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Das Referendum vor 85 Jahren

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Kurz gefasst

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Auf schmalem Grat

Die Demokratie gerät weltweit unter Druck. Hierzulande stand sie am 6. Juni 1937 beim Referendum über das „Maulkorbgesetz“ auf der Kippe.

Die Nachricht ist alarmierend. Dem Bertelsmann Transformationsindex (BTI) war im Februar zu entnehmen, dass es erstmals seit 2004 wieder mehr autokratische als demokratische Staaten gibt. Von 137 untersuchten Ländern waren nur noch 67 Demokratien. Die Zahl der Autokratien stieg auf 70. Die Untersuchung hatte außerdem ergeben, dass einige demokratische Staaten zunehmend autoritäre Tendenzen aufweisen. Die Europäische Union ist nicht nur von autoritären Staaten umgeben, wie etwa Russland, Belarus oder Türkei, auch innerhalb der EU haben einige Staaten wie etwa Polen oder Ungarn die Rechtsstaatlichkeit sowie die Presse- und Meinungsfreiheit eingeschränkt. Nicht auszudenken wäre es gewesen, wenn etwa im April die rechtspopulistische bis rechtsextreme EU-Gegnerin Marine Le Pen die Präsidentschaftswahlen in Frankreich gewonnen hätte.

Dass derweil Luxemburg nach Angaben der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) zu den zwölf stabilsten Demokratien der Welt gehört, wird gerne als selbstverständlich betrachtet. Doch nicht erst im Zweiten Weltkrieg, sondern 1937 hing das Schicksal der luxemburgischen Demokratie an einem seidenen Faden. Damals vor 85 Jahren hätte das „Gesetz zum Schutz der politischen und sozialen Ordnung“, das sogenannte „Maulkorbgesetz “, fast die kritischen Stimmen im Land mundtot gemacht. Wäre es in Kraft getreten, hätten nicht genehme Parteien verboten werden können. „Es hätte den autoritären Staat eingeläutet“, schreibt die Historikerin Renée Wagener in einer kürzlich in der woxx erschienenen Artikelserie. Die knappe Ablehnung des Maulkorbgesetzes in dem Referendum vom 6. Juni 1937 gilt daher als Erfolg der Demokratie. Beibehaltung der Monarchie als Staatsform und für eine wirtschaftliche Union mit Frankreich ausgesprochen (allerdings wurde dies von den Franzosen abgelehnt, sodass es 1922 zu einer belgisch-luxemburgischen Wirtschaftsunion kam). Das Instrument des Plebiszits war in mehreren Ländern Europas zunehmend populär geworden. „Das Referendum war“, schreibt Wagener, „noch stärker vielleicht als das allgemeine Wahlrecht, der Ausdruck einer Beteiligung aller Bürgerinnen und Bürger an der politischen Lösungsfindung, beide waren sie Symbole für den Bruch mit dem alten System, das die kleinen Leute ausgeschlossen hatte, und für die nun angebrochene demokratische Ära, die unter dem Zeichen der ‚Volkssouveränität‘ stand.“

Demnach modernisierte und demokratisierte sich die luxemburgische Gesellschaft, doch das nächste Referendum sollte erst 1937 abgehalten werden. Ein Gesetz zur Durchführung von Referenden blieb aus, der Entwurf dazu landete in den Schubladen des Parlaments. Vor allem die Arbeiter-Partei (AP), Vorläufer der LSAP, setzte sich für die Stärkung der direkten Demokratie ein. Im Jahr 1930 verlangte der AP-Abgeordnete Pierre Krier von der Regierung eine Reform, damit ein Plebiszit nicht nur per Gesetz, sondern auch mit den Stimmen eines Drittels der Abgeordneten herbeigeführt werden könne. Daraufhin wurde ein Gutachten zur Verbesserung des Referendumssystems ausgearbeitet. Mehr geschah nicht.

Die 1921 entstandene Kommunistische Partei Luxemburgs (KPL) wurde von der regierenden Rechtspartei (RP) zunehmend als Gefahr betrachtet. Innerhalb der CSV-Vorläuferpartei regten sich zu jener Zeit allgemein mehr und mehr antidemokratische Tendenzen. In einer Artikelserie im Luxemburger Wort etwa tauchten im Herbst 1933 Forderungen auf, die sich am österreichischen „Austrofaschismus“ orientierten Modell des Ständestaates orientierten: Stärkung der Regierungsbefugnisse „auf einer christlichen Grundlage, Stärkung der Berufskammern, Einschränkung der Befugnisse des Parlaments bezüglich der Gesetzgebung – und die Ausschaltung aller Parteien „mit unchristlichen und darum staatsfeindlichen Programmen“. Am 9. November 1933 forderte der damalige Premierminister Joseph Bech (RP), die KPL zu verbieten.

Bech legte im Jahr darauf einen Gesetzentwurf vor, mit dem er die Praxis der damals gängigen Anwendung von Regierungsvollmachten auf die „Verteidigung der politischen und sozialen Ordnung“ ausweiten wollte. „Gemeint war damit das Verbot von Parteien und Gruppierungen, die nach Ansicht der Regierung die

bestehende Ordnung gefährdeten oder in Frage stellten“, heißt es bei Wagener. Der als Antikommunist bekannte Bech wollte damit vor allem der KP, aber auch der Presse einen „Maulkorb“ anlegen. In der KP sah er eine Gefahr für Frieden und Freiheit. Im Gegenzug legte der AP-Abgeordnete Hubert Clément einen Gesetzesvorschlag vor, um die Durchführung von Referenden zu reglementieren. Das Vollmachtgesetz wurde im Mai 1935 angenommen, fast zur selben Zeit wurde von der Regierung ein Gesetzentwurf „zum Erhalt der politischen und sozialen Ordnung“ eingereicht.

Das Parlament stimmte am 23. April 1937 mit großer Mehrheit (34 dafür, 19 dagegen, eine Enthaltung) für das Gesetz, das vor allem das Verbot der KPL zum Ziel hatte. Diese erlebte seit Beginn der 30er Jahre einen erhöhten Zulauf, ihr Kandidat Zénon Bernard hatte 1934 zum ersten Mal für sie ein Mandat gewonnen. „Er konnte nur eine Rede halten und wurde gleich ausgeschlossen“, erzählt der heutige KPL-Präsident Ali Ruckert, Autor des Buches „100 Jahre KPL“, im revueInterview (42/2021). Zur Begründung für Bernards Ausschluss wurde nicht etwa dessen KPL-Mitgliedschaft, sondern der Fakt, dass er längere Zeit Sozialhilfe bezogen hatte, herangezogen. In der Tat waren damals Sozialhilfeempfänger vom aktiven und passiven Wahlrecht ausgeschlossen, wie Renée Wagener in ihrem Artikel anmerkt. Damit kein weiteres KPMitglied nachrücken konnte, erklärte die eingesetzte parlamentarische Untersuchungskommission im November 1934, dass die KPL nicht verfassungskonform sei und das System umstürzen wolle.

Gegen das geplante Maulkorbgesetz regte sich zunehmend Widerstand in Form von Aktionskomitees. Das Spektrum der Gegner war breit und reichte von der KPL bis zur Nationaldemokratischen Partei. Die Debatte um das Gesetz polarisierte die Gesellschaft. Das liberale Milieu war gespalten, vor allem die Radikal-Liberale Partei (RLP), die Vorläuferpartei der 1945 gegründeten DP: Während sich Politiker wie Marcel Cahen der Regierungslinie unterordneten, wurde der Publizist Frantz Clément eine zentrale Figur der „Nein“-Bewegung gegen das Maulkorbgesetz. Auch in der AP gab es antikommunistische Tendenzen, so dass eine Art von Volksfrontbewegung wie in Frankreich kaum möglich war. Und im rechten Lager glaubte man unerschütterlich an einen deutlichen Sieg für das „Ja“ beim Referendum, vor allem nachdem das Parlament das Gesetz angenommen hatte.

Joseph Bech

Doch beim Referendum am 6. Juni 1937 setzte sich das „Nein“ durch, allerdings mit einem hauchdünnen Vorsprung und insgesamt 50,67 Prozent der gültigen Stimmen. Das Ergebnis wird darauf zurückgeführt, dass die Gegner des Gesetzesprojekts bereits ein Jahr vor dem Referendum ihre Kampagne begonnen hatten. Wie der Historiker Vincent Artuso in einem revue-Interview (40/2021) feststellt, „hatte sich die demokratische Logik schon damals so weit im Denken vieler Luxemburger verankert“. Das Ergebnis der der Volksbefragung bedeutete schließlich „ein Desaster für die einen, ein ungekannter Erfolg für die anderen“, schreibt Renée Wagener. Ersteres galt vor allem für die Regierungsparteien. Dagegen erstarkte die AP, während der politische Katholizismus in die Defensive geriet. Außerdem wurde Hitler-Deutschland zunehmend bedrohlicher eingeschätzt als die vermeintliche „rote Gefahr“.

Das Referendum bedeutete das Ende der rechtsliberalen Regierung. Am 7. November 1937 kam es zur Dreiparteienkoalition von RP, AP und Liberalen unter dem neuen Staatsminister Pierre Dupong (RP). Die KPL sicherte sich bei den Wahlen 1945 fünf Mandate und war sogar bis 1947 in der Regierung der nationalen Union vertreten. Auch der Antikommunismus hatte seine Stärke gezeigt, vor allem im Lager der Rechtspartei mit ihrem klerikalen Flügel und dem konservativen Wirtschaftsflügel. Als Fazit des Referendums von 1937 ist hervorzuheben, dass der Angriff auf die Demokratie abgewehrt worden war, wenn auch nur knapp. Wie viele Länder damals bewegte sich das Land auf einem schmalen Grat. Und was wurde aus dem Prinzip der Volksbefragung? Während der Name „Maulkorbgesetz“ weiter durch die luxemburgische Politik geisterte, fand das nächste Referendum in Luxemburg erst wieder 2005 statt: über den Europäischen Verfassungsvertrag.

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