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Noémie Losch über die neue Kampagne von ECPAT

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Mit der Anfang Juli gestarteten Kampagne „Ech gesinn, ech reagéieren“ will die Nichtregierungsorganisation ECPAT auf die Thematik des sexuellen Missbrauchs von Kindern im Rahmen von Reisen und Tourismus aufmerksam machen. Im Interview erklärt Noémie Losch, wieso Sensibilisierung wichtig ist.

Wieso ist die Kampagne zum Thema sexuelle Ausbeutung von Kindern im Rahmen von Reisen notwendig?

Erstens ist der weltweite Kampf gegen sexuelle Ausbeutung von Kindern eines der Ziele unserer Organisation. Von Anfang an beschäftigen wir uns auch mit der Thematik Tourismus und dem sexuellen Missbrauch während Reisen im Ausland. Die 2019erStudie von TNS-Ilres bezüglich dieser Thematik – übrigens bereits die vierte dieser Art, die wir haben durchführen lassen – hat klar gezeigt, dass es nach wie vor Aufklärungsbedarf beim breiten Publikum gibt. Die Menschen wollen aufgeklärt werden. Leider kam dann die Covid-Pandemie dazwischen. Jetzt, wo die Krise sich legt und wieder verstärkt gereist wird, war es uns wichtig eine Kampagne zu starten und unseren Teil zu einem nachhaltigen und verantwortungsbewussten Tourismus beizutragen.

Ist das Thema noch immer stark tabuisiert?

man in den letzten Jahren merkt, dass sich so langsam etwas bewegt. Es wird vielleicht noch nicht so darüber gesprochen, wie wir es uns als Organisation wünschen, allerdings ist die Resonanz gestiegen. Genau wie das Interesse zu erfahren, was man als Einzelner gegen diese Form von Gewalt tun und wo man sich darüber informieren kann.

Bei den Autoritäten ist das Interesse auch größer geworden?

Ja. Auch wenn nach wie vor klar ist, dass es keine Priorität ist. Aber auch hier gilt: So langsam tut sich etwas.

Ist es nach wie vor so, dass es Länder gibt, wo sexuelle Ausbeutung von Minderjährigen stärker auftritt?

Dieses Phänomen gibt es in jedem Land, wo man hinreisen kann. Auch in Deutschland und Frankreich, aber natürlich auch in Asien oder in afrikanischen Ländern. Oft wird das Phänomen als „Sex-Tourismus“ umschrieben. Dabei handelt es sich keinesfalls um eine Form von Tourismus, sondern schlicht und ergreifend um eine Straftat. Jede Person unter 18 Jahren ist ein Kind und ein Kind bleibt ein Kind. Egal ob es in Thailand, Senegal, Frankreich oder Luxemburg lebt. Das Phänomen ist weltweit verbreitet und ist im Übrigen nicht nur an Tourismus-Reisen gekoppelt, sondern auch an Business-Reisen zum Beispiel.

Welche Art von Menschen macht sich im Ausland strafbar?

Viele glauben noch immer, dass es sich um Pädophile handelt, die gezielt zu Hause recherchieren, wo potenzielle Opfer anzutreffen sind. Dies gibt es, allerdings sind nur 25 Prozent von Menschen, die Kinder im Ausland sexuell ausbeuten, tatsächlich Pädophile. Es handelt sich in der Mehrheit um Gelegenheitstäter, welche die sich bietende Situation ausnutzen und nicht bereits mit diesem Hintergedanken irgendwo hinreisen. Klassisches Beispiel: Einer geht in Asien in eine entsprechende Bar, wo erwachsene Frauen anzutreffen sind, aber auch Minderjährige und entscheidet sich dann für Letztere.

Gibt es eigentlich eine Korrelation zwischen Armut und sexuellem Missbrauch?

Der Hauptgrund für die sexuelle Ausbeutung von Kindern ist ganz oft deren prekäre Situation. Armut ist eine der Hauptgründe für diese Verletzlichkeit, aber nicht der einzige. Es kann auch sein, dass ein Kind aus einer Minorität stammt, welche in einem Land diskriminiert wird oder vielleicht auch noch, weil es sich um Migrantenkinder handelt. Armut ist allerdings ein Hauptgrund. Der allerdings keineswegs als Entschuldigung gelten kann, nach dem Motto: Aber ich bezahle den oder die Minderjährige und helfe ihm oder ihr, das macht es also weniger schlimm. Sexuelle Gewalt gegenüber Kindern ist und bleibt eine Straftat.

Um diese Verletzlichkeit anzugehen, muss also weit gefächert vorgegangen werden...

Ja, wobei dies eine Mammutaufgabe ist. Wir als ONR setzen momentan vor allem auf Sensibilisierung hierzulande. Wir arbeiten aber auch mit Partnern, zum Bespiel Luxair und Accor zusammen, die sich dazu verpflichten einen entsprechenden Kodex einzuhalten und haben auch Projekte mit dem Auslandsministerium, wo wir mit Partnerorganisationen in anderen Ländern, wie zum Beispiel Indien oder Nepal aktiv sind. Hierbei geht es vor allem darum, die Familien vor Ort zu sensibilisieren, Opfer aus der sexuellen Ausbeutung herauszuholen und ihnen bei der Re-Integrierung beizustehen (Familienzusammenführung, Schule oder Ausbildung).

Ein Kind in Luxemburg zu vergewaltigen ist illegal und somit ist diese Handlung für einen Luxemburger Einwohner auch im Ausland illegal.

Es wäre natürlich optimal, wenn man die Armut verstärkt bekämpfen könnte, das geht aber über die Möglichkeiten von ECPAT hinaus. Covid hat übrigens die Situation in Sachen Armut noch einmal verschärft.

Wie schwierig ist das Nachweisen einer Straftat?

Extrem schwierig. Über die Plattform childprotection.lu – die es so ähnlich auch in anderen Ländern gibt – kann jeder Verdachtsfälle melden, die je nach Sachlage auch juristisch verfolgt werden können. In Deutschland sind schon Leute vor Gericht gelandet, weil in Bezug auf Missbrauch von Minderjährigen das Prinzip der Exterritorialität gilt. Ein Kind in Luxemburg zu vergewaltigen ist illegal und somit ist diese Handlung für einen Luxemburger Einwohner auch im Ausland illegal. Es ist ein Trugschluss von Tätern, zu glauben, dass sie für ihre Handlungen auf Reisen nicht hierzulande bestraft werden könnten. Es bedarf aber natürlich entsprechendem Beweismaterial.

Wie viele Verdachtsfälle werden denn pro Jahr gemeldet?

Über die Luxemburger Plattform bisher keine, was aber vor allem damit zu tun haben dürfte, dass die Internetseite noch nicht beim breiten Publikum bekannt ist. In Belgien gab es aber bereits 400 Meldungen, was aber auch damit zu tun haben dürfte, dass die Thematik in Belgien wegen der Dutroux-Affäre weitaus präsenter ist.

Wie sieht es mit Online-Vergehen aus?

Das Phänomen des „Live-Streaming Abuse“ ist recht neu. Die Praxis also, wo ein Täter über Webcam, etwa per Skype, einem Kind sagt, was es machen soll. Hier tritt oft das Problem des „grooming“ auf: Täter schreiben Kinder von zu Hause aus an und bereiten Kinder per Internet (-Chats) darauf vor, sie dann später bei einer Reise sexuell ausbeuten zu können. Ein Phänomen, das es verstärkt während der Covid-Pandemie gab. Um gemeinsam gegen Online-Verbrechen dieser Art vorzugehen, wird gerade auf europäischer Ebene diskutiert.

Was sind die Kriterien, um einen Verdachtsfall über ihre Plattform zu melden?

Da gibt es Situationen, die sehr eindeutig für den Beobachter sind. Wenn man zum Beispiel beobachtet, wenn in einer Bar ein Tourist eine Minderjährige anfasst oder wenn man etwa ein Gespräch mithört, wo vielleicht einer sagt, dass er eine 16-jährige getroffen hat usw. Wenn man einen Vorfall meldet ist es am besten, möglichst viele Details anzugeben. Selbst, wenn man keine Namen kennt, ist eine Beschreibung der Situation schon wichtig. Es geht darum, möglichst viele Indizien zusammenzutreiben und vielleicht wird dann die Polizei aktiv und kontrolliert diese Bar oder jenes Restaurant vielleicht öfters.

Interview: Hubert Morang  Fotos: Alain Rischard (Editpress),

rawpixel.com (freepik), Trym Nilsen (Unsplash)

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