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Finanzielle Hilfe bei Krebserkrankungen

Wenn Krebs zu Armut führt

Bei einer Krebserkrankung kann es schnell zu finanziellen Sorgen kommen. Dann kann die „Fondation Cancer“ einspringen. Die Zahl der Bedürftigen ist gestiegen, die meisten von ihnen sind Frauen.

Krebs ist eine tückische Krankheit, in vielen Fällen bemerkt man erst etwas von ihr, wenn sie schon weit fortgeschritten ist. Doch in den vergangenen Jahren hat sich viel getan. Die Therapiemöglichkeiten und Heilungschancen haben sich extrem verbessert. Starben vor 40 Jahren noch zwei Drittel aller Krebserkrankten, überleben heute genauso viele. Zumindest die ersten fünf Jahre. Dann gilt man – rein medizinisch – als geheilt.

„Aber ganz so einfach ist es nicht“, sagt Nathalie Rauh von der Fondation Cancer. „Die gestiegenen Heilungschancen haben paradoxe Effekte. Natürlich ist es schön, wenn mehr Menschen eine Krebserkrankung überleben, aber selbst, wenn man als geheilt gilt, heißt das nicht, dass alles so ist wie vorher. Die meisten Betroffenen haben anschließend chronische gesundheitliche Probleme, von denen sie sich nicht erholen, sondern mit denen sie leben müssen. Das System der staatlichen Hilfe ist gut in Luxemburg, aber Menschen, die nach einer Krebserkrankung soziale Probleme haben, können trotzdem durch die Maschen fallen.“

Gemeinsam mit ihrer Kollegin Lisa Noesen ist Nathalie Rauh zuständig für die finanziellen Hilfen, die die Fondation Cancer in bestimmten Fällen gewährt. Zwischen 1.800 und 9.000 Euro kann die Stiftung pro Jahr auszahlen, letztes Jahr lag der Durchschnitt bei 2.805 Euro pro Person. Durch die finanzielle Unterstützung möchte die Fondation Cancer verhindern, dass die Menschen, die schon durch die Erkrankung genügend Probleme haben, zusätzliche Existenzängste erleiden. „Wir sind kein Sozialdienst und konkurrieren nicht mit anderen sozialen

Wenn ein Mensch erfährt, an Krebs erkrankt zu sein, verändert sich das ganze Leben.

Diensten, die bereits existieren. Doch wir sehen, dass die Hilfen oft nicht ausreichen“, sagt Nathalie Rauh.

Medizinische Therapien werden in der Regel von der CNS übernommen, auch wenn diese im Ausland stattfinden. Doch Krebs wird häufig mit Bestrahlungen und Chemotherapien behandelt, was beides heftige Nebenwirkungen hat: Anfälligkeit für andere Infekte, Fieber, Haarausfall, Irritationen, Ausschläge und Trockenheit von Haut und Schleimhäuten, Appetitlosigkeit, Übelkeit, Müdigkeit und Erschöpfung. Bestimmte Medikamente, die wiederum die Nebenwirkungen in den Griff bekommen sollen, werden ganz oder teilweise von der Krankenkasse bezahlt, andere hingegen gar nicht. „Viele Betroffene bekommen durch die Therapie sehr trockene Haut, was schmerzhaft sein kann. Doch spezielle Cremes sind teuer und werden von der Krankenkasse nicht erstattet“, führt Nathalie Rauh als Beispiel an. Oder Perücken. Die Krankenkasse erstattet alle drei Jahre bis zu 250 Euro für eine Perücke, doch für eine gutes Exemplar, das man problemlos jahrelang täglich tragen kann, gibt man leicht zwischen 750 und 2.000 Euro aus.

Wenn ein Mensch erfährt, an Krebs erkrankt zu sein, verändert sich das ganze Leben. Vielen schlägt die Diagnose auf das Gemüt, psychische Erkrankungen wie Angststörungen oder Depressionen gelten als Begleiterscheinungen einer Krebsdiagnose. Selbst wenn die Krankheit als (vorerst) geheilt gilt, bedeutet es nicht, dass der oder die Betroffene anschließend wieder genauso belastbar und leistungsfähig ist wie vorher. Die Hälfte aller Krebserkrankten verliert in den sechs Jahren nach der Diagnose die Arbeitsstelle, besagt eine Studie in England. Selbst wenn also die Therapie erfolgreich geschafft ist und die Wiedereingliederung in den Job funktioniert hat, geht nicht alles einfach so weiter. Viele Menschen bekommen schon vorher die Kündigung oder müssen ihre Arbeit aufgeben, weil entweder die Therapie zu lange gedauert hat oder sie anschließend gesundheitlich nicht mehr in der Lage sind, wieder zu arbeiten.

171 Personen wurde im vergangenen Jahr finanzielle Hilfe von der Stiftung gewährt.

Anna M.* war noch jung, als bei ihr Brustkrebs diagnostiziert wurde. Die Mutter von vier Kindern im Alter zwischen drei und zwölf Jahren hatte gerade die Trennung von ihrem Mann hinter sich, da brachte die Krankheit ihre ohnehin schon schwierige Situation noch mehr durcheinander. Der Krebs hatte bereits Metastasen, also Tochtergeschwüre, gebildet. Zusätzlich zur Chemotherapie kamen Operationen und Bestrahlungen hinzu, seitdem ist Anna M. arbeitsunfähig und bezieht das sogenannte Einkommen zur sozialen Eingliederung REVIS, das seit 2019 das garantierte Mindesteinkommen RMG ersetzt. Allein Miete und Rechnungen zu bezahlen, ist für Anna zum Balanceakt geworden. Ihr Arzt schickte sie zur Fondation Cancer, um dort finanzielle Hilfe zu beantragen.

171 Personen wurde diese Hilfe im vergangenen Jahr von der Stiftung gewährt, insgesamt erhielten sie 479.700 Euro. Seit Beginn des Programms hat sich die Zahl von 38 im Jahr 2012 bis heute kontinuierlich gesteigert. In den vergangenen vier Jahren ist sie zwar fast konstant geblieben (2018 waren es 167), doch der Gesamtbetrag ist um deutliche 120.000 Euro

Die Fondation Cancer wurde 1994 als Informationszentrum und Anlaufstelle für Krebserkrankte und ihre Angehörigen gegründet. Sie unterstützt Betroffene gegebenenfalls auch finanziell. Zudem fördert sie Forschungsprojekte rund um das Thema Krebs. Ein Schwerpunkt der Arbeit der Fondation ist die Beratung von Betroffenen über allgemeine Gesundheitsleistungen und die jeweilige Kostenübernahme. In einem 80-seitigen Ratgeber auf Deutsch oder Französisch findet man alle nötigen Informationen.

www.cancer.lu

nach oben geschnellt, 2018 waren es noch 358.970 Euro. Die Zahl der Bedürftigen hat sich also nicht verändert, dafür aber die genehmigten Einzelbeträge.

Anna M. hat 4.200 Euro von der Fondation erhalten. Welche Rechnungen sie damit begleicht, wird von der Stiftung nicht kontrolliert. „Als wir mit den finanziellen Hilfen anfingen, haben wir die Rechnungen der Betroffenen bezahlt“, erklärt Nathalie Rauh. „Aber das war ein ungeheurer Aufwand. Also entschieden wir, Personen, die nicht genug Geld haben, einen bestimmten Betrag zu geben, aber nicht mehr zu überprüfen, was sie damit machen. Wenn sie ihre Stromrechnung damit bezahlen, dann ist das so, die muss ja schließlich auch bezahlt werden. Wir überprüfen aber vorher genau, ob die Personen wirklich einen Bedarf haben oder nicht.“

Die finanzielle Unterstützung der Fondation Cancer ist von bestimmten Kriterien abhängig, die regelmäßig angepasst werden. Im vergangenen Jahr waren 64 Prozent der Personen, die Beihilfe erhielten, Frauen. Fast die Hälfte (45 Prozent) aller Betroffenen war alleinlebend. Zehn Prozent waren alleinerziehende Frauen mit mindestens einem unterhaltsberechtigten Kind. Dass gerade Frauen in Gefahr sind, in Armut abzurutschen, ist nichts Neues. Viele arbeiten wegen der Kinder gar nicht oder in Teilzeit. Zudem kann die Krebsdiagnose die Partnerschaft stark belasten, nicht selten führt sie zur Trennung, erzählt Nathalie Rauh.

Von der Beantragung bis zur ersten Überweisung kann es schnell gehen, meist nur wenige Wochen, meint Lisa Noesen. Hauptsache, alle Papiere sind zusammen. Dann kann nämlich schnell entschieden werden. „Manchmal dauert es auch Monate. Wenn jemand zum Beispiel kein online-Banking macht und gerade mitten in der Therapie steckt, ist es nicht so einfach, alle Dokumente von den Banken zu bekommen.“ Seit einem halben Jahr arbeitet die junge Frau bei der Fondation. Dass so viele Menschen soziale Probleme haben, habe sie überrascht und im Medizinstudium wurde das nie thematisiert, erzählt sie.

Für viele Krebserkrankte ist die Fondation Cancer ein wichtiger Anlaufpunkt. Nicht nur wegen der finanziellen Hilfe. Es gibt dort auch einen kostenlosten psychologischen Dienst sowie Hilfe und Informationen über Therapien, Kostenübernahmen und diesbezügliche Anträge. 7,2 Prozent des jährlichen Budgets erhält die Stiftung vom Gesundheitsministerium, den Rest muss sie über Spenden und Erbschaften finanzieren. Das habe auch in der Coronapandemie gut funktioniert, sagt Nathalie Rauh. „Wir hatten Angst, dass die Spendenbereitschaft abnehmen würde, aber das war glücklicherweise nicht der Fall.“

Durch den Ukrainekrieg kann sich die Situation natürlich ändern. Aufgrund steigender Lebenshaltungskosten wird bei vielen Menschen, die bislang noch über die Runden gekommen sind, das Geld wahrscheinlich knapp. Zudem könnten die Spenden weniger werden, weil Menschen versucht sind, ihr Geld zusammenzuhalten. Beim diesjährigen „Relais pour la vie“, der im März stattfand, gab es weniger Anmeldungen als in den Jahren zuvor. Was darauf zurückzuführen sein könnte, dass der definitive Zeitpunkt der Veranstaltung aufgrund der Coronapandemie später als sonst feststand. Welche Auswirkungen Krieg und Inflation letztendlich haben werden, zeigt sich spätestens am Jahresende. Nathalie Rauh vertraut aber darauf, dass die wichtige Arbeit der Fondation auch weiterhin wertgeschätzt und unterstützt wird.

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