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Wie Narben verheilen und wie sie gepflegt werden
Narben kann man pflegen
Die menschliche Haut ist ein Wunderwerk. Selbst mit großen Verletzungen kommt sie klar und bildet neues Gewebe, aus denen dünne und flache Narben werden. Mit ein bisschen Unterstützung sind sie nach ein paar Jahren kaum noch zu sehen.
„Male mich, wie ich bin. Wenn du die Narben und Falten weglässt, zahle ich dir keinen Schilling.“ Das hat der englische Politiker Oliver Cromwell vor knapp 400 Jahren gesagt. Er wollte auf seinem Porträt nicht gephotoshopt werden, weil er wusste, dass Narben und Falten die Geschichten eines Lebens erzählen und man nicht einfach so tun kann, als würde es sie nicht geben.
Doch auf manche Narben kann man trotzdem gut verzichten. Weil sie stören, die Bewegung einschränken oder an sehr auffälligen Stellen sitzen. Und manche erzählen von Dingen, die man lieber vergessen möchte. Wie meine sechs Wochen alte Narbe mitten auf der Schulter. Es war beim E-Roller-Fahren passiert. Das Vorderrad hatte blockiert, und ich landete mit der Schulter auf dem Boden. Schlüsselbein zertrümmert, zwei Rippen gebrochen. Es musste operiert werden.
Der Arzt im Krankenhaus meinte, es sei die zweithäufigste Knochenoperation in den Sommermonaten, wegen der vielen Fahrradunfälle. Zwischen Zeigefinger und Daumen zeigte er mir die ungefähre Länge der Narbe, die dann auf meiner Schulter wäre. Etwa sechs Zentimeter. Nach der OP waren daraus fast 20 geworden, die OP hatte dreimal so lange gedauert wie geplant. Auf den Röntgenbildern hatten die Ärzte nicht erkennen können, dass der Knochen sechs Bruchstellen hatte.
Zehn Tage nach der OP wurden mir die Fäden gezogen, meine Schulter sah aus wie der Po einer zugenähten Weihnachtsgans. Der Arzt gab mir den Hinweis, die Narbe einfach ausheilen zu lassen, ohne irgendwelche Cremes, Öle oder sonstige Pflegeprodukte anzuwenden. „Das kostet alles sehr viel Geld und bringt eigentlich nichts“, sagte er. Hm, dachte ich. Klar kostet das Geld, aber ganz ehrlich: Würde ich meine Haut nicht regelmäßig eincremen, würde sie vor Trockenheit wahrscheinlich aufreißen.
Ich frage eine Heilpraktikerin. Sie sagt, ich könne da sehr viel machen. Erst einmal Arnika-Kügelchen einnehmen, dreimal am Tag je fünf Stück. Damit würde die Wunde besser heilen. Arnika ist eine Pflanze aus der Familie der Korbblütler, sie ist vom Aussterben bedroht, gilt als giftig, doch ihre Blüten wirken entzündungshemmend. Von einem selbstgebrauten Tee mit Arnikablüten ist abzuraten, gegen homöopathische Kügelchen ist allerdings nichts einzuwenden. Vor allem die äußere Anwendung in Form von Ölen und Cremes wird empfohlen. Aber nicht auf offene Wunden geben, das könnte zu unerwünschten Reaktionen führen, heißt es.
Cremen, ölen und massieren seien das A und O, sagt die Heilpraktikerin. Regelmäßig und mehrmals am Tag. Sobald der letzte Schorf von der Narbe gefallen ist,

fange ich damit an. Ich besorge mir ein Narbengel in der Apotheke. Mit dabei ein kleiner Massageroller, mit dem man die Narbe vor dem Auftragen behandeln soll. Allerdings erst, wenn sie mindestens einen Monat alt ist. Das Gel kann man schon vorher benutzen und dann mindestens fünf Minuten lang einmassieren. Das fühlt sich merkwürdig an. Ich spüre die Titanplatte samt Schrauben, zudem ist der größte Teil der Schulter taub. An einigen Stellen brennt die Narbe, darunter zieht es im Knochen. Das sind normale Heilungsschmerzen, ich weiß. Aber es fühlt sich an, als würde dieser Teil meines Körpers nicht mehr richtig dazugehören.
Frische Narben darf man keinem Stress aussetzen, lese ich im Internet. Das hört sich merkwürdig an. Aber irgendwie auch nicht. Die Haut ist unser größtes Organ, sie hat drei Schichten, die Oberhaut (Epidermis), die Lederhaut (Dermis) und die Unterhaut (Subcutis). Wird lediglich die Oberhaut verletzt, bleiben dort meist keine sichtbaren Vernarbungen. Diese entstehen erst, wenn auch die zweite Schicht, die Lederhaut, mitbetroffen ist. Dann bildet sich von den Wundrändern her neues Gewebe, das mit Kollagen aufgefüllt wird. Dieses faserige Protein ist normaler Bestandteil der Haut. Doch in einer gesunden, unbeschädigten Haut bildet das Kollagen eine Art Netz. Bei einer Narbe siedeln sich die Kollagenfasern parallel an, was dazu führt, dass das Narbengewebe weniger dehnbar ist als normale Haut und sich häufig Spannungsgefühle einstellen.
Am Anfang bleibt die Narbe stark durchblutet, was ihre rote Farbe erklärt. Erst nach ein paar Monaten nimmt die Färbung ab, dann ist die Wundheilung abgeschlossen. Es ist eigentlich ein Wunderwerk der Natur, dass unsere Haut in der Lage ist, neues Gewebe zu bilden und Verletzungen zu schließen. Und das nach wenigen Tagen. Doch so gut wie die intakte Haut ist das Narbengewebe nicht. Es hat weder Schweiß- noch Talgdrüsen, keine Sinneszellen, zudem fehlen ihm pigmentbildende Zellen, weshalb eine Narbe sehr anfällig für Sonnenbrände ist und bei sonnengebräunter Haut hell bleibt.
In den ersten Monaten sollte man die Narbe deshalb keiner Sonneneinstrahlung aussetzen, das gehört zu den Stressfaktoren, die es zu vermeiden gilt. Weitere sind eine zu große Beanspruchung der betreffenden Stelle durch Dehnungen, Streckungen oder übereilte Bewegungen und extreme Temperaturschwankungen wie große Kälte oder starke Hitze. Sauna mit anschließenden Eisbädern fördern zwar das Wohlbefinden, bei einer frischen Narbe kann das allerdings zur Störung der Wundheilung führen. Erst zwei Monate nach der Verletzung oder OP steht Saunabesuchen nichts mehr im Weg. Das gleiche gilt für enge, kratzige oder scheuernde Kleidung: Auf die sollte vorerst verzichtet werden, damit das Narbengewebe nicht zusätzlich gereizt wird und sich eventuell entzündet.
Meine Physiotherapeutin sagt mir, ich solle langsam machen. Nicht zu viel, nicht alles auf einmal. Im Moment mache sie sich weniger Sorgen um die Narbe als um die Muskeln und Faszien drum herum. Da wimmele es nur so vor Verspannungen. Was automatisch passiert, wenn man ein Körperteil wochenlang in einer Schonhaltung belässt. Sie zeigt mir, wie ich die Narbe massieren kann. Zum Einreiben reicht normales Olivenöl, man kann auch Honig oder Ringelblumensalbe nehmen. Durch die Massage wird der Heilungsprozess gefördert, das Narbengewebe wird weicher, flexibler und flacher. Zudem lernt man seine Narbe gut kennen und empfindet sie weniger als Fremdkörper. Schon nach wenigen Tagen wirkt sie blasser, dünner und entspannter.
Ein Wirkstoff, den sowohl die Physiotherapeutin als auch die Heilpraktikerin empfiehlt, ist Silikon. Es gibt ihn sowohl als Pflaster als auch als Gel. Das Silikon legt sich als schützender Film auf die Narbe und reguliert den Feuchtigkeitshaushalt der Haut. Dadurch soll das Gewebe geschmeidiger werden. Das alles hat natürlich seinen Preis. Aber egal. Ich probiere alles aus. Ich habe nichts zu verlieren. Nach knapp sechs Wochen sehe ich nicht mehr aus wie eine Weihnachtsgans, aber es liegt noch ein weiter Weg vor mir. Vollständig verschwinden wird diese Narbe nie, das ist klar. Und irgendwie gehört sie ja jetzt auch dazu.
Text: Heike Bucher Fotos: Rdonar,
Mariyamasich (beide Dreamstime), privat



Die OP-Narbe der Autorin nach einem Tag, nach zwei Wochen und nach sechs Wochen...
Kleine Narbenkunde
Narben können sehr unterschiedlich aussehen. Einerseits heilt die Haut bei Menschen verschieden – bei manchen besser, bei anderen schlechter –, andererseits spielt eine Rolle, wie die Narbe entstanden ist. In der Regel verläuft die Narbenbildung ohne Komplikationen, nach ein paar Monaten wird die Narbe hell und flach. Es gibt aber vier krankhafte Narbentypen:
Atrophe Narben
So nennt man eine eingesunkene Narbe. Sie entsteht, wenn sich zu wenig Narbengewebe gebildet hat, wodurch die Wunde nicht vollständig ausgefüllt wird. Solche Narbenvertiefungen gibt es häufig bei Akne.
Hypertrophe Narben
Diese Narben sind der Gegensatz zu den atrophen Narben. Denn sie entstehen, wenn sich zu viel Narbengewebe bildet. Hypertrophe Narben sind oft verdickt und erhaben, zudem jucken sie häufig. Sie entwickeln sich meist nach Verbrennungen oder an Körperstellen, an denen die Haut oft gezogen wird, wie am Knie oder am Ellbogen. Sie entstehen aber nur an der Wundstelle (vgl. Keloide). Hypertrophe Narben können z.B. per Laser abgetragen werden, manchmal heilen sie auch von alleine ab.
Keloide
So nennt man Narbenwucherungen, die sich über den Wundbereich hinaus entwickeln. Im Prinzip sind sie gutartige Tumore, die äußerst selten vorkommen. Meist beginnen sie drei bis vier Wochen nach der Verletzung oder OP. Das Narbengewebe ist dann sehr berührungsempfindlich, bleibt dunkelrot und juckt häufig. Keloide können über Jahre wachsen. Mithilfe von Laserbehandlung, Vereisungen, Injektionen oder Operationen können Keloide entfernt werden.
Narbenkontrakturen
Dabei zieht sich das Narbengewebe stark zusammen, wird hart und unflexibel. Dadurch können sie die Beweglichkeit stark einschränken, vor allem, wenn sie sich über Gelenken befinden. Narbenkontrakturen bilden sich oft nach Verbrennungen, Wundentzündungen und großflächigen Verletzungen. Zur Behandlung werden unter anderem Massagen und Silikonpräparate empfohlen.
Bei allen Narben gilt: Eine hundertprozentige Entfernung ist nicht möglich. Doch störende oder juckende Narben oder solche, die die Bewegung einschränken, können behandelt werden. Hautärzte können da helfen, sie kennen sich mit den besten Präparaten und therapeutischen Möglichkeiten aus. Was viele nicht wissen: Auch ältere Narben können geschmeidiger, flacher und unauffälliger werden. Allerdings braucht jede Narbenpflege Zeit, schnelle Ergebnisse kann man nicht erwarten.