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Städtetrip nach Madrid

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Geek Peek

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Stadt voller Leben

Keine Metropole Europas ist zurzeit so angesagt wie Madrid. Denn die spanische Hauptstadt bietet offene Bars, Restaurants, Hotels, Museen und Theater. Auch Touristen sind willkommen. Trotz Covid-19.

Läge Madrid am Meer, wäre es die schönste Stadt der Welt, behaupten viele Madrilenen. Vielleicht war es genau diese Tatsache, die mich bislang immer davon abgehalten hat, einen Abstecher in die spanische Hauptstadt zu machen. Wenn schon Süden, dann Sandstrand und Wasser und keine laute, staubige Großstadt, schien ich gedacht zu haben. Was für ein Fehler! Denn die Stadt ist keine anstrengende Metropole, sondern wunderschön und entspannt, um nicht zu sagen: richtig gemütlich.

Es beginnt schon am Flughafen. Zugegeben: Die Wege sind weit, die Luxair-Maschine dockt am letzten Ende des Terminals an. Bis zur Einreisekontrolle und dem Gepäckband vergehen Minuten beim Laufen durch die riesigen Hallen. Aufgrund der Pandemie sind hier die meisten Läden geschlossen, nur ein Kiosk und ein McDonalds haben geöffnet. Viele Maschinen scheinen auch nicht gelandet zu sein, es gibt keine Staus, keine Menschenschlangen. Nur kurz den QR-Code eingescannt, den man neuerdings haben muss, um den Behörden seine persönlichen Daten mitzuteilen, und schon geht’s weiter.

Das negative Corona-Test-Resultat, ohne das man gar nicht einreisen darf, wird nur sporadisch, etwa bei jedem Fünften, überprüft. Dann noch eben den Koffer holen und ab in die U-Bahn, die hier Metro heißt und gleich unter dem Flughafengebäude in Richtung Innenstadt losfährt. Es gibt wenige Großstädte, die das Erreichen des Flughafens so komfortabel machen. Eine knappe halbe Stunde fährt die Bahn bis zur Station Nuevos Ministerios. Von da hat man Anschluss an die Ringbahn oder die Linie 10, doch eigentlich ist man bereits fast in der Innenstadt. In einige angesagte Bezirke kann man sogar zu Fuß gehen.

Füße und Metro – das sind ohnehin die empfehlenswertesten Fortbewegungsmittel in Madrid. Wer mit dem Auto in die Stadt kommt, wird mit fehlenden Parkplätzen oder teuren Parkgebühren bestraft. Zudem lohnt es sich, durch die kleinen Seitenstraßen zu laufen. Was nicht nur für Madrid, sondern generell für alle Städte gilt. Nach Berlin mit seinen 3,7 Millionen Einwohnern ist Madrid mit 3,2 Millionen die Stadt mit den zweitmeisten Einwohnern in der EU. Doch während hinter der Berliner Stadtgrenze meist die Pampa beginnt, leben rund um Madrid weitere drei Millionen Menschen. Beim Anflug auf die Stadt kann man die breit bebaute Fläche sehen. Im Hintergrund den Peñalara, mit 2.430 Metern der höchste Gipfel der Sierra de Guadarrama, einer Bergkette nordwestlich von Madrid. Ende März ist er mit Schnee bedeckt.

Madrid zieht mit seinen vergleichsweise lockeren Corona-Maßnahmen viele Touristen an und hat es deshalb in letzter Zeit oft in internationale und durchaus kritische Nachrichten geschafft. Während im Rest des Landes das Leben stark heruntergefahren wurde, geht Madrid einen anderen Weg. Bars, Restaurants und Hotels sind geöffnet. Museen und Theater dürfen besucht werden. Es gilt eine nächtliche Ausgangssperre ab 23 Uhr, dann sind auch die gastronomischen Betriebe geschlossen. Überall in der Stadt müssen die Menschen Masken tragen. Es sei denn, sie sitzen an Tischen oder auf Decken oder Bänken in Parks. Das üppige spanische Nachtleben bis in die frühen Morgenstunden hinein fällt im Moment also weg. Dafür sind die Lokale, vor allem deren Terrassen durchgehend gut besetzt. Und es wird serviert: Tinto de verano, ein Mix aus Rotwein und Zitronenlimonade, sehr erfrischend, Sangria, weniger

Mitten in der Stadt liegt der Retiro-Park, eine im 17. Jahrhundert angelegte Anlage mit künstlichem See. Wer will, kann sich dort ein Ruderboot ausleihen.

Madrid erinnert daran, wie unbeschwert das Leben sein kann.

erfrischend, viel Bier und genauso viele Tapas, Tortillas und Paella.

Vom Stadtteil Chamberí geht es in den Südwesten, in Richtung königlicher Palast. Der Palacio Real ist eines der größten Schlösser Westeuropas. Er ist doppelt so groß wie Versailles oder der Buckingham Palace, hat rund 3.500 Räumlichkeiten auf 135.000 Quadratmetern Fläche und wird fast ausschließlich zu repräsentativen Anlässen genutzt, die Königsfamilie hat ihren Wohnsitz woanders. Ein Teil der Räume kann besichtigt werden. Wie eigentlich alle historischen Gebäude Madrids ist auch der Palast in exzellentem Zustand. Doch dieser Prunk, der im Auftrag und zur Nutzung einer Handvoll Adliger geschaffen wurde, sollte zu denken geben: Ist die Idee von adligen Menschen tatsächlich noch tragbar? Nicht nur in Spanien, sondern überall.

Auf dem Stadtplan der Touristeninformation sind alle Sehenswürdigkeiten aufgelistet. Genauso wie sämtliche Polizeistationen und das Hard Rock Café der Stadt. Überflüssiger geht es kaum, wer braucht schon die Polizeiwache? In der Innenstadt laufen ohnehin jede Menge Uniformierte herum. Guardia Civil, Policía Municipal und die Nationalpolizei – aufgrund des politischen Systems Spaniens gibt es mehrere Behörden mit unterschiedlichen Zuständigkeiten. Dazu noch zahlreiche Sicherheitsdienste. Mit etwas Glück trifft man in der Fußgängerzone sogar auf berittene Exemplare. Und das Hard Rock Café?

Dann doch lieber Churros. Fettig, süß und unheimlich lecker. Sie werden aus einem Brandteig, der deshalb so heißt, weil der Teig bereits während der Herstellung erhitzt wird, gespritzt und frittiert. Mit Zucker überstreut oder in sämige warme Schokosoße getaucht, sind sie eine echte Delikatesse, die man vielleicht nicht jeden Tag, aber mindestens einmal gegessen haben sollte. Genauso wie Paella, die traditionelle Reispfanne aus der Gegend von Valencia, die im ganzen Land verzehrt und deshalb oft als das Nationalgericht Spaniens bezeichnet wird. Es gibt sie in diversen Fassungen: als reines Fisch- oder Meeresfrüchtegericht, mit Fleisch und Wurst, mit Fleisch ohne Wurst, rein vegetarisch oder gar vegan, mit schwarzem oder gelbem Reis. Spanische Köche empfehlen, die Paella nach 15 Uhr nicht mehr zu essen, weil sie sonst zu schwer im Magen läge. Viele Einwohner scheinen sich daran zu halten. In den Mittagsstunden ist in kaum einem der spezialisierten Restaurants ein Tisch zu bekommen.

Die Puerta del Sol, kurz Sol genannt, ist einer der bekanntesten Plätze Spaniens und immer voller Menschen. Hier liegt der Nullpunkt von Spaniens Nationalstraßen, die sternförmig von der Hauptstadt wegführen. Zudem treffen am Sol mehrere Metrostationen zusammen. Aufgrund hoher Besuchszahlen wird der Bahnhof in der Corona-Pandemie regelmäßig gesperrt. Als am Gründonnerstag – gesetzlicher Feiertag in Spanien, an dem trotzdem die Geschäfte geöffnet sind – Tausende von Menschen bei strahlendem Sonnenschein durch die angrenzende Fußgängerzone flanieren, greift zudem die Polizei ein und organisiert ein Einbahnstraßensystem für Fußgänger. So laufen die Menschen zwar noch immer dichtgedrängt nebeneinander her, müssen aber immerhin nicht mehr aneinander vorbei.

Überhaupt – Corona. Die Menschen wirken entspannt. Doch alle halten sich an die dauerhafte Maskenpflicht, von wenigen Ausnahmen abgesehen. Auf den teils engen Straßen versuchen sich die Menschen aus dem Weg zu gehen, machen große Bögen, lassen anderen den Vortritt. Doch abends auf den Plätzen stehen die Gruppen dicht

an dicht. Die meisten bekommen keinen Platz in einem Lokal. Deshalb treffen sie sich irgendwo nebenan. Oder auf Decken in Parks. Das Stimmengewirr ist phänomenal. Alle scheinen auf der Straße zu sein. Und weil viele Plätze in Madrid von Bäumen übersät sind, fallen ganze Horden von Vögeln mit ein. Ein lauter angenehmer und lebensbejahender Chor.

Nicht weit vom Sol liegt die Plaza Mayor, einer der geschichtsträchtigsten Orte der Stadt. Es ist ein rechteckiger, seit den 1960er Jahren verkehrsbefreiter Platz, der vollständig von einem viergeschossigen Wohnhaus-Block umgeben ist, was ihm eine Art Kasernencharakter verleiht. Die Ursprünge des Platzes gehen in das 15. Jahrhundert zurück, hier haben neben buntem Markttreiben Verurteilungen, Hinrichtungen und sogar öffentliche Geburten stattgefunden. Dreimal wurde der Platz durch große Feuer beschädigt, dreimal wurde er wiederaufgebaut.

Auf der anderen Seite der Altstadt befindet sich der Retiro Park, dort steht auch das Museo del Prado, eins der berühmtesten Museen der Welt. Seine Sammlung besteht vor allem aus alten Klassikern. Wer die Werke jüngerer spanischer Maler sehen möchte, sollte ins Museo Reina Sofía gehen, dort sind zahlreiche Bilder, Skizzen und Skulpturen von Dalí, Picasso oder Gris ausgestellt. Werke von Frauen sucht man dort fast vergeblich. Kunst in Spanien scheint – wie fast überall – eher den Männern vorbehalten (gewesen) zu sein.

Einer von Hunderten Störchen in Alcalá de Henares.

Doch dafür gibt es ja den Flamenco. Den dürfen auch Frauen tanzen, meist in weiten mit Blumen bedruckten Kleidern und mit Fransen verzierten Tüchern. An der Plaza de España befindet sich die kleine Flamencobar „Las Tablas“. Der riesige und eigentlich schöne Platz ist gerade eine gigantische Baustelle. Im „Las Tablas“ bekommt man davon nichts mit. Hier kann man abtauchen in die Welt des Flamencos. Auf einer kleinen Bühne geben ein Gitarrist, ein Sänger, eine Tänzerin und ein Tänzer ihr Bestes und haben sichtlich Spaß daran. Am Tisch werden Wein und Tapas serviert. Die Darbietung ist laut und ergreifend.

Ein paar Tage Madrid gehen schnell vorbei, rund 70 Kilometer habe ich zu Fuß zurückgelegt und jeden Tag mehr als einmal genossen, irgendwo etwas essen oder trinken zu gehen. Nach der langen Abstinenz in Lockdown und TeilLockdown sind geöffnete Gaststätten, Bars und Museen ein echtes Highlight. Sie erinnern daran, wie unbeschwert unser Leben doch war und hoffentlich auch bald wieder sein wird. Das Erstaunlichste auf der Reise aber geschah in Alcalá de Henares, einer kleinen Universitätsstadt östlich von Madrid. Dort nisten gerade Hunderte von Störchen, auf Kirchdächern, in Baumkronen, über der Universität. Aus jeder noch so kleinen Ecke der vielen hohen Dächer ragt ein Nest hervor. Es ist ein Kommen und Gehen, die Kleinen wollen gefüttert werden. Und sie tun es tatsächlich, die Störche: Sie klappern. Laut und ungeniert. Fantastisch.

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