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Porträt des Tischtennis-Duos Ni Xia Lian und Sarah de Nutte
Ungleiches Duo
Auf den ersten Blick wirkt das Duo aus Ni Xia Lian und Sarah de Nutte unscheinbar. Trotzdem rocken die beiden – zumindest altersbezogen – ungleichen Damen gerade die Tischtenniswelt und werden bei der Europameisterschaft im August als Top-Favoritinnen an den Start gehen.

Die Weltmeisterschaft in Houston war ein unglaublicher Erfolg. Bronze auf Weltebene zu gewinnen, ist in und für Luxemburg immer noch außergewöhnlich. Fast wäre es allerdings nie so weit gekommen, waren Ni Xia Lian und Sarah de Nutte doch in der zweiten Runde eigentlich bereits ausgeschieden. Beim Stande von 2:2 kam es zum Entscheidungssatz, dessen Beginn die beiden Luxemburgerinnen komplett verschliefen. 2:9 im Hintertreffen, bliesen sie zur Aufholjagd, mit Erfolg. Nur wenig später knabberte man am Sensations-Comeback, ehe die Kontrahentinnen mit dem Punkt zum 8:10 zwei Matchbälle sicherten. Gleich doppelt wehrten Ni und de Nutte ab. Danach stellten die beiden die Partie endgültig auf den Kopf. Ein spektakulärer Punkt von Xia Lian rundete ein furioses Comeback ab und endete in einer innigen Umarmung der Topathletinnen.
„Wir haben uns nach dem entscheidenden Punkt einfach komplett ungläubig angeschaut. Danach haben wir einfach begonnen zu lachen. Ich kann heute gar nicht mehr genau erklären, wieso. Ich glaube, wir waren einfach so verdutzt, dass wir dieses Spiel noch gedreht haben, dass wir nicht anders konnten“, erinnert sich Sarah de Nutte wenige Monate später, immer noch stolz lächelnd. Und aus diesem sympathischen Lächeln kommt de Nutte gar nicht mehr raus, als sie wenig später über ihre – zumindest in Teilen – ungleiche Teamkameradin spricht. Sarah de Nutte ist 29 Jahre alt, in der Blüte ihrer Karriere. Ni Xia Lian wird Anfang Juli 59, hat einen Sohn in Sarahs Alter. Dass die beiden zusammen die Tischtennis-Weltspitze aufmischen, ist mindestens ungewöhnlich.
Ni Xia Lian begann ihre Karriere in ihrem Geburtsland China. Dort musste die zweifelsohne talentierte Tischtennisspielerin früh lernen, mit dem hohen Erwartungsdruck umzugehen. Zum täglichen Training kam die fordernde schulische Ausbildung. Heute sieht sie in dieser Zeit den Ursprung ihrer fast schon verbissenen Ambition. Das frühe Resultat ihres Willens waren ein Weltmeistertitel und eine Qualifikation für die Olympischen Spiele mit China. Mittlerweile stehen fünf olympische Teilnahmen, etliche Medaillen auf internationalen Turnieren und eine sportliche Langlebigkeit in den Geschichtsbüchern. Bei den Olympischen Spielen 2021 in Tokio wurde sie zur ältesten olympischen Tischtennisspielerin (männlich und weiblich) aller Zeiten. Ohne Frage: Ni Xia Lian ist eine lebende Legende.
Dass das einst kleine Mädchen aus Haller keine derart illustre Geschichte vorzuweisen hat, ist normal. Aber auch das Palmarès von Sarah de Nutte lässt sich lesen. Wenige Monate vor ihrem 30. Geburtstag stehen 22 nationale Titel, zwei internationale Medaillen und eine olympische Teilnahme in ihrem Lebenslauf. Seit 2013 spielt de Nutte professionell, profitiert dabei von der Karriere als Sportsoldatin. Dass sie 2022 immer noch den professionellen Tischtennis-Zirkus bespielt, hätte sie nicht gedacht. Nicht zuletzt aufgrund des immer besser werdenden Doppels
Sarah de Nutte und Ni Xia Lian gewannen bei der WM 2021 die Bronzemedaille


Bereits 2013 gingen Ni Xia Lian und Sarah de Nutte gemeinsam auf Punktejagd
mit Xia Lian, denkt sie allerdings noch lange nicht ans Aufhören.
Die glaubt übrigens gewohnt selbstbewusst und offen daran, dass die besten Jahre des Tandems noch vor ihnen liegen. Etwas zurückhaltender zeigt sich de Nutte: „Wir diskutieren wenig über die Zukunft. Wir schauen von Spiel zu Spiel, wollen immer unser Bestes geben und uns nicht zu viele Fragen stellen“, erklärt de Nutte. Einen tiefen Blick in die Zukunft erlauben beide also nicht. Ein Blick zurück in die Vergangenheit allerdings lohnt sich. „Eigentlich hatte ich meine Karriere 2008 nach den Olympischen Spielen beendet. 2010 bin ich dann allerdings wieder zurückgekommen. Damals war auch Sarah im Nationalkader“, blickt Ni zurück auf die Anfänge einer erfolgreichen sportlichen Zusammenarbeit.
„Ich kann mich noch daran erinnern, dass ihr Mann und Trainer (Tommy Danielsson) mir 2005 mal gesagt hat, dass ich richtig gut werden kann. Dass ich irgendwann einmal mit seiner Frau gemeinsam auf Weltmeisterschaften um Medaillen spiele, hätte ich natürlich nie geglaubt“, so de Nutte weiter. Überhaupt ist es für de Nutte immer noch besonders, wenn sie daran denkt, dass sie mit Ni Xia Lian zusammenspielt. Recht vage erinnert sich die junge Frau aus dem Müllertal daran, wie sie die damals bereits Weltklasse-Spielerin auf einem ihrer Jugendturniere in Ettelbrück gesehen hat. „Ich weiß noch, dass sie kurz davor gegen die Nummer 4 der Welt gewonnen hatte. Damals fand ich das toll. Mir war aber natürlich nicht bewusst, wie gut sie wirklich ist.“
Sarah de Nutte
Ni Xia Lian ist. Doch alleine die Kombination sportlicher Qualitäten macht noch kein Weltklasse-Team. „Man braucht eine sehr gute Beziehung zueinander. Gerade bei uns Frauen spielt das Vertrauen eine sehr wichtige Rolle. Wenn man sich gegenseitig nicht mag oder nicht vertraut, kann man auch nicht gemeinsam erfolgreich sein”, erklärt Ni Xia Lian die Relevanz der zwischenmenschlichen Komponente im Tischtennis-Doppel.
Dass sich die beiden in diesem Bereich auf eine gesunde Basis stützen können, ist zu erkennen: sowohl in den Einzelgesprächen als auch beim
Buch: Le don du ciel
Die Vorstellung ihres Buchs am 17. Mai im Ettelbrücker Capé verzögerte sich leicht. Ni Xia Lian ließ es sich nicht nehmen, jeden ihrer Gäste per Handschlag, Umarmung oder Wangenkuss persönlich zu begrüßen. Die Freude über jeden einzelnen Besucher war der 58-jährigen Tischtennislegende gut anzusehen.
Bereits Wochen vorher hatte Ni Xia Lian mich mehrfach auf das Buch und die bevorstehende Präsentation angesprochen. Sichtlich stolz war sie auf das von Gaston Zangerlé geschriebene Werk. Zangerlé hat sich einen Namen als Autor für Biographien von Luxemburger Sportgrößen gemacht. Der ehemalige Direktor der revue hat unter anderem das Leben von Charly Gaul und Elsy Jacobs festgehalten.
Das Buch „Nix Xia Lian: Le don du ciel“ erzählt die Geschichte einer ambitionierten und talentierten jungen chinesischen Tischtennisspielerin, die per Zufall in Luxemburg landete und das nationale Tischtennis in neue Sphären katapultierte. Begleitet wird die Hauptstory durch Gastbeiträge und Anekdoten von ehemaligen und aktuellen Weggefährten aus dem Sport und ihrem Privatleben.
Eine weitere Besonderheit des Buchs ist die Verwendung von QR-Codes, über die der Leser zu unterschiedlichen Videoausschnitten gelangt, die zu der gerade gelesenen Passage passen. Zangerlé und Ni kannten sich vor dem gemeinsam Projekt nicht. Ein Jahr später kommt der Autor aus dem Schwärmen über die Protagonistin seines jüngsten Werkes nicht mehr heraus: „Xia Lian lebt alles, was sie tut. Egal ob ihren Sport, ihr Familienleben, den eigenen Garten oder das Kochen. Xia Lian macht alles mit Passion.“
In einem Buch voller interessanter Geschichten über eine bemerkenswerte Frau und Sportlerin ist es am Ende dann doch das Schlusswort von ihrem Trainer und Mann Tommy Danielsson, das herausragt. Es ist eine unglaublich emotionale Liebeserklärung, die tiefe Einblicke in die Beziehung der beiden und das Wesen von Ni Xia Lian erlaubt.

Gemeinsam mit Autor Gaston Zangerlé stellte Ni Xia Lian am 17. Mai ihr Buch vor
Aber es wäre nicht Ni Xia Lian, wenn die stets ambitionierte Tischtennisspielerin nicht auch zum Angriff blasen würde. Quasi mit dem letzten Satz der Buchpräsentation erklärte sie die Olympischen Spiele in Paris 2024 zum Ziel, blickte ganz nach oben in eine der letzten Reihen des Amphitheaters in Ettelbrück, wo ihre Teamkameradin Sarah de Nutte Platz genommen hatte, und sagte: „Aber Sarah, du weißt, dass 2028 das Tischtennis-Doppel olympisch wird und du weißt auch: Ich bin nie zu alt.“
Interessiert?
Sie können das Buch „le don du ciel“ für 29 Euro bei Editions Baobab bestellen. Dabei können sie den vollen Preis entweder über PAYCONIQ an die Nummer 621283319 oder an die Kontonummer LU57 0019 5755 0529 4000 überweisen. Vergessen sollten sie dabei keinesfalls die Nachricht „Ni Xia Lian“ und die gewünscht Anzahl an Exemplaren.
gemeinsamen Fotoshooting. Die Chemie zwischen den Frauen stimmt. Die Beziehung ähnelt der einer Mutter und ihrer Tochter, das erklären auch Sarah und Xia Lian selbst. „Sie war schon immer eine Art Mutter für eigentlich alle Mädels in der Nationalmannschaft. Aber ich glaube, dass sich die Beziehung auch gerade in den letzten Jahren noch weiterentwickelt hat und es jetzt immer mehr freundschaftliche Züge gibt“, versucht de Nutte zusammenzufassen.
Doch so ungewohnt die Beziehung gerade im sportlichen Kontext auch sein mag, eins steht fest: Die Frauen mögen sich von ganzem Herzen. Fragt man die beiden übereinander aus, findet das Schwärmen kein Ende. Xia Lian hebt in ihrer Liebeserklärung an Sarah vor allem deren Intelligenz und Willen hervor, nennt sie immer wieder „unglaublich liebevolles Mädchen“. Sarah kann beim Reden über ihre Teamkameradin das Grinsen nicht abstellen: „Ich kann mit ihr über alles reden. Ich kann mich immer auf sie verlassen. Wir hatten schon immer eine gute Beziehung, aber ich habe das Gefühl, dass es von Turnier zu Turnier noch besser und noch persönlicher wird.“
Das hängt auch damit zusammen, dass die Frauen neben vielen schönen Momenten bereits einige Tiefschläge gemeinsam überstehen mussten. Auf die Frage nach der unschönsten gemeinsamen Erinnerung, blicken beide Frauen zurück ins Jahr 2016 nach Budapest: „Wir standen im Viertelfinale der Europameisterschaft. Es war ein unglaublich umkämpftes Spiel gegen zwei Ungarinnen, also zwei Heimspielerinnen. Eigentlich führten wir den Entscheidungssatz mit 9:8 an, als der Schiedsrichter eine glasklare Situation falsch und zugunsten der Ungarinnen entschied. Am Ende haben wir 11:9 verloren und sind ausgeschieden. Das war unglaublich frustrierend.“ Etwas Genugtuung erfuhren die Luxemburgerinnen zwei Jahre später, als sie bei der nächsten Europameisterschaft wieder auf eben diese Ungarinnen trafen und gewinnen konnten.
Dass die Luxemburgerinnen mittlerweile fast unabhängig von ihren Gegnerinnen gegen jeden gewinnen können, ist zwar in der Tischtennis-Szene bekannt, bleibt trotzdem etwas überraschend. Zumindest dann, wenn man die Umstände kennt. „Wir trainieren quasi
Ni Xia Lian
Umarmungen stehen bei Ni Xia Lian und Sarah de Nutte an der Tagesordnung


De Nutte und Ni feiern ihren Comeback-Sieg in der zweiten Runde der WM 2021
nicht zusammen. Ich denke, dass wir in der Weltspitze definitiv das Team sind, das am wenigsten Trainingsstunden gemeinsam verbringt“, spekuliert Sarah. Dass das Zusammenspiel trotzdem so gut funktioniert, führen die beiden auf die gute Stimmung und einige technische Vorteile zurück: „Ich bin sehr klein und sehr schnell. Das hilft mir, nach meinem Schlag schnell Platz für Sarah Platz zu machen.“ Auch dass Xia Lian Linkshänderin und Sarah Rechtshänderin ist, hilft dabei, sich gegenseitig nicht in die Quere zu kommen.
Auch die letzten zwölf Jahre, in denen die beiden zusammenwachsen konnten, schaden sicher nicht. Gerade Sarah hat in dieser Zeit unheimlich von der Erfahrung ihrer Teamkameradin profitieren können und weiß vor allem ihre Geduld zu schätzen: „Wenn ich daran zurückdenke, wie gut Xia Lian und wie schwach ich damals vergleichsweise waren, muss ich mich bei ihr für ihre Art und Weise bedanken. Sie hat mir nie das Gefühl gegeben, nicht gut genug zu sein. Sie hat mir immer geholfen, hat mich immer positiv weitergebracht.“ Auch Xia Lian erinnert sich gerne an die ersten Schritte: „Natürlich hat es etwas gedauert, bis wir uns eingespielt haben. Man muss sich gerade am Anfang erstmal darauf einstellen, wie die Mitspielerin die Bälle spielt, weil das einen Einfluss darauf hat, wie der Ball zurückkommt. Aber Sarah war immer schon sehr ehrgeizig. Ihre Einstellung hat zu mir gepasst. Das wusste ich von Anfang an sehr an ihr zu schätzen.“ Sarah de Nutte im Moment. Die Bronzemedaille bei der Weltmeisterschaft in Houston ist zweifelsohne ihr größter Erfolg. Direkt danach ging es in der Weltrangliste auf Platz Neun. Beim Grand-Smash in Singapur bestätigten sie ihre Leistung mit einem erneuten dritten Platz und rutschten daraufhin auch in der Weltrangliste auf den letzten der Podiumsplätze vor. Jetzt stehen nur noch eine chinesische und eine japanische Mannschaft vor Ihnen.
In Europa sind sie die Nummer Eins. Mit diesem Label müssen sie jetzt lernen umzugehen. Bei der Europameisterschaft im August in München werden die Augen mehr denn je auf die Luxemburgerinnen gerichtet sein. „Ich glaube schon, dass wir die Favoriten sind, aber ich denke, dass wir uns diesen inoffiziellen Titel mit den Deutschen Sabine Winter und Nina

Texas erobert: Sarah und Xia Lian mit Cowboy-Hut und Bronze-Medaille in Houston
Mittelham teilen“, schätzt Sarah de Nutte die Situation ab. Diese Paarung würde de Nutte dann auch eigentlich gerne möglichst lange verhindern: „Es wäre schade für alle, wenn es dieses Aufeinandertreffen schon früh im Turnier gäbe.“
Allzu viel damit beschäftigen,, wann sie auf wen treffen, wollen die Luxemburgerinnen sich allerdings nicht. Viel lieber verlassen sich die beiden dabei auf die Weisheiten von Ni Xia Lian: „Du solltest einfach in jedem Moment dein Bestes geben. Dann ist das Resultat eine natürliche Konsequenz.“ Und wenn diese natürlichen Konsequenzen den beiden auch in Zukunft weiterhin so viele Edelmetalle bescheren, dürfen wir gespannt sein wie lange Ni Xia Lian ihren dritten, vierten oder vielleicht auch schon fünften Karrieresommer noch fortführt. Sarah hat sie immerhin schon anvertraut, dass sie sich vorstellen könne, nach dem Karriereende im Einzel trotzdem noch im Doppel weiterzuspielen. Ein Ende ist also nicht in Sicht, und das ist zumindest für den Luxemburger Sport auch gut so.