTO: FRANS LANTING/AGENTUR FOCUS

Der kleinste Vogel der Welt ist auch der verblüffendste: Gemessen an seiner Körpergröße, ist er das schnellste Wirbeltier von allen. Und seine einzigartigen Flugfähigkeiten sind ein erstaunliches Wunder der Natur.

Text: Klaus Kamolz

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Das beste Fluggeschwader der Welt

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em grossen gott war nicht

viel übriggeblieben, als er die Vögel erschaffen hatte. Ein paar Federn nur, und die waren nicht die allerschönsten. Ein kleiner Vogel ging sich aber noch aus. Und weil das Geschöpf so winzig geriet, so grau und unscheinbar war, machte Gott, dass es fliegen konnte wie kein anderer Vogel. Auf der Stelle schwebend, vorwärts und rück­ wärts, seitlich und mit der Brust nach oben. Dann waren immer noch ein paar Federn da für einen zweiten kleinen Vogel. Gott ordnete eine Hochzeit zwischen den beiden an. Schmetterlinge erfüllten die Luft, Blumen streuten ihre Blüten, und Spin­ nen woben ein Hochzeitsnest. Doch das un­ scheinbare Brautpaar war nicht glücklich. Da schenkten die anderen Vögel ihnen ihre schönsten Federn, und die Sonne kam hervor,

Seit mehr als 30 Millionen Jahren leben die winzigen Vögel auf der Erde. um die Heirat zu besiegeln. Die beiden tanz­ ten in der Luft, und sobald sie die Sonne ­a nsahen, begann ihr Gefieder, in den schil­ lerndsten Farben zu leuchten.

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So erzählten die Maya die Entstehung der Kolibris. Und das ist nur eine der zahl­ losen Legenden, die sich auf dem amerika­ nischen Kontinent um die kleinsten Vögel der Welt ranken. Sie gelten als Götterboten und Regenmacher; sie sind Symbole der Wieder­ geburt und der Ewigkeit. Es war ein Privileg der aztekischen Priester und Herrscher, sich mit den Federn und Bälgen der Kolibris zu schmücken, um sich ihre Eigenschaften gleichsam einzuverleiben. Ein Herz, so tapfer wie jenes des Adlers, dichteten ihnen die karibischen Taino-India­ ner an, und weil die männlichen Vögel gern hoch emporsteigen, um anschließend im Sturzflug ein Weibchen zu beeindrucken, glaubten die Navajo, sie würden in ihrer Neu­ gier nicht auf­hören nachzusehen, was hinter dem Blau des Himmels verborgen liegt. Nach einer puerto-ricanischen Überliefe­ rung waren Kolibris auch die Hauptdarsteller in einem der größten tragischen Liebesmoti­ ve. Ein Paar aus verfeindeten Stämmen ver­ liebte sich, und um nicht aufeinander verzich­ ten zu müssen, verwandelte er sich in einen Kolibri und sie in eine rote Blume. Romeo und Julia im schillernden Gefieder – mit dem einzigen Unterschied, dass der etwas lieder­ lich veranlagte Kolibrimann vergaß, welche Blume nun genau die seine war, und fortan sein Leben damit verbrachte, unentwegt von Blüte zu Blüte zu schwirren.

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2 Taubenschwänzchen: Diese Schmetterlingsart wird von Laien oft mit ­Kolibris verwechselt.


FOTOS: WILDLIFE GMBH, BRESSON THOMAS, TOM UHLMAN/ALAMY/MAURITIUS (2)

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1 Ein Rotschwanz-Schattenkolibri saugt Nektar aus einer Hibiskusblüte. Sein stark gebogener Schnabel ist ideal, um die Nahrung aus dem Blütenkelch zu bekommen. 3 Rubinkehlkolibri-Weibchen bei der Fütterung ihrer Jungen: In dieser Phase benötigt die Mutter zusätzliche Proteine in Form von Insekten. 4 Junge Rubinkehlkolibris müssen rasch heranwachsen. Schon in ihrem ersten Lebensjahr steht ihnen ein langer und anstrengender Flug über den Golf von Mexiko bevor.

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„Er vermied es stets, das Gespräch bis zu einem Punkt gedeihen zu lassen, an dem ein Scheich ‚Nein‘ sagen konnte, und er wusste genau, wann von einer Sache überhaupt nicht gesprochen werden durfte.“

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Dorothy Holmes, Ehefrau von Frank Holmes, dem „Vater des Öls“

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Der Vater des Öls Bevor der Neuseeländer Frank Holmes an den Persischen Golf kam, war Arabien eine Wüste ohne Hoffnung. In den 1920er-Jahren war er der Erste, der begriff, dass die Araber auf einem Ozean von Erdöl sitzen. Und welche Bedeutung das einmal haben würde. Als der gerissene Geschäftsmann und Geologe nach zwanzig Jahren wieder ging, schwammen die Scheichs in Geld.

Abd al-Aziz ibn Saud, zukünftiger König von Saudi-Arabien, Frank Holmes, „Vater des Öls“, Sir Percy Cox, britischer Hochkommissar

FOTO: GETTY IMAGES

Uqair, 1922

Text: Josef Nyary

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qa ir ist ein gottverlassenes Wüsten-

nest am Persischen Golf. In den ausgeglühten Lehmziegelmauern der uralten Festungsruine hausen nur ein paar bettelarme Beduinen mit halbverhungerten Schafen und Ziegen. Doch die drei Männer, die sich im November 1922 in dieser weltfernen Einöde am Persischen Golf treffen, haben Großes im Sinn. Sie werden in diesen Tagen aus dem Orient das machen, was er bis

Ibn Sauds Kämpfer bei ihrem Eroberungsfeldzug durch Arabien. Die britische Rückendeckung dafür holt sich ibn Saud bei der Konferenz von Uqair.

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heute ist: einen Archipel archaischer Feudalpolitik auf einem Ozean aus Öl. Als Erster schlägt Abd al-Aziz ibn Saud mit einer wilden Horde kampferprobter Kamelreiter seine schwarzen Zelte auf. Der Emir von ­Nadschd, dem geheimnisvollen Hochland Innerarabiens, ist gut zwei Meter groß und mit seinen 42 Jahren als Kriegsheld längst eine Legende. Jetzt will der strenggläubige Stammesfürst auf den Trümmern des Osmanischen Reiches ein Großarabien errichten, mit Riad als neuem Machtzentrum der islamischen Welt. Sein Gegenspieler ist der britische Hochkommissar Sir Percy Zachariah Cox, oberster Repräsentant des Empire zwischen Istanbul und Indien.

Seine Rotröcke sollen ibn Saud daran hindern, nun auch noch den Irak und Persien zu erobern. Der Generalmajor ist ein Gentleman der alten Schule und kennt den Orient wie seine Westen­ tasche. Das einzige Foto der Konferenz zeigt einen distinguierten Herrn von 58 Jahren in feinem Zwirn mit Fliege und grauem Homburg auf einem Klappstuhl neben dem bärtigen Emir im ­t raditionellen Burnus. Doch wer ist der fette, aus allen Poren schwitzende Kerl mit dem lächerlichen Tropenhelm und der viel zu engen Jacke, der sich da so frech zwischen die beiden großen Männer drängt? Gilt etwa ihm das kaum verhohlene Grinsen des Arabers? Ist er schuld am säuerlichen Gesichtsausdruck des Engländers? Genauso ist es. Der dritte Mann heißt Frank Holmes und ist gerade dabei, die hochpolitische Konferenz in einen Bazar zu verwandeln. Cox will Politik machen, Holmes aber Geschäfte, und ibn Saud ist das gerade recht. Der Überraschungsgast hat sich selbst ein­ geladen. Holmes ist Neuseeländer, Bergbauingenieur und Ex-Major der Royal Naval Division. Vor allem aber ist er ein Indiana Jones der Geo­ logie. Ihn interessieren nicht die Kostbarkeiten vergangener Kulturen, er ist weit älteren Schätzen auf der Spur. Schätzen aus früheren Erdzeit­a ltern. Die Araber werden ihn bald Abu Naft nennen – „Vater des Öls“. Mit eiserner Entschlossenheit, unerschöpflicher Energie und oft unbegreiflicher Zähigkeit selbst bei aussichtslosen Unternehmungen sucht, erschließt und sichert Holmes seinen arabischen Freunden das schwarze Gold, von dem sie seither zehren. Unter den Bohrtürmen in der Wüste und an den Verhandlungstischen der Finanzwelt macht er so manchen Scheich reich – und ein bisschen auch sich selbst. Der gerissene Geschäftsmann ist mehr als nur ein wagemutiger Glücksjäger, er ist ein Prometheus der Moderne – hat er doch praktisch das arabische Ölgeschäft begründet. Und doch – bis heute feiert ihn keine Biografie, rühmt ihn keine Firmenchronik. „Hinter der Ölgeschichte in den arabischen Golfländern steht die Gestalt eines


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Mannes – unbekannt außerhalb der Ölindustrie und für die englischen Ölfachleute immer eine et­ was unangenehme Erinnerung“, schreibt der Lon­ doner Zeitungsreporter Wayne Mineau in seinem heute vergessenen 1950er-Jahre-Bestseller „The Go Devils“. Der „unberechenbare Neuseeländer“ versteht ursprünglich kaum etwas von Öl, spricht keine Silbe Arabisch und wirft alle Regeln, wie man die stolzen Kleinfürsten zu behandeln habe, über den Haufen. So, wie er schon bei der Anreise sein Arabisch-Lehrbuch über Bord warf. Doch, so Mineau: „Wo er mit seinem watschelnden Gang erschien, gewann er vom Fleck weg das Vertrauen von Kaufleuten, Scheichs und Personen königli­ chen Geblüts im ganzen Wüstentheater.“

auf den Grund geht, ist eine Art Himmelfahrts­ kommando: Schon frühmorgens 45 Grad Hitze, ständiger Wassermangel, lebensgefährliche Berg­ straßen, Cholera, Ruhr und jede Menge feindli­ che Stämme. 1908 werden die Briten in den Bergen der halbwilden Bachtiaren fündig, bei dem Dorf ­M asjid-i Sulaiman („Tempel des Salomon“) un„Wo er mit seinem ter den Kalkfelsen von Khusistan. Schon 1910 watschelnden Gang pumpt die erste Rohrleitung des Orients das Öl erschien, gewann er vom 250 Kilo­meter weit zur Küste. Dort wartet auf die Fleck weg das Vertrauen ­A rbeiter, was der Pipeline-Pionier „Bill“ Lawson der Scheichs.“ Lomax die „neun Plagen von Abadan“ nennt: Flöhe, Heuschrecken, Fliegen, Moskitos, Frösche, Pipelines rutschen, um sie zu säubern und den Öl­ Läuse, Dürre, heulende Hyänen und die unver­ fluss sicherzustellen. Das gespenstische Scharren, meidliche Gasvergiftung in der damals größten Jaulen und Gebrumm der unsichtbaren Reini­ Raffinerie der Welt. gungsmaschine unter der Erde ließ abergläubi­ Auch Frank Holmes wird bald so ein „Go sche Farmer an den ersten Ölfeldern im US-­ Devil“ sein. Der Ingenieurssohn kommt in Neu­ Bundesstaat Pennsylvania an höllische Mächte seeland in einem von Papas Brückenbauer-Camps denken. Die martialische Bezeichnung passt aber zur Welt. Sein Onkel managt eine Goldmine in auch ideal auf die ersten Driller in den Sand- und Südafrika und nimmt den 17-Jährigen in die Leh­ Steinwüsten des alten Orients. Die Arbeit bei der re. Danach schürft Holmes in Australien, China, späteren Anglo-Persian Oil Company (APOC), Russland, Malaysia, Mexiko, Uruguay und Ni­ die süd­iranischen Sickerquellen mit Bohrköpfen geria edle Metalle. Der Erste Weltkrieg über­ „Go Devils“ nennen die Amerikaner eine barbarische Kombination aus Gummischeiben, Wäschern, Bürsten und umlaufenden Messern, die mit dem Öl im Fußgängertempo durch die

FOTOS: CORBIS, PICTUREDESK.COM (3)

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1: Verlegung einer Ölpipeline: Himmelfahrtskommando bei 45 Grad Hitze. 2: Öltank der AngloPersian Oil Company: Die erste Ölquelle des Nahen Ostens wird 1908 in den Bergen Persiens gefunden. 3: Die großen Gegenspieler: Araberfürst ibn Saud (l.) und der britische Hochkommissar Sir Percy Cox (M.) bei einem Treffen 1917.

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rascht ihn in London. Erst ein paar Wochen mit einer Lehrerstochter verheiratet, meldet er sich zur Royal Naval Division, dem Lieblingskind Winston Churchills, damals Erster Lord der Admiralität. Die Royal Navy hat nicht genug Schiffe, also kämpfen Marineangehörige auch zu Land: erst bei der Verteidigung von Antwerpen, dann in Ägypten und zuletzt auf der türkischen Halbinsel Gallipoli. Holmes schafft es mit der ihm eigenen Hartnäckigkeit sogar, im Zuge seiner Bewerbung zu Churchill persönlich vorzudringen. „Wie alt sind Sie?“, fragt der große Mann. „Gerade vierzig, Sir“, antwortet der kleine. „Ein bisschen alt, nicht wahr?“ meint der Erste Seelord. 1

„Genauso alt wie Sie, Sir“, entgegnet Holmes. Ohne mit der Wimper zu zucken sagt Churchill: „Also ein Mann in den besten Jahren. Wir werden sehen, was sich machen lässt.“ Holmes wird Quartiermeister, zuständig für Verpflegung und Versorgung – es ist der ideale Job für ihn: Vier Jahre lang reist er durch den Orient und bis nach Ostafrika. Er macht Geschäfte, knüpft überall Kontakte – und hört Gerüchte über Unmengen Öl auch auf der anderen Seite des Golfs, in der Provinz al-Hasa an der Ostküste der Arabischen Halbinsel. Als Offizier kennt Holmes die Karten der britischen Admiralität. 1918 schreibt er seiner jungen Frau: „Ich persönlich glaube, dass es dort ein unermesslich großes Ölfeld gibt, das von ­Kuwait bis zur Küste reicht.“ Gleich nach Kriegs­ ende macht er mit diesem Wissen Pläne. 1920 gründet er mit einigen anderen Ingenieuren in London die Eastern and General Syndicates (EGS). Einziger Geschäftszweck: Bohrkonzessionen zu erwerben und mit Profit an die Ölgesellschaften der Londoner City zu verkaufen.

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1: Wüstenschiff: Dieses schlanke Wohnmobil schaffte sich ibn Saud mit Petrodollars an. 2: Politische Freundschaft: Ibn Saud und US-Präsident Roosevelt (r.) bei ihrem historischen Treffen 1945 an Bord der USS Quincy. 3: Die Hafenstadt Dschidda am Roten Meer, das Tor nach Mekka: Ibn Saud eroberte sie 1925. 4: Nachkommen: Ibn Saud hatte vermutlich 60 Kinder von 17 Frauen, darunter 32 Söhne.

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FOTOS: SEEGER PRESS, PICTUREDESK.COM (3), MAURITIUS IMAGES

Abd al-Aziz ibn Saud, 1911: Zehn Jahre zuvor war er zum Kriegshelden aufgestiegen, als er mit 40 Kamelreitern seine Vaterstadt Riad zurückeroberte.

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