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Poetry Slam In Luxemburg

Wortjongleure
Noch vor einigen Jahren war Poetry Slam in Luxemburg unbekannt. Heute wächst die Szene, denn das Géisskan Kollektiv gießt fleißig und hat zwei inzwischen auch in Deutschland bekannte Slammer hervorgebracht: Sara Andjelkovic und Bob Reinert.
Bob Reinert läuft im Hawaiihemd auf die Bühne im Garten der Rotondes und kündigt den nächsten Gast an: „Jetzt kommt ein alter Hase!” „Ein junger alter Hase”, ergänzt Philippe Schockweiler, ebenfalls im Hawaiihemd, mit Mikro in der Hand „ein Veteran.” Die beiden moderieren vor etwa 80 Zuschauern im Hof der Rotondes den Poetry Slam de Lux und erwarten Sara Andjelkovic. Ein schneller Rhythmus aus der Box und Sara tritt auf die Bühne. Die Musik zwischen den Auftritten, die lila Lichter sind das einzige, was Atmosphäre schafft. Keine Kulisse, kein Kostüm. Die Slammer haben nur ihre Stimme und das Mikro.
Und noch viel mehr. Sie haben die Kraft der Sprache, der Worte und Satzmelodie, jeden Muskel ihres Körpers, mit denen sie den Worten Nachdruck verleihen können. „Danke für die schöne Vorstellung”, sagt Sara ins Mikrofon. „Ich studiere in Heidelberg Germanistik und bin dabei dem Begriff ‚Seichte Mädchenlyrik’ begegnet. Das tut mir immer weh, wenn ich das höre.” Sara hat von allen Slammern, die heute auftreten, die sanfteste Stimme, die poetischste Sprachmelodie und trotzdem Kraft in der Sprache, sie lässt Laute sich ihrem Willen fügen. Die Hand vor ihrem Bauch begleitet den Takt ihres Sprechens wie die eines Dirigenten. Ihr Text handelt von einer starken Frau und ist eine Kritik des allzu männlichen Literaturkanons. „Ich bin eine Bad Bitch”, beginnt sie.
Sara Andjelkovic
Neben der Bühne warten sieben Autoren aus Luxemburg, Belgien, Frankreich, Österreich und Deutschland. Jeder von ihnen wird ein paar einleitende Worte sagen, dann einen Text vortragen, höchstens fünf bis sechs Minuten. Der Text muss selbst geschrieben sein, Zitate müssen sie als solche kennzeichnen, sie dürfen reimen, müssen aber nicht. Requisiten und Kostüme sind nicht erlaubt. Sie stehen auf der Bühne, wie sie auch sonst auf der Straße rumlaufen. Einzig erlaubt ist ein Textblatt. Hat jeder Slammer einen Text vorgetragen, stimmt das Publikum über den besten Text ab. Dann gibt es eine zweite Runde.
Als Bob Reinert und Sara Andjelkovic zum ersten Mal auf einer Bühne ihre Texte vortrugen, war Poetry Slam in Luxemburg ein Samenkorn. 2014 gingen beide noch zur Schule und nahmen an einem Workshop in Luxemburg-Stadt teil. Noch heute sind Luxemburger Slammer vorrangig Hobbytäter. Zwar gibt es in Niederanven seit Langem einen Poetry Slam, bis 2019 moderiert von Luc Spada und Michel Abdollahi, „aber die Leute werden von weither eingeladen, High Class”, sagt Bob Reinert. In der Vorrunde trat er in Niederanven gegen seine großen Idole aus Deutschland an. „Das ist etwas demoralisierend. Als Luxemburger hat man da keine Chance.” Dennoch gibt es auch unter viel Solidarität unter den Künstlern. „Jeder weiß, wie schwer es am Anfang ist, sie nehmen dich sehr nett auf. Wenn du nervös bist, machen sie Witze, damit du dich besser fühlst.”
„Uuuh, heftig”, entgegnet Sara, als er den Namen seines Gegners nennt. Dalibor Markovics Videos haben auf Youtube gerne mal 20.000 Aufrufe. „Wenn du dann als kleiner Luxemburger, der gerade zwei Texte geschrieben hat, gegen Leute antrittst, die deutscher Meister wurden, denkst du dir: Was mach ich hier?”, erinnert sich Bob.
Inzwischen haben sie sich daran gewöhnt, gegen hochkarätige Slammer anzutreten. Neben der Bühne in den Rotondes sitzen unter anderem Bas Böttcher, Mitbegründer der deutschsprachigen Spoken-WordSzene, die Wiener Autorin Yasmin Hafedh und die französische „Artivistin” Diariata N’Diaye, die allesamt das Bühnenleben zum Beruf gemacht haben, im Poetry Slam, der Literatur und Musik.
Bob Reinert und Sara Andjelkovic haben ihre ersten Auftritte zusammen mit dem Géisskan Kollektiv gemeistert. Inzwischen sind sie selbst Teil des Kollektivs von Poetryslammern und geben ihre Erfahrungen in Workshops weiter. Das Géisskan Kollektiv will
jungen Menschen den Einstieg erleichtern. Daher der Name. „Man gießt kleine Pflänzchen, die wachsen”, erklärt Gina Arvai, Mitbegründerin des Kollektivs. 2015 hat sie mit zwei Freunden das Kollektiv und damit die Luxemburger Poetry Slam-Szene ins Leben gerufen. Zuvor hatte sie Festivals organisiert und konnte die Kontakte in die Kunstszene nutzen, um Auftritte zu bekommen. Bis dahin gab es außer Niederanven nichts. Gina sagt: „Niederanven brachte die lokale Szene nicht zum Wachsen. Das ist nicht das Setting, in dem ein junger Mensch sich traut, etwas vorzutragen.”
Der erste Auftritt von Géisskan fand in einem Schwimmbad in Schifflingen statt, Chlorgeruch in der Luft, abends und haben bei Meisterschaften teilgenommen. Er sagt: „In Deutschland bin ich bekannt als DER Luxemburger, es gibt sehr wenige Luxemburger, die das regelmäßig machen und dabei bleiben.” Wer Erfolg hat, zieht nach Berlin, wie Luc Spada. Bob hat Luxemburg bei den Landesmeisterschaften vertreten. „Ich ziehe Sara immer damit auf, weil ich es geschafft habe, dahin zu kommen und sie nicht. Dabei ist sie viel besser als ich.”
Wenn Sara auf der Bühne steht, setzt sie mit starker Stimme die Betonungen scharf, sticht, wo es weh tun soll, wird sanft, wenn es zum Text passt. Ihre Texte sind kritisch und lyrisch, mit Reimen und gezielter Sprachmelodie. „Wenn eine Aussage hart ist, benutzt man t, p, k und wenn etwas weich sein soll, a und o. Die Nachricht im Text kann man so subtil verstärken. Richtig prägnant wird es durch den Reim”, erklärt sie.
unter der Woche, mit Luftballons dekoriert und lila LED-Lichtern, eine Bühne aus Europaletten improvisiert. „Wir haben 30 Leute erwartet und es kamen 100”, sagt Gina. „Wir wollen mehr junge Leute heranziehen und auf die Bühne bringen, wenn sie sich bereit fühlen”, ergänzt Bob. Aus seiner Erfahrung hat er gelernt. „Ich wollte, dass andere junge Slammer das nicht so erleben müssen. Das Géisskan Kollektiv möchte zusammen groß werden, nicht David gegen Goliath.” Ein Dutzend bis 20 Slammer sind inzwischen Teil des Kollektivs.
Heute Abend ist bei ihren Auftritten von Unsicherheit nichts mehr zu sehen. Sara Andjelkovic und Bob Reinert waren auf Tournee in Deutschland

Termine
In diesem Sommer kapert das Géisskan Kollektiv das Mudam. Von Ende Juli bis Ende August finden unter dem Titel „More Spoken Words – poetry, slam and words – by Géisskan Kollektiv“ Workshops, Poetry Slams und etwas ausgefallenere Varianten statt.
21. Juli: „Poetry Slam Geisskan Workshop“ mit den Géisskan Allstars 28. Juli: „Spoken Word & Hip-Hop“ – Workshop mit Tun Tonnar (Turnup Tun) und Stay-Fou 04. August: Der Klassiker: Géisskans Poetry Slam-Battle 11. August: „Powerpoint Karaoke“ – von Géisskan 18. August: Bad-Taste-Slam 25. August: „Dead or Alive“ – mit William Kentridge als Ehrengast sowie lokalen Schauspielern
Oft handeln ihre Texte von Feminismus. „Man schreibt über das, was einen berührt und bewegt, bei mir ist das der Feminismus.” Bob stimmt ihr zu: „Ich finde es am authentischsten, wenn ich Sachen sage, die ich selbst erlebt habe. Das ist ein Spiegelbild davon, wie man sich selbst fühlt.” Welchen Text er für einen Abend wählt, hängt von der Stimmung ab. „Es gibt Abende, wo ich die Leute mit sehr ernsten Texten zum Nachdenken anregen will. Manchmal ist es Sozialsatire, die einfach nur draufhaut.” In seinen Texten kreiert er eine überspitzte Kunstfigur, arbeitet mit Übertreibung und Sarkasmus. Seine Sätze reimen sich nicht. „Man merkt, dass Sara im Lyzeum eine Sprachensektion gemacht hat, ich eine Kunstsektion, sie ist viel technischer unterwegs.”
Auch das Publikum spielt eine große Rolle. Je nachdem, ob es eher heiter oder nachdenklich ist, wählen die Künstler den passenden Stoff. Poetry Slam soll die Menschen verbinden, findet Bob. „Das ist für jeden und jede. Es bringt Menschen zusammen, die sich sonst in der Gesellschaft nicht begegnen. Der Opi kann mit seinem Enkelkind kommen. Zusammen jemandem zuhören, ist sehr beruhigend und gibt ein Gefühl von Gemeinschaftsdasein.” Sara fügt hinzu: „Es geht darum, das Publikum zu entertainen, vielleicht Kritik an der Gesellschaft zu üben. Es ist nicht dieses hochnäsige ‚Wir gehen zu einer Lesung von einem bekannten Autor und stellen dann intelligente Fragen an den Text‘.”

Poetry Slam bringt Menschen zusammen.
Bob Reinert
Für Sara, Bob, Gina und Philippe geht der Abend gleich los. Noch sind sie nicht aufgeregt. „Aber wenn gleich die Leute vor uns sitzen”, sagt Bob, „in den zehn Sekunden, in denen ich aufgerufen werde und auf die Bühne muss, habe ich immer einen leichten Herzinfarkt, weil ich denke, scheiße, jetzt geht’s los. Aber es ist positive Aufregung. Nach den ersten 30 Sekunden schaltet sich der Autopilot ein und man gleitet durch die Texte.” Sobald Sara auf der Bühne zu ihrem zweiten Text des Abends ansetzt, wirkt sie sicher und fest, als fühle sie sich geborgen in ihrem Werk, artikuliert stark und fliegt durch die Zeilen. Den Text kennt sie gut, es ist einer der ersten, die sie je geschrieben hat. Ihre sanfte Stimme liest von lilafarbenen Fingernägeln.
Rheinisches LAnDesmuseum TRieR 20. Juni 2020 – 12. september 2021
www.landesmuseum-trier.de
